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H..J. BUNGE Institut fur Strukturforschimg, Deutschc hkademie der Wisscnschafteri mi Berlin, Berlin-hdlcrshof Die dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden zu ihrer Bestimmung*) Um die Orientierung eines Kristalles in einer vielkristallinen Probe vollstBndig beschreiben zu konnen, benotigt man mindestens drei Parameter. Zwoi Parameter beschreiben die Orientierung einer bestimmkn Kristallrichtung im Raum, der dritte legt eine Drehung urn diese Richtung herum fost. Die Orientierungsverteilung der Kristallite wird daher durch eine Verteilungsfuriktion von drei Variablen be- schricben. Dieso Funktion ist nicht direkt meljbar, sie kann jedoch aus Einzel- orientierungsmessungen oder a m Polfiguren berechnet werdori. Diese beiden Me- thoden wurden zur Bestimmung der Orientierungsverteilung der Kristallite in kaltgewalzten Kupfor- und Stahlblechen verwendet. In beiden Fallen ergaben sich hohe Orientierungsdichtewerte nur innerhalb eines gewissen Schlsuches im Orien- tierungsraum. Die Textur kann am besten durch das von WASSERMANN und GREWEN eingefuhrte Model1 dor Fasertexturkomponentorl beschriaben werden. Es wurden quantitative Kriterion zur Abschatzung des experimeritellon Yehlers von Polfiguren entwickelt. Sic zeigen, dalj mit Neutronenbeugung gcmessene Pol- figuren besonders geringc experimontelle Fehler aufweisen. Die aus der Textur berechneten Werte des Elastizitatsmoduls stimmeii gut mit den oxperimentell ermittelten uberein. In order to determine the orientation of a crystal in a polycrystalline specimen at least three parameters are needed. Two parameters fix one crystal direction and the third one fixes a rotation around this direction. The orientation distribution of the crystallites can therefore be described by a distribution function of three variables. This function is not directly measurable but it can be determined indi- rectly from single orientation measurements or from pole figures. Theese two methods were used to determine the orientation distribution of cold rolled copper and steel sheets. In both eases the orientation density has high values only within a tube in the orientation spa,ce. It can be approximated by the model of fiber axis components proposod by WASSERMANN and GREWEN. Quantitative criteria of the experimental error in pole figure measurements are given. They show that pole figures measured by neutron diffraction exhibit very low experimental error. Values of Young's modulus calculated from the orientation data fit the experimon- tally measured ones reasonably well. 1. Einleitung Urn die Orientierung eines Kristallchens einer vielkristallinen Probe vollstandig beschreiben zu konnen, benotigen wir mindestens drei Parameter. Die Stellung einer Kristallrichtung im Raum kann zunachst durch zwei Parameter - etwa *) Vorgetragen zum Symposium ,,Methoden der Texturbestimmung" in Berlin am 19. 10. 1967 anlaGlich der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft Deutscher Berg- und Huttenleute.

Die dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden zu ihrer Bestimmung

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H..J. BUNGE Institut fur Strukturforschimg, Deutschc hkademie der Wisscnschafteri mi Berlin, Berlin-hdlcrshof

Die dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden zu ihrer Bestimmung*)

Um die Orientierung eines Kristalles in einer vielkristallinen Probe vollstBndig beschreiben zu konnen, benotigt man mindestens drei Parameter. Zwoi Parameter beschreiben die Orientierung einer bestimmkn Kristallrichtung im Raum, der dritte legt eine Drehung urn diese Richtung herum fost. Die Orientierungsverteilung der Kristallite wird daher durch eine Verteilungsfuriktion von drei Variablen be- schricben. Dieso Funktion ist nicht direkt meljbar, sie kann jedoch aus Einzel- orientierungsmessungen oder a m Polfiguren berechnet werdori. Diese beiden Me- thoden wurden zur Bestimmung der Orientierungsverteilung der Kristallite in kaltgewalzten Kupfor- und Stahlblechen verwendet. In beiden Fallen ergaben sich hohe Orientierungsdichtewerte nur innerhalb eines gewissen Schlsuches im Orien- tierungsraum. Die Textur kann am besten durch das von WASSERMANN und GREWEN eingefuhrte Model1 dor Fasertexturkomponentorl beschriaben werden. Es wurden quantitative Kriterion zur Abschatzung des experimeritellon Yehlers von Polfiguren entwickelt. Sic zeigen, dalj mit Neutronenbeugung gcmessene Pol- figuren besonders geringc experimontelle Fehler aufweisen. Die aus der Textur berechneten Werte des Elastizitatsmoduls stimmeii gut mit den oxperimentell ermittelten uberein.

In order to determine the orientation of a crystal in a polycrystalline specimen a t least three parameters are needed. Two parameters fix one crystal direction and the third one fixes a rotation around this direction. The orientation distribution of the crystallites can therefore be described by a distribution function of three variables. This function is not directly measurable but i t can be determined indi- rectly from single orientation measurements or from pole figures. Theese two methods were used to determine the orientation distribution of cold rolled copper and steel sheets. I n both eases the orientation density has high values only within a tube in the orientation spa,ce. It can be approximated by the model of fiber axis components proposod by WASSERMANN and GREWEN. Quantitative criteria of the experimental error in pole figure measurements are given. They show that pole figures measured by neutron diffraction exhibit very low experimental error. Values of Young's modulus calculated from the orientation data f i t the experimon- tally measured ones reasonably well.

1. Einleitung

Urn die Orientierung eines Kristallchens einer vielkristallinen Probe vollstandig beschreiben zu konnen, benotigen wir mindestens drei Parameter. Die Stellung einer Kristallrichtung im Raum kann zunachst durch zwei Parameter - etwa

*) Vorgetragen zum Symposium ,,Methoden der Texturbestimmung" in Berlin am 19. 10. 1967 anlaGlich der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft Deutscher Berg- und Huttenleute.

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spharische Polarkoordinaten - festgelegt werden. Das Kristallchen besitzt dann jedoch noch einen Freiheitsgrad einer Drehung um diese Richt,ung herum, der durch einen dritten Parameter festgelegt werden muB. Es gibt nun eine ganzc Reihe vcrschiedener solcher Parameter zur Beschreibung dcr Oricn- tierung. So kann man z. B. bei Blechcn angeben, u-elche Kristallrichtung parallel zur Walzrichtung des Bleches und welche parallel ziir Normalrichtung liegt . Die Orientierung ist dann durch das Symbol (u w w) [hkl] beschrieben. Dabei sind u, w, w und h, k , 1 die Millerscheii Indizes der Normal- bzw. Walzrichtung. Ton diesen sechs GroBen sind naturlich nur drei unabhangig. Eine andere Be- schreibungsmoglichkeit einer Oricntierung ist dic durch drei Eulersche Winkel. Dabei wird das Kristallchen, ausgehend von einer Nullage zunachst um seine x-Achse um cpl gedreht, dann um seine x-Achse urn @ und schlieBlich noch einmal urn die z-Achse in der neuen Lage urn q~~ (s. Fig. 1). Die Orientierung eines Kristallchens wird dann durch die drei Drehungen (v1, @, pz) beschrieben, die man ausfuhren muB, um es aus einer Nullage in seine gegebene Lage zu bringen.

NR

-OR

Figur 1. Zur Definition dcr Eulcrsehen W'lnkcl

I n einer vielkristallinen Probe hat nun jcdes Kristallchen seine eigenen Orien- tierungsparameter. Wir interessieren uns jedoch im allgcmeinen nicht fur das einzelne Kristallchen, sondern nur fur die relative Haufigkeit mit der Kristallchen der verschiedenen Orientierungen auftreten. Es sei d V das Volumen aller Kri- stallchen mit den Eulerschen Winlieln (pl di yz) innerhalb eines Intervalles (dp,, d@, dpz), und V sei das Gesamtvolumen der Probe. Dann ist durch

die Orientierungsverteilungsfunktion f(pl @ pz) definiert. Das raumliche Win- kelelement

wurde dabei so gewiihlt, daB die Verteilungsfunktion f(pl @ pz) in Vielfachen der regellosen Verteilung ausgedruckt ist. Die Funktion j(pl di pz) gibt Ant-

Dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden 441

wort auf die Frage, wie haufig Kristalle einer beliebig wahlbaren Orientierung in der vielkristallinen Probe vorkommen. Sie ist somit das angestrebte Ziel jeder Texturuntersuchung.

Die einfachste Methode, die Funktion f(ql @ qz) zu messen wLre es, wenn man fur die drei Orientierungsparameter pl, @, p2 je einen beliebigen Wert ein- stellen und an einem MeBgerat dann das zugehorige Kristallvolumcn d V ab- lesen konnte. Leider gibt es cine solche Methode bisher nicht. Man ist daher auf andere Wege zur Ermittlung der Funktion f ( y , @ y2) angewiesen. Alle Verfahren zur Bestimmung der Orientierungsverteilungsfunktion lassen sich in zwei Gruppen eintcilen.

Bei der ersten Gruppe bestimmt man irgendwie die Orientierung jedes ein- zelnen Kristalliten bzw. jedes Volumenelementes der Probe und konstruiert daraus nachtraglich die Verteilungsfunktion. Dazu benotigt man naturlich eine MeBsonde, die nicht wesentlich groBer als die Kristallitc sein darf (z. B. Rontgenstrahl, Elektronenstrahl), und man mu0 sehr viele Kristallite aus- messen, um statistisch hinreichend gesicherte Ergebnisse zu erhalten.

Die zweite Gruppe von Methoden geht aus von Polfigurmessungen. Das heifit, man gibt zwei der drei Orientierungsparameter vor und miBt das Gesamt- volumen aller Kristallite, die diese beiden Orientierungsparameter besitzen. Dabei erhalt man also stets Mittelwerte der Verteilungsfunktion uber den dritten Orientierungsparameter. Es ist daher ein mathematisches Verfahren notig, um aus verschiedenen solchen Mittelwerten die eigentliche Verteilungsfunktion f(pl @ p2) zu berechnen.

2. Bestimmung der Orientierungsverteilungsfunktion aus Einzelorientierungsmessungen

Wir wollen zunachst auf die erste Methode, namlich die Bestimmung der Orien- tierungsverteilungsfunktion aus Einzelorientierungsmessungen eingehen. Es gibt eine ganze Reihe von Methoden zur Orientierungsbestimmung einzelner Kristallite eines vielkristallinen Materials, z. B. Rontgenbeugungsmethodeii wie die Laue-Methode oder Weitwinkelaufnahmen, Elektronenbcugungsmetho- den oder die ganze Palette der metallographischen Methoden. Alle diese Metho- den liefern fur jeden Kristalliten ein Tripe1 von drei Orientierungsparametern. Um aus einer solchen Liste von Orientierungswerten eine kontinuierliche Hau- figkeitsverteilungsfunktion zu erhalten, teilt man den Variationsbereich der Orientierungsparameter in Intervalle ein und zahlt aus, wie viele Kristallite in jedes Intervall fallen. Diese Methode stoat auf eine prinzipielle Schwierig- keit. Macht man die Intervalle klein, so fallen nur wenige Kristallite in jedes Interval1 und der statistische Fehler ist groB, macht man sie groB, so wird zwar der statistische Fehler verringert aber die Verteilungsfunktion kann verschmiert werden. Man kann dieser Schwierigkeit zwar dadurch begegnen, daB man ver- schiedene, sich uberlappende Intervalle verwendet. Das ist aber ein muhsames nnd doch nicht recht befriedigendes Verfahren. Es hat sich als gunstig erwiesen, einen anderen, rein rechnerischen Weg zur Bestimmung der Orientierungsver- teilungsfunktion einzuschlagen. Wir danken uns die gesuchte Funktion in eine Reihe nach verallgemeinerten Kugelfunktionen Ti” y(pl @ p2) entwickelt.

z=o u = l v = l

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Dabei sol1 in den Funktionen Tf’ bereits die Kristallsymmetrie und die sta- tistische Probensymmetrie berucksichtigt sein. Die Koeffizienten Cf y sind zunachst unbekannt. Wenn wir sie kennen, konnen wir den Wert der Vertei- lungsfunktion f an jeder beliebigen Stelle pll, @, pz ausrechnen, da die TP” be- kannte Funktionen sind.

Betrachten wir zunachst den Extremfall, daIj nur eine eiiizige Orientierung g mit den Orientierungsparamctern pl, @, p2 vorliegt, so hat die Verteilungsfunk- tion uberall den Wert Null mit Ausnahme ebcn dieser Stelle g. Fur diesen Fall konnen die Koeffizienten Cf’ leicht berechnet werden. Es ist namlich

Fur den Fall, daIj mehrere Orientierungen g, vorliegen, ergibt sich einfach der Mittelwert der nach Gleichung (3) fur diese Orientierungen berechneten Koeffi- zienten

Die Summe ist dabei uber alle gemessenen Orientierungswerte zu erstrecken. Es bleibt nur noch die Frage, wie viele Reihenglieder in der Reihenentwicklung Gleichung (2) berucksichtigt werden sollen. Nehmen wir sehr viele, so besitzt die Verteilungsfunktion nur an den Stellen g, hohe Werte und fallt dazwischen auf Null ab. Nehmen wir weniger Glieder, so werden die einzelnen Maxima immer breiter und schlieIjlich werden sie ineinander ubergehen. Wir erhalten dann nur ein breites Maximum in einem Bereich, wo sich viele Orientierungen haufen. Das ist gerade die Naherung, die wir haben wollen. Fur einen eindimen- sionalen Fall ist dies schematisch in Figur 2 dargestellt. Die Reihe muB also bci einer mittleren Anzahl von Gliedern abgebrochen werden.

97 92 A

9, 9-

Fig. 2 . Interpolation von Einaeloricntierun~smessungcn durch eine Orientierungsdiohtefunktion

Nach dieser Methode wurde die dreidimensionale Orientierungsverteilungs- funktionf(p, @ p2) fur ein kaltgewalztes Kupferblech (Walzgrad 05%) berechnet. Von HAESSNER, JAKUBOWSKI und WILKENS sind die Orientierungen von etwa 600 Kristalliten mit Hilfe von Elektronenbcugungsaufnalimen bestimmt worden. Es lagen etwa 600 Orientierungswerte g, vor, aus denen nach Gleichung (4) die Koeffizienten CK bereehnet wurden. Daraus u urde dann nach Gleichung (2) die Orientierungsverteilungsfunktionf(pll @ p2) in Schritten von 5 zu 6 Grad

Dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Met,hoden 443

berechnet. Das Ergebnis ist in Figur 3 dargestellt. Es sind Schnitte fur jeweils konstantes q2 gezeichnet. Man sieht, daB die Orientierungsverteilung nur inner- halb eines gewissen Schlauches im dreidimensionalen Orientierungsraum hohe Werte annimmt. Am besten erkennt man das, wenn man die Xchnitte zu einem dreidimensionalen Model1 zusammenfiigt. Verbindet man die Punkte groBter Orientierungsdichte, so erhalt man eine Linie, die wir das ,,Xkelett" der Textur nennen wollen. Jeder Punkt des Xkelettes stellt cine bestimmte Kristallorien-

t m

92-60" ?

03

@ 30

(0, =5" 6 03

@z-45"

3 3 6

p2 =65"

@ = 70"

@

p, =30"

0 3 3(

3 ro

(OZ-70"

92-90"

@

(oz =3Y

0 3 3c

p2 =55"

3

(02=75"

Fig. 3. Die Orientierungsverteilung~fiinktion f(p, 0 %) fur 95 $4, kaltgem-alztes Kupfer, berochnet aus Elektronenbeugungsmessungen Ton I I b l l S S N I H , JAKUEOWSKI, WILKEKS

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tierung dar. Das Skelett der Kupfertextur besteht also aus einer kontinuier- lichen Reihe von Orientierungen. I n Figur 4 sind sie in stereographischer Projektion dargestellt. Wahrend die Normalrichtung der Kristallite auf der Linie (101) -( 112) entlang wandert, bewegt sich die Walzrichtung langs der Linie [ E l ] - [%54]. Die Orientierungsdichte nimmt dabei von hohen Werten (etwa das 15-fache der regellosen Verteilung) auf kleine Werte ab, wie es in Figur 5 gezeigt ist. Da die Unsicherheit der berechneten Haufigkeitswerte etwa k3 betragt, konnen wir zur Zeit noch nicht entscheiden, ob die beiden angedeuteten Maxima der Kurve real sind. Die Textur scheint der von WASSER- MANN und GREWEN eingefuhrten Vorstellung beschrankter Faserachsen am nachsten zu kommen, die ja ebenfalls schlauchformige Verteilungen im drei- dimcnsionalen Raum ergeben.

Fig. 4. ,,Skelett" derwalztextur dcsKupfers. Kristallographische Oricntiorung von Walz- richtung und Normalrichtung fur dic Lagen maximaler Orientierungsdichte

Fig. 5. Orientierungsdichte entlang der Skelettlinie der Waletextur des Kupfers

10" 20" 3P LO" 50" 60" 70" 80° 90" 9?2 -

Dreidimeiisionale Oricntierurigsrrrteilungsfiuiilitiori uiitl Methochi

3. Rcstimmung der Oricntic~riul~sverteiliin~sfi~nktioi~ aus Yolfigurrncssun~eIi

445

Einzc1orientierunffsmcssun::rii Iiaben eiiicii groBcii Xaclitcd. SIC d a i i c w i sclu langc. Die Restininiuiig dcr Kupfertcxtur mit Elektronciihcu~utiIg dnucrtv langer als cin Jahr. Es ist tlaher unbedingt notig, cin I7(~1falu.c11 znr Ucstiin- munp clrr drcidirnensionalen Orienticr~ui~svcrtc~ilungsfunl~tioii aiis den v i ( b 1

lciclitcr mcBbarcn Polfiguren zu hnbeii. Die Polfigur niit clcn Tndizcs (h , h, 7 ~ ~ ) gcht aus cler drcidimcnsioiislen Oriciiticruri~svcrteilun~sfunktio~i f(ql @ y,) hcr - vor. n cnii man die lctzterc ubcr alle dicjenipcn Oricntirrnngrii mittclt, fdr d i t , die ICristallrichtung h, h, h, in cine bcstimmtc Probciiriclitung fallt . 1mgc.n wir f u r die Probenrichtung cin spharisclic~s Polarl~oordinaten dcsscii Pol bcispiels\\,eisc in clic, P\’ormalriclitniip tics l3lcc.lic crhalteii wir fur tlic (h , h, W,)-Polfigur

Orfhorhonbisch Ll,, (l/2+7)

2 70 20 30 40 50

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Dabei sind die kr(h, h, h3) Kugclflachcnfunktionen, die tlrr Kristallspmnietric gt'niigen iincl znar an der dcr Kristallrichtuiig h, h, h, cntsprechcnden Stcllc. Glcichung (8) ist rin System linrarer Gleichiingen init M(Z) Unbckanntrn Cf ". Dabri ist ill( I ) tlic Anzahl dcr linear iinabhangigcn Kugelflachenfunktionen tlcr liristallsymmrtrie und des Gradcs 1 . Zu scinrr Auflosung braucht man mindestens so vicle Gleichungen 71 ie Unbelrannte. Das hciDt, man benotigt tlic Koeffizienteii li'l (h, h, h3) fur mindestcns M(Z) vcrschiedenc Polfiguren.

Fig. 7 . I l i c Oricoticvung~vortciluiigsf~~iiktion ,f(rp, @ q,) fur 70 '% kaltgcwalzten, kohlen- stoffarmcti Stshl, horoclinet &us Itiilltgcnbeugungsmcssungcn von TAKECHI, ILLTO uucl h-.kci.isHl>Lk

Dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden 447

Nun wachst M(1) mit I an, wie es in Figur 6 fur die verschiedenen Kristall- symmetrien gezeigt ist. Wenn man daher nur eine beschrankte Anzahl von Polfiguren zur Verfugung hat, kann man Gleichung (8) nur bis zu einem be- stimmten Wert 1 = I,,, auflosen. Wir bezeichnen daher I,,, als das Auf- losungsvermogen der betreffenden Texturuntersuchung. Haben wir die Koeffi- zienten Cf’’ nach Gleichung (8) berechnet, so konnen wir sie in Gleichung (2) einsetzen und die Orientierungsverteilungsfunktion fiir jede beliebige Orien- tierung y l , @, vz berechnen.

Nach dieser Methode wurde die Orientierungsverteilung fur einen um 70% kaltgewalzten kohlenstoffarmen Stahl untersucht. Von TAKECHI, KATO und NAGASHIMA sind die ersten drei Polfiguren dieses Stahles gemessen worden. Wir haben daraus die in Figur 7 wiedergegebene Orientierungsverteilung be- rechnet und zwar in Schnitten fur konstantes yl. Wie man sieht, ergibt sich eine recht komplizierte Verteilung. Die Hauptkomponente kann man wieder als einen Schlauch bezeichnen, der jedoch keine so einfache Querschnittsform besitzt wie im Falle der Kupfertextur. Verbinden wir wieder die Punkte hoch- ster Orientierungsdichte, so erhalten wir das Skelett dieser Komponente. Die ontsprechenden Orientierungen sind in Figur 8 in stereographischer Projektion

Fig. 8. Skelett der Walztextar dcs Stahles. Kristallographische Orientierung yon Walz- richtung und Normalrichtung fur dic Lagen maximaler Orientierungsdichte

wiedergegeben. Wahrend die Walzrichtung in der Nahe des GroBkreises (lTO)-(121)-(OT 1) entlang lauft, beschreibt die Normalrichtung den Bogen a-b-c. Fur alle diese Orientierungen liegt naherungsweise die (101)-Richtung auf dem durch Walzrichtung und Normalrichtung bestimmten GroBkreis im Abstand von -30” von der Normalrichtung. Man kann diese Komponente also als eine beschrankte (101)-Fasertextur bezeichnen. Da der Streubereich jedoch auch die (1 11)-Richtung enthalt, kann man zuniindest einen Teil dieser Komponente auch als vollstandige (1 11)-Fasertextur deuten. Man erkennt das besser, wenn man die Schnitte zu einem dreidimensionalen Modell zusam- menfugt. Es ist jedoch fraglich, wie weit es sinnvoll ist, einen zusammenhan- genden Streubereich derart in verschiedene Anteile zu zerlegen. Neben dieser Hauptkomponente sind noch weitere Komponenten vorhanden, die in Tabelle 1 zusammengestellt sind.

30 Rristall/Tcehnik, Bd. 3, K. 3

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Komponenre

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Orien fierungsdich fe 1 4 -5

Die oben genannte Walztextur des Kupfers wurde von HAESSNER, JAKU. BOWSKI und WILXENS auch rontgenographisch untersucht. Es wurden die ersten drei Polfiguren gemessen. Wir haben daraus ebenfalls die Orientierungs- verteilung berechnet. Die Ergebnisse sind in Figur 9 dargestellt. Vergleicht man sie mit den aus Elektronenbeugung erhaltenen Resultaten (Fig. 3) so sieht man, daB die auf die beiden Arten erhaltenen Verteilungsfunktionen recht gut ubereinstimmen. (Auf kleine Unterschiede sol1 an dieser Stelle nicht eingegangen werden.)

SchlieBlich wurde von TOBISCH die Walztextur drs Kupfers mit Hilfe der Neutronenbeugung untersucht. Die daraus berechnete Verteilungsfunktion ist in Figur 10 wiedergegeben. Alle drei Methoden, die Elektronenbeugung, Rontgenbeugung und Neutronenbeugung geben also weitgehend ubereinstim- mende Ergebnisse.

4. Bbschatzung der Fehler Zur Berechnung der Koeffizienten Cf ' der Orientierungsverteilungsfunktion aus Polfiguren muB das Gleichungssystem Gleichung (8) aufgelost werden. Verwendet man dabei mindestens eine Gleichung, also eine Polfigur mehr, als Unbekannte zu bestimmen sind, so kann die Auflosung nach einer Methode kleinster Fehlerquadrate erfolgen. Dabei kann man gleichzeitig noch je eine FehlergroBe mit berechnen. Diese GroBen sind MaBe fur die Nichtuberein- stimmung der verschiedenen Polfiguren. In Figur 11 sind sie fur die erwahnte Textur eines kaltgewalzten Stahles angegeben. Einem Fehlerkoeffizienten mit einem kleinen Wert von 1 entspricht in den Polfiguren eine mit 0 und p langsam veranderliche Fehlerfunktion. Den KoeIfizienten mit groBem 1 entsprechen ,,kurzwellige" Fehlerfunktionen. Man darf annehmen, daB die kurzwelligen Fehleranteile dem statistischen MeBfehler bei der Polfigurmessung entsprechen. Der Anstieg der Fehlerkurve zu kleinen Werten von 1 hin bedeutet dann, daB zusatzliche, mit 0 und langsam veranderliche Fehleranteile in den Polfiguren vorhanden sein mussen. Es durfte sich dabei um systematische Verfalschungen der Polfiguren handeln, wie sie etwa durch die Absorption, die Defokussierung, Fehler in der Justierung usw. hervorgerufen werden konnen. Man hat also anhand dieser Fehlerkoeffizienten die Moglichkeit, die Genauigkeit von Pol- figurinessungen zu kontrollieren.

Dreidimensionalo Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden 449

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Fig. 10. Die Orieiitieriingsverteilungsfunktion f(p, 0 w,) fur 90 %, kaltgewnlztes Kupfer, berechilet aus ~‘cutronenbeugungsmess~ingcn von TOBISCII

Dreidimensionale Orientierungsverteilungsfunktion und Methoden

008 r

r,

$ 006 9

805

451

-

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t 407 1

5. Anwendungon

SchlieBlich sollen noch einige Worte daruber gesagt werden, zu welchem Zweck man derartige quantitative Texturuntersuchungen macht. Einmal besteht natiirlich ein gewisses grundlegendes Interesse daran, die Orientierungsver- teilungsfunktion f(p, @ p2) moglichst genau zu kennen. Das ist aber durch die Deutung von Polfiguren allein ohne Rechnung kaum moglich, insbesondere dann nicht, wenn es sich um flache Verteilungen mit breiter Streuung handelt, wie zurn Beispiel im Falle des hier erwahnten Stahles, dessen Orientierungs- dichte maximal bis zum Wert funf ansteigt. Die quantitative Kenntnis der Orientierungsverteilungsfunktion ist wiederum Voraussetzung fur das Ver- standnis der Texturentstehung zum Beispiel bei der plastischen Verformung. Da die Orientierungsanderung der Kristallite bei der Verformung eng mit dem FlieBmechanismus zusammenhangt, sind quantitative Texturuntersuchungen in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zu dem technisch wichtigen Problem des Umformverhaltens der Metalle zu liefern.

Ganz ahnliche Uberlegungen gelten natiirlich auch fur die Entstehung von Rekristallisationstexturen. Quantitative Texturuntersuchungen konnen hier Einblick in die Grundvorgange der Rekristallisation, der Keimbildung und die Korngrenzenwanderung geben.

Neben den Fallen, WO uns die Orientierungsverteilungsfunktion f (ql @ pz) direkt interessiert, gibt es jedoch auch eine groBe Zahl von Fallen, wo sie nur mittelbar und zwar als Gewichtsfunktion bei der Berechnung von orientierungs- abhangigen Mittelwerten von Interesse ist. Beschreibt E(O p) die Richtungs- abhangigkeit irgendeiner physikalischen Eigenschaft eines Einkristalles, bei- spielsweise des Elastizitatsmoduls, so erhalt nian die Richtungsabhangigkeit der gleichen Eigenschaft E( 0’ p’) fiir das vielkristalline Material durch Mittelung uber alle vorkommenden Kristallorientierungen entsprechend ihrer Haufigkeit. Es ist also

wobei wir fur die Orientierungsparameter ql, @, p2 zur Abkurzung g geschrieben haben. Hier interessiert uns also nicht die Orientierungsverteilungsfunktion selbst, sondern nur ein gewisses Integral uber sie. Da wir die Orientierungsver- teilungsfunktion durch eine Reihenentwicklung dargestellt hatten, entwickeln

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wir auch die beiden Eigenschaftsfunktionen, die der Einkristalle und des viel- kristallinen Materials, in Reihen nach Kugelfunktionen

1; MU)

210 & l = l E ( O p ) = ,V 2 ef k g ( O p ) , (10)

1; N(1) E(O' p' ) = 2 ,V e; kf(O' B') .

z=o v = l

Setzen wir die Reihenentwickhngen in Gleiehung (9) ein, so erhalten wir fol- genden Zusammenhang zwischen den Koeffizienten

1 M ( 0 - er = ___- C ey C?' . (12)

2 1 + Nun ist wichtig, da13 die Reihe Glcichung (lo), die die Richtungsabhangigkeit der betrachteten Eigenschaft beschreibt, in vielen Fallen nur sehr wenige Glie- der enthalt, im Falle des Elastizitattsnioduls z. B. nur solche mit 1 5 4. (Die Richtungsabliangigkeit des Elastizitatsmoduls wird durch eine Funktion 4-ten Grades besehrieben.) Fur groBere Werte von I ist ef = 0. In Gleichung (12) gehen daher auch nur die Texturkoeffizienten Cfv mit 1 5 4 ein. Im Falle von Blechen kubischer Kristalle sind das nur drei Koeffizienten

c:1 , c:2 , c:3 . Der Elastizitatsmodul derartiger Bleche hangt, also nur von den ersten drei Koeffizienten der Reihenentwicklung der Orientierungsverteilungsfunktion ab. Wenn wir uns nur fur die Orientierungsabhangigkeit physikalischer Eigenschaf- ten interessieren, brauchen wir daher im allgemeinen gar nicht die vollstandigc Funktion f (v l @ vz) zu berechnen, sondern nilr einige wenige Koeffizienten ihrer Reihenentwicklung. Dies ist ein wichtiger Grund dafiir, da6 wir gerade diese Form der Reihenentwicklung zur Darstellung der Orientierungsverteilungs- funktion verwendet haben. Auf diese Weise wurde die Richtungsabhangigkeit des Elastizitatsmoduls fur die untersuchten Bleche berechnet und zwar in den Naherungen nach VOICT und R ~ u s s sowie den Mittelwert aus beiden. Die Ergebnisse sind in Figur 12 wiedergegeben.

181 , , , , , ;"":rt; , , , , , o I A. , Hentsch , , , 27 70" 30" 50" 70" 90" roo 300 500 700 300

Winkel gegen die Wa/zrichtung4

Fig. 12. Der h:lastizit~tsmodillfur kaltgewalztcn Stahl nnd kaltgcwalztes Knpfer untcr verschiedenen Wi~ikeln zur Walzrichtung. 1)ic ausgezogenen Kurven entsprcchen don Naherungen nach Vorwr (konstante Verzcrrungcn), REUSS (konstante Hpanmmgen) und HILL (Mittelmert aus den hcidcn ersteren). Die Punkte und Kreise sind MeOwerte

Dreidimensioriale Orientierungsverteilurigsfunktion und Methodcn 453

Dort sind ebenfalls die von HENTSCH an diesem Blech gemessenen Werte eingetragen, sowie die Mefiergebnisse von WXERTS. Ferner sind in Figur 13 noch die Ergebnisse einer Messung von ROBERTS an kaltgewalztem, aluminium- beruhigtem Stahl angegeben. Die Abweichungen zwischen Rechnung und Experiment durftcn wahrscheinlich auf ungeneue Kenntnis der fur das betref- fende Material giiltigen Einkristallkonstanten zuruckzufuhren sein. I n diesem Falle konnten genaue Texturmessungen dazu verwendet werden, Einkristall- konstanten aus Vielkristallmessungen zu berechnen.

Literatur

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228 (1966)

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(Eingegangen am 8. November 1967)

Anschrift des Verfassers: Dr. habil. H. J. BUNGE Institut fur metallische Spezialwerkstoffe der DAdW ZLI Berlin 8032 Dresden Helmholtzstr. 20