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WIRTSCHAFT AUS ERSTER HAND DEZEMBER 2018 GAME CHANGER 2018 DIE DEUTSCHEN SPIEL MACHER Wie BASF, Zalando und Motel One ihre Branchen revolutionieren Martin Bruder- müller (BASF), Robert Gentz (Zalando) und Dieter Müller (Motel One)

DIE DEUTSCHEN SPIEL MACHER - Bain & Company...20 INTERVIEW Der Xing-Gründer und Start-up-Investor Lars Hinrichs über den Techstandort Deutschland und die Chancen, digitale Welt-marktführer

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Page 1: DIE DEUTSCHEN SPIEL MACHER - Bain & Company...20 INTERVIEW Der Xing-Gründer und Start-up-Investor Lars Hinrichs über den Techstandort Deutschland und die Chancen, digitale Welt-marktführer

WIRTSCHAFT AUS ERSTER HAND DEZEMBER 2018

GA M E C H A N G E R 2 0 1 8

DIEDEUTSCHEN

SPIEL -MACHERWie BASF, Zalando und Motel One

ihre Branchen revolutionieren

Martin Bruder -müller (BASF),

Robert Gentz (Zalando) und Dieter Müller

(Motel One)

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W as haben ein Hotel, eineChemiefabrik und ein On-lineversender gemeinsam?

Eigentlich nichts, außer der Tatsache,dass es sich allesamt um Wirtschafts-betriebe handelt. Die Branchen könn-ten unterschiedlicher nicht sein, eben-so die Geschäftsmodelle – und dieMenschen, die dort arbeiten.

Tatsächlich aber lassen sich die Ho-telkette Motel One, der Chemiekon-zern BASF und das OnlinemodehausZalando auf einen Nenner bringen. Siewagen etwas Neues, und sie nutzen dieDigitalisierung als ihr Werkzeug. Sieführen ihre Branchen an, sie setzenneue Standards, statt nur mitzuspie-len – und sind damit Game Changer.

Die diesjährigen Preisträger desWettbewerbs von manager magazinund der Unternehmensberatung Bainhat eine Jury handverlesen aus ur-sprünglich 60.000 Unternehmen (sie-he Kasten Seite 7), um tatsächlich dieBesten zu küren. Denn bewerben kannman sich nicht, allenfalls einen gutenEindruck machen. Als der Koordinatordieser Beilage, mm-Mitarbeiter ClausGorgs, Motel-One-Gründer DieterMüller besuchte, erschien der in So-cken der Hausfarbe Türkis, zog das Hosenbein hoch und sprach: „Die habeich extra für Sie angezogen.“

Ihr

4 I N NOVAT IONDas Onlinegeschäft mit privatenKunden war fest in der Hand von US-Konzernen. Doch einigedeutsche Start-ups ändern das gerade und schwingen sich zuGlobal Playern auf.

8 BA SFDer weltgrößte Chemiekonzernentdeckt früher als seine Kon -kurrenten die Chancen der Digitalisierung – und das nichtnur in der Produktion.

1 2 Z A L A N D 0Der Modeversender wandelt sichzum Technologieunternehmenund ist mithilfe künstlicher Intelligenz sogar Giganten wieAmazon einen Schritt voraus.

16 MOT E L ON EQualität und Design ganz oben,Preise ganz unten: So hat DieterMüller seine Hotelkette groß gemacht. Jetzt erklärt er, wie erdas Erfolgsmodell ausbauen will.

2 0 I N T E RV I EWDer Xing-Gründer und Start-up-Investor Lars Hinrichs über den Techstandort Deutschlandund die Chancen, digitale Welt-marktführer hervorzubringen.

Anschrift des VerlagsEricusspitze 1, 20457 HamburgTelefon: (040) 30 07-25 51Fax: (040) 30 07-22 47Stellvertretende Chefredakteure:Sven Clausen (V. i. S. d. P.)Martin Noé (V. i. S. d. P.)Redaktion: Claus Gorgs (frei)Gestaltung: Darius Jan WakilzadehBildredaktion: Martin RichterTitelbild [M]: Andreas Reeg, ClaudiusPflug, Wolf Heider-Sawall/WirtschaftswocheInfografik: Mirja LothSchlussredaktion: Bettina Storm-Rother(Ltg.); Simone Boldt, Rüdiger Frank Dokumentation: Dennis Barg, Dr. UlrichWerner Hoffmann, Christel Schulz

VÖLLIG VONDEN SOCKEN

IMPRESSUM

INHALT

3EXTRA manager magazin

EDITORIALM A R T I N N O ÉStellvertretenderChefredakteur

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K U N D E N V E R S T E H E R Die Chefs der wert-vollsten deutschen Tech-Start-ups greifen imKonsumentengeschäft an (im Uhrzeigersinn):Niklas Östberg (Delivery Hero), DavidSchneider, Robert Gentz und Rubin Ritter(Zalando), André Schwämm lein (Flixbus),Christian Bertermann und Hakan Koç(Auto1), Thomas Vollmoeller (Xing), DominikRichter (HelloFresh), Ralph Dommermuth(United Internet)

AUFSTANDDEREINHÖRNERDeutschland gilt als Weltspitze bei Spezialitäten wie Industrie 4.0, aber als ein totalausfall im Geschäft mit Privatkunden. Uber? Ebay? Spotify? alles nicht bei uns erfunden. Doch jetzt schicken sich einige deutsche Start-ups an, zu Global Playern im Massen-geschäft aufzusteigen. Es gibt tatsächlich ein Leben neben amazon.

4 manager magazin Extra

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5Extra   manager magazin

Game ChanGer

Der Berliner Stadtteil Fried-richshain  ist  ein wahresImmobiliendorado.  amOstufer der Spree wird ge-

baut, was das Zeug hält: Hotels, Bürosund Luxuswohnungen – sehr zum Ver-druss eines breiten Bündnisses vonden Grünen bis zum Schauspieler Da-vid Hasselhoff, das um den Charakterdes Stadtteils und den Erhalt der EastSide Gallery fürchtet, des längsten er-haltenen Mauerteilstücks.

Die Baustelle eine Seitenstraße wei-ter erregt weniger aufsehen. Im Wind-schatten  der  Mercedes-Benz-arenaent steht eine der modernsten Unter-nehmenszentralen  der  Stadt:  2700Men schen sollen bald hier arbeiten,ver teilt  auf  42.000  QuadratmeterOpen-Space-Bürofläche mit sechsstö-ckigem atrium, eigener Kita und Sport-platz auf dem Dach. Das Gebäude wirdder neue Sitz von Zalando, Deutsch-lands wertvollstem Start-up – falls manein Unternehmen noch so nennen kann,das 4,5 Milliarden Euro Umsatz macht,fünf Jahre lang im Schnitt um 26 Pro-zent gewachsen ist und an der Börsemehr wert ist als Puma oder Metro.

Der Onlinemodehändler führt eineriege von neun deutschen techunter-nehmen an, von denen einige das Po-tenzial haben, zu den Großen im Inter-netgeschäft aufzuschließen. Und achtdieser Einhörner – Gründungen mit einer Bewertung von einer MilliardeEuro oder mehr – greifen im Konsum-sektor an, im kleinteiligen, aber lukra-tiven Geschäft mit Privatkunden. 2

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6 manager magazin Extra

Das war bisher – vorsichtig formu-liert – nicht gerade die Domäne derDeutschen. Weltmeisterlich ist die füh-rende Industrienation Europas zwarbei der Digitalisierung von Produk -tionsprozessen, wo etwa BaSF neueStandards in der Chemiebranche setzt(siehe Seite 8). Doch dass die digitalerevolution auch das Verhalten der pri-vaten Kunden bis in die Kleiderschrän-ke  und  Kinderzimmer  grundlegendverändern würde, hatten die Erfinderdes autos, des Kühlschranks und deraspirintablette lange ignoriert.

So entwickelten zwar Forscher inDeutschland das wegweisende MP3-Format für Musikdateien – doch dasGeschäft damit machen heute Spotifyund apple. Zugleich wandert immermehr Umsatz von Media-Saturn oderKaufhof zu einem ehema ligen Buch-versender aus Seattle:   amazon. Diemeisten Versuche, erfolgreiche digitaleBusiness-to-Consumer-Modelle (B2C)aus den USa zu kopieren, endeten inder Kapitulation: Das Onlineauktions-haus alando wurde vom Vorbild Ebaygeschluckt, das FreundschaftsnetzwerkStudiVZ von Facebook marginalisiert.

Woran liegt es? Und – um die 100-Milliarden-Dollar-Frage zu stellen –können wir das noch ändern?

Lars  Hinrichs  (41),  Gründer  desKarrierenetzwerks xing, eines der we-nigen langfristig erfolgreichen deut-schen tech-Start-ups, sieht hierzulan-

de ein Zuviel an Bürokratie und ein Zu-wenig an großen, weltweit skalierbarenIdeen und Konzepten: „Wir Deutschensind Weltmeister im Überoptimieren“,klagt Hinrichs, der heute als Investortätig ist (siehe Interview Seite 20). „So

verlieren wir den Kampf um die globa-len Märkte, weil die anderen einfachschneller sind.“

Doch das muss nicht  so bleiben.„Deutschland  hat  eine  Weile  ge-braucht, die Voraussetzungen für er-folgreiche  Digitalunternehmen  zuschaffen“, sagt Walter Sinn, Deutsch-land-Chef der UnternehmensberatungBain. „aber inzwischen ist da sehr vielgewachsen: Gründungskultur, Kapital-zugang und eine neue Generation mu-tiger Unternehmer. Nicht alle von ih-nen werden Global Player werden, abereinige können es schaffen.“

Dazu gehören neben Europas größ-tem Onlinemodeversender Zalando,inzwischen in 15 Ländern aktiv, auchdas Gebrauchtwagenportal auto1 oderder Fernbusbetreiber Flixbus, der überseine  digitale  Mobilitätsplattform neuerdings auch Züge fahren lässt undin den USa expandiert. „Der Mut zugründen hat zugenommen, der Zugangzu Kapital hat sich verbessert“, stelltrobert Gentz, Co-CEO von Zalando,fest. „Da hat sich in den letzten Jahrenspürbar was verändert.“

Wer in diesem Geschäft etwas ge-winnen will, muss die Wünsche undBedürfnisse der Menschen nicht nurkennen, er muss sie voraussehen. Idea-lerweise so, wie es apple oder Googlegetan haben, die neue Dinge des täg -lichen Bedarfs überhaupt erst geschaf-fen haben.

DI E J U RYDiese Wirtschafts-experten wählten diediesjährigen Preis-träger des GameChanger awards aus.

A N D R E A S VO N B E C H T O L S H E I M Der Mitgründer von Sun Micro -

systems war einerder ersten

In vestoren vonGoogle. Heute ist er ein gefragter Berater und Kapitalgeber diverser Tech -unternehmen.

D E L I A F I S C H E R

Die Gründerindes Online ein -richtungs portalsWestwing gilt alsVorzeigeunter-nehmerin der

deutschen Start-up-Szene. Vor

wenigen Wochenging Westwingan die Börse.

P H I L I P P J U S T U S

Der frühere Unternehmens -berater leitet die Google- Geschäfte inDeutschland,Österreich undder Schweiz.Zuvor war er Manager bei

Ebay und PayPal.

J O E K A E S E R

Seit 38 Jahren ar-beitet er für dieSiemens AG, seit2013 ist er Vor-standsvorsitzen-der. Zuvor war erFinanzchef undin leitenden Po-sitionen bei US-Tochterfirmendes Konzerns.

S T E F F E N K L U S M A N N Der Volkswirtwar bis Septem-ber 2018 Chef -

redakteur des manager magazins.Jetzt führt er den

SPIEGEL an.

K O N S U M T E M P E LDeutschlands wertvollste Tech-Start-ups, in Milliarden Euro1

Unternehmen, Geschäftsmodell, Zielgruppe2

Zalando, Onlinemodeshop, B2C

18,4

United Internet, Telekommunikation, B2C

27,4

Delivery Hero, Essenslieferdienst, B2C

36,2

Rocket Internet, Beteiligungsgesellschaft, B2B

43,8

Auto1,Gebrauchtwagenplattform, C2B

52,9

Trivago,Onlinereiseportal, B2C 1,9

6

HelloFresh,Kochboxversender, B2C 1,7

7

Xing,Karrierenetzwerk, B2C 1,4

8

Flixbus,Fernbusbetreiber, B2C 1,0

9

1 | Marktwert im Oktober 2018, teilweise geschätzt; 2 | Business-to-Consumer (B2C), Business-to-Business(B2B), Consumer-to-Business (C2B).Quelle: Thomson Reuters Datastream, mm-RechercheGrafik: manager magazin

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7Extra   manager magazin

Oder wenigstens so wie Zalando.Die Berliner bieten nicht mehr nur Mo-de an, sondern eine ganze Erlebnis-und Warenwelt, die dank künstlicherIntelligenz immer mehr auf die persön-lichen Vorlieben des Einzelnen zuge-schnitten wird  (siehe Seite  12). EinVorteil  gegenüber  allroundern  wieamazon ist die höhere Prognosegenau-igkeit: Wer einem Kunden eine Jackeverkaufen will, tut sich leichter, wenner weiß, welche Hemden und Hosen die-ser trägt. Der liebste Krimiautor und diebevorzugte Zahnpasta helfen da wenig.

auch die Hotelkette Motel One ver-dankt ihren Erfolg der Konzentrationauf die wichtigsten Wünsche ihrer Gäs-te. alles, was für deren Wohlbefindennicht wesentlich ist, warf Gründer Die-ter Müller kurzerhand über Bord. Undobwohl das Übernachten außer Hausimmer  eine Offlinetätigkeit  bleibenwird, ist die Motel-One-Story auch ei-ne Digitalisierungsgeschichte: 60 Pro-zent aller Kunden buchen ihr Zimmerheute  online,  die  meisten  über  dieHomepage oder die leicht bedienbareapp des Münchener Unternehmens.anders als dem Großteil der Konkurren-ten ist es Müller gelungen, Buchungs-portale  wie  Booking.com  und  HrSweitgehend außen vor zu halten. Sobleiben nicht nur die Provisionen imHaus – sondern auch die Kundendaten.Und mit denen hat der Unternehmernoch einiges vor (siehe Seite 16).

Beispiele wie Zalando und MotelOne zeigen, dass die Deutschen Inno-vation und Kundenorientierung nichtverlernt haben und auch global erfolg-reich sein können, wie BaSF im indus-triellen Bereich. Daher zeichnen ma-nager magazin und Bain diese drei mitdem „Game Changer award 2018“ aus– ein Preis für diejenigen, die regelnlieber verändern, als sich anzupassen.

Natürlich ist der Weg für die deut-schen  Einhörner,  zu  echten  GlobalPlayern  zu werden, noch weit,  sehrweit. Bei amazon betrug allein die Um-satzsteigerung von 2016 auf 2017 rund35 Milliarden Euro – mehr als die neungrößten deutschen tech-Start-ups zu-sammen erwirtschaften. Doch selbst

der Gigant aus Seattle kann nicht jedesSegment  beherrschen.  „Die  Markt-macht der großen Plattformen wirdnicht  unbegrenzt  weiterwachsen“,glaubt  Sinn. auch außerhalb Europasgewinnt das thema Datenschutz anBedeutung, die Kartellbehörden sindgegenüber den globalen Datenkrakenkritischer geworden, und Politiker den-ken darüber nach, europäische Gegen-gewichte zu den großen US-Konzernenzu schaffen. „Mit gut skalierbaren Ge-schäftsmodellen kann man sich dage-genstellen“, ist Sinn überzeugt.

Ja, es gibt ein Leben neben amazon.aber den raum müssen sich die Euro-päer auch schaffen. Einige Deutschewerden dabei sein. 1 Claus Gorgs

D I E Z I E L EDie Digi ta lisierung ver-ändert weltweit nahezualle Wirtschaftsbereichevon Grund auf. mit demGame Chan ger awardzeichnen die Beratungs-gesellschaft Bain &Company und managermagazin mutige deut-sche Unternehmen aus,die mit einem disrup -tiven digitalen ansatzdie Spielregeln inner-halb ihrer Branche ver-ändert haben.

D I E K AT E G O R I E NDer Preis wird in dreiKategorien verliehen:1. Customer expe rience:für die umfassendsteVerbesserung des Kauf-erlebnisses oder derDienstleistung für den Kunden.2. Product & Service In-novation: für das besteund überraschendsteneue angebot in einembestehenden markt.

3. Operations of the Future: für die innova-tivste Digitalisierung inder Fer tigungstechnik.

D I E M E T H O D EUnternehmen könnensich für den GameChanger award nicht bewerben, sie werdennominiert. Die auswahlerfolgt über ein mehr-stufiges Verfahren: ausden mehr als 60.000 inDeutschland registrier-ten börsennotierten,privaten und mit risiko-kapital finanzierten Fir-men wird anhand vonKriterien wie mindest -um satz, nachhaltigkeitund digitales Innova -tionspotenzial eineLonglist von 300 Unter-nehmen erstellt. Jedeseinzelne wird anschlie-ßend zunächst einer der drei Preiskategorien zugeordnet und danneiner tiefer gehendenwirtschaft lichen ana-

lyse (Due Diligence)unterzogen. Dabei werden Profitabilität,Innovationskraft unddisruptives Potenzialnach einem Punkte -system bewertet.

D I E F I NA L I S T E NDie fünf Punktbesten injeder Kategorie schaffenes auf die Shortlist undwerden von einer Juryausgewiesener Wirt-schaftsexperten (sieheKasten unten) kritischbegutachtet und vorallem hinsichtlich dernachhaltigkeit ihrerGeschäfts modelle, derlangfristigen erfolgsaus-sichten und der Innova -tions stärke bewertet.am ende dieser Debattesteht in jeder Kategorieein Sieger fest, der alsGame Changer des Jah-res ausgezeichnet wird.Die Preisverleihungfand am 22. november2018 in Berlin statt.

R E GE L N F Ü R DI E R E GE L B R E C H E RWie der Game Changer award funktioniert und nachwelchen Kriterien die drei Preisträger ermittelt werden.

H A R A L D K RÜ G E R

Der Diplom- Ingenieur stieg1992 als Traineebei BMW ein,baute das US-Werk in

Spartanburg mitauf und rückte2008 in den Vor-stand auf. 2015wurde er CEO.

WA LT E R S I N N

Der Betriebswirtist ein intimer

Kenner der deut-schen Wirt-

schaft, vor allemder Finanzbran-che. Seit 2014 ister Deutschland-Chef des Bera-

tungshauses Bain& Company.

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K L A R E L I N I EMartin Bruder-

müller, seit einemhalben Jahr an der

Spitze der BASF, will den

Chemiekonzernein facher und

schneller machen

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Der Chemiekoloss verfügt über die effizientesten Produktionsprozesse der Branche.

In seinen Anlagen steckt bald so viel Elektronikund Sensorik wie in einem Auto.

Der gewaltige Supercomputer „Quriosity“ soll den Vorsprung in der Forschung sichern.

Manche Goldfische glit-zern nicht, sie seheneher unspek takulär aus.Vor allem wenn sie sich

nicht im Aquarium tummeln, sondernim Talentpool der Unternehmen, dem„Goldfischteich“. Fried-Walter Müns-termann (54) ist so ein Typ. Hoch auf-geschossen, schlank, nüchtern vomSeitenscheitel bis zur Ledersohle. Mankönnte ihn ohne Weiteres auf demUni-Campus antreffen, vorzugsweisein zahlenlastigen Fakultäten.

Vor gut einem Vierteljahrhundertwar der Betriebswirt zu dem Chemie-konzern gestoßen. Er reifte in der Unternehmensentwicklung und inGroßbritannien und den VereinigtenStaaten. Zumeist blieb er tief unter derOberfläche. Erst die letzten fünf Jahrewurde er als Koordinator des welt -weiten Einkaufs über den Konzern hinaus sichtbar.

Jetzt übernimmt Münstermannzum Jahreswechsel eine Aufgabe, diefür ihn wie für die BASF den Unter-

schied machen könnte. KonzernchefMartin Brudermüller (57) hat ihn mitder Leitung einer Eingreiftruppe na-mens Process Simplification betraut.Das Einfache ist hochkomplex. DennMünstermanns Taskforce soll im Grun-de genommen eine neue Führungsfor-mel für den Konzern entwickeln.

Die Truppe soll sich die interne Bürokratie des Kolosses mit seinemUmsatz von 65 Milliarden Euro vor-nehmen. Trotz kleiner Reformen istdie Verwaltung mit den Jahren und un zähligen Zukäufen überbordend geworden. Im Konzern herrschen ne-beneinander 5 Segmente, 13 Unterneh-mensbereiche, 55 globale und regionaleGeschäftseinheiten und 86 Produkt -bereiche.

Nicht wenige der 115.000 Beschäf-tigten fühlen sich durch verschlungeneund überlappende Zuständigkeiten inihrem Arbeitseifer und Erfindungs-reichtum gebremst. Immer wieder be-klagen sich auch Kunden, vor allemwenn es mal schnell gehen soll. Daspasst nicht in eine Welt, in der findigeNewcomer zunehmend Tempo undRegeln bestimmen. Und auch nichtzum eigentlichen Können der BASF.

Denn in vielem sind sie in Ludwigs-hafen voll auf der Höhe der Zeit. DieBASF gilt als größter Innovationsquellder Branche. In ihren Labors wurdenund werden neue Formeln entdeckt,bahnbrechende Produkte wie der Iso-lierstoff Styropor entwickelt.

Legendär ist das Verbundsystem.Kunstvoll wie kein zweites Unterneh-men der Branche versteht die BASF jedes noch so kleine Ab fall pro dukt desche mi schen Pro duk ti ons pro zes sesgleich für den nächs ten zu nutzen.

Inzwischen setzt die BASF aberauch in Sachen Digitalisierung Maß -stäbe. Kaum ein anderer deutscher In-dustriekonzern nutzt Big Data so inten-siv wie der pfälzische Chemie gigant.Sei es in der Produktion, der Forschungund zunehmend auch in der Warenket-te oder für neue Geschäftsmodelle.

Besonders modern und effizientsind nach Meinung von MichaelSchertler, Partner bei Bain & Company,die Produktionsprozesse des Kon- 2

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10 manager magazin E x T R A

zerns. „Beim Thema Smart Ma-nufac turing macht der BASF nie-mand in der Branche etwas vor.“Das Unternehmen sei in dieserHinsicht besser als etwa die gro-ßen amerikanischen Wettbewer-ber. „BASF ist es gelungen, seinerund 400 Produktionsstandorteund die komplexen Lieferkettenals Ganzes mithilfe von Digitali-sierung nach vorn zu bringen.“

Ein klarer FahrplanDas Rohrgeflecht auf den gewal-tigen Chemiearealen in Ludwigs-hafen, Antwerpen oder Shanghaiwirkt nur äußerlich wie alte In-dustrie. Tatsächlich steckt darinähnlich viel Elektronik wie in einem Auto. Die Anlagen sind gespickt mit Sensoren und Mess-systemen, die wiederum mit großen Rechnerkapazitäten ver-bunden sind.

CEO Brudermüller, ein Che-miker und Kenner der Prozesse,weiß: „Wir sind vier Wochen vorher informiert, bevor einWärmetauscher den Geist auf-gibt.“ Er weist auf die Tabletshin, mit denen Mitarbeiter an allen Stellen der Anlagen kinder-leicht etwa Ventilstände über -wachen. „Beides erhöht Ver -

fügbarkeit und Sicherheit einerAnlage, die rund um die Uhr imEinsatz sein soll.“

Dass der Konzern aus Lud-wigshafen hier vorn liegt, dafürsorgt nicht zuletzt das ProjektBASF 4.0, aufgelegt 2015 unterdem damaligen KonzernchefKurt Bock (60). Im Zuge desProgramms entwickelte derheutige Werksleiter Ludwigs-hafen, Uwe Liebelt (52), eine digitale Roadmap für alle Ge-schäftseinheiten. „Wir musstenZiele und Schwerpunkte zen-tral bestimmen. Denn beimThema Digitalisierung kannman sich leicht verzetteln“,sagt Brudermüller.

Tatsächlich ist es gelungen,die Kraft zu ballen. Am deut-lichsten greifbar wird das in einem hermetisch abgeriegel-ten 100 Quadratmeter großenRaum des Rechenzentrums inLudwigshafen. Dort blinkt undsurrt seit Mitte vergangenenJahres mit Höchstgeschwindig-keit der Supercomputer „Qu-riosity“.

Er schafft 1,75 Billiarden Re-chenoperationen pro Sekundeund belegt damit Platz 94 in derweltweiten Rangliste der Mega-

rechner. Nur der ÖlkonzernSaudi Aramco – sofern man ihnüberhaupt zur Chemiebranchezählt – verfügt in dem Indus-triezweig über eine noch grö-ßere Kapazität.

Die Forscher und Wissen-schaftler nutzen das neueHandwerkszeug intensiv, dieMaschine ist stets voll ausge-lastet. Sie wird die herkömm -liche Laborforschung mit Glas-kolben, Reagenzgläsern undBunsenbrenner nicht komplettersetzen, aber zum Teil deut-lich beschleunigen. Bruder -müller beziffert den Effizienz-gewinn auf 20 Prozent. Wasden obersten Chemiker in Lud-wigshafen besonders freut: „Esentstehen nun ganz neue For-schungsideen.“

Der Computer half bereitsbei der Modellierung einesneuen Kunststoffs. So konntendie BASF-Forscher aus über10.000 Möglichkeiten die op -timale Struktur berechnen.Durch Simulation im Rechnerfand sich auch ein Möbellack,der allen bisherigen Variantenüberlegen sein soll.

Das System wird kontinu-ierlich mit Daten anderer For-scher und auch aus der Pro -duktion gefüttert. Mithilfe vonAlgorithmen lassen sich dannbeispielsweise Performanceund Lebensdauer von chemi-schen Katalysatoren besserund schneller vorhersagen.

Die BASF nutzt die Ge -winnung und Verarbeitung vonDaten nicht nur für eigeneZwecke. Konzernchef Bruder-müller will mit dem Fundusauch Zusatzgeschäfte mit an-deren Firmen kreieren. Erweiß, dass die Zeit vorbei ist, inder den Kunden einfach Pro-dukte offeriert wurden undsonst nichts. Wer in der Indus-trie dauerhaft Erfolg habenwill, muss darüber hinaus mög-lichst viele DienstleistungenFo

to:

PR

1 | In Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Stand Juni 2018.Quelle: Martin Meuer, Uni Mannheim; Erich Strohmaier, Horst Simon, Lawrence Berkeley National Laboratory; Jack Dongarra, University of TennesseeGrafik: mm

D I E R A N G -L I S T EBASF Nummer 94 unter den Top-500-Rechnern1

R A N G 1Oak RidgeNational

Laboratory(USA)

R A N G 4 5Facebook

(USA)

R A N G 9 4BASF(D)

122,3

3,3

1,8

SU PE R H I R N„Quriosity“ ist

der weltweitleistungs-

stärkste Computer der

Chemie -forschung

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B O S C H Der Konzern istnicht nur der weltgrößteAutozulieferer, sonderneiner der haupttreibervon Industrie-4.0-Lö-sungen in Deutschland.mehr als 270 seinerStandorte hat CEOVolkmar Denner bereitsmit eigener technik di-gitalisiert, bis 2020 sol-len so eine milliardeEuro Kosten eingespartwerden. Die Vermark-tung der smarten tech-nologie unter demnamen nexeed sollnoch einmal dieselbeSumme einbringen.Damit zählen dieSchwaben (umsatz2017: 78 milliardenEuro) zu den Vorreiternbei der Entwicklung desInternets der Dinge.

D Ü R R Der schwäbischemaschinenbauer, derunter anderem Lackier-anlagen für Autobauerund holzbearbeitungs-maschinen herstellt, hat

sein Angebot konse-quent digitalisiert undgehört zu den mitbe-gründern von Adamos,einer herstellerunab-hängigen Industrie-4.0-Plattform mit hohenSicherheitsstandards. Soschafft Dürr-Chef ralfDieter für seine mittel-ständischen Kundenganzheitliche Lösungenund verringert die Ab-hängigkeit von derAuto mobilindustrie, die55 Prozent des umsat-zes von 3,7 milliardenEuro ausmacht.

K RO N E S Als marktfüh-rer von Abfüllanlagenbeschleunigt der mDax-Konzern die Digitali -sierung der Getränke -industrie. mittelfristigsoll der gesamte Wert-schöpfungsprozess vonder Verpackungsherstel-lung bis zum Versanddigital erfasst und soeine Kostenersparnis fürden Kunden von bis zu

20 Prozent erreicht wer-den. Krones (umsatz:3,7 milliarden Euro) hatden Bereich Software-entwicklung stark ausge-baut und ist in der Lage,seine maschinen flexibelan die Bedürfnisse sei-ner Kunden anzupassen.

R I T TA L Das unter-nehmen aus herborn inhessen ist einer der füh -renden Schaltschrank-produzenten der Welt.Durch die Erstellungeines digitalen Zwillingswird jedes modul virtu-ell nachgebildet undkann online exakt konfi-guriert werden. Pro -duktion, montage undWartung sind dadurchbesser und genauer zusteuern, was bei denKunden zu beträchtli-chen Effizienzgewinnenführt. 2016 lag der um-satz der Firma, die zurFriedhelm Loh Groupgehört, bei 2,1 milliar-den Euro.

OP T I M I E RU NG A M F L I E S SBA N DDie Finalisten in der Kategorie „Operations of the Future“tragen die Digitalisierung in die Fabriken ihrer Kunden.

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rund um das Kernprodukt bieten. Fürein knappes Dutzend Groß kunden op-timiert der Chemiekonzern beispiels-weise deren Vorräte und Tankstände.„Das schafft eine tolle Kundenbin-dung“, begeistert sich Brudermüller.Der Konzernchef hofft, dass weitereKunden und auch Lie feranten den Bei-spielen folgen werden und sich einneues Betätigungsfeld für die BASFauftut.

Der Ludwigshafener Chemieriesenutzt seine Er fahrungen aus einzelnenanderen, bereits erfolgreichen Digital-plattformen. So bietet die BASF seit

einiger Zeit Energie- und Industrie-konzernen nicht mehr allein Gas-waschverfahren und Gaswaschmittelzur Abgassäu berung an. Sie könnenjetzt auch ihre Betriebsdaten in einespezielle BASF-Software einspeisenund die Anlagen dann in Eigenregiesteuern. Das erspart die Arbeit exter-ner Ingenieurdienstleister – wie etwaBilfinger – und bringt nach Darstellungder BASF Effizienzvorteile von bis zu20 Prozent.

Verglichen mit den üblichen Ge-schäftsdimensionen der BASF sind dieDigitalplattformen allerdings noch

kleine Münze. Die relevanteste ist die2016 eingeführte Onlineplattform Maglis für die Agrarsparte, die zuletztmit dem Saatgutgeschäft von Bayerverstärkt wurde.

Daten für die LandwirteÜber das System stellt die BASF etwaSatellitendaten übers Wetter und In-dikatoren zur Bodenbeschaffenheit zurVerfügung. Mit deren Hilfe können die Landwirte den optimalen Zeit-punkt für Aussaat, Düngereinsatz undErnte bestimmen. Außerdem lassensich Pflanzenkrankheiten und Schäd-linge identifizieren – und natürlich dierichtige Dosierung der Chemiekeulebestimmen.

Es ist ein Geschäft, auf das die BASFgroße Hoffnungen setzt. Auf den rie -sigen Agrarflächen in Süd- und Nord-amerika wird das „digital farming“mehr und mehr zum Standard. „DieVerknüpfung von digitalen Dienst leis -tungen mit Produkten der Che mie-und Pharmaindustrie ist der Schlüsselfür zusätzliche Wertschöpfung“, er-klärte unlängst erst wieder Ex-Kon-zernchef Bock, damals noch Vorsitzen-der des Verbandes der ChemischenIndustrie.

Allerdings sind die meisten anderenGeschäftsfelder nicht so weit wie diePflanzenschutz- und Saatgutsparte.Viele digitale Geschäftsideen sindnoch im Werden, häufig existiert bis-lang nur eine Roadmap. „Wir haben begonnen mit dem Push. Jetzt mussder Pull kommen“, ermahnt Kon -zernchef Brudermüller seine Leute.„Wir erwarten, dass die einzelnen Ge-schäfte jeweils entsprechende Lösun-gen finden.“

Genau da kommt Goldfisch Müns-termann ins Spiel: Je kürzer die Ent-scheidungswege, je größer der Frei-raum des Einzelnen, desto mehrKreativität wird produziert. Wenn erseine Sache gut macht und wenn dieDigitalisierung der BASF ihre hilfrei-chen Dienste leistet, dann wird sich derWelt größter Chemiekonzern an derSpitze festsetzen. „It’s the simplifica-tion, stupid.“ 1 Thomas Werres

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GAME CHANGER CUSTOMER EXPERIENCE

DATEN ZIEHEN AN

Z A L A N D O

Deutschlands erfolgreichstes Start-up wandelt sich vom Onlinemodehändler zum Techkonzern. Mithilfe

künstlicher Intelligenz baut das MDax-Unternehmen seinen Vorsprung vor der Konkurrenz weiter aus.

Beats wummern durch dieArena-Halle in Berlin-Trep-tow, schwarz gekleideteTee nies lassen sich am

neonpinkfarbenen Adidas-Stand ihreSneaker piercen, einige Meter weiterschießen Mittzwanziger mit Farbku-geln auf unschuldige Kleidungsstücke– im Erfolgsfall macht der Splash- Effekt aus dem Allerwelts- T-Shirt einUnikat. Auf der Streetwear-Messe Bread & Butter gibt es alles, was derHipster so braucht und – noch wich -tiger – was es so nirgendwo anders zukaufen gibt. Wer sich seine Markenkla-motten nicht direkt vor Ort persona -lisieren lässt, bestellt ein limitiertesExemplar online – und zwar bei demUnternehmen, das die quietschbunteKonsumshow veranstaltet: bei Zalando.

Früher als andere hat das erfolg-reichste Start-up aus der Rocket-Inter-net-Familie erkannt, dass auch Online-kunden mehr wollen, als nur möglichstunkompliziert ein Hemd oder ein PaarSchuhe zu bestellen. Sie wollen Spaßbeim Shoppen und Produkte, die nurfür sie gemacht sind – oder zumindestden Anschein erwecken. „Wir schaffen

einzigartige Erlebnisse für unsere Kun-den und bringen sie zusammen mitden Marken, die sie lieben“, sagt Grün-der und Co-CEO David Schneider (36)bei der Eröffnung ohne jede Scheu vorreklamigen Worten.

Für den direkten Kontakt zwischenMode und Mensch hat Zalando die Bread & Butter vor drei Jahren für klei-nes Geld gekauft und das scheintotefrühere Anhängsel der Berlin FashionWeek zu einer Zalando-Marketing ma -schine umgebaut. Stars wie Lauryn Hillund Jaden Smith sorgen für die nötigeAufmerksamkeit, 400 bezahlte Influen -cer aus aller Welt dafür, dass das Eventdort angemessen gewürdigt wird, wosich die Zielgruppe des Onlineversen-ders so tummelt: auf Facebook, Insta -gram und den angesagten Modeblogs.

„Wie viele Besucher auf die Messekommen, ist im Grunde egal“, sagt derbritische Influencer George Goodwin.„Ungefähr 36 Millionen Follower wer-den in den sozialen Medien lesen, dasses toll war und wer alles da war. Das istes, was bei jungen Leuten zählt.“

Wie das Marketing funktioniert dasgesamte Unternehmen: Die wahre Re-

volution geschieht hinter der Benut -zeroberfläche. In den vergangenen dreiJahren hat das Führungstrio DavidSchneider, Robert Gentz (35) und Rubin Ritter (36) Europas größten Onlinemodehändler zu einem Techno-logieunternehmen umgebaut. Mehr als2000 Programmierer treiben mithilfekünstlicher Intelligenz die Personali-sierung des Einkaufserlebnisses voran,ihre Algorithmen werten täglich Mil -liarden von Vorgängen aus.

„Zalando ist ein datengetriebenesUnternehmen, das konsequent vomKunden her denkt“, lobt Siemens-ChefJoe Kaeser. Für Delia Fischer, Grün -derin des Onlineeinrichters Westwing,sind die Kollegen „das absolute Mega-Role-Model“. Und für die Game-Changer-Jury die diesjährigen Preis -träger in der Kategorie CustomerExperience.

Dabei war das Jahr 2018 für das Un-ternehmen eines der härtesten seinerzehnjährigen Geschichte. Erstmalskonnte das Management seine Wachs-tumsziele nicht einhalten, im Septem-ber korrigierte es die Gewinnerwar-tung nach unten, eine Herabstufung 2

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A N F Ü H R E REr versteheweder etwas vonMode noch vomProgrammieren,sagte RobertGentz einmalüber sich selbst.Heute ist ZalandoEuropas größtesOnlinefashion-portal und er einer von drei Co-CEOs

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durch Goldman Sachs und derheftigste Kursrückgang seit demBörsengang 2014 waren die Folge.

Innerhalb weniger Wochenverlor die Aktie mehr als einDrittel ihres Werts. Zalando be-gründete die Fehleinschätzungmit dem extrem heißen Sommer,der die Kunden ins Schwimmbadstatt zum Shoppen getrieben ha-be. Doch viele Anleger überzeug-te das offenbar nicht – zumal diebritischen Rivalen Asos und Boo-hoo für denselben Zeitraum ex-trem positive Zahlen vorlegten.

Falls Robert Gentz die letztenWochen nervös gemacht haben,lässt er es sich nicht anmerken.Der Zalando-Gründer sitzt imbraunen Pullover an einem Drei-erschreibtisch in einem Büro mitetlichen weiteren Arbeitsplät-zen. Er könnte auch ein Marke-tingmitarbeiter sein oder irgend-einer aus dem digitalen BerlinerFußvolk. Auf Chefgehabe legt erkeinen Wert, Vorzimmer und Le-dersessel braucht er nicht, einkleiner Glaskasten als Bespre-chungszimmer reicht.

„Wir waren auch überraschtvon den Zahlen“, gibt er zu. „Siehaben uns gezeigt, dass wir nochflexibler werden und täglich fürunseren Erfolg kämpfen müs-

sen.“ An der Zalando-Story än-dere das aber nichts.

Und diese Story geht so:Nachdem sich der schrilleSchuhversender („Schrei vorGlück!“) zum trendigen On-linemodehaus gewandelt hat,vollzieht sich jetzt der Umbauvom reinen Internethändlerzur umfassenden Plattform,die ihren Kunden nicht nurOutfits, Kosmetik und Acces-soires verkauft, sondern sieauch ihren Vorlieben entspre-chend berät. Eine Website alsdigitaler Lifestyle-Guide.

„Das Modegeschäft ähneltin gewisser Weise der Musik-und Entertainmentindustrie“,sagt Gentz. „Die Kunden legenWert auf ihren eigenen Stil, siewollen unter den vielen unter-schiedlichen Produkten schnelldie für sie relevanten finden.Außerdem müssen die Sachennatürlich passen.“

Für Gentz sind diese Be-dürfnisse Gleichungen, die sichmathematisch lösen lassen.Hier kommt der Robo-Beraterins Spiel, der bei Zalando Algo-rithmic Fashion Companionheißt. Aus der individuellen Be-stellhistorie und 200.000 vonStylisten manuell kreierten

Outfits errechnet das Systempersonalisierte Vorschläge fürden richtigen Look. Langfristigsoll jeder der 24 Millionen Kun-den auf der Homepage eineStartseite sehen, die auf seinenGeschmack zugeschnitten ist.

Flughöhe wie Lufthansa„Wir machen den Computerzum Styleexperten und brin-gen ihm bei, Kundenwünschezu erkennen – am besten bevorder Kunde weiß, dass er siehat“, sagt Gentz. Auch das Grö-ßenproblem löst Zalando mit-hilfe künstlicher Intelligenz:Weil das System weiß, dass bei-spielsweise Jeans verschiede-ner Hersteller unterschiedlichausfallen, berücksichtigt es das– und legt beim Kauf einer an-deren Marke automatisch eineNummer größer oder kleiner indie digitale Auslage.

600 Modeexperten fütterndie Maschine mit Informatio-nen: Welcher Rock passt zuwelchem Top? Welche Lippen-stiftfarbe sieht dazu gut aus?Und wenn die Kundin Teile zu-rückschickt, weil die Rottönesich beißen oder die Jeanskneift, fließt diese Informationsofort wieder in den Prozessein. Der Robo-Berater lernt ausseinen Fehlern. „Kundendatenallein sind nicht das Gold desInternetzeitalters, sondern das,was man daraus macht“, sagtOliver Merkel, Handelsexperteund Partner beim Beratungs-unternehmen Bain & Compa-ny. „Zalando ist auf diesem Ge-biet deutlich weiter als andereund hat die Expertise selbstaufgebaut, ist also von nieman-dem abhängig.“

Inzwischen öffnen die Ber-liner ihre Plattform für andereHersteller und Händler undbinden deren stationäre Ge-schäfte in ihr Netzwerk ein.Wenn ein Kunde Adidas-Schu-he bestellt, kann es sein, dass

E C H T E SL E B E N35.000 Besu-cher, 36 Millio-nen Follower:Die Street -wear -MesseBread & Butterist eine Zalando-Mar-ketingshow

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diese aus einem Geschäft in der Innen-stadt ausgeliefert werden, falls dasschneller geht als über das Zalando-Versandzentrum. Kleineren Händlernohne eigenen Webshop bietet sich dasUnternehmen als Vertriebsdienstleis-ter an – gegen Provision, versteht sich.Einige eigene Geschäfte gibt es inzwi-schen auch. Die aber dienen in ersterLinie als hausinterne Resterampe, überdie Retouren und Kleidungsstücke mitkleinen Fehlern vermarktet werden.

Die Skeptiker, die Zalando wegender vielen Retouren und den daraus re-sultierenden Kosten den Untergangprophezeiten, sind inzwischen ver-stummt. Seit vier Jahren ist das Unter-nehmen mit aktuell rund 15.000 Be-schäftigten und 4,5 Milliarden EuroUmsatz profitabel. Selbst nach demKurssturz vom September war dasStart-up an der Börse immer noch 8,4Milliarden Euro wert – etwa so viel wieLufthansa. „Für mich ist Zalando mit-telfristig ein Dax-Kandidat“, sagt Bain-Berater Merkel.

Gegner mit maximaler FeuerkraftDoch selbst wenn alle Pläne der Berli-ner aufgehen und sie in Zukunft die ho-hen Erwartungen ihrer Anleger wiedererfüllen können: Der Hauptrisikofak-tor für ihr Geschäftsmodell lässt sichdurch künstliche Intelligenz nicht aus-schalten: Amazon. Anders als Zalandoist der weltgrößte Onlinehändler glo-bal vertreten und hat mit Cashreservenvon 20 Milliarden US-Dollar nahezuunbegrenzte finanzielle Feuerkraft. Er-klärtes Ziel der Amerikaner ist es, ihrenModeumsatz auf 50 Milliarden US-Dollar jährlich auszubauen – auch mitteurer Markenbekleidung. Ende Okto-ber eröffneten sie demonstrativ einenPop-up-Store in Londons Baker Street.

Derzeit ist Amazon eher der Wool-worth unter den Versendern: T-Shirtsund Socken, okay, aber ein wirklichtrendiges Outfit würde kein Influencerdort bestellen. Andererseits: Wer hättegedacht, dass der Buchversender ausSeattle einmal ein führender Händlerfür Baumarktartikel sein oder gar Le-bensmittel verkaufen würde? „Wer ge-gen Amazon bestehen will, muss sich

eine Kategorie herausgreifen und dieum Klassen besser spielen“, sagt Bain-Berater Merkel. „Zalando traue ich daszu.“ Auch Rocket-Internet-Chef OliverSamwer (46) glaubt, dass das Zalando-Management das packen kann.

Robert Gentz will weiter angreifen.Mode sei ein komplexes Geschäft, ins-besondere in Europa mit seiner regio-nalen Vielfalt, den unterschiedlichenSprachen und Bezahlmethoden. „Indiesem gigantischen Markt haben wiruns als größter Onlineanbieter für Mode etabliert – und halten gerade mal1,3 Prozent Marktanteil der europäi-schen Modebranche. Das Potenzial istalso immer noch sehr groß.“ Daraufkomme es ihm an.

Gerade hat Zalando seinen erstenBeautystore eröffnet und Kosmetik-produkte für Männer eingeführt. HauteCouture? Ein Premiumkonzept? Ak-quisitionen? Alles scheint möglich.„Ich habe keine Ahnung, wie Zalandoin zehn Jahren aussieht, aber ich blickemit großem Respekt auf die Herausfor-derungen, die noch vor uns liegen.“

Das, sagt Gentz, sei eine der Lehren,die er aus seiner ersten Start-up-Erfah-rung gezogen habe. Anfang des Jahrtau-sends hatte er mit David Schneider einsoziales Netzwerk in Lateinamerika ge-gründet – und war pleitegegangen. „Daswar wichtig für die Selbstrefle xion“,sagt er heute. „Man darf sich selbst niezu stark fühlen.“ 1 Claus Gorgs

D E L I V E RY H E ROGründer Niklas Östbergist es gelungen, das 2011gegründete Start-up zueiner der weltgrößtenPlattformen für Online-essensbestellungen auszubauen. DeliveryHero ist in mehr als40 Ländern aktiv undarbeitete 2017 knapp300 Millionen Aufträgeab, von der Pizza biszum Drei-Gänge-Menü.Die Kunden profitierenvom großen Angebot,200.000 Partnerrestau-rants sind mit dabei, dieProvisionen an DeliveryHero abführen müssen.2017 lag der Umsatz bei 544 Millionen Euro,Gewinn erzielt das Unternehmen allerdingsnoch nicht.

I N G - D I B A Mit neunMillionen Kunden undeinem verwalteten Kapi-tal von 163 MilliardenEuro ist die Tochter des

niederländischen Fi-nanzkonzerns ING kla-rer Marktführer unterden Direktbanken inDeutschland und dieNummer eins in derKundenzufriedenheit.Eine leicht verständ -liche App mit innovati-ven Funktionen wieVideoauthentifizierungsowie ein konsequentesVorstoßen in digitaleGeschäftsfelder wieRobo-Advising tragendazu bei, dass die ING-Diba deutlich besser abschneidet als dieBranche insgesamt.

L I L LY D O O In seinenknapp drei Jahren amMarkt ist es dem Start-up der ehema li genProcter-&-Gamble- Manager Gerald Kullackund Sven Bauer ge -lungen, mit seinen Windeln zum ernst zunehmenden Rivalen von Pampers und Co.

auf zustei gen. Statt inklassischem Weißkommt der Nässeschutzder Frankfurter bunt designt daher; beson-ders hautverträglicheMaterialien, ein simplesAbomodell und der Ver-trieb über die Drogerie-kette dm sorgten füreinen Kundenzuwachsvon mehr als 30 Prozentseit 2016.

R A I S I N In Deutsch-land besser unter derMarke WeltSparen bekannt, nutzt die Platt-form die europäischeEinlagensicherung, umihren Kunden per AppZugang zu risikofreienFestgeldanlagen vonmehr als 50 Partner -banken zu gewähren.Innerhalb eines Jahreskonnte das BerlinerStart-up das verwalteteVermögen um zwei Milliarden auf sechsMil liarden Euro steigern.

DI E K U N DE N V E R ST E H E RDie Finalisten der Rubrik „Customer Experience“ machenes ihren Nutzern bequem – manchmal sogar babyleicht.

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PR E I S -B EW US STMotel-One- Gründer DieterMüller verzichtetin seinen Hotelsauf Kostentreiber wie Restaurants,Fitnessräumeoder Minibars aufden Zimmern –und hält so diePreise niedrig

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GAME CHANGER PRODUCT & SERVICE INNOVATION

DAS GOLF-HOTEL

M O T E L O N E

Mit preiswerten Design -hotels hat das

Münchener Unter -nehmen ein neues

Marktsegment geschaffen und die

Spielregeln der Brancheumgeschrieben.

Jetzt denkt GründerDieter Müller

über den Gang an dieBörse nach.

D er­Ausgang­aus­dem­Fuß-gängertunnel­unter­demMittleren­ Ring­ ist­ ge-sperrt,­ und­ das­ offen-

sichtlich­nicht­erst­seit­gestern.­Die­Absperrgitter­stehen­leicht­schief,­aufden­ verwitterten­ Betonstufen­ sam-meln­ sich­ Blätter­ und­ Plastikmüll,­Unkraut­sprießt­aus­den­Fugen.­Die­Tegernseer­Landstraße­hier­im­Mün-chener­ Stadtteil­ Obergiesing­ hatschon­bessere­Zeiten­gesehen.­In­denFenstern­ der­ längst­ geschlossenenSpar­kassenfiliale­ verbleichen­ dieWerbe­plakate,­Geschäftigkeit­herrschtlediglich­an­den­beiden­Tankstellendiesseits­und­jenseits­der­vierspurigenFahrbahn.­Und­ in­ einem­ schlichten­ ­14-stöckigen­Gebäude­mit­der­Haus-nummer­165.

Hinter­dessen­Eingangstür­tut­sicheine­andere­Welt­auf.­Designermöbel,indirektes­Licht,­junge­Leute­in­Jeansund­ Sakko­ eilen­ über­ ­Fußböden­ inHolzoptik,­nebenan­in­der­Bar­tippenMänner­und­Frauen­in­Ledersesseln­in­ihre­Laptops.­An­den­Wänden­hän-gen­großformatige­Fotos­mit­Wohl­-

fühl­ambiente,­nur­auf­einem­ist­einMensch­zu­sehen:­Ein­älterer­Herr­imdunklen­Anzug­sitzt­vor­einem­Kamin-feuer,­ein­Glas­Rotwein­in­der­Hand.­Erlächelt.­

Der­Mann­auf­dem­Foto­heißt­Die-ter­Müller­(64),­er­hat­vor­18­Jahren­dieHotelkette­Motel­One­gegründet­unddamit­ die­ Spielregeln­ der­ Branche­verändert.­Qualität­ganz­oben,­Kostenganz­unten­–­das­hatte­es­so­noch­nichtgegeben.­ Auch­ der­ Firmensitz­ imschmucklosen­Münchener­Süden­wirktnicht­nur­wie­ein­Hotel,­er­ist­auch­eins.Dass­die­Manager­ auf­dem­Weg­ ins­Büro­den­Gästen­begegnen,­ist­gewollt.Dass­der­Geschäftsführer­vor­dem­Auf-zug­schon­mal­warten­muss,­weil­gera-de­vier­­Personen­mit­fünf­Koffern­zumAuschecken­fahren,­gehört­auch­dazu.­Motel­One­macht­ziemlich­viel­andersals­ ­andere.­Und­dabei­ ziemlich­ vielrichtig.­Das­Unternehmen­ ist­heuterund­1,5 Milliarden­Euro­wert.­

Mit­einer­Gewinnmarge­von­22­Pro-zent­vor­Zinsen­und­Steuern­sowie­ei-ner­Auslastungsquote­von­77­Prozentsetzt­die­Kette­Maßstäbe­in­der­Ho- 2

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telbranche.­Nach­Berechnungender­ UnternehmensberatungBain­&­Company­macht­MotelOne­pro­Zimmer­15­bis­20­Pro-zent­mehr­Umsatz­als­der­Haupt-wettbewerber­Ibis.

Alle­ paar­ Wochen­ eröffnet­irgendwo­in­Europa­ein­neuesHaus,­71­sind­es­derzeit:­von­Lü-beck­bis­Barcelona,­zehn­allein­inBerlin;­24­weitere­sind­bereitsprojektiert.­Und­das­alles­finan-ziert­aus­laufenden­Einnahmen,die­letzte­Kapitalerhöhung­gabes­vor­mehr­als­zehn­Jahren,­alsMorgan­Stanley­mit­35­Prozenteinstieg.­ Müller­ selbst­ hältdurchgerechnet­23­Prozent­derAnteile,­Daniel­und­Oliver­Hopp,die­ Söhne­ des­ SAP-GründersDietmar­Hopp,­sind­mit­21­Pro-zent­ beteiligt,­ den­ Rest­ teilensich­weitere­private­Investoren.­

„Motel­One­ist­es­gelungen,­in­einem­Markt,­von­dem­mandachte,­es­gibt­schon­alles,­einneues­Produkt­anzubieten,­das

die­Kunden­vollkommen­über-zeugt“,­sagt­Google-Deutsch-land-Chef­Philipp­Justus.­Die-ter­Müller­schaffte,­was­vielenicht­für­möglich­hielten:­denKomfort­und­das­Design­einesOberklassehauses­ mit­ denPreisen­eines­Budgethotels­zuverbinden­und­damit­eine­neueHotelkategorie­zu­schaffen.­Da-für­zeichnet­ihn­die­Jury­mitdem­ Game­ Changer­ Award2018­in­der­Kategorie­Product&­Service­Innovation­aus.

Bei­der­Umsetzung­seinesKonzepts­folgte­der­langjährigeManager­ des­ französischenBranchenführers­Accor­einemeinfachen­ Grundsatz:­ Alles,worauf­die­Kunden­am­meistenWert­legen,­ist­vom­Feinsten:Bett­und­Bad­genügen­höchs-ten­Ansprüchen,­das­Mobiliarist­stylish,­die­Bar­exquisit.­Da-für­müssen­sich­die­Gäste­mit16­Quadratmetern­pro­Zimmerbescheiden,­einen­Fitnessbe-

reich­gibt­es­ebenso­wenig­wieein­Restaurant­oder­Telefon­aufdem­Zimmer.­Dafür­aber­kos-tenloses­ WLAN­ überall.­ DieZimmerpreise­sind­fix­und­lie-gen­je­nach­Standort­zwischen59­und­ 111­Euro.­ „Mit­dieserStrategie­ spricht­ Motel­ OneKunden­von­Drei-Sterne-­bishin­ zu­ Fünf-Sterne-Häusernan“,­sagt­Oliver­Merkel,­Partnerund­ Hotelexperte­ bei­ Bain.„Das­Preis-Leistungs-Verhält-nis­ist­so­gut,­dass­wirklich­je-der­ins­Grübeln­kommt.“

Digitaler Check-inDieter­ Müller­ ist­ braun­ ge-brannt­ und­ lächelt­ so­ ent-spannt­wie­ auf­dem­Foto­ imFoyer,­obwohl­er­gerade­einehalbe­ Stunde­ im­ Stau­ standund­zu­spät­kommt.­Noch­einkurzer­Plausch­mit­dem­Bar-keeper,­dann­lässt­er­sich­in­dieweiche­ Ledercouch­ sinken.„Ich­weiß,­ dass­ ich­ jetzt­ der­Gejagte­bin“,­sagt­er.­„Aber­ichfühle­mich­nicht­so.“

Mit­ seinem­ Erfolg­ in­ der­Nische­hat­er­jede­Menge­Wett-bewerber­ angelockt,­ die­ mitvergleichbaren­Konzepten­umdie­reisefreudige­Kundschaftbuhlen.­ Von­ oben­ kommen­Designhotels­wie­25hours,­diezwar­höhere­Preise­verlangen,aber­dafür­ausschließlich­Top-lagen­sowie­mehr­Bewegungs-freiheit­bieten.­Von­unten­sindes­Hostels­wie­B&B,­deren­Barszwar­ nicht­ 40­ verschiedeneSorten­Gin­führen,­die­aber­mitnoch­günstigeren­Tarifen­undkostenlosen­ Parkplätzen­ beider­preisbewussteren­Klientelpunkten.

In­ den­ vergangenen­ fünfJahren­steigerte­Motel­One­sei-ne­Erlöse­im­Schnitt­zwar­umje­18­Prozent­–­das­ist­mehr­alsdas­Dreifache­des­Marktes,­derim­gleichen­Zeitraum­um­etwa5­ Prozent­ wuchs.­ Insgesamtkommt­die­Gruppe­allerdings

N EU E H E I M ATDesignmöbelund eine hoch-wertige Aus-stattung gebenden Motel-One-Häuserndie besondereAtmosphäre,die viele Kun-den schätzen

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A R AG O 80 Prozentaller Prozesse lassensich mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) durchAlgorithmen ersetzen,ist Gründer Chris Boosüberzeugt. Er hat einMaschinengehirn na-mens Hiro entwickelt,das sowohl aus eigenenErfahrungen als auchaus dem Verhalten seiner menschlichenKollegen lernt. Arago(Umsatz: rund 100 Mil-lionen Euro) gilt alsHidden Champion inder KI-Branche und als eines der wenigenUnternehmen, die estechnologisch mit Google aufnehmen können.

C L A A S Der ostwestfä-lische Landmaschinen-hersteller wandelt sichzum Digitalkonzern.Seine Traktoren undMähdrescher erntennicht nur Getreide, sondern die Daten zu

Reifegrad und Boden be -schaf fenheit gleich mit.Über die cloud basiertePlattform 365FarmNetwerden alle relevantenAkteure und Informa-tionen vernetzt. Miteinem Umsatz von3,8 Milliarden Euro istClaas Marktführer inEuropa.

O T T O B O C K DieSchnittstelle zwischenBiologie und Technolo-gie ist das Spezialgebietdes Herstellers von Pro-thesen und Mobilitäts-hilfen aus Duderstadt(Niedersachsen). Diedirekte Verknüpfung di-gitaler Technik mit demmenschlichen Nerven-system ermöglicht esPatienten, einen künst -lichen Körperteil annä-hernd so zu steuern undzu benutzen wie einennatürlichen. So werdenselbst komplizierte Fingerbewegungen miteiner Handprothese

möglich. Das Unterneh-men unter Vorstands-chef Oliver Scheel istder Innovationsführerseiner Branche und erzielte 2017 mit welt-weit 7000 Mitarbeiterneinen Umsatz von927 Millionen Euro.

S C A L A B L E C A P I TA LMit seinem rasantenWachstum und seineminnovativen Investi -tions ansatz ist das Mün-chener Fintech unter -nehmen zurzeit derTrendsetter der Finanz-branche. Über einen Algorithmus managt einRobo-Berater das Geldseiner Kunden, die sichdie Entwicklung ihresPortfolios jederzeit viaApp anschauen können.Nach vier Jahren amMarkt verwalten dieGründer Erik Podzuweitund Florian Prucker in-zwischen ein Vermögenvon mehr als einer Mil-liarde Euro.

T E C H M I T GE F Ü H LDie Finalisten der Kategorie „Product & Service Innovation“bringen humane und künstliche Intelligenz zusammen.

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nur­auf­einen­Jahresumsatz­von­rund400­Millionen­Euro­–­so­viel­macht­eine­gut­gehende­Luxushotelkette­miteinem­Zehntel­der­Standorte.­Kritik,Motel­One­expandiere­nicht­schnell­ge-nug,­um­sich­unangreifbar­zu­machen,wischt­ Müller­ jedoch­ vom­ Tisch:„Wachstum­ist­für­mich­kein­Ziel­ansich.­Mir­geht­es­ausschließlich­um­her-vorragende­Standorte,­wie­viele­dassind,­ist­egal.“

Der­Gefahr,­dass­sein­18­Jahre­altesErfolgsmodell­aus­der­Mode­kommenkönnte,­ versucht­ der­ Unternehmerdurch­stetige­Weiterentwicklung­zu

entkommen.­Jedes­Haus­hat­ein­indi-viduelles­Motto­und­wird­alle­fünf­bissieben­Jahre­einem­Redesign­unter­-zogen,­damit­auch­Stammgäste­bei­ih-ren­Besuchen­immer­noch­etwas­Neu-es­entdecken­können.­„Motel­One­istder­VW­Golf­unter­den­Hotels“,­sagtBain-Experte­Merkel.­„Die­Kette­liefertverlässliche­Qualität,­hat­einen­hohenWiedererkennungswert­und­gibt­denKunden­einfach­ein­gutes­Gefühl.“

Schon­bald­sollen­Kunden­in­vielenHäusern­auch­digital­einchecken­unddie­Zimmertür­mit­dem­Smartphoneöffnen­können.­Der­Weg­zur­Rezeption

entfiele­dann­ganz­–­außer­natürlich,der­Gast­hat­seine­Zahnbürste­verges-sen­oder­braucht­noch­eine­Restau­-rantempfehlung­für­den­Abend.­„DieDigitalisierung­ ermöglicht­ unserenMitarbeitern,­sich­mehr­um­die­Gästezu­kümmern,­wie­ein­klassischer­Con-cierge.­So­etwas­ist­plötzlich­auch­imBudgetsegment­möglich“,­schwärmtMüller.­

Der Abschied rückt näherVor­wenigen­Monaten­hat­die­Kette­eineigenes­Bonusprogramm­namens­BeOne­eingeführt,­das­noch­ausgebautwerden­soll.­Personalisierte­Angebote,Ausflugstipps­schon­vor­der­Anreise,den­Lieblingsdrink­zum­Vorzugspreis:Alles­möglich,­sagt­Müller,­aber­so­weitsei­man­derzeit­noch­nicht.­Auch­Co-working-Spaces­innerhalb­der­Hotelskann­er­sich­vorstellen.­Schon­heutestehen­Lobby­und­Bar­nicht­nur­denGästen­zur­Verfügung,­Laufkundschaftist­ausdrücklich­erwünscht.­„Wir­mö-gen­diese­Atmosphäre­aus­Leben­undArbeiten.­Das­passt­zu­uns.“

Seine­ persönliche­ Work-Life-Ba­-lance­hat­der­Gründer­zuletzt­stärkerin­Richtung­Life­verschoben.­Aus­demoperativen­Geschäft­hält­er­sich­nacheigener­Aussage­inzwischen­weitge-hend­heraus,­seit­Januar­2018­fungiertsein­Sohn­Daniel­Müller­(40)­als­Co-CEO.­Die­alleinige­Nachfolge­des­Va-ters­wird­er­aber­wohl­nicht­antreten,demnächst­soll­ihm­Entwicklungschef­Stefan­Lenze­als­weiterer­Co-CEO­zurSeite­gestellt­werden.­

Damit­rückt­auch­ein­Szenario­nä-her,­das­sich­Dieter­Müller­für­den­Zeit-punkt­seines­Ausscheidens­zurecht­-gelegt­ hat:­ der­ Börsengang­ seinesUnternehmens.­Denn­obwohl­er­nachKapitalanteilen­nur­noch­Juniorpart-ner­seiner­Investoren­ist,­verfügt­ernach­wie­vor­über­die­Mehrheit­derStimmrechte.­Um­seinem­Sohn­nichtdie­ gesamte­ Verantwortung­ aufzu­-bürden­ und­ zu­ einer­ fairen­ Lösungauch­für­seine­Tochter­zu­kommen,­dienicht­an­der­Unternehmensführungbeteiligt­ist,­sei­der­Weg­aufs­Parketteine­mögliche­Lösung.­„Darüber­denkeich­schon­nach.“­1 Claus Gorgs

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INTERVIEW

Herr Hinrichs, langeschien es, als hätten dieDeutschen den E-Com-merce-Boom verschla-

fen. Inzwischen gibt es mit Zalan-do, Delivery Hero, Flixbus oderAuto1 eine ganze Reihe internatio-nal erfolgreicher Unternehmen.Hat es endlich klick gemacht?LARS HINRICHS Das sind alles tolle Un-ternehmen mit guten Geschäftsideenund Gründern, die unglaublich hart arbeiten. Ich wünsche allen, dass sie esschaffen, doch der Weg zu echten Glo-bal Champions ist noch weit. WissenSie, was der größte Unterschied zwi-schen deutschen Unternehmen unddenen im Silicon Valley ist?Sagen Sie’s uns.Fast alle Unternehmer im Silicon Val-ley wie Marc Benioff von Salesforceoder Mark Zuckerberg von Facebooksind Softwareentwickler oder Inge-nieure. Die deutschen Stars von RocketInternet bis Zalando haben überwie-gend einen BWL-Hintergrund. Ichglaube, das ist einer der fundamentalenGründe, warum Geschäftsmodelle hierwie dort sind, wie sie sind.Das müssen Sie erklären.Alle relevanten Anbieter digitalerDienstleistungen für Privatkundenkommen aus Amerika. Amazon, Ebay,Google, all die Global Player. Warum?Weil sie nach dem Prinzip verfahren:Code it, ship it. Sie entwickeln Lösun-gen, von denen sie denken, dass dieKunden sie haben wollen, werfen sieauf den Markt und sehen, was passiert.Wir Deutschen sind Weltmeister imÜberoptimieren. So verlieren wir denKampf um die globalen Märkte, weildie anderen einfach schneller sind.Das einstige Tech-Start-up Wire-card hat gerade die Commerzbankaus dem Dax verdrängt. Spricht dasnicht gegen Ihre These?Überhaupt nicht. Wirecard ist im Fir-menkundengeschäft unterwegs. In sowas sind wir Deutschen super, sieheSAP. Aber unter den 30 größten deut-schen Firmen ist nicht ein Digitalkon-zern, der sein Geld mit privaten Konsu -menten verdient. In den USA sind essieben, darunter die Plätze eins bis vier.

Woran liegt das?Eine der fundamentalen Fehlentschei-dungen der Politik war, dass sichEuropa in den 90er Jahren beim Daten-schutz für das sogenannte Opt-in- Verfahren entschieden hat, das heißt,es sind nur solche Dienstleistungenund Datennutzungen erlaubt, denender Kunde ausdrücklich zustimmt.Ame rika ist den umgekehrten Weg ge -gangen. Dort ist grundsätzlich alles erlaubt, es sei denn, der Kunde wider-spricht ausdrücklich. Was ist schlecht daran, dem Kun-den zu überlassen, welche Diensteer nutzen will und welche nicht?Man kann doch nicht die Leute fragen,was sie haben wollen, wenn sie esselbst noch nicht wissen. Innovationbedeutet, Dinge auszuprobieren, dienoch keiner gemacht hat. Wie wollenSie von einem Kunden eine Einver-

ständniserklärung zur Nutzung einerSoftware bekommen, von der niemandweiß, was sie am Ende kann? Wennsich diese Denkweise bei uns nicht än-dert, sehe ich schwarz für Deutschlandals Technologiestandort.Inwiefern?Datenschutz-Grundverordnung, Leis-tungsschutzrecht: Das sind Mauern ge-gen den technologischen Fortschritt.Glauben Sie, Google oder Facebookwerden vor dem Entwickeln neuer Fea-tures uns Europäer fragen, ob wir ein-verstanden sind? Wenn wir sie nichtzulassen, wird es sie bei uns nicht ge-ben, dann sind wir draußen, Punkt. DerFortschritt findet dann ohne uns statt.Sie fordern Marktwirtschaft pur?Natürlich müssen sich Unternehmenan gewisse Grundstandards beim Da-tenschutz halten, auch Apple und Goo-gle. Und Steuern zahlen müssen sie

Mit dem Karrierenetzwerk Xing hat er eines der erfolgreichsten deutschen Start-ups

aufgebaut, heute hadert Lars Hinrichs mit demStandort und dessen Gründerszene.

Ein Gespräch über die Hindernisse, einen Weltmarktführer zu schaffen.

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DIE ANDEREN

SIND EINFACH

SCHNELLER

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VOM GRÜ N DE RZ U M I N V E STOR

Mit 26 gründeteLars Hinrichs dasKarrierenetzwerkXing, heute ist der41-Jährige mit sei-ner Firma Cinco

Capital bei diversenStart-ups investiert

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Das Interview führte mm-Mitarbeiter Claus Gorgs.

auch. Aber wir müssen aufhören, dieUS-Konzerne als etwas Böses zu be-trachten. Sie sind so groß geworden,weil die Menschen ihre Produkte woll-ten. Niemand wird gezwungen, einiPhone zu kaufen oder die Google-Su-che zu nutzen. Das machen die Leutefreiwillig, weil sie einen Nutzen davonhaben. Wer wie die EU-Kommissionauf maximalem Verbraucherschutz be-steht, verhindert, dass in Europa glo-bale Champions entstehen können.Wenn die Bedingungen für Tech -unternehmen bei uns so schlechtsind, warum sind Sie nicht längstim Silicon Valley? Ich habe zwei Kinder und einen Hund,und ich liebe Hamburg.Und Sie investieren in Start-ups. Ja, aber nur in Business-to-Business-Geschäftsmodelle.Zalando ist an der Börse – Stand29.10. – 8,4 Mil liarden Euro wert,Flixbus expandiert in den USA. Gibtes bei uns nicht doch Firmen mitdem Zeug zum Global Player?Ich bin überzeugt, dass auch wir Deut-schen globale Internetunternehmenaufbauen können, aber der Weg dort-hin ist lang und steinig. Langfristigwerden nur die bestehen, die ein ori -ginäres Geschäftsmodell und einenweltweiten Markt haben. Und derenGründer von einer Idee getrieben wer-den, nicht von Geld. Dann besteht dieChance, dass wir eines Tages nebenSAP einen zweiten deutschen Tech-champion haben werden.Fürchten Sie, dass die erfolgreichendeutschen Start-ups aufgekauftwerden?Die Gefahr besteht. Flixbus ist schonmehrheitlich in der Hand amerika -nischer Investoren. Und nicht jederGründer ist hungrig genug, denschwierigen Weg zum globalen Unter-nehmen selbst zu gehen. So manchersagt irgendwann: Ein paar HundertMillionen Privatvermögen reichen mir. Sie selbst haben das heutige Tec -Dax-Unternehmen Xing vor Jahrenverkauft. Waren Sie nicht mehrhungrig genug?Nein, ich hatte keine Lust mehr. Ichwollte wieder etwas Neues machen,

wieder mit Technikern arbeiten. Heutebin ich in mehreren Start-ups in -vestiert, von denen einige das Poten-zial haben, zu etwas ganz Großem zuwerden.Sie sprechen vom IT-DienstleisterEnfore, der den Mittelstand ver -netzen will? Ich setze große Hoffnungen in Enfore.Marco Börries ist ein Unternehmer,der schon mehrfach Erfolg hatte undder eine richtig große Vision hat. Hand-werk und Gewerbe zählen zu den letz-ten großen Märkten, die man gewinnenkann, sie sind maximal fragmentiert. Ist der Mangel an großen Ideen, denSie beklagen, nicht oft auch eineFrage der Finanzierung?Ja, auch. US-Investoren finanzieren eine gute Idee über zwei Jahre, ohnegroß zu fragen. Hauptsache, man bautso schnell und so groß wie möglich.Deutsche Investoren wollen immer soschnell wie möglich wissen, ob sich dieSache rentiert, damit die nächste Fi-nanzierungsrunde auch noch klappt.Was wir in Deutschland brauchten, wäre eine staatliche Mezzanine-Finan-zierung für Start-ups, um die Lücke zuden USA kleiner zu machen. Wie soll das gehen?Warum stellt der Staat nicht für jedeMillion qualifiziertes Risikokapital, dieein Start-up einwirbt, zusätzlich zweiDrittel dieser Summe als langfristigenKredit zur Verfügung? Das würde dieChancen, schnell eine relevante Größezu erreichen, schlagartig erhöhen. Was

wir brauchen, ist eine flächendeckendeDruckbetankung mit Kapital, ohnedass man erst lange mit Banken ver-handeln und tausend Kriterien für einKfW-Darlehen erfüllen muss. China gilt als größter Herausfor -derer der US-Konzerne. Wann kom-men Alibaba und Co. nach Europa?Die sind längst da. Die Chinesen kau-fen gerade ein KI-Unternehmen nachdem anderen auf. Die Japaner wie Ra-kuten oder Softbank mit dem VisionFund übrigens auch. Die kaufen alleein. Und zwar gehörig.Sie erwarten, dass sie eher über Zukäufe in Deutschland groß wer-den als mit eigenen Marken?Das eine schließt das andere nicht aus.China hat sich zum Ziel gesetzt, fünfder zehn größten Techunternehmender Welt zu stellen und führend beikünstlicher Intelligenz zu sein. Die Unternehmen haben Zugang zu staat-licher Finanzierung und nahezu zehn-mal so viele Ingenieure wie wir inDeutschland. Hinzu kommt dieser riesige, weitgehend von Konkurrenzabgeschottete Binnenmarkt. Das istschon ein echt gutes Geschäftsmodell.Was passiert, wenn China den deut-schen Markt zum strategischen Zielerklärt?Hoffen wir, dass es genügend heimi-sche Unternehmer gibt, die nicht ver-kaufen.Klingt sehr pessimistisch.Im B2B-Bereich haben wir Chancen,B2C würde ich abschreiben – bis aufganz wenige Ausnahmen. Verglichenmit den Playern aus Amerika oderAsien sind die deutschen nach wie vorwinzig. Gilt das auch für Xing?Zu xing äußere ich mich nicht mehr.Das habe ich beim Verkauf verspro-chen, und daran halte ich mich.Xing ist heute 1,4 Milliarden Eurowert. Haben Sie je bereut, verkauftzu haben?Nein, keine Sekunde. Geld war nochnie mein Antrieb. Ich möchte Proble-me lösen. 1

ES GIBT DIE CHANCE

AUF EINENZWEITEN

DEUTSCHENTECH-

CHAMPION NEBEN SAP.

Lars Hinrichs

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Am 12.12.2018 vor Ort bei Telefónica in München.

Netze der Zukunft – Warum Deutschland bei

der digitalen Infrastruktur nicht

den Anschluss verpassen darf

MARKUS HAASChief Executive Offi cer (CEO) &Vorstandsvorsitzender Telefónica Deutschland Holding AG

VORTRÄGE

Der Businessclub des manager magazinsAlle Informationen und weitere

Veranstaltungen unter [email protected]

Tel.: +49 40 38080-505 www.manager-lounge.com

Am 21.02.2019 vor Ort beim Re-Start-up

„Wer liefert was“ in Hamburg

Vom Verlag zur Internet-

Company – wie dieses Meister-stück gelingt!

PETER F. SCHMIDCEO | geschäftsführender Gesellschafter„Wer liefert was“

Am 20.11.2018 in Nürnberg.

Die richtige Unternehmens-

kultur als Schlüssel für den

erfolgreichen Weg vom Heute

ins Morgen.

DR. S IDON IE GOLOMBOWSKI -DAFFNERLeiterin der Novartis Pharma GmbHCountry President Novartis Deutschland

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Disruptive Geschäftsmodelle verändern ganze Branchen und das Zusammenwachsen der physischen und der virtuellen Welt treibt diese Veränderungen stark voran. Mit dem Game Changer Award – initiiert von Bain & Company und manager magazin – werden Unternehmen ausgezeichnet, denen es gelungen ist, die Spielregeln für sich und ihre Branche zu verändern. Auch in diesem Jahr wurden Unternehmen auf Basis einer detaillier-ten Due Diligence sowie der Bewertung durch eine hochkarätige Jury darauf hin betrachtet, ob sie als Vorbilder im digitalen Zeitalter gelten können. Die Preisträger wurden in drei Kategorien prämiert: „Customer Experience“, dem vorbildlichen Gestalten des Kunden-erlebnisses, „Product & Service Innovation“, der Einführung von bahnbrechenden Produkt- und Dienstleistungsinnovationen, sowie „Operations of the Future“, dem Umsetzen innovativer Produktions- und Backoffi ce-Lösungen. Wir gratulieren den Unternehmen Zalando SE, Motel One und BASF SE zu ihrer Auszeichnung. Die Preise wurden im Rahmen einer Galaveranstaltung am 22. November 2018 in Berlin verliehen.

REVOLUTIONÄRE DER WIRTSCHAFT

Eine Initiative von manager magazin und Bain & Company

CUSTOMER EXPERIENCE

Zalando SE Zalando ist Europas führende Online-Plattform für Mode und Lifestyle und hat neue Standards im E-Commerce gesetzt. Zalando-Kunden profi tieren von einem umfassenden Markenan-gebot, einer intuitiven App und Web-seite und einem personalisierten Ein-kaufserlebnis. Zalando ist Vorreiter im Einsatz von KI, sowohl für ein indivi-duelles, inspirierendes Einkaufserleb-nis als auch im Bereich des personali-sierten Marketings und in der Logistik. Trotz seines anhaltenden rasanten Wachstums und Europas größter Aus-wahl an Fashion und Trends konnte Zalando seine agile Organisations-kultur bewahren und testet konstant neue Services und Ideen.

PRODUCT & SERVICE INNOVATION

Motel One Motel One ist eine schnell wachsende Budget-Design-Hotel Kette, die große, etablierte Ketten in die Defensive bringt, indem sie sich auf Style und Essenzielles fokussiert. Motel One überzeugt beim Design der Zimmer, dem Bar- und Loungebereich, der zen-tralen Lage und mit hochzufriedenen Mitarbeitern, die am Erfolg des Unter-nehmens beteiligt sind. Dabei gelingt es Motel One, durch Reduktion auf das Wesentliche bei Ausstattung und Service und gleichzeitig hohem Quali-tätsanspruch einen attraktiven Preis anzubieten und ist führend in der Gäs-tezufriedenheit. Motel One wächst kontinuierlich und etabliert sich in vie-len europäischen Ländern.

OPERATIONS OF THE FUTURE

BASF SE BASF ist das führende Chemieunter-nehmen der Welt. Im Verbund werden Anlagen, Energiefl uss und Infrastruk-tur intelligent miteinander vernetzt und Ressourcen besonders effi zient ge-nutzt. Entlang seiner gesamten Wert-schöpfungskette setzt das Unterneh-men verstärkt auf digitale Technologien und verknüpft große Datenmengen mit moderner Analytik. Der Supercom-puter Quriosity beispielsweise unter-stützt Forschung und Entwicklung mit wissenschaftlichen Modellierungen und Simulationen bei komplexen Fra-gen. Die Steuerung der Produktion wird über digitale Techniken wie „Augmented Reality“ und „Predictive Maintenance“ ständig optimiert.

Bain & Company ist eine der weltweit führenden Managementberatungen. Wir unterstützen unsere Kunden auch darin, digitale Pole-Positionen zu erreichen. Weitere Informationen unter www.bain.de/www.baindigital.com