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Flüchtlinge aus Holland: "In den Herbstferien 1944 kamen 48 Flüchtlinge aus Holland nach Jesteburg, für die Unterkunft beschafft werden mußte. Zu diesem Zwecke wurden der II. und III. Klassenraum beschlagnahmt. In aller Eile wurden die Bänke herausgeschafft und bei Bäckermeister H. Clement und Schmiedemeister W. Frommann untergebracht, während die anderen Utensilien, mit Ausnahme der Schränke, die stehen blieben, zunächst auf dem Flur von Herrn Haber gelagert wurden. Später kamen diese auf den Hausboden des 1. Stelleninhabers. Nun konnten sich die aus ihrer Heimat Vertriebenen einrichten, wenn auch nur ganz primitiv. Zunächst wurde auf dem Fußboden Stroh ausgebreitet, das Bauer H. Kröger, Lohof, geliefert hatte, um Schlafgelegenheit zu bekommen. Erst nach einigen Wochen trafen Bettstellen und Matratzen von der NSV ein. Tische und Stühle aus dem Schützenhaus vervollständigten bald die Einrichtung. Nachdem noch in jedes Zimmer ein kleiner Herd hinzugekommen ist, läßt es sich schon drin wohnen. Die Verpflegung hat ebenfalls die NSV übernommen, und so werden die Mahlzeiten gemeinsam bei Gastwirt W. Buhr eingenommen. Die größte Sorge bereitet die Feuerung. Wegen Kohlenmangel wird hauptsächlich mit Holz geheizt, das sich die Flüchtlinge zum größten Teil selbst im Walde suchen, hauptsächlich in der Pfarrkoppel am Itzenbütteler Wege. Hoffentlich wird der Winter nicht gar zu streng! Möchte doch bald der Friede einkehren, daß diese Ärmsten in ihre Heimat zurückkehren können." (Schulchronik II, S. 131) 1. Die Bessarabiendeutschen Auf Grund des Nichtangriffspaktes und geheimer Zusatzvereinbarungen Hitlers mit der Sowjetunion wurden 90.000 Deutsche vom 15.9.1940 bis zum 15.11.1940 aus Bessarabien ausgesiedelt. Sie fuhren in Trecks oder auf Lastwagen bis zu den Donauhäfen Kilia, Reni und Galatz, weiter mit Dampfern donauaufwärts nach Semlin oder Prahovo. Von dort aus wurden sie mit der Eisenbahn in 250 Umsiedlungslager hauptsächlich in Sachsen, Franken, Bayern, im Sudetenland und in Österreich gebracht. Zu 85 % waren es Bauern. Der Großteil von ihnen wurde 1941/42 im damaligen Warthegau und in Danzig-Westpreußen auf Höfen angesiedelt, die kurz vorher von ihren polnischen Besitzern geräumt worden waren. (Quelle: Festschrift zur Umsiedlung vor 50 Jahren, Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen e.V., Weissach im Tal, 1990, S. 15, 18, 23) Schon am 24.9.1940 hatte die erste Kolonne Galatz erreicht. Am 22.10.1940 fuhr der letzte Treck über die Pruthbrücke. (A. Kern: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen, Hannover, 3. Aufl.1976, S. 21) Aus Altposttal, Kreis Akkermann, in Bessarabien kam Elsa Müller, geb. 2.7.1928, verheiratet mit dem aus Ostpreußen stammenden Erich Scharnowski. Sie hat bis Oktober 1940 in Altposttal gewohnt und wurde dann auf freiwilliger Basis im Zuge der "Kommt heim ins Reich"-Aktion nach Oberaudorf am Inn in Bayern umgesiedelt zusammen mit ihrem 4-jährigen Bruder Helmuth, geb. 17.9.1936, und ihren Großeltern Ferdinand und Marie Lohrer und rund 100 weiteren Dorfbewoh-nern in einer geschlossenen Gruppe mit Pferd und Wagen. Der Weg führte nach Bukarest, von dort mit dem Schiff auf der Donau ins Lager Oberaudorf. Über das Rote Kreuz waren ihre Eltern Johannes Müller, geb. 22.7.1900, und Maria, geb. 3.10.1908, auch nach Oberaudorf gekommen. Danach folgte die Umsiedlung nach Litzmannstadt (Lodz), von dort nach Supponin in Westpreußen. Hier erhielten sie Anwesen, aus denen Polen vertrieben worden waren. Am 22.1.1945 flüchteten sie mit einem Wagen und fünf Pferden. Sie waren acht Wochen unterwegs und erreichten im März 1945 Oberndorf an der Oste. Der Verdienst bei einem Bauern betrug 8o Pfennig pro Tag. 1950/51 kaufte ihr Vater in Jesteburg ein Grundstück am Sandbarg. Mit ihrem Mann Erich Scharnowski zog sie 1953 nach Jesteburg. Tochter Silvia (41) ist verheiratet und hat einen Sohn Maurice (8). Helmuth Müller, geb. 17.9.1936, hat selbst keine Erinnerungen an die Flucht, weil er noch zu klein war. Er lernte in Oberndorf im Landkreis Hadeln Tischler. Im Mai 1954 wechselte er als Tischlergeselle nach Jesteburg zur Baufirma des Bundestags-abgeordneten W. H. Bahlburg, wo er bis 1958 blieb. Der Vater Johannes Müller hatte einen Freund, der beim Hamburger Abendblatt arbeitete. Sie lasen Annoncen mit Arbeitsangeboten und kamen auf diese Weise auf Jesteburg. Im Oktober 1954 zog Familie Müller nach Jesteburg, Sandbarg 23, später Nr. 17. Der Sohn Helmuth heiratete am 1.12.1961 Ulrike Enk aus Jesteburg,. Sie haben zwei Töchter: Petra, geb. 1962, und Katrin, geb. 1966. 1999 bauten sich Helmuth und Ulrike Müller ein neues Haus auf ihrem Grundstück, In der Koppel. Helmuth Müller besitzt das Buch: Herbert Gäckle: Geschichte der Gemeinde Alt-Postal, Bietigheim 1983, 1028 S. Aus Tarutino, Kreis Akkermann, Bezirk Kischineff, in Bessarabien kam die Familie Banek: der Vater Wilhelm, geb.1892, Angestellter am Evangelischen Konsistorium, seine Frau Hulda, geb. 1893, die

Die Bessarabiendeutschen - jesteburg.de · galt er mit 25 Jahren als "alter Herr", er durfte auch in der Pause auf der Straße rauchen – heiratete am 27.8.1955 Ilse Viedt aus Itzenbüttel

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  • Flüchtlinge aus Holland:

    "In den Herbstferien 1944 kamen 48 Flüchtlinge aus Holland nach Jesteburg, für die Unterkunft beschafft werden mußte. Zu diesem Zwecke wurden der II. und III. Klassenraum beschlagnahmt. In aller Eile wurden die Bänke herausgeschafft und bei Bäckermeister H. Clement und Schmiedemeister W. Frommann untergebracht, während die anderen Utensilien, mit Ausnahme der Schränke, die stehen blieben, zunächst auf dem Flur von Herrn Haber gelagert wurden. Später kamen diese auf den Hausboden des 1. Stelleninhabers. Nun konnten sich die aus ihrer Heimat Vertriebenen einrichten, wenn auch nur ganz primitiv. Zunächst wurde auf dem Fußboden Stroh ausgebreitet, das Bauer H. Kröger, Lohof, geliefert hatte, um Schlafgelegenheit zu bekommen. Erst nach einigen Wochen trafen Bettstellen und Matratzen von der NSV ein. Tische und Stühle aus dem Schützenhaus vervollständigten bald die Einrichtung. Nachdem noch in jedes Zimmer ein kleiner Herd hinzugekommen ist, läßt es sich schon drin wohnen. Die Verpflegung hat ebenfalls die NSV übernommen, und so werden die Mahlzeiten gemeinsam bei Gastwirt W. Buhr eingenommen. Die größte Sorge bereitet die Feuerung. Wegen Kohlenmangel wird hauptsächlich mit Holz geheizt, das sich die Flüchtlinge zum größten Teil selbst im Walde suchen, hauptsächlich in der Pfarrkoppel am Itzenbütteler Wege. Hoffentlich wird der Winter nicht gar zu streng! Möchte doch bald der Friede einkehren, daß diese Ärmsten in ihre Heimat zurückkehren können." (Schulchronik II, S. 131)

    1. Die Bessarabiendeutschen

    Auf Grund des Nichtangriffspaktes und geheimer Zusatzvereinbarungen Hitlers mit der Sowjetunion wurden 90.000 Deutsche vom 15.9.1940 bis zum 15.11.1940 aus Bessarabien ausgesiedelt. Sie fuhren in Trecks oder auf Lastwagen bis zu den Donauhäfen Kilia, Reni und Galatz, weiter mit Dampfern donauaufwärts nach Semlin oder Prahovo. Von dort aus wurden sie mit der Eisenbahn in 250 Umsiedlungslager hauptsächlich in Sachsen, Franken, Bayern, im Sudetenland und in Österreich gebracht. Zu 85 % waren es Bauern. Der Großteil von ihnen wurde 1941/42 im damaligen Warthegau und in Danzig-Westpreußen auf Höfen angesiedelt, die kurz vorher von ihren polnischen Besitzern geräumt worden waren. (Quelle: Festschrift zur Umsiedlung vor 50 Jahren, Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen e.V., Weissach im Tal, 1990, S. 15, 18, 23)Schon am 24.9.1940 hatte die erste Kolonne Galatz erreicht. Am 22.10.1940 fuhr der letzte Treck über die Pruthbrücke. (A. Kern: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen, Hannover, 3. Aufl.1976, S. 21)Aus Altposttal, Kreis Akkermann, in Bessarabien kam Elsa Müller, geb. 2.7.1928, verheiratet mit dem aus Ostpreußen stammenden Erich Scharnowski. Sie hat bis Oktober 1940 in Altposttal gewohnt und wurde dann auf freiwilliger Basis im Zuge der "Kommt heim ins Reich"-Aktion nach Oberaudorf am Inn in Bayern umgesiedelt zusammen mit ihrem 4-jährigen Bruder Helmuth, geb. 17.9.1936, und ihren Großeltern Ferdinand und Marie Lohrer und rund 100 weiteren Dorfbewoh-nern in einer geschlossenen Gruppe mit Pferd und Wagen. Der Weg führte nach Bukarest, von dort mit dem Schiff auf der Donau ins Lager Oberaudorf. Über das Rote Kreuz waren ihre Eltern Johannes Müller, geb. 22.7.1900, und Maria, geb. 3.10.1908, auch nach Oberaudorf gekommen. Danach folgte die Umsiedlung nach Litzmannstadt (Lodz), von dort nach Supponin in Westpreußen. Hier erhielten sie Anwesen, aus denen Polen vertrieben worden waren. Am 22.1.1945 flüchteten sie mit einem Wagen und fünf Pferden. Sie waren acht Wochen unterwegs und erreichten im März 1945 Oberndorf an der Oste. Der Verdienst bei einem Bauern betrug 8o Pfennig pro Tag. 1950/51 kaufte ihr Vater in Jesteburg ein Grundstück am Sandbarg. Mit ihrem Mann Erich Scharnowski zog sie 1953 nach Jesteburg. Tochter Silvia (41) ist verheiratet und hat einen Sohn Maurice (8).

    Helmuth Müller, geb. 17.9.1936, hat selbst keine Erinnerungen an die Flucht, weil er noch zu klein war. Er lernte in Oberndorf im Landkreis Hadeln Tischler. Im Mai 1954 wechselte er als Tischlergeselle nach Jesteburg zur Baufirma des Bundestags-abgeordneten W. H. Bahlburg, wo er bis 1958 blieb. Der Vater Johannes Müller hatte einen Freund, der beim Hamburger Abendblatt arbeitete. Sie lasen Annoncen mit Arbeitsangeboten und kamen auf diese Weise auf Jesteburg. Im Oktober 1954 zog Familie Müller nach Jesteburg, Sandbarg 23, später Nr. 17. Der Sohn Helmuth heiratete am 1.12.1961 Ulrike Enk aus Jesteburg,. Sie haben zwei Töchter: Petra, geb. 1962, und Katrin, geb. 1966. 1999 bauten sich Helmuth und Ulrike Müller ein neues Haus auf ihrem Grundstück, In der Koppel. Helmuth Müller besitzt das Buch: Herbert Gäckle: Geschichte der Gemeinde Alt-Postal, Bietigheim 1983, 1028 S.

    Aus Tarutino, Kreis Akkermann, Bezirk Kischineff, in Bessarabien kam die Familie Banek: der Vater Wilhelm, geb.1892, Angestellter am Evangelischen Konsistorium, seine Frau Hulda, geb. 1893, die

  • Kinder Irma, geb. 1919, Arno, geb. 1922, und Walter, geb. 25.5.1926, der jetzt in Itzenbüttel lebt. Im Oktober 1940 wurden sie mit einem Lastwagen, andere auf Treckwagen, von Soldaten zu einer Sammelstelle gebracht, von dort zum Donauhafen Reni gefahren. Beim Einsteigen in das Schiff nahm man allen Ausgesiedelten das Papiergeld und Hartgeld ab. Am Uferrand lagen Berge von Geld. Mit dem Schiff ging es nach Prahovo in eines der beiden großen Sammellager in Jugoslawien, das andere war Semlin. Mit der Eisenbahn ging es nach Weißenburg in Bayern in ein Sammellager. Alle Personen waren gesund. Walter war 14 Jahre alt und ging zur Schule. Die Schwester kam einige Wochen später nach. Sie musste beim Transport in der Heimat helfen. Von Bayern aus wurden sie Anfang Februar 1941 nach Litzmannstadt, Lodz, für zwei Monate gebracht. Hier arbeiteten der Vater und der Bruder im Umsiedlungsstab. Noch 1941 ging es mit Bussen weiter in die Kreisstadt Briesen in Westpreußen. Man verteilte die Familien in der Stadt. Baneks wurde eine Wohnung zugewiesen, die nicht bewohnbar war. Sie reklamierten dies und erhielten eine andere Wohnung, in der eine polnische Familie mit drei kleinen Kindern wohnte. Die Mutter und die Kinder standen im Flur und sollten das Haus verlassen. Das Essen stand noch auf dem Herd. Frau Banek veranlasste, dass die Polen notwendige Habseligkeiten wie Geschirr, Bettzeug und anderes mitnehmen konnten. Der Vater Wilhelm Banek arbeitete auf dem Landratsamt als Kämmerer, Walter musste zur Schule. Der Bruder wurde Soldat, die Schwester arbeitete beim Luftschutz. Noch vor der Ernte im Mai oder Juni 1943 hat der Vater den Beruf gewechselt, er wurde Landwirt in Thymau bei Mewe an der Weichsel, Kreis Dirschau. Auf der anderen Weichselseite lag Marienwerder. Die Schwester Irma war in Briesen geblieben. Auf dem Hof war ein Treuhänder aus dem Baltikum, auch Baneks waren Treuhänder. Dem Hof wurden noch fünf kleinere Höfe zugeschlagen. Die Besitzer mussten jetzt auf dem großen Hof arbeiten, sie wurden gut behandelt. Walter hat auch auf dem Hof des Vaters gearbeitet. Im Sommer 1944 kamen täglich lange Trecks mit Flüchtlingen aus dem Baltikum durch den Ort. Walter wurde im November 1944 mit 18 Jahren Soldat in Schwetz.

    Im Winter ging es zu Fuß nach Thorn zurück ins Quartier in eines der 24 Forts des Festungsrings um Thorn. Überall waren Schützengräben ausgehoben worden. Hier machte Walter Dienst bis Januar 1945. Da der Russe aber mit Panzern angriff, nützten die Schützengräben nicht viel. Die Wehrmacht musste Thorn räumen. Ungefähr 18.000 deutsche Soldaten waren eingekesselt. Der zweite Ausbruchsversuch glückte, und sie kamen bis Kulm/Weichsel. Sie lagen auf einem Hang. Der Russe bombardierte die Stellung und griff an. Viele deutsche Soldaten wurden getötet oder gerieten in Gefangenschaft. Walter Banek konnte sich über das Eis der Weichsel retten bis Schwetz. Die Eltern waren am 20.1.1945 mit Irma mit drei Wagen aus Thymau auf der Flucht in Richtung Westen. Sie brauchten längere Zeit, um (vermutlich) bei Stettin über die Oderbrücke zu kommen, denn alle Zugänge waren mit Trecks verstopft. Sie erreichten Itzenbüttel – von Undeloh kommend – am Sonnabend, 17. März 1945. Walters Frau, Ilse Viedt, erinnerte sich genau: Sie wurde am nächsten Tag, Sonntag, 18.3.1945, in Jesteburg in der Kirche konfirmiert. Der Gottesdienst fand schon morgens um 8 Uhr statt wegen der Tiefflieger. Pastor Twele konfirmierte die Jungen und Mädchen vor dem Gottesdienst. Tatsächlich musste der Gottesdienst am 18.3.45 dann vorzeitig wegen Alarms beendet werden. Der Vater Wilhelm Banek hat von 1951 an, als Willy Meyer Bürgermeister von Itzenbüttel wurde, 12 Jahre lang im Büro des Bürgermeisters ehrenamtlich mit gearbeitet. Willy Meyer hatte 1946 nach der Übernahme des Hofes – Harmsbur – auch dafür gesorgt, dass alle Flüchtlinge von seinem Land einen Garten von 100 qm erhielten. Jedes Jahr feierte er auf seiner Diele mit ihnen ein Erntefest. Walter Banek war am 16.2.1945 auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Gruppe bei Graudenz in russische Gefangenschaft geraten und kam in Deutsch-Eylau in ein Gefangenenlager. Nach einer Woche wurde er krank. Er hatte Rippenfellentzündung und musste ins Lazarett. Am 29.4.1945 verfrachtete man die Gefangenen nach Sibirien. Walter kam am 24.5.1945 in Nowokuznesk südlich von Nowosibirsk im Kohlerevier an. Hier mussten sie Häuser bauen. Weil er so mager war, wurde er in Gruppe III eingestuft. Entlassen wurde er Mitte September 1945. Ende November 1945 kam er in Frankfurt/O. an. Eine Schwester seiner Mutter aus Tarutino wohnte in Erlangen. Walter ließ sich nach Erlangen entlassen. Auch die Schwester Irma wohnte später hier. Die Tante wusste vom Aufenthalt ihrer Schwester Hulda in Itzenbüttel. Kurz vor Weihnachten 1945 fuhr Walter von Erlangen über Bremen, Buchholz nach Itzenbüttel. Er arbeitete fünf Jahre bei Leopold Meyer auf dem Hof, lernte dann in der Sportwaffenfabrik seiner Tante in Erlangen Werkzeugmacher – in der Berufsschule dort galt er mit 25 Jahren als "alter Herr", er durfte auch in der Pause auf der Straße rauchen – heiratete am 27.8.1955 Ilse Viedt aus Itzenbüttel und arbeitete 30 Jahre im Betonwerk von Franz Köhler in Hamburg, später in Norderstedt als Schlosser. Baneks haben zwei Söhne: Wolfgang und Jürgen. Sie bauten 1961/62 ein Haus in Itzenbüttel. Erwähnenswert ist noch, dass die Eltern auf der Flucht mit dem Wagen unterwegs einen Engländer, wohl einen englischen Kriegsgefangenen, auf ihrem Wagen mitgenommen haben. Der Engländer war lange Zeit neben ihrem Wagen zu Fuß hergelaufen. Dieser musste sich abends immer bei der örtlichen Polizei melden. Er erhielt Unterkunft und Verpflegung. Als

  • die mitgenommenen Essens-vorräte auf dem Treckwagen weniger wurden, teilte der Engländer die erhaltene Portion mit Familie Banek. In Itzenbüttel wurde er gleich abgeführt. Die englischen Truppen besetzten Jesteburg und Itzenbüttel vier Wochen später am 19. April 1945, Itzenbüttel gegen Mittag.

    Aus Sarata, Kreis Bender, Tigina, in Bessarabien kam die Familie Steudle: der Lehrer Otto Steudle, geb. 5.11.1912, gest. 13.6.1997, seine Frau Adele, geb. 5.1.1913, der Sohn Walter, geb. 1942. Die Eltern waren Landwirte. Die Mutter Adele stammte aus Mariewka, ging zum Gymnasium in Tarutino und wollte Kindergärtnerin werden. Otto Steudle besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Sarata, er war auch in der Lehrerausbildung tätig. Die offizielle Sprache war rumänisch, man lernte aber so nebenbei auch russisch, denn bis 1918 war Bessarabien russisch, ab 1940 auch wieder. Steudles heirateten am 5.11.1936. Am 16.9.1940 wurden sie ausgesiedelt. Man transportierte sie nach Kilia an der Donau. Sie fuhren mit dem Schiff "Schönbrunn" nach Semlin, heute Zemun, in Jugoslawien, wo sie 14 Tage in Baracken lebten. Abends konnten sie die Lichter der Hauptstadt Belgrad sehen. Mit der Bahn ging es weiter nach Böhmisch-Kamnitz. Mehrere Lager folgten, zuletzt das Durchgangslager in Litzmannstadt, heute Lodz. Dort haben sie das jüdisches Ghetto gesehen. Otto Steudle erhielt 1941 in Langenfeld eine Anstellung als Lehrer. Im Mai 1942 wurde er als Soldat eingezogen, Walter war drei Monate alt. Otto Steudle kam nach Osteuropa, brauchte aber nicht an die Front, weil er als Dolmetscher tätig war. Auch in der russischen Gefangenschaft in Österreich hatte er einige Annehmlichkeiten wegen seiner guten Sprachkenntnisse. Er wusste, wohin seine Frau geflohen war, nämlich nach Itzenbüttel. Er erreichte Itzenbüttel nach seiner Entlassung am 7.9.1945. Adele Steudles Eltern hatten in Thymau bei Mewe in Ostpreußen eine neue Heimat gefunden. Sie holten Adele Steudle und den Sohn Walter dorthin. In Thymau lebten auch noch Adele Steudles Bruder, Schwester und Schwager. Am 25.1.1945 flohen sie alle mit drei Wagen. Unterwegs gab es keine Schwierigkeiten. So erreichten sie über Winsen, Hanstedt, Jesteburg den Ort Itzenbüttel. Hier entschied der Bürgermeister Petralczyk aus Reindorf, dass der Wagen mit Adele Steudle und Sohn und Schwester und Schwager in Itzenbüttel bleiben konnte und sie bei Volgers unterkamen, der Schwager bei Leopold Meyer, während die Eltern und der Bruder mit den beiden anderen Wagen nach Verden weiterziehen mussten. Sie siedelten später nach Württemberg um. Auf der Herfahrt hielt der Treck in Jesteburg vor Papes Laden, heute Hanno Wille. Adele Steudle hatte noch einen Bezugschein für 150 Gramm Zucker. Das war nach der langen Fahrt eine Delikatesse für Walter. Mit Steudles waren noch mehrere Familien im Treck gekommen, z. B. die Familie Banek und Familie Schlick. Im Februar 1946 erhielt Otto Steudle eine Anstellung als Lehrer in Jesteburg. Adolf Haber war allein und hatte sehr viele Schüler zu unterrichten. Nachdem der langjährige Bürgermeister Gössler aus seiner Wohnung im Pfarrwitwenhaus, Drogerie Bonness, ausgezogen war, wurde Steudles diese Wohnung von Pastor Twele zugewiesen. Per Vertrag übernahm Otto Steudle die Pflicht zum Lesegottesdienst. Dafür brauchten sie für die Wohnung nichts zu zahlen. Schon in Bessarabien war Otto Steudle auch Organist und Lektor geworden. Er hielt auch Gottesdienste und machte Taufen und Beerdigungen, weil es zu wenige Pfarrer gab. Die Täuflinge mussten aber vom Pastor noch gesegnet werden. Im Lehrerseminar hatte er Orgelspielen gelernt. In Mariewka hielt er öfter Gottesdienst. So lernte er seine Frau Adele kennen. Adele Steudle hat das "Küster-Zeugnis" vom 23.9.1933 noch in ihren Unterlagen. Otto Steudle machte "ein gutes Examen", ausgestellt wurde das Zeugnis in Tarutino. Auf dem Schiff auf der Donau musste Otto Steudle in seiner Eigenschaft als Küster ein krankes Kind "nottaufen". Otto Steudle war als Gefangener 1945 bei Aigen in Oberösterreich zum Ernteeinsatz verpflichtet worden. Aus dem Zug heraus hatte er wie die anderen Zettel mit einem Lebenszeichen von sich geworfen in der Hoffnung, dass er von irgendeiner Person weiter geleitet würde. Als Adele Steudle schon in Itzenbüttel war, bekam sie einen solchen Zettel zugeschickt. Adele Steudle wusste deshalb, dass ihr Mann lebte. In den 70er Jahren sind Steudles nach Aigen gefahren und haben sich das große Wiesengeländeangesehen, auf dem 1945 die deutschen Gefangenen – unter ihnen Otto Steudle – gelegen hatten, Otto Steudle glücklicherweise nur wenige Monate. Er war Konrektor an der Jesteburger Schule, hat die Bücherei aufgebaut und wurde vom Schulrat Harburg-West in Buchholz zum Fachberater für Verkehrserziehung ernannt. Otto Steudle hat die Heimatforschung wesentlich beeinflusst und wurde Ehrenmitglied im Jesteburger Arbeitskreis für Heimatpflege.Literatur: Chronik von Sarata 1822 – 1940, erschienen 1979.

    Emil Schlick aus Krasna in Bessarabien, verh. mit Helga Stolze aus Itzenbüttel.Emil Schlick kam aus Krasna, Krs. Ackermann, in Bessarabien. Er wurde am 23.12.1931 in Krasna geboren und wuchs bei den Großeltern auf. Seine Mutter hieß Katharina. Krasna war ein großer Ort, ein Straßendorf. Mit acht Jahren musste er im Herbst 1940 zusammen mit den Großeltern mit Pferd und Wagen Krasna in Richtung Schwarzes Meer verlassen. Auf der Donau wurden sie mit einem Transportschiff nach Galatz und von dort in das Lager Pirna bei Dresden gebracht. Wieder mit dem Schiff gelangten sie nach Tuschenwald in Polen, wo sie in einem Lager registriert wurden und einige

  • Monate blieben. Sie waren auch drei bis vier Wochen in Litzmannstadt. Dort wurden sie auch registriert. Schließlich transportierte man sie 1941 nach Westpreußen, nach Falkenthal, Krs. Wirsitz, bei Bromberg und wies ihnen hier einen Hof zu, der schon von den polnischen Besitzern geräumt worden war. Die Polen durften nichts mitnehmen und mussten das Vieh zurücklassen: zwei Pferde, Kühe und Schweine, so dass Schlicks gleich mit dem Füttern beginnen mussten. In Falkenthal blieben sie bis 1945. Der Onkel Josef war in Rumänien in Gefangenschaft geraten, kam frei und wurde erneut eingezogen. Im Februar 1945 begann die Flucht mit Pferd und Wagen bei Eis und Schnee über die Weichsel. Auf dem Wagen befanden sich der Großvater Anton Schlick, geb. 1873, seine Frau Genoveva, geb. 1889, die Tante Marianne und die Frau des Onkels Josef, Else Schlick, sowie Großsohn Emil, damals 13 Jahre alt. Sie erreichten den Ort Kraase, Krs. Waren/Müritz zwischen Waren und Neu-Brandenburg. Auf dem Gut Kraase erhielten sie im März 1945 Unterkunft und Futter für die Pferde. Dafür mussten sie auf dem Felde arbeiten. Weil der Russe näherkam, flüchteten sie im April weiter wahrscheinlich nördlich des Krakower Sees und des Schweriner Sees in Richtung Westen. Auf einer Anhöhe standen die Amerikaner, denn sie konnten die Flagge sehen und hofften auf Rettung. Die Amerikaner hatten schon Westmecklenburg besetzt. Aber die Pferde waren kaputt. So wurden sie in einem Waldgebiet vor Schwerin von den Russen eingeholt. Im Treck befanden sich etwa acht Wagen. Ein Wagen blieb nicht stehen und versuchte zu fliehen. Da schossen die Russen den Wagen kaputt. Die übrigen ergaben sich. Die Russen schrieen "Uri, Uri" und nahmen ihnen die Uhren weg. Der Opa sagte: "Hände hoch! Dann tun sie uns nichts." Aber die Russen vergewaltigten alle Frauen. Ein Offizier sagte: "Nach Hause." Aber Bessarabien ging nicht mehr. Der Treck musste umkehren, und sie fanden im Frühsommer 1945 wieder Unterkunft auf dem Gut Kraase. Sie mussten jetzt beim Russen arbeiten und die Schafe des Gutes hüten. Geld gab es nicht, aber Brot und in der Woche ein Stück Fleisch, nur keine Milch. Bald gab es kaum noch Schafe, denn sie wurden nach Rußland transportiert, dann auch die Kühe. Fünf bis sechs Jungen, unter ihnen auch der 13-jährige Emil, sollten das Vieh zum Bahnhof bringen. Es ging das Gerücht, dass sie mit nach Russland müssten. Aber sie wollten nicht nach Russland und versteckten sich in einem Rapsfeld. Einige Russen und Nachbarn gaben ihnen zu essen. Sie gingen wieder zurück nach Kraase. Dort gab es aber keine Arbeit und keine Lehrstelle. Als das Vieh abtransportiert war und die Russen abgezogen wurden, bekamen die KZ-Insassinnen, die von den Russen befreit worden waren, vier Wochen frei zum Plündern aller Dörfer in der Umgebung. Sie schlitzten Betten auf, machten Kinderwagen kaputt, zerstörten die Uhren an den Wänden, kurz: randalierten aus Wut gegen die Deutschen. Der 72-jährige Opa Anton Schlick stellte sich dagegen, daraufhin wurde er mit der Pistole bedroht. Die Frauen hatten Messer und Pistolen. Emil arbeitete bei Bauern in Kraase. 1950 meldete er sich freiwillig mit vier anderen Jungen zur Volkspolizei (blaue Uniform), bekam Geld und musste für drei Jahre unterschreiben. Am 27.12.1950 wurde er in Rostock "eingestuft" und kam nach Müllhausen in Thüringen zur Ausbildung. Er erhielt 120 DM Ost, später 150 DM Ost. 1952 bis 1953 gehörte er der KVP (Kasernierte Volkspolizei) an. 1953 war er in Prora auf Rügen stationiert und erhielt als Unteroffizier 160 DM Ost. Im Frühjahr 1953 beantragte er die Entlassung. Diese erfolgte im September 1953. Daraufhin kehrte er nach Kraase zurück und arbeitete auf dem Hof der Großeltern, die noch lebten. Die Eltern der älteren Tante Else wohnten in Bad Oynhausen. Sie hatten über das Rote Kreuz den Aufenthalt von Emils Mutter Katharina, die in Ollsen bei Hanstedt, Landkreis Harburg, wohnte, ausfindig gemacht. Die Mutter lud Emil ein, der beim Gericht eine Ausreisegenehmigung beantragte. Nach mehreren Ablehnungen erhielt er am 12.12.1953 die Genehmigung zu einem vierwöchigen Besuch in der BRD. Der Ausweis wurde ihm aber abgenommen, und er erhielt einen "Laufzettel" mit Nummer und Namen. Seine Schwester Klara Herschaft (Name des Stiefvaters), geb. 1935, heute in Pinneberg, war beim Bauern Leopold Meyer in Itzenbüttel in Stellung. Durch sie erhielt Emil Arbeit in Itzenbüttel. Am 1.2.1954 begann Emil Schlick die Arbeit auf dem Hof des Bauern Hermann Stolze, damals Nr. 18, heute Nr. 17. Er lernte die Tochter Helga kennen. Sie heirateten am 9.5.1958. Nach zwei Jahren wechselte Emil Schlick 1956 auf den Hof des Bauern Rudolf Heitmann, Nr. 2, über. Im Mai 1958 erhielt er Arbeit bei der Zimmerei Otto Heins in Buchholz und arbeitete hier bis zum Rentenalter 1994. Die Firma Heins wurde inzwischen aufgelöst. Nach der Wende wurden Emil Schlick ein Teil der früheren Arbeitszeit bei der Polizei und die Flucht angerechnet. Zwei Kinder wurden geboren: 1957 die Tochter Rita und 1967 die Tochter Martina. Helga Schlick arbeitete bis 1963 zusammen mit der Mutter Berta auf dem elterlichen Hof, dann wurden die Tiere abgeschafft und die Stallungen ausgebaut. Ihr Vater Hermann Stolze hat über 40 Jahre als Kellner bei Herbert Keller im "Grünen Jäger" gearbeitet. Beide Eltern sind tot.Literatur: "Heimatkalender der Bessarabien-deutschen", Ausgaben 1964 und 1965, hrsg. im Eigenverlag des Hilfskomitees der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bessarabien e.V., Hannover.

    Anita Schütt, verh. Nill, kam aus Neu Dennewitz in Bessarabien, das 1913 neu gegründet worden war. Ihr Vater Johann Schütt, geb. 21.7.1889 in Jakobstal, geriet im 1. Weltkrieg in Königsberg in

  • russische Gefangenschaft, vermutlich 1914. (1) Ihre Mutter Maria Schlenker, geb. 12.10.1887 in Benkendorf, hatte 10 Geschwister, von denen fünf mit über 20 Jahren an Typhus gestorben sind. Ihre Mutter hat etwa 1920 Land von einem Gut in Neu Dennewitz gekauft, dessen Besitzerin Geld brauchte. Nach der Heirat baute das Ehepaar Schütt ein Haus. Anita wurde am 16.9.1926 geboren. Auf mehreren Reisen in die Heimat musste Anita Nill feststellen, dass ihr Haus nicht mehr vorhanden ist und das ganze Dorf nach der Ausweisung 1940 von den Russen zerstört worden ist. Über den Verlauf der Aussiedlung und das weitere Schicksal berichtete sie: "Die Aussiedlung begann am 26.9.1940. Wir wurden auf Lastwagen nach Galatz an der Donau transportiert: meine Mutter Maria und ich. Ich war 14 Jahre alt. Das Schiff brachte uns nach Semlin, wo wir in einem großen Zeltlager untergebracht wurden. Hier befanden sich schon sehr viele Menschen. Nachdem wir neu eingeteilt worden waren, fuhren wir mit dem Zug nach Coburg und erhielten eine vorläufige Bleibe für ein Jahr im Schloss Ketschendorf. Während meine Mutter für andere Leute viel geschneidert hat, musste ich zur Schule gehen und wurde auch konfirmiert. Im Frühjahr 1941 ging es mit dem Zug nach Tuschinwaldt bei Litzmannstadt. Ein Sommerhausgebiet von Juden war zu einem großen Lager mit einer Großküche umgestaltet worden. Ich kann mich gut an die schönen Bäume erinnern. Nach Litzmannstadt gab es eine Straßenbahn." Auf die Nachfrage nach einem KZ erzählte sie, dass sie selbst nichts davon gesehen hätte, aber ihr späterer Mann Otto Nill, den sie zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, wäre als 18-Jähriger auch dort gewesen und hätte eingesperrte Juden hinter Stacheldrahtgittern gesehen. "In Tuschinwaldt wurden wir neu eingeteilt und nach Schwetz in Polen gebracht. In dem Dorf Suchau in der Nähe von Schwetz, Krs. Schwetz, erhielten wir einen Bauernhof zugewiesen, aus dem die Polen rausgeschmissen worden waren. Das ging vielen so, manche haben gemeutert. Dort kam immer ein Junge, Arno Hoppe, der sieben Jahre alt war und dessen Eltern taubstumm waren, zu uns auf den Hof. Er aß Mittag bei uns, machte Schularbeiten und hütete nachmittags die Kühe. In der Schule hatte er wohl von einer bevorstehenden Flucht nach Deutschland gehört, er wollte unbedingt mit. In Suchau wohnten wir bis Anfang 1945. Die Häuser lagen weit verstreut, es lag hoher Schnee, und wir wussten nicht so genau, wie die Lage war. Aber einige waren schon losgefahren, und in der zweiten Januarhälfte ist meine Mutter mit mir und dem Jungen Arno Hoppe auf eigene Faust mit Pferd und Wagen losgefahren, und wir sind unbehelligt nach Jesteburg gekommen. Zuerst haben wir bei Harry Maack in der Lüllauer Straße in einem Zimmer gewohnt. Arno ist zur Schule und zum Konfir-mandenunterricht gegangen. Zur Konfirmation hat ihm Alma Bahlburg, die Frau des Zimmerei- und Sägewerkbesitzers W. H. Bahlburg, einen schwarzen Anzug geschenkt, und die Mutter hat ihn passend genäht. Bei Bahlburgs gab es Bibelstunden, im Sommer im Garten, und Pfingsten Kirchentage, die meine Mutter immer besucht hat. Ich habe wie Alwine Sychau auch bei dem Bauern Lüdemann in Kamerun auf dem Feld gearbeitet. Brigitte Reschke hat auch da gewohnt. Der Vater war 15 Jahre in Sibirien. Alma Bahlburg (2) hat vielen geholfen und zu essen gegeben. Ihr haben wir viel zu verdanken. Ich bin auch viel mit meiner Cousine Flora Kranz, die auch Flüchtling war und bei Schmidt gewohnt hat, zum Tanzen gegangen. Sie ist später in die DDR nach Rostock umgezogen. Sonst sind wir sonntags mit dem Fahrrad umher gefahren und haben andere Flüchtlingsfamilien gesucht. Dabei haben wir die Familie Gottlieb Schäfer in Brackel gefunden, die auch aus Bessarabien stammte. Ich war auch einmal zu Besuch in der DDR und wurde festgenommen. Nur mit Mühe konnte ich freikommen und bin auf Schleichwegen in einem Wald bei Dannenberg-Lüchow über die Grenze zurück gekommen." 1947 hat Anita Schütt Willi Suhr geheiratet. Der Ehe entstammen die beiden Töchter Anette und Roswitha. "Meine Mutter war gelernte Schneiderin und hat auch gleich in Jesteburg viel gearbeitet. Viele Flüchtlingsfrauen ließen sich bei ihr Kleider nähen. Mit dem verdienten Geld konnten wir uns eine Baracke von dem Bauern Behr aus Glüsingen kaufen. Dafür brauchten wir aber Land. Deshalb ist meine Mutter zu Pastor Twele (3) gegangen und hat darum gebeten, dass die Kirche uns ein Stück Land zur Verfügung stellen möchte. Das wurde schwierig, denn der Kirchenvorstand, dem auch Otto Krampitz angehörte, konnte sich nicht entscheiden. Pastor Walter Meyer war schon nach Jesteburg gekommen. Aber Mutter hat nicht aufgegeben und alles gemacht. Vor allem hat sich Bürgermeister Heino Clement für sie eingesetzt, dass wir das Stück Land, Pfarrweg 43, kaufen konnten, einen halben Morgen groß, das wir später geteilt haben, so dass Anette auch ein Haus bauen konnte. Auch beim Landkreis gab es Schwierig-keiten wegen der Höhe des Lastenausgleichs. Herr Steudle war auch unser Helfer. Er meinte, wir hätten doch zu Hause in Bessarabien ein so schönes Haus gehabt, alle bauten sich jetzt ein Haus, und dann müssten wir es doch auch tun. Da mein Mann als Fernfahrer viel unterwegs war, entfremdeten wir uns und wurden geschieden. Wir wollten nun auch ein Haus bauen und hatten Glück, weil ein Sachbearbeiter in Winsen auf dem Bauamt, ein Ostpreuße, unsere Unterlagen genau studierte und herausfand, dass uns eine größere Summe als Lastenausgleich aus dem Grünen Plan zustand. Mit dem Darlehen und den Ersparnissen meiner Mutter bauten wir allein 1962 unser Haus. Für eine langfristige Finanzierung mussten wir die Dachwohnung vermieten. Ich lernte Otto Nill, geb. 9.9.1921, kennen. Er stammt aus Josefsdorf, Krs. Bender, in Bessarabien. Das Dorf war 1858 gegründet worden. Otto hat zusammen mit seinem Cousin einen genauen Dorfplan von Josefsdorf

  • gezeichnet." Im Krieg war er in Kiew und vor Stalingrad in einer Panzerkompanie eingesetzt, um die Einkesselung der deutschen Truppen im Oktober und November 1942 zu verhindern. "Im Gegensatz zu den Truppen in Stalingrad erhielten wir den Befehl zum Rückzug. Wir haben Glück gehabt," sagte Otto Nill, "nicht mit in den Kessel geraten zu sein. Es gab kein Benzin und kein Essen mehr. Der Rückzug führte über Lemberg, Warschau und Berlin. Bei Hagenow ließen wir die Panzer stehen. Der Russe war dicht hinter uns. Ich war verwundet und kam erst nach Eberswalde und dann nach Coburg ins Lazarett." Anita Nill erzählte weiter: "Wir haben 1969 geheiratet. Meine Mutter Maria Schütt ist Pfingsten 1982 gestorben. Wenn ich zum Arzt musste, bin ich zu Dr. Stork (4) gegangen. Meine Tochter Anette hat Einzel-handelskauffrau gelernt, sie hat lange bei Günther Grüber gearbeitet, ist mit Dieter Westermann aus Klecken verheiratet und hat einen Sohn Mario (32), meine Tochter Roswitha ist mit Werner Foht verheiratet, wohnt in Sprötze und hat zwei Söhne, Tobias (25) und Florian (22). Anette sammelt Kleidung und auch Elektro-Geräte für die Menschen in unserer Heimat, die ich zuletzt 1999 besucht habe. Die Menschen dort sind sehr bedürftig und leben in unvorstellbarer Armut. Die Spenden sind wichtig, sie werden über den Hanstedter Herrn Müller mit Lastwagen nach Kischineff, und auch nach Moldawien und in die Ukraine gebracht. Aus Arnold Hoppe ist etwas geworden, er arbeitete auf einer Schiffswerft. In Beverstedt fand er seine Schwester wieder. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, und er hat auch ein Haus gebaut." Anita Nill besitzt die "Heimatkalender der Bessarabiendeutschen" von 1959, 1964, 1980 und 1981 sowie die Festschrift zum 30. Bundestreffen der Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen am 7.7.1992 in Stuttgart.(1) Johann Schütt kann in Königsberg nicht in russische Gefangenschaft geraten sein, sondern möglicherweise bei der Schlacht von Tannenberg am 26.-30.8.1914, als Paul von Hindenburg den Oberbefehl über die 8. deutsche Armee in Ostpreußen übernommen hatte und die russische Narew-Armee schlug, oder vom 6.-15.9.1914, als Paul von Hindenburg mit der 8. Armee an den Masurischen Seen die russische Njemen-Armee besiegte und Ostpreußen von den Russen befreite.(2) Alma Bahlburg, geb. Brauel, aus Ohlendorf, geb. 1894, gest. 1967, hat außer den Flüchtlingen auch vielen Kriegsgefangenen und versprengten deutschen Soldaten geholfen. Ihre Tochter Anneliese Krüger erzählte, dass täglich viele Bedürftige am Tisch ihrer Mutter Platz gefunden hätten. Alma Bahlburg galt wegen ihrer Frömmigkeit und Hilfsbereitschaft als "Engel der Armen" in Jesteburg. Ihr Mann, Baumeister Wilhelm Hermann Bahlburg, geb. 27.10.1888, war der größte Politiker in Jesteburg, im Landkreis und in der Region: 1922-1925 Bürgermeister, 1945 Vorsitzender der wieder gegründeten Nieder-sächsischen Landespartei (NLP), der Nachfolge-organisation der Welfen, später Deutsche Partei (DP), schon ab 1946 Kreistagsmitglied und 1948 Landrat, danach Landtagsabgeordneter und 1949 Bundestagsabgeordneter. Seine Schwiegertochter Margret Bahlburg besitzt noch den Binsensessel mit dem oben auf der Rückenlehne eingeschnitzten springenden Niedersachsenpferd, in dem er in seinem Amtszimmer mit dem Erker im Winsener Schloss residierte. W. H. Bahlburg ist am 17.2.1958 im Buchholzer Krankenhaus gestorben. Das Begräbnis soll dasgrößte in Jesteburg gewesen sein. Als der Trauerzug schon die Kirche erreicht hatte, befanden sich die letzten Trauergäste noch auf dem Bahlburgschen Hof. Schwiegertochter Margret Bahlburg schreibt: "WHB versorgte auch Axel Springer, der nach dem Krieg mit seiner Mutter in ihrem Wochenendhaus in Bendestorf lebte, mit Baumaterial und auch Lebensmitteln. Durch Axel Springer bekamen nach seinem geglückten Neuanfang viele Jesteburger Arbeit in seinem Verlagshaus." ("Der Betrieb W. H. Bahlburg", Schriften des Jesteburger Arbeitskreises für Heimatpflege, Nr. 8, S. 6, 1993). Sie ergänzte, dass Axel Springer bei Bahlburgs in der Küche am Tisch gesessen hätte. Alma Bahlburg hätte ihm ordentlich etwas zu essen gegeben. Der Sohn Wilhelm Heinrich Bahlburg, geb. 19.1.1921, hat 1958 den Betrieb übernommen. Er ist am 4.10.1981 gestorben.(3) Gustav Karl Hermann Twele war Pastor in Jesteburg vom 17.8.1930 bis 1957. Walter Friedrich Theodor Hans Meyer wurde Nachfolger von Pastor Twele und trat den Pfarrdienst in Jesteburg am26.10.1958 an. Er kam aus Mecklenburg und hatte seine erste Pfarrstelle in Neuhaus am Solling. Von 1939 bis 1945 war er Soldat und geriet in russische Gefangenschaft, die acht Jahre dauerte und ihn schwer gezeichnet hat. Pastor Ernst-Jürgen Opitz stammt aus Saalfeld/Saale in Thüringen, Pastor Dr. Ulrich Kusche aus Obernigk bei Breslau in Schlesien. (Vgl. "Jesteburg 1202 bis 2002", S. 173, 210, 231-236, 268)(4) Dr. med. Heinrich Stork aus Wittenberge hatte damals seine Praxis in der Gaststätte Wegener gegenüber Schlachter Soltau eingerichtet, danach im Haus von Harry Maack in der Lüllauer Straße, bis er in der Seevestraße gebaut hat. Dort gegenüber im Haus von Ernst-August Baden hatte der Dentist Adolf Rieken seine Praxis, bei dem Gerdi Ruse Zahnarzthelferin war und wo auch der aus Schlesien stammende Alfred Ruse gearbeitet hat, bis er sich selbständig machte. Dr. med. Traute Göppert aus Gernrode im Harz war wie Dr. Stork im Herbst 1945 nach Jesteburg gekommen und praktizierte ab Anfang 1946 in Wiedenhof im Dobbertinweg im Hause ihres Vaters, des Pastors Werner aus Hamburg.

  • Aus Mintschuna, Krs. Bender, kamen August Weichsel, geb. 7.10.1924, dessen Vater und Mutter und Schwester Clara, verh. Salewski, in Uelzen wohnt. Mintschuna liegt bei Josefsdorf, dem Geburtsort von Otto Nill. August Weichsel war Soldat in Russland und bei Kriegsende in amerikanische oder französische Kriegsgefan-genschaft geraten. Er hat auf der Jesteburger Ziegelei gearbeitet. 1950 heiratete er Anni Wiegels, geb. 31.8.1923. Sie hatten sich auf dem Sportlerball des VfL Jesteburg bei Buhr kennen gelernt. Zuerst wohnten sie bei Mörickes, Sandbarg. Am Waldrand haben sie ein Haus gebaut. Die fünf Kinder sind Rolf, geb. 1951, Heinz, Elke, Dieter und Michael. Elke heiratete den Lehrer Dirk Stoßmeister, der jahrelang die erste Fußballmannschaft des VfL erfolgreich trainiert und in die Landesliga geführt hat. August Weichsel war mit dabei, als 1986 Mitglieder des Jesteburger Arbeitskreises für Heimatpflege das Staacksche Bauernhaus in Eyendorf abgerissen haben, welches die Gemeinde Jesteburg gekauft und auf dem Niedersachsenplatz als Heimathaus wieder aufgebaut hat. Die Einweihung fand am 24.10.1987 statt. August Weichsel ist am 30.10.1996 gestorben.

    Wolhynien ist mein Heimatland,Lieb es auch immerdar;Ist es auch nicht mein Heimatland,Doch Heimat ist’s fürwahr!

    Brigitte Reschke, verh. Schulz, Roggenkamp, kam aus Wolhynien, der Bruder Reinhard Reschke, Koppelweg, aus dem Warthegau. Brigitte Reschke wurde am 22.11.1930 in Topcza, Krs. Rowno, geboren. Die Familie Reschke wurde Anfang 1940 im Zuge der "Heim-Ins-Reich-Bewegung" aus Wolhynien ausgesiedelt. Die Eltern waren als Kinder mit ihren Eltern bereits 1914 nach Sibirien deportiert worden und durften 1918 wieder auf ihren Hof in Wolhynien zurückkehren. 1940 fuhren die Mutter Emilie Reschke-Hoppe und die vier Kinder, vier Mädchen, mit dem Zug in ein Lager in Burgstedt in Sachsen. Der Vater Heinrich Reschke folgte mit dem Pferdewagen, auf dem sich Vorräte, z. B. Mehl, befanden, wenig später. Die wieder vereinigte Familie musste im Burgstedter Lager sechs Wochen bleiben, ehe sie im März 1940 mit dem Pferdewagen in den Warthegau fuhr und in Grizybow, Krs. Kutno, einen Hof zugewiesen bekam, aus dem die Polen zuvor vertrieben worden waren. Der Hof lag direkt an der Grenze zum polnischen Gebiet. Die vertriebenen Polen waren im polnischen Feuerwehrgerätehaus untergebracht. Die neunjährige Brigitte besuchte wie ihre Schwestern die polnische Schule in Grizybow, in der sie die polnische Sprache lernte. Es gab nur die Fächer Deutsch und Religion. Am 5.2.1941 wurde Reinhard dort geboren. Auch der Bruder Willi wurde hier geboren. Er starb 1950 in Wesseloh.

    Am 18.1.1945 begann die Flucht mit dem Zug vom Bahnhof Zichlin aus für Emilie Reschke und ihre Kinder. Die Tochter Edith war 1940 gestorben. Es lag viel Schnee, und es war sehr kalt. Der Vater Heinrich war 1944 eingezogen worden. Noch vor Beginn der Flucht kam die Nachricht, der Vater sei vermisst. Die Pferde hatte man zum Schanzenbau abgestellt. Reschkes wurden nach Landsberg an der Oder transportiert und kamen dort in ein Lager, in dem sie die Cousine Alice Hoppe trafen, die bei ihnen blieb. Ihr Treck war von den Russen eingeholt worden. Sie konnte flüchten. Von Landsberg aus fuhren alle mit dem Zug weiter nach Straußberg bei Berlin in der Märkischen Schweiz. Sie fuhren immer vor den Russen her. Hier mussten sie ständig einen Luftschutzkeller aufsuchen. Von Straußberg aus fuhren die sieben Personen, die Muter, drei Töchter, zwei Jungen und die Cousine Alice, mit dem Zug direkt nach Schneverdingen und kamen am 12.2.1945 in Wesseloh unter. Sie wurden auf verschiedene Höfe verteilt. Die drei Schwestern blieben zusammen. Schulunterricht gab es vom April 1945 bis zum Herbst nicht. Deshalb war die Schulzeit für Brigitte nach acht Jahren beendet. Sie arbeitete auf dem Bauernhof "Eggersmühlen", bei Bäcker Witte und im Haushalt und besuchte die Berufsschule.Reinhard besuchte ab 1947 die Schule in Wesseloh. Brigitte heiratete 1955 Dietrich Schulz, geb. 1931, der bei Ewald Hoyer in Kamerun auf dem Hof in der Landwirtschaft und als Treckerfahrer Arbeit fand. Das Ehepaar Schulz wohnte seit 1955 in dem alten Bauernhaus, das heute nicht mehr existiert. Vier Kinder wurden geboren: Elke, jetzt in Handeloh, Eberhard, jetzt in Holm-Seppensen, Edith, jetzt in Hollenstedt, Ilona, jetzt in Harburg. Eberhard arbeitet als Kassenverwalter bei der Samtgemeinde Jesteburg.Der Vater Heinrich kam 1957 aus sowjetischer Gefangenschaft. Er war 1945 in amerikanische Gefangenschaft geraten und von den Amerikanern zur Zwangsarbeit im Ural an die Sowjets überstellt worden. Er wurde 13 Jahre lang in Russland festgehalten und kam schließlich nach Jesteburg, weil seine Frau Emilie jahrelang über das Rote Kreuz nach ihm hatte suchen lassen. 1960 baute Heinrich Reschke mit dem Sohn Reinhard und Schwiegersohn Dietrich das Haus am Koppelweg, in dem alle zunächst wohnten. Familie Schulz bezog 1970 das eigene, neu erbaute Haus, Roggenkamp.

  • Reinhard besuchte bis 1955 die Schule in Wesseloh und zog als Vierzehnjähriger auch nach Jesteburg, wo er bei seiner Schwester Brigitte in Kamerun wohnte. 1956 begann er eine Maurerlehrer in dem Betrieb von W. H. Bahlburg und arbeitete später acht Jahre in der Metro in Harburg. Am 23.10.1970 heiratete er Elisabeth Bucksch, deren Eltern aus Breslau geflohen waren. Drei Kinder wurden geboren: Susanne, jetzt in Asendorf, Alexandra und Christian, beide im Elternhaus in Jesteburg. Der Vater Reinhard war bis zu seiner Pensionierung 1999 20 Jahre lang Postbeamter in Nenndorf. Die Wolhynien-Deutschen haben sich alle zwei Jahre in Uelzen getroffen. Reschkes besitzen ein Buch über das Dorf Topcza von Waldemar Giesbrecht aus Ahrensburg.Aus Bessarabien kamen auch Arnold und Hulda Quellmann mit Sohn Alfred. Sie wohnten In der Koppel.

    2 Die OstpreußenLand der dunklen Wälder und kristall’nen Seen,über weite Felder lichte Wunder geh’n.

    Gruppe Schwan: Zugführer war Willi Specka vom Gut Mühlen, unterstützt von Artur Kleber. Das Gut Mitteldorf gehörte Fräulein von AnkumAus Sorbehne und Mitteldorf, Kreis Mohrungen, Bezirk Königsberg, in Ostpreußen kam der Treck mit rund 60 Personen nach Lüllau, ohne von den Russen beschossen oder eingeholt worden zu sein. Die Menschen hatten auch genug zu essen. Sie starteten am 20.1.1945. Der Kirchort war Saalfeld, die Schule in Mitteldorf. Zum Treck gehörten aus Sorbehne die Familie Willy Schwan und aus Mitteldorf alle anderen Familien.Aus Sorbehne: Willy Schwan, geb. 9.11.1905, Ehefrau Erna, geb. 8.7.1914, geb. Guth, geh. 16.10.1936, und die Kinder Heinz, Gerda, verh. Glüsen, Hans und Horst. Aus Mitteldorf kamen die Mutter Berta Schwan, die Schwester Margarete Bargel, geb. 27.10.1909, geb. Schwan, mit Sohn Helmut, damals fünf Jahre alt. Der Mann von Margarete Bargel, Willi Bargel aus Schertingswalde, geb. 27.10.1909, war Soldat und kam nach der Gefangenschaft erst 1948 nach Lüllau. Der Vater ist während des Trecks gestorben. Der Bruder Emil war Schmied, Erna Köchin auf dem Gut Groß Kanten bei der Familie von Major Schönlein, wenige Kilometer von Mitteldorf entfernt. Ihr Vater war Schmied auf dem Rittergut Mitteldorf. Gewohnt haben sie im Haus Sorbehne, das zum Gut gehörte. Alle sind auf einem Wagen des Ritterguts Mitteldorf, das Fräulein von Ankum gehörte, gefahren. Unterwegs in Stolp in Pommern ist die Familie Willy und Erna Schwan mit den vier Kindern ausgestiegen. Sie sind mit dem Zug nach Eilenburg in Sachsen gefahren, wo die Schwester von Willy und Margarete, Ida Zeidler, wohnte. In Eilenburg wurde Willy Schwan zur Wehrmacht eingezogen. Erna blieb mit den Kindern in Sprotta. Sie wusste schon, dass ihre Schwiegermutter Berta und Schwägerin Margarete mit Sohn Helmut in Lüllau in der Schule wohnten. Zuerst sollte der Treck nicht in Lüllau bleiben, sondern weiterfahren. Aber Bürgermeister Rudolf Rademacher entschied für den Verbleib in Lüllau. So kam Erna im Januar 1946 mit den Kindern in einem Zug, der für Hamburger und Harburger Rückkehrer zusammengestellt worden war, nach Lüllau. Willy geriet in amerikanische Gefangenschaft im Lager Teplicema/Tschechei und wurde im Oktober 1945 entlassen, nachdem er vom Aufenthalt seiner Mutter und Schwester in Lüllau Kenntnis bekommen hatte. Der Treckwagen stand da in Lüllau mit seinen Sachen. Er fand Arbeit beim Schmied Wilhelm Frommann, dem Vater des Jesteburger Bürgermeisters. Heinz wohnt in Asendorf, Gerda, verh. Glüsen, in Jesteburg, Hans in Jesteburg und Horst in Asendorf. Bruder Franz Schwan, Jahrgang 1904, hat sie 1945 in Lüllau gesucht. Er kaufte 1948 ein Haus von Frau Düren, Kamerunstraße. So kamen die Schwans nach Jesteburg. 1966 baute Willy ein Haus in Jesteburg, das heute der Tochter gehört. Margarete Bargel ist am 12.8.2001 gestorben.Franz Schwan stellte in seiner Werkstatt am Sandbarg in den ersten Jahren große, hölzerne Wagenräder her. Anlässlich einer Ausstellung des Jesteburger Arbeitskreises erzählte er: "Ein Stell-macher hatte früher ein Speichenrad ohne Eisen in zwölf Stunden fertigzustellen, das war die Norm. Beim Schmied gab es in der Woche einen Tag, an dem nur Reifen aufgezogen wurden. Der Vater des jetzigen Bürgermeisters, Schmiedemeister Wilhelm Frommann sen., konnte etwas hitzig werden, wenn es nicht schnell genug ging, denn das Eisen kühlte sehr schnell ab." (Wochenblatt am 14.7.1983)Zum Treck gehörten: Treckführer war der Gutsverwalter Willi Specka. Er war alleinstehend, wohnte bei Wilhelm Cohrs in Thelstorf und hat später eine Tochter von Artur Kleber geheiratet.Artur Kleber, Frau Martha und die Kinder Bruno, Eva und Lene. Sie wohnten in Thelstorf. Artur Kleber war auf dem Gut Mitteldorf als Herrenkutscher tätig.

  • Franz Streich und Frau Pauline, Sohn Willy Streich, geb. 3.10.1928, und Onkel Borosowski. Sie wohnten erst in der Schule, später beim Bauern Maack, heute Klockmann, wo der Sohn Willy Arbeit fand. Franz und Pauline Streich haben beim Bauern Rudolf Peters gearbeitet, heute Enkel Achim Peters. Der Sohn Willy heiratete Irmgard Matthies, geb. 4.5.1928; 1953 wurde die Tochter Astrid geboren, 1967 der Sohn Karsten.Herr Gerunde, der bald starb, Frau Anne oder Erna, geb. Saretzki, in 2. Ehe verh. Schibalski, ihre Eltern Otto Saretzki und Frau, und die Kinder Willi, Heinz, Herbert und Erika. Sie wohnten bei Familie Kröger in Wiedenhof.Ida Tischke, Tochter Lisbeth und Enkel Harry Tischke. Sie wohnten in Lüllau und Wiedenhof. Harry wohnt jetzt in Jesteburg, Am Spritzenhaus.Fritz Pelz und Frau Anna, die Tochter Erna und ein 2. Kind. Sie wohnten bei Familie Kröger in Wiedenhof.Willi Böhm und Frau Ida, geb. Schwan, und die Töchter Annemarie und Elfriede. Sie wohnten bei Bauer Maack in Lüllau, heute Hermann Klockmann. Vater Böhm und Frau Böhm mit einer unverheirateten Tochter, sowie Rudolf Streich, der Bruder von Franz Streich. Sie wohnten bei Bauer Peters in Lüllau.Karl Freiberg und Frau und die Kinder Anna, Lisbeth, Hilde, Kurt, Hans und Horst. Sie wohnten bei Bauer Kröger in Thelstorf.Albert Molkau und Frau und die Tochter Erika. Sie wohnten bei Familie Kröger in Thelstorf.Rudolf Thomaschewski und Frau und eine Tochter. Sie wohnten in Lüllau.Paul Borchert und Frau Emilie und Sohn Erich und eine Tochter. Sie wohnten in Wiedenhof.Otto Reuß und Frau. Sie wohnten bei Familie Henk in Lüllau.Zum Treck gehörten auch die Besitzerin des Gutes Mitteldorf, Fräulein von Ankum und ihre Gesellschafterin Charlotte Hoch mit einem Sohn. Sie sind nicht mit nach Lüllau gefahren, sondern unterwegs ausgestiegen und nach Dänemark gereist. Sie sollen später in Espelkamp in Ostfriesland gewohnt haben. 1958 hat sie in Peine, Werderstraße 43, gewohnt. Streichs haben ein kleines schwarzes Heft mitgebracht, in dem Wachtrupps des Gutes Mitteldorf aufgeführt sind: u. a. "Sanitätstrupp Herrenhaus: v. Ankum Elisabeth Streich Pauline Böhm Emma Kleber Martha Hiller Erna – I Feuerlöschtrupp: Haus Pferdestall Speicher Geflügelstall Zuchtsauenstall Reuß Edward 4 Polen – II Kuhstall 3 Scheunen Böhm Friedrich 4 Polen – III Düngersch. Gerätesch. Gartenhaus, Jungviehst. Schweinest. Schmiede Streich Franz 4 Polen – IV Dorf 4 Insthäuser von Buchholz bis Böhm Kleber Friedrich Buchholz Pauline Reuß Wilhelmine Kleber Justina – V Wohnung von Pelz bis Borchert Molkau Albert Thomaschewski Ida Preuß Maria Paul Herta – VI Schweine Preuß Otto Praschke Gertrud 3 Polenmädchen Wanda Maria Sophie – VII Beutevieh Buchholz Richard 2 Polenmädchen – VIII Geflügel Kleber Hilda Marx Irmgard Tischke Lisbeth – IX Maschinen Borchert Paul Polanski Wlodig 2 Polen - X Vieh Pelz Fritz Gerunde Luise Tischke Ida Pelz Anna 3 Polen – XI Pferde Streich Rudolf Saretzki Otto Thomaschewski Rudolf Tischke Adolf Kleber Arthur Kleber Bruno.Kurt Rademacher aus Lüllau und Wilhelm Cohrs aus Thelstorf bestätigten am 10.2.2003 alle angeführten Namen und Unterkünfte. Sie berichteten: Alle Flüchtlinge in Lüllau erhielten ein Stück Land, auf dem sie Kartoffeln pflanzen und Korn säen konnten. Rudolf Hocke hatte oberhalb Lüllaus eine Jagdwiese von zwei Morgen zur Verfügung gestellt, welche die Flüchtlinge urbar gemacht haben. Albert Kröger stellte unten im Dorf ein Stück Land zur Verfügung. Fräulein von Ankum ließ die Pferde und Zubehör an die Lüllauer und Thelstorfer Bauern verkaufen. Wilhelm Cohrs hat selbst einige Pferde gekauft. Fräulein von Ankum hielt die Verbindung zu ihren Leuten aufrecht. Auf eine Anfrage von Franz Streich wegen einer Bescheinigung antwortete sie aus Peine auf einer Postkarte vom 10.7.1958: "Lieber Herr Streich, gern will ich Ihnen die gewünschten Bescheinigungen ausstellen, aber Sie müssen mir zuerst die betreffenden Daten angeben, da ich sie nicht im Kopfe habe u. nichts falsch machen darf, also von wann bis wann Sie in M. gearbeitet haben, d. Höhe des gezahlten Barlohns, die Sachbezüge (Das Deputat). Dann will ich es gleich fertig machen und amtlich bescheinigen lassen."

    Harry Tischke, geb. 17.9.1937 in Mitteldorf, kann sich an das Herrenhaus auf dem großen Gut erinnern, das wie ein Südstaatenhaus in USA aussah. Die Häuser für die Arbeiter, die Ställe für die Pferde und die Schuppen für die Trecker, darunter ein Lanz, waren in der Nähe in einer Reihe um das Gutshaus gruppiert. Artur Kleber hatte die Funktion eines Kalfaktors auf dem Hof, er hat auch den Treck mit geleitet. Im Winter haben die Kinder auf dem zugefrorenen Teich gespielt. Der Großvater Adolf Tischke, geb. 1878, war Gespann-führer, die Großmutter Ida, geb. Latte, geb. 1897, arbeitete in der Wäscherei. Die Großeltern hatten das Sorgerecht für Harry, weil seine Eltern sich getrennt hatten. Die Mutter Martha lebte im Harz, der Vater Paul Sonntag war Maurer und hat später in Stöckte gelebt. Seine Mutter hatte noch drei Geschwister: Erna lebt in Lüdenscheid. Sie war in einem anderen Treck gefahren. Lisbeth, verh. Weber, lebt in Buchholz. Willi ist im Krieg gefallen. Der Großvater Adolf war

  • nicht im Treck. Er war 1942/43 noch eingezogen worden, hat an der Memel bei Tilsit Panzersperren gebaut, wurde verwundet durch einen Granatsplitter im rechten Fuß, geriet in russische Gefangenschaft und wurde nach Schleswig-Holstein entlassen. Die Großmutter Ida hat ihn über das Rote Kreuz suchen lassen und gefunden. 1948 kam der Opa auch nach Lüllau. Die Großmutter fuhr im Treck mit einem Wagen. Sie hat zuerst mit ihrer Tochter Lisbeth und dem Enkel Harry bei dem Bauern August Henk gewohnt. Sie bekamen zwei Zimmer zugewiesen. Als der Großvater 1948 aus der Gefangenschaft kam, zogen sie nach Wiedenhof Nr. 3, Ecke Hasseler Weg/Seevekamp, in das alte Strohdachhaus der Familie Fomm, wo sie ungefähr 10 Jahre gewohnt haben. Lisbeth war lange Zeit Hausmädchen in der Gastwirtschaft von Alwine und Karl Schmidt in Jesteburg. Adolf Tischke ist am 14.8.1962 in Wiedenhof gestorben. Ida Tischke konnte wunderbar stricken. Harry hatte immer die schönsten Pullover in der Schule in Lüllau an. Die Oma kaufte die Wolle bei Woesthaus." Sie nannten den Laden "Waschkimo und Drogen". (1) Oma wurde krank und kam in ein Pflegeheim in Vierhöfen. Sie starb am 19.2.1966 in Vierhöfen. Das Haus gehörte dem ehemaligen Oberbürgermeister von Altona, Bernhard Schnackenburg (2), der fünf Kinder hatte. Die Tochter Charlotte, verh. Fomm, lebte in Othmarschen, erbte das Grundstück "Wiedenhof 3" und verbrachte die Ferien mit ihrer Tochter Barbara dort, welche heute in dem Haus wohnt. Hinter dem Schnackenburgschen Grundstück hat Hartmut Fischer, der Produktions- und Herstellungsleiter der Schaubude war, ein Haus in Wiedenhof gebaut, seine Frau Karin Fischer wohnt dort. Damals wurde die Schaubude noch vom Autohaus Dello in der Dammtorstraße aus gesendet. Er war ein Enkel des Oberbürgermeisters, er wurde später Ortsvereins-vorsitzender der CDU in Jesteburg. Der Sohn Helmut des Oberbürgermeisters war Musikdirektor bei Radio Bremen und kam mit den Kindern ebenfalls in den Ferien nach Wiedenhof. Er hat Harry ein Fahrrad geschenkt. Damit konnte Harry zur neuen Schule fahren, er hat auch noch die alte Schule in der Ortsmitte bis Mai 1951 besucht. Lehrer Walter Kähler hat mit seinen Schülern viel Theater gespielt und auf der Bühne im Gasthaus bei Rudi Henk in Schierhorn Theaterstücke aufgeführt. Harry hat immer die Hauptrollen gespielt. Harry wurde am 31.3.1953 von Lehrer Walter Kähler aus der Lüllauer Schule entlassen. Nach der Pensionierung des Lehrers Hermann Kleimeyer wurde die Schule geschlossen. Die Schule wurde zu Wohnungen umgebaut. Rudi Henk war früher Schiffskoch und hat das Gasthaus in Schierhorn gekauft. Harry Tischke hat dann bei Wagners, Harburger Straße 12, und bei Hofers, Lüllauer Straße 2, gewohnt. Vom 1.4.1953 bis 1955 besuchte er die Handelsschule Weber in Harburg und erwarb die Mittlere Reife. Im ersten Jahr erhielt er vom Staat eine Beihilfe in Höhe von 90 DM, im zweiten von 120 DM. Vom 1.4.1955 bis 1958 erhielt er eine Ausbildung zum Speditionskaufmann beim Schifffahrts- und Speditionskontor Elbe in Hamburg, ABC-Straße 36, am Gänsemarkt. Das war eine Tochtergesellschaft von Unilever-Hamburg. Mit Karl-Hermann Meyer, Vorsitzender des Jesteburger Arbeitskreises für Heimatpflege e. V., und Heinrich ("Jimmy") Brockmann legte er am 31.3.1958 die Abschlussprüfung vor der Handels-kammer Hamburg ab. Sie waren die ersten drei Lehrlinge bei "Elbe" aus Jesteburg. Chef der "Elbe" war Rolf Horndahl, der in Wiedenhof gewohnt hat und der große Förderer des Jesteburger Jugendfußballs im VfL Jesteburg wurde (vgl. "Jesteburg 1202-2002", S. 194). Dazu gehörte auch Paul Neumann, dessen Speditionsfirma jahrelang für "Elbe" gefahren ist. 20 Jahre hat Harry bei der "Elbe" gearbeitet, zeitweise in der Firma im Reisebüro als Buchhaltungsleiter, danach 10 Jahre als kaufmännischer Leiter bei der Firma Opel-Maack in Harmstorf. Jetzt lebt er in der Wohnung Zum Spritzenhaus, die er vollständig ausgebaut hat, zusammen mit dem Burma-Kater Felix, der Hausherr ist.(1) Waschmittel, Kittel, Moden, Drogerieartikel.(2) Bernhard Schnackenburg: geb. 5.7.1867, Stadtrat in Halle, 9.2.1903 Gemeindevorsteher und 1905-1909 Bürgermeister in Berlin-Friedenau, dort seit 1931 die "Schnackenburgstraße", 1909-1924 Oberbürgermeister von Altona, "Schnackenburg Allee" in Bahrenfeld, gestorben 27.1.1924, begraben auf dem Hauptfriedhof Altona, Nachfolger Max Brauer. Er kannte die Heide als Jäger. Bei Hamburger Senatoren war es üblich, ein Haus in der Heide zu besitzen, hauptsächlich für die Sommerzeit. Er erwarb 1911 das Grundstück "Wiedenhof 3", ehemals Behrs Hof (vgl. "Jesteburg 1202-2002", S. 386-387). In diesen Jahren siedelten sich auch z. B. Bossard, Hülse, Ramke und Wiesner in Wiedenhof an.

    Gisela Helwich, geb. 9.9.1936, verh. mit Werner Köhler aus Jesteburg, aus Gumbinnen in Ostpreußen, hat als Kind die Besetzung Ostpreußens miterlebt. Sie hat selbst einen Berichtgeschrieben, der an einigen Stellen ergänzt wurde: "Versuchte Flucht aus Ostpreußen im Januar 1945: Als der Kanonendonner im Laufe des 21. Januar 1945 immer stärker wurde, beschloß mein Großvater Major Hans Schönlein, geb. 27.2.1867, der Besitzer des Gutes Groß Kanten, noch am selben Tag auf den Treck zu gehen. Am Abend, man sah die beiden Städte Mohrungen und Osterode, ca. 15, bzw., 20 km Luftlinie im Osten und Süden entfernt, schon brennen, fuhren wir los. Der Treck bestand aus ca. 40 Personen mit 10 Wagen und Schlitten. Es waren meine Großeltern Hans und Elisabeth Schönlein, ihre Tochter, eine Schwester meiner 1941 verstorbenen Mutter Ruth,

  • mit ihren beiden Söhnen, unsere Hausdame mit uns drei Kindern aus Gumbinnen sowie die Instleute mit ihren Familien. Mitgenommen werden durfte nur das Wertvollste. Es herrschte sehr strenger Winter. Es lag hoher Schnee, und es gab starken Frost. Wir fuhren mit Pferdewagen. Weil die Wagen nicht ausreichten, wurden noch ein oder zwei Schlitten hinzugenommen. Die Fahrt ging in Richtung Westen. Um ca. 23 Uhr kamen wir nach Vorwerk, ca. 20 km von Groß Kanten entfernt. Hier machten wir in einem Gasthof Rast, weil die Pferde ausruhen sollten. Wir trafen einen Treck von einem Nachbargut. Herr Rodde, der Gutsbesitzer, unterhielt sich mit meinem Großvater und sagte, dass sie durchfahren wollten; allerdings waren sie z.T. mit Treckern unterwegs. Sie sind also durchgefahren und auch durchgekommen, wie wir später gehört haben. Wir haben also in Vorwerk übernachtet. Um etwa 5 Uhr am Morgen des 22. Januar 1945 weckten uns die Rufe: "Die Russen sind da!" Damit war nun unsere Flucht beendet....Wir sind wieder auf das Gut zurückgefahren und waren noch bis zum 11.November 1945 unter den Russen in Ostpreußen und wurden dann von den Polen, die das Gebiet übernahmen, ausgewiesen. Wie ahnungslos die Menschen damals waren, zeigt vielleicht ein Brief meiner Großmutter an eine Verwandte, den sie am 19. Januar schrieb. In ihm war wohl von Ungewissheit die Rede, aber davon, dass die Flucht schon zwei Tage später beginnen sollte, hatte sie keine Ahnung, geschweige denn von ihrem Tode am 22.Januar 1945."Die Großeltern, die Tante und ihre beiden Söhne haben den 22.1.1945 nicht überlebt. Die Gesellschafterin hat die drei Kinder des Amtsgerichtsrates aus Gumbinnen, Gisela, Ute und Peter-Jürgen, in der schweren Zeit betreut. Sie sind nach der Ausweisung durch die Polen vom Bahnhof Großlandswalde aus nach Rostock und Neustadt am Rübenberge gefahren, wohin es den Vater verschlagen hatte.Der Vater wurde nach dem Kriege Leiter des Flüchtlings-Aufnahmelagers in Uelzen. Gisela und Ute haben nach Jesteburg geheiratet. Auf der Hochzeit der Schwester mit Werner Röhrs, der bei der Bundeswehr in Hamburg war, lernte Gisela Werner Köhler aus Jesteburg kennen. Sie haben zwei Söhne: Matthias (36) ist als Volkswirt in Berlin tätig, Thomas (35) als Richter in Dresden. Gisela Köhler ist heute Schriftführerin im Jesteburger Arbeitskreis für Heimatpflege e.V.

    Richard und Emil Schwan haben nacheinander als Schmied, Willi Schwan hat als Maschinenschlosser auf dem Gut Groß Kanten gearbeitet, Erna Schwan, geb. Guth, als Köchin bei der Großmutter von Gisela Köhler. Es gibt ein Zeugnis von 1932.

    Aus Nogathau, Krs. Elbing, kam Hermann Klingenberg mit seiner Familie und den Familien der Arbeiter des Gutes in einem Treck im März 1945 nach Wesel. Der Enkel Reinhard Klingenberg berichtete: "Mein Großvater Hermann Klingenberg und meine Großmutter besaßen einen Erbhof mit 231 Hektar in Nogathau. Mein Vater Erich Klingenberg wurde am 22.7.1904 geboren, meine Mutter Erika, geb. Strich, am 15.2.1912 in Baumgarth, Krs. Stuhm. Dort hatte ihre Familie ebenfalls ein Gut. Meine Eltern lebten auf dem Gut in Nogathau, mein Vater beaufsichtigte die Ländereien. Er war Mitglied in einem Reitverein und nahm an Turnieren teil. Meinen Freunden in Jesteburg hat er erzählt, er sei mit seinem 2,4 Liter Opel gern in den bekannten Kurort Zoppot gefahren. Meine Mutter erzählte mir, daß mein Großvater das Gut nicht verlassen wollte, als sich die russischen Truppen näherten. Er sagte, er wäre schon so alt, daß ihm die Russen wohl nichts antun würden. Erst als der Kampflärm unerträglich laut wurde, entschloß sich mein Großvater im letzten Augenblick zur Flucht. Teilweise waren die russischen Panzer schon in Sichtweite. Über den Fluchtweg ist mir nichts weiter bekannt. Fünf bis sechs Familien des Hofes sind in Wesel geblieben. Der Verlust des Besitzes ist meinen Großeltern schwer gefallen. Meine Großmutter ist 1950 in Wesel gestorben, mein Großvater Mitte der 60er Jahre im Alter von über 90 Jahren bei seiner Tochter in Kiel. Meine Eltern haben in Jesteburg In der Koppel ein Haus gebaut. Ich wurde am 14.7.1947 in Jesteburg geboren, habe nach der Grundschule ein Gymnasium in Harburg besucht, eine Banklehre absolviert, Betriebswirtschaft in Hamburg studiert und bin als Dipl.-Kaufmann bei einer Hamburger Bank tätig. Meine Frau Marietta ist in Jesteburg für DIE GRÜNEN seit vielen Jahren im Gemeinderat und Samtgemeinderat tätig, spielt Tischtennis im VfL Jesteburg und leitet die Kleiderkammer mit, die 2003 ihr zehnjähriges Jubiläum begeht. Ich spiele im VfL Jesteburg Schach und Tischtennis. Unsere Töchter sind Andrea (37), Enkelin Johanna ist vier Jahre alt, Tina (32) und die Zwillinge Ilka und Uta (23), die Betriebswirtschaft studieren. Meine Großmutter Anna (mütterlicherseits) ist 1961, mein Vater Erich 1971, meine Mutter Erika 1976 gestorben.. Sie sind alle auf dem Jesteburger Friedhof beerdigt."

    Aus Königsberg in Ostpreußen kam Ludwig Peter, geb. 25.1.1906, mit Ehefrau Elfriede, geb. 7.2.1909, und sieben Kindern: den drei Mädchen Anne, geb. 17.6.1929, Waltraud und Ulla, und den vier Jungen Heinz, geb. 28.2.1935, Horst, Klaus und Jörg nach Jesteburg. Das achte Kind, Lutz, wurde kurz nach der Übersiedlung nach Jesteburg am 15.4.1945 geboren. Lutz ist damit das erste

  • Flüchtlingskind, das in Jesteburg geboren wurde, vier Tage vor dem Einmarsch der Engländer. Lutz Peter berichtete: "Die Familie Peter lebte bis zum Kriegsbeginn in Hamburg in wohlhabenden Verhältnissen. Ludwig Peter, geb. in Hamburg, und seine Frau Elfriede, geb. Krzyzanowski, geb. in Bergedorf-Lohbrügge, arbeiteten beide im großväterlichen Betrieb in Hamburg. Der Großvater Ludwig Peter besaß in Hamburg und Stuttgart jeweils eine große gut gehende Druckerei mit Zeitungsverlag. Als der 2. Weltkrieg begann, wurde der Vater Ludwig Peter eingezogen und kam nach Königsberg/Neumark. Bei den Kriegswirren bekam meine Mutter in Hamburg Angst, so ganz allein mit ihren Kindern zu sein, und sie folgte mit den Kindern meinem Vater nach Königsberg, wo sie in einemalten Herrensitz Unterkunft fanden. Die Eltern waren mit dem Königsberger Bürgermeister bekannt. Beim Herannahen der Front ist dessen Ehefrau mit ihrer Tochter durch diese Bekanntschaft mit meiner Mutter auch nach Jesteburg geflohen. Der Bürgermeister wurde nach dem Krieg in Königsberg zum Tode verurteilt und hingerichtet. In Königsberg herrschten im Januar 1945 zunehmend schwierige Zustände. Da kinderreiche Familien eher flüchten durften, wurde meine Mutter mit den sieben Kindern per Militärlastwagen nach Berlin und dann mit der Eisenbahn bis Hamburg transportiert, wo sie einige Wochen bei den Eltern der Mutter unterkamen. Mein Großvater väterlicherseits besaß in Jesteburg In der Koppel/Ecke Sandbarg ein Haus, und als er erfuhr, daß meine Mutter mit ihren Kindern in Hamburg war, holte er sie nach Jesteburg. Meine Mutter war hochschwanger mit mir, und ich kam dann wenige Tage später, am 15. April 1945, als waschechter Jesteburger im Keller zur Welt. Mein Vater war bis 1947 in Gefangenschaft, und meine Mutter mußte bis dahin mit ihren Kindern und all’ den Alltagssorgen alleine zurechtkommen. Es herrschte natürlich bei uns große Not, denn man hatte ja nichts mitnehmen können. Wie meine Mutter es in dieser Zeit geschafft hat, acht Kinder zu ernähren, ist mir heute noch ein Rätsel, denn von meinem Opa kam sehr wenig Hilfe. Er hatte seine Druckereien in Stuttgart und Hamburg durch den Krieg verloren, und ihm selber war auch nicht viel geblieben. Als mein Vater dann 1947 aus der Gefangenschaft kam, wohnten wir schon in der Itzenbütteler Straße in einem Behelfsheim mit drei Räumen. Wir Kinder schliefen alle in einem Raum mit vier Etagenbetten, d. h. in jedem Bett schliefen zwei, ein Kind am Kopf- und ein Kind am Fußende. 1951 kam dann unser Bruder Thomas noch zur Welt. Wir liebten unsere Mutter alle sehr, denn sie hatte für jeden von uns immer Zeit, und wenn man irgendwas brauchte, so versuchte sie alles, um unsere Wünsche zu erfüllen. Ab 1949 wohnte unser Opa Paul Krzyzanowski, geb. 1877, aus Bergedorf auch noch bei uns. Unsere Oma Anna, geb. Schöning, geb. 1874, und er hatten in Hamburg-Bergedorf in ärmlichen Verhältnissen gewohnt. Um zu überleben, mußten sie sich trennen. Oma blieb bei einer Schwester meiner Mutter, und Opa kam zu uns. So waren damals die Verhältnisse. Einmal im Monat, wenn unser Opa Paul seine Rente bekam, fuhr er zu seiner Frau und brachte ihr etwas Geld, damit auch sie zurechtkam. Er kümmerte sich um unseren Garten. Wir hatten darin fast alles, was man zum Leben brauchte. Morgens fürs Frühstück und die Schule und abends mußte er immer 1-2 Brote in Scheiben schneiden, worin er eine unheimliche Übung hatte, denn eine Scheibe sah wie die andere aus, als hätte er sie mit einer Brotmaschine geschnitten. Er war auch immer unser Spielkamerad, wie z. B. beim Kartenspielen oder auch, wenn er Spielzeug selber herstellte. Er konnte uns auch viele Geschichten aus seinem sehr bewegten Leben erzählen, war er doch sogar noch Leibeigener auf einem großen Gut in Polen gewesen.Unsere Mutter Elfriede mußte fast jeden Tag für ca. 14 Personen Essen kochen, denn es gab noch Bedürftige, wie z. B. Opa Link oder den Herrn Mascheck, die fast jeden Tag zu uns zum Mittagessen kamen. Wir kriegten dann etwas weniger, oder die Suppe wurde mit Mehlklößen und Wasser verlängert, damit alle satt wurden. Damit dieses einigermaßen möglich war, mußten wir Kinder einkaufen und bei Stöver, Gebauer, Cornehls, Froede und Schlachter Maack anschreiben lassen. Wenn mein Vater Rechnungen kassierte, hat er dann in diesen Geschäften bezahlt. Es gab in Jesteburg aber auch viele hilfsbereite Menschen, wie z. B. Herrn Hans Rabeler, der meiner Mutter in der größten Not half, oder Frau Koch-Pommerenke, die bei Baumwoll-Schmidt Hausdame war und oftmals Speisenreste oder gebrauchtes Zeug mitbrachte. Dafür haben wir für sie von Ross-Meyer Lehm für ihren alten Bullerofen geholt. Unser Opa Paul hat dann die Schamottsteine wieder mit Lehm verschmiert. Ohne die Hilfe von anderen hätten wir kaum überleben können. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, daß wir bis zum Bau des Schulungsheims Deutscher Ring 1969-1971 kein fließendes Wasser hatten und unser Trinkwasser von den Nachbarn Koalick und Kassun in Eimern und später in Kanistern holen mußten. Auch die Toilette war bis zu diesem Zeitpunkt draußen, denn man konnte sich eine Brunnenbohrung, die ca. 60 Meter tief sein mußte, nicht leisten.Mein Vater war Druckermeister, und so sah er sich um, ob es eine Möglichkeit gab, sich wieder selbständig zu machen. Er hörte von einem Herrn Dorn, der in Winsen wohnte und alte Druckmaschinen und Zubehör verkaufte. Er fuhr nach Winsen und einigte sich mit Herrn Dorn. Dieser muß ein guter Mensch gewesen sein, denn er überließ ihm einige Maschinen und Schriften, wofür sich mein Vater verpflichtete, für ihn zu drucken und 20 Jahre lang jedes Jahr im Januar eine gewisse Summe in bar zu ihm zu bringen, was meinem Vater sicherlich immer sehr schwer gefallen ist. Er mietete sich bei der Molkerei Froede im Nebenhaus einen Raum, und so fing er wieder an zu arbeiten.

  • Meine Geschwister und ich mußten ihm viel helfen. Er arbeitete jahrelang Tag und Nacht, um uns einigermaßen über die Runden zu bringen. Später zog er mit der Druckerei zu Harry Maack, der im vorderen Haus die Vereins- und Westbank führte. Nach einigen Umbauten hatte er sehr viel mehr Platz. Mit Hilfe meiner Brüder Heinz und Klaus konnte er die Firma stetig vergrößern. Nachdem mein Bruder Heinz einen anderen Berufsweg wählte, fing mein Bruder Horst in der Firma mit an. Es wurden größere Druckmaschinen angeschafft, auch eine Setzmaschine wurde gekauft. Kunden wie Margarine-Bölck, Kaffee-Hannes, Bier-Maack, Otto Behr (Papier), Omnibus-Maack, Elektro-Stoschus, Baden&Meyer, Hotel Niedersachsen, Schönheitsfarm Cornelia und viele andere örtliche Gewerbetreibende sowie Ewald Mielke mit einer Wochenzeitschrift wurden gewonnen. So fing der Aufschwung richtig an.Gleichzeitig hat er die Not in Jesteburg gesehen und den Reichsbund der Kriegs- und Zivilbeschädigten und Hinterbliebenen gegründet. (1) Er hat dafür gesorgt, daß die Aussiedler und Vertriebenen in Jesteburg die ihnen zustehenden Entschädigungen wie Witwen- und Waisenrenten, Lastenausgleich usw. bekamen. Neben seiner Arbeit in der Druckerei hat er täglich viele Menschen betreut. Ich weiß gar nicht, wie er das alles schaffen konnte, denn die Arbeit beim Reichsbund war ja ehrenamtlich. Er war auch während seiner Zeit in Jesteburg im Schulelternrat und im Gemeinderat Mitglied und gewählter Vertreter für die Sozialdemokraten. (2) In dieser Zeit wurden für unser schönes Jesteburg die Weichen gestellt mit dem Schulneubau und der Turnhalle am Sandbarg, dem Kindergarten am Seeveufer (3) und anderen Projekten. Das Amtsgericht Tostedt hat ihn für viele Kinder und alte Leute zum Vormund bestellt. Einige Namen sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Später haben wir in der Familie manchmal gedacht, wenn unser Vater sich nur auf seine Arbeit konzentriert hätte, dann wäre er wohl auch zum Wohlstand gekommen wie viele in Jesteburg, die sich nur um sich selbst gekümmert haben. Aber unsere Mutter war immer sehr stolz auf ihn, wenn er wieder jemandem zu seinem Recht verholfen hatte. Durch seine große Hilfsbereitschaft hat er sicherlich bei diesen Menschen einen festen Platz in ihrem Herzen gefunden." Das gab Ludwig Peter Ansehen in der Gesellschaft, ihm persönlich Zufriedenheit und seinen zahlreichen Kindern Mut, ihr Leben zu gestalten und selbständig zu werden. Drei Söhne haben den Beruf des Vaters ergriffen. Den väterlichen Betrieb an der Itzenbütteler Straße 30 führt der Sohn Klaus weiter, Inhaberin ist die Enkelin Andrea Slabon; der Sohn Heinz führte in Hamburg eine Druckerei, und der Sohn Lutz ist Inhaber der Druckerei Ahlborn in Buchholz. Die Söhne Klaus und Lutz sind Schützenkönige im Jesteburger Schützenverein von 1864 geworden. Lutz Peter war viele Jahre Vorsitzender des Festausschusses im VfL Jesteburg, 12 Jahre 2. Vorsitzender, insgesamt über 25 Jahre im VfL-Vorstand. Ludwig Peter starb viel zu früh am 25.11.1969 mit 63 Jahren während eines Lokal-termins wegen des Erbpachtvertrages auf seinem Grundstück. "Die Mutter Elfriede kaufte nach dem Tode unseres Vaters das Grundstück, so daß sie in ihrem Haus wohnen bleiben konnte. Sie hat meinen Vater so sehr geliebt, daß sie bis zu ihrem Tod am 1.5.2002 nur an ihn dachte und sich ein Wiedersehen mit ihm im Himmel gewünscht hat. Daran hat sie immer fest geglaubt."(1) Der Reichsbund der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinter-bliebenen wurde, wie der Konrektor Otto Steudle am 2.1.1991 in einem Gespräch mit Bruno Nitsche und Hans-Heinrich Wolfes erzählt hat, im Mai 1947 im alten Küster- und Schulhaus von etwa 20 Personen gegründet, darunter Otto Steudle, Wilhelm Heidrich und Carl-Otto Jankowski, der auch 1. Vorsitzender wurde. Sie schrieben die Namen der verstorbenen Kriegerwitwen und ihrer Männer auf, halfen bei Behördengängen, sammelten Fotos und andere Daten und bereiteten die Ehrentafel der Gefallenen und Vermissten des 2. Weltkrieges im Heimathaus und in der Kirche vor. Auch Wanda Ladzik gab die Informationen über ihren Mann Hermann und ihre Schwester Berta Freier. Der Reichsbund unternahm 1960 eine große Fahrt nach Koblenz, dann nach Berlin und Amsterdam und auch Theaterfahrten nach Hamburg. Die weiteren Vorsitzenden waren 1949 Ludwig Peter, 1970 Rudolf Reimann, 1972 Hermann Hoppe, 1975 zeitweilig Rudolf Böhring, 1975 Otto Steudle, 1983 Erich Scharnowski, 1988 Ingrid Schober und seit 2000 Irmgard Becker. Im neuen Jesteburg-Buch steht noch der Name der Vorgängerin. Der heutige Name ist "Sozialverband Deutschland, ehem. Reichsbund".(2) Schon Mitte November 1945 wurde in Jesteburg ein Ortsverein der SPD mit dem Werkmeister Walter Kielbasiewicz als Vorsitzenden gegründet. Im Januar 1947 hatte der Ortsverein bereits 90 Mitglieder. Otto Dreher und Helma Steffen gehörten zur Führungsspitze. Als Ludwig Peter 1947 aus der Kriegsgefangenschaft kam, wurde er für die SPD aktiv. Nach dem Wegzug Helma Steffens 1952 nach Hamburg waren, wie Prof. Stegmann schreibt, "dann Kielbasiewicz und Peter die unbestrittenen lokalen Führer der Partei bis zu deren Ausscheiden aus der aktiven Politik. 1968 kandidierten beide zuletzt erfolgreich für den Gemeinderat". Die anderen politischen Gruppen organisierten sich in Wählergemeinschaften. Ein Ortsverband Jesteburg der CDU wurde erst am 16.12.1971 gegründet. (Vgl. "Jesteburg 1202-2002", S. 177-178)(3) Am 22.2.1966 wurde die Interessen-gemeinschaft Kindergarten Jesteburg e.V. gegründet. Vorsitzender war der Lehrer Gerhard Klaue, stellvertretender Vorsitzender Ludwig Peter. Die Idee zur Gründung eines Kindergartens in Jesteburg hatten Klaues und Wenskis. Am 1.9.1969 fand die

  • Eröffnung des Kindergartens im Gemeindehaus der Ev.-luth. Kirchengemeinde Jesteburg mit 25 Kindern statt. Die Leiterin war Gisela Otte. Am 15.11.1971 wurde der neue Kindergarten am Seeveufer eröffnet. Die Leiterin war Charlotte Gutjahr, die Stellvertreterin Ulrike Wolfes. Am 1.8.1995 fand die Eröffnung des neugebauten Kindergartens am Moorweg mit der Leiterin Heidi Meyer und der Stellvertreterin Christina Schultz statt. Die ev.-luth. Kirchen-gemeinde Jesteburg unterhält an Dienstag Vormittag einen Kindertreff ab drei Jahren und an anderen Tagen vormittags und nachmittags Mutter-Kind-Gruppen. Der Initiator eines Kindergartens und einer Volkshochschule in Jesteburg, Gerhard Klaue, ist am 2.2.2003 in Breitenfelde gestorben. Schon vom 1.4.1942 bis 31.10.1942 hatte es in Jesteburg im Jugendheim der Hitlerjugend (heute Altes Rathaus) einen Erntekindergarten mit 15 Kindern gegeben. Die Leiterinnen waren Grete Vollmer und Gertrud Preßlinger. Vom Sommer 1945 bis Herbst 1948 gab es den Nachkriegskindergarten, den Else Storch und Elisabeth Krumbhaar geleitet haben. Auch viele Flüchtlingskinder wurden betreut. Die Unterkunft wechselte sehr: Gasthaus Möricke, Konfirmandensaal im Pfarrhaus, Gasthaus Niedersachsen, Gasthaus Buhr, ehemaliges Jugendheim, eine kleine Baracke bei Sinnen. (Vgl. Irmgard Bonness und Hans-Heinrich Wolfes: "Kriegskindergarten und Nachkriegskindergarten in Jesteburg", Schriften des Jesteburger Arbeitskreises für Heimatpflege, Heft 13, 62 Seiten, 1996).

    Aus Erlental, früher Olschöwen, Kreis Treuburg, Bez. Gumbinnen, in Ostpreußen kam Erich Scharnowski, geb. 8.4.1927. Der Kreis Treuburg war ein Grenzkreis. Erich Scharnowski musste am 8.8.1944 zum Arbeitsdienst und wurde am 2.1.1945 mit 17 Jahren Soldat in Allenstein, Kreis Insterburg. Nach 20 Tagen im Einsatz kamen die Russen am Sonntag, 21.1.1945. Die Flucht führte nach einer Verwundung über Königsberg, Pillau mit dem Schiff "Monte Rosa" nach Swinemünde, Tangermünde nach Stendal, von wo aus ihn die Amerikaner nach Rheinberg bei Wesel brachten. Er änderte im Soldbuch das Geburtsdatum auf den 8. September und wurde als Jugendlicher eher entlassen. Weil schon seine Geschwister da waren, kam er nach York, Kreis Stade. Der Vater Otto Scharnowski, geb. 1896, war beim Volkssturm und geriet in Pommern in Gefangenschaft. Er kam 1946 nach York. Die Mutter Marie, geb. 1898, war im September 1944 in Angerburg in Ostpreußen gestorben. Die vier Geschwister Edith, geb. 1923, Otto, geb. 1928, Reinhold, geb. 1931, und Irmgard, geb. 1935, waren zusammen am 20.1.1945 von Sensburg aus mit dem eigenen Wagen und einem Pferd über das Eis bei Heiligenbeil auf die Nehrung geflohen. In Pommern war das Pferd am Ende. Sie verkauften Pferd und Wagen und sind wohlbehalten nach York gelangt, weil dort Verwandte wohnten. Allerdings haben sie unterwegs im Treck den 13-jährigen Reinhold verloren. Dieser kam jedoch früher als die anderen in York an. In York lernte Erich Scharnowski auf einem Frühlingsball des Reichsbundes 1951 die aus Bessarabien gekommene Elsa Müller kennen. Sie wohnte mit ihren Eltern Johannes Müller, geb. 22.7.1900, und der Mutter Marie, geb. 3.10.1908, in Oberndorf im Land Hadeln. Ihre Eltern kauften 1950/51 ein Grundstück in Jesteburg, Sandbarg 23, worauf alle 1953 nach Jesteburg übersiedelten. Erich Scharnowski baute 1958 ein eigenes Haus. Er war Maurer und ging für die SPD in die Politik. Von 1968 bis 1980 war er im Gemeinderat, von 1980 bis 1981 für Ingomar Hauchler im Samtgemeinderat. Er hat nach eigener Aussage entscheidend dazu beigetragen, dass Jesteburg bei der Gebietsreform 1972 nicht Buchholz zugeschlagen wurde, sondern eine eigene Samtgemeinde wurde.

    Margarete Flade, geb. 27.3.1935, verh. Ziegert, kam aus Silberbach, Kreis Mohrungen. Ihr Vater, Landwirt Emil Flade, geb. 30.4.1901, war 1941 zur Wehrmacht eingezogen worden und geriet in französische Gefangenschaft. Margarete floh am 21.1.1945 aus Silberbach mit Ihrer Mutter Emma, geb. 1906, ihrem jüngeren Bruder Rudi, geb. 17.10.1941, und den Großeltern August Flade, geb. 1875, und Mathilde, geb. 1875, und den beiden Fremdarbeitern, einem Franzosen und einem Litauer, mit vier Wagen und acht Pferden. Sie kamen nur 20 km weit bis Schmauch, wo sie Unterkunft fanden. Am nächsten Morgen hatten die Russen sie eingeholt. Sie mussten zurück nach Silberbach und fanden den Hof noch unbesetzt vor. Der Franzose hatte sich abgesetzt. Ende Januar 1945 kamen dann die Russen, töteten alle Tiere und misshandelten die Bewohner. Die Mutter Emma wurde verschleppt und ist mit einem Viehtransport nach Sibirien gebracht worden, wo sie bald gestorben sein soll. Inzwischen hatten die Polen die Verwaltung übernommen und verfügten nach acht Monaten die Aussiedlung der Deutschen.

    Mit dem letzten Transport, der 14 Tage dauerte und auf dem sich alle selbst versorgen mussten, kam Margarete mit ihrem Bruder Rudi und den Großeltern von Mohrungen oder Liebstadt aus über Frankfurt/Oder, wo ihr Großvater beim Wasserholen verloren ging, Jüterbog, nach Luckenwalde in ein Krankenhaus. In Luckenwalde starb die Großmutter Mathilde und wurde in einem Massengrab beigesetzt. Im Zug befand sich die Großmutter mütterlicherseits, welche sich ein halbes Jahr um die

  • Kinder kümmerte, bis diese durch die Schwester Charlotte ihrer Mutter in Freiburg an der Unstrut in Sachsen eine Pflege-stelle bis 1947 fanden. Ihr Vater Emil Flade, geb. 30.4.1901, war 1941 Soldat geworden und in französische Gefangenschaft geraten. Er wurde 1947 nach Asendorf entlassen, wohin seine Schwester Anna Robitzki nach ihrer Flucht am 21.1.1945 über das Haff unversehrt gekommen war. Emil Flade holte im Sommer 1947 seine Kinder Margarete und Rudi nach Asendorf. Sie wohnten bei der Tante. Der Vater arbeitete bei dem Bauern Maack. Er heiratete in zweiter Ehe Charlotte Behr und kaufte 1953 am Schierhorner Weg in Jesteburg ein Haus. Margarete lernte 1957 in Hanstedt im Dorfkrug beim Tanz in den 1. Mai Siegfried Ziegert kennen. 1975 besuchten sie zusammen mit Familie Schwan ihre Heimat in Ostpreußen. Familie Ziegert nimmt in der Politik Jesteburgs eine führende Rolle ein. Siegfried Ziegert hatte schon in den 70er Jahren den SPD-Ortsvereinsvorsitz inne und von 1991 bis heute. Margarete Ziegert bekleidete von 1991 bis 2001 das Amt der Stellv. Samtgemeinde-Bürgermeisterin, ist SPD-Fraktionsvorsitzende im Samtgemeinderat und leitet die Kleiderkammer mit. Sohn Mark (42) hat an der TU Berlin Informatik studiert und arbeitet in Berlin. Tochter Cornelia ist ebenfalls Mitglied im Samtgemeinderat. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und ist als selbständige Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin Partner in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

  • Aus Karpen, Krs. Johannisburg, in Ostpreußen kam Paul Gustav Brosda im November 1949 nach Jesteburg, nachdem er in englischer Gefangenschaft gewesen war und drei Jahre in Undeloh gearbeitet hatte. Seine Adoptivtochter Heidi Kubica berichtete: "Er wurde am 28.6.1916 in Karpen als 7. Kind des Huf- und Wagenschmieds Wilhelm Brosda, geb. 24.10.1868 in Willamoven, gest. 1948 inAllenstein, und seiner Ehefrau Auguste, geb. 24.12.1869, geb. Roch, gest. 1940, geboren. Seine Eltern besaßen einen Bauernhof. Nach dem Besuch der Volksschule ging er als Arbeiter zur Reichsbahn, da es für das jüngste Kind auf dem elterlichen Hof keine Verdienstmöglichkeit gab. Vom Frühjahr 1934 an gehörte er zu den Ortelsburger Jägern bei der Reichswehr und wurde bei Kriegsbeginn gleich eingezogen. Am Ende des Krieges befand er sich wegen verschiedener Verwundungen im Lazarett von Hedwigenkoog bei Büsum. Von dort wurde er im September 1945 in ein Gefangenencamp bei Brüssel gebracht, wo er bis zu seiner Entlassung im Mai 1946 blieb. Auf Anordnung und unter Aufsicht der britischen Besatzungsmacht teilte man ihn dem NorddeutschenHolzkontor mit Sitz in Lüneburg zu und verpflichtete ihn zu einem Arbeitseinsatz in der Nebenstelle in Undeloh, bis im Mai 1949 der Holzeinschlag beendet war. In Undeloh lernte er Gerda Sydow, geb. 9.5.1918, aus Jesteburg kennen. Sie hatte eine Undeloher Bauerntochter zur Freundin und hielt sich öfter in Undeloh auf. 1948 verlobten sich Gerda Sydow und Paul Brosda. Als der Arbeitseinsatz in Undeloh beendet war, fand er im November 1949 Arbeit bei der Firma Martin Koch in Jesteburg, zunächst als Tankwart, dann auch als Fahrer und später als Verkaufsfahrer. Hier blieb er, bis er in Rente ging. 1951 heiratete er Gerda Sydow und adoptierte später deren Tochter Heidi. Die Mutter Clara Sydow war Schneiderin und wohnte in der Lindenstraße 13a." Dort führte Käte Stöckmann in der Folgezeit lange ein Papierwarengeschäft, bis die Post die Räume übernahm. Gerda Brosda erzählte dem Verfasser am 8.7.1989, die englischen Soldaten wären nach dem Einmarsch am 19. April 1945 vollkommen neu eingekleidet worden. Sie ließen sich bei ihrer Mutter den Revers ihrer neuen Uniformen, der aus Baumwolle angefertigt war, ändern und durch reinen Wollstoff ersetzen. Mit diesen verbesserten Uniformen wollten sie in Hamburg einmarschieren. Die Enkelin Heidi Kubica berichtete weiter: "1954 begann Gerda Brosda eine Ausbildung an der Reformhausfachschule in Bad Homburg und eröffnete 1956 zunächst noch in der Lindenstraße ein eigenes Reformhaus. 1958 bezog Paul Brosda mit seiner Familie sein neues Haus in der Seevestraße, und sie eröffneten dort das Reformhaus Brosda neu. Es bestand bis Ende 2000." Im Juni 1974 besuchten Paul und Gerda Brosda den Geburtsort Karpen. Das Elternhaus stand aber nicht mehr. Alle Häuser des früheren Dorfes waren in andere polnische Gebiete abtransportiert worden.Heidi Brosda heiratete 1968 Uwe Kubica, einen der größten Leichtathleten Jesteburgs, des Landkreises Harburg und darüber hinaus, vornehmlich im Langstreckenlauf (Vgl. "Jesteburg 1202-2002", S. 257). Tochter Tanja, Jahrgang 1971, hat Medizin studiert. Die promovierte Ärztin bewohnt

  • das Haus im Kleckerwaldweg, das die Urgroßeltern Karl und Ida Kubica Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut haben. Tochter Irina, Jahrgang 1974, hat Architektur studiert und ist mit Tochter Karla und deren Vater nach Südafrika ausgewandert. Die Eltern Heidi und Uwe Kubica wohnen in einem neuen Haus, Korndiek 7, auf der Rückseite des alten Hauses. Paul Brosda starb am 30.1.1990, seine Frau Gerda am 8.9.2001.

    Am 1.11.1944 floh Erwin Quittschau, geb. 13.2.1929, mit 15 Jahren aus Schillen, Kreis Tilsit-Ragnitz mit einem Wagen und zwei Pferden bis nach Wormditt, Kreis Braunsberg, das am 9.11. erreicht wurde. Mit ihm zusammen flohen seine Mutter Lina, geb. 1902, die Großmutter Amalie Feige und die Schwester Wanda, geb. 16.10.1927. Die Schwester Wally, geb. 6.8.1924, war als Flakhelferin eingezogen. Der Vater war am 20.10.1943 gefallen. Es herrschte bittere Kälte. Sie blieben bis Ende Januar 1945 in Wormditt, weil sie wegen des hohen Schnees nicht weiter konnten, und wurden hier von den Russen eingeholt. Abends vorher hatte der Russe über Lautsprecher die Soldaten aufgefordert sich zu ergeben. Nachts schoss er den Pferdestall kaputt. Alle Pferde waren tot und der Wagen zerstört. Sie hatten nichts mehr und flohen morgens während des Beschusses durch die Russen mit Soldaten nach Heiligenbeil, wo sie sich etwas erholten. Von dort aus ging es über das Frische Haff. Russische Flieger haben das Eis bombardiert. Viele Menschen sind ertrunken. Die Mutter und Schwester Wanda wurden verwundet und kamen ins Lazarett nach Danzig. Mutter Lina musste nach Ostpreußen zurück, kam 1948 in die Ostzone und von dort nach Jesteburg, weil hier inzwischen die Tochter Wally lebte. Der Schwester Wanda gelang die Flucht nach Dänemark, sie kam 1949 nach Jesteburg, zog nach Hamburg und ist dort 1999 gestorben. Erwin ist mit der Großmutter Amalie Feige über die Frische Nehrung mit Soldaten nach Danzig gekommen, von dort nach Rügenwalde-Münde in Pommern, wo sie in Baracken unterkamen. Die Russen haben sie hier gefangen genommen. Erwin musste Straßenar-beiten durchführen. Er hatte Typhus. Während er nach Steinort kam und bis 1946 Kutscher beim Kommandanten wurde, musste die Oma in Rügenwalde wegen ihres hohen Alters bleiben. Als der Pole die Verwaltung übernahm, wurden die Deutschen rausgetrieben. Erwin floh nach Köslin. Hier gelang ihm schließlich die Fahrt mit dem Zug durch die Ostzone nach Bad Segeberg zu den Engländern Auf den Bahnhöfen gab es Namenlisten von Vermissten. Er entdeckte in Lübeck den Namen seines Onkels, der aber nach Ostfriesland entlassen worden war. Er fand auch eine Tante in Husum, wo er Arbeit bei einem Bauern erhielt. Er blieb hier. Die Tante hatte die Adresse von der Schwester Wally in Jesteburg. So kam Erwin nach Jesteburg und hat beim Fuhrgeschäft Menk in der Lüllauer Straße gearbeitet. Er heiratete am 20.3.1954 die Tochter Irma Menk. Das Schicksal der Oma ist nicht bekannt. Erwin konnte sich während seiner Erkrankung an Typhus nicht um sie kümmern. Als er wieder gesund war, war sie nicht mehr da. Wally Quittschau hatte während des Krieges 1943 den Soldaten Hartmann aus Jesteburg geheiratet. Nach ihrer Entlassung Ende April 1945 ging sie zuerst nach Timmendorf zu einer Verwandten ihres Mannes, zog am 10.7.1945 nach Jesteburg, wo ihre Schwiegermutter wohnte. Sie wurde geschieden. Sie heiratete in 2. Ehe Kurt Fröhlich aus Jesteburg, Riedbahn. Erwin Quittschau ist am 3.5.2001 gestorben.

    Harry Zierath kam aus Königsberg in Ostpreußen nach Jesteburg. Er wurde am 9.1.1930 in Königsberg geboren. Er hatte sieben Geschwister. Sein Vater Max, geb. 1903, arbeitete auf dem Gaswerk, seine Mutter Lisbeth war auch Jahrgang 1903. Die kinderreiche Familie wohnte in einer Siedlung in der Stadtmitte Königsbergs. Zum Schlossteich gingen die Kinder zum Baden. Später wohnten sie im Stadtteil Kohlhof. Hier befand sich ein Bunker für die Bevölkerung. Der Vater wurde zur Wehrmacht eingezogen, und die Mutter musste allein mit den Kindern zurecht kommen. Die Front kam näher. Kinderreiche Familien wurden bevorzugt behandelt, die anderen Familien mussten mit Trecks flüchten. Man brachte sie Ende Januar 1945 mit einem übervollen Zug vom Nordbahnhof nach Pillau, dort wurden sie in einer Kaserne untergebracht. Weil die Mutter schwanger war, sollten sie mit der "Wilhelm Gustloff" fahren, doch sie hatten noch Mutters Schwester, Tante Frieda, bei sich. Es gelang der älteren Schwester Erna, Jahrgang 1923, dass alle neun Personen auf ein bereits übervolles Frachtschiff gelangen konnten. Drei Minensuchboote begleiteten das Frachtschiff beim Auslaufen. Harry hat die Mastspitzen der kurz zuvor am 30.1.1945 gegen 20,50 Uhr torpedierten "Wilhelm Gustloff" aus dem seichten Wasser ragen sehen.(1) Sie erreichten unversehrt Swinemünde, dort wartete ein Güterzug auf sie. Harry sollte noch zum Volkssturm, deshalb wurde er gemustert. Der Zug fuhr nach Mecklenburg und hielt auf allen Stationen wie z B. Schwerin, Hagenow, Witten-burg und Zarrentin. Überall wurde ein Waggon abgehängt, und die Menschen mussten aussteigen. Bauern standen mit ihren Kutschen an den Bahnsteigen und suchten sich Leute für die Landwirtschaft aus. Die Familie kam in das Dorf Kützin (Kölzin?) in Mecklenburg und wurde bei einem Bauern untergebracht, Harry hat dort gearbeitet. Die Russen besetzten das Gebiet. Sie nahmen den Bewohnern alle Uhren, Ringe und auch Nahrungsmittel weg, gaben sich aber friedlich. Dann wurden die Russen abgelöst, und Engländer kamen, welche Schokolade und Kekse verteilten. An Polen kann

  • sich Harry Zierath nicht erinnern. Auf der Elbe-Werft in Boizenburg lernte er als Schiffbauer-Umschüler 18 Monate bis zum 20.2.1950, verlängert bis 26.2.1952. Er machte die Abschlussprüfung als Schiffbauer am 17.3.1950. Die Dokumente liegen vor. Er hat sie bei seiner Flucht durch die Elbe gerettet. Als Mitglied der FDJ nahm er am 28. Mai 1950 an der großen Parade anlässlich des Pfingsttreffens der FDJ mit 500.000 Teilnehmern in Ost-Berlin teil. In West-Berlin hatte es dagegen am 1. Mai 1950 eine große Demonstration gegeben. Die jungen Leute mussten in Schulen und Kirchen für die Besucher Quartier machen, z. B. Betten bauen. Er hätte nach seiner Rückkehr die Arbeit in der Werft in Boizenburg wieder aufnehmen müssen, ging aber eine Woche nicht zur Arbeit und flüchtete mit dem Ziel Hamburg, wo seine Schwester Erna wohnte. In Zarrentin wurde er geschnappt, konnte flüchten und schwamm bei Boizenburg zweimal durch die Elbe: Beim ersten Mal nahm er einen Schuh, Hemd und Jacke mit, beim zweiten Mal den anderen Schuh und die Hose. Unter seiner Baskenmütze trug er alle Papiere und eine Taschenuhr. Mit den nassen Klamotten marschierte er in das Dorf Bleckede zur Molkerei. Auf der Flucht wurde er nicht verletzt oder verprügelt. Ein Milchkutscher hat ihn mitgenommen. Mit anderen Pferdewagen erreichte er den Bahnhof in Bergedorf. Hier schenkte ihm jemand Geld für eine Fahrkarte nach Hamburg. Ein Freund seiner Schwester wohnte in Fintel. Harry ist mit nach Fintel gefahren und hat vom Herbst 1950 bis 1952 bei einem Bauern gearbeitet. 1952 wechselte er zum "Quellenhof" Schnakenberg in Quellen bei Wistedt, einem Bauernhof mit Gastwirtschaft. Hier lernte er Hanna Wesseloh, geb. 9.1.1933, aus Asendorf Nr. 50 kennen, die dort angestellt war. Sie heirateten am 4.2.1954 in Asendorf. Dort wohnten sie sieben Jahre. Die Schwiegermutter Martha Wesseloh kannte Marie Wöhler aus Jesteburg, welche dem jungen Paar ein Grundstück auf Erbpacht in Jesteburg, Eichenweg 14, überließ. Harry Zierath hat vom Juni 1954 an 36 Jahre auf HDW, Howaldtswerke Deutsche Werft, später Ross- Industrie, gearbeitet und trat 1986 in den Vorruhestand. Auf HDW hat er zusammen mit Egon Mahnke aus Jesteburg, Dreihausen, gearbeitet. Sie haben u.a. die Kreuzfahrtschiffe "Wappen von Hamburg" und "Astor" mitgebaut. Blohm und Voss hat die Mitarbeiter übernommen. Er erhielt am 15.7.1979 eine Ehrenurkunde zum 25-jährigen Dienstjubiläum. Er ist immer gesund gewesen und mit dem Postbus zur Arbeit gefahren. Als Republikflüchtiger durfte er nicht in di