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032 Magazin 0415 Film 036 Spiel 042 Musik 044 Theater 054 Literatur 064 Kunst 068 Termine 086 E ine Zeitreise ins Frühjahr 2017 in Leipzig- Schönefeld: Die Klingel im Gymnasium Gorkistraße 15 läutet. Schüler strömen aus den Klassen zur nächsten Unterrichtsstunde in der gegenüberliegenden Hausnummer 25. Sie eilen über die futuristisch anmutende Glasbrücke, die die denkmalgeschützten Schulgebäude ver- bindet, werfen einen kurzen Blick auf den Friedhof unter sich: Eine Familie hat gerade die Kapelle verlassen und trägt einen Angehörigen zu Grabe. Das Zusammenspiel von Schultrubel und Totenruhe: Man kann es makaber finden – son- derbar ist der Anblick der über dem Friedhof thronenden Glasbrücke allemal. Und sie ist nicht die einzige Kontroverse um das geplante Gym- nasium Gorkistraße. Der im Herbst 2012 gefällte Stadtratsbeschluss, die dort bestehenden Schul- gebäude nachzunutzen, hat viele überrascht. Kostenpunkt: rund 17 Millionen Euro mit einem städtischen Anteil von rund 10 Millionen Euro. Zu diesem Zeitpunkt gab es weder ein Grund- stück für die Turnhalle, noch war die Frage nach der räumlichen Verbindung beider Gebäude beantwortet. Überlegungen für ein Gymnasium im Osten waren 2011 in einer Strategiewerkstatt für das Quartier gereift. Eine inhaltliche Machbarkeits- studie hatte die ehemalige Hermann-Liebmann- Schule in der Ihmelsstraße als Standort eines neuen Gymnasiums vorgesehen. Eine Lösung, für die sich auch der ehemalige Stadtrat Holger Gasse (CDU, heute Landtagsmitglied) eingesetzt hatte. »Es wurde damals erkannt, dass ein Gym- nasium hier fehlt.« Das vermisst er bis heute. Denn die Gorkistraße liegt im Stadtteil Schöne- feld-Ost, der weder zum anvisierten Leipziger Osten zählt noch ein zurzeit stark wachsendes Gebiet darstellt. Der Altersdurchschnitt liegt bei 54,6 Jahren und damit noch über dem städ- tischen Gesamtdurchschnitt (43,8). »Es werden ganze elf Schüler in der zukünftigen fünften Klasse des Schönefelder Gymnasiums aus diesem Stadtteil kommen«, rechnet der damalige Stadt- rat für den Bezirk Ost Jens Herrmann-Kambach (Die Linke) vor. Alle anderen kämen größten- teils aus Plagwitz. Henry Hufenreuter (CDU), ehemaliger Stadtbezirksrat Ost, glaubt, es habe sich bei der Standortentscheidung um eine interne Absprache von Kämmerer Torsten Bonew (CDU) und Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) gehandelt: »Im Grunde ist der Stadtrat völlig übergangen worden.« Das Projekt Gorkistraße trieb Bonew mit Ehr- geiz voran: »Die Gebäude lagen mir schon immer am Herzen.« Der Stadtkämmerer und Schatzmeister des Bürgervereins Nordost, er Visualisierung der Brücke: Die Kirche bekommt das Bre vorn Kopf Die Bürgermeisterschule Teure Glasbrücke, Störung der Totenruhe, Denkmalschutzbedenken: Seit zwei- einhalb Jahren sorgt das geplante Gymnasium in der Gorkistraße für Unmut – auch bei einigen Stadträten, die für das Projekt stimmten. Denn ein zusätzlich versprochenes Gymnasium im Herzen des Leipziger Ostens lässt bis heute auf sich warten. Nur einer scheint vollends zufrieden: Finanzbürgermeister Torsten Bonew. Wollte er sich mit dem Schulbau ein persönliches Denkmal setzen? JAN FITZNER (2) Von Lucas Kreiling, Birgit Raddatz, Robin Schäfer, Tobias Schmutzler

Die Bürgermeisterschule - Universität Leipzighome.uni-leipzig.de/.../Die_Bu__rgermeisterschule_Kreuzer0415.pdf · Robin Schäfer, Tobias ... Schwarz hält sie für eine »denkmalpflegerische

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E ine Zeitreise ins Frühjahr 2017 in Leipzig-Schönefeld: Die Klingel im Gymnasium

Gorkistraße 15 läutet. Schüler strömen aus den Klassen zur nächsten Unterrichtsstunde in der gegenüberliegenden Hausnummer 25. Sie eilen über die futuristisch anmutende Glasbrücke, die die denkmalgeschützten Schulgebäude ver-bindet, werfen einen kurzen Blick auf den Friedhof unter sich: Eine Familie hat gerade die Kapelle verlassen und trägt einen Angehörigen zu Grabe.

Das Zusammenspiel von Schultrubel und Totenruhe: Man kann es makaber finden – son-derbar ist der Anblick der über dem Friedhof thronenden Glasbrücke allemal. Und sie ist nicht die einzige Kontroverse um das geplante Gym-nasium Gorkistraße. Der im Herbst 2012 gefällte Stadtratsbeschluss, die dort bestehenden Schul-gebäude nachzunutzen, hat viele überrascht.

Kostenpunkt: rund 17 Millionen Euro mit einem städtischen Anteil von rund 10 Millionen Euro. Zu diesem Zeitpunkt gab es weder ein Grund-stück für die Turnhalle, noch war die Frage nach der räumlichen Verbindung beider Gebäude beantwortet.

Überlegungen für ein Gymnasium im Osten waren 2011 in einer Strategiewerkstatt für das Quartier gereift. Eine inhaltliche Machbarkeits-studie hatte die ehemalige Hermann-Liebmann-Schule in der Ihmelsstraße als Standort eines neuen Gymnasiums vorgesehen. Eine Lösung, für die sich auch der ehemalige Stadtrat Holger Gasse (CDU, heute Landtagsmitglied) eingesetzt hatte. »Es wurde damals erkannt, dass ein Gym-nasium hier fehlt.« Das vermisst er bis heute. Denn die Gorkistraße liegt im Stadtteil Schöne-feld-Ost, der weder zum anvisierten Leipziger Osten zählt noch ein zurzeit stark wachsendes

Gebiet darstellt. Der Altersdurchschnitt liegt bei 54,6 Jahren und damit noch über dem städ-tischen Gesamtdurchschnitt (43,8). »Es werden ganze elf Schüler in der zukünftigen fünften Klasse des Schönefelder Gymnasiums aus diesem Stadtteil kommen«, rechnet der damalige Stadt-rat für den Bezirk Ost Jens Herrmann-Kambach (Die Linke) vor. Alle anderen kämen größten-teils aus Plagwitz. Henry Hufenreuter (CDU), ehemaliger Stadtbezirksrat Ost, glaubt, es habe sich bei der Standortentscheidung um eine interne Absprache von Kämmerer Torsten Bonew (CDU) und Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) gehandelt: »Im Grunde ist der Stadtrat völlig übergangen worden.«

Das Projekt Gorkistraße trieb Bonew mit Ehr-geiz voran: »Die Gebäude lagen mir schon immer am Herzen.« Der Stadtkämmerer und Schatzmeister des Bürgervereins Nordost, er

Visualisierung der Brücke: Die Kirche bekommt das Brett vorn Kopf

Die BürgermeisterschuleTeure Glasbrücke, Störung der Totenruhe, Denkmalschutzbedenken: Seit zwei-einhalb Jahren sorgt das geplante Gymnasium in der Gorkistraße für Unmut – auch bei einigen Stadträten, die für das Projekt stimmten. Denn ein zusätzlich versprochenes Gymnasium im Herzen des Leipziger Ostens lässt bis heute auf sich warten. Nur einer scheint vollends zufrieden: Finanzbürgermeister Torsten Bonew. Wollte er sich mit dem Schulbau ein persönliches Denkmal setzen?

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Von Lucas Kreiling, Birgit Raddatz, Robin Schäfer, Tobias Schmutzler

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saß von 2004 bis 2010 im Stadtrat, macht keinen Hehl daraus, die treibende Kraft hinter dem Projekt in seinem ehemaligen Wahlkreis gewesen zu sein. Er ist selbst dort zur Schule gegangen. In der Vorbereitung der Schul-netzentwicklungsplanung setzte Bonew 2012 innerhalb der Verwaltung alle Hebel in Bewegung. Er sei auf den Oberbürgermeister zugegangen, um für den Standort zu werben – schließlich seien die Gebäude damals die einzigen gewesen, in denen die Stadt Schlüsselgewalt hatte. Viele Stadträte erinnern sich daran, wie Bonew für die Gorkistraße warb: Wer hier zur Schule gegangen sei, der könne auch Bürgermeister werden.

Mit dem Standort Gorkistraße wurde die Suche nach einem Gymnasium für den inneren Osten, wie in der Schulentwicklungsplanung vorgesehen, ausgebremst. Laut Bonew scheitert der Standort Ihmelsstraße bislang ledig-lich an der erfolglosen Suche nach einem Ersatzgrundstück für den dor-tigen Wertstoffhof. Doch Ingrid Glöckner (SPD) widerspricht, das sei bei der Entscheidung über die Ihmelsstraße kein Hinderungsgrund gewesen. »Einen Wertstoffhof kann man verlegen«, sagt die Stadträtin. Es sei nie aktiv nach einem Alternativstandort für diesen gesucht worden, da noch kein Baubeschluss vorlag.

Abseits der Frage, weshalb es am Standort Ihmelsstraße, der in der Mach-barkeitsstudie favorisiert wurde, so wenig vorangeht, bereitet in der Gorki-straße die Verbindung der beiden links und rechts neben dem Friedhof Schönefeld angesiedelten Gebäude Probleme. Zwar liegt zwischen ihnen nur eine schmale Straße, doch die stellt gleichzeitig auch den Eingang zum Friedhof Schönefeld dar. Die Kirchengemeinde sieht die Nähe von Fried-hof und Gymnasium kritisch, obwohl sie sich »nicht grundsätzlich gegen eine Schule aussprechen möchte«, betont Reinhard Riedel. Der Vorsitzende des Friedhofsauschusses, Mitglied des Kirchenvorstandes der zuständi-gen Matthäus-Gemeinde, hält es für undenkbar, dass Friedhofsbesucher und Trauerzüge beim Eintritt in den Friedhof auf Schülergruppen treffen. Um Letzteren den Weg entlang der dicht befahrenen Gorkistraße zu ersparen, beschloss die Stadtverwaltung den Bau einer verbindenden Glasbrücke, was wiederum die Denkmalschützer auf den Plan rief. Sowohl das Bauamt als auch das sächsische Landesamt für Denkmalpflege haben eine Brü-ckenlösung einvernehmlich abgelehnt. Landesamtgebietsreferent Alberto Schwarz hält sie für eine »denkmalpflegerische und städtebauliche Kata-strophe«, die »mit gesundem Menschenverstand nicht zu verstehen« ist. Mittlerweile hat die Landesdirektion die Baugenehmigung für die Brücke offiziell entzogen. Eine von der Stadt bevorzugte ebenerdige Verbindung könnte weitaus mehr Kosten verursachen, zudem lehnt neben der Kirchen-gemeinde auch die Unfallkasse Sachsen diese Variante ab, da täglich bis zu 70 Fahrzeuge die Friedhofseinfahrt nutzen. Eine mit allen Auflagen kon-forme Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Ob der angepeilte Starttermin Ende 2016 für die Gorkistraße unter diesen Umständen gehalten werden kann, ist unsicher.

Während Sozialbürgermeister Thomas Fabian für eine Auskunft zum Projekt Gymnasium Schönefeld nicht zur Verfügung stand, äußerte sich Finanzbürgermeister Torsten Bonew auf Anfrage entnervt zu den Vor-würfen. Er sehe die Notwendigkeit der Brücke nicht und könne auch die Diskussion zum Standort nicht verstehen. Die Bedenken seitens der Unfall-kasse, die eine Gefährdung der Schüler durch die angrenzende Hauptstraße beanstandet, hält er für übertrieben. »Ich habe meine zehn Jahre Schul-zeit überlebt, obwohl wir jeden Tag aus der einen Schule rausmussten, um über den Fußweg in die andere zu gelangen.«

Nach wie vor hegen viele Stadträte die Befürchtung, dass der Bau des Gymnasiums in Schönefeld den Standort Ihmelsstraße ausgestochen hat. So kritisiert Katharina Krefft (Bündnis 90/Die Grünen), dass die Ihmels-straße in der aktuellen Haushaltsplanung nicht mehr erwähnt wird. Für sie ist die Unbeweglichkeit des Schulverwaltungsamtes verantwortlich für den stockenden Prozess. »Fabian unternimmt nichts gegen die Ihmels-straße, aber auch nichts dafür.« Solche Befürchtungen sind für Torsten Bonew »mit Verlaub gesagt Käse«. Der Finanzbürgermeister beharrt darauf: »Sobald das Thema Grundstück gelöst ist, docken wir in der Ihmelsstraße ein Gymnasium an. Punkt.« Viele, die das bisher ergebnislose Ringen für ein Gymnasium im Leipziger Osten seit Jahren begleiten, würden an die-ser Stelle wohl eher ein Fragezeichen setzen.

Wer hier zur Schule gegangen sei, der könne auch Bürgermeister werden.

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