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Prof. Dr. Gerhard Büttner Universität Dortmund, Evangelische Theologie Vortrag in Leipzig am 12.11.2004 Die Entwicklung des christologischen Denkens in Kindheit und Adoleszenz

Die Entwicklung des christologischen Denkens in Kindheit ... · 5 und wie sich dies von dem jüngerer oder älterer Kinder unterscheidet. Dabei ist es möglich und legitim, verschiedene

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Prof. Dr. Gerhard Büttner

Universität Dortmund, Evangelische Theologie

Vortrag in Leipzig am 12.11.2004

Die Entwicklung des christologischen Denkens

in Kindheit und Adoleszenz

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Gliederung:

1. Der doppelte Zugang.................................................................................................................... 3

2. Jesus als Helfer............................................................................................................................. 4

3. Die Passion Jesu......................................................................................................................... 12

4. Religionspädagogische Konsequenzen...................................................................................... 17

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1. Der doppelte Zugang

Ich hatte im September dieses Jahres die Gelegenheit, im Hildesheimer Dom zwei hervorragende

Bildwerke romanischer Kunst zu sehen. Da ist zum einen die Bernwardstür. Das Bildprogramm

dieser Bronzetür enthält auf der linken Seite Darstellungen von Schöpfung und Sündenfall der

ersten Menschen. Auf der rechten Seite finden wir Jesu Geburt, Passion und Auferstehung. Damit

befindet sich das Bildprogramm in einem Traditionsstrang, der charakteristisch ist für die meisten

Altarbilder. Konkret heißt das, wenn es um Jesus Christus geht, dann sind die großen mythischen

Bilder dran. Es geht um die Menschwerdung Gottes, es geht um das Leiden und Sterben zugunsten

unseres Heils und um die Auferstehung als Verheißung unserer eigenen Zukunft über den Tod

hinaus. In der Sprache des Kirchenjahres, heißt das: Weihnachten, Karfreitag, Ostern.

Im Hildesheimer Dom gibt es aber noch ein zweites Kunstwerk: Selbiger Bischof Bernward

inspirierte eine sog. Christussäule. Vermutlich nach dem Vorbild der römischen Trajansäule finden

wir ein Band aus Bronzeblech um die Säule gewickelt, auf dem zahlreiche Szenen aus der

Wirksamkeit Jesu abgebildet sind, vor allem seine Wundertaten. Die Darstellung lässt keinen

Zweifel, dass auch hier der göttliche Charakter des Jesus von Nazareth hervorgehoben werden soll.

Warum erzähle ich Ihnen an dieser Stelle von romanischen Kunstwerken in einer niedersächsischen

Kirche? Mir scheint die Tatsache, dass zwei wichtige Aspekte der Christologie hier in einer Weise

getrennt nebeneinander existieren, die sich auch in der Vorstellungs- und Begriffswelt von Kindern

und Jugendlichen in – um es bildlich auszudrücken – verschiedenen Ablagesystemen des

Gedächtnisses finden. Meine eigenen Forschungen haben – gewiss auch als Konsequenz meiner

spezifischen Fragestellung – Hinweise gebracht, dass Jesus Christus ihnen zu allererst – ähnlich wie

Gott – als hilfreiche Gestalt begegnet. Im Sinne meiner Bemerkungen zu den romanischen

Kunstwerken, läge das Interesse in erster Linie bei den Geschichten der Christussäule.

Insbesondere das Geschehen um Kreuz und Auferstehung gehört dabei für diese Adoleszenten nicht

unbedingt zu dem Begriff „Jesus Christus“, um in der Terminologie des Kollegen Hanisch zu

formulieren.

Nach meinen Forschungen gehe ich von der folgenden Mind-Map aus:

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Eine solche Ausgangssituation bedeutet für mich zweierlei:

Ich muss einerseits die Logiken dieser beiden Konzepte bzw. Begriffe darstellen, wie sie sich im

Rahmen des Entwicklungsprozesses vom Kind zum Erwachsenen darstellen. Dies führt dazu dass

ich erst die Vorstellung von Jesus „als Helfer“ entfalten werde und anschließend das Verständnis

der Passion beleuchten werde.

Es ist mir wie Ihnen dabei klar, dass es natürlich sinnvoll und notwendig ist, die beiden

christologischen Teilkonzepte auf einander zu beziehen. Dies soll in einem dritten Abschnitt

geschehen, der dann auch pädagogische Konsequenzen formulieren soll.

2. Jesus als Helfer

Beginnen möchte ich mit einigen Überlegungen zur Reichweite dieser Aussagen. Insgesamt ist die

Frage der Christologie weniger gut erforscht als etwa die Vorstellungen der Menschen von Gott.

Angesichts dessen ist es sinnvoll, auf empirische Studien unterschiedlicher Provenienz

zurückzugreifen. Kann man Ergebnisse aus England, Skandinavien und Deutschland ohne weiteres

nebeneinander stellen? Zunächst ist hervorzuheben, dass ich stärker an qualitativen als an

quantitativen Aussagen interessiert bin. Das bedeutet, dass mich nicht so sehr die Anzahl derer

interessiert, die in einem bestimmten Alter oder einer bestimmten Region ein positives oder

negatives Verhältnis zu Jesus Christus haben. Mir geht es vielmehr darum, wie ein Kind eines

bestimmten Alters und der damit gegebenen kognitiven Entwicklung auf der Basis einer

bestimmten Kenntnis in der Lage ist, ein eigenständiges Konzept von Jesus Christus zu entwickeln

Eine Mind-Map der Christologie der Kinder und Jugendlichen

Jesus als Helfer (Bezug auf Wunder-

Geschichten)

Jesu Leiden und Sterben

(für uns)

Jesu

Auferstehung

Gott als Helfer

Eigene Auferstehungs-

hoffnung

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und wie sich dies von dem jüngerer oder älterer Kinder unterscheidet. Dabei ist es möglich und

legitim, verschiedene konzeptionelle Muster neben einander zu stellen. In ihrer Gesamtheit sollten

diese Konzepte dann in der Lage sein, einen Großteil möglicher Antworten abzudecken. Die so

gewonnenen Vorstellungen bieten so gewissermaßen den Horizont, innerhalb dessen sich dann auch

die religionspädagogische Arbeit bewegen kann. Vorausgreifend auf die

entwicklungspsychologischen Überlegungen kann ich sagen, dass die Antworten der Kinder

erwartungsgemäß sowohl im regionalen Vergleich als auch über die Jahre hinweg relativ stabil und

auch gut miteinander vergleichbar sind. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass hier offensichtlich die

kognitiven Schemata eine große Rolle spielen. Bei den Jugendlichen fällt dies weg, so dass ihre

Antworten ungleich stärker zeitgeistabhängig sind. Angesichts großer Zahlen von Kindern und

Jugendlichen, die den Namen Jesus Christus allenfalls vom Hörensagen her kennen, muss gesagt

werden, wie sich dies auf die hier referierten Aussagen auswirkt. Im Hinblick auf die

Gottesthematik ist es nicht unmöglich, bei jedem Menschen im Prinzip „transzendente Spuren“

auszumachen. Ob man mit Martin Luther davon spricht, dass das „woran einer sein Herz hängt, sein

Gott sei“, mit Paul Tillich von „dem, was uns unbedingt angeht“ oder mit Fritz Oser vom

„Ultimaten“, jeweils sind fast alle Antworten möglich und legitim. Fragt man dagegen nach Jesus

Christus, dann sind nur solche Antworten sinnvoll, die zumindest punktuell einen Ansatzpunkt an

den biblisch überlieferten Tatsachen haben. Angesicht meines Interesses an einer logischen Struktur

oder eines „Begriffs“ im Sinne von Hanisch & Hoppe-Graff ist es deshalb nur sinnvoll, Probanden

zu befragen, die zumindest ein minimales Wissen in dieser Thematik haben. Bei

Unterrichtsgesprächen, wie ich sie zu diesem Thema initiiert habe, ist es allerdings für die

Schüler/innen mit wenig Vorwissen möglich, sich auf der Basis der im Unterricht genannten

Tatsachen dann auch mit eigenen Voten und Meinungen zu Wort zu melden. Ich selbst möchte

dabei die individuellen Vorstellungen (idiosynkratische Begriffe nach Hanisch & Hoppe-Graff)

nicht gegen die Modelle der Tradition ausspielen. Nach meiner Beobachtung sind die allermeisten

individuellen Christologien durchaus anschlussfähig an die Konzeptionen der Theologie.

Ich folge in meiner Altersgruppeneinteilung im Wesentlichen James Fowlers „Stufen des

Glaubens“. Das heißt das ich nach der Vorstufe des „primal faith“ eine Stufe des Vorschulalters

(intuitiv-projektiver Glaube) unterscheide von den ersten 4-5 Jahren der Schulzeit (mythisch-

wörtlicher Glaube) und dann aber der Pubertät den synthetisch-konventionellen Glauben.

Wir können davon ausgehen, dass die Jesus-Gestalt bei den Kindern zunächst in einer Reihe anderer

Gestalten erscheint, d.h. in Gesellschaft der Weihnachtsfiguren, von Märchen und den Gestalten des

Kinderfernsehens. Insofern verwundert es auch nicht, wenn die Jesus-Figur dann bei den jüngeren

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Kindern entweder kontextfrei oder im Kontext der kindlichen Welt erscheint: beim Blumenpflücken

oder Skateboardfahren. Soweit die Kinder mit biblischen Geschichten in Berührung kommen, wie

dies in der Regel im christlichen Kindergarten geschieht, gelingt es ihnen zunehmend, in ihren

Zeichnungen Jesus in den Rahmen von biblischen Geschichten zu stellen. Dies waren bei einer

Untersuchung in christlichen Kindergärten bei den Sechsjährigen immerhin 2/3 aller Kinder. Ein

gutes Beispiel für das Denken in diesem Alter liefert die Erzählung Rudolf Englerts von seinem

damals vierjährigen Sohn. In dessen Kinderspiel tauchten neben Jesus Bauer, Förster, Soldaten und

Wildschweine auf. „In den von ihm immer wieder entworfenen dramatischen Szenarien hatte der

gute Jesus (den die bösen Soldaten zwar ‚totgemacht‘ hatten, der nichtsdestoweniger aber sehr

gegenwärtig war) zum Beispiel dafür zu sorgen, dass der Förster (dem guten Bauern zu Hilfe

eilend) die bösen Wildschweine zur Strecke brachte (die für [den Sohn] Felix geradezu die

Inkarnation des Bösen und Unheimlichen waren).“ John Hull berichtet vom Ausruf seines

5½jährigen Kindes: „Ich hab’ vier unsichtbare Freunde.“ Und auf die Nachfrage der Mutter

erläutert er: „Maria, Jesus, Gott und den Heiligen Geist.“ Wir sehen hier, wie Jesus eine der

bedeutenden religiösen Figuren ist, die das Kind kennt. Auffällig ist weiterhin besonders die Nähe

Jesu zu Gott. Da das Kind in dieser Entwicklungsphase noch vergleichbar kurze logische

Verknüpfungen vornimmt und seine Welt häufig nach assoziativen Mustern ordnet, verwundert

diese Zuordnung und häufige Verwechslung zwischen Jesus und Gott nicht.

Die folgende durch den mythisch-wörtlichen Glauben gekennzeichnete Entwicklungsphase ist

dadurch geprägt, dass die Kinder zwar auf der „Objektebene“ reflektieren können, aber noch keine

„Mittelreflexion“ auf der Metaebene vollziehen können. Ronald Goldman hat dabei sehr typische

Äußerungen von Kindern zu Jesus Christus eingefangen.

Für die Zeit bis zum 10. Lebensjahr hält der als bestimmende Antwort der Kinder fest „Jesus as a

good, helpful or devout man.“ Dies scheint auf eine Christologie hinzudeuten, die eher die irdisch-

konkrete Lebenswelt fokussiert. Die Kinder geben dazu entsprechende Interpretationen: „He wore a

big turban on his head. His shoes and hair were different.“ „Yes he had long short trousers and a

little shirt on top of the trousers.“ „Jesus had a beard and other men don’t“, wie Antworten der 6-

oder 7jährigen Kinder lauten. Diese Hinweise werden dann ergänzt oder ersetzt durch Aussagen

zum Charakter Jesu: „He wore different coloured clothes. […] He was a good man. He thought he’d

like to be a good man and help people.“ „He didn’t kill men like others did.“ Goldman resümiert:

„The most numerous answers in this first stage show Jesus not only as kind and good, but kinder,

more devout and much more helpful and moral than other men. He is still a man, but the difference

is one of greater degree.“

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Entscheidend scheint hier die Antwort des fast 9jährigen Desmond: „They wouldn’t see the

difference. He was different inside him, he was kinder and he loves men.“ Man gewinnt hier den

Eindruck, als seien die Kinder primär an den „historischen“ Dimensionen von Jesus interessiert.

Skeptisch gegenüber einer solchen Annahme stimmen die Aussagen zu den Gottesbildern dieses

Alters. Deren hervorstechender Zug ist wie bei den Jesus-Bildern ihr konkreter

Anthropomorphismus. Nehmen wir in diesem Zusammenhang diesen Anthropomorphismus der

kindlichen Gottesbilder ernst, dann wird es nicht verwundern, dass Kinder die Jesusfigur

menschengestaltig darstellen und wie beim Gottesbild mit einem typischen Wesenszug versehen.

Neben Attributen wie Strahlenkranz und Bischofsstab ist es vor allem der Bart. Wenn eine

Haartracht, als die sich der Bart vordergründig betrachten lässt, den Kindern als Attribut der

Göttlichkeit erscheint, dann wird man auch die genannten Charakteristika der Jesusfigur wie Turban

etc. nicht ohne weiteres als Ausdruck für den „historischen Jesus“ sehen können, sondern muss sie

möglicherweise auch als Kennzeichen seiner Göttlichkeit betrachten. Jesus und Gott erscheinen

auch noch in den ersten Grundschuljahren ähnlich wie in dem Hull-Beispiel als „zwei Freunde“, die

man verwechseln kann oder die sich gegenseitig „vertreten“ können. Dieser Prozess der

Differenzierung zwischen Gott und Jesus wird gewiss gefördert durch eine entsprechende religiöse

Unterweisung, die dann auch die entsprechenden Realien aus der Zeit Jesu den Kindern zunehmend

deutlicher macht. In Bezug auf das Wunderverständnis konnte ich zeigen, dass es für die Kinder bis

zum 9. Lebensjahr in der Regel kein Problem darstellt, wenn Jesu bei seinen Hilfsaktivitäten für die

Menschen die Grenzen des Natürlichen überschreitet. Wenn es bei einer Notsituation auf dem See

Genezareth schnell gehen muss, dann muss sich Jesus nach der Meinung der Kinder eben

„hinzaubern“.

Gegen Ende der 4-jährigen Grundschulzeit beginnt dann ein zunehmendes Interesse an den

Wundern Jesu. Auch Goldman sieht das besondere Interesse an der Wunderthematik ab dem

9. Lebensjahr. Vermutlich wird hier ein Verständnis von Jesus explizit, was in den Antworten der

jüngeren Kinder implizit mitgemeint war. Das Besondere Jesu erscheint häufig im Komparativ. Im

Gegensatz etwa zu den Ärzten heilt Jesus schneller, an allen Tagen (sogar am Sabbat) und auch

Krankheiten, bei denen die Ärzte scheitern. Die Schüler/innen sind jetzt zunehmend in der Lage,

das Wunder als Wunder wahrzunehmen und nicht mehr als ein selbstverständlichen Zug ihrer

magisch geprägten Weltsicht. So steigt auch das Bedürfnis, die Wunder möglichst im Einklang mit

den Naturgesetzen zu erklären. Wir finden im Grundschulalter bereits hochinteressante Versuche,

die „zwei Naturen“ Jesu zum Ausdruck zu bringen. So malt ihn etwa ein Kind „zwischen Pfarrer

und Engel“, ein anderes spricht davon, er sei halb Mensch, halb Gott, er sei „gelaufen und hat

gegessen wie ein Mensch, aber im Herzen [sei] er kein Mensch“.

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Mit der beginnenden Pubertät erreichen die Schüler/innen die Phase des synthetisch-

konventionellen Glaubens. Das heißt konkret, dass sich die Muster, in denen sich Christologie

darstellt, zunehmend weniger von den kognitiven Strukturen geprägt werden. Entscheidend werden

jetzt die „signifikanten anderen“. Die Jugendlichen orientieren sich zunehmend an anderen

Personen. Dies können Eltern oder ältere Geschwister, die Freundesgruppe, der Verein, die Kirche,

der Pfarrer oder die Religionslehrerin sein. Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass diese

Konstellation nicht nur individuell höchst unterschiedlich ist. Sie differiert auch regional und

natürlich zeitlich. In einer eher positiv-religiösen Grundstimmung werden die Teenager sich eher an

einem positiven Jesusbild orientieren als in einem eher antireligiös geprägten Milieu. Diese

Pluralität spiegelt sich auch in den Studien zu diesem Alter wieder.

Bereits mit dem Instrumentarium des mythisch-wörtlichen Denkens sind Schüler/innen in der Lage,

Grundzüge einer eigenen konsistenten Christologie zu entwickeln. Voraussetzung ist jedoch, dass

sie dazu entsprechende „Bausteine“ aus der Tradition mitbekommen haben. Die 24 Kinder der

(meist) 5. Klasse, die Arnold, Hanisch und Orth interviewt haben, sind, wenn man die Antworten

zusammennimmt, durchaus in der Lage, alle wesentlichen Punkte eines christologischen Credo

abzudecken. Bei Schüler/innen mit weniger Zugängen zur Tradition kommt es in der Regel zu einer

Anerkennung der historischen Fakten. Die bei Tamminen beobachtete hohe Wertschätzung für

Jesus als „Morallehrer“, die besonders ab der Klasse 9 ansteigend ist, dürfte Ausdruck dieser

historisierenden Perspektive sein. Von dieser Anerkennung der historischen Gestalt ist allerdings

die Frage von Bedeutung bzw. Wertschätzung deutlich zu unterscheiden. So wird als Resultat der

Shell-Jugend-Studie von 1985 aus Deutschland vermerkt: „Für die Religiosität der Jugendlichen

scheint die zentrale Gestalt des Christentums keine große Bedeutung zu haben. Jesus wird in den

Beiträgen [im Gegensatz zu Gott] kaum erwähnt.“ Bereits Anfang der 70er Jahr hatte eine

Befragung von 10.-Klässler/innen von Realschulen in Wiesbaden ergeben: „von den untersuchten

354 Jugendlichen haben statistisch signifikant mehr Jugendliche eine negative als positive

Einstellung zu Jesus.“

Folgen wir nochmals Goldman. Seine Adoleszenten antworten anfänglich noch durchaus wie die

Kinder der Übergangsphase. Jedoch wird jetzt Jesu Singularität zunehmend in theologischer

Begrifflichkeit artikuliert wie z. B. Allwissenheit und Sündlosigkeit. Die Schüler/innen sind jetzt in

der Lage differenziert auf die Nachfrage zu antworten, ob wir nicht alle „Gottes Kinder“ seien. So

meint der 15-jährige Jonathan: „He [= Jesus] was the direct son of God. We are the children, but not

an actual part of him.“ Oder der gleichaltrige Owen meint: „… he was God in human form. Our

minds are not the same.“ Einmal wird die Erkenntnis, dass Jesus „originally the son of God“ war,

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durch das Auferstehungsereignis begründet. Deconchy sieht in seiner französischen Studie in dieser

Altersstufe erstmals den bewussten Gebrauch von christologischen Titeln der Tradition wie

„Heiland“, „Retter“, „Erlöser“.

In meinen eigenen Studien stieß ich besonders auf eine Tendenz, die ich „Subjektivierung“ nennen

möchte. Die Aussagen der Jugendlichen sind zunehmend geprägt von der Erkenntnis, dass Jesus

Christus – wenn überhaupt – „in ihnen“ präsent oder wirksam sein kann. Im Sinne postmoderner

radikaler Pluralität nehmen sie dies auch von ihren Nachbarn und Freunden an, denen sie jeweils –

ohne Streit – je spezifische eigene Christologien zugestehen.

Interessanterweise bedarf diese Argumentationsweise zunehmend weniger einer historischen

Beglaubigung. So hat z. B. eine Schülerin im Hinblick auf die Wundergeschichten der Bibel

bemerkt, dass sie diese nicht für wahr hält, aber positiv darauf vertraut, dass diese Geschichten

dennoch Mut und Hoffnung verleihen können.

So gesehen kann man eine Tendenz erkennen, den Christusglauben allenfalls an den „wahren Kern“

(so ein Schüler) der biblischen Überlieferung zu hängen. Seine wirkliche Gestalt muss er aber im

eigenen Herzen gewinnen, insofern wären Schüler an einer Begegnung im Äußeren gar nicht

interessiert.

Die hier beschriebenen Befunde decken sich mit den beschriebenen gesellschaftlichen Tendenzen

hin zu größerer Individualisierung. Norbert Mette charakterisiert diese Entwicklung bei den

Jugendlichen so:

Für die Jugendlichen ist es schwer, ihre „Religiosität genau zu identifizieren; sie bleibt vielfach

diffus, unsichtbar, eine Sache, die – wenn schon – eine höchst private Angelegenheit ist, die man in

der Regel für sich behält. […] In diesem Sinne lässt sich treffend von einer hochgradigen

‚Subjektivierung‘ als Kennzeichen dieser neuen Art von Religiosität sprechen, im Unterschied

gerade zu früheren Generationen, in der sie eher außengeleitet war. Ihre Relevanz oder

Nichtrelevanz entscheidet sich daran, ob sie dem Betroffenen, ‚etwas bringt‘ – nicht gerade in dem

oberflächlichen Sinne, wie es diese Floskel suggerieren könnte, sondern im Sinne einer Hilfe zur

Bewältigung elementarer lebenspraktischer Herausforderungen, wie z. B. die als Möglichkeit des

Sich-Auseinandersetzens mit Ungewissheiten und Ängsten oder der Erfüllung der Sehnsucht nach

inneren Erlebnissen […].“

Dass ein solcher Typus von Glauben typisch ist für die ganze Jugendgeneration, zeigen Antworten

z. B. von 7.-Klässlern auf die Frage, ob sie Wundergeschichten heute noch erzählen würden:

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„Wundergeschichten zeigen etwas bildlich. Es muss nicht unbedingt wahr gewesen sein.

Hauptsache ist, dass man daran Sinn erkennt und danach (z. B. Bartimäus) hofft und an sich selbst

glaubt, und man kann ruhig den Anderen diese Hoffnung, eben durch Geschichten, vermitteln, auch

wenn wir nicht daran glauben. Jesus hat ja auch jedem etwas von seinem Glauben erzählt und denen

[damit] Hoffnung gemacht.“

oder

„Den Glauben sollte man in sich haben. Jeder hat einen ganz persönlichen Glauben und damit auch

seine ganz persönliche Wundergeschichte. Andere haben eine andere Wundergeschichte und

dadurch wird meine für sie geradezu langweilig,“

Insgesamt fiel auf, dass sich viele Aspekte der Christologie mit dem von Piaget ins Spiel gebrachten

Begriff des Artifizialismus erklären lassen. Artifizialismus meint die Erklärung von Sachverhalten

durch „Fabrikation“, d. h. auf Grund der Annahme, dass es für alle Dinge auf der Welt einen

Schöpfer geben müsse. Im Denken der jüngeren Kinder kann man sich das durchaus recht handfest

vorstellen, so wie der Tischler den Tisch macht, macht ein Schöpfer (Gott oder die neuerdings oft

auch personifiziert vorgestellte „Mutter Natur“) die Dinge. Werden dieser Schöpfergestalt anfangs

alle Tätigkeiten zugeschrieben, so bekommen die Menschen zunehmend einen größeren Teil in ihre

Zuständigkeit: Die niedrigen Häuser haben die Handwerker gebaut, die hohen Gott, denn die

Menschen haben nicht so lange Leitern. Dieser Artifizialismus verschwindet dann im Laufe des

Jugendalters zugunsten „natürlicher“ Erklärungen. Wie auch Anke Bee-Schroedter konnte ich

zeigen, dass insbesondere Bewertung der Rolle Jesu als Wundertäter und damit implizit auch als

„göttliche“ Person stark von der Ausprägung dieses Artifizialismuskonzeptes abhängt.

Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Entwicklung der Christologie spielt die Beziehung zwischen

Jesus und Gott. In der von mir vorgegeben, einer Sturmstillungsgeschichte vage nachgebildeten

Problemgeschichte, sollten die Schüler/innen angeben, wie sich Jesus wohl angesichts einer

Notsituation auf dem See Genezareth verhalten würde. Dabei spielte in spezifischer Weise das

Gebet Jesu als Kommunikation mit seinem Vater eine prominente Rolle.

Zusammenfassend lässt sich die Entwicklung der Christologie auf der Basis meiner eigenen

Untersuchungen wie folgt darstellen:

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Altersgruppe Entwicklungspsycho-

logischer Befund

Theologisch relevante Beobachtung

Klasse 1-3 Bestimmend ist die

artifizialistische bzw.

finalistische Sichtweise.

Kinder erwarten, dass Jesus

hilft und alles gut ausgeht. Das

Eingreifen Jesu bzw. Gottes

wird dabei durchaus konkret

verstanden.

Gott und Jesus erscheinen eng verbunden, wie

aus dem familialen Kontext geläufig (Vater

und Sohn). Anfangs werden Jesus und Gott

manchmal verwechselt, zumindest unscharf

unterschieden. Beginnende Überlegungen zur

Besonderheit Jesu Christi im Modus

konkreten Denkens (z. B. halb Mensch, halb

Gott).

Klasse 4-7 Artifizialistische Vorstellung

löst sich zunehmend auf. Jesu

bzw. Gottes Hilfe wird eher in

Übereinstimmung mit den

Naturgesetzen erwartet. Erste

Ansätze eines

subjektorientierten Handelns

Jesu (gibt Mut, die Situation

zu bestehen).

Jesus und Gott deutlich getrennt. Zentrale

Bedeutung des Gebets als

Kommunikationsmedium zwischen Gott und

Jesus. Tendenz zur Aufspaltung der Funktion:

Jesus will helfen, braucht dazu die

Ermächtigung von Gott. Dieser hat die Macht

zu helfen, verweigert sie aber manchmal

Jesus.

Klasse 8+9 Artifizialistische Reste

eigentlich nur noch als

Ausdruck von Regression.

Sonst Vorherrschen einer

subjektorientierten

Christologie als individuelle

Erfahrung.

Beziehung zwischen Jesus und Gott weiterhin

bestimmt durch Gebet. Zunehmende

Versuche, die Bedeutung dieses „besonderen

Menschen“ im Zusammenhang mit Gott zu

verstehen (z. B. Darsteller Gottes).

Dabei deuten die Untersuchungen von Tobias Ziegler an 11.-Klässlerinnen in die Richtung, dass

sich die Tabelle in der Weise weiterschreiben lässt, dass die skeptischen Voten eher zunehmen,

inhaltlich sich aber die Konzeptentwicklung an meine Beobachtungen anschließen lässt, wenn er

etwa schreibt (119):

„Am ‚stabilsten‘ gegen Zweifel und für Jugendliche offenbar am akzeptabelsten scheinen die

[relativ häufig zu findenden] sendungs-christologischen Aussagen, dass Gott seinen Sohn Jesus auf

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die Erde schickte. Hier erscheint Jesus oft als betont menschlicher Stellvertreter Gottes, was sich

auch in weiteren Attributen wie ‚Bote‘ oder ‚Vermittler‘ widerspiegelt“.

3. Die Passion Jesu

Für den zweiten Begriffskomplex „Jesu Passion“ greife ich auf einige kleinere Studien zurück, die

ich selbst durchgeführt habe.

Ich hatte vor Jahren bereits einmal Schüler/innen der Klassen 4-8 schriftlich befragt, warum Gott

nach ihrer Meinung Jesus leiden und sterben ließ. Ich hatte die Vermutung, dass heutige

Schüler/innen dazu neigen, die Passion Jesu als einen Spezialfall der Theodizeeproblematik

aufzufassen. Doch diese Spur war falsch. Zur Deutung halfen mir zwei Theoriekonstrukte: die

Assimilation in das Familienmodell und die Entwicklung des religiösen Urteils nach Oser. Ersteres

drückte sich etwa in der Annahme aus: „Da Jesus Gottes Sohn war, und Gott im Himmel lebte,

wollte er wahrscheinlich, dass Jesus in den Himmel kam und ihm half, die Welt in Ordnung zu

halten.“ Der Oser-Ansatz ließ uns drei stufentypische Antwortmöglichkeiten unterscheiden.

Stufe 1: „Gott wollte es so! Das ist das Schicksal, das Jesus erleiden muss!“

Stufe 2 bot die zahlenmäßig größte Antwortpalette. Die meisten sahen gemäß der Tradition Jesu

Leiden und Sterben als Ausgleich für unsere Sünden. Doch fanden sich auf diesem Niveau auch

Antworten wie die folgende: „Vielleicht hat er etwas falsch gemacht. Vielleicht hat er auch

jemandem, der sehr wichtig ist, nicht geholfen, keinen Rat gegeben … Jesus hat vielleicht eines von

den 10 Geboten nicht befolgt. Er hat jemanden verraten.“

In dieselbe Stufe gehört aber auch die Vermutung: „Vielleicht wollte Gott auch Jesus mit dem

Auferstehen belohnen. Und wenn Jesus nichts geleistet hat, kann er auch keine Belohnung

erwarten.“

Auf der dritten Stufe finden wir dann Aussagen im Sinne einer Autonomie gegenüber Gott:

„Jesus wollte nicht mehr auf dieser Erde leben.“ Oder „Vielleicht weil Gott die Menschen nicht

mehr unter Kontrolle halten kann und die kreuzigen Jesus.“

Mich interessierte, ob diese schriftlich erhobenen Antworten, sich im konkreten

Unterrichtsgespräch so oder ähnlich wiederfinden ließen. Wir inszenierten dazu eine

Unterrichtsstunde in einer 6. Gymnasialklasse. Es sollte zwei Inputs geben, einen Text und ein Bild.

Ansonsten sollte sich die Lehrerin im Wesentlichen auf die Moderation konzentrieren, also

möglichst wenig eigene Wertungen einbringen.

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Der Unterricht begann mit der folgenden Geschichte:

Einige Tage vor Ostern treffen sich Isabell und Jürgen. Isabell erzählt von ihrer Oma, die in letzter

Zeit abends manchmal so komische Lieder singe. „Die Melodie geht ja noch“, meint sie, „aber die

Texte, total traurig.“ „Wieso singt die bei dem schönen Wetter so traurige Lieder, es ist doch bei

euch niemand gestorben oder so?“ erkundigt sich Jürgen. „Nee, das hängt irgendwie mit der

Passionszeit zusammen, weil doch der Jesus da gestorben ist“, versucht Isabell zu erklären. „Aber

das ist doch schon so lange her!“ Jürgen kann das nicht verstehen.

„Soll ich dir mal so einen Liedervers vorlesen? Noch bevor Jürgen etwas dagegen sagen kann, fängt

Isabell an:

„Herzliebster Jesus, was hast du verbrochen, dass man ein solch scharf Urteil hat gesprochen? Was

ist die Schuld, in was für Misstaten bist du geraten?“

„Hat denn der Jesus was ausgefressen? Ich denk’, der war immer zu allen Menschen so lieb und hat

denen geholfen.“

Isabell ist ein bisschen sauer, weil Jürgen mitten in ihren Vortrag reingeplatzt ist. „Warte doch mal,

es geht doch noch weiter!“

„Was ist doch wohl die Ursache solcher Plagen? Ach meine Sünden haben dich geschlagen; ich,

mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet.“

„Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Wer ist denn dann schuld am Kreuzestod Jesu? Ist das der

Liederdichter? Was ist denn das für ein fieser Typ, dass der so schwer bestraft werden sollte?“

„Meine Oma hat gemeint, der Liederdichter spräche über die Sünden aller Menschen, also auch

über deine und meine.“

Doch da empört sich Jürgen. „Wegen meiner paar Sünden hätte der Jesus nicht sterben brauchen!“

Was kann Isabell antworten?

Wie ein Cantus firmus zieht sich der Gedanke durch die Stunde, dass alle Menschen sündigen. Dies

wird festgemacht am Beispiel einer totgeschlagenen Fliege. Immer wieder beziehen sich die

Schüler/innen auf dieses Beispiel. Einmal betonen sie damit, dass Mensch und Tier vor Gott

gleichwertig seien. Andererseits wird angeführt, dass man eine Fliege auch unwillentlichen im

Schlaf töten könne. Will man nicht den Kuriositätencharakter dieses Beispiel überbetonen, dann

scheint dahinter eine Ahnung im Hinblick auf das Konzept der „Erbsünde“ zu stehen. In unserem

kreatürlichen Verhalten kommen wir nicht darum herum zu sündigen. Dies gilt selbst für den

Schlaf, in dem wir nicht Herr unserer Sinne sind.

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Interessanterweise stellen die Schüler/innen dieser Sünde dann einen eher strengen, strafenden Gott

gegenüber. Zwar wird betont, dass Gott uns unsere Sünden verzeiht, wenn wir sie bereuen. Aber

trotz der Betonung, dass Gott uns und alle anderen Geschöpfe liebt, tritt dann doch wieder der

Aspekt in den Vordergrund, dass der Kreuzestod Jesu ein mahnendes, wenn nicht sogar

abschreckendes Beispiel für uns als potentielle Sünder sein solle.

Im weiteren Gespräch kommt dann das Auferstehungsgeschehen zur Sprache, einmal in Bezug auf

Jesus, dann auch als mögliche Hoffnungsperspektive für uns.

Ich halte die wichtigsten Argumentationen fest:

- Gott korrigiert durch die Auferstehung den fälschlicherweise veranlassten Kreuzestod.

- Gott lernt etwas an dieser Sache und lehrt uns etwas.

- Vielleicht soll der Tod relativiert werden.

- Gott tut Jesus mit dem Tod einen Gefallen und entzieht ihn den Nachstellungen der

Menschen bzw. dem Leid auf Erden.

- Jesus ist das Vorbild, wenn wir ihm nacheifern, werden wir auch auferstehen.

- Gott wollte die Kreuzigung Christi nicht, aber Jesus wollte es.

Will man einen bestimmenden Grundzug der Argumentation der Schüler/innen benennen, dann ist

es wie in der schriftlichen Befragung die Kraft des Do-ut-des-Schemas. Fritz Oser und Paul

Gmünder hatten dieses für die zweite Stufe des religiösen Urteils als charakteristisch

herausgefunden. In seiner Konsequenz heißt das: Sünden müssen bestraft werden! Wenn Jesus

dafür sterben muss, dann müssen wir wenigstens ein schlechtes Gewissen haben. Die Erkenntnis,

dass der Kreuzestod Jesu Christi gerade dieses Strafschema aushebeln soll, dass der „fröhliche

Wechsel“ (Luther) den Sünder gerecht macht, ist den Schüler/innen dieses Alters wohl kaum

zugänglich. So bleibt der Kreuzestod Jesu Christi ein paränetisches Zeichen, möglichst ja nicht zu

sündigen.

Die zweite Sequenz verweist auf das ebenfalls bekannte familiale Muster als Interpretationsschema.

Es sind die Beziehungen zwischen (Gott)-Vater und Sohn, die hier sichtbar werden. Gott-Vater

bewahrt seinen Sohn vor Schlimmerem oder die Beiden sind nicht einer Meinung.

Wir erhalten einen Eindruck davon, wie konkret sich die Kinder dieses Alters das

heilsgeschichtliche Geschehen vorstellen. Ich plädiere dafür, dies nicht als defizitär anzusehen,

sondern als Interpretament von innertrinitarischen Beziehungen.

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Ich habe in einer 9. Klasse die Fragestellung etwas verändert. Ausgehend von der Gethsemaneszene

sollten die Schülerinnen überlegen, warum Jesus in seinen Kreuzestod einwilligte. Ich präsentiere

Ihnen eine zusammenfassende Mindmap einer Unterrichtsszene:

Die Schüler/innen weisen in ihren Voten Jesu Kreuzestod eine wichtige Stellung zu. Gegenüber der

klassischen Dogmatik verzichten sie bis auf eine Ausnahme völlig auf soteriologische Argumente.

Leonie sieht in der Passion Jesu gewissermaßen den Gründungsakt des Christentums. Auch Ina

sieht in Jesu Opfertod ein Überzeugungsargument für seine Anhänger. Anna sieht den Kreuzestod

als Bedingung für die Auferstehung, die Stefan als Voraussetzung des Christentums sieht. Nach

einem kurzen Bedenken, wieweit Jesus sein Schicksal kannte, nimmt Britta das Thema „Nachfolge“

auf. Sie sieht hier Jesu Leiden als beispielhaft für spätere Christen. Leonie bringt als einzige eine

soteriologische Argumentation in die Diskussion ein. Demnach hat Jesu Passion die Welt vor noch

größerem Leid bewahrt.

Sarah, Jennifer und Maria sehen in Jesu Leiden einen Anstoß zum eigenen Umgang mit dem Leid.

Für die Schüler/innen ist das Leiden auch das entscheidende Merkmal für Jesu Menschsein. Wobei

Jesu Kreuzestod

Begründer unserer Religion Leonie: „wenn er nicht am

Kreuz gestorben wäre“

Auferstehung Anna: Ohne Kreuzigung

keine Auferstehung Jennifer: Durch die

Auferstehung Glauben mehr Leute an Gott

Stefan: Auferstehung = Grundgedanke des

Christentums. Maria: nimmt Angst v. Tod

Annika +Jennifer: Jesus kennt sein Schicksal

Vorbild: Britta: Beispiel eines

Christen bis zum Tod. Sarah: Zeigen,

dass Leid zum Leben gehört

Jennifer: Glauben, trotz Leid

Für uns: Leonie: Ohne

Kreuzestod noch mehr Leid Solidarität:

Erinnerung im Leid anJesu Tod

Wahrer Mensch: Ina: Ein Mensch, der geglaubt hat, deshalb

teilweise Gott. Jennifer: Mensch mit göttlicher Kraft.

Leonie: Als Mensch Vorbild Sarah: Verweis auf Heilungen

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Ina ihn deshalb „schon teilweise [als] Gott“ sieht, weil er so stark mit Gott-Vater durch den Glauben

verbunden ist. Jennifer sieht göttliche Kräfte, was Sarah zu dem Stichwort „Heilen“ veranlasst.

Insgesamt lässt sich auch zu dieser Frage ein Entwicklungsschema im Sinne der Stufenentwicklung

von Oser und Gmünder erkennen:

Deutungen der Passion Jesu Christi im Lichte der Oser-Stufen

Oser Stufe Bedeutung Beispiel Passion

1 (Deus ex machina) Gott bestimmt über den

Menschen

„Gott wollte es so! Das ist das

Schicksal, das Jesus erleiden

muss!“

2 Do, ut des Gott und Mensch im Austausch Jesus stirbt, damit Gott uns

vergibt oder

Jesus stirbt, weil er etwas

ausgefressen hat

3 Deismus Säkulare Deutungen ohne eine

Einbeziehung Gottes

Jesus hatte bestimmt seine

Gründe, weil er hätte sich ja

gegen alles wehren können

4 Lebensplan Trotz autonomer Deutung

gleichzeitiges Wissen um die

Geborgenheit in Gott

Er wusste, was mit ihm

geschieht und die Situation

ausweglos für ihn war. Er

vertraute Gott blind und ließ

sich von ihm in den Tod führen.

Seine Liebe zu ihm und sein

Vertrauen waren unbegrenzt.

Ich habe Grundkursschülerinnen mit derselben Frage wie die 9.-Klässlereinnen konfrontiert und

konnte dabei diesen Trend bestätigen.

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4. Religionspädagogische Konsequenzen

Abschließend möchte ich einige pädagogische Konsequenzen aus den empirischen Studien ziehen.

Grundlegend und für alle Altersstufen gilt, dass die Kenntnis möglichst vieler Jesusgeschichten der

Bibel von zentraler Bedeutung ist.

Dies lässt sich zunächst einmal vom Bildungsanspruch von Schule her begründen.. Die

künstlerische, literarische und musikalische Tradition lässt sich ohne Kenntnis biblischer

Geschichte schlichtweg nicht verstehen.

Angesichts der Tatsache, dass die christliche Tradition aus gutem Grund den Gedanken einer

Evangelienharmonie verworfen hat, erscheinen Jesusgeschichten immer im Plural. Schülerinnen,

die mehrere dieser Geschichten kennen, müssen sehen, wie sie deren Aussagen zusammen denken

wollen. Damit enthält das biblische Angebot zwangsläufig einen Anstoß zum eigenen Nachdenken

und zum Diskurs. Insofern ist es legitim, schon bei jüngeren Kindern von einer Christologie zu

sprechen.

Andererseits ist es wichtig, dass die Schülerinnen diese Geschichten mit „Relevanz“ versehen. Von

Fritz Oser bis Ingo Baldermann gab es von daher immer wieder Überlegungen, wie es möglich

werden kann, dass diese Geschichten als „notwendig“ erscheinen bzw. auch von innen erlebt

werden. Was ist, wenn keiner mehr helfen kann? Wie ergeht es dem, der durch Krankheit oder

soziale Ächtung ausgeschlossen ist, und der erfährt, dass Jesus sich ihm zuwendet? Die Frage nach

dem Christus praesens wird dabei indirekt mitgestellt.

Gewiss ist es sinnvoll, die Realien von Zeit und Umwelt Jesu zu vermitteln. Es scheint mir aber

wichtig, diese Perspektive mit der christologischen zu verbinden. In dem von mir

mitherausgegebenen Schulbuch „SpurenLesen“ haben wir deshalb bewusst neben den Bericht über

die Auffindung eines Bootes aus der Zeit Jesu ein romanisches Bild der Sturmstillung gestellt, in

dem der Wind bewusst als bildhafte dämonische Maske erscheint. Gerade in der Sekundarstufe wird

es wichtig, dass die Schülerinnen lernen, die Welt doppelt zu konnotieren. Die Möglichkeit, Dinge

„wissenschaftlich“ zu dechiffrieren bedeutet deshalb noch lange nicht, dass man sie nicht auch im

Lichte des Glaubens nochmals neu deuten kann. Die Schülerinnen der Sek ! haben dies immer

wieder im Zusammenhang der Wundergeschichten Jesu gezeigt, wenn sie dem Wunsch, diese

natürlich zu deuten die Vorstellung an die Seite stellten, dass „im Innern“ der handelnden Personen

die wichtigen Veränderungen abgelaufen seien, in der Form von Trost und Ermutigung und

Stärkung.

Es scheint mir auf jeden Fall hilfreich und sinnvoll, die Schülerinnen selber zum Nachdenken in

christologischen Fragen zu animieren. Meine eigenen Forschungen zeigten mir, dass sich die

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Diskussionen zwangsläufig auch in der Spur der systematisch-theologischen Tradition bewegen.

Die paradoxalen Aussagen von Nizaea und Chalzedon zu den Naturen Christi „wahrer Mensch –

wahrer Gott“, „unvermischt und ungetrennt“ finden sich nach meiner Beobachtung in vielen

tastenden Aussagen der Schülerinnen, wenn sie davon sprechen, Jesus sei irgendwie besonders, er

gehöre zu Gott oder so. Ich möchte allen Lehrenden raten, solche Formulierungen zu sammeln und

im Unterricht fest zu halten. Wenn es ihnen gelingt, solche zu verknüpfen mit Aussagen aus der

Tradition, dann helfen Sie auch ihren Schüler/innen, sich gerade auch in ihren gewagten

Formulierungen eingebunden zu wissen in einen größeren theologischen Diskurs.

Auf solchen Wegen lassen sich dann auch die Verknüpfungen finden zwischen dem Wundertäter

Jesus und dessen gewaltsamem Ende. Die Aussagen der Schüler/innen finden ihre Parallele in

Aussage neuerer systematischer Theologie, dass Jesu Passion nicht durch ihren blutigen Verlauf

zum Heilszeichen wird, sondern dass sein Leiden nur die letzte Konsequenz seiner liebenden

Zuwendung zu uns ist. Damit wird Jesu ganzen Leben für uns zum Opfer, nicht erst sein Tod am

Kreuz.

Die von Arnold, Orth und Hanisch untersuchten Kinder haben die einzelnen Elemente der

Christologie zumindest gemeinsam alle geboten. Die Verknüpfungen der einzelnen Bausteine

gelangen den einzelnen unterschiedlich gut. Man kann sich aber gut vorstellen, dass es auch

unterrichtlich gelingen kann, die einzelnen „Module“ zusammenzuführen. Die geprägteren

Bekenntnisse können dabei eine Hilfe sein. Sie sehen, es ist nicht ganz einfach, die Bernwardstür

und die Christussäule näher zueinander zu rücken. Es ist aber eine lohnende Aufgabe, für den

Religionsunterricht und immer neu – auch für die Theologie.