Die Gestapo. Täter – Opfer. Forschung – Gedenken · PDF fileDie Gestapo. Täter – Opfer. Forschung – Gedenken Art Symbolfigur geworden, die Blockaden und Potenziale gesellschaftlicher

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  • Die Gestapo. Tter Opfer. Forschung Gedenken

    Die Gestapo. Tter Opfer. Forschung Gedenken

    Veranstalter: NS-Dokumentationszentrumder Stadt KlnDatum, Ort: 11.03.2016, KlnBericht von: Thomas Roth, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Kln

    Am 11. Mrz 2016 fand zum fnf-ten Mal das Kolloquium des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Klnstatt. Die Veranstaltungsreihe verfolgt dasZiel, den Austausch zwischen Wissenschaftund geschichtsinteressierter ffentlichkeitzu frdern, wobei jngere Forschungen zumNS-Regime in Kln und dem Rheinlandim Mittelpunkt stehen. Dieses Jahr wurdenUntersuchungen und Berichte zur regionalenGeschichte der Geheimen Staatspolizei vor-gestellt. Dabei ging es auch darum, welcheoffenen Fragen und unerschlossenen Erinne-rungsorte es nach Jahrzehnten intensivenForschens und Gedenkens noch gibt.

    Zu Beginn der Veranstaltung skizzierteTHOMAS ROTH (Kln) den Kenntnisstandzur Gestapo Kln. Er wies auf die unter-schiedlichen Projekte hin, die von Seitendes NS-Dokumentationszentrums als zentra-ler Gedenksttte zum Klner Gestapoterrorim Laufe der letzten 25 Jahre angestoen unddurchgefhrt worden seien. Vor diesem Hin-tergrund knne nun eine aufgrund der weit-gehenden Zerstrung der zeitgenssischenberlieferung lange problematisch erschei-nende Gesamtdarstellung zur Klner Staats-polizei ins Auge gefasst werden. Dabei ge-he es zunchst um eine kollektivbiografischeSichtung des eingesetzten Personals mit denMitteln der Tterforschung. In diesem Kon-text sollten auch bislang unbeachtete Arbeits-bereiche betrachtet werden. Das gelte etwafr das Kirchen- und Heimtckereferat, de-ren Angehrige wissenschaftlich und erinne-rungskulturell bislang im Schatten des frdie Verfolgung von Kommunisten, Zwangsar-beitern oder Edelweipiraten verantwort-lichen Personals gestanden htten. Auch dieAbteilung Abwehr oder der Verwaltungsap-parat, die nach 1945 kaum Gegenstand justi-zieller Ermittlungen und fr Opferzeugenweitgehend unsichtbar geblieben waren, ver-

    dienten genauere Beachtung. Als wichtigeAnsatzpunkte fr die geplante Studie be-nannte Roth die Untersuchung der verschie-denen Gruppen und Fraktionen des Gestapo-personals, ihrer unterschiedlichen Prgungenund Praktiken, gemeinsamen Handlungs-und Radikalisierungsmuster, die Darstellungder je nach Gegnergruppe differierendenStrategien und der institutionellen wie regio-nalen Vernetzung der Gestapo sowie die Be-schreibung physischer Gewalt als integralemTeil staatspolizeilicher Arbeit und die Be-trachtung von Handlungsspielrumen inner-halb der polizeilichen Organisation. Da einGroteil der zur Verfgung stehenden Quel-len aus der Nachkriegszeit stamme, mss-te ein Schwerpunkt der Studie auf der ge-sellschaftlichen Aufarbeitung nach 1945 lie-gen und den in Entnazifizierungs- und Straf-verfahren produzierten Bildern der Gestapo-Herrschaft.

    Ein anderes laufendes Vorhaben stellteTHOMAS GROTUM (Trier) vor. Er leitet seitetlichen Jahren ein Projekt zur Gestapo Trier,das wesentlich auf die Forschungen von Stu-dierenden setzt. Auch Grotum wies auf ei-ne prekre, disparate Quellenlage hin, konn-te jedoch zeigen, welche Funde bei grndli-cher und kreativer Suche noch gemacht wer-den knnen. So vermag das Projekt mittler-weile auf eine Vielzahl unterschiedlicher Ma-terialen zurckzugreifen (zeitgenssische Jus-tizakten, Nachkriegsverfahren, Personenkar-teien, Berichtsakten etc.), die auch einen Zu-griff auf oft nicht zugngliche Arbeitsberei-che oder die alltgliche staatspolizeiliche Pra-xis erlauben. Entsprechend sind inzwischenetwa 20 studentische Forschungsarbeiten ent-standen, die das Thema detailliert und multi-perspektivisch erfassen und mittlerweile eindifferenziertes Bild der Trierer Staatspolizeientstehen lassen.1 Das Projekt erschliet nichtnur wissenschaftlich neues Terrain etwa imHinblick auf die staatspolizeiliche Abwehrar-beit oder die Verflechtung der Trierer Gestapomit dem ab 1940 in Luxemburg installiertenUnterdrckungsapparat. Es hat von Beginnan auch auf historisch-politische Bildungsar-beit gesetzt und regional eine lebhafte Aus-einandersetzung mit Ttern und Opfern

    1 Vgl. die Projektseite https://www.uni-trier.de/index.php?id=54259 (14.06.2016).

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    https://www.uni-trier.de/index.php?id=54259https://www.uni-trier.de/index.php?id=54259

  • anstoen knnen.Die zweite Sektion des Kolloquiums pr-

    sentierte drei Tterbiografien, die engmit der Gestapogeschichte des Rheinlandsverbunden waren. AKIM JAH (Bad Arol-sen/Berlin) referierte ber Kurt Venter, dersich bereits vor 1932 der NS-Bewegung zu-gewandt hatte und als junger Verwaltungsju-rist die fast schon klassische Karriere einesFhrungsbeamten der NS-Sicherheitspolizeidurchlief. Venter war zunchst in Koblenzund Tilsit ttig, dann stellvertretender Lei-ter in Dsseldorf, bevor er 1941 in gleicherFunktion zur Gestapostelle Berlin wechsel-te, gefolgt von Stationen beim Kommandeurder Sicherheitspolizei in Paris, in Mnchenund (gegen Kriegsende) in Kln. Aufgrundseiner verschiedenen Einsatzfelder war Ven-ter seit den 1960er-Jahren mit mehreren Er-mittlungsverfahren konfrontiert, von denendas sog. Bovensiepen-Verfahren zur Deporta-tion der jdischen Bevlkerung durch die Ge-stapo Berlin am weitesten gedieh. Jah skiz-zierte zunchst die Verantwortlichkeiten Ven-ters, um sie dann mit dessen Selbstausknftennach 1945 zu konfrontieren. In einer Analysevon Venters Aussagen aus dem Bovensiepen-Verfahren arbeitete er die verschiedenen Ar-gumente und Erzhlfiguren heraus, mit derder Beschuldigte seine mangelnde Verant-wortung und vermeintliche Schuldlosigkeitzu belegen und konstruieren versuchte. Ob-gleich Venters Darlegungen widersprchlichbzw. in Teilen durchaus widerlegbar waren,entsprachen sie so gut dem damaligen Tter-diskurs, dass das Verfahren mit einem Frei-spruch (mangels Beweises) endete.

    CHRISTINA ULLRICH (Marburg) warkrankheitsbedingt verhindert, so dass ihr Vor-trag verlesen wurde. Er widmete sich WernerS. Referatsleiter bei den Gestapostellen Klnund Wien sowie Angehriger der Einsatz-kommandos 8 (Weirussland) und 13 (Slo-wakei) sowie dessen Lebenslauf nach 1945.Dieser folgte den fr diese Personengrup-pe typischen Phasen: Untertauchen und vor-bergehender Identittswechsel nach 1945,Rckkehr in eine brgerliche Existenz wh-rend der 1950er-Jahre, Strafverfolgung undSelbstrechtfertigung in den 1960er-Jahren. ImVergleich mit anderen Einsatzgruppentternwurden jedoch auch Spezifika von Werner

    S.s Handeln erkennbar etwa in den aus-gedehnten Ausweich- und Fluchtversuchen,seinem strategischen Agieren gegenber denStrafverfolgungsbehrden und den offensi-ven, selbstgerechten Exkulpationsschriften.Dies machte die Handlungsspielrume deut-lich, die den NS-Ttern auch im Rahmen derEntnazifizierung, sozialen Reetablierungund Strafverfolgung zur Verfgung standen.Ullrichs Vortrag verwies jedoch auch auf dasgesellschaftliche Umfeld und die Netzwerkevon Helfern und Untersttzern Verwand-ten, Kameraden, Arbeitgebern , die eine(zumindest vorbergehende) Einbindung derNS-Tter in die westdeutsche Nachkriegsge-sellschaft ermglichten. Schlielich wies sie,wie zuvor Jah, auf die nachsichtigen Interpre-tationen hin, die die Justiz den Taten der br-gerlich auftretenden, als integriert und eta-bliert geltenden Angeklagten entgegenbrach-te.

    Anschlieend skizzierte INGO NIEBEL(Kln) sein Vorhaben einer Biografie KurtLischkas. Lischka, whrend der 1930er-Jahreim Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin un-ter anderem fr die berwachung der Kir-chen und die Verfolgung der jdischen Be-vlkerung zustndig, 1940 kurzzeitig KlnerGestapoleiter und anschlieend als Leitungs-beamter der Sicherheitspolizei in Paris mit-verantwortlich fr die Deportation von ber70.000 franzsischen Juden, hat in der letz-ten Zeit eine gewisse Prominenz erreicht.Er spielte nicht nur eine wichtige Rolle in ei-nem der umfangreichsten und langwierigstenVerfahrenskomplexe, dem sog. Frankreich-Komplex, sondern wurde in den 1970er-Jahren auch zum Ziel von Aktionen des Ehe-paars Klarsfeld und franzsischer Opferver-treter, deren ffentlichkeitswirksame Kampa-gnenarbeit entscheidend dazu beitrug, dassdie Deportation der franzsischen Jdinnenund Juden schlielich noch geahndet wur-de.2 Mit seiner spten Aburteilung durch dasLandgericht Kln 1980 ist Lischka zu einer

    2 Vgl. Bernhard Brunner, Der Frankreich-Komplex. Dienationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich unddie Justiz der Bundesrepublik Deutschland, Gttin-gen 2004; Anne Klein (Hg.), Der Lischka-Prozess. Ei-ne jdisch-franzsisch-deutsche Erinnerungsgeschich-te. Ein BilderLeseBuch, Berlin 2013; Ahlrich Meyer,Tter im Verhr. Die Endlsung der Judenfrage inFrankreich, Darmstadt 2005.

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  • Die Gestapo. Tter Opfer. Forschung Gedenken

    Art Symbolfigur geworden, die Blockadenund Potenziale gesellschaftlicher Aufarbei-tung und strafrechtlicher Vergangenheitsbe-wltigung gleichermaen vor Augen fhrt.Demgegenber ist die eigentliche BiografieLischkas nur teilweise ausgeleuchtet. NiebelsVortrag skizzierte die Desiderate der For-schung, etwa im Hinblick auf Lischkas Ttig-keit im Gestapa und Reichssicherheitshaupt-amt (1943ff.), seine Haft in Prag 19471950oder seine Kontakte zu alliierten Geheim-diensten. Darber hinaus fhrte Niebel mitBlick auf Lischka die zuletzt zunehmend zu-rckhaltend betrachtete Figur des Schreib-tischtters wieder ein. Der Referent wies dar-auf hin, dass Lischka offenbar nie als Direkt-tter an Verbrechen beteiligt war und beton-te den Habitus eines sachlichen Administra-tors, der auch fr Lischkas Reintegration indie Nachkriegsgesellschaft entscheidend ge-wesen sei. Damit bezeichnete Niebel einen Ty-pus, der auch in Akim Jahs Ausfhrungenber Kurt Venter zum Vorschein kam.

    Die dritte Sektion der Tagung widmete sich wie jedes Jahr Initiativen und Praktikendes Gedenkens. MATTHIAS WAGNER (L-denscheid) berichtete von seinen langjhri-gen Bemhungen, die G