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Teil 2
Die gegenwärtige Steuervielfalt
Eher Steuerchaos als Steuersystem
Unter meinen Bekannten ist auch ein sehr wohlhabender Mann,
der in einem wahren Palast wohnt, eine fürstliche Tafel führt,
ungeheure Auslagen hat, jedoch überhaupt kein Einkommen,
wie mir schon des Öfteren aufgefallen war. An diesen Mann
wandte ich mich in meiner Not. Er nahm die Zurschaustellung
meines großartigen Einkommens zur Hand, setzte die Brille auf,
griff nach der Feder – und im Nu war ich bettelarm! Es war das
geschickteste Zauberkunststück, das ich je gesehen. Er brachte
es ganz einfach dadurch zustande, dass er aus der Rubrik ‚Ab-
züge‘ das Menschenmögliche herausholte....“Wie ist das?“
fragte ich. „Verfahren Sie in Ihrem eigenen Fall mit den Abzü-
gen immer auf diese Art?“ „Allerdings! Wenn nicht in der Rubrik
‚Abzüge‘ diese dreizehn Klauseln wären, würde mich dieser
verhasste Raubstaat ja jedes Jahr bis aufs Hemd ausplündern.“
Mark Twain
Amerikanischer Schriftsteller
Gewisse Dinge lassen sich leichter legalisieren als legitimieren.
Nicolas Chamfort
Französischer Schriftsteller
Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtig-
keit.
Johannes Gottfried Seume
Deutscher Schriftsteller
Ich lauf Amok durch Rubriken. Aus „Ersterwerb“ und „Sachbe-
zug“ und „Nutzwert aus Rasenstücken“ wird nur ein Schriftge-
lehrter klug. Mir fährt ein Schrecken durch die Glieder; ich
schreibe ringsum Zahlen hin und staune immer wieder wie
dämlich ich veranlagt bin.
Christian Grosch
Deutscher Schriftsteller
Teil 2: Die gegenwärtige Steuervielfalt 43
Dieser zweite Teil zeichnet ein Portrait der deutschen Steuer-
vielfalt und dabei vor allem des geltenden Rechts bei der Be-
steuerung persönlicher Einkommen und der Gewinne von Un-
ternehmen. Das traditionelle Leitbild der Einkommensbesteue-
rung wird an den Fakten gemessen. Ergebnis: Die Grundprinzi-
pien dieses Referenzmodells finden sich in der Realität bes-
tenfalls als Karikatur wieder. Statt eines Steuersystems haben
wir ein Steuerchaos.
Kapitel 5 wirft ein Blick auf die wundersame Vielfalt deutscher
Steuern und gibt einen ersten Überblick über das deutsche Ein-
kommensteuerrecht. Dieser Kurzbericht deckt schonungslos
auf, welch aberwitzige Fehlkonstruktionen und Kuriositäten un-
ser Steuerrecht enthält.
Kapitel 6 wird dem Leser offen legen, warum die heutigen Ein-
kommensteuern für ihn ein Buch mit sieben Siegeln sein müs-
sen. Welche weiteren Ungerechtigkeiten sich aus dieser Unver-
ständlichkeit für den ehrlichen Steuerbürger ergeben, wird er
hier erfahren.
Kapitel 7 verdeutlicht, welche volkswirtschaftlichen Kosten aus
der Unverständlichkeit des Steuer(un)rechts und seinem Miss-
brauch als Lenkungsinstrument entstehen. Noch viel mächtiger
sind die volkswirtschaftlichen Kosten, die das traditionelle Sys-
tem selbst – also ohne politische Lenkungseingriffe – hervorruft.
Diese Tatsachen werden dann im Teil 3 des Buches näher auf-
bereitet.
Teil 2: Die gegenwärtige Steuervielfalt 44
K A P I T E L 5
Die deutschen Einkommensteuern
im Überblick
Regelungen oft nicht nachvollziehbar
ie die Steuerspirale in der nachstehenden Abbildung 5-
1 zeigt, gibt es in Deutschland eine abenteuerliche
Vielfalt an Steuern. Was hiervon Einkommensteuern
sind, ist nicht sogleich ersichtlich. So sind die Lohnsteuer und
die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag nicht – wie man mei-
nen könnte – eigenständige Steuern. Bei diesen Steuern han-
delt es sich vielmehr nur um besondere Zahlungsarten bei der
(persönlichen) Einkommensteuer, nämlich dem Steuerabzug
anlässlich der Auszahlung von Löhnen, Dividenden und Zinsen.
Per Steuerbescheid holt sich der Fiskus die Steuer auf alle an-
deren (persönlichen) Einkommen: in der Spirale als veranlagte
Einkommensteuer ausgewiesen. Bei näherer Betrachtung be-
greift man, dass auch die Gewerbe- und Körperschaftsteuer zur
Gruppe der Einkommensteuern gehören. Hier werden nämlich
Unternehmensgewinne besteuert, die – wirtschaftlich betrachtet
– Einkommen der Unternehmenseigentümer darstellen.
Schließlich ist auch der auf die (persönliche) Einkommensteuer
und Körperschaftsteuer erhobene Solidaritätszuschlag eine
Einkommensteuer.
Mehr als die Hälfte seines gesamten Steueraufkommens nimmt
der Staat mit all seinen Einkommensteuern ein. Die andere
Hälfte dieses Aufkommens wird von etwa 25 weiteren Steuern
bestritten. Der Löwenanteil kommt hierbei von Steuern auf den
Verbrauch von Gütern, die man auch indirekte Steuern nennt.
Für Geld kann man bekanntlich nicht alles kaufen. Aber fast al-
les, was man für Geld bekommt, wird auch besteuert. Der Trick
heißt Umsatzsteuer oder auch Mehrwertsteuer. „Mehr wert“
wird durch diese Steuer nichts, aber alles etwas teurer: Auf je-
den Preis packt der Staat in der Regel noch einmal 19 Prozent
Steuer drauf, die der Verkäufer dann bei ihm abliefern muss.
Abenteuerlich
Die Vielfalt der deutschen Steuern
W
Mehr wert
wird gar nichts, nur teurer
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 45
Kostet Sie etwa ein Fernsehgerät 952 Euro, so gehen davon
152 Euro als Mehrwertsteuer an den Staat. Nur Lebensmittel
und bestimmte Produkte, deren Nutzung als besonders sinnvoll
angesehen wird – wie etwa Zeitungen, Bücher und bestimmte
Kunstgegenstände –, gehen mit einem ermäßigten
Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent über die Ladentheke.
In der deutschen Steuerspirale (siehe Abbildung 5-1) macht die
Mehrwertsteuer den dicksten Einzelposten aus. Ein knappes
Drittel seines gesamten Aufkommens nimmt der Staat über
diese Steuer ein. Wenn man allerdings bei der Einkommen-
steuer nicht zwischen ihren Erhebungsformen (Lohnsteuer,
veranlagte Einkommensteuer, nicht veranlagte Steuern vom
Ertrag) unterscheiden würde, dann war sie bislang die Steuer
mit dem höchsten Aufkommen.
anche Dinge werden nicht nur mit der Mehrwertsteuer
teurer gemacht, sondern darüber hinaus auch noch mit
zusätzlichen Spezialsteuern: Autofahrer etwa müssen
nicht nur eine spezielle Auto-Steuer – Kraftfahrzeugsteuer
genannt – blechen, sondern darüber hinaus noch eine beson-
dere Benzinsteuer, offiziell in der Mineralölsteuer verpackt.
Letztere firmiert wegen ihrer neuerdings ökologisch begründe-
ten ständigen Erhöhungen auch als Öko-Steuer. Wer etwa 40
Liter Bleifreies in seinen Wagen gluckern lässt, macht den Fis-
kus bereits um etwa 30 Euro reicher. Zusammen mit der Mehr-
wertsteuer zapft der Fiskus seit dem Jahr 2002 dann bei jedem
Ihrer Besuche an der Tanksäule gleichzeitig fast 90 Cent je Li-
ter Benzin bei Ihnen ab. Mit der bevorstehenden Einführung der
(zunächst belastungsneutralen) Pkw-Maut ist langfristig damit
zu rechnen, dass deutsche Autofahrer hierdurch noch zusätz-
lich belastet werden.
Im Gegensatz zu den Autofahrern wurden Biertrinker bereits im
Mittelalter von einer speziellen Biersteuer gebeutelt. Diese
Steuer trug damals zwar noch fast so viele Namen wie es
Biersorten gab (z. B. Bierungeld, Bierziese, Bierpfennig, Trank-
geld, Schank- oder Malzaufschlag), gehört seitdem aber
ebenso unzertrennlich zum deutschen Bier wie das Reinheits-
gebot. Zusammen mit der Mehrwertsteuer kommen auf einen
Kasten mit 12 Flaschen Premium-Pils heute gut und gerne 2
M
Bleifreies Benzin
gibt es schon lange, steuerfreies wohl nie
Hausbrauereien
Das eigene Pils spart Steuern
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 46
Euro Steuern. Da ist es nur von schwachem Trost, dass das
Gesetz jedem freistellt, sich jährlich bis zu zwei Hektoliter
Selbstgebrautes als gänzlich steuerfreien Haustrunk schme-
cken zu lassen.
Aus Wikipedia (de.wikipedia.org/wiki/Steueraufkommen_(Deutschland); Abruf 30.03.2015
Wer zwar Bierabstinenzler ist, morgens aber einen Pott Kaffee
zum Wachwerden braucht, kommt nicht viel besser weg. Auch
er löhnt im Laden nicht nur für die Kaffeebohnen, sondern zahlt
neben der Mehrwertsteuer auch gleich eine Extra-Kaffeesteuer
mit. Mit etwas weniger als zwei Euro pro Pfund ist der Staat mit
seinen Steuern dabei. Als leidenschaftlicher Kaffeetrinker kann
man das natürlich nur ziemlich besteuert, pardon: bescheuert
finden. Warum gerade Kaffee? Warum nicht Tee? Und warum
eigentlich Bier und nicht Wein? Steuer auf Bier, die rat’ ich dir;
doch Steuer auf Wein, das lass’ sein?
Kaffeetrinker
machen den Staat flüssig,Teetrinker weniger
42280
43027
Lohnsteuer
158198
Abbild
ung 5
-1
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 47
arum das eine besteuert wird, das andere nicht: Mit
rationalem Denken ist dies nicht zu ergründen.
Ökonomen reagieren deshalb auf spezielle Ver-
brauchssteuern ziemlich allergisch, und zwar, weil sie sich in
den überwiegenden Fällen nur fiskalisch begründen lassen und
die Marktpreise der betroffenen Güter verfälschen.
Auch wenn wir abends ins Kino oder zum Tanzen gehen, packt
der Staat in vielen Städten und Gemeinden noch einen Auf-
schlag von bis zu 20 Prozent auf den Eintrittspreis. Das nennt
sich dann Vergnügungssteuer, frei nach dem Motto: Erst
kommt die Steuer, dann das Vergnügen! Mir freilich vergeht in
der deutschen Spirale der ‚Steuer-Exotik‘ das Vergnügen. Denn
was auf dieser Geisterbahn so alles an einem vorbeirauscht,
das kann einen schon verwundern: Eine Jagd- und Fischerei-
steuer! Eine Hundesteuer, aber keine Katzensteuer! Eine
Schankerlaubnissteuer! Eine Schaumweinsteuer!
arum nun ausgerechnet wieder Schaumwein
besteuert wird? Tradition, lieber Leser, Tradition. Auch
die Perlwein-Abgabe ist ein echtes Steuerfossil noch
aus den Tagen des Kaisers Wilhelm Zwo. Die Sektsteuer wurde
vor dem ersten Weltkrieg eingeführt, um mit den Einnahmen die
kaiserliche Flotte aufzurüsten. Die Kreuzer und Kanonenboote,
die später in der Nordsee „Schiffe versenken“ spielten, wurden
also nicht nur mit Schampus getauft, sondern vorher auch über
Schampus finanziert. Inzwischen liegen die Wracks auf Grund,
doch das ‚Steuer-Antiquariat‘ bleibt uns wahrscheinlich noch
lange erhalten. Manche überflüssige Steuern sind halt, so
scheint’s, unversenkbar.
W
Schon Willhelm zwo
profitierte von Champagnerlaunen
Allergie
Spezielle Steuern auf Verbrauch unbeliebt
W
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 48
So kommt es, dass der Staat noch heute kräftig mitschluckt,
wenn zu Silvester die Korken knallen. Mit jedem Knall klimpern
um die 1,20 Euro mehr ins Staatssäckel. Im Jahr 2013 raffte
der Fiskus auf diese Weise immerhin 434 Millionen Euro
Schaumweinsteuern zusammen. Im Vergleich zu den fast über
300 Milliarden Euro, die er mit seinen Einkommensteuern 2013
eintrieb, sind das aber natürlich nur Peanuts.
ie blauen Punkte in der Steuerspirale (siehe Abbil-
dung 5-1) markieren die Einkommensteuern. Vielen
Steuerpflichtigen zur Genüge und zum Verdruss
bekannt sind die Lohnsteuer auf Arbeitseinkommen und die
Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen für Aktionäre
(Dividenden) sowie Zinsen. Die Kapitalertragsteuer auf Zinsen
aus Einlagen und Guthaben bei Banken sowie aus Darlehen
und Anleihen wird Zinsabschlagsteuer genannt. Beide Steuern
sind in der Spirale als Teile der nicht veranlagten Steuern vom
Ertrag ausgewiesen.
Doch obwohl diese Steuern in der Steuerspirale eigene Punkte
für sich einnehmen, sind sie eigentlich gar keine eigenständi-
gen Steuern, sondern nur Formen des Abzapfens von Einkom-
mensteuer an der Quelle, weshalb diese Steuern auch als
Quellensteuern bezeichnet werden.
D Einkommensteuern
Mehr als die „geliebte“ Lohnsteuer
Auf die Marine
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 49
Quelle des Lohns ist der arbeitgebende Betrieb: Also muss der
Arbeitgeber des Betriebs dafür sorgen, dass die Lohnsteuer
auch ordnungsgemäß beim Finanzamt landet: Wieviel Geld der
Arbeitnehmer ohne Abzug der Steuer bekommen hätte, kann er
nur auf seinem Gehaltszettel bestaunen.
Quelle der Zinsen sind die in Depots der Banken eingelagerten
Wertpapiere, also müssen die Banken in der Regel – ein-
schließlich Solidaritätszuschlag (auch Soli genannt) – rund 26,4
Prozent der Zinsen als Abschlag einbehalten und an den Fiskus
abführen. Für Mitglieder von Kirchen ist noch die Kirchensteuer
in Höhe von – je nach Bundesland – 8 oder 9 Prozent der Zins-
steuer abzuführen, was zu einem Gesamtsteuersatz von knapp
27 Prozent führt. Quelle der Dividenden sind Aktien und damit
vergleichbare Anteilsscheine. Die AGs und andere Kapitalge-
sellschaften als Schuldner dieser Kapitalerträge müssen 26,4
Prozent davon als Quellensteuer abziehen und an das Finanz-
amt überweisen.
Die als Kapitalertragsteuer erhobenen Zins- und Dividenden-
steuern sind seit 2009 abgeltend. Diese Einkünfte müssen dann
auch nicht mehr erklärt werden. Wenn der persönliche Steuer-
satz auf die Kapitaleinkünfte nach dem Einkommensteuertarif
und Soli jedoch niedriger als rund 26,4 Prozent sein sollte, hat
der Bezieher die Option, sie zwecks Veranlagung zu erklären.
it den Abzugssteuern ist das Zahlen für die auf ein
Kalenderjahr entfallende Einkommensteuer bedauerli-
cherweise in vielen Fällen noch nicht beendet. Jeder,
der jährlich noch persönlich mit seiner Steuererklärung
kämpft, weiß das aus eigener Erfahrung. In der jährlichen Steu-
ererklärung unbedingt zu erklären sind Mieteinkünfte, Einkünfte
aus selbständiger Arbeit, aus gewerblichen Tätigkeiten, Land-
und Forstwirtschaft, sowie sonstige Einkünfte.
Wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Jahres nur Ein-
künfte unselbständiger Arbeit bei einem Arbeitgeber hat und
nur solche Abzüge geltend machen möchte, die der Arbeitgeber
beim Einbehalt und Abführung der Lohnsteuer berücksichtigen
konnte, ist die Einkommensteuer damit entrichtet und die Ab-
gabe einer Erklärung nicht erforderlich.
An der Quelle
zapft es sich besonders gut
M Abgezogen
und später erst veranlagt
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 50
Aus allen erklärten Einkünften wird nach Abzug einer Reihe
persönlicher Ausgaben und Freibeträge eine gemeinsame
Steuerbasis mit dem Titel „zu versteuerndes Einkommen" ge-
bildet.
Den Rest besorgt der Finanzbeamte. Er prüft alles noch einmal
nach und legt schließlich den Betrag der (persönlichen) Ein-
kommensteuerschuld fest, indem er den gültigen Einkommen-
steuertarif auf die zuvor ermittelte Steuerbasis anwendet. Die
ganze mit der Ermittlung und endgültigen Festsetzung der
eigentlichen Einkommenssteuerschuld zusammenhängende
Prozedur nennt man im Behördendeutsch „Veranlagung“.
Von der entsprechend veranlagten Einkommensteuerschuld
werden die anlässlich von Lohn-, Dividenden- und Zinszahlun-
gen bereits abgeführten Steuerbeträge dann abgezogen – so-
weit sie nicht abgeltend sind.
ei manchen ist die (persönliche) Einkommensteuer-
schuld niedriger als alle Steuerabzüge zusammen;
diejenigen bekommen dann etwas zurück. Wenn der
Postbote morgens den Steuerbescheid bringt, ist das so, als
hätte man das große Los gezogen. Häufig ist die veranlagte
Einkommensteuer aber auch höher als die Summe der Quel-
lensteuern: Dann muss nachgezahlt werden, was in der Regel
keine Begeisterungsstürme auslöst.
Viele steuerpflichtige Einkünfte können während des Jahres
von den Quellensteuern nicht erfasst werden, weil sie der Höhe
nach noch nicht bekannt sind. Dies betrifft etwa Einkünfte der
Gewerbetreibenden und die Einkünfte der Ärzte, Rechtsan-
wälte, Steuerberater, Journalisten und anderer Freiberufler. Bei
solchen Einkünften setzt das Finanzamt durch einen amtlichen
Bescheid Vorauszahlungen fest, wobei man sich in der Regel
nach deren Höhe im letzten Jahr richtet. Der Staat will auch hier
möglichst frühzeitig zu seinen Einnahmen kommen und nicht
bis zum Jahresende warten. Selbstverständlich werden auch
die Steuervorauszahlungen wie die Quellensteuern am Jahres-
ende von der veranlagten Einkommensteuer abgezogen.
B
Das große Los
Rückerstattung vom Finanzamt
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 51
ie Steuerbasis bei der (persönlichen) Einkom-
mensteuer kommt einem buntgemischten und
reichlich verschmutzten Salat gleich. Schuld daran
ist vor allem der bereits von Anfang an zum
Scheitern verurteilte Versuch, die im Kapitel 3 dargestellten vier
Prinzipien des traditionellen Leitbilds der Einkommensbesteue-
rung praktisch umzusetzen.
Doch schauen wir uns diesen schwer verdaulichen Salat einmal
etwas näher an. Die Steuerbasis der deutschen Einkommen-
steuer ergibt sich grob skizziert wie folgt:
ERMITTLUNG DER STEUERBASIS
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft
+ Einkünfte aus Gewerbebetrieb
+ Einkünfte aus selbständiger Arbeit
Einkunftsarten + Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
Die 7 Zutaten des + Einkünfte aus Kapitalvermögen
Steuersalats + Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
+ Sonstige Einkünfte
= Summe der Einkünfte
- Altersentlastungsbetrag und Freibetrag für Land- und
Forstwirte
= Gesamtbetrag der (steuerpflichtigen) Einkünfte
- Verlustvortrag, Sonderausgaben, außergewöhnliche
Belastungen und sonstige Abzugsbeträge
= Einkommen
- Freibeträge für unterhaltene Kinder, jedoch nicht
der Grundfreibetrag für den Steuerpflichtigen selbst
= Zu versteuerndes Einkommen (Steuerbasis)
ie ist es eigentlich zu diesem wirklich buntge-
mischten Steuerbasis-Salat gekommen?
Einer der Hauptgründe liegt in der Art und Weise
der Ermittlung der Steuerbasis. Sie folgt nämlich nicht einer
systematisch begründeten allgemeinen Einkommensdefinition.
Der Steuergesetzgeber bestimmt vielmehr das Objekt der Ein-
D
Die Steuerbasis
Bunt gemischter und verschmutzter Salat
W
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 52
kommensbesteuerung pragmatisch, indem er sieben verschie-
dene Arten steuerbarer Einkünfte aufführt. Hierbei handelt es
sich in der Hauptsache um Einkommen – im Gesetz Einkünfte
genannt -, die aus einer erwerbswirtschaftlichen Betätigung auf
verschiedenen Märkten resultieren. Damit orientiert sich das
deutsche Einkommensteuergesetz zunächst am Markteinkom-
mensprinzip. Die Zusammenrechnung der Einkünfte aus den
sieben Einkunftsarten zu einem Gesamtbetrag verdeutlicht
weiterhin die Orientierung am Syntheseprinzip.
Soweit, so gut. Wendet der Gesetzgeber aber beide Prinzipien
im traditionellen Sinne richtig an, bzw. kann er sie überhaupt
richtig anwenden? Die Antwort lautet: Nein! Wie wir im Kapitel 3
gesehen haben würde das Syntheseprinzip in Verbindung mit
dem traditionellen Prinzip der Jahresgerechtigkeit es nämlich
erfordern, dass alle Einkünfte, die durch Beteiligungen auf
Märkten während eines Kalenderjahres erzielt wurden, einzu-
beziehen sind.
Das ist aber nach dem Gesetz nicht der Fall. Durch völlige
Steuerfreistellungen und Steuerfreibeträge ist eine Vielzahl von
Einkünften in den beschriebenen sieben Einkunftsarten gar
nicht enthalten. Folgende Einkünfte sind beispielsweise steuer-
frei:
- Einkünfte gemäß den fast achtzig verschiedenen Positio-
nen des Paragraphen 3 Einkommensteuergesetz;
- Zuschläge zur Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit bei
Arbeitnehmern nach Paragraf 3b Einkommensteuergesetz
- Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien, die selbst
oder privat länger als 10 Jahre gehalten wurden;
- Gewinne aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebs und
einer freiberuflichen Praxis bis zu einem Freibetrag von
45 000 Euro, wenn der Steuerpflichtige entweder das 55.
Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungs-
rechtlichen Sinn dauernd berufsunfähig ist;
- Zinsen aus festverzinslichen Wertpapieren in Höhe des
Sparerfreibetrags von 801/1602 Euro bei Ledi-
gen/Verheirateten;
- Die Hälfte des Kapitalertrags aus kapitalbildenden
Lebensversicherungen, wenn diese nach Ablauf von min-
Lückenhaft
Viele Einkünfte bleiben steuerfrei
Prinzipientest
Werden die Regeln befolgt?
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 53
destens 12 Jahren ausgezahlt werden und der Versicherte
älter als 60 Jahre ist;
- Beamtenpensionen und Betriebsrenten in Höhe des Versor-
gungsfreibetrags (maximal 3 900 Euro);
- Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Tätig-
keit, wenn man älter als 64 Jahre ist, in Höhe des Alters-
entlastungsbetrags (maximal 1 908 Euro);
- Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe eines
Freibetrags von 670 Euro/1 340 Euro für ledige/verheiratete
Land- und Forstwirte.
Die meisten dieser Steuerbefreiungen sind nicht aus Praktikabi-
litätsgründen erforderlich, sondern sind aus verschiedenartigs-
ten politischen Gründen eingeführt worden.
Beispiel: Die (betragsmäßig begrenzte) Steuerfreiheit der Zu-
schläge zur Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit.
„Sie wurde 1940 eingeführt. Dies geschah zum einen aus Propa-
gandazwecken – dem Volk sollte demonstriert werden, das Nazi-
Deutschland auch während des Krieges die Steuern senken
könnte, statt Kriegssteuern einzuführen – und zum anderen, um
einen finanziellen Anreiz für Arbeiter in der Waffenproduktion zu
schaffen.“(Wikipedia) Heute gibt es wesentlich friedvollere, aber
dennoch besondere Steuerbefreiung nicht weniger rechtfertigende
Begründungen. „Die Zuschläge werden gezahlt als Ausgleich für
die mit dieser Arbeit verbundenen Belastungen, für die Störungen
im Lebensrhythmus des Arbeitnehmers und für gesellschaftliche
Nachteile, die wegen der Arbeitszeiten entstehen, während der die
Mehrheit der Bevölkerung frei hat.“ (de.wikipedia.org/...
/Zuschlag_für_Sonntags-,_Feiertags-_und_Nachtarbeit, Abruf
30.03. 2015)
Um die „armen“ Fußballprofis für Ihre Sonntagsspiele zu entlas-
ten, sind ihre dafür erhaltenen zusätzlichen Gelder – Paragraf 3
b Einkommensteuergesetz entsprechend – in Höhe von maxi-
mal 25 Euro pro Stunde fußballerischer Schwerstarbeit steuer-
frei. Davon kann der Taxifahrer bei seinem sonntäglichen Fahr-
dienst nur träumen.
Steuerfreie Zuschläge
Fußballprofis profi-tieren, nicht jedoch Taxifahrer
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 54
Zurück zum Syntheseprinzip!
ber selbst wenn der Gesetzgeber das Syntheseprinzip
im traditionellen Sinne richtig anwenden und politisch
begründete Ausnahmen nicht zulassen wollte, er könnte
es gar nicht! Denn das Syntheseprinzip setzt voraus, dass die
zur Ermittlung der Steuerbasis erforderlichen Einkünfte auch
alle erfasst werden und diese Erfassung wiederum nach einem
einheitlichen Prinzip zu erfolgen hat. Hier macht es nun das tra-
ditionelle Prinzip einer am Vermögenszugang orientierten
Ermittlung von Einkünften unmöglich, wirklich alle marktbezo-
genen Einkünfte zu erfassen.
Zur Steuerbasis nach dem traditionellen Leitbild würden näm-
lich auch der Vermögenszuwachs durch Investitionen in Hu-
mankapital, die nichtrealisierten Werterhöhungen des Sach-
und Finanzvermögens sowie heute erworbene Anwartschaften
auf zukünftige Renten und Pensionen gehören. Dass diese Ein-
künfte aus ganz praktischen Gründen gar nicht oder nur mit ho-
hen Kosten ermittelt werden können, ist offensichtlich. So hat
der Gesetzgeber auf die traditionell gebotene Erfassung nicht-
realisierter Wertänderungen des Sach-, Finanz- und Altersvor-
sorgevermögens weitgehend verzichtet.
ie Verwirklichung des Syntheseprinzips durch
Zusammenfassung der verschiedenen Markteinkünfte
zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte sollte auch nicht
zu der Annahme verleiten, es würde keine Rolle
spielen, in welcher Einkunftsschublade man sich mit seinen
Einkünften befindet. Wegen der nachfolgend erläuterten unter-
schiedlichen Ermittlungsmethoden fällt der zu zahlende Steuer-
betrag nämlich unterschiedlich hoch aus. Zu beachten ist auch,
dass Einkünfte in der einen Schublade steuerfrei und in der an-
deren voll steuerpflichtig sind.
Gehört eine Immobilie zum Vermögen eines Gewerbebetriebs,
so führt ihre Veräußerung – im Rahmen der Einkünfte aus Ge-
werbebetrieb – zu einer vollen Besteuerung des Veräuße-
rungsgewinns. Wird jedoch z. B. eine Eigentumswohnung
außerhalb eines Gewerbebetriebs privat vermietet, so ist der
A
Syntheseprinzip
Es kann gar nicht funktionieren
Schubladendenken
Ungleiche Erfassung der Einkunftsarten
10 Jahre warten
und dann keine Steuern mehr zahlen
D
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 55
Gewinn aus der Veräußerung nach Ablauf der zehnjährigen
Spekulationsfrist – nach den Regeln für sonstige Einkünfte –
steuerfrei.
Auf diese Interpretation könnte man bei einer Betrachtung der
in der Resteschublade „sonstige Einkünfte“ erfassten Einkünfte
kommen. Sonstig sind z. B. die Bezüge der Abgeordneten und
die Einkünfte der im ‚horizontalen Gewerbe‘ freischaffenden
Damen und Herren. Eigentlich handelt es sich hierbei um Ein-
künfte aus selbständiger Arbeit. Völlig unverständlich ist auch,
warum Einkünfte aus der Veräußerung privat vermieteter Im-
mobilien innerhalb der Spekulationsfrist von 10 Jahren nicht
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern außerge-
wöhnlich und damit „sonstig“ sind. Auch die Sozialversiche-
rungsrenten vermochte der Gesetzgeber nicht als Einkünfte aus
einer (früheren) nichtselbständigen Arbeit zu identifizieren und
packte sie deshalb – gleich mit einer großzügigen Ermäßigung
versehen – in den Restekasten.
reistellungen, Freibeträge und andere Vergünstigun-
gen machen also die Zuordnung eines Einkommens
zu bestimmten Einkunftsarten interessant. Dem
Gesetzgeber ist jedoch eine eindeutige Abgrenzung
der verschiedenen Einkunftsarten nicht gelungen. Die Klärung
strittiger Zuordnungsfragen beschäftigt folglich ständig Finanz-
gerichte und erfordert oftmals eine teure Steuerberatung.
Das deutsche Einkommensteuergesetz wird maßgeblich durch
das traditionelle Prinzip der Jahresgerechtigkeit geprägt. Es fin-
den sich jedoch auch Regeln, die dem – schon im Kapitel 4 er-
läuterten – modernen Prinzip der Lebenszeitgerechtigkeit ent-
sprechen. Sie werden als Ausnahmen betrachtet, mit denen
man bestimmte Personengruppen begünstigen möchte, um
dann bei diesen Anreize zu einem politisch wünschenswerten
Verhalten zu bewirken. Je nach Leitbild ergeben sich für das
jeweilige Einkommen unterschiedliche Steuerlasten. Dies habe
ich zum Schluss von Kapitel vier beispielhaft an der jeweiligen
steuerlichen Behandlung der Zinsen verdeutlicht.
Die Steuerfreistellung der Zinsen aus festverzinslichen Wertpa-
pieren innerhalb des Sparerfreibetrags folgt im Übrigen dem
Prinzip der Lebenszeitgerechtigkeit. Im Sinne des Prinzips der
Sonstige Leute
haben sonstige Einkünfte
F
Neu gegen alt
Völlig andere Steuerlasten
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 56
Jahresgerechtigkeit handelt es sich um eine systemwidrige
Ausnahme. Auch die ab 2009 eingeführte nachgelagerte Be-
steuerung bestimmter Renten ist nach dem traditionellem Leit-
bild eine systemwidrige Ausnahme, nach dem Leitbild der le-
benszeitlichen Einmalbelastung hingegen das „Normale“.
enn Mittelständler ihr Unternehmen in der Rechts-
form einer Kapitalgesellschaft führen und es
anlässlich ihres altersbedingten Ausscheidens ver-
äußern wollen, um mit den Erlösen ihren Konsum im Alter zu
finanzieren, dann haben sie den anfallenden Veräußerungs-
gewinn zu versteuern. Er entsteht maßgeblich dadurch, dass in
dem Unternehmen – oft über mehrere Jahrzehnte – versteuerte
Gewinne zurückbehalten und für Investitionen verwendet
wurden. Eine Besteuerung mit der Kapitalertragsteuer von rund
26,4 Prozent kommt zur Anwendung, wenn der Anteil am Ka-
pital der Gesellschaft weniger als 1 Prozent beträgt. Anderen-
falls greift die normale Einkommensbesteuerung nach dem
Progressionstarif. Der Gesetzgeber ist aber gnädig und verlangt
dann nur die Besteuerung von 60 Prozent des Gewinns. Dies
entspräche dann einer Umsetzung des Prinzips der Jahresge-
rechtigkeit von 60 Prozent. Zudem wird der Erwerber – für die
von ihm anlässlich von Ausschüttungen bereits versteuerter
Gewinne zu zahlende Kapitalertragsteuer – einen Abschlag
vom Veräußerungspreis verlangen. Damit ist auch in diesen
Fällen mit Mehrfachbelastungen von insgesamt über 50 Pro-
zent zu rechnen.
Ein besonderer Regelungswirrwarr liegt bei Besteuerung der
Renten vor. Es gibt jeweils spezielle Regelungen für folgende
Arten von Renten:
Beamtenpensionen, Betriebsrenten und ähnliche Renten;
Renten der gesetzlichen Sozialversicherung;
Renten aus kapitalbildenden Lebensversicherungen;
Renten aus Direktversicherungen des Arbeitgebers;
Renten nach dem Riester-Modell;
Renten nach dem Rürup-Modell;
Mittelständler aufgepasst
beim Verkauf Eurer Kapitalgesellschaften
W
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 57
Renten gemäß Paragraf 3 Nr. 6,7, 8 und 8a Einkommen-
steuergesetz, die vornehmlich Entschädigungen darstel-
len;
sonstige Renten.
Bei jeder dieser Renten gibt es jeweils eine besondere steuerli-
che Behandlung von Einzahlungen und Auszahlungen.
Beamtenpensionen und Betriebsrenten werden dann be-
steuert, wenn sie an die Ruheständler ausgezahlt werden, was
dem Prinzip der Lebenszeitgerechtigkeit entspricht. Entgegen
dem traditionellen Vermögensprinzip unterliegt die jährlich er-
worbene Anwartschaft auf die zukünftige Rente also nicht der
Besteuerung. Die Pensionen und Renten sind im Übrigen nach
Abzug eines Versorgungsfreibetrags zu versteuern. Er wurde
zum Ausgleich der Ungleichbehandlung gegenüber den gesetz-
lichen Renten eingeführt und entfällt – nach schrittweiser jährli-
cher Reduzierung - im Jahre 2040. Bei Beginn des Bezugs
einer Pension bzw. Rente in 2015 beträgt der Versorgungsfrei-
betrag einschließlich Zuschlag 2 340 Euro.
Bei Renten aus der gesetzlichen Sozialversicherung hat der
Gesetzgeber 2005 eine Systemumstellung von der Ertragsan-
teilsbesteuerung zur nachgelagerten Besteuerung vorgenom-
men. Die Umstellung erfolgt in jährlichen Schritten bis 2040.
Beiträge zur Rentenversicherung sind schon ab 2025 vollstän-
dig abzugsfähig. Nach Abschluss aller Umstellungen werden
gesetzliche Leibrenten dann wie Beamtenpensionen und Be-
triebsrenten nach dem Kassenprinzip und damit anlässlich ihres
Zuflusses besteuert. Faktisch werden beim gesetzlichen Sys-
tem die Beiträge der Pflichtigen auf die Rentenberechtigten
umgelegt. Es handelt sich also um eine interpersonelle Ein-
kommensumverteilung.
Völlig anders werden Renten aus kapitalbildenden Lebens-
versicherungen steuerlich behandelt. Zwar können die Bei-
träge hierzu als Sonderausgaben abgezogen werden, doch
kann die hiermit mögliche Steuerersparnis wegen durch andere
Abzüge ausgeschöpfter Höchstbeträge kaum wahrgenommen
werden. Bei dem Ablauf der Lebensversicherung ist der
Differenzbetrag zwischen Auszahlungsbetrag und gesamtem
Einzahlungsbetrag zur Hälfte steuerpflichtig. Dies wird bei einer
Jede Rente
wird steuerlich anders behandelt
Rentenbeiträge
werden umgelegt
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 58
Auszahlung in Rentenform entsprechend berücksichtigt. Letzt-
lich wird bei diesen Renten dem halben Prinzip der traditionel-
len Jahresgerechtigkeit entsprochen.
Eine besondere steuerliche Behandlung gibt es auch bei Ren-
ten aus Direktversicherungen, die Arbeitgeber für ihre Arbeit-
nehmer abschließen. Die Beiträge des Arbeitgebers stellen
grundsätzlich steuerpflichtigen Lohn dar. Hiervon sind 4 Pro-
zent der Beitragsbemessungsgrenze steuerfrei. Die Rente, die
diesen Einzahlungen entspricht, ist voll zu versteuern. Der an-
dere Teil der Rente, für den Beiträge aus versteuertem Ein-
kommen geleistet wurden, ist nach dem Ertragsanteilverfahren
– siehe nachfolgend – zu versteuern. Ermittlungstechnisch sind
entsprechende Beitragsnachweise oftmals über mehrere Jahr-
zehnte zu erbringen.
2002 hat die Regierung auf Vorschlag des damaligen Arbeits-
ministers Riester eine besondere steuerliche Förderung des
Sparens von Arbeitnehmern eingeführt. Diese können bei Ein-
zahlungen auf Konten berechtigter Banken und anderer Insti-
tute entweder eine Zulage oder den Abzug einer Sonderaus-
gabe beanspruchen. Seit 2008 beträgt letztere höchstens 2 100
Euro. Die später ausgezahlte Leibrente ist voll zu versteuern.
Damit ist die Riesterrente nach dem Konzept der Einmalbelas-
tung des Lebenseinkommens ausgestaltet.
Mit der Umstellung der Besteuerung der gesetzlichen Renten
wurde auf Vorschlag der vom Finanzwissenschaftler Bernd Rü-
rup geleiteten Reformkommission eine neue steuerliche Förde-
rung des freiwilligen Sparens für eine kapitalgedeckte Leibrente
eingeführt. Die als Sonderausgaben abzugsfähigen Beiträge
sind auf jährlich 22 172 Euro/44 344 Euro für Le-
dige/Verheiratete begrenzt. Davon sind steuerfreie Beiträge des
Arbeitgebers und Arbeitnehmers zur gesetzlichen Rentenversi-
cherung abzuziehen. Im Rahmen dieser Höchstbeträge konn-
ten in 2005 60 Prozent der Einzahlungen abgezogen werden.
Nach jährlichen Erhöhungen dieses Prozentsatzes sind ab
2025 alle Einzahlungen bis zu dem jeweiligen Höchstbetrag
vollständig als Sonderausgaben abzugsfähig. Der steuerpflich-
tige Teil der Rente betrug 2005 50 Prozent. Nach jährlichen Er-
höhungen dieses Prozentsatzes beträgt dieser ab 2040
Riester-Reform
Voll konträr zu altem Leitbild
Rürup-Reform
Voll konträr zu altem Leitbild
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 59
100 Prozent. Ab diesem Jahr wird die sogenannte Rürup-Rente
vollständig nach dem lebenszeitgerechten Konzept der nach-
gelagerten Besteuerung belastet.
Am Gegensatz dazu ist die Bildung aller (anderen) Privatren-
ten im Regelfall aus versteuertem Einkommen vorzunehmen.
Bei der Auszahlung der Rente wird dann Einkommensteuer auf
den Ertragsanteil fällig, womit es im Sinne des Prinzips der Jah-
resgerechtigkeit zu der von den Tradis gewünschten Doppelbe-
lastung der in der Rente enthaltenen Kapitalerträge kommt. Der
für den steuerpflichtigen Teil der Rente anzuwendende Pro-
zentsatz hängt davon ab, in welchem Lebensjahr des Rentners
die Rentenzahlung beginnt. Bei Rentenbeginn im Alter von 65
Jahren sind z. B. 18 Prozent der Rente zu versteuern.
Nachzutragen bleibt, dass die als Entschädigungen – z. B. an
Verfolgte – ausgezahlten Renten steuerfrei sind.
Fazit:
Zur (steuerlichen) Optimierung der Altersvorsorge ist es hier-
nach anzuraten, einen kundigen Steuerberater aufzusuchen,
der zugleich ein kompetenter Anlageberater ist. Zuverlässige
Experten mit solchen Doppelkompetenzen sind aber äußerst
rar.
Den Ausbau der Rentenbesteuerung nach dem Konzept der
nachgelagerten Belastung hat der Gesetzgeber allerdings nicht
auf Grund eines gewünschten Systemwechsels gewollt. Es gab
vielmehr zwei ganz andere Gründe. Zum einen musste dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2002 ent-
sprochen werden. Das Gericht sah in der unterschiedlichen Be-
steuerung gesetzlicher Renten und der Beamtenpensionen eine
Verletzung des Gleichheitsgebots nach dem Grundgesetz. Mit
der Einführung der nachgelagerten Besteuerung der gesetzli-
chen Renten kommt es letztlich nicht zu einer lebenszeitlich ge-
botenen Einmalbelastung von Kapitalerträgen, weil diese gar
nicht vorhanden sind. In der Regel zählt der Versicherte näm-
lich mit seinen Beiträgen mehr ein als er später als Rente er-
hält. Das System ist wegen seiner Umlagegestaltung eigentlich
nur auf eine ‚interpersonelle’ Umverteilung zwischen Beitrags-
zahlern und Rentenempfängern und nicht auf eine kapitalbil-
Altersvorsorge
Doppelexperten sind gefragt
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 60
dende Altersvorsorge gerichtet. Anders verhält es sich bei den
Renten nach Riester und Rürup. Hier ging es dem Gesetzgeber
um eine steuerliche Förderung des freiwilligen Sparens für eine
zusätzliche Leibrente. Faktisch werden damit jedoch andere
private Leibrenten diskriminiert, weil die in der Ansparphase er-
zielten Erträge steuerlich doppelt belastet werden.
bschließend möchte ich noch auf die steuerliche
Behandlung negativer Einkünfte eingehen. Hier geht
es darum, wie Verluste bei einer einzelnen
Einkunftsart und beim Gesamtbetrag der Einkünfte
steuerlich behandelt werden. Das deutsche Einkom-
mensteuergesetz erlaubt innerhalb einer Einkunftsart die Ver-
rechnung von Verlusten mit Gewinnen und mit zwei Ausnah-
men auch die Verrechnung eines Verlustes mit positiven ande-
ren Einkünften. Verluste aus der Veräußerung von Kapitalanla-
gen sowie sonstige im Privatvermögen befindliche Gegen-
stände im Sinne von Paragraf 23 EStG können nur mit Gewin-
nen aus der Veräußerung gleichartiger Wirtschaftsgüter ver-
rechnet werden
Ist der Gesamtbetrag der Einkünfte negativ, kann der Steuer-
pflichtige einen Verlustrücktrag in das vorangegangene Jahr
beanspruchen. Dieser Rückfrage ist auf 1 Mio. Euro/2 Mio.
Euro bei Ledigen/Verheirateten begrenzt. Die Steuererstattung
wird nicht verzinst. Ein verbleibender Verlust kann ins nächste
Jahr vorgetragen werden, dem traditionellen Leitbild entspre-
chend unverzinst. Der Ausgleich ist dabei auf 1 Mio. Euro und
60 Prozent des 1 Mio. übersteigenden Gesamtbetrags der Ein-
künfte begrenzt. Für Verheiratete gilt ein Grenzbetrag von 2
Mio. Euro. Jeder dann noch verbleibende Verlust kann auf die
nächsten Jahre vorgetragen werden.
Der unbegrenzte horizontale, vertikale und zeitliche Verlustaus-
gleich ist ein Charakteristikum der an der Einmalbelastung des
Lebenseinkommens ausgerichteten Besteuerung. Dabei wird
der Steuerpflichtige für den Nachteil aus dem verspäteten Ver-
lustausgleich gegenüber der sofortigen Steuererstattung durch
entsprechend anzusetzende Zinsen kompensiert. Das deutsche
Einkommensteuerrecht kennt einen solchen Zinsausgleich beim
zeitlichen Verlustausgleich nicht
A
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 61
on besonderer Bedeutung sind im deutschen
Einkommensteuerrecht die Unterschiede bei der
Ermittlung von Einkünften. Die deutsche Einkom-
mensteuer unterscheidet dabei
Gewinneinkünfte (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft,
Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit) und
Überschusseinkünfte (Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und
sonstige Einkünfte).
Bei beiden Gruppen von Einkunftsarten unterliegen nur die am
objektiven Nettoprinzip orientierten „Reineinkünfte“ der Besteu-
erung. Hierbei kommen sowohl das Vermögensprinzip als auch
eine unvollständige Kassenrechnung zur Anwendung. Unvoll-
ständig ist die Kassenrechnung deshalb, weil Ausgaben zum
Erwerb von Maschinen, Grundstücken und anderen Sachanla-
gen nicht sofort abgesetzt werden dürfen.
Die nachfolgende Kurzdarstellung der gesetzlich vorgeschrie-
benen Vielfalt von Ermittlungsmethoden kann ggf. übersprun-
gen werden.
ei den Gewinneinkünften geht es um die Ermittlung des
Gewinns. Er wird gemäß § 4 Abs. 3 EStG bei Steuer-
pflichtigen, die nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften
verpflichtet sind, Bücher zu führen sowie regelmäßig
Abschlüsse zu machen und dieses auch nicht freiwillig tun,
ermittelt, indem von den Betriebseinnahmen die
Betriebsausgaben abgezogen werden. Betriebseinnahmen
sind dabei alle Formen von Geld oder geldwerter Vorteile, die
dem Steuerpflichtigen im Rahmen eines land- oder
forstwirtschaftlichen Betriebes, eines Gewerbebetriebs oder
selbständiger Arbeit (Freiberufler u. a.) im Kalenderjahr (kas-
senmäßig) zugeflossen sind. Als Betriebsausgaben werden da-
bei nur solche Aufwendungen anerkannt, die durch den Betrieb
oder durch den selbständig ausgeübten Beruf veranlasst und
im Kalenderjahr kassenmäßig abgeflossen sind. Hiernach wird
als grundlegende Methode der Gewinnermittlung die Kassen-
rechnung vorgeschrieben. Man spricht auch von der Einnah-
men-Überschuss-Rechnung. Abgewichen wird hiervon jedoch
V
B
„Reineinkünfte“
Treten als Gewinne und als Überschüsse auf
Gewinne
Wie sie ermittelt werden
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 62
beim Kauf von Sachanlagen. Die Ausgaben für Maschinen und
andere abnutzbare Anlagegüter sind über die betriebsgewöhn-
liche Nutzungszeitdauer nach gesetzlich vorgeschriebenen
Methoden durch Ansatz von Abschreibungen zeitlich zu
verteilen. Welche betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer bei dem
jeweiligen Anlagegut gilt, ist der vom Bundesministerium der
Finanzen herausgegebenen amtlichen Abschreibungstabelle zu
entnehmen. Ausgaben für den Kauf von Grundstücken werden
erst dann als Abzugsposten steuerlich wirksam, wenn ihre Ver-
äußerung oder private Entnahme aus dem Betrieb zu steuer-
pflichtigen Einnahmen führen. Im Übrigen finden andere Ver-
mögensänderungen, die nicht zu einem kassenmäßigen Zu-
fluss bzw. Abfluss führen, in der Regel keine Berücksichtigung,
was dem Leitbild der traditionellen Einkommensbesteuerung
widerspricht.
Ist der steuerpflichtige Unternehmer nach anderen Gesetzen
zur Bilanzierung verpflichtet oder bilanziert er freiwillig, ist der
Gewinn gemäß der Grundidee des Reinvermögenszugangs
nach § 4 Abs. 1 EStG wie folgt zu ermitteln:
Eigenkapital am Jahresende
- Eigenkapital am Jahresanfang
+ während des Jahres entnommenes Eigenkapital (z. B.
Gewinnausschüttungen)
- während des Jahres zugeführtes Eigenkapital (Einlagen)
= Gewinn
Ausgangspunkt für den Eigenkapitalvergleich sind die entspre-
chenden Wertansätze in der Handelsbilanz, womit das Prinzip
der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz seinen Ausdruck findet.
Eine Vielzahl besonderer steuerlicher Bewertungsvorschriften
führt allerdings dazu, dass die zu berücksichtigenden Eigenka-
pitalbestände mit ihren Wertansätzen von denen in der nach
kaufmännischen Prinzipien aufzustellenden Handelsbilanz
„maßgeblich“ abweichen.
Schließlich kennt das deutsche Einkommensteuerrecht bei den
Gewinnen landwirtschaftlicher Kleinbetriebe noch ein Pau-Unzumutbar
Spezielle Kuriosa bei Kleinbauern
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 63
schalverfahren nach Durchschnittssätzen. Eine Darstellung
der hier praktizierten Kuriositäten möchte ich dem Leser dieses
Buches nicht zumuten.
ei den Überschusseinkünften werden die Einkünfte
„Überschuss der Einnahmen über die Werbungskos-
ten“ genannt. Werbungskosten sind dabei Ausga-
ben, die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der
Einnahmen bestimmt und nach den gesetzlichen Vorschriften
als abzugsfähig zugelassen sind. Es kommt – ähnlich wie bei
den nichtbilanzierenden Betrieben – nicht das Vermögensprin-
zip, sondern grundsätzlich das Kassenprinzip (Zufluss- und Ab-
flussprinzip) als Ermittlungs- und Bewertungsmethode zur An-
wendung. Die Abzugsmöglichkeiten für erwerbswirtschaftlich
veranlasste Ausgaben sind jedoch höchst willkürlich geregelt.
Für Normalbürger sind insbesondere die steuerlichen Regelun-
gen zur Ermittlung des Gewinns nach dem Vermögensprinzip
eine nahezu unverständliche und auch für Fachleute eine kaum
noch beherrschbare Materie – dies ist ein weltweit anzutreffen-
des Desaster. Die gesetzlich vorgeschriebenen Ermittlungs-
methoden gehorchen keinem System, sondern stellen sich viel-
mehr – wie es der Würzburger Steuerökonom Ekkehard
Wenger einmal drastisch formulierte – als „Steinbruch von Be-
wertungskonventionen“ dar.
Fazit:
Weil nicht gewährleistet ist und auch nicht gewährleistet werden
kann, dass alle Arten von Einkommen nach dem gleichen Prin-
zip eindeutig ermittelt werden, wird dem Kriterium einer hori-
zontal gerechten Besteuerung selbst dann nicht entsprochen,
wenn man das Prinzip der Jahresgerechtigkeit akzeptieren
sollte.
n der Steuerpolitik ist die Mehrdeutigkeit des Vermö-
gensprinzips wohl erkannt worden, womit der Steuerge-
setzgeber sich legitimiert sah, die Bewertung der
Wirtschaftsgüter und Schulden und damit den Gewinn
des Unternehmers nach eigenen Regeln zu bestimmen. Hierbei
konnten Politiker nicht der Versuchung widerstehen, den offen-
kundigen Bewertungsspielraum zur Lenkung des Investitions-
B Überschuss
der Einnahmen über die Werbungskosten
I Politisch motiviert
Das objektive Nettoprinzip erodiert
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 64
verhaltens der Unternehmer zu missbrauchen. Durch beson-
dere Bewertungsabschläge bei Produktionsanlagen kann man
nämlich den Gewinn heute künstlich „kleinrechnen“ und somit
erst in zukünftigen Jahren steuerlich wirksam werden lassen.
Unrühmlichstes Beispiel einer verfehlten Lenkungspolitik waren
die fünfzigprozentigen Sonderabschreibungen für den Woh-
nungsbau in den neuen Ländern. Als Normalfall wird für Ge-
bäude eine Nutzungsdauer von fünfzig Jahren angenommen.
Damit könnte man pro Jahr 2 Prozent der Anschaffungskosten
als Abschreibung ansetzen. Dies gab es noch dazu, so dass
dem Anleger ein Abschreibungssatz von 52 Prozent zustand.
Wenn also die Baukosten des Gebäudes damals z. B.
1 000 000 DM betrugen, konnte der Anleger 520 000 DM von
seiner Steuerbasis absetzen. Falls sein Einkommen diesen Ab-
zug nicht zu verkraften vermochte und negativ wurde, konnte
der Rest noch in den folgenden vier Jahren steuersparend ab-
gezogen werden. In den Jahren danach durften dann 2 Prozent
vom Restwert als jährliche Abschreibung abgezogen werden.
uch unsere Steuerpolitiker haben inzwischen erkannt,
dass solche Ausnahmeregelungen entweder Reiche
noch reicher machten oder sich im Risikofall als eine
staatliche Verführung zum Vermögensverlust erweisen. Nicht
anders ist auch die Lenkung privaten Sparkapitals in Film-,
Schiffsbau-, Flugzeug- und Immobilienprojekte zu bewerten,
wobei es der Steuergesetzgeber den Investoren ermöglichte
und in gewissem Umfang immer noch ermöglicht, ihre Steuer-
zahlung durch Ausnutzung legaler Abschreibungsmodelle und
damit einhergehender Verlustzuweisungen weit in die Zukunft
zu verlagern. Bei der Beurteilung solcher Kapitalanlagen wird
oft übersehen, dass der Anleger zwar heute Steuern sparen
kann, jedoch später alle Rückflüsse ohne Abzug der bereits
verbrauchten Abschreibungen zu versteuern hat. Mit der zwi-
schenzeitlichen Anlage der heutigen Steuerersparnis lassen
sich jedoch morgen vortrefflich Zinsen erzielen.
udem kann man mit der Zeitverschiebung der zu
versteuernden Einkommensteile auch der heutigen
hohen progressiven Tarifbelastung entgegen. Bei der
später nachgeholten Besteuerung in unteren Bereichen des
A
Z
Steuerausnahmen
Wie man Reiche noch reicher macht
Begünstigungen
Oft reichen schon Zeitverschiebungen
noch reicher macht
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 65
Einkommensteuer-Tarifs sind dann weniger Steuern zu zahlen.
Hier liegt zweifelsohne eine Steuerbegünstigung oder etwas
salopper formuliert ein Steuerschlupfloch vor.
an sollte jedoch nicht den Fehler machen, jede
Abschreibungsmethode, die eine schnellere
Abschreibung der Investitionsausgaben als die lineare
Methode erlaubt, schon gleich als Steuerprivileg zu
titulieren. Nach der linearen Methode sind die Investitionsaus-
gaben in gleichen jährlichen Abschreibungsbeträgen über den
angenommenen Nutzungszeitraum einer Maschine verteilt ab-
setzbar. Es gibt nun im Rahmen des traditionellen wie auch je-
des anderen Systems der Besteuerung von Unternehmensge-
winnen keine theoretische Rechtfertigung für die Behauptung,
dass nur die lineare Abschreibungsmethode die normale Ab-
schreibungsmethode ist. Auch in der Zukunft ist nicht mit der
Entdeckung der praktisch anwendbaren „wahren“ und somit
einzig richtigen Abschreibungsmethode zu rechnen, weil die
Vorstellung, es gäbe sie, eine Fata Morgana ist. Folglich sind
Abschreibungsmethoden, die an der linearen Abschreibungs-
methode gemessen es dem Investor ermöglichen, die Ausga-
ben für eine Maschine zeitlich früher abzusetzen, für sich ge-
nommen überhaupt nicht problematisch und sollten auch nicht
als steuerliches Schlupfloch bezeichnet werden.
Steuerprivilegien entstehen in Verbindung mit steuerlich zuläs-
sigen Abschreibungen erst dann, wenn
je nach Art des Investitionsgutes bzw. je nach Branche
willkürlich unterschiedlich schnelle Abschreibungsmethoden
angewendet werden dürfen und/oder
nicht jeder Steuerbürger die Möglichkeit hat, durch
Wahrnehmung von ‚Abschreibungsmassen’ seine Steuer-
last auf dem Hintergrund eines progressiven Tarifs zeitlich
zu optimieren.
Ursache dieser Probleme ist die schon oben angesprochene
besondere Eigenschaft der traditionellen und damit jahreszeit-
lich orientierten Gewinnermittlung: Die Steuerlast ist abhängig
von den angewandten Bewertungsmethoden und ändert sich
folglich auch bei einer Änderung der Abschreibungsmethode.
M
Abschreibung
Nicht jede ist ein Schlupfloch
Steuerprivilegien
Wann Abschreiben nicht sauber ist
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 66
Erst mit einem System der lebenszeitlich orientierten Einkom-
mensbesteuerung – wie es der Einfachsteuer zugrunde liegt –
werden wir das Abschreibungsproblem und die hiermit ver-
knüpfte unselige steuerliche Lenkungspolitik los. Das Thema
‚Steuerprivilegien durch Abschreibungen‘ ist dann vom Tisch.
as subjektive Nettoprinzip wird bei der deutschen
Einkommensteuer an vier verschiedenen Stellen und
damit – wen wundert es – nicht besonders transparent
berücksichtigt. Die Entlastung des existentiellen
Lebensbedarfs für den Steuerbürger selbst und den von ihm
unterhaltenen Ehepartner wird nicht durch Abzug eines Grund-
freibetrags, sondern durch die erste steuerfreie Zone des an-
schließend zu beschreibenden Einkommensteuertarifs erreicht.
Die Entlastung des existentiellen Lebensbedarfs der vom Steu-
erpflichtigen unterhaltenen Kinder wird demgegenüber – sofern
das Kindergeld nicht günstiger ist – durch Abzug eines Kin-
derfreibetrags vom Einkommen erreicht.
er dritte Weg der Verwirklichung des subjektiven
Nettoprinzips liegt in der – betragsmäßig begrenzten –
Abzugsmöglichkeit von Ausgaben in Fällen einer
außergewöhnlichen Belastung, die nach Paragraph
33 des Einkommensteuergesetzes prinzipiell wie folgt bestimmt
ist:
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere
Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der
Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, glei-
cher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands
(außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die
Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der
Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare
Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der
Einkünfte abgezogen wird.
Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig,
wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen
Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen
den Umständen nach notwendig sind sowie einen angemesse-
nen Betrag nicht übersteigen.
D Vier Wege
zu persönlichen Abzügen
Außergewöhnlich
Befruchtung versus Samenspende
noch reicher macht
D
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 67
s wundert bei dieser Gummiabgrenzung nicht, dass
die meisten der zulässigen Abzugsfälle entweder im
Einkommensteuergesetz (in den Paragraphen 33a
und 33b) explizit aufgeführt werden oder im Wege der
Rechtsprechung geklärt wurden. Da kommen Richter schon
mal zu der Auffassung, dass Aufwendungen für künstliche
Befruchtungen abziehbar sein können, nicht aber bei einer
anonymen Samenspende.
Ein Finanzgericht war sogar der Meinung, dass Aufwendungen
eines kranken medizinischen Laien für medizinische Fachlite-
ratur als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind. Erst
der Bundesfinanzhof kippte diese kuriose Rechtsauslegung.
Eine vierte Art der Berücksichtigung des subjektiven Nettoprin-
zips bieten die in der Zehner-Paragraphengruppe des Einkom-
mensteuergesetzes geregelten Möglichkeiten, persönliche und
damit nicht der Einkommenserzielung dienenden Ausgaben ab-
ziehen zu dürfen. Hiernach können, durch Höchstgrenzen be-
schränkt, als Sonderausgaben u. a. Beiträge zur Kranken-,
Unfall-, Haftpflicht- und Pflegeversicherung abgezogen wer-
den.
it der Möglichkeit des Abzugs bestimmter rein
persönlicher Ausgaben verfolgt der Gesetzgeber
aber auch lenkungspolitische Ziele. So werden z.B.
mit dem vollständigen Abzug der Kirchensteuer und
dem begrenzten Abzug von Spenden für kirchliche und religi-
öse Zwecke religionspolitische Ziele verfolgt. Weitere Spen-
denabzüge sollen die Mildtätigkeit des Steuerbürgers und sein
finanzielles Engagement bei einer Vielfalt gemeinnütziger Zwe-
cke belohnen. Auch Spenden an politische Parteien sind ab-
zugsfähig, womit der Gesetzgeber das von interessierten Bür-
gen erbrachte finanzielle Opfer für die Erhaltung und Entwick-
lung der tragenden Grundlagen unserer parlamentarischen
Demokratie durch ein Steuergeschenk erleichtern will. Das Be-
sondere hierbei ist, dass 50 Prozent der Spenden, maximal
825 Euro/1 650 Euro bei Ledigen/Verheirateten, direkt von der
Steuerschuld abgezogen werden dürfen.
Wenn man ein besonders hohes Einkommen zu versteuern hat,
wird die Steuerersparnis durch Zuwendungen an von gemein-
Kurios genug
Finanzgerichte und der § 33 EStG
noch reicher macht
E
Parteispenden
Steuergeschenke helfen nach
M
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 68
nützigen Stiftungen interessant. Abziehbar ist bei Zuwendungen
in den zu erhaltenen „Vermögensstock“ ein Betrag bis zu 1
Mio./2 Mio. Euro für Ledige/Verheiratete.
Als Sonderausgaben sind weiterhin Ausgaben für die erstma-
lige Berufsausbildung in einem nicht ausgeübten Beruf – auf
6 000 Euro – begrenzt abzugsfähig. Die beruflich veranlassten
Weiterbildungskosten in einem erlernten und ausgeübten Beruf
gehören nicht dazu. Diese muss man versuchen, als Betriebs-
ausgaben oder Werbungskosten bei den jeweiligen Einkünften
geltend zu machen.
n bestimmten Fällen kann auch eine außergewöhnliche
Belastung beantragt werden. Insgesamt handelt es sich
um die Ausgaben für die Bildung von Humankapital,
deren Abzugsfähigkeit eigentlich auf systematischer
Grundlage in einer übersichtlichen und geschlossenen Form
geregelt sein sollte. Im Gegensatz dazu zeichnet sich das deut-
sche Einkommensteuerrecht auch bei diesen Sachverhalten
durch Regelungschaos aus.
Die ganze Vielfalt der steuerlichen Ermäßigungen aus persönli-
chen, d. h. nicht der Einkommenserzielung dienenden Aufwen-
dungen ist wesentlich umfangreicher als hier dargestellt wurde.
Die bisherigen kurzen Ausführungen zur Ermittlung der Steuer-
basis bei der deutschen Einkommensteuer mögen zur De-
monstration der Komplexität dieser Materie genügen. Verständ-
lich dürfte geworden sein, dass bei diesem Regelungsdschun-
gel auch bestens geschulte Finanzbeamte es kaum noch ver-
mögen, eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Be-
steuerung zu sichern. Eine weitere Würdigung dieses Desas-
ters wird im Kapitel 6 vorgenommen.
a die Steuerbasis aufgrund unterschiedlicher Ermitt-
lungsmethoden und mannigfacher Steuerprivilegien
keine Vergleichbarkeit von Einkommen ermöglicht,
„lügt“ auch der Tarif der deutschen Einkommensteuer.
Trotzdem interessiert es uns, ob wenigstens der Tarif selber die
Forderungen nach horizontaler und vertikaler Gerechtigkeit er-
füllen würde, falls die Steuerbasis denn „wahr“ wäre. Wer dazu
einmal den Tarif im Einkommensteuergesetz (Paragraph 32a
Absatz 1 und 2) nachschlägt, bekommt auf diese Frage aber
Humankapital
Auch hier nur Regelungschaos
noch reicher macht
I
D
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 69
keineswegs eine verständliche Antwort geboten, sondern wird
stattdessen mit einer verwirrenden Rechenaufgabe der höheren
Mathematik konfrontiert. Für alle Denksportbegeisterte gibt es
hier das mathematische Rätsel im Original:
Die tarifliche Einkommensteuer bemisst sich nach dem zu ver-steuernden Einkommen. Sie beträgt (....) jeweils in Euro für zu versteuernde Einkommen
1. bis 8 354 Euro (Grundfreibetrag): 0
2. von 8 355 Euro bis 13 469 Euro: (974,58*y + 1 400)*y;
3. von 13 470 Euro bis 52 881 Euro: (228,74*z + 2 397)*z +
971;
4. von 52 882 Euro bis 250 730 Euro: 0,42*x - 8 239 Euro;
5. von 250 731 Euro an: 0,45*x - 15 761.
„y“ ist der ein Zehntausendstel des den Grundfreibetrag über-
steigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerunde-
ten zu versteuernden Einkommens. „z“ ist ein Zehntausendstel
des 13469 Euro übersteigenden Teils des auf einen vollen
Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens. „x“
ist das auf einen vollen Euro-Betrag zu versteuernde Einkom-men. Der sich ergebende Steuerbetrag ist auf den nächsten vollen Euro-Betrag abzurunden.
Bei zusammen veranlagten Ehepaaren wird die gemeinsame
Steuerbasis in dem Sinne gesplittet, dass jeder Ehepartner
eigentlich jeweils die Hälfte davon zu versteuern hat. Mit der
Hälfte der Steuerbasis geht man dann in die relevante Formel,
multipliziert den gefundenen Betrag mit zwei und hat damit den
von einem verheirateten Steuerpflichtigen insgesamt zu zah-
lenden Einkommensteuerbetrag.
er ledige Leser liegt mit seiner Vermutung richtig, dass
er als Single bei gleicher Steuerbasis mehr berappen
muss als sein verheirateter Arbeitskollege. Soweit dies
darauf zurückzuführen ist, dass zweimal die erste Zone des
Grundtarifs und damit zweimal ein Grundfreibetrag in Anspruch
genommen werden kann, wird diese Form der Berücksichtigung
des subjektiven Nettoprinzips bei Ehepartnern prinzipiell als fair
betrachtet. Eine darüber hinausgehende Senkung der Steuer-
last, die durch den verlangsamten Einstieg in die Progression
des Einkommensteuertarifs bei einem verheirateten gegenüber
Formelsalat
Ohne y, z und x geht
gar nichts
Der Tarif
der Einkommen- steuer als Mathe- aufgabe
D
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 70
einem ledigen Steuerpflichtigen eintritt, wird jedoch vielfach als
Steuerprivileg angesehen und als Splittingprivileg bezeichnet.
Inzwischen kann man sich für die jeweilige „Steuermatheauf-
gabe“ im Internet Hilfe holen, was die Modernität!! der Steuerer-
hebung in Deutschland charakterisiert. Dort bieten schlaue Pro-
grammierer – sogar die vom Finanzministerium selbst – die
Eingabe des zu versteuernden Einkommens an und beglücken
den hilflosen Bürger mit der Ausgabe der zu zahlenden Steuer.
Wem mangels Computer und/oder Kenntnissen über
Internetanwendungen dieser Weg versperrt ist, hat kaum eine
Chance, den gemäß Steuerbescheid zu zahlenden bzw. bei
Löhnen abgezogenen Steuerbetrag zu überprüfen.
ill man dem Formelsalat des Paragraphen 32a oder
der Einkommensteuertabellen im Internet irgend-
welche sinnvollen Erkenntnisse entlocken, muss
man sie zunächst einmal anschaulich interpretieren.
Dazu bieten sich grafische Darstellungen an, zu denen Ökono-
men immer dann Zuflucht nehmen, wenn sie vor lauter Formeln
keine Botschaft mehr erkennen können. Hat man aus den For-
meln erst einmal schöne, übersichtliche Grafiken gezimmert,
fällt die sinnvolle Interpretation meist schon nicht mehr so
schwer.
Für Einkommensteuertarife gibt es zwei beliebte und sehr auf-
schlussreiche Darstellungsformen: die Kurve der Grenzsteu-
ersätze (Erklärung siehe unten) und die Kurve der Durch-
schnittssteuersätze. Häufig werden beide Kurven in einem Dia-
gramm dargestellt – wie auch hier in Abbildung 5-2. Unten ist
dort die Steuerbasis von null bis 70 000 Euro abgetragen, links
der Steuersatz von 0 bis 50 Prozent. Die Kurven setzen Euro-
Beträge und Steuersätze zueinander in Beziehung. Die
schwarze Kurve der Grenzsteuersätze teilt jedem möglichen
Betrag der Steuerbasis einen bestimmten Grenzsteuersatz zu,
die blaue Kurve der Durchschnittssteuersätze teilt jedem mögli-
chen Betrag der Steuerbasis einen Durchschnittssteuersatz zu.
Bevor ich auf die Kurven der Steuersätze näher eingehe, muss
noch auf eine weitere Einkommensteuer verwiesen werden. Sie
heißt Solidaritätszuschlag und beträgt 5,5 Prozent der tarifli-
chen Steuerschuld. Wer also gern wissen möchte, wie hoch
W
Achtung Kurven!
Steuersätze grafisch
veranschaulicht
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 71
sein Steuersatz ist, muss diesen Zuschlag mit berücksichtigen.
Deshalb sind die nachfolgend diskutierten Steuersätze immer
unter Einschluss des Solis zu verstehen.
at etwa Herr Müller eine Steuerbasis von 30 000 Euro
und wollen wir seine Steuersätze ermitteln, so ist die
Grafik wie folgt zu „lesen“: Zuerst sucht man unten
nach dem Betrag 30 000 Euro. Hat man ihn gefunden, fährt
man von dort mit dem Finger senkrecht nach oben bis zum
Punkt auf der blauen Kurve der Durchschnittssteuersätze, der
genau darüber liegt. Von dort fährt man dann mit dem Finger
waagerecht nach links. Der Punkt, bei dem man da landet, gibt
dann den Durchschnittssteuersatz an: Für Müller beträgt dieser
damit etwa 20 Prozent.
Will man statt des Durchschnittssteuersatzes den Grenzsteuer-
satz von Müller ermitteln, braucht man statt der blauen Kurve
nur die schwarze Kurve der Grenzsteuersätze zu wählen. Man
landet dann bei ungefähr 33 Prozent, genau bei 33,26 Prozent.
Müller hat also einen Durchschnittssteuersatz von etwa 20 Pro-
zent und einen Grenzsteuersatz von etwa 33 Prozent. Was
aber sagen uns diese Steuersätze?
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
0 10000 20000 30000 40000 50000 60000 70000
H
Grenz-Steuersatz
Tsd. Euro
Abbild
ung 5
-2
Durchschnitts-Steuersatz
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 72
leiben wir beim Beispiel Müller: Hat er bei einer
Steuerbasis von 30 000 Euro einen Grenzsteuersatz
von 33 Prozent, sagt das ihm ganz einfach Folgendes:
„Wenn meine Steuerbasis um einen Euro höher wäre, müsste
ich von diesem zusätzlichen Euro einen Anteil von 33 Prozent,
also eben 33 Cents, abgeben.“ Die Grenzsteuersätze sagen
damit also nicht, wie viele Steuern jemand bei einer bestimmten
Steuerbasis zu zahlen hat, sie geben vielmehr nur an, wie viel
jemand, der schon eine bestimmte Steuerbasis hat, von einem
zusätzlichen Einkommen von 1 Euro abgeben müsste.
etzt denken Sie vielleicht: „Was soll denn der Quatsch?
Was will man denn mit so einer Information anfangen?“
Nun, die Information ist etwa dann sehr nützlich, wenn
man einmal überschlagen möchte, was einem von einer be-
stimmten Einkommenserhöhung nach Steuerabzug eigentlich
übrig bleibt. Für viele ist das eine wichtige Information, wie etwa
das folgende typische Beispiel des Jungunternehmers Stefan
Startab zeigen soll:
Stefan Startab (28), Start-up-Unternehmer, hat sich im vergan-
genen Jahr als Designer von Internetseiten selbständig ge-
macht. Für das laufende Jahr hat er bereits Aufträge ange-
nommen, die ihm nach allen Abzügen eine Steuerbasis von
rund 55 000 Euro einbringen werden. Er hat damit so tüchtig zu
tun, dass er manchmal ganz schön ins Rotieren gerät.
Da blinkt ihm aus seinem E-Mail-Verzeichnis plötzlich noch ein
weiteres Angebot entgegen: Für rund 5 000 Euro könnte er den
Internetauftritt des Kegel-Clubs „Alle Neune“ gestalten! Stefan
Startab starrt auf den Bildschirm und grübelt: Soll er den zu-
sätzlichen Job jetzt auch noch annehmen oder nicht? Lesen wir
doch einmal in seinen Gedanken:
„Ich weiß nicht, ob ich annehmen soll. Eigentlich bin ich ja
in diesem Jahr schon ganz gut ausgebucht. Ich müsste
das wohl abends machen und auch am Wochenende. Na,
das würde meine Freundin bestimmt nicht gut finden. Auf
der anderen Seite: 5 000 Euro sind 5 000 Euro. Auch
wenn’s ein Kegelclub ist. Eigentlich ja nicht schlecht. Viel-
leicht sollte ich es doch machen.“
Grenzsteuersätze
Was sie uns sagen
B
Ernst zu nehmen
Ökonomen schätzen die Information über
den Grenzsteuersatz
Stefan Startab
Gedanken eines
Jungunternehmers
J
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 73
So denkt er, und es sieht schon so aus, als würde er das Ange-
bot annehmen. Aber dann lacht ihm am nächsten Morgen beim
Frühstück Wolfgang Schäuble von der Titelseite seiner Tages-
zeitung entgegen und ihm fällt ein: Moment mal: 5 000 Euro
sind ja gar nicht 5 000 Euro! Der nimmt mir doch `ne ganze
Latte davon ab! Was bleibt mir hinterher eigentlich übrig?“
Wie Sie nun schon wissen, kann Stefan Startab dies über den
Daumen gepeilt mit Hilfe seines Grenzsteuersatzes herausbe-
kommen. Also schaut er in die Grafik der Grenzsteuersätze.
Wie er nach einigem Suchen herausfindet, beträgt sein Grenz-
steuersatz bei 55 000 Euro Steuerbasis exakt 44,31 Prozent
(siehe Abbildung 5-3). Auf die 5 000 Euro zusätzliches Ein-
kommen würde Stefan also mindestens (0,44315 000 Euro =)
2 215 Euro Steuern zahlen. Von 5 000 Euro bleiben ihm also
nur 2 735 Euro über. - „Nö“, denkt sich Stefan da: „Wenn das
so ist, lass’ ich es. Das ist es dann doch nicht wert. Da geh’ ich
lieber abends selbst mal mit Andrea zum Kegeln.“
as Beispiel zeigt, in welchen Situationen der Tarif der
Grenzsteuersätze interessante Informationen liefert:
Immer dann nämlich, wenn eine Erhöhung der Steuer-
basis um einen bestimmten Betrag ins Haus steht. Auch bei
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
0 10000 20000 30000 40000 50000 60000 70000
„Nö, lass’ mal“
Stefan geht
lieber Kegeln
D
Tsd. Euro
Abbild
ung 5
-3
Grenz-Steuersatz
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 74
Gehaltserhöhungen ist es spannend, einmal nachzusehen, was
die eigentlich effektiv bringen.
Der Fall des Stefan Startab veranschaulicht darüber hinaus
aber auch, warum wir Ökonomen immer wieder betonen, dass
es die Grenzsteuersätze sind, die darüber bestimmen, wie sich
ein Einkommensteuertarif auf die Leistungsbereitschaft der
Leute auswirkt. Unser Argument ist dabei ziemlich einfach, aber
sehr plausibel: Wenn man für Mehrarbeit viel Geld bekommt,
wird man eher dazu bereit sein, als wenn man wenig dafür be-
kommt. Wer wollte das bestreiten?
un bestimmt aber gerade eben der Grenzsteuersatz,
was man von zusätzlicher Arbeit tatsächlich hat: Ist er
hoch, hat man wenig davon, ist er niedrig, lohnt es sich
schon eher. Die Auswirkung auf die Bereitschaft, mehr zu leis-
ten, ist entsprechend: Hohe Grenzsteuersätze würgen die Lust
auf Leistung stärker ab als niedrige.
Wenn man sich nun noch vor Augen führt, dass Jahr für Jahr
nicht nur Stefan Startab vor der Entscheidung steht, wie viel er
effektiv arbeiten soll, sondern ebenso Millionen anderer
leistungsfähiger Leute, wird einem schnell bewusst, welche im-
mensen Auswirkungen dieser Effekt hat. Wenn sich Millionen
von Menschen wegen hoher Grenzsteuersätze auch nur ein
wenig Mehrarbeit schenken, schlägt sich das bereits massiv im
Bruttosozialprodukt nieder: Die Summe aller erstellten Produkte
und Leistungen fällt dann deutlich geringer aus, als bei niedri-
geren Grenzsteuersätzen.
ohe Grenzsteuersätze sind folglich echte Wachstums-
killer. Wir werden später noch mehrmals auf die
Wachstumseffekte der Grenzsteuersätze zurückkom-
men. Kehren wir jedoch zunächst zur Interpretation
unserer Tarifabbildung zurück.
Wie an der Kurve der Grenzsteuersätze in Abbildung 5-3 deut-
lich zu erkennen ist, hat die aktuelle deutsche Einkommens-
teuer einen Grenzsteuersatz-Tarif, dessen Verlauf man sehr
schön in vier Stücke einteilen kann:
NnWachstumskiller
Hohe Grenzsteuersätze
als Motivationsbremse
H
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 75
1. Stück: Grenzsteuersatz von 0
Bei der Steuerbasis eines Ledigen zwischen 0 und 8 354 Euro
liegt der Grenzsteuersatz stets bei 0 Prozent. Der Grund hierfür
ist einfach: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichtes darf der Staat kein Einkommen besteuern, das ge-
rade dazu ausreicht, den Lebensunterhalt eines Menschen zu
sichern. Der Einkommensbetrag, mit dem dieser Grundbedarf
zum Leben gerade gedeckt werden kann, wird auch als Kon-
sumexistenzminimum bezeichnet. Für einen ledigen Erwachse-
nen beträgt es zurzeit 8 354 Euro – bei Verheirateten wegen
des Splittingverfahrens genau das Doppelte, d. h. 16 708 Euro.
Da ein Einkommen bis zu diesem Betrag nicht besteuert wer-
den darf, sind die Grenzsteuersätze in diesem untersten Be-
reich der Einkommensskala gleich null.
2. Stück: Ansteigende Grenzsteuersätze
Bei der Steuerbasis eines Ledigen von 8 355 Euro springt der
Grenzsteuersatz plötzlich von 0 auf 14 Prozent. Dies ist der so-
genannte Eingangssteuersatz. Wie man in der Abbildung 5-3
sieht, steigen die Grenzsteuersätze danach an, bis schließlich
bei einer Steuerbasis von 52 882Euro der erste sogenannte
Spitzensteuersatz von 44,31 Prozent erreicht wird.
3. Stück: „Flat-Rate“ mit dem ersten Spitzensteuersatz
Ab einer Steuerbasis von 52 882 Euro bis 250 731 Euro bleibt
der Spitzensteuersatz von derzeit 44,31 Prozent konstant. Der
Tarif verläuft hier horizontal. In den USA und auch international
nennt man so was kurz „Flat Rate“ (flacher Satz).
4. Stück: „Flat Rate“ mit dem zweiten Spitzensteuersatz
(in Abbildungen 5-1 und 5-3 aus Platzgründen nicht einge-
zeichnet)
Ab einer Steuerbasis von 250 732 Euro gilt der zweite Spitzen-
Steuersatz von derzeit 47,48 Prozent. Der Tarif verläuft auch in
diesem Abschnitt horizontal.
in großes Problem der ansteigenden Grenzsteuersätze
im zweiten Abschnitt der Kurve ist, dass in diesem
Bereich eigentlich keiner so genau weiß, welchen
Grenzsteuersatz er denn genau hat. Wer eine Steuerbasis zwi-
schen 8 355 Euro und 52 882 Euro hat (dazu gehört die große
Existenzminimum
bleibt steuerfrei
Abrupter Anstieg
Ab 8355 Euro steigen die Sätze
rasant
E
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 76
Masse der Steuerzahler) und seinen Grenzsteuersatz auch nur
halbwegs genau ermitteln möchte, muss mühsam in einer Gra-
fik oder in einer Tabelle nachschauen.
Bei einem Flat-Rate-Tarif hingegen wäre das nicht nötig, weil
ein solcher Tarif ja nur einen einzigen Grenzsteuersatz hat. Be-
trägt dieser etwa 25 Prozent – wie ich es für die Einfachsteuer
vorschlage – so weiß jeder unabhängig von seiner Steuerbasis,
dass er von jedem zusätzlich verdienten Euro genau 25 Cent
als Steuer abgeben muss.
Werfen wir jetzt noch kurz einen Blick auf die Durchschnitts-
steuersätze. Deren Botschaft ist sehr leicht verständlich. Denn
dieser Steuersatz gibt ganz einfach an, wie hoch der Anteil der
Steuerbasis ist, der tatsächlich als Einkommensteuerzahlung
abgeliefert werden muss. Steigen die Durchschnittssätze an,
wie es beim gültigen Einkommensteuertarif der Fall ist, ist der
Tarif progressiv.
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
0 10000 20000 30000 40000 50000 60000 70000
Einfachsteuer
Grenzsteuersatz
ist immer 25 Prozent
Durchschnittssatz
Welche Botschaft er beinhaltet
Tsd. Euro
Abbild
ung 5
-4
Durchschnitts-Steuersatz
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 77
uch dies kann man sich anhand eines Beispiels gut
veranschaulichen: Herr Müller hatte bei einer Steuerbasis
von 30 000 Euro einen Durchschnittssteuersatz von etwas
weniger als 20 Prozent. Er musste 5 863 Euro Steuern zahlen.
Nehmen wir nun an, Frau Lüdenscheid hätte eine Steuerbasis
von 60 000 Euro. Wie man der Abbildung 5-4 entnehmen kann,
liegt ihr Durchschnittssteuersatz damit bei rund 30 Prozent. Sie
muss also exakt 17893 Euro Steuern zahlen. Obwohl die
Steuerbasis von Frau Lüdenscheid nur doppelt so groß ist wie
die von Herrn Müller, muss sie dreimal so viel Steuern zahlen.
Hiernach hat der deutsche Einkommensteuertarif folgende
Eigenschaften:
1. Leute mit einer gleich hohen Steuerbasis haben einen
gleich hohen Anteil davon abzugeben.
2. Je höher die Steuerbasis eines Steuerpflichtigen ist, desto
größer ist auch der Teil, den er davon an den Staat abtre-
ten muss.
Auch dies klingt nun fast genauso wie die beiden Forderungen
an eine gerechte Einkommensteuer, die wir in Kapitel 1 aufge-
stellt haben. Dass darüber hinaus der Durchschnittssteuersatz
steigt, hat zwei Gründe:
Zur Gewährleistung eines steuerfreien Konsumexistenz-
minimums ist das Einkommen in der ersten Tarifzone steu-
erfrei.
In der zweiten Tarifzone steigt der Grenzsteuersatz mit der
Steuerbasis.
Auch wenn der Grenzsteuersatz – wie bei der Einfachsteuer –
konstant wäre, würde das Verhältnis von Steuerbetrag zu je-
nem Einkommen, von dem der existentielle Freibetrag noch
nicht abgezogen wurde, zwangsläufig mit diesem Einkommen
steigen. Genau so ist die Steuerbasis der deutschen Einkom-
mensteuer konstruiert.
Darf man nun daraus zu schließen, dass unser derzeitiger Ein-
kommensteuertarif fair ist?
ie bereits erläutert wurde, ist die Steuerbasis mal
durch Ausrichtung der besteuerbaren Einkünfte am
Prinzip der Jahresgerechtigkeit und mal am Prinzip
A
Doppelt dreifach
Die Geheimnisse der Progression
W
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 78
der Lebensgerechtigkeit ein höchst willkürlich bestimmter Euro-
betrag. Dies zudem durch unterschiedliche und dabei jeweils
unsauber angewandte Ermittlungsmethoden sowie eine
Vielzahl lenkungspolitisch begründeter Befreiungen und
Sonderabzüge. Damit kann auch dem Einkommensteuertarif
keine Wahrheit zugebilligt werden. Mit einem Scheuklappen-
blick auf den Tarif kann das Thema Steuergerechtigkeit deshalb
beileibe nicht erledigt werden. Denn, dass sich am Tarif die Ge-
rechtigkeit unserer Einkommensteuer ablesen lässt, ist heute
nur noch ein falscher Mythos, den die Politiker aus gutem
Grunde pflegen. Wer also den Tarif als Verwirklichung einer
einfachen, heilen Umverteilungswelt interpretiert, sieht die trau-
rige Realität der deutschen Einkommensteuer durch eine rosa-
rote Brille.
Natürlich ist in der Wirklichkeit aber alles viel komplizierter: Die
Verteilungswirkungen der Einkommensteuer ergeben sich erst
aus dem Zusammenwirken von Steuerbasis, Steuertarif und
Steuerhinterziehung. Trotzdem fallen selbst erfahrene politische
Journalisten immer wieder auf das Tarif-Märchen herein. Immer
wieder hängen sie die Frage der Gerechtigkeit in ihrer Bericht-
erstattung an dem Einkommensteuertarif auf. Die politische Ge-
rechtigkeitsdiskussion kreist dann immer nur um die falsche Ta-
rifkulisse. So fällt über die eigentlichen Gerechtigkeitsprobleme
unserer Einkommensteuer oft ein Mantel des Schweigens.
Es stimmt zwar, dass Deutschland einen stark ansteigenden,
progressiven Tarif auf das zu versteuernde Einkommen hat. Ob
der aber sehr aussagekräftig ist, ist noch lange nicht gesagt.
ie Kluft zwischen Steuerbasis und echtem Einkommen
wird nicht allein durch die unterschiedliche Einbezie-
hung von Einkünften und ihre Ermittlung begründet. In
diesem Sinne verzerrend wirken auch die bereits
erwähnten Steuerermäßigungen durch steuerlich berücksichti-
gungsfähige persönliche Aufwendungen. Sie werden nicht zur
Erzielung von Einkommen, sondern aus anderen privaten
Gründen getätigt, sind aber aus politischen Gründen als Abzug
gewollt.
Zunächst sei auf die Reduzierung des zu versteuernden Markt-
einkommens durch Abzüge gemäß dem bereits erläuterten
D
Tarifwahrheit
Keine Spur davon
Große Kluft
Steuerbasis und echtes Einkommen
Scheuklappen
Tarif mit geringer Aussagekraft
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 79
subjektiven Nettoprinzip verwiesen. Diese – hauptsächlich sozi-
alpolitisch begründeten – Abzüge sind in vielen Fällen ziemlich
willkürlich und progressionsbedingt auch nicht fair.
Mit dem Einbau des Freibetrags für das Konsumexistenzmi-
nimum in den Tarif (als steuerfreie erste Zone) ist die damit er-
zielte Ersparnis für alle Steuerpflichtigen betragsmäßig gleich.
Man erhält sie, indem der Eingangssteuersatz (siehe vorste-
henden Tarif nach mathematischer Aufdröselung) darauf ange-
wendet wird. Bei allen ledigen/verheirateten Steuerpflichtigen
betrug die Ersparnis in 2014 z. B. einheitlich (0,14×8 354 € =)
1 170 Euro/(2×0,14×8 354 €=) 2 340 Euro.
Dem subjektiven Nettoprinzip sind dann noch vor allem die fol-
genden – in der Regel begrenzten - Abzüge von persönlichen
Aufwendungen vom Erwerbseinkommen (Markteinkommen)
zuzuordnen. Unter Gerechtigkeitsaspekten ist es dabei beson-
ders ärgerlich, dass die Steuerersparnis bei gleichem Abzugs-
betrag mit der Höhe des zu versteuernden Einkommens steigt.
Dies ist durch die Progression des Steuertarifs bedingt und gilt
u. a. für den Abzug folgender Aufwendungen bzw. dafür vorge-
sehenen Pauschbeträge (Freibeträge):
Beiträge zur Kranken-, Unfall- und Pflegeversicherung;
Beiträge zur Haftpflicht-, Risiko- und Lebensversicherung;
Kinderfreibetrag;
Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung
eines Kindes;
Freibetrag für Alleinerziehende;
Abzüge für die Betreuungskosten eines zum Haushalt des
Steuerpflichtigen gehörenden Kindes;
außergewöhnliche Belastungen.
Für einen Beitrag zur Krankenversicherung von bspw. 100 Euro
hat ein Steuerpflichtiger im untersten Tarifbereich eine Erspar-
nis von rund (0,14×100=) 14 Euro. In der vierten Progressions-
zone beträgt die Entlastung (0,47475×100 € =) 47,48 Euro.
Es bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung, dass ein sol-
cher Entlastungsunterschied nicht mit dem Grundprinzip einer
fairen Besteuerung vereinbar ist.
Freibeträge
begünstigen hohe Einkommen
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 80
Steuerlich abzugsfähig sind – teilweise begrenzt – auch noch
weitere persönliche Aufwendungen. Sie sind hauptsächlich len-
kungspolitisch begründet. Hierzu gehören u. a.:
Gezahlte Kirchensteuer;
Spenden an gemeinnützige Organisationen;
Zuwendungen in das zu erhaltene Vermögen (den
Vermögensstock) gemeinnütziger Stiftungen;
Sonderabschreibungen der Herstellungskosten nur
privat genutzter Gebäude.
Als begrenzte Abzüge von der Steuerschuld und damit als ten-
denziell fair sind folgende Aufwendungen (begrenzt) ansetzbar:
gezahlte Zuwendungen an politische Parteien und
an unabhängige Wählervereinigungen;
gezahlte Aufwendungen für haushaltsnahe
Beschäftigungsverhältnisse und für die Inanspruch-
nahme haushaltsnaher Dienstleistungen und
Handwerkerleistungen.
Weiterhin sind hier noch abzugsfähige Aufwendungen zu er-
wähnen, die nicht eindeutig nur dem Erwerb steuerpflichtiger
Einnahmen (Erträge) dienen, sondern auch Elemente des Pri-
vatverbrauchs enthalten. Hierzu gehören u. a.
die Entfernungspauschale für den Weg von der
Wohnung zur Arbeitsstätte;
Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten aus An-
lass der Bewirtung von Geschäftspartnern.
Es stellt sich bei diesen Steuerermäßigungen die Frage, ob die
Steuerbasis vieler Steuerbürger auch nur noch entfernt etwas
mit jenen Einkommensverhältnissen zu tun hat, bei denen keine
sozialpolitisch sowie lenkungspolitisch begründeten Sonderab-
züge möglich gewesen und alle Markteinkommen deklariert
worden wären.
Mein Freund und Kollege Hans-Georg Petersen, Steuerökonom
an der Universität Potsdam, kommt nach seinen Steuerbelas-
tungsrechnungen jedenfalls zu dem Schluss: „Zwischen den ta-
rifären und den effektiven Steuersätzen klafft aufgrund der Ab-
zugsmöglichkeiten und der Steuervergünstigungen eine rie-
„Böser Verdacht“
Tarifprogression:
nur Opium fürs Volk?
Lenkung durch Steuerermäßigung
ist in der Regel nicht gerecht-
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 81
sige Lücke, so dass die tarifären Sätze auf dem Papier stehen,
ohne dass sie für die tatsächliche Steuerbelastung des einzel-
nen Steuerpflichtigen eine Aussagekraft haben. Damit wird
eklatant gegen den Grundsatz der Tarifwahrheit verstoßen.”
Sollten sich gar die Reichen bei uns besser vor den Steuern
drücken können als die Armen, dann wären unsere hohen
Steuersätze für Reiche nur Attrappen. Dann läge auch der
Steuerökonom Stefan Homburg mit seinem „bösen Verdacht"
richtig, dass der Gesetzgeber „eine immens progressive Steuer,
die niemand zahlt, als Opium für das Volk aufs Papier schreibt".
wei blaue Einkommensteuerpunkte aus der Steuerspi-
rale auf Seite 46 sind bislang noch nicht erwähnt
worden: Die Körperschaftsteuer und die Gewerbe-
steuer. Beide Steuern sind zunächst einmal Steuern auf den
Gewinn von Unternehmen und damit Unternehmenssteuern.
Um zu sehen, dass diese Steuern aber letztlich auch nur ver-
kappte Steuern auf das Einkommen von Privatpersonen sind,
muss man sich auch die groben Grundzüge der Unterneh-
mensbesteuerung einmal ein bisschen genauer ansehen. Das
kann so spannend sein wie ein Krimi. Die große Frage ist aller-
dings nicht: „Wer ist der Mörder?", sondern vielmehr: „Wer trägt
die Last der Unternehmenssteuern eigentlich wirklich?" – Leser,
die sich für die Antwort nicht so brennend interessieren, können
aber die nächsten neun Seiten ohne weiteres überblättern und
im nächsten Kapitel wieder einsteigen.
Leider war die deutsche Unternehmensbesteuerung immer
schon recht kompliziert. Dann kam Finanzminister Hans Eichel
mit seiner Unternehmenssteuerreform 2000 und hat erst einmal
alles ganz anders gemacht. Resultat: Einführung des soge-
nannten Halbeinkünfteverfahrens. Es hat das
Anrechnungsverfahren abgelöst, das europarechtswidrig war.
Näheres hierzu möchte ich dem Leser ersparen. Allerdings, mit
dem neuen Verfahren wurde alles anders, kompliziert war es
aber immer noch, wenn nicht gar komplizierter.
Damit kam aber die unendliche Geschichte des Reformierens
bei den Unternehmenssteuern noch nicht zu einem Ende.
Unter der Regie des Finanzministers Peer Steinbrück wurde
2008 die Körperschaftsteuer (inkl. Soli) von rund 26,4 Prozent
Z
Unternehmen
Wer trägt die Last eigentlich wirklich?
Mal so, mal so
Aber garantiert immer kompliziert
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 82
auf 15,8 Prozent gesenkt. Weiterhin wurde das Halbeinkünfte-
verfahren durch das Teileinkünfteverfahren ersetzt, womit bei
Zufluss in ein Betriebsvermögen 60 Prozent der Kapitalerträge
steuerpflichtig sind.
Bei Zufluss von Kapitaleinkünften in ein Privatvermögen sind
diese ab 2009 mit einem Abgeltungssteuersatz (inkl. Soli) von
rund 26,4 Prozent zu versteuern. Bei bestimmten Beteiligun-
gen, die zu einem Privatvermögen gehören, besteht auch ein
Wahlrecht zum Teileinkünfteverfahren.
Neu war auch die für Einzelunternehmen und Personengesell-
schaften wählbare Thesaurierungsbegünstigung, wonach der
zurückbehaltene Gewinn mit 28,25 Prozent zu versteuern ist
und bei späterer Entnahme nochmals rund 26,4 Prozent zu
zahlen sind. Die Regelungen hierzu sind ziemlich komplex –
erfordern u. a. die mathematische Lösung einer Gleichung – ,
was gar nicht überrascht, und hinsichtlich ihrer definitiven Be-
lastungswirkung nicht einfach zu durchschauen. Außerdem gab
es mit der Unternehmenssteuerreform noch andere Änderun-
gen des Unternehmenssteuerrechts, die hauptsächlich zu wei-
teren Belastungen der Unternehmensgewinne führten. Einzel-
heiten hierzu möchte ich dem Leser ersparen.
Ich werde im Folgenden einmal versuchen, das Regelungs-
knäuel der deutschen Unternehmensbesteuerung so aufzudrö-
seln, dass die wichtigsten Fäden schnell und einfach zu erken-
nen sind. Es geht dabei wie gesagt letztlich immer um eine kri-
minalistische Frage, deshalb übergebe ich Ihre Lösung dem
bekannten Detektiv Mr. Holms und seinem Gehilfen Dr.
Watson.
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 83
."Wer trägt die Steuerlasten eigentlich wirklich?"
Dr. Watson: Ich denke ja. - Erlauben Sie mir aber eine Be-
merkung, Sir: Wie Sie wissen, liegen uns Beweise dafür vor,
dass in Deutschland Unternehmen, die als Körperschaften
organisiert sind, anders besteuert werden als Personenunter-
nehmen. Daraus schließe ich, – berichtigen Sie mich, wenn ich
falsch liegen sollte – , dass wir nicht nur einen Fall, sondern
deren gleich zwei zu untersuchen haben!
Mr. Holmes: Dr. Watson, ich gratuliere: Das haben Sie scharf-
sinnig bemerkt.
Mr. Holmes: Wenn man diesen Fall
lösen will, lieber Dr. Watson, so muss
man zuallererst unbedingt zwischen
dem Unternehmen selbst und den
Menschen, die mit dem Unternehmen zu
tun haben, unterscheiden.
Dr. Watson: Warum ist das so, Mr. Holmes?
Mr. Holmes: Nun, sehen Sie das denn
nicht? Das Unternehmen ist doch nur
eine abstrakte Organisation, und sonst
nichts. Steuerlasten können ergo nur die
Menschen tragen, die dahinter stehen:
die Eigentümer auf jeden Fall, die
Manager und Mitarbeiter eventuell;
vielleicht sogar die Kunden, wer weiß?
Können Sie mir folgen, Watson?
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 84
Die Besteuerung von Körperschaften
Körperschaften sind juristische Personen. Zu
ihnen gehören etwa alle Aktiengesellschaften
und alle GmbHs. Die Anteilseigner – bei der
Aktiengesellschaft also die Aktienbesitzer –
haften für Schulden der Körperschaften in der
Regel nur bis zur Höhe ihres Anteils am eingelegten Kapital.
Der Gewinn einer Körperschaft wird auf der Ebene des Unter-
nehmens von zwei Steuern erfasst: Zum einen von der Gewer-
besteuer, zum anderen von der Körperschaftsteuer. Die Frage
ist, wer durch diese Steuern eigentlich belastet wird.
Dr. Watson: Außerdem ist doch wohl zu
berücksichtigen, dass nicht nur die
Unternehmenssteuern Teile der
Gewinne für den Fiskus abzwacken.
- Wenn die bereits geschmälerten
Gewinne bei den Eigentümern der
Unternehmen einlaufen, greift der
Staat ja noch ein zweites Mal einen
Teil davon ab. Schließlich müssen die
Eigentümer die zugeflossenen
Gewinne ja noch einmal der
Einkommensteuer unterwerfen.
Mr. Holmes: Mein lieber Watson:
Ich bin sprachlos ob ihrer Beobachtungs-
kraft! Machen Sie sich doch bitte gleich
ans Werk! Durchleuchten Sie die
Besteuerung der Körperschaften und
Personenunternehmen! Finden Sie
heraus, wer die Unternehmenssteuern
eigentlich zahlt und wie oft der Fiskus
sich bei den Gewinnen bedient!
Körperschaften
Zwei Steuern auf denselben Gewinn
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 85
Gewerbesteuer
Die Gewerbesteuer ist auf den – durch einige systemlose Hin-
zurechnungen erhöhten – Gewinn eines jeden Gewerbebe-
triebs zu zahlen. Die Höhe des Gewinnanteiles, der hier abzu-
führen ist, wird von den Gemeinden, in denen die Unternehmen
angesiedelt sind, durch das grundgesetzlich garantierte Hebe-
satzrecht entscheidend mitbestimmt. Von Gemeinde zu Ge-
meinde ist der zu zahlende Gewinnanteil deshalb unterschied-
lich hoch. Im Durchschnitt liegt er etwa zwischen 10 und 15
Prozent.
Körperschaftsteuer
Körperschaftsteuer ist auf den Gewinn einer jeden Körperschaft
zu zahlen. Die Höhe des Gewinnanteils, der entrichtet werden
muss, liegt bundesweit bei einheitlichen 15 Prozent und ein-
schließlich Solidaritätszuschlag bei (1,055×15 % =) 15,83 Pro-
zent.
Bevor der Gewinn einer Körperschaft verteilt werden kann, hat
also das Finanzamt immer schon zugelangt und vorneweg be-
reits z. B. 15 Prozent Gewerbesteuer plus 15,83 Prozent Kör-
perschaftsteuer vereinnahmt. Ein Gewinnanteil von rund 31
Prozent ist damit schon verteilt, bevor es überhaupt erst richtig
ans Verteilen geht.
ie Unternehmenssteuern gehen somit offensichtlich zu
Lasten der Anteilseigner, also bei AGs etwa zu Lasten
der Aktionäre. Da der verteilbare Gewinn durch die
Steuern reduziert wird, fällt die Gewinnausschüttung
(bei Aktionären die Dividenden) entsprechend niedriger aus.
Obwohl die Steuern vom Unternehmen selbst abgeführt wer-
den, tragen eigentlich die Anteilseigner die Last. - Ist die Frage
nach der Lastverteilung damit aber wirklich schon abschließend
beantwortet?
Nein: Denn auch die Arbeitnehmer und die Kunden tragen
einen Teil der Last. „Wie das?", fragen Sie? Nun, die Sache ist
die: Da die Anteilseigner es gar nicht so gut finden, wenn die
Unternehmenssteuern so viel von ihren Profiten abknapsen,
drängen sie das Management mit all ihrer „Shareholder-Macht“
dazu, möglichst viel dieser Last auf die Kunden und Mitarbeiter
31 Prozent
Schon verteilt, bevor verteilt wird
D
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 86
zu überwälzen. „Preise ein bisschen rauf, Löhne ein bisschen
runter" lautet der Auftrag. Bei der Ausführung meldet der Leiter
der Verkaufsabteilung sicherlich, dass die Kunden aufgrund der
Preiserhöhung weniger kaufen, der Absatzrückgang schmälert
dann den Gewinn. Löhne runter geht oft nicht, weil sie zum
einen oft von Gewerkschaften festgezurrt wurden und sich eine
steuerlich begründete Lohnsenkung ausgesprochen schlecht
auf das Image der Firma auswirken dürfte. Auszuschließen
bleibt jedoch gar nichts.
Wie viel der Last die Manager letztlich überwälzen können, wird
von Branche zu Branche je nach den Marktverhältnissen unter-
schiedlich sein. Der Löwenanteil der Last verbleibt jedoch im-
mer bei den Anteilseignern. Wenn überhaupt kein Überwäl-
zungsspielraum vorhanden ist, fallen die Gewinnausschüttun-
gen im Schnitt um rund 30 Prozent niedriger aus als ohne
Unternehmenssteuern.
Wie Dr. Watson bereits angedeutet hat, ist die
Geschichte der Gewinnbesteuerung damit aber
noch nicht beendet. Ist der Anteilseigner ein
Unternehmen, muss es 60 Prozent der
erhaltenen Dividenden – die beim ausschüt-
tenden Unternehmen bereits mit rund 31 Prozenten versteuert
wurden – nämlich noch einmal seiner Unternehmenssteuer un-
terwerfen. Das verlangt das neue Teileinkünfteverfahren.
berschlagen wir jetzt einmal grob die Gesamtbelastung
der Anteilseigner, wenn sie ihre Anteile in dem
Betriebsvermögen eines Unternehmens ohne eigene
Rechtspersönlichkeit halten:
Auf der Ebene eines ausschüttenden deutschen Unternehmens
(z. B. in der Rechtsform einer GmbH) werden die Gewinne
durch Gewerbe- und Körperschaftsteuer mit rund 30 Prozent
belastet. 60 Prozent der erhaltenen Dividende habe der Inhaber
des empfangenen Unternehmens mit einem persönlichen Steu-
ersatz von 44,31 Prozent zu versteuern. Von 100 Euro Gewinn
werden also 70 Euro ausgeschüttet, von denen 60 Prozent, d.
h. 42 Euro ebenfalls zu versteuern sind. Damit verbleibt dem
Dividendenempfänger 70 Euro abzüglich (0,4431×42 € =) 18,61
„Überwälzung?“
Preise etwas rauf, Löhne etwas runter
Ü
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 87
Euro Einkommensteuer, d. h. netto 51,39 Euro. Die Gesamt-
belastung beträgt demnach 48,61 Prozent.
Erhalten Privatanleger Dividenden, so unterliegen diese der
Abgeltungssteuer mit rund 26,4 Prozent. Dieser Steuersatz wird
dann also auf die schon auf der Unternehmensebene mit 30
Prozent vorbelastete Gewinnausschüttung angewendet. Wenn
der Steuerpflichtige beispielsweise eine Steuerbasis von etwa
60 000 Euro hat, muss er von seinem steuerlich relevanten
Einkommen rund 30 Prozent abgeben. Demgegenüber liegt die
Gesamtbelastung erhaltener Dividenden bei (30 % +
0,7×26,4 % =) 48,48 Prozent. Einen solchen persönlichen
Steuersatz haben noch nicht einmal Steuerpflichtige im obers-
ten Tarifbereich, wo der Grenzsteuersatz 47,48 Prozent beträgt.
Die Gesamtbelastung der Gewinne aus Körperschaft-, Ge-
werbe- und Abgeltungssteuer kann so selbst für Anteilseigner,
die noch lange nicht zu den Spitzenverdienern gehören, schnell
deutlich oberhalb der durchschnittlichen steuerlichen Belastung
der sonstigen Einkünfte des Anteilseigners liegen. So beträgt
die Kluft in dem obigen Beispiel rund 18,5 Prozentpunkte.
Und deswegen, liebe Kleinaktionäre, gilt Folgendes: Ihr seid
vielleicht nicht reich, werdet aber trotzdem so besteuert! Wie
schön einmal wie ein Reicher behandelt zu werden! Aber wa-
rum ausgerechnet vom Fiskus?
Die Besteuerung von Personenunternehmen
Zu den Personenunternehmen zählen
beispielsweise die Einzelunternehmungen und
die offenen Handelsgesellschaften. Typi-
scherweise haften die Eigentümer von
Personenunternehmen für alle Schulden des
Unternehmens.
Gewerbesteuer und Einkommensteuer
uf der Unternehmensebene müssen die Personenun-
ternehmen nur die Gewerbesteuer zahlen. Der durch
diese Steuer nicht gekürzte Unternehmensgewinn wird
direkt den Eigentümern zugerechnet und ist bei diesen
Krasse Kluft
Kleinaktionäre sind nicht reich, werden aber so besteuert
A
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 88
voll als Einkommen versteuert. Von ihrer Einkommensteuer-
Schuld dürfen die Eigentümer allerdings einen Betrag abziehen,
der ganz grob gesprochen ihrem Anteil an der Gewerbesteuer-
zahlung entspricht: Manchmal ist es ein klein bisschen weniger,
manchmal ein klein bisschen mehr, das kommt auf die Ge-
meinde an. Im Ergebnis zahlen die Eigentümer von
Personenunternehmen auf Unternehmensgewinne in der Regel
wenige Prozentpunkte mehr als es ihrem jeweiligen persönli-
chen Durchschnittssteuersatz entspricht. Sie tragen damit letzt-
lich in aller Regel eine geringere Last als die Anteilseigner von
Körperschaften, wenn diese ihren Gewinn direkt ausschütten.
Mit der Unternehmenssteuerreform 2008 wurde jedoch für Ein-
zelunternehmen und Personengesellschaften eine – wenn auch
ziemlich komplizierte – Begünstigung im Unternehmen zurück-
behaltener Gewinne eingeführt. Solche Gewinnteile werden mit
28,25 Prozent besteuert, so dass mit dem verbleibenden Rest
an Gewerbesteuer eine Gesamtbelastung eintritt, die der bei
Körperschaften in etwa entspricht.
Bei späterer Entnahme haben Unternehmer und Gesellschafter
die erhaltenen Beträge mit der Kapitalertragsteuer von rund
26,4 Prozent zu versteuern. Damit wird bei Gewinnausschüt-
tungen von Personenunternehmen eine mit Dividenden von
Kapitalgesellschaften vergleichbare Spitzenbelastung von rund
48,5 Prozent erreicht.
Dies gilt jedoch nur bei Inanspruchnahme der Thesaurierungs-
begünstigung. Anderenfalls ist der Gewinn von Personenun-
ternehmen gemäß individueller Position im Einkommensteu-
ertarif zu versteuern. Dabei können sich geringere Belastungen
als bei ausgeschütteten Gewinnen von Körperschaften erge-
ben. Kleine Unternehmer oder Gesellschafter werden damit u.
U. deutlich geringer belastet als Kleinaktionäre von Aktienge-
sellschaften oder Anteilseigner von GmbHs.
etztlich bringt die Thesaurierungsbegünstigung
hauptsächlich Vorteile für Unternehmer und Gesell-
schafter, die den Gewinn nicht unmittelbar für
Privatzwecke entnehmen müssen, ihn für längere Zeit
im Unternehmen anlegen wollen und ihr Einkommen im oberen
Tarifbereich zu versteuern haben.
L
Kapitel 5: Die deutschen Einkommensteuern im Überblick 89
Und damit ist am Schluss nur eines klar: Körperschaften und
Personenunternehmen werden keineswegs gleichmäßig be-
steuert. Wenn die jeweiligen Eigentümer die Gewinne sofort er-
halten, werden Anteilseigner von Körperschaften oft höher
belastet. Von einer gleichmäßigen Besteuerung kann damit
also nie die Rede sein. Damit beeinflussen steuerliche Sach-
verhalte die Wahl der Rechtsform eines Unternehmens.
ei der Einfachsteuer dagegen schon: Wie im dritten
Teil gezeigt wird, sorgt sie für eine wirklich gleichmäßige
Besteuerung des Einkommens von Unternehmensei-
gentümern ganz unabhängig von der jeweiligen Rechtsform der
Unternehmen. Wenn Unternehmen von ihren Eigentümern per-
sönlich geführt werden, werden die Gewinne immer der persön-
lichen Einkommensteuer unterworfen. Nur börsennotierte Groß-
unternehmen, die durch Manager und nicht durch die Anteils-
eigner selbst geführt werden, werden abschließend auf der
Unternehmensebene besteuert. Dies vereinfacht die Besteue-
rung ungemein und stellt vor allem die Kleinaktionäre wesent-
lich besser als heute.
Wahl der Rechtsform eines Unternehmens
erfordert steuerliche Überlegungen
B