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308 Berichte Bautechnik 81 (2004), Heft 4 Die Elbebrücke Wittenberge – ein Schicksal Michael Braun Brücken haben beim Bau von Eisen- bahnstrecken stets eine besondere Rolle gespielt. Erforderten sie doch großes ingenieurtechnisches Können und zudem nicht unerhebliche Finanz- mittel. Der Bau von Eisenbahnen in Deutschland fand zumeist in der zwei- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt. Brücken aus der Gründerzeit sind auf- grund dessen heute kaum noch vor- handen. Ausnahmen werden als tech- nische Denkmale behandelt. Moderne Konstruktionen haben vielfach eine bewegte Geschichte. Eine davon soll im folgenden Beitrag berichtet wer- den. „Mit der Entscheidung des preu- ßischen Königs, die Berlin-Hamburger- Eisenbahn (BHE) über Wittenberge zu führen, war auch (ein) Eisenbahnpro- jekt (Hamburg)–Wittenberge–Magde- burg realisierbar geworden. Hierfür gründete sich (eine) Magdeburg-Wit- tenbergesche-Eisenbahngesellschaft, die am 31. Januar 1847 die preußische Konzession erhielt“ [1]. Besondere Ver- dienste am Zustandekommen dieser Konzession erwarb sich der Magdebur- ger Bürgermeister Francke [2]. Durch die Führung der BHE rechts der Elbe war für eine Verbindung nach Magde- burg die Überbrückung des Elbestroms nahe Wittenberge erforderlich. Schon 1843 jedoch – also noch weit vor einer möglichen Realisierung der BHE – hatten sich namhafte Tech- niker Preußens in Wittenberge getrof- fen und zur Machbarkeit einer Brücke über die Elbe bei Wittenberge und da- mit zum Bau einer Eisenbahn zwischen dem Sächsischen Raum und Witten- berge überhaupt kontrovers auseinan- dergesetzt. Sowohl der spätere Ober- baudirektor Mellin, der Erbauer der Potsdam-Magdeburger-Eisenbahn von Unruh und der Wasserbauinspektor Koppin hielten ein solches Projekt für durchführbar. Die beiden letzteren er- stellten alsbald konkrete Entwürfe. Geplant zunächst war eine ei- serne Brücke mit massiven Lagern. Allein die chronische Geldknappheit ließ nur eine bescheidenere Lösung zu. So sah man nun für die Stromüber- querung einen zimmermannsmäßigen Brückenbau in Holz aus sog. Howe- schen Rauten-Trägern mit Zugstangen auf gemauerten Pfeilern und Endlagern vor [3] 1 . Der dann zur Ausführung be- stimmte Brückenzug setzte sich aus fünf aufeinanderfolgenden Teilen zu- sammen (Spannweiten jeweils in Klam- mern): – fünf Steingewölbe über die sog. Taube Elbe (96 m) Erddamm (345 m) eiserne Drehbrücke für den Schiffs- durchlaß (25 m) hölzerne Strombrücke mit 14 Öff- nungen (750 m) – Flutbrücke aus 12 Steingewölben (227 m) also eine Gesamtlänge von 1433 m [4], [5]. Am 7. Juni 1847 – kein halbes Jahr nach Erteilung der Konzession – konnte der erste Spundpfahl für den Brückenbau gerammt werden, und bis zum Ende des Jahres waren bereits 10 Strompfeiler gegründet. Die Märzrevolution von 1848 un- terbrach die Arbeiten zeitweise. Einer der Baumeister, von Unruh, erzählt plastisch über diese Bauphase: „daß 1848 (…) die Arbeiter am Elbbrücken- bau bei Wittenberge (…) eine Lohn- herabsetzung um ein Drittel hinge- nommen hätten, um nicht entlassen zu werden, ja daß, als von den 1800 Arbeitern sich etwa 300 am Zahltag „zusammenrotteten“, etwa 1000 von den übrigen die Baustelle vor den Un- zufriedenen bewacht hätten. Letztere wurden entlassen, gaben aber schon am nächsten Tage die „10 schlimm- sten Rädelsführer“ an, um selbst wie- der eingestellt zu werden“ [6]. Im Au- gust desselben Jahres wurden die Bau- arbeiten jedoch mit stärkster Anspan- nung fortgesetzt. Äußeres Zeichen da- für war, daß bis zu 4000 Arbeiter gleichzeitig beim Brückenbau einge- setzt waren [3]. Der Bahnbetrieb konnte am 7. Juli 1849 zunächst von Magdeburg bis See- hausen und weiter am 5. August 1849 bis zum Westufer der Elbe aufgenom- men werden. Eigentümlicherweise wird dieser Termin in der offiziellen Strek- kenchronik der Deutschen Reichsbahn schon als Inbetriebnahme bis Witten- berge bewertet [1], [29], [7]. Aber noch fehlte ja die Brücke selbst. Am 4. Ok- tober 1851 wurde ihre letzte Bauphase eingeleitet. Nach ihrer Fertigstellung für ein Gleis am 21. Oktober 1851 mit dem Bahnhof Wittenberge verbunden, bildete diese Zweig-Bahn künftig das Bindeglied zwischen der BHE und den von Magdeburg aus in Richtung Sach- sen und Thüringen führenden Eisen- bahnen. Noch an jenem Tag befuhr die erste Lokomotive die Brücke [1], [4], [5], [8]. Das Bauwerk, das den stolzen Preis von 1 Million und 186942 Taler gekostet hatte, wurde vier Tage dar- auf amtlich abgenommen. Schon im März 1850 war der Sicherheit wegen vorab ein Test-Brückenfeld von 54 m Länge am Rande der Baustelle errich- 1 Kurioserweise 100 Jahre später als in Wittenberge ist wieder in Deutsch- land eine etwa gleich konstruierte Holzbrücke in Betrieb genommen worden. Wieder waren es ungünstige äußere Umstände – die der Nach- kriegszeit – die zur Verwendung von Holz als Baustoff zwangen. Jedoch hat sich auch diese Brücke als ta- delsfrei erwiesen [24]. Bild 1. Zeitgenössischer Stahlstich der Wittenberger Brücke von Ende der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts. Deutlich erkennbar ist die außerordentlich filigrane Holzkon- struktion

Die Elbebrücke Wittenberge – ein Schicksal

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Bautechnik 81 (2004), Heft 4

Die Elbebrücke Wittenberge – ein SchicksalMichael Braun

Brücken haben beim Bau von Eisen-bahnstrecken stets eine besondereRolle gespielt. Erforderten sie dochgroßes ingenieurtechnisches Könnenund zudem nicht unerhebliche Finanz-mittel.

Der Bau von Eisenbahnen inDeutschland fand zumeist in der zwei-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt.Brücken aus der Gründerzeit sind auf-grund dessen heute kaum noch vor-handen. Ausnahmen werden als tech-nische Denkmale behandelt. ModerneKonstruktionen haben vielfach einebewegte Geschichte. Eine davon sollim folgenden Beitrag berichtet wer-den.

„Mit der Entscheidung des preu-ßischen Königs, die Berlin-Hamburger-Eisenbahn (BHE) über Wittenberge zuführen, war auch (ein) Eisenbahnpro-jekt (Hamburg)–Wittenberge–Magde-burg realisierbar geworden. Hierfürgründete sich (eine) Magdeburg-Wit-tenbergesche-Eisenbahngesellschaft,die am 31. Januar 1847 die preußischeKonzession erhielt“ [1]. Besondere Ver-dienste am Zustandekommen dieserKonzession erwarb sich der Magdebur-ger Bürgermeister Francke [2]. Durchdie Führung der BHE rechts der Elbewar für eine Verbindung nach Magde-burg die Überbrückung des Elbestromsnahe Wittenberge erforderlich.

Schon 1843 jedoch – also nochweit vor einer möglichen Realisierungder BHE – hatten sich namhafte Tech-niker Preußens in Wittenberge getrof-

fen und zur Machbarkeit einer Brückeüber die Elbe bei Wittenberge und da-mit zum Bau einer Eisenbahn zwischendem Sächsischen Raum und Witten-berge überhaupt kontrovers auseinan-dergesetzt. Sowohl der spätere Ober-baudirektor Mellin, der Erbauer derPotsdam-Magdeburger-Eisenbahn vonUnruh und der WasserbauinspektorKoppin hielten ein solches Projekt fürdurchführbar. Die beiden letzteren er-stellten alsbald konkrete Entwürfe.

Geplant zunächst war eine ei-serne Brücke mit massiven Lagern.Allein die chronische Geldknappheitließ nur eine bescheidenere Lösung zu.So sah man nun für die Stromüber-querung einen zimmermannsmäßigenBrückenbau in Holz aus sog. Howe-schen Rauten-Trägern mit Zugstangenauf gemauerten Pfeilern und Endlagernvor [3]1.

Der dann zur Ausführung be-stimmte Brückenzug setzte sich ausfünf aufeinanderfolgenden Teilen zu-sammen (Spannweiten jeweils in Klam-mern):

– fünf Steingewölbe über die sog.Taube Elbe (96 m)– Erddamm (345 m)– eiserne Drehbrücke für den Schiffs-durchlaß (25 m)– hölzerne Strombrücke mit 14 Öff-nungen (750 m)– Flutbrücke aus 12 Steingewölben(227 m) also eine Gesamtlänge von 1433 m [4],[5]. Am 7. Juni 1847 – kein halbesJahr nach Erteilung der Konzession –konnte der erste Spundpfahl für denBrückenbau gerammt werden, und biszum Ende des Jahres waren bereits10 Strompfeiler gegründet.

Die Märzrevolution von 1848 un-terbrach die Arbeiten zeitweise. Einerder Baumeister, von Unruh, erzähltplastisch über diese Bauphase: „daß1848 (…) die Arbeiter am Elbbrücken-bau bei Wittenberge (…) eine Lohn-herabsetzung um ein Drittel hinge-nommen hätten, um nicht entlassenzu werden, ja daß, als von den 1800Arbeitern sich etwa 300 am Zahltag„zusammenrotteten“, etwa 1000 vonden übrigen die Baustelle vor den Un-zufriedenen bewacht hätten. Letzterewurden entlassen, gaben aber schonam nächsten Tage die „10 schlimm-sten Rädelsführer“ an, um selbst wie-der eingestellt zu werden“ [6]. Im Au-gust desselben Jahres wurden die Bau-arbeiten jedoch mit stärkster Anspan-nung fortgesetzt. Äußeres Zeichen da-für war, daß bis zu 4000 Arbeitergleichzeitig beim Brückenbau einge-setzt waren [3].

Der Bahnbetrieb konnte am 7. Juli1849 zunächst von Magdeburg bis See-hausen und weiter am 5. August 1849bis zum Westufer der Elbe aufgenom-men werden. Eigentümlicherweise wirddieser Termin in der offiziellen Strek-kenchronik der Deutschen Reichsbahnschon als Inbetriebnahme bis Witten-berge bewertet [1], [29], [7]. Aber nochfehlte ja die Brücke selbst. Am 4. Ok-tober 1851 wurde ihre letzte Bauphaseeingeleitet. Nach ihrer Fertigstellungfür ein Gleis am 21. Oktober 1851 mitdem Bahnhof Wittenberge verbunden,bildete diese Zweig-Bahn künftig dasBindeglied zwischen der BHE und denvon Magdeburg aus in Richtung Sach-sen und Thüringen führenden Eisen-bahnen. Noch an jenem Tag befuhr dieerste Lokomotive die Brücke [1], [4],[5], [8].

Das Bauwerk, das den stolzenPreis von 1 Million und 186942 Talergekostet hatte, wurde vier Tage dar-auf amtlich abgenommen. Schon imMärz 1850 war der Sicherheit wegenvorab ein Test-Brückenfeld von 54 mLänge am Rande der Baustelle errich-

1 Kurioserweise 100 Jahre später alsin Wittenberge ist wieder in Deutsch-land eine etwa gleich konstruierteHolzbrücke in Betrieb genommenworden. Wieder waren es ungünstigeäußere Umstände – die der Nach-kriegszeit – die zur Verwendung vonHolz als Baustoff zwangen. Jedochhat sich auch diese Brücke als ta-delsfrei erwiesen [24].

Bild 1. Zeitgenössischer Stahlstich der Wittenberger Brücke von Ende der 50er Jahredes 19. Jahrhunderts. Deutlich erkennbar ist die außerordentlich filigrane Holzkon-struktion

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Bild 2. Ebenfalls zeitgenössische Darstellung der Brückenszenerie mit Zeichnungen der Seiten- und Draufsicht, entstandenunmittelbar nach ihrer Fertigstellung. Interessant ist die versetzte Anordnung der Drehbrücke im Hinblick auf einen späterenzweigleisigen Ausbau

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tet und außerordentlich umfangreichenBelastungsversuchen unterzogen wor-den. Die Ergebnisse waren sehr zu-friedenstellend, so daß der Zimmer-meister Ehrhard am 28. Mai 1851 mitder Bauausführung beginnen konnte[5], [9], [10]. Der Prüfbericht ist über-liefert und soll anschließend originalwiedergegeben werden:

„Die Genehmigung zu dem abge-änderten Bauplan ist seitens des HerrnMinisters unter der Bedingung ertheiltworden, daß die beabsichtigten Ver-suche mit einem hölzernen Brücken-felde von 171 Fuß (ca. 54 m, d. V.)Spannweite befriedigende Resultateergeben würden. Die Versuche sindin Gegenwart einer großen Zahl ein-heimischer und auswärtiger Technikerin dem Umfange ausgeführt worden,daß es in der Tat schien, nicht als obman die Sicherheit der Brücke prüfen,sondern dieselbe um jeden Preis zer-brechen wolle. Die Brücke hat gleich-zeitig 4 große Borsig’sche Maschinen

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Verbindungsplatten an den Stößenwerden für die wirkliche Ausführungnicht von Gußeisen, sondern von ge-walztem Eisen genommen. Die anwe-senden Techniker erklärten sämmtlich,daß die Tragfähigkeit und Steifigkeitder Brücke alle Erwartungen über-treffe“.

Waren knapp 15 Jahre zuvor,beim Bau der Leipzig-Dresdener-Ei-senbahn, für die Überquerungen derFlüsse Mulde und Elbe Eisenbahn-brücken aus Holz noch selbstverständ-lich gewesen [11], so war Holz alsBrückenbaustoff zu jener Zeit schonim Niedergang begriffen und eher exo-tisch geworden. Beim Bau der BHEhatte man Holz für diesen Zweck so-gar kategorisch ausgeschlossen [12].Zu den wenigen weiteren solcher Bei-spiele aus jener Zeit zählen die Saale-brücke in Grizehna und eine Oder-brücke bei Stettin.

So kann man diese erste Eisen-bahnbrücke bei Wittenberge mit Fug

getragen, 2 Maschinen hinter einan-der hat man über eiserne Keile von4/2 Zoll Höhe, welche man in derMitte der Brücke auf die Schienenlegte, springen lassen, sodann ist dieBrücke mit 1000 ctr. Roheisen bela-stet und gleichzeitig mit 3 Lokomo-tiven befahren worden. Ferner sind2000 ctr. Roheisen aufgebracht undgleichzeitig mit 2 Lokomotiven gefah-ren. 250 Mann marschirten im Trittüber die Brücke; sie wurden dannmöglichst auf der Mitte concentriertund sprangen im Tact nach Zählen,so daß die Bahn in entgegengesetzteSchwingungen kam. Bei diesen gewalt-samen Proben wurde nichts als einegußeiserne Verbindungsplatte am Stoßzweier Langhölzer beschädigt. Mit die-ser Beschädigung trug die Brücke noch2000 ctr. Roheisen, die Lokomotivenfuhren ohne Gefahr von der Brückeab und die Durchbiegung derselbenverminderte sich nach der Entlastungwieder auf Linien (13,5 mm, d. V.). Jene

Bild 3. Detailzeichnung der Brücken-Ostseite mit der Drehbrücke und deren später beseitigtem Tragpfeiler. Westlich (links)schloß sich Richtung Stendal die eigentliche Holzbrücke an. Nahe dem der Drehbrücke zugewandten östlichen (rechts) Uferbefindet sich noch heute die Einfahrt in den Bahnhof Wittenberge

Bild 4. 1910 sind beide eiserne Brückenzüge für zweigleisigen Betrieb aufgelegt. In Bildmitte links ist neu ein 80 m breiter Über-bau als Schiffs-Durchfahrt an Stelle von früher zwei jeweils 40 m langen angelegt. Das Flankierungsbauwerk der ehemaligenDrehbrücke ist am rechten (östlichen) Bildrand zu sehen

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und Recht als wohl außergewöhnlichbezeichnen. Dem angemessen fandspäter ein Modell im Deutschen Mu-seum München einen Platz. Die einigeZeit später am Elbestrom entstande-nen Eisenbahnbrücken bei Dömitz undLauenburg sind dann folgerichtig schonganz in Eisen gebaut worden.

Noch im 19. Jahrhundert – ab1883 – ist auch die Wittenberger Brückeschrittweise in eine Eisenkonstruktionumgebaut worden. Die vollständigeUmgestaltung, eingeschlossen die Ent-fernung der Drehbrücke und die Er-weiterung auf zwei Gleise war trotzder schon entsprechend dimensionier-

Bild 5. Militärfahrplan für die Strecke Wittenberge–Stendal zur Zeit des erstenWeltkriegs [23]

Bild 6. Die „Rekordlokomotive“ 05 002steht am 25. Februar 1936 im BahnhofWittenberge

Bild 7. In der Halle des zerstörten Lehr-ter Bahnhofs zeigt im Mai 1945 der„Hampelmann“ diffus als ein möglichesZiel Wittenberge. Züge von hier benutz-ten allerdings nicht die Elbebrücke

Baustadien der Wittenberger Elbebrücke

Bauform Überbauten Inbetriebnahme

1 14 hölzerne + eiserne Drehbrücke 1851

2 14 schweißeiserne + eiserne Drehbrücke 1883

3 2 × 14 flußeiserne 1905–1910

4 2 × 12 flußeiserne + 2 hölzerne Notbrückenzüge 1945

5 2 × 12 flußeiserne + 2 × 2 R-Brücken (geschraubt) 1946–1947

6 2 × 12 flußeiserne + 2 × 2 Neubauten (genietet) 1956 + 1965

7 Hohlkastengitterträger 1987

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ten Pfeiler erst 1910 abgeschlossen. DieBrücke war derart gestaltet, daß dersüdliche Brückenzug – nach Einzieheneiner Fahrbahn neben den Gleisen –gleichzeitig dem Straßenverkehr die-nen konnte [5], [13], [14]. Lange zu-vor – am 1. Januar 1863 – war die ge-samte Magdeburg-Wittenbergesche-Ei-senbahngesellschaft in die Hände derMagdeburg-Halberstädter-Eisenbahn-gesellschaft gewechselt und am 1. Ja-nuar 1879 dann in das Eigentum desPreußischen Staates übergegangen [7].

In den letzten Tagen des 2. Welt-kriegs wurden die zwei östlichen Dop-pelüberbauten Nr. 13 und 14 von 90 mund 40 m Spannweite und der ersteStrompfeiler Nr. 13 gesprengt. Einegrößere Anzahl von Panzerwagen warzudem von Wittenberge her in dieSprengstelle gefahren worden. Russi-sche Pioniere und ortsansässige Bau-handwerker hatten zwar schon imSpätsommer 1945 auf hölzernen Pfahl-jochen unter Umgehung des Schaden-orts eine hölzerne und eingleisige Ei-senbahn-Notbrücke errichtet. Wegenderen Instabilität ist auf heftiges Drän-gen der Besatzungsmacht schon abApril 1946 mit insgesamt vier ge-schraubten stählernen Dauerbehelfs-

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bahngleis, ein Jahr später auch der an-dere Brückenzug (nur) für eine Stra-ßentrasse als Dauerbehelf wieder auf-gebaut worden. Außerordentlich ver-

Brückenteilen – nach dem ErfinderRoth sog. R-Brücken – zunächst dersüdliche Brückenzug für das nach derDemontage verbliebene eine Eisen-

Bild 9. Imposant der gewaltige Eisstau an der Wittenberger Brücke im Winter1946/47

Bild 8. Personenzug-Fahrplan auf der Strecke Magdeburg–Wittenberge vom November 1946. Selbst ein D-Zugpaar fuhr dazu-mal schon täglich

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kompliziert worden ist die Situationdurch den Eisgang des dann unge-wöhnlich harten Winters 1946/1947.Nachdem im Frühjahr 1947 die eben-falls zunächst nur pioniermäßig wie-derhergestellte Elbebrücke in Hämer-ten am Packeis gescheitert war, mußteumgehend diese eine Nord-Süd-Ver-bindung gesichert werden.

Sehr aufwendig wiederhergestelltwerden mußte nach der Hebung der900 t schweren Brückentrümmer undvon 500 t Panzerschrott dazu derStrompfeiler 13, der früher einmal dieeiserne Drehbrücke mitgetragen hatte.Pfeiler 12 erhielt eine nur unwesent-liche Reparatur. Im August 1947 wardann ein zunächst einmal vertretba-rer Zustand hergestellt. Die Kosten ha-ben etwa 1,25 Mio. RM betragen, etwaein Drittel davon konnten nur zu La-sten des Wiederaufbaus der Havel-brücke in Rathenow aufgebracht wer-den. Diese konnte deshalb erst 1950endgültig repariert werden [13], [15].

Durch die verhältnismäßig großekonstante Durchbiegung der ge-schraubten Brückenteile war nun abereine Höchstgeschwindigkeit von nurnoch 30 km/h (statt 100 km/h zuvor)möglich. Seit dem Mai des folgendenJahres 1948 bestand deshalb im Brük-kenbereich (km 50,9 bis 51,8) für län-gere Zeit eine Langsamfahrstelle [13],[16]. Ab etwa 1953 war diese Lang-samfahrstelle auf Dauer festgeschrie-ben. Infolge der inzwischen üblichenVerfeuerung von Braunkohle und derdadurch starken Funkenbildung be-stand auf vielen Brücken ein konse-quentes Gebot, den Aschkasten zuschließen. Es herrschte nämlich – wiezahllose Beispiele aus jener Zeit be-legten – permanente Brandgefahr. Au-ßerdem waren wegen der nach untenoffenen Brückenfahrbahn durchfah-rende Schiffe gefährdet [17].

Mit der nach der SpaltungDeutschlands forcierten Inanspruch-nahme des Hafens Wismar für den Ex-port des in Mitteldeutschland gewon-nenen Kalisalzes bedeutete die einge-schränkte Passage der Elbe bei Wit-tenberge ein zunehmendes Ärgernis,obwohl die Brücke seit 1950 wiederzweigleisig befahrbar gewesen war.Einer der 54 m langen Brückenteilemußte dafür in einer aufwendigen Ak-tion standsicher gestaltet werden. DieGleistrasse Stendal–Wittenberge standseitdem wieder sowohl dem Straßen-als auch dem Eisenbahnverkehr zurVerfügung.

Erst nach der Konsolidierung derStahlbauindustrie im Osten Deutsch-lands ab Mitte der 50er Jahre war esmöglich geworden, die Elbebrücke Wit-tenberge zu sanieren. Seit etwa 1953geplant, sind in den Jahren 1955 bis1957 zwei der vier geschraubten Be-helfsbrücken – die des Gleises Wit-tenberge–Stendal – gegen dauerhafteÜberbauten gewechselt worden. Eine41 m lange Fachwerkbrücke vomReichsbahn-Stahlbau Dessau und ein

Bild 10. Aufgrund der überragenden Verkehrsbedeutung hat die Besatzungsmachtdie Brücken-Wiederherstellung im Frühjahr 1947 angeordnet. Derartige „Befehls-bauten“ waren dazumal nicht unüblich

Bild 11. Das Schnittbild des im zweiten Weltkrieg zerstörten Pfeilers (ehemals fürdie Drehbrücke) illustriert die umfangreichen Wiederherstellungsarbeiten 1946

Bild 12. Eintrag in der „La“ (Langsamfahrstellenverzeichnis) von 1949. Die Streckewar dazumal noch eingleisig. Spätestens seit Mai 1948 herrschte akute Brandgefahr

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mals in noch nicht einmal einem Tagabgeschlossen worden und hat denBauleuten eine Prämie beschert [13].

Im Juli 1978 ist dann nach vier-jähriger Bauzeit stromaufwärts eineStraßenbrücke über die Elbe in Be-trieb gesetzt worden. Damit konnteder Straßenverkehr nunmehr endgül-tig von der Eisenbahnbrücke herunter-genommen werden [18]. Im Vorgriffauf die geplante Elektrifizierung derStrecke wurde ab 1982 ein gänzlichneuer Brückenzug über die Elbe ge-legt. Diesen hat man dann im Jahre1989 als bislang längsten – mit 1030 mLänge – Brückenneubau der DDR-Reichsbahn bezeichnet. Bis dahin hatteder Elbebrücke bei Magdeburg dieserRang gegolten [19], [20], [21].

Mit dieser modernen Hohlkasten-brücke war der Elbübergang Witten-berge als Problemfall abgehakt. DieBrücke hat seitdem ihre Aufgabe an-standslos erfüllt. Lediglich wegen Verän-derungen an der Gleisgradiente mußteder Eisenbahn-Verkehr im Frühjahr1995 zeitweise im Brückenbereich ein-gleisig abgewickelt werden [22].

Bild 13. In Vorbereitung des zweigleisigen Betriebs mußten 1950 zur Stabilisierungsog. „Klammer-Verschweißungen“ der Zwillingsbrücken mit IP 65-Trägern durch-geführt werden. Die Skizze zeigt die betreffenden Stellen

Bild 14. Eintrag im „Anhang zu den Fahrdienstvorschriften“ von 1953. Jetzt sindauf der Brücke schon 80 km/h erlaubt, Brandgefahr jedoch besteht fortdauernd

Bild 15. Entwurfsbestätigung für denÜberbautentausch 1955

Bild 16. Die heutige Eisenbahnbrücke,bereits für elektrischen Betrieb ausge-stattet, wird 1989 von einem D-ZugRichtung Leipzig befahren

Bild 17. Die Wittenberger Eisenbahnbrücke inmitten des vom Hochwasser imAugust 2002 angeschwollenen Stroms (Bilder: Archiv d. Autors)

gleichartiger 86 m langer Überbau fürdie Stromöffnung vom Lauchhammer-werk wurden vom Wasser her einge-setzt. Der sehr stark schwankendeWasserstand der Elbe verkompliziertediese ohnehin schwierige Aufgabe zu-sätzlich. Nach der Belastungsprobe am12. September 1956 ist die Brücke an-derentags in neuer Form für den Ei-senbahnbetrieb freigegeben worden.Die beiden verbliebenen geschraub-ten Brückenteile hat man dann 1965identisch ersetzt. Der Vorgang ist da-

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Literatur

[1] Bley, P.: 150 Jahre Eisenbahn Berlin—Hamburg. Düsseldorf, 1996, S. 34.

[2] Klee, W.: Preußische Eisenbahnge-schichte. Stuttgart, 1983, S. 59.

[3] Hertwig, A.: Die Eisenbahn und dasBauwesen. Technik Geschichte 24 (1935),Nr. 5, S. 29–37.

[4] Zimmer, R.: Eine historische Belastungs-probe. Signal und Schiene 21 (1977), Nr. 1,S. 29.

[5] Pottgießer, H.: Eisenbahnbrücken auszwei Jahrhunderten. Basel, 1985, S. 75–78,s. a. Deutsche Reichsbahn Gesellschaft:Ingenieurbauten der Deutschen Reichs-bahn. Berlin, 1928, S. 38.

[6] v. Unruh, H. V.: Erinnerungen aus demLeben. H. Poschinger (Hrsg.) Stuttgart,1895, S. 93f., zit. In: Eichholtz, D.: Be-wegungen unter den preußischen Eisen-bahnarbeitern im Vormärz. Schriften desInstituts für Geschichte der DeutschenAkademie der Wissenschaften zu Berlin,Reihe I, Bd. 10. Berlin, 1962, S. 283.

[7] Deutsche Reichsbahn: Die DeutschenEisenbahnen in ihrer Entwicklung. Ber-lin, 1935, S. 26–27.

[8] Zum Jubiläumsjahr der Deutschen Ei-senbahnen. Die Reichsbahn 11 (1935),S. 1102.

[9] Die Magdeburg-Wittenberger Eisen-bahn-Elbbrücke. Illustrierte Zeitung Nr.437, XVII. Band, vom 7. November 1851.

[10] Allgemeiner Geschäftsbericht des Di-rectoriums der Magdeburg-Wittenberge-schen-Eisenbahngesellschaft für die Ge-neral-Versammlung am 12. Juli 1850.Staatsarchiv Magdeburg, 20 Ib Nr. 2855II,S. 34, zit in [4].

[11] Autorenteam: Uns gehören die Schie-nenwege. Berlin, 1960, S. 59–60.

[12] Ministerium der öffentlichen Arbeiten:Berlin und seine Eisenbahnen. Berlin,1896, S. 220.

[13] Koepp, W.: Einiges vom Brückenbauder Deutschen Reichsbahn im Jahr 1950.Planen und Bauen 5 (1951), Nr. 21,S. 489–493, insbes. S. 491–492; s. a.Richter, H.: Montagevorgänge bei derWiederherstellung der Elbebrücke Wit-tenberge. Signal und Schiene 1 (1957),Nr. 2, S. 25–29, s. a. Nur ein Drittel.Die Strecke 8 (1965), Nr. 15, S. 4 vom24. 7. 1965.

[14] Bernhard, W.: Brücken gestern undheute. Berlin, 1986. S. 70, 113–116.

[15] Ehm: Eisenbahnbrücke bei Witten-berge wiederhergestellt. Der Verkehr 2(1947), Nr. 11–12, S. 173–174, s. a. AktenBundesarchiv Berlin DM 1-1863, 3126,3561.

[16] Deutsche Reichsbahn, Reichsbahn-direktionen Magdeburg und Schwerin:Übersicht der vorübergehend eingerich-teten Langsamfahrstellen (La), Strecke 2,gleichlautend mind. von August 1948 bisFrühjahr 1951.

[17] Deutsche Reichsbahn, Reichsbahndi-rektion Schwerin: Anhang zu den Fahr-dienstvorschriften, Abschn. 21. Gültigvom 1. März 1953 an.

[18] Jugend und Technik (1978), Nr. 11.[19] Die Reichsbahndirektion Magdeburg.

Eisenbahnjahrbuch 1982. Berlin: trans-press, 1982, S. 14ff.

[20] Der Modelleisenbahner 38 (1989),Nr. 10, S. 2.

[21] In Magdeburg: Grundstein gelegt zumgrößten Brückenbauwerk der DR. FahrtFrei 26 (1974), Nr. 2.

[22] Berliner Zeitung vom 13. 2. 1995.[23] Das Deutsche Feldeisenbahnwesen.

Berlin, 1928.[24] Gaber, E.: Bahnbrücke von 30 m

Stützweite. Die Technik 2 (1947), Nr. 4,S. 153–156.

Autor dieses Beitrages:Dr. Michael Braun, Fuchsbau 21, 15366 Hönow