8
Die Gitarre Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin Schwarz - Reiflingen: Die Grundlagen des modernen Gitarren- u. Lauten- unterrichts (Schluß)-/ Joſef Zuth: Der lezte Enzensperger. / Bericht über den Gitarren- und Lautenbau. / Pierteljahrsberichte neuer Gitarren» und Lautenmufif. Nr.5. / Muſikpädagogiſcher Verband. / Beſprechungen uſw. Inhalt der Notenbeilage: Techniſche Studien und Tonleitern von Erwin Schwarz- Reiflingen: 1. Klopfübungen. 2. Gleit- und Lagenübungen. -- Tonleitern. An unſere Leſer. | Infolge des Buchdrucerſtreiks erſcheint das vorliegende Heft in ver- mehrtem Umfang als Doppelnummer. Heft 11 wird am 15. Auguſt verſandt. Die ungeheure Teuerung, die den Papierpreis auf das jet Hundertfache des Stiedenspreijes hochſchnellen ließ, und der lette Streif verteuerten den Herſtellungspreis gegen den Vormonat um 40 Prozent. Wenn von einer erneuten Bezugspreiserhöhung Abſtand genommen wird, ſo geſchieht dies in der Erwartung, daß alle noch nicht eingezahlten Beiträge, deren Höhe aus bei- liegendem Poſtſc<e> erſichtlich iſt, nunmehr eingeſandt werden, im anderen Falle angenommen wird, daß Sendung des nächſten Heftes durH Nachnahme erwünſcht iſt. Zur Durchführung eines geregelten Betriebes und regel- mäßiger Lieferung der Hefte ift pünftlihe Zahlung der Beiträge unbedingt not- wendig. 4 Verlag „Die Gitarre“.. Zum dritten Muſikfeſt. Wenn an dieſer Stelle heute zum drittenmal der Ruf zur Be= teiligung am dritten Muſikfeſt der deutſhen Gitarren= und Lautenſpieler vom 5. bis 9. Oktober 1922 in Berlin erfolgt, ſo kann dies wohl auc< ohne ausführliche Begründung geſchehen. Den Nachweis ihrer Be= rechtigung haben die feſt im gitarrifch-lauteniftiihen Getriebe ver- wurzelten, bald hiſtoriſ<. gewordenen Muſikfeſte längſt erbra<t. Auch beute gelten für unſere no< längſt nicht zum Abſchluß ihrer Entwicklung gefommene Bewegung und deren getreuem Spiegelbild, dem Muſikfeſt, die Worte des erſten Aufrufes („Die Gitarre“, Ihrg. 1, Seite 181: „In dieſer ſelbſt dem Liebhaber kaum überſichtlihen Flucht der Erſcheinungen gilt es einen ruhenden Pol zu ſchaffen, eine Veranſtaltung, die weit über den Rahmen eines Vereinskongreſſes oder ſchnell vergeſſenen Kon- zertes hinaus den bewährten und den auſſtrebenden Künſtlern Gelegen= beit geben ſoll, ihre Werke einem größeren, ſachverſtändigen Publikum vorzuſtellen. Es gilt der Muſikerwelt und -kritik, dem Staat und den Behörden zu zeigen, daß bier ein altes, ja das älteſte Muſikinſtrument und der älteſte Zweig des Muſiklebens um die Anerkennung und die Stellung ringen, die ſie jahrhundertelang inne hatten.“

Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

Die Gitarre Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10

Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin Schwarz - Reiflingen: Die Grundlagen des modernen Gitarren- u. Lauten- unterrichts (Schluß)-/ Joſef Zuth: Der lezte Enzensperger. / Bericht über den Gitarren- und Lautenbau. / Pierteljahrsberichte neuer Gitarren» und Lautenmufif. Nr.5. / Muſikpädagogiſcher Verband. / Beſprechungen uſw.

Inhalt der Notenbeilage: Techniſche Studien und Tonleitern von Erwin Schwarz- Reiflingen: 1. Klopfübungen. 2. Gleit- und Lagenübungen. -- Tonleitern.

An unſere Leſer. | Infolge des Buchdrucerſtreiks erſcheint das vorliegende Heft in ver-

mehrtem Umfang als Doppelnummer. Heft 11 wird am 15. Auguſt verſandt. ’ Die ungeheure Teuerung, die den Papierpreis auf das jet Hundertfache des Stiedenspreijes hochſchnellen ließ, und der lette Streif verteuerten den Herſtellungspreis gegen den Vormonat um 40 Prozent. Wenn von einer erneuten Bezugspreiserhöhung Abſtand genommen wird, ſo geſchieht dies in der Erwartung, daß alle noch nicht eingezahlten Beiträge, deren Höhe aus bei- liegendem Poſtſc<e> erſichtlich iſt, nunmehr eingeſandt werden, im anderen Falle angenommen wird, daß Sendung des nächſten Heftes durH Nachnahme erwünſcht iſt. Zur Durchführung eines geregelten Betriebes und regel- mäßiger Lieferung der Hefte ift pünftlihe Zahlung der Beiträge unbedingt not- wendig. 4 Verlag „Die Gitarre“..

Zum dritten Muſikfeſt. Wenn an dieſer Stelle heute zum drittenmal der Ruf zur Be=

teiligung am dritten Muſikfeſt der deutſhen Gitarren= und Lautenſpieler vom 5. bis 9. Oktober 1922 in Berlin erfolgt, ſo kann dies wohl auc< ohne ausführliche Begründung geſchehen. Den Nachweis ihrer Be= rechtigung haben die feſt im gitarrifch-lauteniftiihen Getriebe ver- wurzelten, bald hiſtoriſ<. gewordenen Muſikfeſte längſt erbra<t. Auch beute gelten für unſere no< längſt nicht zum Abſchluß ihrer Entwicklung gefommene Bewegung und deren getreuem Spiegelbild, dem Muſikfeſt, die Worte des erſten Aufrufes („Die Gitarre“, Ihrg. 1, Seite 181: „In dieſer ſelbſt dem Liebhaber kaum überſichtlihen Flucht der Erſcheinungen gilt es einen ruhenden Pol zu ſchaffen, eine Veranſtaltung, die weit über den Rahmen eines Vereinskongreſſes oder ſchnell vergeſſenen Kon- zertes hinaus den bewährten und den auſſtrebenden Künſtlern Gelegen= beit geben ſoll, ihre Werke einem größeren, ſachverſtändigen Publikum vorzuſtellen. Es gilt der Muſikerwelt und -kritik, dem Staat und den Behörden zu zeigen, daß bier ein altes, ja das älteſte Muſikinſtrument und der älteſte Zweig des Muſiklebens um die Anerkennung und die Stellung ringen, die ſie jahrhundertelang inne hatten.“

Page 2: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

Die äußere Entwieklung der Muſikfeſte iſt ſchnell ſkizziert: aus drei geplanten Konzerten bei der erſten Veranſtaltung wurden fünf, beim zweiten ſogar ſieben, eine Fülle von Anregungen, Eindrüden und Namen, die fih in der kurzen Zeit nicht bewältigen ließ und die eine Einſchränkung des Feſtes auf fünf Konzerte und zwei Vorträge an fünf Tagen zur Folge hatte.

Gewiß, Laute und Gitarre ſind „populär“, wenn man dieſes Wort überhaupt für die Beurteilung einer Kunſtübung gelten laſſen will. Die ins Rieſenhaſte gewachſene Bewegung, deren Größe und Entwicklung draſtiſ<en Ausdru> in der Zahl der fac<hmuſikaliſchen Neuerſcheinungen und angefertigten Inſtrumente findet (man vergleiche die diesbezüglichen Berichte auf Seite 82 und 91 diejes Heftes), bat doch eine im Ver=- hältnis kleine Zahl von Liebhabern auf den Plan gerufen, deren Mufit- übung und Anſprüche das Bild der gitarriftiihen und lauteniftiihen Kultur ausmaben. Daß es bei den heutigen wirtſchaftlichen Verhält- niſſen ganz unmöglich iſt, wirkliche künſtleriſc<e, von keinerlei Rüdſicht auf ein breites Publikum dikterte Konzerte 3. B. in kleinen und mittleren Städten zu veranſtalten, iſt bekannt. So beſchränkt ſich für die meiſten Spieler die gitarriſtiſ<e Anregung des Jahres auf recht belangloſe. Lautenabende. Die Bedeutung der Muſikfeſte für die gitarriſtiſc<e Ent= widlung wird dadurc< noh unterſtrichen, beſonders, da leider der An- regung, ähnlihe lokale Veranſtaltungen einzurichten, noF& nirgends Solge gegeben wurde.

Das dritte Muſikfeſt findet vom 5. bis 9. Oktober 1922 in Berlin ſtatt. Mitwirkende an fünf Konzerten ſind Heinrich Albert, die italieniſ<e Soliſtin Maria Rita Brondi, Erwin Schwarz-Neiflingen, Carl Blume, Alfred Vorpahl, Niels Sörnſen, Prof. Emil Prill (Flöte), Prof. Robert Zeiler (Violine), Erih S<hüße, Gerhard Lüde u. a. m. Alle Spielmöglichkeiten der Gitarre und Laute (ein= und doppelhörig) werden erſchöpft (Lautenlied — Gitarren- und Lautenſoli — zwei Gitarren --- Gitarre und Violine — Gitarre und Flöte — Gitarre und Opinett — Flöte, Bratiche, Gitarre — zwei Terz und zwei Prim- gitarren -- zwei Violinen, Bratſche, Cello, Gitarre). Heinrich Albert ſpri<t über Gitarrenſoloſpiel und Gitarrente<hnikf mit praktiſchen Bei- ſpielen. Die umfangreichſte europäiſ<e Sammlung für Muſikinſtrumente wird den Sejtbejuchern durch beſondere Führung nach einleitendem Vor= trag von Prof. Kurt Sachs, der bedeutendſten Fachautorität, zu- gängli< gemacht. Während der Dauer des Feſtes findet die III. Fad- ausſtellung für Lauten und Gitarren ſtatt. (Näheres ſiehe Inſerat.)

Die Bundklammer. Dr. Friedrich Laible.

Für das itaälieniſ(<7e Wort Capotaſto, das man immer ſeltener FIONA gejchrieben findet, ſei zuvor der Ausdru> Bundklammer vorgeſchlagen. Nun, dies kleine Ding erfreut fih bei. allen gitarriftiihen Kritikern wachſender Unbeliebtheit. Daß es unkünſtleriſch iſt, ſim ſeiner zu be= dienen, darüber herrſc<t eine ſeltene und an ſich erfreuliche Einigkeit. En leider muß auch dieſem apodiktiſ<en Urteil einmal widerſprochen werden.

Page 3: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

Bee

Soliftiih ſehen wir heute die Bundklammer niemals verwendet. Das iſt ganz ſelbſtverſtändlih, da ja niemals der geringſte Grund vorliegt, einen Inſtrumentalſaß zu transponieren. Und zur momentanen Anwendung — etwa bei ſchwierigen Stellen -- kommt dies Hilfs= mittel nicht in Betradbt. (Und doch hat einer der größten Soliſten, Eduard Bayer, nicht nur die Bundflammer verwendet, er hat ſie ſogar zu einem ganzen maſchinellen Syſtem ausgebaut, mit deſſen Hilfe er ſie auch momentan nußzbar machte! Daß ſein Verfahren heute niht mehr ganz nach unſerm Geſchmatce iſt, ſei indeſſen zugegeben.) -- Für uns hat die Bundklammer nur noh in der Kammermuſik ihren Platz, wenn es fih darum handelt, eine Primgitarre in eine Terzgitarre umzuwandeln. Freilich auch in dieſem Falle ſahen wir ſchon gerümpfte Raſen. Die Träger dieſer Naſen aber wollen bedenken, daß hier nun wahrlich die „Künftleribaft” in ihrem Sinne eine Frage von 1*/, bis 2000 M. iſt.

Im Begleitſpiel liegt die Sache anders. Sven Scholander hat bei feinen vielen Hunderten von Volks=, Geſellſ<afts= und Kunſtliedern unſeres Wiſſens nur ein einziges Mal die Bundklammer gebraucht, nämlich bei dem Lied „Plaiſir d'amour“. Kothe hat ſie nie verwendet, kein Wunder übrigens, da er ja um alle nur einigermaßen anſpruchsvolle Lieder einen großen Bogen macht. Albert empfiehlt in ſeinen Lieder= beften die Bundklammer für hohe Stimmen, ob allerdings nur fürs Haus oder auch für das Podium, müſſen wir dahingeſtellt ſein laſſen. Bei Scerrer ſahen wir ſogar auf der doppelchörigen Laute die Bund- klammer, für das Auge gewiß nicht übermäßig reizvoll, für das Ohr aber entzüdend. Gerade Scherrer hätte vielleiht am wenigiten das Recht dazu, da- er nur eigene Säße ſpielt, und da es ihm ſicher ein leichtes geweſen wäre, das Lied höher zu jeßen. Und doch griff er zur Bundklammer, ſicherlih aus wohlerwogenen Gründen. Oder hätte er des einen Liedes wegen eine Terzlaute mitnehmen ſollen?

Wenn gegen den Mißbrauc< der Bundklammern gepredigt wird, ſo geſchieht das mit vollem Recht. Aber es will uns ſcheinen, daß ein wirklicher Künſtler nicht dadur< ſchlechter wird, daß er die Bundkiammer auſſetzt; es fragt ſich eben nur, wann er es tut und warum. Denn es gibt ſiHerlich Fälle, wo ſie gar nicht zu umgehen iſt. Uns iſt ſelber in 17 Jahren allerdings nur ein einziges Lied vorgekommen, das die Klammer nötig macht, aber dies Lied ſei als Beiſpiel erwähnt. Es iſt das Eingangslied aus Schuberts Winterreiſe „Gute Nacht“. Das Lied wird vom Bariton gewöhnlich in C-Moll geſungen. Man verſuche es in C-Moll zu ſpielen: ſhon im dritten Takt ſtößt man auf einen Akkord,

| den jehwerlih jemand greifen wird. Das G in die Oktave zu -5 -legen, iſt aus muſikaliſc<en Gründen nicht angängig. Aber wenn ==es au an dieſer Stelle noM zu verantworten wäre, ſo iſt es doc< —— völlig unmöglich, im 22. Takt (Vorſpiel abgerechnet), wo der Baß 24 mit ſeiner ganzen Schwere die Tragik des Gedankens hält,

während bocgriffige Akkorde Träger der Melodie ſind. Hier heißt es, ſic< dieſen Sc<haß entgehen laſſen -- oder zur Bund- tlammer greifen. Denn in der A-Moll-Applikatur iſt die ganze Frage gelöſt. Das Lied mit Vor= und Nachſpiel leicht ſpielbar. --- In ſolchen, freilich eminent ſeltenen Fällen dürfte die Bundklammer entſchieden zu verteidigen ſein. Denn es iſt im Ernſt kaum von einem Sänger zu ver-

Page 4: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

SE

langen, daß er — vielleicht wegen eines einzigen Liedes — ein bejonderes Inſtrument mit ſim herumſchleppt. Die ganze Sache läuft leßten Endes wiederum auf eine Geldfrage hinaus. Ob einer etwas kann, wird ſic< mit und ohne Bundklammer zeigen. Ja, wir möchten faſt die paradoxe Behauptung wagen, daß die Bundflammer häufiger auftauchen wird, wenn wir erſt wirklihe Sänger und Spieler in größerer Zahl haben, Sänger vor allem, die jih auch einmal an größere Aufgaben wagen. Bei dieſem leichten und harmloſen Geplänkel wird freilich kaum jemand ihrer bedürfen.

Die Grundlagen des modernen Gitarren= und Lautenunterrichts.

(Schluß.) Erwin Schwarz-Reiflingen. |

Die Materie des Anſchlags, d. h. die Technik der rechten Hand,in Worte zu kleiden, iſt ein oft verſuchtes, jedo< nie gelungenes | Unternehmen. Da es ſich hierbei um ein Klangphänomen handelt, hat das Ohr und nicht das Auge zu entſcheiden. Es können daher nur allgemeine zwedmäßige Anſchlagsübungen gegeben werden, die Kräftigung der Finger und zuverläſſiges Reagieren derſelben auf jede Wechſelſ<lagkombination anſtreben. Es handelt ſich hierbei um eine rein muſikaliſ<Ge und Angelegenheit des Klangſinnes, die ein Eingehen auf die Gewohnheiten gewiſſer gitarriſtiſ<er Barbaren, die ihr Injtru- ment mit Zitherringen und ſpitzen Nägeln (der Nagelanſchlag iſt etwas anderes) mißhandeln, überflüſſig ma<ht. Die arme, geduldige Gitarre hat ſich zu allen Zeiten muſikaliſc<e Roheiten wie Stahlſaiten und Zither= ringe gefallen laſſen. '

Die erſten Anſchlagsübungen beginnen beim Tonleiterſpiel durch Wechſelſ<hlag zwiſchen zweitem-erſtem Finger und umgekehrt, ebenſo zweitem=drittem. Daran ſchließen ſic< Studien aller drei Finger, ſpäter mit Einſ<luß des Daumens (vgl. d. Beiſpiele). Der Anſchlag erfolgt etwa rechtwinklig zur Saitenlage (vgl. Dr. Friedrich Laible's ausgezeich= nete, grundlegende Studie „Die Phyſiologie des Anſchlages“ in Nr. 9, Seite 95, Jahrg. II der „Gitarre“), Hand, Finger und Unterarm bilden eine Grade (keine Abwinklung im Handgelenk, die ungeſtörte Muskelfunktion und Blutzufuhr unterbindet). Der Anſchlag erfolgt, und das iſt das Wichtigſte, ſtets mit den Fingern in ihrer ganzen Länge bis zu den Knöcheln. Die dur< Beteiligung des dritten Fingergliedes (von der Fingerjpige gezählt) gewonnenen Anjchlagsenergien ſind außer= ordentlich groß im Vergleich zu dem meiſt geübten „Zupfen“. Beim Einzelanſchlag fallen die Finger annähernd geſtre>t auf die benachbarten Saiten, beim Akkordanſc<lag haben die Finger die Anſc<lagsrichtung nah dem Daumenballen und der Innenfläche der Hand. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Anſchlagsübungen nur ſehr langſam jenen eigentümlichen, edlen, tragenden Gitarreton erzielen. Dieſe koſtbarſte Eigenſchaft für den Gitarriſten mit Gewalt erreihen zu wollen, iſt undenkbar. Es iſt ein Unterſchied, ob der Ton groß, edel und voll iſt oder ſtark, überanſtrengt und „heiſer“.

Page 5: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

Ne

Selbſtverſtändlich hängt ſehr viel von der Wahl des richtigen Inſtrumentes ab, das neben techniſchen Selbſtverſtändlichkeiten wie Spielbarkeit, Bundreinheit, rihtige Maße (die nur ſelten vorhanden ſind), auc< individuell jene mehr gitarriſtiſc<e, kurze Klangfarbe der Stauffergitarre oder wärmere, vollere und ſingende Farbe alter romani= iber Gitarren berüdjichtigen muß. Es ift verdienftvoll, daß der neue Inſtrumentenbau dieſe beiden Typen immer ſchärfer hberausarbeitet.

Zuſammenfaſſend ſei mit kurzen Literaturangaben geſagt, daß der Unterrichtsgang etwa vier Gruppen umfaßt: Gruppe I: Gymnaſtiſch- medhaniſ<e Vorübungen: linke Hand (Klopfübungen; Literatur: Noten- beilage. Nr. 9, Jahrg. 3), re<hte Hand (Klopfübungen, Zuſammen= Ihlagen der Hand zur Sauft, jedoch 1. und 2. Singerglied geſtre>t). = Abziehen, Binden von Notengruppen (Verzierungen). Gruppe II. Tägliche Übungen: 1. Tonleitern (Notenbeilage Nr. 9, Jahrg. 3) mit verſchiedenem Anſchlag. -- 2. Tonleitern in Terzen, Sexten, Oktaven, - Dezimen, gemiſchte Intervallſtudien (Giuliani op. 1 a; einige Etüden von nn op. 31 und 35 ujw.). 3. Affordtechnif (Literatur unter Gruppe ID). 4. Barree.

Gruppe I11. Angewandte Technik in Etüden: einſtimmige Melodien (Sor op. 60. Auswahl in Sor, Vorheft (Berlag Simro>) und Schwarz- Reiflingen, Technik der Gitarrenmuſik, Heft 1, Küffner op 80, Aguado, Studien (Notenbeilage Nr. 8, Jahrg. 3), Carulli op. 114 (Auswahl bei Simrod>), Carcaſſi op. 26, Carcaſſi ap. 60, Sor op. 31 und 35, ſpäter op. 6 und Giuliani-Giuglielmi op. 46, Giuliani op. 83, Giuliani op. 48, Coſte op. 38, Legnani op. 20 u. a. m.).

Gruppe IV. Bortragsjtüde wie Merk, Fingalshöhle, Variations mignonnes; einzelne Etüden aus Carcajli op 60; Werke von Sor, Suiten von Albert u. a. m.

Die angegebene Literatur iſt nur ganz allgemein gegeben, im Scwierigkeitsgrad nur ungefähr fortſchreitend. Die richtige Auswahl kann nur individuell dur einen tüchtigen Lehrer erfolgen. Hat der Schüler täglih eine Stunde zur Verfügung, ſo übe er Gruppe I 10 Minuten, Gruppe II 15—20 Minuten, Gruppe III 20—25 Minuten, Gruppe IV 10 Minuten.

Die pädagogiſche Hauptaufgabe des Unterrichts ſei die Erwerbung der uneingeichränften Herrſchaft des Inſtrumentes auf dem kürzeſten Weg. Nur der Vermittelung dieſer Technik ſei der Unterricht in ernſter

' Arbeit gewidmet. Ein beſonderes Vortragsſtudium wird nur in Aus= nahmefällen notwendig fein, denn es läßt fi kaum denken, daß ein techniſch ausgereifter und mujifalifher Schüler keine eigene Auffaſſung durc< eigene Anſc<auung erhalten haben ſoll. Nur der urteilsloje, undiſziplinierte Spieler wird jih vor Bewältigung der unentbehrlichen techniihen Studien ausnahmslos dem Einüben von Vortragsſtüden widmen, in der Meinung, dieſe dadurch intenſiver zu geſtalten. Wer -- wie es in unſern Kreiſen leider üblihb —, ohne die notwendigen. te<hniſ<en Vorübungen erfüllt zu haben, an den Meiſterwerken edler Gitarren- und Zautentunft herumftümpert, beweift dadurch nicht nur, daß er feine Scheu vor dem Kunſtwerk hat, an dem er ſich verſündigt, ſondern aub, daß es ihm lediglihb auf ein gejhmadlojes, jih in Äußerlid- keiten erſ<öpfendes Virtuoſentum ankommt. Muſik iſt in unſerer, durch

Page 6: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

rg

- Generationen von Muſikern geheiligten Überlieferung bedingungslofe Hingabe an das Kunſtwerk, Virtuoſität daher nur die Selbſtverſtändlich= keit, dieſes zur Ausführung zu bringen — wie ſich ein Sorſches Allegro wohl kaum ohne volle Virtuoſität ſpielen läßt. Das eigentlih Künit- leriſ<e in der Muſik, die geiſtige Verwandtſc<aft mit dem Kunſtwerk, der echte, nachjchöpferifhe Drang zur Geſtaltung ſind unlehrbar und Gaben des Talents. Alles andere iſt lehrbar und Aufgabe des Unter= richts, der alle pädagogiſchen Mittel zum Erreihen des hohen Ziels

ee muß.

Der lebte Enzensperger. - Von Ioſef Zutb.

Die Wanduhr rücte ihre Zeiger gegen die Feierabendſtunde. Viktor Enzensperger ſchnitßzelte in ſeiner Werkſtatt aus einem Holz-

ſtüd das Gewinde einer Geigenſchnede. I<. ſaß in einem dämmrigen Winkel, betrachtete das friedvolle Bild

des arbeitenden Meiſters und rahmte es in die ruhig Ihwebenden Raud- ſc<waden meiner Zigarette.

„Nichts ſchöner als Arbeit, bei der das Herz mittut. Was wird es denn?“

„Eine Kopie für meine Sammlung. Kommen Sie her; ſehen Sie dieſe Schnee; da iſt das Original! Dem Laien wie jede andere Schnede; aber der Schwung, die Linie! Die Züge, möcht ich ſagen; altitalieniſ<er Adel! Siſt wie beim Menſc<enantliß: jedes dem andern ähnlich, keines dem andern gleih. Weil jedes Weſen ſeine Eigenart

: hat; und aus dem Geſicht lugt die Seele . / Das Männlein ſprudelte ſich in helle Begeiſterung; ſtand dann

ihwerfällig auf, neſtelte mühſelig mit den gichtiſ[Men Händen die Brille ab, ging zur Ladentür und ſchob den Innenriegel zu: 3 „Wegen der Sperrſtunde! Sonſt kommt mir die Polizei an den

a Br >

Dann griff er wieder zum Schnigmefjer; wie gejchidt die Hände, die ohne Hilfe nicht einmal den Schurz umlegen und gürten konnten,

- arbeiteten. Dabei plauderte er heiter drauf los: „Die Gicht, die mijerable Gicht! Alle Gelenke verſchwollen; kann

mich allein nicht einmal mehr ausziehen; das bejorgt die Bedienerin, hihi! Wenn ich nur meine Hände weiter brauchen kann: die Arbeit macht mir gar ſo viel Freude. Freilich, mit dem Spielen iſt's „oha“! Nicht einmal für die Klampfen reicht's mehr. Dort hängt Großvaters Gitarre, eine „Enzensperger-Akuſtik“. Seit Jahr und Tag hat ſie Frieden von DIE recht Ihadel Aber mit dem Baſteln geht's nod flott, Gott

ei Dank! Dann nach einer ſinnenden Pauſe: „Einen ſ<önen Tod wünſc<' im mir einmal, wie ihn mein Vater

Bernhard, ſelig, hatte.“ „Wie das zuging?“ „Bei der Sc<hnitßbank in der Werkſtatt ſaß er, wie ich jeßt. Mitten

aus ſeiner Arbeitsfreude hat ihn der Senſenmann geholt: der Schlag hat ihn getroffen; umfallen und tot ſein, war eins. Wer's au jo leicht erſterben könnte!“

Page 7: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

240 O0. 221

„Und Großvater Bernhard?“

„Mein Großvater ſtarb im Verſorgungshaus; hat ein langes Siech- tum machen müſſen. War ſo eine mißliche Familienſache; wie es ſchon ber- geht manchmal. Bin aljo ich übrig, der letzte Enzensperger, tät's wohl gern dem Vater nach, wenn es wird ſein müſſen . . ..“ {

Wen das Scidſal lieb hat, den läßt es bis zur letzten Stunde Ihaffſen; und macht dann ein jähes Ende.

Der erſte Wunſch iſt ihm erfüllt worden, dem letzten Enzensperger: vom Xrbeitstiih bat ihn der Tod weggebolt; aber das Ende ſelber: Ichredlih und grauſam iſt es geweſen.

Einmal wollte ih wieder zu einem Plauderjtündchen in die Werf- ſtatt; ſie war geſchloſſen, die Wohnung verſperrt:

Ob ich denn in der Zeitung das Unglüd nicht geleſen hätte? Bei lebendigem Leib jei der Alte verbrannt; drei Stunden habe er bei vollem Bewußtſein gelitten, berichtete die Bedienerin, die einen Sto> über der Junggeſellenwohnung hauſte.

Er hatte ſein Abendeſſen auf Spiritus gewärmt und war der - Flamme zu nahe gekommen; die hat reihlih Nahrung geſunden: Die Unterkleider waren von Salben und Öleinreibungen des gichtiſchen Körpers fettgetränkt. In ſeiner wahnſinnigen Haſt und ungelenken Hilfloſigkeit iſt es ihm nicht mehr geglückt, die innen verſperrte Tür auf= zuſc<hließen. Wohl hörten Frauen im Haus das Jammern und Hilfe- rufen; doch ſie mutmaßten, Einbrecher ſeien über den Alten und ſeiner wertvollen Inſtrumentenſammlung her; als herzhafte Männer die Tür erbrachen, jehauderten auch die zurüc.

So endete der lebte Enzensperger; mit ihm ging eine originelle Figur aus dem fleinen Kreis jener Wiener Geigen- und Gitarrenmader, die Kunſt und Idealismus in ihrer Arbeitsjreude vereinigten.

Bericht über den Gitarren- und Lautenbau, (bis 1. Zuni 1922.) |

Die ſtändig wachſende Gitarren- und Lautenbewegung und daher große Schar der Käufer hat zu einem ungeheuren Berbrauch von Lauten und Gitarren geführt. So verzeichnet d.v. Statiſtiſchen Reichsamt herausgegebene Bericht über den auswärtigen Handel Deutſchlands in d. Zeit vom 31. Mai 1921 bis 1. April 1922, eine Ausfuhr von 78 198 Gitarren, Lauten, Harfen und Mandolinen (in der Statiftit nicht getrennt aufgeführt), darunter im lebten Dierteljahr allein 31 717. DVergegenwärtigt man ſich, daß dieſe Zahlen nur die Ausfuhr, alſo einen allerdings nicht unbedeutenden Bruchteil der Geſamt- herſtellung darſtellen, ſo kann man die Herſtellung von 150 000--200 000 Gitarren und Lauten im Jahr wohl ohne Übertreibung annehmen. Daß dieſe Maſſenanfertigung natürlich nur ferienweis hergeſtellte Durchſchnitts- inſtrumente von bekannter Minderwertigkeit hervorbringen kann, liegt auf der Hand, Die wenigen Werkſtätten, die wirkliche Qualitätsinſtrumente erzeugen, kommen gegen die Riefenzahl der Handelsware nicht auf. °

Es liegt in der Natur der Sache, daß weitaus die meiſten neuen Patente und Gebrauchsmuſter ſich auf Neuerungen allgemeinſter Art wie Stimmung, Saitenbefeſtigung uſw., nicht aber auf konſtruktive Änderungen im Bau erſtrefen, da leßtere leider faſt immer als „Werkſtättengebeimniſſe“ treu behütet werden und der großen Zahl der Gitarren- und Lautenmacher weder durch Fachſchulen no< Lehrbücher zugänglih gemacht werden. In den

Page 8: Die Gitarre - Digital Guitar Archive€¦ · Gitarre Die Jahrg. 3 Juni/Juli 1922 Heft 9/10 Inhalt des Textes: Zum dritten Muſikfeſt. / Dr. Friedrich Laible: Die Bundklammer. / Erwin

Pages 90+ not available