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D ie Ozeane – so scheint es – ber- gen eine schier unerschöpf- liche Quelle an pharmakologisch aktiven Wirkstoffen. Der Grund: Unter dem Meeresspiegel spielt sich ein erbarmungsloser Überlebens- kampf ab. Doch ist es nicht die schnelle Flucht, der dicke Panzer oder die perfekte Tarnung, mit der sich Pflanzen und Tiere schützen, sondern es sind die unterschied- lichsten bioaktiven Substanzen, die sie zur Verteidigung, zum Schutz vor dem Überwachsen durch ande- re Organismen und gegen Infektio- nen einsetzen. Für die neurophar- makologische Forschung und für die Entwicklung neuartiger thera- peutischer Wirkstoffe sind diese spezialisierten Moleküle von gro- ßem Interesse. So sind Toxine aus dem Gift der Kegelschnecke zum Vorbild für eine neue Generation von Medikamenten geworden, auf die vor allem in der Schmerzthera- pie große Hoffnungen gesetzt wer- den. Sie sollen effektiver und mit einer deutlich verringerten Gefahr der körperlichen Abhängigkeit wir- ken, so die hoch gesteckten Erwar- tungen der Wissenschaftler, die weltweit an ihrer Erforschung ar- beiten; ein Wirkstoff dieser Sub- stanzklasse steht in den USA kurz vor der Markteinführung. Langsam, aber tödlich Conus magus, Conus geographus, Co- nus textile – dies sind nur einige der mehr als 500 verschiedenen Kegelschnecken, die in den Koral- lenriffen tropischer Meere zu Hause sind. Sie sind zwar langsam, kön- nen aber trotzdem schnelle und wendige Fische erbeuten. Zum Beutefang setzen alle Kegelschne- cken einen prinzipiell gleich aufge- bauten Giftapparat ein . Dieser besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: der Giftblase, der Giftdrüse und dem Radulasack. Die Giftblase, das größte Organ des Giftapparats, dient nicht der Giftspeicherung, sondern scheint eher als Pumpe zu funktionieren, die das Gift aus der Drüse herauspresst. Die Giftdrüse stellt sich als Schlauch unterschied- licher Länge (wenige Zentimeter bis zu einem halben Meter) dar, der 2 1 sich zum Pharynx (Schlund) hin öffnet. Dort mündet auch der Ra- dulasack (Zahnbildungstasche), ei- ne sackförmige Ausstülpung, in der sich die umgewandelten Radula- zähne befinden. Letzteres sind eingerollte Chitinblättchen, die zu einem hohlen, mit Widerhaken versehenen Pfeil ausgebildet sind, dessen Länge von einigen Millime- tern bis zu einem Zentimeter reicht. Wenn benötigt, wird ein Pfeil aus dem Radulasack in den Pharynx befördert und dort mit Gift gefüllt. Schwimmt ein Fisch vorbei, wird durch Kontraktion der Schlund- muskulatur ein solcher mit Gift ge- füllter Pfeil abgeschossen, der den Fisch binnen Sekunden lähmt. Nun hat die Schnecke Zeit, ihr Opfer langsam in den großen Schlund zu ziehen und im Inneren zu verdau- en. Die Überwältigung des im Ver- gleich zur Schnecke großen und 3 sehr agilen Fisches setzt ein äußerst aktives Gift voraus, das in Sekun- den wirkt und durch eine rasche Lähmung die Flucht des Fisches verhindert. Toxine der Kegel- schnecken: Kleine, hoch wirksame Peptide Die Gifte der Kegelschnecken ent- halten relativ kleine basische Pepti- de, die auch als Conotoxine bezeich- net werden. Sie stellen in der Regel eine Kette aus 13 bis 30 Aminosäu- ren dar , die durch Disulfidbrü- cken intramolekular stabilisiert sind. Ein charakteristisches strukturelles Merkmal dieser Toxine ist ihr kon- serviertes Cystein-Muster. Basierend auf diesem Cystein-Muster und der Signalsequenz lassen sich Conotoxi- ne in verschiedene Superfamilien einteilen. Mitglieder einer Toxin-Fa- milie besitzen zwar ein charakteristi- 4 Forschung aktuell 51 Forschung Frankfurt 2/2005 Die Gifte der Kegelschnecken Leitsubstanzen für neue Medikamente Die Kegel- schnecke (Conus textile) auf der Lauer. Kegel- schnecken leben in subtropischen und tropischen Gewässern. Dort findet man sie im seichten wie im tiefen Wasser auf sandigem Unter- grund, meist in der Nähe von Ko- rallenriffen. Ihre hochaktiven Gifte bilden die Grund- lage zur Entwick- lung neuer Arznei- mittel. 1 Schematische Darstellung des Giftapparats einer Kegelschnecke Giftblase Giftdrüse Radulasack Pharynx Proboscis a) b) Das Gift wird im schlauchförmigen Giftkanal gebildet (a). Die im Radulasack befindlichen, pfeilförmigen Radulazähnchen werden in den Pharynx (Schlund) transportiert, hier mit Gift gefüllt und mit hohem Druck aus dem Proboscis (Schlun- drohr) in das Beutetier geschossen (b). Jeder Zahn ist ein eingerolltes Chitinblätt- chen und stellt einen mit Widerhaken versehenen hohlen Pfeil dar. 2

Die Gifte der Kegelschnecken · sondern es sind die unterschied-lichsten bioaktiven Substanzen, die sie zur Verteidigung, zum Schutz vor dem Überwachsen durch ande …

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Page 1: Die Gifte der Kegelschnecken · sondern es sind die unterschied-lichsten bioaktiven Substanzen, die sie zur Verteidigung, zum Schutz vor dem Überwachsen durch ande …

Die Ozeane – so scheint es – ber-gen eine schier unerschöpf-

liche Quelle an pharmakologischaktiven Wirkstoffen. Der Grund:Unter dem Meeresspiegel spielt sichein erbarmungsloser Überlebens-kampf ab. Doch ist es nicht dieschnelle Flucht, der dicke Panzeroder die perfekte Tarnung, mit dersich Pflanzen und Tiere schützen,sondern es sind die unterschied-lichsten bioaktiven Substanzen, diesie zur Verteidigung, zum Schutzvor dem Überwachsen durch ande-re Organismen und gegen Infektio-nen einsetzen. Für die neurophar-makologische Forschung und fürdie Entwicklung neuartiger thera-peutischer Wirkstoffe sind diesespezialisierten Moleküle von gro-ßem Interesse. So sind Toxine ausdem Gift der Kegelschnecke zumVorbild für eine neue Generationvon Medikamenten geworden, aufdie vor allem in der Schmerzthera-pie große Hoffnungen gesetzt wer-den. Sie sollen effektiver und miteiner deutlich verringerten Gefahrder körperlichen Abhängigkeit wir-ken, so die hoch gesteckten Erwar-tungen der Wissenschaftler, dieweltweit an ihrer Erforschung ar-beiten; ein Wirkstoff dieser Sub-stanzklasse steht in den USA kurzvor der Markteinführung.

Langsam, aber tödlich

Conus magus, Conus geographus, Co-nus textile – dies sind nur einigeder mehr als 500 verschiedenenKegelschnecken, die in den Koral-lenriffen tropischer Meere zu Hausesind. Sie sind zwar langsam, kön-nen aber trotzdem schnelle undwendige Fische erbeuten. ZumBeutefang setzen alle Kegelschne-cken einen prinzipiell gleich aufge-bauten Giftapparat ein . Dieserbesteht im Wesentlichen aus dreiTeilen: der Giftblase, der Giftdrüseund dem Radulasack. Die Giftblase,das größte Organ des Giftapparats,dient nicht der Giftspeicherung,sondern scheint eher als Pumpe zufunktionieren, die das Gift aus derDrüse herauspresst. Die Giftdrüsestellt sich als Schlauch unterschied-licher Länge (wenige Zentimeter biszu einem halben Meter) dar, der

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sich zum Pharynx (Schlund) hinöffnet. Dort mündet auch der Ra-dulasack (Zahnbildungstasche), ei-ne sackförmige Ausstülpung, in dersich die umgewandelten Radula-zähne befinden. Letzteres sindeingerollte Chitinblättchen, die zueinem hohlen, mit Widerhakenversehenen Pfeil ausgebildet sind,dessen Länge von einigen Millime-tern bis zu einem Zentimeter reicht.Wenn benötigt, wird ein Pfeil ausdem Radulasack in den Pharynxbefördert und dort mit Gift gefüllt.Schwimmt ein Fisch vorbei, wirddurch Kontraktion der Schlund-muskulatur ein solcher mit Gift ge-füllter Pfeil abgeschossen, der denFisch binnen Sekunden lähmt. Nunhat die Schnecke Zeit, ihr Opferlangsam in den großen Schlund zuziehen und im Inneren zu verdau-en. Die Überwältigung des im Ver-gleich zur Schnecke großen und

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sehr agilen Fisches setzt ein äußerstaktives Gift voraus, das in Sekun-den wirkt und durch eine rascheLähmung die Flucht des Fischesverhindert.

Toxine der Kegel-schnecken: Kleine, hoch wirksame Peptide

Die Gifte der Kegelschnecken ent-halten relativ kleine basische Pepti-de, die auch als Conotoxine bezeich-net werden. Sie stellen in der Regeleine Kette aus 13 bis 30 Aminosäu-ren dar , die durch Disulfidbrü-cken intramolekular stabilisiert sind.Ein charakteristisches strukturellesMerkmal dieser Toxine ist ihr kon-serviertes Cystein-Muster. Basierendauf diesem Cystein-Muster und derSignalsequenz lassen sich Conotoxi-ne in verschiedene Superfamilieneinteilen. Mitglieder einer Toxin-Fa-milie besitzen zwar ein charakteristi-

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Die Gifte der Kegelschnecken Leitsubstanzen für neue Medikamente

Die Kegel-schnecke (Conustextile) auf derLauer. Kegel-schnecken lebenin subtropischenund tropischenGewässern. Dortfindet man sie imseichten wie imtiefen Wasser aufsandigem Unter-grund, meist inder Nähe von Ko-rallenriffen. Ihrehochaktiven Giftebilden die Grund-lage zur Entwick-lung neuer Arznei-mittel.

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Schematische Darstellung des Giftapparats einer Kegelschnecke

GiftblaseGiftdrüse

Radulasack

Pharynx

Proboscis

a) b)

Das Gift wird im schlauchförmigen Giftkanal gebildet (a). Die im Radulasackbefindlichen, pfeilförmigen Radulazähnchen werden in den Pharynx (Schlund)transportiert, hier mit Gift gefüllt und mit hohem Druck aus dem Proboscis (Schlun-drohr) in das Beutetier geschossen (b). Jeder Zahn ist ein eingerolltes Chitinblätt-chen und stellt einen mit Widerhaken versehenen hohlen Pfeil dar.

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Page 2: Die Gifte der Kegelschnecken · sondern es sind die unterschied-lichsten bioaktiven Substanzen, die sie zur Verteidigung, zum Schutz vor dem Überwachsen durch ande …

sches Cystein-Muster sowie einehoch konservierte Signalsequenz,unterscheiden sich aber oftmals inihrer biologischen Aktivität bezie-hungsweise Spezifität. Dank ihrergeringen Molekülgröße werden dieToxine im Körper des Beutetiersrasch an ihre Zielorte transportiert:Rezeptoren und Ionenkanäle.

Im Nervensystem lösen so ge-nannte �-Conotoxine und �-Cono-toxine durch eine Aktivierung vonNatriumkanälen und die Blockie-

rung von Kaliumkanälen ver-stärkt Aktionspotenziale (siehe Reiz-weiterleitung im Nervensystem»Jederzeit leicht erregbar«, Seite53) in den Motorneuronen (Ner-venzellen zur Kontrolle der Musku-latur) aus. Die Wirkung gleicht ei-nem elektrischen Schock: DasBeutetier erstarrt in einem Muskel-krampf, es wird bewegungsunfähig.Eine weitere Wirkung dieser Toxineist die Unterbrechung der Signal-übertragung an der Synapse:�-Conotoxine, Antagonisten vonKalziumkanälen, verhindern dieAusschüttung des Nervenzellboten-stoffs Acetylcholin; �-Conotoxinebesetzen, ähnlich dem Pfeilgift Cu-rare, die Acetylcholinrezeptoren aufder postsynaptischen Membran undverhindern die Fortleitung der Erre-gung auf den Muskel. �-Conotoxineblockieren die Natriumkanäle derMuskelmembran, wodurch die Ent-stehung eines Aktionspotenzialsverhindert, also keine »Aktion« aus-gelöst wird. Darüber hinaus wirddie Wirkung dieser Peptid-Haupt-gruppen durch ein Vasopressin-Ho-molog, das Conopressin-G, unter-stützt. Durch seine gefäßverengendeWirkung gelangen die Toxine schnel-ler an ihren Wirkungsort.

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Darüber hinaus findet sich nocheine Vielzahl weiterer hoch spezifi-scher Peptide in den Giften der Ke-gelschnecken. So hat jede Kegel-schneckenart im Verlauf der Evolu-tion ihren eigenen Giftcocktail ausbis zu 200 Substanzen entwickelt,was zu einer enormen Vielfalt vonmehreren zehntausend spezifischenPeptiden führt. Man kann somit da-von ausgehen, dass für jede Art von»Topf« (Ionenkanal) ein passender»Giftdeckel« (Conotoxin) existiert.Dies ist für Wissenschaftler ein fas-zinierendes Phänomen und einegroße Herausforderung, zumal bis-her weniger als 10 Prozent dieser

Peptide charakterisiert sind. So stel-len die Gifte der Kegelschnecken ei-ne außerordentlich interessanteQuelle für die Isolierung pharmako-logisch aktiver Peptide dar.

Toxine als Werkzeuge für die Forschung

Ein wesentliches Merkmal der Co-notoxine ist ihre hohe Affinität undaußergewöhnliche Spezifität für be-stimmte Rezeptoren und Ionenka-näle. So blockieren �-Conotoxinejeweils nur einen Typ von präsy-naptischen Kalziumkanälen, bei-spielsweise solche, die im Herz oderan der Muskulatur zu finden sind.Diese Kombination von hoherWirksamkeit und Spezifität, ihre

verblüffende Zielgenauigkeit machtdiese Peptide zu wichtigen Werk-zeugen für die neuropharmakologi-sche Forschung. Von besonderemInteresse ist hierbei die Rolle vonIonenkanälen bei der Zell-Zell-Kommunikation. Fortschritte aufdiesem Gebiet konnten vor allemdurch die Entwicklung von hochaf-finen Inhibitoren aus dem Gift vonSkorpionen, Schlangen und Kegel-schnecken erzielt werden. Mit Hilfedieser Peptid-Toxine gelang es, Io-nenkanäle aus nativem Gewebe zuisolieren, um ihre Struktur undFunktion analysieren zu können.So gelang es zum Beispiel, dieStruktur der Porenregion von Kali-umkanälen mit Hilfe von Toxinenaus dem Gift von Skorpionen auf-zuklären. Mit Hilfe geeigneter bio-chemischer Methoden lassen sichdie Kegelschnecken-Gifte in ihreBestandteile auftrennen, einzelnePeptide gezielt isolieren. Am Zen-trum der Rechtsmedizin des Uni-versitätsklinikums untersucht unse-re Arbeitsgruppe, welche Peptidemit welchem Zielmolekül interagie-ren. Obwohl Kaliumkanäle einesehr heterogene Gruppe von Ionen-kanälen darstellen, gibt es in denGiften von Kegelschnecken nur we-nige bisher charakterisierte Toxine,die mit diesen Ionenkanälen intera-gieren. So gelang unserer Arbeits-gruppe die Isolierung und Charak-terisierung einer neuen Familie anConotoxinen, die an spannungsab-hängige Kaliumkanäle von Wirbel-tieren bindet. Bei der elektrischenErregbarkeit von Zellen spielen die-se Kanäle eine sehr wichtige Rolle,da sie für die Länge und Frequenzvon Aktionspotenzialen mit verant-wortlich sind. Ebenso konnten wirein Peptid isolieren, das in erstenVersuchen eine vielversprechendeWirkung am Acetylcholinrezeptorzeigt. Die Charakterisierung dieserneuen Peptide schafft somit Werk-zeuge zur physiologischen Untersu-chung der jeweiligen Ionenkanäleund damit Grundlagen für denmöglichen klinischen Einsatz vonConotoxinen.

Conotoxine als Vorbilder für Medikamente

Ein Arzneimittel ist durch seinenhohen therapeutischen Effekt beimöglichst geringen Nebenwirkun-gen charakterisiert. Einige Cono-toxine erfüllen diese Anforderun-gen – vor allem im Bereich der

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52 F o r s c h u n g F r a n k f u r t 2 / 2 0 0 5

300 µm

Ser

Tyr

Tyr25

Arg

Lys

ThrCysAsn

Tyr

Hyp

AsnThr

Hyp

Cys

Cys

Lys

Ser

Hyp

Gly

SerCys Ser

Cys

Ser

Arg

CONH2

NH2

15

20

105

Ser

Cys

Charakteristische Struktur eines Conotoxins

Kaliumkanal in Zellmembran

Toxin

Pore

Rasterelektro-nenmikroskopi-sche Aufnahmeeines pfeilartigenRadulazahns derKegelschneckeConus textile.

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Eine Kette von27 Aminosäurenist intramolekulardurch drei Disul-fidbrücken ver-knüpft und bildetein sehr stabilesω-Conotoxin.

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Der Kalium-kanal besteht ausinsgesamt vierUntereinheiten,von denen nurzwei schematischdargestellt sind.

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Schmerztherapie. Acht Substanzenaus der Klasse der Conotoxine be-finden sich weltweit in unterschied-lichen Phasen der klinischen Erpro-bung. So hat das MedikamentPRIALT™ der Firma Elan Pharma-ceuticals, Inc. (USA), ein syntheti-sches Äquivalent zu dem �-conoto-xin MVIIA von Conus magus, bereitsalle klinischen Testphasen erfolg-reich durchlaufen. Die Marktein-führung in den USA erfolgte An-fang 2005, für den europäischenMarkt ist ebenfalls eine Zulassungbeantragt. Ähnlich wie Morphinunterbricht PRIALT™ die Schmer-zweiterleitung zum Gehirn. Beidem »Target« (Zielmolekül) diesesMedikaments handelt es sich umpräsynaptische Kalziumkanäle ansensorischen Nervenenden, den so

genannten Nozizeptoren (Schmerz-rezeptoren). Die Öffnung dieserKalziumkanäle löst die Freisetzungvon Neurotransmittern aus. Durchdie Blockade dieser Kanäle mit Hilfevon PRIALT™ erfolgt somit eineUnterbrechung der Signalweiterlei-tung, so dass das Schmerzsignalnicht mehr zum Gehirn gelangt.Völlig ohne Nebenwirkungen ist je-doch auch dieses neue Schmerzmit-tel nicht. Im Gegensatz zu Morphinist das Ausmaß der Nebenwirkun-gen allerdings relativ gering. Einweiterer Vorteil gegenüber Morphinliegt darin, dass der Wirkstoff, ers-ten Erkenntnissen zufolge, nichtsüchtig macht. Medikamente mitder hohen Wirksamkeit und Spezi-fität der Conotoxine könnten somitdie Therapie von Schmerz, aber

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Die Autorin:

Dr. Silke Kauferstein, 35, promovierte ander Technischen Universität Darmstadtim Fachbereich »Molekulare Zellbiologie«.Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterinam Zentrum der Rechtsmedizin der Uni-versität Frankfurt, arbeitet an DNA-Analy-sen von forensischen Spuren und forschtan Ionenkanälen und Neurotoxinen.

auch, wie neueste Studien zeigen,von Epilepsie oder Herzrhythmus-störungen erheblich verbessern.

Auch wenn Conotoxine selbstnicht als Arzneimittel dienen, sostellen sie wertvolle Leitsubstanzendar, an denen sich die Entwicklungsynthetischer Wirkstoffe orientierenkann. Die Gifte der Kegelschneckensind somit auch zukünftig noch fürmanche Überraschung gut. ◆

Ca2+

Na+

Dendriten

a)

Mem

bran

pote

nzia

l (m

V)

+20

0

– 20

– 40

– 60

– 80

Zeit (ms)1 2 3 4

Na+ K+

Na+

b) Aktionspotenzial c) Synapse

b) Aktions-potenzial

c) Synapse

Zellkörpermit Zellkern

Axon mitMyelinscheide

RanvierscheSchnürringe

Eine Nervenzellebesteht aus demZellkörper und sei-nen Nervenzellfort-sätzen, von deneneiner verlängert istund als Axon be-zeichnet wird (a).Die Erregungswei-terleitung im Ner-vensystem erfolgtin Form von so ge-nannten Aktions-potenzialen (b, ro-te Linie). Diesewerden immer dannausgelöst, wenndas Membranpo-tenzial vom Ruhe-wert (– 70 mV) auf– 50 mV (Schwel-lenspannung,blaue Linie) ange-hoben wird. Er-reicht das Aktions-potenzial diepräsynaptischeMembran der Ner-venendigung, öff-nen sich dort Kal-ziumkanäle waszur Freisetzung vonBotenstoffen (Neu-rotransmittern)führt (c). Dadurchwird die bisherelektrische Erre-gung nun che-misch von der Ner-venendigung(Präsynapse) aufden Muskel odereine andere Ner-venzelle (Postsy-napse) übertragen.

lium-Ionen bringen das Membranpotenzial schnellwieder auf den Ruhewert zurück. Erreicht das Aktions-potenzial die präsynaptische Membran der Nervenen-digung, öffnen sich dort Kalziumkanäle. Der Einstromvon Kalzium führt zur Freisetzung von Acetylcholin,einem so genannten Neurotransmitter, der die bisherelektrische Erregung nun chemisch von der Nervenen-digung (Präsynapse) auf den Muskel oder eine andereNervenzelle (Postsynapse) überträgt, indem die Bin-dung von Acetylcholin an der postsynaptischen Mem-bran der Zielzelle zur Öffnung weiterer Ionenkanäleführt. Dadurch wird die Erregungsweiterleitung in dienachfolgenden Zellen gewährleistet.

An dieser Stelle wirken Neurotoxine, zu denen auchdie Conotoxine zählen. So lösen bestimmte Conotoxi-ne verstärkt Aktionspotenziale aus, indem sie die Na-triumkanäle offen halten und damit den depolarisie-renden Strom in die Zelle erhöhen; eine Übererregungder Muskelmembran ist die Folge, die sich in einerkrampfartigen Kontraktion des Muskels äußert. Ande-re Toxine wiederum unterbrechen die Erregungsüber-tragung, indem sie zum Beispiel Kalziumkanäle blo-ckieren. Dadurch ist die Freisetzung von Acetylcholinund damit die Signalweiterleitung auf den Muskel un-terbrochen; Muskellähmungen sind die lebensbedrohli-che Folge.

Die Erregungswei-terleitung im Ner-vensystem erfolgtin Form von so ge-nannten Aktions-potenzialen, die anden RanvierschenSchnürringen – dennicht-isolierten Ab-schnitten der Axone

(Nervenzellfortsätze) – durch die Aktivierung von be-stimmten Ionenkanälen entstehen. Beim Eintreffeneines elektrischen Signals vom vorhergehendenSchnürring findet eine kurzfristige Spannungsumpo-lung (Depolarisierung) durch eine Veränderung derIonenkonzentration an der Innen- und Außenseiteder Axonmembran statt. Die Auslösung eines solchenAktionspotenzials (rote Linie) erfolgt nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, das heißt, durch eine Depolari-sierung wird das Membranpotenzial vom Ruhewert(–70mV) auf –50mV (Schwellenspannung, blaue Li-nie) angehoben. Beim Überschreiten der Schwellen-spannung öffnen sich für kurze Zeit Natriumkanäle,wodurch Natriumionen in die Zelle einströmen, diezu ihrer Depolarisation führen. Zum Ausgleich öffnensich daraufhin Kaliumkanäle; die ausströmenden Ka-

Reizweiterleitung im Nervensystem: »Jederzeit leicht erregbar«