20
Die Demokratische Anarchie Verlust der Ordnung als Staatsprinzip? Von Walter Leisner Duncker & Humblot . Berlin

Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Die Demokratische Anarchie

Verlust der Ordnung als Staatsprinzip?

Von

Walter Leisner

Duncker & Humblot . Berlin

Page 2: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

WALTER LEISNER . D IE DEMOKRATISCHE ANARCHIE

Page 3: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte
Page 4: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Die Demokratische Anarchie Verlust der Ordnung als Staatsprinzip?

Von

Prof. Dr. Walter Leisner

D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N

Page 5: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Alle Rechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany

ISBN 3 428 05093 2

Page 6: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Vorwort

Der dritte Band der Betrachtungen über die Spätdemokratie ist einer Erscheinung gewidmet, die unsere Jahre wieder haben entdecken müs-sen, in alten und in neuen Formen — der Anarchie.

In Studentenunruhen und Massenstreiks, in Gesetzesungehorsam und Autoritätsverlust, in Demonstration und Revolution — überall wächst, aktiv und passiv, die neue Saat einer „zivi len Gewalt". Und schließlich konnten Wenige im Terrorismus ganze Regime erschüttern.

Dies nun hat aufgeschreckt. Was als Emanzipation freudig begrüßt wi rd — gefährdet es doch die Gemeinschaft, wie Bewahrer des Frühe-ren seit langem warnen? Werden schwarze Flaggen der Demokratie gefährlicher als Schwarze Hemden und Rote Fahnen?

Die Volksherrschaft des Westens ist auf Freiheit gegründet, in ihrer Bewahrung und Steigerung allein bleibt sie legitim. Stets hat es in ihr — und anderswo — „Freiheitsmißbrauch" gegeben, Degeneration von Freiheiten in Anarchismen; darin stellt sich nur die ewige Frage nach den Grenzen der Freiheit.

Heute und hier geht es aber um mehr, um drei Fragen im Grunde:

— Steht hinter den zahllosen, den kleinen und großen Auflehnungen, nicht mehr — die eine, große, systematische Herrschaftsverneinung — vom Anarchismus zur Anarchie?

— Kommt der Ordnungswiderstand nur von außen, wächst er nicht aus dem Herzen der Macht heraus, w i rk t seine Idee nicht in Grund-gedanken, Institutionen, Organen der freiheitlichen Demokratie, in einem „inneren Herrschaftsverlust"? Anarchie gegen den Staat — oder durch den Staat?

— Die Demokratie w i l l die ganz große Ordnung errichten in ihrem Gleichheitsstaat. In Bürgeratomisierung und Sozialzwang der Glei-chen entfaltet sich die stärkste Herrschaftsmacht, die w i r kennen. Widerstand gegen Gleichheit gibt es nicht; treibt aber nicht die Gleichheitsmacht den Bürger in die Ordnungsverneinung — An-archie als Ausbruch aus der Gleichheit?

Wie immer w i r antworten — es genügt nicht mehr die Abscheu, die Königsmörder hängen sehen wi l l . Findet nicht der Demokratiemord

Page 7: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

6 Vorwort

täglich in uns statt, in den unblutigen Formen der Normen und Organi-sationen, und stets — im Namen des Volkes?

Ordnungsverlust als Staatsprinzip — die Volksherrschaft hat ein wahrhaft einmaliges politisches Wagnis begonnen. Sie w i l l den Weg gehen vom waffenlosen Ordnungshüter des alten England zur Schaf-fung von Ordnung durch diejenigen, welche frühere Zeiten politische Verbrecher nannten. Kann dieser Einbau der Anarchie in den Staat gelingen? Wi r können es hier nicht entscheiden, doch w i r wollen zeigen, wie weit er schon fortgeschritten ist — gerade heute, wo noch vieles um uns nicht nur geordnet erscheint, sondern in Ordnung ist. Bewah-ren w i rd sie nur, wer die Gefahr sieht, in al l ihrer Größe.

Dieses Nachdenken über demokratische Anarchie weist über die Gleichheit hinaus, vielleicht sogar über die Anarchie hinweg: Wird sie ein Zwischenspiel sein, nur den rufen, der sie beendet?

Im Namen der republikanischen Freiheit haben anarchische Dolche einen Caesar getroffen — ist er aber nicht immer nur noch stärker auf-erstanden aus dem Blut der erschlagenen Herrschaft?

Und doch: Demokratie — ein Blick in herrschaftslose Ferne, auf ein Meer endloser Anarchie — w i rd man einst sagen, sie hätten doch ge-lohnt, diese Jahre des Prometheus?

Rom, am 5.10.1981 Walter Leisner

Page 8: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Inhaltsverzeichnis

I. Von der Gleichheitsordnung zur Anarchiegefahr 17

1. Anarchie aus Gleichheit 17 a) Anarchie — Ausbruchsversuch aus lastender Nivellierungs-

herrschaft 17

b) Anarchie — aus Gleichheit geboren? 19

2. Was bedeutet Anarchie staatsgrundsätzlich? 20 a) Anarchie — Herrschaftsverneinung, nicht nur Terrorismus 20 b) Anarchie — Negation jeder Herrschaft 21

3. Wieviel Freiheit ist — Anarchie? 23

4. Anarchie als Gefahr 24 a) Die undefinierbare Bedrohung 24 b) Gefahr für die notwendigen „gemeinschaftlichen Anstren-

gungen" 25 c) Gefährdung der „Integration der Gleichen zur Gemeinschaft" 26 d) Keine Höherentwicklung der gleichen Bürger ohne Herr-

schaft 27 e) Herrschaftsverneinung — eine Kulturkatastrophe 28

IL Anarchie — die radikale, systematische Herrschaftsverneinung 30

1. Anarchie — der verhaßte Individualismus 30

a) Liberalismus und Sozialismus — in Anarchie überholt 30 b) Utopievorwurf — eine stumpfe Anarchiekritik 31 c) Kollektivismus — ein leichtes Gegengift? 32

2. Anarchie — totale, systematische Verneinung aller Herrschaft 34 a) Front gegen Staatsgewalt und Gesellschaftsgewalt 34 b) Totale Ablehnung 35 c) Anarchie — immer grundsätzlich 36 d) Die „anarchische Hochrechnung": Vom punktuellen Wider-

stand zur allgemeinen Herrschaftsablehnung 37

3. Anarchiephänomene — Erscheinungsformen des Unfaßbaren . . 38 a) Erfassung der Anarchie in rechtlichem Denken 38

Page 9: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

8 Inhaltsverzeichnis

b) Erscheinungen der Anarchie — vom Widerstand bis zur „Staat gewordenen Freiheit" 41

4. Keine Solidarität — volle Freiheit nach dem Maße des Ein-zelnen! 44

a) Anarchie — Absage an jede Solidarität 44 b) Freiheit ohne „mitgedachte Bindung" 45

5. Anarchie als Staatsziel — Legitimation der Herrschaftssysteme durch Herrschaftsverneinung 46 a) Alle Staatlichkeit — legitimiert als Weg zu höherer Herr-

schaftslosigkeit 46 b) Kommunismus — begründet durch den „sterbenden Staat" 47

c) Private Freiheit — das liberale Anarchieideal 49

6. Anarchie als System — die Grenzen der Ordnungslosigkeit 51 a) Anarchisches Ordnungsdenken — eine mögliche Kategorie? 51

b) „Anarchische Ordnung" — „reines Nebeneinander" oder „ordnende Sachzwänge"? 52

c) „Ordnung in Auflösimg" — die „kleinen Schritte" 54 d) Anarchie als „Zustand eudämonistischer Bedürfnisbefriedi-

gung" 56 e) Anarchie — „Ordnung" als Ablauf und Orientierung 57

III. Der demokratische Weg in die Anarchie — die Sprengkraft der

Freiheit 59

1. Der anarchische Weg durch die Institutionen der Demokratie 59

2. Freiheit — Streben nach völliger Bindungslosigkeit 60 a) Totaler Einsatz — nur für den Staat der unendlichen Frei-

heit . 60 b) „Zumutbare Bindungen": eine — unzumutbare Freiheits-

beschränkung 61 c) „Begrifflich mitgedachte Freiheitsschranken" — als Anarchie-

fesseln weder „natürlich" noch wirksam 63 d) Die „Rechte anderer" — wirksame Schranken gegen Aus-

uferung der Freiheit in Anarchie? 65 e) „Dienst am Nächsten" — politische Theologie, nicht imma-

nente Freiheitsschranke 67 f) Die Selbstverstärkung der Freiheit zur Anarchie 68

3. In dubio pro liberiate —. eine Maxime der Anarchie 69 a) I m Zweifel für die Freiheit — eine Lebensnotwendigkeit

der Demokratie 69 b) „Im Zweifel für die Freiheit" als Anarchiedynamik 70 c) Der „Wesensgehalt der Freiheiten" — Festschreibung der

Anarchie » 72

Page 10: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Inhaltsverzeichnis

4. Die Versuche der „systematischen Freiheit" 75 a) Das demokratienotwendige Streben nach Systematisierung

der Freiheit 75 b) Die Herrschaftsgewalt in der Defensive 76

5. Die Grundrechtsidee als Anarchie 78 a) Grundrechtsablehnung aus Anarchieängsten 78 b) Grundrechte — unabänderlich wie die Herrschaftsverneinung 79 c) Die Idee der vorgegebenen Freiheiten — originäre Anarchie 79 d) Grundrechtsschutz — Einsatz der Staatsgewalt zur Sicherung

der Anarchie 80

e) Die ziellose Freiheit als Herrschaftslosigkeit 82

6. Über die „gesellschaftliche Freiheit" in die Anarchie 83

a) Die anarchiegeneigte Gesellschaft — der Niedergang der früheren „Gesellschaftsmächte" 83

b) Das „Ende der Gesellschaft als Gewaltreserve des Staats" 85

IV. Von der Gleichheit als Herrschaft zur Gleichheit als Anarchie 87

1. Gleichheit — ein zweischneidiges Herrschaftsschwert 87

a) Atomisierung als erster Schritt zur Anarchie 87 b) Die Gefahr der ungenügenden Macht 88 c) Das gefährliche „Zusammenlaufen der Gleichen" 89

2. Freiheit und Gleichheit — eine anarchisierende Verbindung 90

a) Liberté-Egalité-Fraternité als einheitliche Devise 90 b) Das verhängnisvolle Schwanken der Demokratie zwischen

Freiheit und Gleichheit 92

3. Gleichheit in der Gesellschaft — schwer zu beherrschen 93 a) Die Gefahr der „verspäteten Herrschaft" 93 b) Der Zwang zum offenen Machteinsatz 95 c) Anarchie durch „Trägheit und Aktivität" — Widerstand aus

Gleichheit 96

4. Findet der Gleichheitsstaat noch Herrschende? 98 a) Der Verschleiß der Herrschenden, ihre Flucht aus der Macht 99 b) Die langsame Eskalation der „Anarchie von oben" 101

5. Gleichheit — politischer Wert oder „reines Instrument"? 103 a) Gleichheitszustand — als Wert zu erstreben? 103 b) Gleichheit — das zu kurzfristig Erreichte 105 c) Gleichheit — nicht Ordnung, sondern reine politische Kraft 106

Page 11: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

10 Inhaltsverzeichnis

V. Der Mehrheitsgrundsatz als Rechtsprinzip der Anarchie 108

1. Der Sozialvertrag — anarchisches Denken als Grundlage der Mehrheiten 108 a) Die demokratische Suche nach dem „natürlichen Abstim-

mungskörper" 108 b) Sozialvertrag — Überwindung oder Ausdruck der Anarchie? 111 c) Die Renaissance der Sozialvertraglichkeit — Verwaltung

durch Vertrag 112 d) Das „tägliche Plebiszit" — Demokratie gewordene Anarchie 116

2. Majorität —: anarchische Höchstform des Individualismus 119 a) Der selbstbewußte Abstimmungsbürger 119 b) Abstimmung als individualistischer Ausnahmemechanis-

mus — das Problem der „Dauerdemokratie" 121 c) „Volonté générale" — ein Wunder, das nicht stattfindet 123 d) Majorität — das „überwogene", nicht „beherrschte" Indi-

viduum 125

3. Das Mehrheitsprinzip — Ausdruck der Resignationsdemokratie 127 a) Die resignierende Faszination des demokratischen Machtspiels 127 b) Die Mehrheitsentscheidung — Macht als Zufall 129 c) Herrschaft überhaupt — auch ein Zufall? Die Stimmen-

gleichheit 132

4. Minoritätenschutz — Zellenbildung der Anarchie 133 a) Ausbruch aus der Gleichheitsgewalt — oder Weg in die

Anarchie? 133 b) Minoritätensicherung — ein Widerspruch zum Mehrheits-

prinzip 135 c) Minderheitenschutz als Herrschaftsauflösung 136 d) Abgrenzungsschwierigkeiten beim Minderheitenschutz 137 e) Minoritätenschutz — unlösbares Problem der Demokratie als

einer überholten Staatsform? 138

5. Machtabschwächung der Demokratie im Kompromiß 139 a) Demokratische „Reibungsverluste": Mehrheitsentscheidung

überall — ein Anarchiebeginn 139 b) Der Kompromiß als wesentliche Herrschaftsabschwächung 141 c) Kompromiß zum Schwächeren — Eskalation der Machtauf-

lösimg 143 d) „Kompromißtechnik" 146 e) Vom Kompromiß zur „politischen Technokratie" 148

VI. Das Mehrparteiensystem — erste organisatorische Annäherung der Staatlichkeit an die „demokratische Anarchie" 150 1. Die fehlende Machtaneignung durch die Parteien — anarchische

Machtferne der Machtträger 150

Page 12: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Inhaltsverzeichnis

a) Das monarchisch-aristokratische Gegenbild 150

b) Die kommunistische Kritik an den „volksfernen Parteien" 152

c) Parteienkampf um die Macht — ein Herrschaftsersatz 154 d) Demokratische „Ämter" und „Beamte" — ein Widerspruch in

sich 155

2. Die Machtblockade im Mehrparteiensystem 156 a) Parteienkoalitionen — Machtabschwächung und Machtauf-

hebung 156 b) Die „Volkspartei" — Überwindung der Herrschaftsblockade? 158 c) Die knappe Mehrheit — Herrschaftslähmung durch Angst

vor dem Machtwechsel 160

3. Parteienangleichung als Machtabbau 162 a) Die Suche nach dem Konsens und die Parteienangleichung 162 b) Die Programmangleichung — Programmverlust als Herr-

schaf tsverlust 164 c) Der Kampf um Personen — Persönlichkeitspolitik oder Figu-

rendemokratie? 166 d) Anarchisierende Legitimationssuche im Mehrparteiensystem:

Herbeigeredete Gegensätze 168

4. „Radikale Parteien" — „eingebaute Anarchie im Mehrparteien-regime" 170 a) Radikale Gruppierungen — eine demokratische Notwendig-

keit 170 b) Die Notwendigkeit des „echten Radikalismus" 171 c) Unterwanderung der Regimeparteien durch Radikale 172

5. Entpersönlichung der Herrschaft als Anarchisierung im Mehr-parteienregime 174 a) Vom Parteiführer zum Apparatschik 174

b) Persönlichkeitsverlust als Herrschaftsverlust 177 c) Partei gegen Staat — anarchisierender Herrschaftsantagonis-

mus 179

VII. Der Machtwechsel — Grundprinzip der Demokratie und Ausdrucks-form institutionalisierter Anarchie 181

1. Ständiger Machtwechsel — ein Demokratieprinzip 181 a) Machtwechsel als Institution 181 b) Tatsächliche, nicht nur mögliche Wachablösung 182

2. Machtwechsel — die große Anarchiestunde der Demokratie 184 a) Das Stillstehen aller Gewalt 184 b) Die anarchisierenden Vorwirkungen des Machtwechsels 186 c) Die anarchisierenden Nachwirkungen des Machtwechsels . . . . 189

Page 13: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

12 Inhaltsverzeichnis

3. Die „neue Herrschaft" als Gegenmacht, als anarchisierende Antithese 191

a) Gibt es „gegensätzliches Herrschen"? 192

b) Laufende Kritik — vorweggenommene Gegenmacht 192 c) Macht aus „Verfassungskonsens"? 194 d) „Widerruf der Ordnung" — ein Anarchiephänomen 195 e) Das demokratische Nein zur Tradition — Demokratie als

Verlust der „politischen Klassik" 197 f) Im raschen Machtwechsel von der Ordnung zum Befehl 198

4. „Radikaler" und „gemäßigter" Machtwechsel 200

a) Anarchieverstärkung durch Anarchiegegnerschaft 201

b) Die demokratische Diskussion um das „wünschbare Quan-tum an Machtwechsel-Anarchie" 202

5. Der demokratische Machtwechsel als institutionalisierte Revo-lution 203 a) Machtwechsel als Revolution 203 b) Machtwechsel-Anarchie — in demokratischer Verfassung

kanalisierbar? 204 c) Verfassungsänderung — eine demokratische Crux 205

VIII. Das Parlament als anarchisierendes Forum 208

1. Herrschen — in Vertretung? 208 a) Vertreten — wen eigentlich? 208 b) Herrschen — für andere? 210

2. Herrschaftsverlust in Kollegialität 213 a) Herrschaft durch Masse? 213 b) Der Niedergang der „Parlamentsführung" 214

3. Die anarchisierende Wortgewalt 216

4. Inkompetenz als Machtauflösung 217

a) Regnum incompetentiae 217

b) Parlament als Störgewalt 219

IX. Anarchiephänomene in der vollziehenden Gewalt 221

1. Verwaltungsanarchisierung durch Parlamentskontakt 221

2. Politisierung des öffentlichen Dienstes — Anarchisierung in parteipolitischer Clanherrschaft 222

3. Der Hierarchieverlust 224

4. Legalitätsübersteigerung — Umschlag in Unordnung 226

Page 14: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Inhaltsverzeichnis

5. Bürokratie — Instrument der Anarchie 228

6. Planungsanarchie in der Verwaltung 230

X. Gerichtsbarkeit als Anarchieinstanz 233

1. Die „entpolitisierte Gewalt" als anarchisierender Störfaktor 233

2. Gerichtsbarkeit als Verzögerungsmechanismus der Macht 235

3. Anarchie durch „richterliches Ordnen" 237

4. Ordnurigsauflösende Einzelfallgewalt 238

5. Verfassungsgerichtsbarkeit — die Norm-Gegengewalt 241

XL Die Dekadenzautonomie — ein Weg in die Anarchie 244

1. Autonomie — notwendige Organisationsform der Demokratie 244

2. Autonomie als Herrschaftsauflösung 246 a) Neo-Autonomismus — Teilkapitulation der Staatlichkeit 247 b) Autonomie als anarchisierende Gewaltzersplitterung 248

3. Anarchisierende Wirkungen des Föderalismus 250 a) Herrschaftserschwerung durch Einstimmigkeitszwang 251 b) Gewaltenzersplitterung nach unten 253 c) Ordnung durch das Bundesratsprinzip? 254 d) Das „föderale Unordnungsgefühl" 255 e) Niedergang des Föderalismus — Sieg über die Anarchie? 256

4. Kommunalisierung — Anarchie unter vielen Wappen 257

a) Die Kommune als Widerstandszentrum 257 b) Die Kommunalanarchie der Kontaktlosigkeit 259 c) Kommunale Integration durch „Finanzierung von oben"? . . 261 d) Anarchisierende Kommunalpolitisierung 262 e) Vom Aufstand der Verwalteten zur Revolte der Administra-

tion 263

5. „Gesellschaftliche Selbstverwaltung" — der neue Privatfeuda-lismus 264 a) Das neue Zünftewesen 265 b) Die Staatsauflösung in „gesellschaftliche Autonomie" 267

XII. Die Negativ-Ideologie der Demokratie — Lob des Widerstandes und der Revolution 272

1. Die „negative Ideologie" — ein Wesenszug der Demokratie 272

Page 15: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

14 Inhaltsverzeichnis

2. Widerstand als Anarchie 275

a) Widerstand als Grundlage der Demokratie 275 b) „Grundrechte auf Widerstand" 276 c) Das Recht auf Widerstand — Grundrecht auf Anarchie 279 d) Widerstand als Anarchieform 282

e) Institutionalisierter Widerstand — Anarchie als Herrschaft? 285

3. Exkurs: Die Glorifizierung des Widerstandes — ein demokrati-scher Mythos 287

a) Widerstand — eine demokratische Tradition 287 b) Antideutscher — und deutscher — „Widerstand" bis zum

Zweiten Weltkrieg 289 c) Der Widerstand nach 1940 291

d) Der deutsche Widerstand 295 e) Vom widerstandsanfälligen Gleichheitsstaat 298

4. Revolution — Sternstunde von Demokratie und Anarchie 300

a) Stufen der Revolutionsideologie 300 b) Die Anarchiegrundlagen des Revolutionären 302 c) Die Revolution — Umrisse einer anarchischen Ordnung 305 d) Demokratie — Staatsform der Revolution 308 e) Die demokratische Theorie der permanenten Revolution —

die verfassunggebende Gewalt des Volkes 310

XII I . Exkurs: Der internationale Ordnungsverlust — Anarchieexport der Demokratie 315

1. Die „wesentliche Grenzüberschreitung" der „demokratischen Ideologie" 316

2. Die anarchisierenden Wirkungen des „Demokratieexports" 319

3. Internationale Anarchisierung durch nationalen Ordnungs-verlust 322

4. „Anarchie außen" — eine demokratische Hoffnung 323

5. Der anarchische Rückschlag: Re-Import der Ordnungslosigkeit von außen 325

6. „Selbstzerstörung von außen" 327

XIV. Christliche Heilsvorstellungen als Verstärkung des demokratischen Anarchismus 330

1. Anarchisierende Demokratie — eine kirchengünstige Ordnimg 331

2. Gemeinsame Anarchieneigungen des demokratischen und des christlichen Denkens: Idealität, Unfaßbarkeit, Utopie 333

Page 16: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Inhaltsverzeichnis

3. Fortsetzung: Die eschatologische Bedingtheit aller Ordnungen 334

4. Vom Höchstwert der Persönlichkeit zur „Befreiung" 335

5. Nächstenliebe und demokratische Sozialpolitik — ein anarchi-scher Zweiklang 337

6. Der Populismus — Gottes Volk als Volkssouverän 339

7. Anarchie mit christlichem Segen 340

8. Ende in Sekten — für Kirche und Staat? 342

XV. Anarchische Phänomene in der Spätdemokratie 344

1. Von der freien Meinung zur anarchischen Demonstration 344 a) Meinungsfreiheit — anarchische Grundlage der Demokratie 344

b) Die Unbegrenzbarkeit der Meinungsfreiheit 346 c) Meinung als Gewalt 349 d) Die Anarchisierung des Meinens in Demonstration 353 e) „Ausarten" — ein inneres Gesetz jeder Demonstration —

Demokratisch-anarchische Levée en masse 355 f) Die „Pressedemonstration" 357

2. Eigentumsanarchie — Herrschaftsverlust durch Eigentum — oder „gegen Besitz"? 358

a) Herrschaftsverlust aus Privateigentum? 358 b) Eigentum als Ordnungsmacht 360 c) Ordnungsverlust durch Verteilung 362

3. Mitbestimmung — der anarchische Dialog 365 a) Mitbestimmung als Kampfinstrument 365 b) Das große Patt — organisierte Ordnungslosigkeit 366

4. Streik — von der Forderung zur Auflehnung 367 a) Die Anfänge: „Gegen alle Ordnung" 367 b) Streiken — nicht „für", sondern „gegen" 368 c) „Ausufern" — das innere Gesetz allen Streikens 370 d) Vom wirtschaftlichen Streik zur politischen Demonstration 372 e) Streik — überall 374 f) Der Widerstandsstreik — Streik als Revolutionsbeginn 374

5. Studentenunruhen — Anarchie aus Wissen 376 -a) Jugendanarchie — aus abgeschwächter Ordnung heraus 376 b) Die anarchisierende Kraft des Wissens 378 c) . . . in Demokratie verstärkt 380

Page 17: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

6 Inhaltsverzeichnis

6. Exkurs: Gesellschafts- und Staatsanarchie in gegenseitiger Verstärkung — „Ehe- und Familienanarchie" 383

7. Gesetzesungehorsam — in passiver Anarchie aus der Gleichheit 387 a) Der Gleichheitsbefehl in normativer Form — Ermunterung

zum Ungehorsam 387

b) Egalitärer Imperativ — ein schwer durchsetzbarer Befehl 390 c) Ungehorsam — gerade in „Gleichheitsmaterien" 391

d) Die Gleichheitslawine des Ungehorsams 395

8. „Demokratische Kriminalität" — ein Phänomen von Gleichheits-anarchie 396 a) Demokratische Kriminalität — ein besonderer Typus 397 b) Von den Unmöglichkeiten der Anarchiebekämpfung durch

„demokratisches Strafen" 398 c) Der Verlust der Schutzgüter 401

9. Terrorismus — demokratische Anarchie oder großes anarchi-sches Verbrechen? 402 a) Terrorismus — aus Gleichheit 404 b) Der große Ausbruchsversuch aus der Gleichheit 405 c) Terrorismus — Fortsetzung der demokratischen Anarchie

mit anderen Mitteln 408 d) Terrorismus — nur Schwäche, nicht Tod der Demokratie 409

Schlußbetrachtung: Kein Ende in Anarchie — vielleicht ein Anfang aus ihr 412

Page 18: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

I . Von der Gleichheitsordnung zur Anarchiegefahr

1. Anarchie aus Gleichheit

a) Anarchie — Ausbruchsversuch aus lastender Nivellierungsherrschaft

Die parlamentarische Volksherrschaft, welche ihre Freunde die frei-heitliche nennen, ist von Selbstgefährdung bedroht, wie alles Sensible, Geistige. Als Herrschaftsordnung droht sie sich in jener Freiheit auf-zulösen, welche sie legit imiert; was sie so nötig braucht, kann sie doch nicht brauchen — von Polizeistrenge und Mil i tärgewalt über einen unpolitischen öffentlichen Dienst bis zu wahrer Wirtschaftsliberalität. An all diesen Wucherungen ihres eigenen Herrschaftsorganismus ist sie immer wieder in der Geschichte zugrunde gegangen, nicht an der Be-drohung von außen.

Ihr großer Gegenspieler ist heute der Rätestaat. Doch auch er steht ihr nicht eigentlich gegenüber, er kommt aus ihr, verabsolutiert nur eines der Grundprinzipien der Demokratie: die Gleichheit. Sie setzt er in unbedingter, harter Herrschaft von oben durch, mi t Gewalt bewahrt er sie. Zu solcher Machthärte ist die parlamentarische Staatsform nicht fähig, und so mag es scheinen, als müsse sie sich selbst auflösen in Kapitulation vor den Räten.

Doch diese Selbstzerstörung der Demokratie, von der in einer frühe-ren Studie die Rede war — sie muß nicht stattfinden, wenn der parla-mentarischen Demokratie eines gelingt: ihr eigener, ein zweiter Weg zur Gleichheit. Kann sie die Gleichheit ohne absolute Herrschaft erreichen, sozusagen als einen geistig-politischen Raum, der „natürlich" wird, aus dem es keinen Ausbruch mehr gibt, so ist sie als Gleichheitsstaat nicht nur lebensfähig, sie ist vielleicht stärker befestigt als jener Rätestaat, der in tyrannischen Auswüchsen stets Gefahr läuft, sich von seiner eigenen egalitären Grundkonzeption zu entfernen.

Diese Chancen und Entwicklungen waren Gegenstand einer weiteren Studie. A n ihrem Ende erwies sich dieser parlamentarisch-demokra-tische Gleichheitsstaat als die potentiell stärkste Herrschaftsform, welche Menschen in der uns bekannten Geschichte ersinnen konnten, als etwas Unausweichliches, endgültig Erscheinendes. Doch auch am Ende

2 Leisner

Page 19: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

18 I. Von der Gleichheitsordnung zur Anarchiegefahr

dieser Untersuchung stand die zweifelnde Frage: Ist dieser Gleichheits-staat in sich wirk l ich widerspruchslos? Werden die vielen Gleichen nicht im Namen dieser Egalität, die ja ursprünglich einmal Herrschafts-losigkeit oder doch Herrschaftsverdünnung bedeuten sollte, aufstehen gegen diese am schwersten lastende aller Gewalten?

Al le institutionellen Auswege sind hier den Bürgern versperrt durch die allgegenwärtige Gleichheit, so scheint es doch. Wie sie auch flüchten — überall finden sie: nur noch mehr Gleichheit.

Und hier nun setzt die neue Untersuchung an: Anarchie als Ausbruch aus der totalen, beherrschenden Gleichheit? Wäre dies nicht eine Form des neuen, absoluten Widerstandes gegen die Gleichheitsgewalt, daß der Bürger versucht, sich völ l ig „aus der Gewalt zu werfen", daß er Beherrschungsformen auch dann ablehnt, wenn sie aus Egalität kom-men — nicht etwa, weil er die Gleichheit leugnen möchte, sondern wei l er alle Gewalt hinter sich lassen wil l?

Ganz große Herrschaftsformen, die Geschichte zeigt es immer wieder, können nicht gebrochen werden, man kann nur einfach — über sie hin-wegschreiten. So war es mit der monarchischen Idee und mit der aristo-kratischen Autorität. Nicht Revolutionen und Barrikaden haben sie zerschlagen, sondern ein geistiger Wandel, in dem sie ganz abstarben in einem neuen Kl ima der Gleichheit. Sollte dies nicht auch ein Schicksal der Gleichheit selbst sein können, daß sie vorübergeht — oder sich in ein Neues hinaufpflanzt, in einer Staatsgrundstimmung, in der Herr-schaft überhaupt nicht mehr gebraucht wird, in der sich die Ordnungs-idee überlebt, wei l die Bürger wieder ihre eigenen konkreten Ord-nungen leben?

Dies ist unsere Frage nach einer „neuen Anarchie". Hat sie schon begonnen, oder werden nur erste, noch ferne Anzeichen sichtbar, gibt es hier Tendenzen, welche sich zu größeren Entwicklungen zusammen-ordnen lassen? Denn immer wieder hat sich ja eines gezeigt, bei den Grundprinzipien und Entwicklungen der späten Volksherrschaft: daß hier nicht Brüche sind und faßbare Übergänge, daß vielmehr Tenden-zen auseinander entstehen wie Wellen, von denen die erste bereits auf-läuft, aber immer noch mächtig ist, die zweite anschwillt, eine dritte schon ansetzt, von jenen vielleicht hervorgebracht. So suchen w i r denn nach den Formen einer Anarchie, welche eine der großen, übergreifen-den Parallelbewegungen der späten Volksherrschaft sein könnte, in der auch das Ende des Gleichheitsstaats schon begonnen hat.

Spätdemokratie wäre gerade in einer solchen Anarchie. Denn sie würde ja das Ende, das Hinübergehen der „Krat ie", der Herrschafts-formen des organisierten Volkes in das einzige bedeuten, was hinter

Page 20: Die Demokratische Anarchie · 6. Übe dire „gesellschaftlich Freiheite in" di e Anarchi 8e 3 a) Die anarchiegeneigt Gesellschaf —e de Niederganrt der g früheren „Gesellschaftsmächte

Γ. Anarchie aus Gleichheit

dem Volk noch stehen kann: in das organisierte Nichts. Und was vor dem völligen, dem geistigen Ende kommt, aus dem sich auch keine Trümmer von Ideen oder Institutionen mehr in künftige Zeiten hin-überretten, das wi rd man mit Recht Spätzeit nennen können.

b) Anarchie — aus Gleichheit geboren?

Doch wi r hatten nicht die Frage gestellt: Anarchie nach Gleichheit, sondern „aus" Gleichheit. Es geht nicht um die Bestimmung von Zeit-perioden, wie sie der reinen Historie zuallererst aufgegeben ist. Hier soll immer wieder institutionell, staatsgrundsätzlich und staatsrechtlich gedacht werden. Dies aber bedeutet, daß nicht Rechtstatsachen in erster Linie erforscht und zusammengestellt werden; sie dienen als Beispiele. Und daß auch nicht einfach juristische Ableitungen versucht werden — aus dem Gleichheitsstaat kann es nicht etwa eine Legalitäts-brücke in die Anarchie geben. Vielmehr kommt unsere Fragestellung vom Staatsideellen her: Liegen in der Idee des Gleichheitsstaates Kate-gorien, Kriterien, geistig anstoßende Kräfte, welche die Gleichheits-herrschaft in Anarchie wandeln können, verwandeln müssen?

Die Antwort versuchen die folgenden Blätter. Doch hier bereits seien an den Anfang einige Plausibilitäten gestellt, welche das Fragen im-merhin rechtfertigen — Anarchie aus Gleichheit? — Der Gleichheitsstaat ist die perfekteste, aber auch die am meisten

lastende Form kombinierten staatlich-gesellschaftlichen Herrschens, echter Gewaltausübung. Wenn Anarchie überall dort nur wirk l ich ist, wo die große Flucht einsetzt aus der Gewalt, so w i rd sie am stärksten sein, wo die größte Gewalt ist — in und aus der Gleichheit.

— Gleichheit wurde immer zuerst erstrebt als Machtabbau, als Herr-schaftsminimierung. A m Ende stand die gewaltige Herrschaft. Wird sich nicht die so betrogene Gleichheit eines Tages gegen ihre eigenen Konsequenzen wenden, sich ebenso radikal selbst in Frage stellen, wie sie sich in Macht potenzieren konnte — also wieder in der Totalität der Anarchie?

— Wo zeigen sich in der neueren Geschichte die bedeutenden, quasi-institutionalisierten Formen der Anarchie? In jenen Explosionen, welche zur mächtigsten Gleichheit, zum fast absoluten Gleichheits-staat geführt haben, vor allem in der Russischen Revolution. Hier ist die Asche der Gleichheit herausgeschleudert worden, sie hat um sich am Ende alles erstickt. Doch unter ihr brannte das Feuer der anarchischen Revolution. Ist es wirk l ich erloschen, glüht es nicht unter der Asche? Weist die Historia Magistra nicht einen notwen-digen Weg vom Gleichheitsstaat in „Anarchie als Lebensform", wenn nicht als Staatsform?

2*