13
Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der sogenannten ruhigen Haltung, Stellung und Lage mittels SpiegelvergrSl~erung. Von Dr. $. Piahl (Kuranstalt Ahrweiler). Mit 2 Textfiguren. (Eingegangen am 18. Mdrz 1911.) Die Mehrzahl unserer Bewegungsvorg~nge, insbesondere aber ihrer einzelnen Phasen verl~uft auBerordentlich schnell und setzt dadurch einer exakten Untersuchung und Schilderung groBe Schwierigkeiten entgegen. Bei einem anderen Teile wird die Untersuchung dadurch erschwert, dab die betreffenden Vorg~nge sich innerhalb ~uBerst enger Grenzen abspielen und sich auf diese Weise der direkten Beobachtung durch unser Auge entziehen. Jeder, der hier Abhilfe schaffen will, mug also darauf bedacht sein, die Erscheinungen entweder zu fixieren, oder kfinstlich zu vergrSl~ern, oder beide Mittel nebeneinander oder gleichzeitig zur Anwendung zu bringen. Unter den Methoden, die bisher zu diesem Zwecke benutzt worden sind, ist die ~lteste wohl die graphische. Etwa seit der Mitre des vorigen Jahrhunderts hat sie sowohl in der Hand von Physiologen wie yon Klinikern viele wichtige und interessante Resultate gezeitigt. In neuerer Zeit hat nicht nur mancher Forscher, sondern auch mancher Liebhaber mittels kinematographischer Aufnahmen uns ge- zeigt, wie viele Lficken unser Wissen in der mehrfach erw~hnten Be- ziehung noch besitzt und wie wir diese Lficken ausffi]len kSnnen. So hat uns z. B. der kinematogxaphische Apparat manche Szene aus dem Tierleben, manche Stellung und Haltung aus der raschen Flucht und grol3en Fiille von Einzelbewegungen fixiert, die auch unseren besten Tiermalern bis dahin entgangen waren, ein sicherer Beweis, dab auch das geiibteste Auge nicht imstande ist, das zu erfassen und festzuhalten, was der Apparat mit voller Sicherheit und Objektivit~t fixiert. Sowohl die Kunst wie die Wissenschaft haben sich diese Vorteile zu Nutzen gemacht. Ganz anderer Art, aber gleichfalls yon groBer Bedeutung und in

Die genauere untersuchung feinster zitterbewegungen sowie der sogenannten ruhigen haltung, stellung und lage mittels spiegelvergrößerung

  • Upload
    j-pfahl

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der sogenannten ruhigen Haltung, Stellung und Lage

mittels SpiegelvergrSl~erung. Von

Dr. $. Piahl (Kuranstalt Ahrweiler).

Mit 2 Textf iguren.

(Eingegangen am 18. Mdrz 1911.)

Die Mehrzahl unserer Bewegungsvorg~nge, insbesondere aber ihrer einzelnen Phasen verl~uft auBerordentlich schnell und setzt dadurch einer exakten Untersuchung und Schilderung groBe Schwierigkeiten entgegen. Bei einem anderen Teile wird die Untersuchung dadurch erschwert, dab die betreffenden Vorg~nge sich innerhalb ~uBerst enger Grenzen abspielen und sich auf diese Weise der direkten Beobachtung durch unser Auge entziehen.

Jeder, der hier Abhilfe schaffen will, mug also darauf bedacht sein, die Erscheinungen entweder zu fixieren, oder kfinstlich zu vergrSl~ern, oder beide Mittel nebeneinander oder gleichzeitig zur Anwendung zu bringen.

Unter den Methoden, die bisher zu diesem Zwecke benutzt worden sind, ist die ~lteste wohl die graphische. Etwa seit der Mitre des vorigen Jahrhunderts hat sie sowohl in der Hand von Physiologen wie yon Klinikern viele wichtige und interessante Resultate gezeitigt.

In neuerer Zeit hat nicht nur mancher Forscher, sondern auch mancher Liebhaber mittels kinematographischer Aufnahmen uns ge- zeigt, wie viele Lficken unser Wissen in der mehrfach erw~hnten Be- ziehung noch besitzt und wie wir diese Lficken ausffi]len kSnnen. So hat uns z. B. der kinematogxaphische Apparat manche Szene aus dem Tierleben, manche Stellung und Haltung aus der raschen Flucht und grol3en Fiille von Einzelbewegungen fixiert, die auch unseren besten Tiermalern bis dahin entgangen waren, ein sicherer Beweis, dab auch das geiibteste Auge nicht imstande ist, das zu erfassen und festzuhalten, was der Apparat mit voller Sicherheit und Objektivit~t fixiert. Sowohl die Kunst wie die Wissenschaft haben sich diese Vorteile zu Nutzen gemacht.

Ganz anderer Art, aber gleichfalls yon groBer Bedeutung und in

718 J. Pfahh Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der

ihren Resultaten sehr interessant sind die Untersuchungen, die P i p e r z) in neuester Zeit angestellt hat. Er hat mittels des Saitengalvanometers die Zahl der AktionsstrSme festgestel]t, die bei willkfirlichen Muskel- anspannungen in den verschiedenen Muskeln auftreten. Ich halte es ffir dringend wfinschenswert, dab nicht nur die Physiologie, sondern aueh die klinische Forsehung von dieser Methode weiteren Gebraueh maeht, ebenso wie sie dies im sogenannten Elektrokardiogramm, der Kurve, die uns auf die geschilderte Weise die AktionsstrSme des Herzens wiedergibt, sehon seit einigen Jahren getan hat.

Auf die eminente Bedeutung, die die Bewegungen der verschiedensten Art namentlich fiir die Diagnose haben, brauche ich ja bier woht kaum hinzuweisen. Sie wird allgemein anerkannt. So sagt z. B. L ie p m a n n in seiner Arbeit , y b e r StSrungen des Handelns bei Gehirnkranken" (S. 10): ,,Da die Seelenvorg~nge der Menschen uns fiberhaupt n u r d u r e h i h r e m o t o r i s c h e n X u t ~ e r u n g e n kund werden, so doku- mentieren sich much alle krankhaften Vergnderungen der Innenvorg~nge nur durch ihre motorischen Xuflerungen."

Mit vollem Recht haben daher sowohl die willkiirlichen wie die un- willkiirlichen Muskelkontraktionen immer die Aufmerksamkeit der klinischen Forscher in Anspruch genommen. Aber trotz aller Arbeit, die auf diesem Gebiete schon gesehehen ist, sind unsere Anschauungen fiber Kraft , Ausdauer und Sicherheit auf der einen, fiber SehwKche, Ermiidbarkeit und Ataxie auf der anderen Seite, iiber krampfartige und sonstige unwillkfirliehe Bewegungen sowie fiber manche andere Vor- gi~nge, die in den Bewegungserscheinungen zum Ausdruck kommen, noeh immer sehr lfiekenhaft und unklar. Das tr i t t uns u . a . auch in den Lehrbiichern der Nervenkrankheiten allenthalben entgegen. Ich meine daher, dab wit von jeder MSglichkeit, die uns Aussicht bietet, unser Wissen auf diesem noch so wenig erforschten Gebiete zu vermehren, Gebrauch machen mfissen und mSchte mir daher ge- statten, im nachfolgenden fiber eine Methode zu berichten, die dazu imstande sein diirfte, meines Wissens aber noch nicht zu diesem Zwecke benutzt worden ist. Zu anderen Zwecken haben wir uns ihrer wohl alle schon einmal bedient. Ein jeder von uns hat wohl schon einmal mit einem Stficke Spiegelglas das Licht der Sonne aufgefangen und d~nn durch sehnelle Bewegungen der Hand den Nachbarn v o n d e r anderen Seite oder seinen Hund geneckt, VSgel verscheucht oder ~hnliehen Schabernaek getrieben.

Von der MSglichkeit, ~uf diese Weise sehr feine Bewegungen in starker VergrSl~erung zur Anschauung zu bringen, ist bisher meines

1) H. Piper , -~ber den willkfirlichen Muskeltetanus. Archiv f. d. ges. Physiol. 119, Heft 6---8, S. 30. - - Neue Versuche fiber den willkiirlichen Tetanus der quer- gestreiften Muskeln. Zeitschr. f. Biol. 33, 393--420.

sog. ruhigen Haltung, Stellung und Lage mittels Spiegelvergrsl~erung. 719

Wissens nur zur photographischen Registrierung des Pulses Gebraueh gemaeht worden. Neuerdings hat Ohm 1) dies wieder getan. Er hat mit eingediektem ZedernS1 ein feines, planparalM gesehliffenes Spiegel- chen der Radialisgegend so aufgeklebt, dab der obere Rand des Spiegel- chens bei horizontalem, fest fixiertem Vorderarm von der Radialarterie gehoben und gesenkt wird, wiihrend der untere Rand als Achse ffir die Bewegungen dient. Auf die Spiegelfliiche fgLllt ein sehmales Lichtband, wird an ihm reflektiert, maeht die Bewegungen des Spiegelehens in vergrSflerter Exkursion mit und gelangt in einem photographisehen Kymographion zur Aufnahme. Wer sich fiir die teehnischen Einzel- heiten und die Resultate n~iher interessiert, mSge an der zitierten Stelle naehsehen.

Ieh selbst war, sehon ehe ich die Arbeit yon Ohm kannte, auf den

JOr~ ~ln, y

,\ I / sva,~,

::i ~: 1~ ~

g ~ L Fig. 1.

Gedanken gekommen, auf Grund des gleiehen Prinzips die Bewegungen unserer versehiedensten Glieder einer genaueren Untersuehung zu unterziehen, insbesondere aueh sehr feine Bewegungen dureh VergrSBe- rung zur Anschauung zu bringen. Diese VergrSBerung kommt, wie aueh Ohm in seiner Arbeit betont, dadurch zustande, dab das Spiegelehen eine Drehbewegung um eine feste Achse maeht. Der Umstand, daft wir es bei den meisten Bewegungen der einzelnen Absehnitte unserer Glieder mit Drehbewegungen um eine oder mehrere Achsen (yon denen wir uns eine bestimmte wghlen mfissen) zu tun haben, kommt uns dabei vorzfiglich zu statten.

Ieh mSehte mir nun gestatten, im na~hfolgenden fiber die Ergebnisse meiner bisherigen Untersuchungen zu berichten. Naeh einigen Vor-

1) Ohm, Beitrag zur photographischen Pulsregistrierung. M/inch. reed. Wochenschr. 1910, Nr. 7, S. 343.

720 J. Pfahh Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der

versuchen bat ich einen befreundeten Offizier schriftlich, bei Ziel- iibungen auf dem Gewehr des Schiitzen einen kleinen Spiegel zu be- festigen, mit diesem das Sonnenlieht aufzufangen und auf eine Matt- scheibe zu werfen und mir dann mitzuteilen, was er dabei beobachtet habe. Von meiner Absicht schrieb ich ihm nichts, so dal3 er wohl vSllig vorurteilslos an den Versueh herantrat. Er kam dabei aueh noeh auf den gliicklichen Gedanken, bei einem Teil der Versuche den Sehiitzen so zu stellen, dab er der Sonne, der Mattscbeibe und dem Lichtreflex den Riicken zuwandte. (Vgl. Fig. 1.)

Nach einiger Zeit erhiett ich folgenden Bericht:

,,Die Schwankungen, die beim Zielen zutage treten, sind zweierlei Art:

1. Zitterige ~ (meistens), 2. ruhige

Ich halte es fiir vollkommen ausgeschlossen, dal3 bei irgend jemand keine der beiden Arten vorkommt."

Ob die Art und Weise, wie er die Bewegungen geseh/s und auf- gesehrieben hat, absolut zutreffend ist, lasse ich dahingestellt. DaB sie es aber in der Hauptsaehe ist, dal~ das Gewehr eines jeden, auch des ruhigsten Schiitzen, feine Zitterbewegungen, oder grSbere Sehwankun- gen, oder beides zusammen macht, kann keinem Zweifel unterliegen und deckt sieh auch mit meinen sonstigen Beobaehtungen.

Um dem Einwande zu begegnen, dab diese Bewegungen mSglicher- weise die Folge einer gewissen, durch den Versuch ausgelSsten Erregung seien, habe ieh dann noeh angefragt, ob sieh dabei etwas derartiges bemerkbar gemacht habe. Darauf bekam ich folgende Antwort: ,,Es mag sein, dab der eine oder andere sich durch den Versueh, als etwas Neues, beeinflussen l~i3t. Bei der Mehrzahl wird dies nieht der Fall sein, zumal der Apparat unauffi~llig angebraeht ist und der Sehiitze gar nicht weif~, zu welchem Zweeke dies geschieht. Die Leute zielten wie immer. Es miii3ten ja sonst auch alle die unruhig werden, denen man einen viel komplizierteren, sich bewegenden und sogar sehnappenden Zielkontrollapparat auf das Gewehr setzt."

Versuche ~hnlicher Art, bei denen der Spiegel an den verschiedensten Gliedern befestigt wurde, habe ich im letzten Sommer mit Hilfe des Sonnenliehtes h~ufig gemacht. Wir sind aber dabei durehaus nicht auf die Sonne allein angewiesen, sondern kSnnen uns aueh kiinstlieher Lichtquellen bedienen. Ieh selbst habe reich bisher haupts~chlich einer Bogenlampe (Kerzenst~rke ca. 200) bedient, die in einem etwa 4,50 m hohen Raume an der Decke befestigt war und deren Milchglasglocke an der Unterseite (zuf~llig infolge einer Besch~digung) einen l~nglichen Defekt hatte. Unter deren Benutzung habe ich nun die folgenden Versuche angestellt: Ich nahm mir einige kleine Spiegel in der GrSSe 4x 6 cm, wie man sie in jedem ,,billigen Laden" fiir 10 Pfennige kaufen

sog. ruhigen Haltung, Stellung und Lage mittels SpiegelvergrSl~erung. 721

kann. Auf die Riickseite des einen klebte ich mit Leim ein langes schmales Leinenband.

Mit Hilfe dieses Bandes l~i~t sich nun der Spiegel leicht und doch mit geniigender Festigkeit an jedem Gliede und Gliedabschnitte, am Unter- und Oberarm, am Unter- und Oberschenkel, auf der Brust und am Kopfe befestigen, und zwar in jeder beliebigen HShe, Stellung und Lage, am Kopfe z. B. vor der Stirn, auf einer Schl~fe oder auf der ttShe des Kopfes, in letzterer Stellung dadurch, dal3 man die Sehnur unterhalb des Kinns bindet.

Als Versuchsperson diente mir zuni~chst der gesunde Pfleger C. B. Zun~ehst stellte ich folgenden Versuch an: Der Untersuchte legte sich auf den Riieken. Der Spiegel wurde mittels des Bandes auf der Vorder- seite des linken Oberschenkels, etwa 15 em oberhalb der Kniescheibe befestigt. Das Licht der Bogenlampe fiel von oben auf den kleinen Spiegel und wurde von diesem wieder nach oben zu der etwa 4,5 m entfernten Decke reflektiert. War das Bein nun etwas abduziert und nach au[3en rotiert, mit anderen Worten, befand es sieh in einer be- quemen Ruhelage, so verhielt sich auch der Reflex 1) fast absolut ruhig. Wurde dann da~ Bein adduziert und gleichzeitig in Mittelstellung zwischen Ausw~rts- und Einw~rtsdrehung gebracht, so dal~ die FuB- spitze nach oben zeigte, so bemerkte man an dem Reflexe sofort Be- wegungen im Sinne der Rotation nach aui~en, die am Obersehenkel selbst mit blol~em Auge nicht zu erkennen waren. Wurde das Bein nun noch starker nach innen rotiert, so wurden auch diese Bewegungen starker. Dazu traten lebhafte Zitterbewegungen. 0ftere Wieder- holungen des Versuchs hatten das gleiche Ergebnis. Nun wurde der Spiegel, wi~hrend die Versuchsperson noeh immer auf dem Riicken lag, auf der Stirn befestigt. Dabei bemerkte man sofort, wie der Reflex Bewegungen machte, die dem Pulse isochron waren und zweifellos yon der durch den Herzschlag bewirkten Erschiitterung des ganzen KSrpers bzw. des Kopfes herriihrten.

Lag die Versuchsperson auf der rechten Seite und trug den Spiegel auf der linken Schl~fe, so machte der Lichtreflex an der Decke Be- wegungen im Sinne der Atembewegungen. Die gleichen Bewegungen waren zu bemerken, wenn der Spiegel auf der HShe des Kopfes be- festigt wurde und der Untersuchte stand oder auf einem Stuhle saP. AuBer diesen Atembewegungen waren dann auch noeh andere Be- wegungen zu bemerken, die offenbar die Folge einer unruhigen Haltung, im vorliegenden Falle jedoch nur gering waren. Bei einem sp~ter ange- stellten Versuche traten sie viel deutlicher zutage.

1) Fiir den von dem Spiegel zur Decke oder gegeniiberliegenden Wand re- flektierten Lichtschein habe ich im nachfolgeaden der Kiirze halber die nieht ganz zutreffende Bezeichnung ,,Reflex" oder ,,Lichtreflex" angewandt.

722 J. Pfahl: Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der

Nun setzte sich B. auf einen Stuhl, legte den rechten Oberarm an den Brustkorb und beugte den Unterarm bis zu einem Winkel von etwa 90 o. Dann wurde der Spiegel mittels des Bandes fiber dem unteren Teile des Handgelenks befestigt. In dieser Stellung bemerkte man nur feine Zitterbewegungen des Reflexes. Streckte B. jetzt den Arm, hob ihn bis zur Horizontalen und brachte den Unterarm in Supinations- stellung, so zeigte der Reflex deutlich die Tendenz, sich im Sinne der Pronation zu bewegen. Die Zitterbewegungen, die bei dem vorherigen Versuche nur ganz fein waren, wurden starker und nahmen auf die Dauer noch weiter an St~rke zu, offenbar durch die infolge der Anstrengung allm~hlich eintretende Ermfidung.

Bei dem folgenden Versuehe legte sich B. auf ein Ruhebett, und zwar auf den Riicken. Der rechte Arm ruhte an der Seite tles KSrpers in bequemer Lage ebenfalls auf, der Unterarm in Pronationsstellung. Befestigte man jetzt den Spiegel an der AuBenseite des Oberarmes, so machte der Lichtreflex auch in dieser, anscheinend vSllig ruhigen Lage noch deutliehe Zitterbewegungen.

Danach setzte B. sich wieder auf einen gewShnliehen Stuhl und hob seinen Arm bis zur Horizontalen. Der Unterarm war proniert, im Ellbogen gestreckt, die Hand in Mittelstellung zwischen Beugung und Streckung, der Handrficken war nach oben gerichtet. Die Beugeseite des Unterarmes und der Hand ruhten bequem auf einem Gestell auf, ohne jedoch befestigt zu sein. Anscheinend befanden sieh s~mtliche Teile dabei in vSlliger Ruhe. Nun wurde der Spiegel hintereinander auf dem Mittelfinger, auf dem Handriicken, der Riickseite des Unter- armes (im unteren Drittel), dem Supinator longus und an der AuBen- seite des Oberarmes befestigt. Bei all diesen Versuehen machte der Lichtreflex wieder lebhafte schnellschl~gige Zitterbewegungen, und zwar meist in seitlieher Richtung.

Die Frage, ob es sich bei all diesen Bewegungen um ein aktives Zittern handelt, oder ob einzelne" derselben, z. B. die Zitterbewegungen des rechten Mittelfingers oder der rechten Hand, als passives Zittern, hervorgerufen durch Zitterbewegungen des Unter- und Oberarmes, auf- zufassen waren, lieB sich bei dieser Anordnung des Versuehes nicht entseheiden. Die MSglichkeit, dab dies der Fall war, muB ieh unbedingt zugeben und sehe darin wieder eine Stfitze fiir meine wiederholt auf- gestellte Behauptung, dab wir bei graphischen Aufzeichnungen yon Bewegungsvorgis nur Bewegungen eines einzelnen Gliedabschnittes aufschreiben dfirfen und die zentralwKrts gelegenen KSrperteile so gut fixieren mfissen, als dies irgend mSglieh ist.

Diese Fixierung maeht allerdings h~,ufig ziemlieh bedeutende Sehwie- rigkeiten. Ich se]bst bin, wenn ich bei Zitterbewegungen der Finger feststellen wollte, inwieweit es sieh dabei um aktives oder bloB passives

sog. ruhigen Haltung, Stellung und Lage mittels Spiegelvergr(il~erung. 723

Zittern handele, folgendermaBen vorgegangen: Ich w~hlte zu meinen Versuchen den Mittelfinger. Die fibrigen Finger, sowie die Hand und der Arm wurden auf einer Schiene, diese auf einem Tische befestigt. Der Mittelfinger konnte sich fiber bzw. in einem Ausschnitte der Schiene frei, sowohl in seitlicher Richtung, wie im Sinne der Beugung und Streckung bewegen. Dann wurde fiber den Finger eine eng anliegende Hfilse gestreift, die s~mtliche Glieder zu einem versteifte und etwas fiber die Fingerspitze hinausragte. Auf ihrem vorderen Ende war in einem Winkel von 45 ~ ein kleiner Spiegel angebracht. Auf diesen fiel yon oben das Licht und wurde dann auf eine gegenfiberliegende, mehrere Meter entfernte Wand geworfen (Fig. 2).

Wollte ich nun sehen, ob der Finger in seitlicher Richtung (ulnar- und radialw~rts) zitterte, so wurde die Hand so befestigt, dab der Hand- rficken nach oben zeigte. Sollte fest- gestellt werden, ob Zittern der Beuge- und Streekmuskeln stattfand, so wurde die Hand vertikal (Klein- fingerballen nach unten) gestellt, so dab also die Bewegungen des Mittel- fingers sieh jedesmal (entspreehend meiner Forderung) in der hori-

() Fig. 2.

zontalen Ebene vollzogen. Auf diese Weise habe ich h~ufiger aktives Zittern beider Arten aueh da nachweisen kSnnen, wo mit dem Auge niehts davon zu bemerken war.

Bei einem anderen Versuche setzte sich B. in einen sehr bequemen Polstersessel mit bequemer Arm-, Riicken- und Kopfpolsterung. Unter- arm und Hand ruhten auf der sehr bequemen Armlehne. Die Finger waren leicht gebeugt und umgriffen ohne Anstrengung den vorderen Teil der Armlehne. Der Unterarm war proniert. Befestigte man jetzt auf dem unteren Teile seiner Riiekseite den Spiegel, so machte der Reflex an der Zimmerdecke lebhafte Zitterbewegungen, die noch st~.rker wurden, wenn man den Spiegel auf der Rfickseite der Hand befestigte.

Band man den Spiegel auf der HShe des Kopfes lest, w~hrend dieser bequem und anscheinend vSllig ruhig auf der Nackenpolsterung ruhte, so bemerkte man, wie der Reflex rhythmische Bewegungen machte, die dem Pulse des B. isochron waren. Die gleiche Erseheinung konnte ieh bei mir feststellen. Aul~erdem kamen bei mir, w~hrend mein Kopf der Lehne sehr bequem anlag, noch die Atembewegungen in Bewegungen des Liehtreflexes zum Ausdruck. Hielt ich den Kopf dann frei in der Luft, so maehte der Reflex noch grSBere, unregelm~Bige Bewegungen, die naeh meiner Sch~tzung zum grSBten Teil dureh leichte Nickbe- wegungen des Kopfes zustande kamen. Dazu kamen anseheinend auch noch Bewegungen in anderer Richtung. Die vorhin geschilderten

724 J. Pfahl: Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der

pulsatorischen und respiratorischen Bewegungen waren nunmehr nicht mehr deutlich zu erkennen. Ieh halte es aber ffir sehr wahrscheinlich, da$ sie weiter fortbestanden und nur dureh die anderen ausgiebigeren Bewegungen verdeekt wurden, bzw. sich mit diesen mischten.

Ausgiebige Bewegungen yon komplizierter Form machte der Reflex, wenn die Versuchsperson stand und den Spiegel auf der HShe des Seheitels trug. An dem Zustandekommen dieser Bewegungen sind im letzteren Falle natfirlieh die meisten Muskeln der Unter- und Ober- sehenkel, des Rumpfes und Kopfes beteiligt. Sie in ihre Komponenten zu zerlegen, diirfte wohl ausgeschlossen sein.

Pulsatorische Bewegungen, wie wir sie bei verschiedenen Versuehen am Kopfe beobachtet haben, treten uns vielfach aueh dann entgegen, wenn wir den Spiegel an den Extremit~ten befestigen. Ich habe sie bei mir selbst, wKhrend ich auf dem Riicken lag, beobachtet bei Befestigung des Spiegels auf der Mitte des Quadriceps, auf der Mitte des Unter- schenkels und auf dem Ful3riicken. In der Seitenlage konnte ieh sie deutlich feststellen, wenn ich den Spiegel auf der Aul3enseite des Ober- und Untersehenkels, dem Deltamuskel oder der Aui3enseite des Ober- armes befestigte. Mit blol3em Auge war yon diesen Pulsbewegungen nie etwas zu bemerken. (Durch passende Versuehsanordnung li~f~t sich dies allerdings vielfach aueh erreichen. So kann man z. B., wenn man das reehte Bein so fiber das linke schl~gt, daf3 die Wadenmuskulatur des reehten Beines der Vorderseite des linken Kniegelenks auflegt, beob- aehten, wie der ganze Untersehenkel bei jedem Pulssehlage sich in aus- giebiger Weise hebt und senkt.)

Dal~ sich ausgiebige Atembewegungen in manchen Stellungen eben- falls auf die Extremit~ten, insbesondere auf die Arme, fibertragen, habe ich gleiehfalls h~ufig bei meinen Versuchen feststellen kSnnen.

Ieh mSehte hier iibrigens bemerken, dal~ es durchaus nicht immer notwendig ist, den Spiegel an das betreffende Glied fest anzubinden, sondern daf~ es in vielen Stellungen und Lagen genfigt, wenn man ihn einfach auflegt.

Im vorstehenden habe ich nur einen Tell meiner Versuche als Bei- spiele angefiihrt. Es diirfte nicht schwierig sein, sie weiter zu ver- mehren und die Versuchsanordnung in der mannigfaltigsten Weise zu modifizieren.

Wir werden weiterhin imstande sein, ebenso wie O h m die Bewe- gungen der Arteria radialis kinematographisch aufgeschrieben hat, dies mit den feinen, im obigen geschilderten Zitter- und sonstigen Be- wegungen zu tun. Wir wir dabei vorzugehen haben, das wird sich zum groi~en Tell aus den Schilderungen von Oh m und des weiteren aus den meinigen ergeben. Ich selbst habe Versuche nach dieser Richtung hin bisher nicht maehen kSnnen, weil mir kein photographisches Kymo-

sog. ruhigen Haltung, Stellung und Lage mittels Spiegelvergr(il~erung. 725

graphion zur Verffigung stand, habe mich vielmehr auf die bloSe Be- obachtung des Lichtreflexes beschr~nken mfissen. Die Resultate einer solchen Beobachtung sind aber naturgem~ft sehr ungenau, eben weil diese Bewegungen zum groften Teil ~uflerst schnell ablaufen und sehnell aufeinanderfolgen. Es ist daher unmSglieh, sie exakt zu schgtzen. Wollen wir uns vielmehr ein genaues Urteil fiber den Umfang, did Ge- schwindigkeit und die sonstigen Eigensehaften der einzelnen Bewegung, sowie fiber die Zahl und Reihenfolge der gesamten Bewegungen ver- sehaffen, so sind wir dazu nur imstande, wenn wir sie flxieren. Das kSnnen wir bei ausgiebigen Bewegungen schon mittels der bisher ge- br~uchliehen graphisehen Methoden, bei den feinsten Zitterbewegungen abet wohl nur mittels kinematographiseher Aufnahme'des Liehtreflexes.

Zu gewissen, mehr allgemeinen Schluftfolgerungen berechtigt uns allerdings nach meiner Ansieht auch schon die blol3e Beobachtung der oben geschilderten Erscheinungen:

Von einer vSlligen Ausschaltung jeder Muskelanspannung kann selbst beim Liegen auf dem Riicken nur dann die Rede sein, wenn sgmtliehe KSrperteile sich in einer bequemen Lage befinden und dabei gut unterstfitzt sind. (Eine absolute Ruhe besteht aber selbst dann nicht, da die pulsatorisehen und die Atembewegungen zu passiven Bewegungen des Kopfes und der Extremitgten ffihren.)

Noch schwieriger ist es, im Sitzen jede Muskelt~tigkeit auszusehalten. Dazu ist ein ~ufterst bequemer Sessel und eine ausgesuchte Stellung und Lagerung der einzelnen Glieder notwendig. Vielleieht ist es nieht nut Modesache, sondern steht zum Teil wohl mit dieser Tatsache in Zu- sammenhang, daft noeh immer naeh neuen Formen ffir bequeme Sessel gesueht wird.

Eine vSllig ruhige Haltung im Stehen ist ausgeschlossen, da der K6rper sich dabei in einem sehr labilen Gleiehgewicht befindet, das nur durch fortw~hrende, aufs feinste abgestufte Anspannungen einer groften Zahl yon Muskeln der Unter- und Obersehenkel, des Beckens, des Rumpfes und Kopfes aufrecht erhalten werden kann.

Noch weniger kann yon einer vSlligen Ruhe eines Gliedes, das wir frei in der Luft halten, die Rede sein. Es machen sich vielmehr dabei, wie wir gesehen haben, tells ausgiebige Bewegungen yon wechselndem Umfange und langsamerer unregelm~ftiger Folge, wie wit sie in ver- stKrktem Mafte bei ataktischer~ finden, teils sehr feinsehlggige, in mehr gleichmKftigem Tempo rasch aufeinanderfolgende Bewegungen bemerk- bar, die wit gew6hnlich als Zitterbewegungen zu bezeiehnen pflegen, mit anderen Worten, wir sind alle bis zu einem gewissen Grade ataktiseh und wit zittern alle, der ruhigste Chirurg wie der sicherste Schfitze. Zum mindesten zittern wir alle dann, wenn wir einen KSrperteil be- wegen oder in einer bestimmten Lage festhalten wollen, und ieh kann

726 J. Pfahl: Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der

franzSsischen Forschern daher nur beistimmen, wenn sie yon einem physiologischen Zittern sprechen.

Alle diese Erscheinungen bieten iibrigens im Grunde nichts Auf- f~lliges. Wir wissen aus der Physiologie schon lange, dab jede, aueh die schnellste Bewegung nicht die Folge eines einmaligen Impulses ist, sondern dab dabei immer mehrere Impulse rasch hintereinander wirken, und dab ebenso die anscheinend gleiehm~iBig andauernde Muskelkon- traktion, durch die wir ein Glied in einer bestimmten Lage bzw. Stel- lung halten, kein kontinuierlieher, sondern ein distinuierlicher Vorgang ist, der sich aus zahlreiehen, sehnell aufeinanderfolgenden Einzel- entladungen zusammensetzt, mit anderen Worten, dab w i r e s dabei mit ~hnlichen Vorg~ngen zu tun haben, wie wir sie beim unvoll- kommenen Tetanus finden.

Halten wir uns dies vor Augen, dann ergibt aber schon eine einfaehe l~berlegung, dab keine einzige willkiirliche Bewegung mit gleichm~13iger Gesehwindigkeit erfolgen kann und da~ es uns ebenso wenig mSglich ist, irgendein Glied in absolut ruhiger Stellung und Lage zu halten. Die oben geschilderten Versuche, bei denen uns die feinsten Bewegungen mit Hilfe des Spiegels in sehr starker VergrS~erung zur Anschauung gebraeht werden, best~tigen diese Annahme.

Der direkten Beobachtung werden sich diese Bewegungen um so mehr entziehen, je geringer ihr Umfang bzw. ihre St~rke ist und je sehneller und gleichm~,I~iger sie aufeinander folgen. Je mehr diese Be- dingungen zutreffen, um so mehr wird uns eine bestimmte Bewegung als ruhig und gleichm~flig, eine bestimmte Haltung als ruhig erscheinen, um so mehr werden wir sie fiir normal halten. Je weniger umgeakehrt die oben angefiihrten Bedingungen zutreffen, um so mehr tretcn die Erschei- nungen zutage, die wir je nachdem als Ataxie oder Zittern zu bezeichnen pflegen, Erscheinungen, die, wie gesagt, bis zu einem gewissen Grade aueh beim Gesunden vorkommen und die erst bei st~rkerer Entwicklung als krankhaft bezeiehnet werden kSnnen. Es wird unsere n~chste Auf- gabe sein, festzustellen, wo hier die Grenze zwisehen Norm und Krank- heit liegt. Gewil~ wird diese Aufgabe nieht leicht sein, aber ich halte es direkt fiir unsere Pflicht, an ihre LSsung heranzutreten, und zwar mit Hilfe von genaueren Untersuehungsmethoden, etwa in der Weise, wie ieh es in letzter Zeit wiederholt geschildert bzw. angedeutet habeZ).

Ich meine, es miiI3te naeh alle dem, was ieh in diesen Arbeiten und auch im vorstehenden gesagt habe, einleuehten, dal3 wir ohne solche

1) Vgl. neben dieser Arbeit auch: Pfahl, J., Uber die graphische Darstellung von Bewegungsvorg~ngen, insbesondere des Patellarrcflcxcs. Zcitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. I, Heft 4, S. 502--522, und Pfahl, J., Die gcnauere Untersuchung der verschicdensten Bewegungsvorg~nge, namentlich der willkiirlichen Bcwegungen mittels graphischer Methoden. Klinik f. psych, u. nervSse Krankh. 6, Heft 1.

sog. ruhigen Haltung~ Stellung und Lage mittels SpiegelvergTO~erung. 727

Methoden auf die Dauer nicht auskommen bzw. nicht weiterkommen. DaB unsere Kenntnisse von den verschiedensten normalen und krank- haften Bewegungserseheinungen noch sehr unvollkommen sind, wird ziemlich allgemein zugegeben. Die Bedeutung dieser Erscheinungen, namentlich auch ffir die Diagnose, wird allerseits anerkannt. DaB kS unmSglich ist, Vorg/inge, die sich in so geringen Dimensionen oder so schnell abspielen, und die meist in so groBer Zahl und so raseh aufein- ander folgen, lediglieh auf Grund des Augenseheines genau zu studieren, wird niemand bestreiten. Die BestEtigung dieser Behauptung tritt uns aber aueh beim Studium der bisher iibliehen Untersuehungsmethoden der Bewegungsvorgiinge, der Ansichten fiber ihr Wesen usw. usw. auf Schritt und Tritt entgegen. So haben wir z. B. bei den Zitterbewegungen bisher immer zwischen Zittern in der Ruhe und Zittern bei Anstrengung unterschieden. Ob diese Unterscheidung berechtigt ist, erscheint mir nach meinen Untersuchungen mittels der Spiegelmethode mindestens sehr fraglich. Danach befinden sich namentlich unsere Extremitiiten cben nur selten in einem Zustande vSlliger Ruhe. Wir sind vielmehr, wie wir gesehen haben, sehr hiiufig imstande, aueh dann noeh Muskelan- strengungen und Zittern naehzuweisen, wenn unserem Auge der be- treffende KSrperteil als vSllig ruhig erscheint. Die klinische.Tatsaehe, dab eine ganze Reihe von krankhaften Zitterbewegungen in tiefem Schlafe schwindet, liil~t ebenfalls in dieser Hinsicht berechtigte Zweifel aufkommen.

Vielfach wird auch noch zwischen einem statischen und einem Be- wegungstremor unterschieden, je nachdem das Zittern bei der aktiven Innehaltung einer besonderen Stellung oder beim Bewegungsakte selbst auftritt. Auch diese Unterscheidung halte ich nicht fiir richtig, da beide Vorg/~nge im Grunde genommen sieh in der gleichen Weise vollziehen. Beide sind, wie wir wissen, die Folge rasch aufeinanderfolgender Einzel- kontraktionen des Muskels, nur die Zahl, Folge und Stiirke der Eiazel- impulse ist verschieden. Beide erfolgen schon in der Norm ungleieh- miiBig und zitterig.

Bei der Priifung auf das Vorhandensein von Zitterbewegungen sind die meisten Untersucher bisher wohl in folgender Weise vor- gegangen: Man liel~ die Arme vorstrecken, die Finger spreizen, den Zeigefinger an die Nasenspitze lagen, einen LSffel oder tin Glas Wasser zum Munde fiihren, eine Nadel einf~deln oder /ihnliche Mani- pulationen vornehmen. Man beobachtete dabei hauptsiiehlich Hand und Finger, und begniigte sich meist damit, wenn man festgestellt hatte, dab diese zitterten. Dai3 dieses Zittern nicht nur durch Kontraktionen der Muskeln, die die Hand und Finger bewegen, sondern auch durch zitternde Bewegungen des Unterarmes, des Oberarmes, ja des Rumples und der Beine ausgel6st werden kann, also mehr passiv ist, dariiber

728 J. Pfahl: Die genauere Untersuchung feinster Zitterbewegungen sowie der

sind sich wohl die wenigsten klar. Auch in der Literatur finden sich nur selten Bemerkungen hieriiber. S t e i n h a u sen 1) hat in einem Vor- trage, den er auf der Versammlung deutseher Naturforscher und ~rzte gehalten hat, darauf hingewiesen. Ob freilieh seine Ansicht richtig ist, dal~ die Finger an pathologischen Zitterbewegungen meist nur passiv teilnehmen, erscheint mir noch fraglieh. Jedenfalls halte ieh es aber fiir richtig, im einzelnen Falle festzustellen, welehe Gliedabschnitte aktiv, welehe nut passiv zittern.

Auch in verschiedenen anderen Punkten herrscht offenbar noeh Unklarheit : 0 p p e n h ei m sagt z. B. in seinem Lehrbuche der Nerven- krankheiten (5. Auflage, 1. Band, S. 34): Die Bezeichnung Zittern wird angewandt auf mehr oder weniger rhythmisehe, sehnell aufeinander- folgende Zuekungen von nicht erheblichem Umfange, die sieh in einer bestimmten Muskelgruppe abspielen.

Demgegenfber definiert S t e w a r t 2) ~hnlieh wie sehon friiher F r e u s b e r g , das Zittern folgendermaiten: Mit demAusdrucke, ,Tremor" bezeichnet man unwi!lkiirliche rhythmische Schwingungen eines oder mehrerer Teile des KSrpers, die durch die abwechselnde Kontrakt ion von Muskelgruppen und ihrer Antagonisten hervorgerufen werden. L e w a n d o w s k y ~ ) erkennt beide MSgliehkeiten an. DaB auf die erste Weise durch schnell aufeinanderfolgende Zuekungen in einer bestimmten Muskelgruppe oder gar in einem einzelnen Muskel Zitterbewegunger/ zustande kommen kSnnen, zeigt uns ja die Kurve des unvollkommenen Tetanus des Froschmuskels. Und dab auch beim Menschen auf ~hn- liche Weise Zittern entstehen kann, halte ich durchaus fiir mSglich. Unser Unterarm wird z. B. zitternde Bewegungen machen kSnnen, wenn lediglich in den Beugemuskeln rasch aufeinanderfolgende, leiehte Zuckungen auftreten und der Unterarm sieh dabei in einer Stellung befindet, dal~ er nach jeder Kontraktion dureh sein Gewicht immer wieder passiv heruntersinken kann.

Dal~ aber such dutch abwechselnde Kontraktionen von Muskel- gruppen und ihren Antagonisten Zittererscheinungen auftreten kSnnen und in der Tat h~ufig auftreten, unterliegt nach meinen Untersuchungen fiir mich keinem Zweifel. Wollen wir feststellen, welche Art des Zitterns im einzelnen Falle vorliegt, dann miissen wir den Einflu~ der Sehwere ausschalten und miissen das betreffende Glied in eine solehe Stellung bringen, dal~ es sich nur in der horizontalen Ebene bewegen kann. Und wollen wir uns Klarheit dariiber versch~ffen, ob ein Gliedabschnitt aktiv oder nur passiv zittert, dann miissen wir ihn so fixieren, dad er

1) Ste inhausen, Zur Meehanik des Zitterns. Neurol. Centralbl. 1907, 919. 3) Stewart , Die Diagnose der Nervenkrankheiten. Deutsch yon Dr. Carl

Hein. Leipzig 1910, S. 82. a) Handb. d. Neurol. 1, 725.

sog. ruhigen Haltung~ Stellung und Lage mittels Spiegelvergr01~erung. 729

durch Bewegungen anderer Gliedabschnitte oder anderer Glieder nicht beeinfluBt wird.

Die Frage nach der H~ufigkeit der Zitterbewegungen (in der Zeit- einheit) bei verschiedenen Krankheiten, in verschiedenen Gliedern und unter verschiedenen Bedingungen scheint mir in Anbetrach~ der Unzu- l~nglichkeit der bisherigen Untersuchungsmethoden und Beobachtungen ebenfalls noch genauerer Aufkl~irung zu bedfirfen.

So sehen wir, dab unsere Anschauungen fiber die Zittererscheinungen noch ~uBerst lfickenhaft sind. Das soltte nur ein Beispiel sein. Bei den anderen Bewegungsformen diirfte es kaum besser um unsere Kenntnisse bestellt sein.

Sind wir uns aber einmal fiber die M~ngel unserer bisherigen Unter- suchungsmethoden im klaren und werden uns daffir solche geboten, die diese M~ngel wenigstens zum Teil zu beseitigen imstande sind, dann werden wir uns der Pflicht, von den letzteren Gebrauch zu machen, auf die Dauer nicht entziehen kSnnen. Der Nervenarzt wird sie meines Erachtens auf die Dauer nicht entbehren kSnnen. Ich bin eben der An- sicht, dab sie nicht nur theoretischen Wert haben, sondern uns auch in der Praxis bei der Differential- und Frfihdiagnose, ebenso bei der Untersuchung und Begutachtung yon Unfallverletzten usw. noch gute Dienste leisten werden.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. IV. -~7