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Überblick 31 Die Anfangsbedingungen für die Galaxienent- stehung im Universum sind heute im Prinzip bekannt. Dadurch wird es möglich, mit analyti- schen und numerischen Methoden detaillierte theoretische Modelle für die Geschichte der Galaxienentstehung zu entwickeln. Durch den Vergleich dieser Voraussagen mit den enorm verbesserten Beobachtungsdaten, die Groß- teleskope in jüngster Zeit ermöglicht haben, ge- lang es, die wichtigsten Prozesse der Galaxien- entstehung im kosmologischen Standardmodell aufzuklären und zu einem in seinen Grund- zügen überaus erfolgreichen Modell der hierar- chischen Galaxienentstehung zu verschmelzen. Allerdings bleibt die komplexe Dynamik der Galaxienentstehung weiterhin eine der span- nendsten Aufgaben für Astronomen und Astro- physiker. D ie kosmische thermische Hintergrundstrahlung, von Penzias und Wilson im Jahr 1965 entdeckt, liefert einen der stärksten direkten Beweise für die Theorie des heißen Urknalls. In jüngster Zeit hat sich dieser Mikrowellenhintergrund mit einer Tempera- tur von 2,73 K zudem als ein hochpräzises Instrument entpuppt, um kosmologische Parameter, wie etwa die gesamte Energiedichte oder die Ausdehnungsgeschwin- digkeit des Universums, zu messen. Dies ist möglich, da sich die Physik des frühen Universums, zum Zeitpunkt der Emission der Hintergrundstrahlung etwa 300 000 Jahre nach dem Urknall, in charakteristischer Weise in Temperaturfluktuationen der Hintergrundstrahlung nie- derschlägt. Allerdings gelang es erst 1982 durch den COBE-Satelliten, diese winzigen Schwankungen der Größenordnung 10 –5 erstmals nachzuweisen. Moderne Experimente, wie jüngst die Wilkinson Microwave An- isotropy Probe (WMAP) [1], konnten die Winkelkorre- lationsfunktion der Temperaturschwankungen inzwi- schen auf immer kleineren Skalen, mit immer geringerer Unsicherheit, messen (Abb. 1). Das erstaunliche, für die Kosmologie hochbedeutende Ergebnis ist, dass die wich- tigsten kosmologischen Parameter nun mit guter Genau- igkeit bekannt sind (siehe Infokasten „Das kosmologi- sche Hintergrundmodell“), und dass zudem verschieden- ste Experimente, die unterschiedliche Physik ausnutzen und das Universum zu sehr verschiedenen Zeitpunkten vermessen, zu konsistenten Ergebnissen gelangen. Die grundlegenden kosmologischen Größen beziehen sich dabei auf Parameter so genannter Friedmann-Le- maitre-Modelle, die man als Lösung der Einsteinschen Gravitationsgleichungen unter der Annahme erhält, dass das Universum – zumindest auf sehr großen Ska- len – als homogen und isotrop angenommen werden kann. Die zeitliche Entwicklung der Raumausdehnung lässt sich dann durch einen dimensionslosen Skalen- faktor a(t) beschreiben, der einer einfachen Differen- tialgleichung genügt: Die linke Seite, H(t) a · (t)/a(t), gibt die Ausdehnungs- rate des Universums zur Zeit t an, welche auch als Hubble-Rate bezeichnet wird. Zum heutigen Zeitpunkt t 0 hat diese den Wert der Hubble-Konstanten H 0 . Übli- cherweise wird die Normierung des Skalenfaktors als a(t 0 ) = 1 gewählt, wie wir es auch hier getan haben. Ferner wird die Dichte r der Materie im Universum in dimensionsloser Form als ausgedrückt, und in ähnlicher Weise führt man für den Wert der kosmologischen Konstante L die Größe ein. Je nach den Werten von V 0 und V L ergeben sich ganz unterschiedliche globale Raumgeometrien für das Universum. Für V 0 +V L = 1 ist der Raum flach, für V 0 +V L < 1 offen (d. h. hyperbolisch gekrümmt) und für V 0 +V L > 1 geschlossen. Es ist deshalb klar, dass die Werte von H 0 , V 0 und V L fundamentale Bedeutung für jedes kosmologische Weltmodell haben. V L L = c H 2 0 2 3 V 0 0 2 8 3 = p r G H ! . a a H a a = + + 0 0 3 0 2 1 V V V V L L c h Astrophysik Die Entstehung der Galaxien Die phantastischen Fortschritte der Kosmologie haben ein Standardmodell zur Entstehung von großräumigen Strukturen im Universum ermöglicht. Volker Springel Abb. 1: Die bislang ge- naueste Himmels- karte der Tempera- turschwankungen der kosmischen Hintergrundstrah- lung wurde jüngst von der WMAP- Mission gewonnen (Quelle: WMAP). Dr. Volker Springel, Max-Planck-Institut für Astrophysik, Karl-Schwarzschild- Str. 1, 85741 Gar- ching Physik Journal 2 (2003) Nr. 6 © 2003 WILEY-VCH VerlagGmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/03/0606-31 $17.50+50/0

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Überblick

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Die Anfangsbedingungen für die Galaxienent-stehung im Universum sind heute im Prinzipbekannt. Dadurch wird es möglich, mit analyti-schen und numerischen Methoden detailliertetheoretische Modelle für die Geschichte derGalaxienentstehung zu entwickeln. Durch denVergleich dieser Voraussagen mit den enormverbesserten Beobachtungsdaten, die Groß-teleskope in jüngster Zeit ermöglicht haben, ge-lang es, die wichtigsten Prozesse der Galaxien-entstehung im kosmologischen Standardmodellaufzuklären und zu einem in seinen Grund-zügen überaus erfolgreichen Modell der hierar-chischen Galaxienentstehung zu verschmelzen.Allerdings bleibt die komplexe Dynamik derGalaxienentstehung weiterhin eine der span-nendsten Aufgaben für Astronomen und Astro-physiker.

D ie kosmische thermische Hintergrundstrahlung,von Penzias und Wilson im Jahr 1965 entdeckt,liefert einen der stärksten direkten Beweise für

die Theorie des heißen Urknalls. In jüngster Zeit hatsich dieser Mikrowellenhintergrund mit einer Tempera-tur von 2,73 K zudem als ein hochpräzises Instrumententpuppt, um kosmologische Parameter, wie etwa diegesamte Energiedichte oder die Ausdehnungsgeschwin-digkeit des Universums, zu messen. Dies ist möglich, dasich die Physik des frühen Universums, zum Zeitpunktder Emission der Hintergrundstrahlung etwa 300 000Jahre nach dem Urknall, in charakteristischer Weise inTemperaturfluktuationen der Hintergrundstrahlung nie-derschlägt. Allerdings gelang es erst 1982 durch denCOBE-Satelliten, diese winzigen Schwankungen derGrößenordnung 10–5 erstmals nachzuweisen. ModerneExperimente, wie jüngst die Wilkinson Microwave An-isotropy Probe (WMAP) [1], konnten die Winkelkorre-lationsfunktion der Temperaturschwankungen inzwi-schen auf immer kleineren Skalen, mit immer geringererUnsicherheit, messen (Abb. 1). Das erstaunliche, für dieKosmologie hochbedeutende Ergebnis ist, dass die wich-tigsten kosmologischen Parameter nun mit guter Genau-igkeit bekannt sind (siehe Infokasten „Das kosmologi-sche Hintergrundmodell“), und dass zudem verschieden-ste Experimente, die unterschiedliche Physik ausnutzenund das Universum zu sehr verschiedenen Zeitpunktenvermessen, zu konsistenten Ergebnissen gelangen.

Die grundlegenden kosmologischen Größen beziehensich dabei auf Parameter so genannter Friedmann-Le-maitre-Modelle, die man als Lösung der EinsteinschenGravitationsgleichungen unter der Annahme erhält,dass das Universum – zumindest auf sehr großen Ska-len – als homogen und isotrop angenommen werdenkann. Die zeitliche Entwicklung der Raumausdehnunglässt sich dann durch einen dimensionslosen Skalen-faktor a(t) beschreiben, der einer einfachen Differen-tialgleichung genügt:

Die linke Seite, H(t) ≡ a·(t)/a(t), gibt die Ausdehnungs-rate des Universums zur Zeit t an, welche auch alsHubble-Rate bezeichnet wird. Zum heutigen Zeitpunktt0 hat diese den Wert der Hubble-Konstanten H0. Übli-cherweise wird die Normierung des Skalenfaktors alsa(t0) = 1 gewählt, wie wir es auch hier getan haben.Ferner wird die Dichte r der Materie im Universum indimensionsloser Form als

ausgedrückt, und in ähnlicher Weise führt man für denWert der kosmologischen Konstante L die Größe

ein. Je nach den Werten von V0 und VL ergeben sichganz unterschiedliche globale Raumgeometrien für dasUniversum. Für V0+VL = 1 ist der Raum flach, fürV0+VL < 1 offen (d. h. hyperbolisch gekrümmt) und fürV0+VL > 1 geschlossen. Es ist deshalb klar, dass dieWerte von H0, V0 und VL fundamentale Bedeutung fürjedes kosmologische Weltmodell haben.

V LL = cH

2

023

V002

8

3= p

rG

H

!.

aa

H a a= + − − +− −0 0

30

21V V V VL Lc h

Astrophysik

Die Entstehung der Galaxien Die phantastischen Fortschritte der Kosmologie haben ein Standardmodell zurEntstehung von großräumigen Strukturen im Universum ermöglicht.

Volker Springel

Abb. 1:Die bislang ge-naueste Himmels-karte der Tempera-turschwankungender kosmischenHintergrundstrah-lung wurde jüngstvon der WMAP-Mission gewonnen(Quelle: WMAP).

Dr. Volker Springel,Max-Planck-Institutfür Astrophysik,Karl-Schwarzschild-Str. 1, 85741 Gar-ching

Physik Journal2 (2003) Nr. 6© 2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/03/0606-31 $17.50+50/0

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Die Messungen der letzten Jahre haben nun gezeigt,dass sich die Energiedichten in der Materie und imVakuum tatsächlich gerade zu dem kritischen Wert fürein räumlich flaches Universum addieren. Allerdingsträgt eine kosmologische Konstante (oder eine ebensorätselhafte dark energy) zum heutigen Zeitpunkt mit et-wa 70 % zu dieser Energiedichte bei, während normalestoffliche Materie nur 30 % ausmacht. Wiederum derGroßteil dieser Materie ist nicht von gewöhnlicherNatur, sondern muss in der Form noch unbekannterElementarteilchen vorliegen, welche nicht, oder nurextrem schwach, mit normaler baryonischer Materiewechselwirken. Über die Bedeutung dieser „DunklenMaterie“ für die Galaxienentstehung werden wir nochsprechen. Für gewöhnliche Baryonen (zum größtenTeil H und He) bleibt nur ein Rest von 15 % am Mate-rieinhalt, das heißt ein Beitrag von 4 % zur gesamtenheutigen Energiedichte. Nur etwa ein Zehntel allerBaryonen sind aber zur heutigen Zeit in Sternen ge-bunden. Optische Studien leuchtender Galaxien sehenalso gewissermaßen nur die Schaumkronen der Mate-rieverteilung im Universum. Der große Rest der Baryo-nen liegt als diffus verteiltes Gas vor, von dem man nureinen Teil beobachten kann, etwa in Form von Rönt-genemission des heißen Plasmas in Galaxienhaufen,oder durch selektive Absorption des Lichts entfernterQuasare in neutralem Gas des intergalaktischenRaums.

Die rätselhafte Vielfalt der GalaxienEs ist noch keine einhundert Jahre her, dass der

Astronom Edwin Hubble erkannte, dass viele „Nebel“am Nachthimmel gar nicht zur Milchstraße gehören,sondern selbst viel weiter entfernte, mithin extragalak-tische Sternsysteme sind. Heute wissen wir, dass die

Milchstraße eine relativ gewöhnliche Spiralgalaxietypischer Leuchtkraft mit etwa 1011 Sternen ist. Imbeobachtbaren Teil des Universums gibt es aber nochmindestens weitere 1010 Galaxien.

Diese Galaxien zeichnen sich nicht nur durchgroße Variationen in ihrer Helligkeit und Größe aus,sondern auch durch eine erstaunliche Vielfalt in derGestalt ihrer Sternverteilungen. Abbildung 2 zeigteinige Beispiele für extreme Ausprägungen derGalaxienmorphologie. Elliptische Galaxien weisenannähernd sphärisch symmetrische, glatte Sternvertei-lungen auf, deren Sterne sich auf ungeordneten Bah-nen bewegen. Sie enthalten meist kein Gas und zeigenwenig Anzeichen für Sternbildung in jüngerer Vergan-genheit. Spiralgalaxien bilden das andere Extrem, mitihren hochgradig geordneten Sternscheiben, welchehäufig von Spiralarmen aus jungen heißen Sternendurchzogen sind. Bei vielen Spiralgalaxien ist dieScheibe von einem zentralen Balken dominiert undweist bisymmetrische Spiralarme an den Enden desBalkens auf. Spiralgalaxien enthalten oft auch einezentrale kugelförmige Verdickung (engl. bulge), wel-che gewissermaßen eine elliptische Galaxie im Kleinendarstellt. Zwischen diesen Grundtypen kommenMischformen unterschiedlichster Ausprägung vor,welche Astronomen auch heute noch nach einem„Stimmgabelschema“, das auf Edwin Hubble zurück-geht, klassifizieren. Viele, meist kleine und leucht-schwache Galaxien mit gestörter Morphologie passenaber nicht gut in dieses Schema und entziehen sich als„irreguläre Galaxien“ einer klaren Klassifikation.

Galaxien enthalten oft kleinere Zwerggalaxien alsSatelliten, wie etwa auch die Milchstraße in Form derGroßen und Kleinen Magellanschen Wolken und neunweiteren leuchtschwächeren Satelliten. Daneben gibtes in den stellaren Halos der Galaxien eine Populationvon Kugelsternhaufen, die sehr alte Sterne enthalten.

Auf größeren Skalen finden sich Galaxien schließ-lich zu Gruppen und Haufen unterschiedlicher Größezusammen. Die größten Galaxienhaufen enthaltendabei etwa 1000 Galaxien und haben Massen von biszu einigen 1015 Sonnenmassen. Solche Haufen stellendie größten „virialisierten“ Systeme im Universum dar,womit ein dynamisches Gleichgewicht zwichen derungeordneten Bewegung der Galaxien und ihrer gegen-seitigen gravitativen Anziehung gemeint ist. Nach demVirialsatz der Mechanik entspricht die gesamte kineti-sche Energie dabei gerade der Hälfte der potentiellenEnergie, Ekin = –Epot/2, und die Bindungsenergie be-trägt Etot = Ekin+Epot = –Ekin.

Astronomen versuchen seit jeher intensiv, die Grün-de für die verblüffende Vielfalt in der Morphologie derGalaxien zu verstehen und aufzuklären, wie der Pro-zess der Galaxienentstehung vom Urknall bis zur heu-tigen Zeit verlaufen ist. In den letzten beiden Jahrzehn-ten sind dabei entscheidende Fortschritte gelungen, die zur Entwicklung der Theorie der hierarchischenGalaxienentstehung geführt haben. Wir wollen diesesModell im Folgenden besprechen. Es fußt wesentlichauf der Annahme, dass der materielle Inhalt des Uni-versums von so genannter kalter dunkler Materiedominiert wird.

Messungen der Temperaturfluktuatio-nen in der kosmischen thermischenHintergrundstrahlung gehören zu denbesten Methoden, um kosmologischeGrundparameter des Universums zubestimmen. Statistisch lässt sich dasGaußsche Zufallsfeld der Temperatur-fluktuationen vollständig durch dieZwei-Punkt-Winkelkorrelationsfunk-tion der Temperaturschwankungenbeschreiben. Diese Funktion enthältwertvolle Informationen über die Be-dingungen im frühen Universum, dadie Temperaturfluktuationen direkt dieDichteschwankungen, die im frühenUniversum existierten, reflektieren.Außerdem manifestieren sich akusti-sche Schwingungen der baryonischenMaterie relativ zur dunklen Materie incharakteristischer Weise in dieserFunktion. Die so erzeugten Featureshängen empfindlich von den Wertender kosmologischen Parameter ab undlassen sich besonders gut in der Fouri-er-Transformierten der Winkelkorrela-tionsfunktion, dem Leistungsspektrum,analysieren (Abb.). Aus der Höhe undPosition der so genannten akustischenPeaks können dann kosmologische Pa-rameter extrahiert werden. In Überein-stimmung mit einer ganzen Reihe un-terschiedlicher anderer astronomischerBeobachtungen ergeben diese Daten

ein konsistentes Bild des Universums[2]: Der Raum ist flach, d. h. die Ma-teriedichte V0 = 0,27 � 0,02 und dieDichte in der dunklen Energie, VL, ad-dieren sich zu einem Wert, der mit einskonsistent ist, Vtot = 1,02 � 0,02. Aller-dings liegt nur ein Anteil Vb = 0,044 �

0,002 an V0 als baryonische Materievor, der dominierende Rest ist dunkleMaterie. Die gegenwärtige Expansions-geschwindigkeit des Raumes, d. h. derWert der Hubble-Konstanten, ist H0 =71 � 4 km s–1Mpc–1. Das Alter des Uni-versums ist damit 13,7 � 0,2 MilliardenJahre.

Das kosmologische Hintergrundmodell

Winkelskala90° 2° 0,5° 0,2°

L-CDM alle Daten WMAPCBIACBAR

0 10 40 100 200 400 800 1400Multipolmoment l

6000

5000

4000

3000

2000

1000

l(l+

1)C l

/2p in

mK2

Die neuen WMAP-Daten ergänzen ältereDaten des Cosmic Background Imager (CBI)sowie des Arcminute Cosmology BolometerArray Receiver (ACBAR) und ergeben einkonsistentes Bild des Universums.

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Dunkle Materie und die Großraumstrukturim UniversumSpiralgalaxien, in denen sich die Sterne näherungs-

weise auf Kreisbahnen um das Zentrum bewegen, lie-ferten früh einen entscheidenden Hinweis auf die Exis-tenz dunkler Materie. Die Rotation speziell in denAußenbereichen ist zu schnell, um durch die Gravita-tionkraft der eingeschlossenen Baryonen erklärt wer-den zu können. Es muss sehr viel mehr weitere un-sichtbare Masse geben, eben die postulierte dunkleMaterie, welche sich bisher nur durch ihre gravitativeWirkung nachweisen ließ. Eine Reihe von Experimen-ten versucht zwar, dunkle Materie direkt zu detektie-ren, doch bislang gelang es nicht, eines dieser Teilchen,bei denen es sich etwa um Axionen oder um das leich-teste supersymmetrische Teilchen handeln könnte, ein-deutig aufzuspüren.

Nachweisen lässt sich die Gravitation der dunklenMaterie aber beispielsweise auch in der Dynamik viria-lisierter Galaxienhaufen, da sich deren Galaxien soschnell bewegen, dass sie ohne die bindende Wirkungder dunklen Materie in alle Richtungen auseinander-fliegen würden. Ferner erreicht die Massenkonzentra-tion in Galaxienhaufen nur durch die dunkle Materiesolch hohe Werte, dass starke Gravitationslinseneffekteauftreten können, bei denen Hintergrundquellen ver-größert, verzerrt und in Mehrfachabbildungen aufge-spalten werden, wie es in vielen Systemen beobachtetwird.

Schließlich gibt es indirekte Nachweise der dunklenMaterie, die sich aus der Theorie der Strukturentste-hung selbst ergeben. Einen wichtigen Schlüssel hierzubildet die Beobachtung der großräumigen Verteilungder Galaxien im Raum. Das Licht weit entfernter Gala-xien erreicht uns rotverschoben, auch wenn die Quellein Ruhe ist. Diese kosmologische Rotverschiebung zwi-schen der emittierten Wellenlänge l und der beobach-teten Wellenlänge l' entsteht aufgrund der Ausdehnungdes Raums, die während der Laufzeit des Lichts statt-findet. Die kosmologische Rotverschiebung z = l'/l–1 =1/a–1 ist dabei direkt durch den Skalenfaktor a(t) desRaums zur Zeit der Emission des Lichts gegeben. Mitausreichend lichtempfindlichen Teleskopen und Spek-trometern lässt sich z direkt messen, und man erhältdamit indirekt nicht nur den Zeitpunkt in der Vergan-genheit, zu dem das Licht emittiert wurde, sondernüber die Lichtlaufzeit auch eine Entfernung zu der Ga-laxie. In der Kosmologie wird daher die Rotverschie-bung gleichermaßen als Zeit- und Entfernungsangabebenutzt. Inzwischen ist es gelungen, Galaxien jenseitsvon z > 5,78 zu beobachten [4]. Das Licht dieser Objek-te wurde vor über 12 Milliarden Jahren emittiert, alsdas Universum nur etwa 10 % Prozent seines heutigenAlters erreicht hatte, und sich auch noch annäherndzehnmal schneller ausdehnte als heute.

In den vergangenen Jahren wurden mehrere syste-matische Beobachtungsprogramme zur Bestimmungder Rotverschiebungen aller hinreichend heller Galaxi-en in einem bestimmten Himmelsabschnitt durchge-führt. Diese lieferten eine dreidimensionale Karte derGalaxienverteilung im Raum, welche durch Doppler-Effekte aufgrund der Galaxieneigenbewegungen nurunwesentlich gestört ist (Abb. 3).

Interessanterweise sind die Galaxien keineswegsgleichmäßig oder zufällig im Raum verteilt. Stattdessenähnelt ihre Verteilung eher einem Netzwerk aus Fila-menten, das riesige Leerräume ohne Galaxien um-

schließt und an dessen Kreuzungspunkten sich Gala-xienkonzentration wie Gruppen oder Haufen befinden.Die statistischen Eigenschaften dieser Galaxienvertei-lung lassen sich mit großer Genauigkeit vermessen undschränken jedes plausible Modell der Galaxienentste-hung wesentlich ein.

Einer der größten Erfolge des hierarchischen Mo-dells der Galaxienentstehung ist es, die großräumigeVerteilung (das so genannte Clustering) der Galaxienauf allen relevanten Skalen sehr gut erklären zu kön-nen. Die Positionen und Größen einzelner Galaxien,sowie die Großraumstrukturen zu denen sie sich zu-sammenfinden, werden dabei direkt als das Produktdes gravitativen Wachstums primordialer Störungen inder ansonsten gleichförmig verteilten dunklen Materieerklärt, einem Prozess, dem wir uns nun zuwendenwollen.

Gravitative Instabilität und das Wachstumvon StrukturenIm jungen Universum war die Materieverteilung fast

perfekt gleichförmig. Es existierten nur winzigeSchwankungen, über die die Messungen der Fluktua-tionen im Mikrowellenhintergrund unmittelbar Zeug-nis geben. Der letztendliche Ursprung dieser Fluktua-tionen könnte in einer inflationären Epoche in derFrühphase des Urknalls gelegen haben [5, 6]. In einfa-chen Versionen dieser Theorie wurde das Universumunter dem Einfluss eines Skalarfeldes exponentiell ummindestens einen Faktor e60 ausgedehnt, wobei Quan-tenfluktuationen bis auf makroskopische Skalen ver-stärkt wurden. Nach dem Ende der Inflation blieb

Abb. 2: Galaxien zeigen ein weites Spektrumunterschiedlicher Morphologien. Ellipti-sche Galaxien wie M87 im Zentrum desVirgo Galaxienhaufens (links oben, Quel-le: David Malin, AAO) besitzen eineannähernd sphärisch symmetrischeSternverteilung. Spiralgalaxien dagegenbesitzen hochgradig geordnete, scheiben-förmige Sternverteilungen, wie etwaNGC 1232 (rechts oben, Quelle: ESO,VLT). Die Ausprägung der Spiralarme istunterschiedlich, und oft gibt es Mischfor-men, mit kleinen sphärischen Sternsyste-men (bulges) im Zentrum. Die Scheibekann auch zu einem zentralen Balkenentarten, wie etwa in NGC 1365 (unten,Quelle: ESO, VLT).

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dann ein skaleninvariantes Spektrum winziger Fluktua-tionen in der Energiedichte zurück.

Das weitere Schicksal der Fluktuationen wird nunin erster Linie von der Gravitation bestimmt. Eineauch nur leicht überdichte Region relativ zur mittlerenDichte des Universums zieht weiteres Material etwasstärker an, wodurch die Überdichte der Region lang-sam zunimmt. Zwar wird dieser Prozess durch dieschnelle Raumexpansion gebremst (in einem Newton-

schen Raum würde die Instabilität exponentiell an-wachsen), doch expandiert die überdichte Regionetwas langsamer als der Hintergrund, sodass sich dierelative Überdichte mit der Zeit immer weiter erhöht.Irgendwann wird die Überdichte schließlich so groß,dass die Expansion der Region anhält und sich in einenKollaps umkehrt. Die anfänglichen Störungen könnenalso als Keime aller weiteren Strukturbildung, ein-schließlich der später entstehenden Galaxien, angese-hen werden.

Koppelt sich eine Störung auf diese Weise von derallgemeinen Raumexpansion ab und kollabiert, kommtes zur Bildung eines so genannten Halos. Damit ist einselbstgravitierendes System aus dunkler Materie undbaryonischem Gas gemeint, das näherungsweise im Vi-rialgleichgewicht ist. Die Wechselwirkung der Teilchender dunklen Materie untereinander ist allerdings soschwach, dass sie als völlig stoßfrei angesehen werdenkönnen und die Möglichkeit des direkten Energieaus-tauschs zwischen zwei Teilchen nicht besteht. DerÜbergang ins Gleichgewicht erfolgt daher durch Ener-gieaustausch einzelner Teilchen mit dem kollektivenGravitationsfeld der kollabierenden Massenverteilung.Der resultierende Umverteilungsprozess der Teilchen-energien läuft ab, solange sich das Gravitationsfeldzeitlich schnell ändert, aber er kommt zum Stillstand,sobald das System ein dynamisches Gleichgewichterreicht hat und sich das kollektive Gravitationsfeldnäherungsweise nicht mehr ändert. In dem entstande-nen statischen Gravitationsfeld bleiben die Energien

der stoßfreien Teilchen dann individuell erhalten. AmEnde dieses als violent relaxation bezeichneten Prozes-ses bleibt ein näherungsweise sphärisch symmetrischerHalo aus dunkler Materie übrig, bei dem die ungeord-nete Bewegung der Teilchen einen weiteren gravitati-ven Kollaps verhindert. Die innere Struktur dieserHalos kann bisher nur durch numerische Simulationengenau berechnet werden, auf die wir später nochzurückkommen werden.

Eine wesentliche Eigenschaft des gegenwärtigenStandardmodells ist, dass die dunkle Materie als kaltangenommen wird, daher auch der Name „CDM“ fürcold dark matter. Damit ist gemeint, dass die dunkleMaterie aus Teilchen besteht, die zum Zeitpunkt ihrerthermischen Entkopplung im frühen Universum bereitsnichtrelativistisch waren. Wäre das nicht der Fall, wür-den kleinskalige Fluktuationen ausgelöscht, bevor sieanwachsen könnten, da die Teilchen aufgrund ihrerGeschwindigkeiten einfach aus ihnen herausströmenkönnten.

In den CDM-Modellen findet eine solche Auslö-schung nicht statt. Dadurch kommt es zu einem wichti-gen Phänomen: Kleinere Massenfluktuationen kolla-bieren früher als Störungen auf größeren Skalen. Diesführt direkt zum Konzept der hierarchischen Galaxien-entstehung, bei der zunächst kleine Galaxien entste-hen, die sich durch weiteres gravitatives Wachstum zuimmer größeren Systemen zusammenschließen. Wäredie dunkle Materie dagegen thermisch heiß oder relati-vistisch, würde sich das Wachstum der Strukturen inqualitativ ganz anderer Weise vollziehen. Da dann dieersten kollabierenden Strukturen schon sehr masse-reich wären, könnten sich kleinere Galaxien allenfallsdurch Fragmentation aus ihnen bilden, was aber Beob-achtungen in vielfältiger Weise widerspricht.

Das in den letzten Jahren entstandene Standardmo-dell der Strukturentstehung enthält neben der dunklenMaterie auch noch eine nichtverschwindende kosmolo-gische Konstante L, weshalb es oft als LCDM-Modellbezeichnet wird. Qualitativ läuft die Strukturbildung indieser Kosmologie sehr ähnlich wie in einem reinenCDM-Modell ab, allerdings ergeben sich vor allem inder zukünftigen Entwicklung größere Unterschiede.Während sich in CDM-Modellen ohne kosmologischeKonstante die Ausdehnungsrate des Universums mono-ton mit der Zeit verlangsamt, dreht sich diese Entwick-lung in dem LCDM-Modell zu einem bestimmten Zeit-punkt um, sodass das Universum in eine Phase sich be-schleunigender Expansion eintritt [7]. Dies ist für unserUniversum bereits geschehen.

Die Entstehung leuchtender GalaxienBisher haben wir nur den Kollaps der dunklen

Materie betrachtet. Der baryonische Massenanteil vonetwa 15 % verhält sich in der anfänglichen linearenPhase des Wachstums der Dichtefluktuationen nochganz ähnlich wie die dunkle Materie, da das Gas kaltist und Druckkräfte vernachlässigbar sind. Allerdingstreten beim nichtlinearen Kollaps der Baryonen, diesich in sehr guter Näherung wie ein ideales Gas verhal-ten, hydrodynamische Schockwellen auf, die kinetischeEnergie in thermische Energie verwandeln und das Gasbis auf einige Millionen Grad aufheizen, für Galaxien-haufen auch bis auf fast 108 Grad. Am Ende ist das Gasähnlich wie die dunkle Materie verteilt, befindet sichaber in einem hydrostatischen Gleichgewicht, das voneinem isotropen Gasdruck unterstützt wird.

0,1

0,2

0

,3

0,5 1,0 1,5 2,0 2,5

Milliarden Lichtjahre

Rotve

rschie

bung

10h

11h

12h

13h

14h

4 h

3 h2 h

1 h0h

23h

24h

Abb. 3:Beim 2dF Galaxy Redshift Survey [3] wurden die Rotverschie-bungen für rund 250000 Galaxien in zwei Himmelsregionen miteiner Gesamtfläche von etwa 2000 Quadratgrad bestimmt. Dieserlaubt es, eine detaillierte dreidimensionale Karte der Galaxi-en- und damit der Massenverteilung im Universum zu erstellen.Die statistischen Eigenschaften der Galaxienverteilung gebenwichtige Hinweise auf den Prozess der Strukturentstehung imUniversum. Mit zunehmendem Abstand dünnt die Galaxien-verteilung in dieser Darstellung scheinbar aus, da bei großemAbstand nur noch die hellsten Galaxien beobachtbar sind.

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Der entscheidende Unterschied zwischen Gas unddunkler Materie ist aber nun, dass die Baryonen durchStrahlungsprozesse Energie verlieren können. Für dasstoßionisierte Plasma aus Wasserstoff (�76% Mas-senanteil) und Helium (�24%) in virialisierten Halossind dabei vor allem Bremsstrahlung und Rekombinati-onsstrahlung verantwortlich. Als Folge dieser Dissipa-tionsprozesse kann das Gas den Kollaps unter Eigen-gravitation fortsetzten, während die dunkle Materie imViriralgleichgewicht verbleibt. Es kommt zu einer teil-weisen Trennung dieser beiden Komponenten – dasGas stürzt gewissermassen zum Zentrum der Potential-töpfe der Halos aus dunkler Materie.

Ein vollständiger Kollaps in das Zentrum wird aller-dings durch Drehimpuls verhindert, den das Gas be-sitzt und welcher es in erkalteter Form schließlich aufKreisbahnen um das Zentrum stabilisiert. So entstehteine Gasscheibe, in welcher das Gas durch lokale gra-vitative und dynamische Instabilitäten weiter verdich-tet werden kann. Schließlich bilden sich Gaswolken,deren Zentren bis auf stellare Dichten kollabieren kön-nen und so durch die Bildung neuer Sterne eine Spiral-galaxie entstehen lassen.

Der Drehimpuls ist also von entscheidender Bedeu-tung für die Größe der stellaren Scheiben von Spiral-galaxien. Das CDM-Modell kann dabei den Ursprungdes benötigten Drehimpulses gut erklären. Die groß-räumige Massenverteilung wirkt mit gravitativen Ge-zeitenkräften auf die sich bildenden Halos. Währenddes Kollapses prägen diese Drehmomente genau denbenötigten Drehimpuls auf, um die beobachtete Grö-ßenverteilung von Spiralgalaxien zu erklären. Aller-dings funktioniert diese Erklärung nur, wenn man an-nimmt, dass das Gas seinen anfänglichen Drehimpulsim Prozess des hierarchischen Galaxienaufbaus imwesentlichen behält. Numerische Simulationen zeigenaber bisher, dass das dissipative Gas sehr leicht Dreh-impuls an die dunkle Materie verlieren kann, sodassdie dabei gebildeten Galaxien unrealistisch klein sind[9]. Dies könnte ein grundsätzliches Problem mit demtheoretischen Standardmodell anzeigen, doch es giltderzeit als wahrscheinlicher, dass theoretische Berech-nungen die Physik der Sternentstehung bisher nochnicht hinreichend realistisch berücksichtigt haben [10].

Spiralgalaxien sind der häufigste Typ von Galaxien,vor allem im so genannten „Feld“, d. h. außerhalb vonGalaxiengruppen oder Haufen. In den Galaxienhaufenhingegen dominieren elliptische Galaxien und Spiralensind selten. Diese Relation zwischen Morphologie undGalaxienanzahldichte (engl. morphology-density relati-on) wird im Standardmodell durch Wechselwirkungenund Verschmelzungsprozesse von Galaxien untereinan-der erklärt.

Die hierarchische GalaxienentstehungHierbei kommt der Mechanismus der hierarchischen

Galaxienentstehung in entscheidender Weise ins Spiel.Die Strukturentstehung ist dabei ein kontinuierlicher,dynamischer Prozess, bei dem Galaxien durch Akkre-tion ständig weiter an Masse zunehmen können.Verläuft das Wachstum hinreichend langsam, d. h. nur durch Akkretion diffuser Materie oder kleinererZwerggalaxien, können Spiralgalaxien dies „überle-ben“. Die aufgesammelten Galaxien werden dabei zuSatelliten, oder sie werden vollständig aufgelöst und indie größere Galaxie integriert.

Verschmilzt eine Spiralgalaxie allerdings mit einer

Galaxie ähnlicher Größe, sind die zerstörerischen Ge-zeitenkräfte und die kurzzeitigen Fluktuationen imGravitationspotential so stark, dass die stellaren Schei-ben vollständig zerstört werden. Die geordnete Bewe-gung der Sterne auf Kreisbahnen wird so in ein unge-ordnetes Knäuel von Orbits umgewandelt, wodurcheine elliptische Galaxie entsteht.

Dieses Bild der Entstehung elliptischer Galaxie istein moderner theoretischer Entwurf, der sich erst inden letzten Jahren gegenüber dem traditionellen Mo-dell des monolithischen Kollapses für die Entstehungvon elliptischen Galaxien durchgesetzt hat. Das hoheAlter der Sterne in den meisten elliptischen Galaxienwurde oft als Beweis für die Entstehung in einem einzi-gen Kollaps angeführt, doch zeigen detaillierte Studienzur hierarchischen Galaxienentstehung, dass diesesModell die Eigenschaften elliptischer Galaxien eben-falls gut reproduzieren kann, wenn auch viele Detailsweiterhin umstritten sind.

Ein möglicher Begleitprozess größerer Galaxien-verschmelzungen sind intensive Ausbrüche der Stern-entstehung (sogenannte starbursts). Während derGalaxienkollision regen die starken Gezeitenkräftezunächst die Entartung der stellaren Scheiben zu aus-geprägten Balken an. Zwischen den Sternen und demdissipativen Gas in den Balken kommt es dann zuDrehmomenten, die es dem Gas erlauben, Drehimpulsabzugeben und entlang des Balkens mit hoher Effizi-enz in das Zentrum der Galaxie zu strömen. Manglaubt, dass dies einen mächtigen Ausbruch der Ster-nentstehung im Zentrum auslösen kann, so wie er etwain einigen ultrahellen Infrarotgalaxien beobachtet wird.In diesen Galaxien sind die Zentren von dichtenStaubwolken verdeckt, die das direkte UV-Licht derjungen Sterne verschlucken und im infraroten Wellen-längenbereich erneut emittieren.

Man weiß auch, dass viele Galaxien – vermutlichsogar alle – ein zentrales, superschweres SchwarzesLoch enthalten, wie man es etwa im Zentrum derMilchstraße und einigen nahen Galaxien bereits direktnachweisen konnte. Galaxien mit so genannten aktivenGalaxienkernen weisen eine besonders starke Emissionin einem punktförmigen Bereich des Zentrums auf, vonder man glaubt, dass sie durch Akkretion von Gas aufein Schwarzes Loch zustande kommt. Dabei kann etwa10% der Ruheenergie des Gases in Strahlung umge-wandelt werden. In den meisten Galaxien sind die zen-tralen Schwarzen Löcher inaktiv, da im Zentrum keinGas mehr für die Akkretion zur Verfügung steht, dochkann durch einen Verschmelzungsprozess neues Gaseinfallen und das Loch gewissermaßen zum Lebenerwecken.

Astronomen gehen heute auch davon aus, dass dasLicht entfernter Quasare auf dieses Phänomen zurück-geht. In den hierarchischen Modellen ist die Ver-schmelzungsrate der Galaxien in der Vergangenheitnämlich viel höher als heute, außerdem enthielten dieGalaxien zu dieser Zeit noch mehr Gas. Die beobach-tete starke zeitliche Entwicklung der Häufigkeit vonQuasaren stimmt gut mit theoretischen Vorhersagen,die auf dem hierarchischen Modell basieren, überein.Allerdings ist es nach wie vor umstritten, inwiefernSchwarze Löcher eine wichtige Rolle für den Galaxien-entstehungsprozess selbst bilden, etwa als eine Art Ka-talysator wirken, oder ob sie nur ein prominentes, aberletztlich nicht entscheidendes Begleitphänomen dar-stellen.

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Überblick

Mit der Entstehung einer elliptischen Galaxie ist dieEntwicklung einer Galaxie allerdings nicht unbedingtbereits an ihrem Ende angelangt. Falls noch weiteresGas im Halo des verschmolzenen Systems vorhandenist, kann dieses allmählich seine Druckunterstützungdurch Strahlungskühlung verlieren. Ähnlich wie beider Entstehung der ersten Generation einer Spiralgala-xie führt dies zur erneuten Entstehung einer Scheibe.Die in der Verschmelzung gebildete „elliptische“ Gala-xie wird so zum Bulge, der von einer neuen jüngerenSternscheibe umgeben ist. Auf diese Weise können die

Mischformen der Galaxienmorphologieerklärt werden.

Modellrechnungen zurGalaxienentstehungEs ist ausgesprochen schwierig,

den Prozess der Galaxienentstehungdirekt aus seinen Anfangsbedingun-gen bis zum heutigen Zustand in dererforderlichen Komplexität rechne-risch zu verfolgen. Dies liegt zum

einen ganz wesentlich an dem enor-men dynamischen Bereich, der in

diesem Problem auftritt, und der einwesentlicher Bestandteil des hierarchi-

schen Modells ist. Zum anderen spieleneine Vielzahl von „kleinskaligen“ physikalischen Pro-zessen, die mit der Sternentstehung und ihren Rück-wirkungen auf die Gasdynamik zu tun haben und diebestenfalls partiell verstanden sind, eine entscheidendeRolle für die Ausgestaltung der stellaren Systeme. Involler Allgemeinheit lässt sich Galaxienentstehung des-halb nur in Computersimulationen behandeln, die aufden derzeit leistungsfähigsten Supercomputern durch-geführt werden. Allerdings ist es dabei recht unklar,wie die schlecht verstandene Physik der Sternentste-hung abgebildet werden soll, abgesehen von den enor-

men numerischen Schwierigkeiten, die sich durch dengroßen dynamischen Bereich der Rechnungen ergeben.Simulationen müssen sich daher meist auf eine Be-schreibung mit stark vereinfachenden Näherungen be-schränken.

Im Bereich der Strukturentstehung in der dunklenMaterie ist die Unsicherheit dabei noch relativ klein.Die Dynamik der dunklen Materie wird durch diestoßfreie Boltzmann-Gleichung beschrieben, gekoppeltan die Poisson-Gleichung im expandierenden Raum.Dieses auch als Poisson-Vlasov-System bezeichnete System partieller Differentialgleichungen löst mandurch Diskretisierung als ein N-Teilchen-System.Durch Fortschritte in der Computertechnik und deneingesetzten Algorithmen hat man diesen Teil derRechnung mittlerweile recht gut unter Kontrolle. Diegrößten bisher durchgeführten Rechnungen dieser Artbenutzen bis zu einer Milliarde Massenpunkte, in peri-odischen Würfeln von bis zu 3 Gpc Kantenlänge [8](Abb. 4).

Auf großen Skalen ist die einzige relevante Kraft dieGravitation, daher sollten die Baryonen hier wie diedunkle Materie verteilt sein, und mithin spiegelt sichauch in der Verteilung der Galaxien diejenige der dun-klen Materie wider. Dieser Zusammenhang ermöglichtes wiederum, das beobachtete Clustering der Galaxienmit Voraussagen der Theorie der dunklen Materie zuvergleichen, auch wenn die Physik der Sternentstehungim Detail noch nicht verstanden ist.

Man kann aber auch versuchen, hydrodynamischeProzesse der Baryonen näherungsweise in Computer-modelle einzubeziehen. Solche Rechnungen sind sehraufwändig, speziell dann, wenn Strahlungsprozesseund die dadurch mögliche Dissipation im Gas berück-sichtigt werden. Das Gas kann dann zu sehr hohenDichten kollabieren, was kurze dynamische Zeitskalenzur Folge hat, und dynamische Rechnungen, die ja wei-terhin das gesamte Schicksal des Universums über seinvolles Alter verfolgen sollen, extrem verteuert. Derzeitlässt sich dieses Problem nur mit Hilfe phänomenolo-gischer Rezepte zur rechnerischen Behandlung derSternentstehung umgehen. Abbildung 5 zeigt ein Bei-spiel einer solchen Rechnung bei Rotverschiebung z = 3[11]. Auf großen Skalen zeigt das Gas eine ähnlich fila-mentartige Verteilung wie die dunkle Materie. Wie dieVergrößerung einer der leuchtkräftigsten Galaxien al-lerdings zeigt, haben sich im Zentrum der Halos leuch-tende stellare Systeme gebildet.

Aufgrund ihrer physikalischen und numerischenSchwierigkeiten sind hydrodynamische Simulationenderzeit wohl noch nicht das leistungsfähigste Instru-ment, um theoretische Voraussagen für die Galaxien-entstehung zu liefern. Dieses kommt den so genanntensemi-analytischen Modellen zu [13–16].

Hierbei wird das recht sichere Wissen über den hier-archischen Entstehungsprozess von Halos aus dunklerMaterie mit analytischen Methoden zur Beschreibungder Physik der Baryonen kombiniert (Abb. 6). Zwarmüssen auch in dieser Methode oft stark vereinfachen-de Annahmen gemacht worden, doch sind diese physi-kalisch motiviert und rechnerisch leicht handhabbar.Vor allem aber sind diese Modellbildungen ein unver-zichtbares Werkzeug, um überhaupt erst einmal diemöglichen Konsequenzen bestimmter physikalischerHypothesen über den Galaxienentstehungsprozess zu-verlässig abschätzen zu können. Durch den Vergleichmit den immer besser werdenden Beobachtungsdaten

Abb. 4:Die Massenvertei-lung der dunklenMaterie in einer N-Teilchen-Simulati-on der Struktur-entstehung. Dar-stellung in einerRotverschiebungs-Projektion, ähnlichwie für den inAbb. 3 gezeigtenGalaxienkatalog,(aus [8])

Abb. 5:In der Gasverteilung einer hydrodynamischen Simulation derGalaxienentstehung ist deutlich die filamentartige Struktur derMaterieverteilung zu erkennen, selbst zu diesem frühen Zeit-punkt der Entwicklung bei Rotverschiebung z = 3, als das Uni-versum erst etwa zwei Milliarden Jahre alt war. Die „Verklum-pungen“ von Gas sind Halos, in deren Zentren sich Sterne bil-den. Der vergrößerte Ausschnitt links zeigt diese Sterne in rot.(aus [11])

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ist es so in den letzten Jahren erst möglich geworden,die Bedeutung vieler der wichtigsten physikalischenProzesse im Galaxienentstehungsprozess qualitativ undquantitativ zu verstehen.

Dennoch sind viele Fragen nach wie vor ungelöst.Die schwierigste Aufgabe liegt dabei in der Sternentste-hung und ihren Rückwirkungsprozessen auf die Gas-dynamik, dem sogenannten Feedback. Man glaubt, dassSupernovaexplosionen und stellare Winde die Rate derSternentstehung in Galaxien regulieren und insbeson-dere kleine Galaxien an effizienter Sternentstehunghindern, vermutlich indem Baryonen regelrecht auskleinen Galaxien „geblasen“ werden. Auch das UV-Strahlungsfeld von Quasaren und jungen Sternen könn-te entscheidend zum Feedback beitragen. Ohne solcheine Dämpfung der Sternentstehung lässt sich die Hel-ligkeitsverteilung der Galaxien derzeit nämlich nichtverstehen. Da kleine Halos sehr effiziente Kühlungs-prozesse des Gases erlauben, sollten sie eigentlich ver-gleichsweise viele Sterne enthalten, doch das Gegenteilwird beobachtet. Die Aufklärung der Physik der Feed-back-Prozesse steht daher im Zentrum gegenwärtigerForschung auf dem Gebiet der Galaxienentstehung.

SchlussbetrachtungenWenn man bedenkt, dass die Grundidee der hierar-

chischen Galaxienentstehung erst vor 25 Jahren durchSimon White und Martin Rees [17] formuliert wurde,so wird klar, welchen phantastischen Fortschritt dieKosmologie in den vergangenen Jahren erlebt hat. Wirkennen heute mit guter Genauigkeit den Wert allergrundlegenden kosmologischen Parameter und habeneine solide Hypothese für die Entstehung der Galaxien,welche von Theoretikern und Beobachtern gleicher-maßen mit großer Intensität weiteren Tests unterzogenwird. Gleichwohl bleiben viele wichtige Fragen nachwie vor ungelöst.

Die grundsätzlichsten Herausforderungen stellensich dabei wohl für die Teilchenphysik. Die Aufklärungder physikalischen Natur der dunklen Materie und der

dunklen Energie, die zusammen 96 % der heutigenEnergiedichte des Universums ausmachen, gehörtsicher zu den spannendsten Fragen der modernen Phy-sik überhaupt.

Im Bereich der Galaxienentstehung stellt sich vorallem die Aufgabe, die Voraussagen, die sich aus demtheoretischen Modell der hierarchischen Galaxienent-stehung im Rahmen der LCDM-Kosmologie ergeben,mit größerer Zuverlässigkeit zu bestimmen. Der Ver-gleich mit den mächtigen Daten der neuesten Generati-on großer Galaxienkataloge, wie etwa des Sloan Digi-tal Sky Survey [18], wird dann zeigen, wie tragfähigdieses Modell wirklich ist. Die Widersprüche und Pro-bleme, die es derzeit gibt, sind zahlreich, könnten sichaber durch ein besseres Verständnis der Physik derGalaxienentstehung weitgehend auflösen lassen. Es istaber genauso gut denkbar, dass die Theorie der Gala-xienentstehung oder das gerade entstandene Standard-modell der LCDM-Kosmologie noch in entscheidendenPunkten revidiert werden muss. In jedem Fall dürftedie Galaxienentstehung auf Jahre hinaus eines der ak-tivsten Forschungsfelder in der gesamten Astrophysikbleiben.

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Volker Springel, Jahrgang 1970, studier-te Physik an der Universität Tübingenund der Universität von Kalifornien inBerkeley. Er promovierte 1999 an derLMU in München über die Entstehungund Entwicklung der Galaxien. Nach ei-nem Forschungsaufenthalt am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics1999/2000 ist er seit 2001 Postdoktorandam Max-Planck-Institut für Astrophysik.Sein Hauptinteresse gilt der theoreti-schen Kosmologie, speziell der Struktur- und Galaxien-entstehung im Universum, welche er mit numerischenSimulationen auf Großrechnern untersucht.

Der Autor

Abb. 6:Die Galaxienverteilung im lokalen Universum, vorausgesagt miteinem semi-analytischen Modell der Galaxienentstehung. DieFarbe der Symbole gibt einen Farbindex der Galaxien an. Mansieht, dass die vorwiegend roten elliptischen Galaxien bevor-zugt in großen Galaxienhaufen zu finden sind (aus [12]).