Die Grammatik der Phantasie - Mario Giordano Autor Grammatik der... · Mario Giordano/"Die Grammatik der Phantasie" (AKA Ludwigsburg)/20.05.2013 - 4 - S T E I N Jetzt kann ich neben

DIE GRAMMATIK DER PHANTASIE

Vortrag zum Buch "Die Grammatik der Phantasie" von Gianni Rodari

von

Mario Giordano

Mario Giordano/"Die Grammatik der Phantasie" (AKA Ludwigsburg)/20.05.2013

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"Ich suche nicht, ich finde." Pablo Picasso "Kunst gibt nicht das sichtbare wieder, sondern macht sichtbar." Paul Klee "Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige." Voltaire "Das Leben ist der Kampf. Der Kampf ist die Handlung. Ohne Handlung kein Leben." Konstantin Stanislavsk "Schreiben ist leicht. Man muss nur die falschen Wrter weglassen." Mark Twain "Schreibe kurz und sie werden es lesen. Schreibe klar und sie werden es verstehen. Schreibe bildhaft und sie werden es im Gedchtnis behalten." Joseph Pulitzer


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INHALT

Der Stein im Teich

Das phantastische Binom

Die phantastische Hypothese

Das willkrliche Prfix

Der schpferische Irrtum

Surrealistische Spiele

Limericks

Existenzielle Fragen

1000 Gefhle


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Die "Grammatik" der Phantasie klingt wie ein Widerspruch. Die Phantasie ist doch frei und unendlich, der Gegensatz von Regeln. Gianni Rodari meint hier tatschlich die Grammatik, denn der untersucht die Magie der Worte. Geschichten entstehen aus Worten. Und Worte werden durch eine Grammatik verbunden. Wenn man die Worte mit ihrer bestehenden Grammatik jedoch phantastisch kombiniert - entstehen Geschichten. Manchmal ganz von alleine. Gianni Rodari geht in seinem Buch auf wissenschaftliche und knstlerische Untersuchungen zur Struktur des Denkens zurck. Sein Fokus liegt dabei ganz bei Geschichten fr und mit Kindern. Aus der Beobachtung, wie Kinder Geschichten entwickeln, erschliet er eine Grammatik der Phantasie, eine Energiequelle fr Geschichten. In diesem Vortrag geht es also um Techniken, meist uralte und sehr einfache Techniken, wie sich der Phantasie mit Hilfe der Grammatik auf die Sprnge helfen lsst und wie sich dadurch Geschichten entwickeln lassen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Nonsens und der Subversion. Denn Kinder wollen lachen und sie wollen subversive Geschichten, die die Welt der Erwachsenen auf den Kopf stellt.

DER STEIN IM TEICH

Ein Stein, der in einen Teich geworfen wird, erzeugt konzentrische Wellen, die sich auf der Oberflche ausbreiten und je nach Entfernungen, die Seerosen, das Schilf am Ufer und ein Papierschiffchen unterschiedlich stark in Bewegung setzen. Der Stein sinkt ab, verstrt ein paar Fische und wirbelt schlielich den Schlamm am Boden auf. Nicht anders erzeugt ein zufllig ins Bewusstsein geworfenes Wort Wellen an der Oberflche und in der Tiefe. Nehmen wir das Wort "Stein". Wenn es in das Bewusstsein eintaucht, zieht es Wrter nach sich, stt mit Wrtern zusammen oder weicht ihnen aus. Es lst Assoziationen und Bilder aus. Zum Beispiel Mit allen Wrtern, die mit 's' beginnen. Mit allen Wrtern, die sich auf Stein reimen. Mit allen Wrtern, die ihm bedeutungsmig nahe stehen. Ein Wort stt aus Trgheit auf ein anderes. Das ist nicht viel. Aber es kann schon helfen, sich an ein "Damals" zu erinnern. Aber die Erforschung des Wortes Stein ist noch nicht abgeschlossen. Wir zerlegen das Wort in seine Buchstaben und legen sie untereinander.


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S T E I N

Jetzt kann ich neben jeden Buchstaben das erstbeste Wort schreiben, dass mir einfllt.

Sardine Tomate Esel Imker Nelke

Oder ich kann, was vergnglicher ist, fnf Wrter neben die Buchstaben schreiben, die einen logischen Satz ergeben.

Sieben Taranteln Erobern Ihr Nest.

Aus diesem Nonsens lsst sich schon ein Gedicht machen. Sieben Taranteln erobern ihr Nest Feiern ein frhliches Erntefest. Ein phantastisches Thema entsteht aber erst dann, wenn zwei Worte aufeinander stoen, wenn es zu ungewhnlichen Paarungen kommt, wenn eine unvorhergesehene Verwandtschaft zwischen den Worten aufleuchtet. Rodari nennt dies...

DAS PHANTASTISCHE BINOM Ein elektrischer Pol reicht nicht, um einen Funken zu entfachen. Es bedarf zweier Pole. Das einzelne Wort handelt nur, wenn es auf ein anderes stt, das es provoziert und es zwingt, das Gleis der Gewohnheit zu verlassen und eine neue Bedeutung zu erschlieen. Wo kein Kampf ist, ist kein Leben. (-> Stanislawski) Das Bewusstsein entsteht im Kampf, nicht in der Bewegungslosigkeit. Die Gedanken bilden sich paarweise aus.


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Das grundlegende Denken ist eine binre Struktur. Es existieren keine Begriffe fr sich alleine, sondern es sind in der Regel "begriffliche Binome". Eine Geschichte kann einzig aus einem begrifflichen Binom entstehen. Pferd-Hund - ist kein wirklich "phantastisches Binom". Es ist nur eine einfache Assoziation innerhalb derselben zoologischen Klasse. Es bedarf einer gewissen Distanz zwischen den Wrtern, das eine muss dem anderen ausreichend fremd sein und ihre Kopplung muss ziemlich ungewhnlich sein, damit die Vorstellungskraft gezwungen wird, sich in Bewegung zu setzen. Im phantastischen Binom werden die Wrter nicht in ihrer alltglichen Bedeutung genommen, sondern von den verbalen Ketten befreit, denen sie tglich unterworfen sind. Sie werden entfremdet, verlagert. Das sind dann optimale Bedingungen, um eine Geschichte entstehen zu lassen. Das einfachste Verfahren, eine Beziehung zwischen ihnen herzustellen, ist das, sie durch Prpositionen zu verbinden. Beispiel: Hund - Schrank Der Hund mit dem Schrank. Der Schrank des Hundes. Der Hund auf dem Schrank. Der Hund im Schrank. Es handelt sich um eine Technik, die Kinder hervorragend anzuwenden verstehen.

WAS WRE, WENN... (DIE PHANTASTISCHE HYPOTHESE)

"Hypothesen sind Netze. Nur der wird fangen, der auswirft." Novalis Ein berhmtes Beispiel: Was wre, wenn ein Mann sich beim Aufwachen in ein widerwrtiges Ungeziefer verwandelt fnde? Die Technik der phantastischen Hypothese ist uerst einfach. Ihre Grundstruktur luft auf die Frage hinaus: Was wre, wenn... Was wre, wenn die Stadt Erfurt auf einmal fliegen wrde? Was wre, wenn Berlin pltzlich von Meer umgeben wre? Was wre, wenn ich ein Dreieck wre? Was wre, wenn ein Krokodil an eure Tr klopfen und um ein bisschen Rosmarin bitten wrde? Was wre, wenn pltzlich alles Geld von der Welt verschwinden wrde?


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Die phantastische Hypothese ist natrlich nur ein Sonderfall des phantastischen Binoms. In der phantastischen Hypothese vereinigen sich ein Substantiv und ein Verb, ein Subjekt und ein Prdikat oder Attribut.

DAS WILLKRLICHE PRFIX

Eine Art und Weise, die Wrter im phantastischen Sinne produktiv zu machen, besteht darin, sie zu deformieren. Es gengen bereits einfache Vorsilben, um vllig neue, phantastische Bedeutungen entstehen zu lassen. Beispiele: Ent- Bleistift - Bleistiftentspitzer An- Ankleiderstnder. Anti- Antikanone Zwie- Zwiefeder Zwiepfeife Mikro-, Mini-, Maxi-

DER SCHPFERISCHE IRRTUM Aus einem Schreibfehler kann eine Geschichte entstehen. Botensee statt Bodensee. Schrumpfhose statt Strumpfhose. Bereuerin statt Betreuerin. Mikroprofessor statt Mikroprozessor Mozzarella di Buchverlag statt Mozzarella di Buffala

SURREALISTISCHE SPIELE

Man schneidet Schlagzeilen aus Zeitungen aus und mischt sie neu um Nachrichten ber absurde, sensationelle oder einfach vergngliche Ereignisse zu erhalten.


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"Die Kuppel von Sankt Peter Nach einer Messerstecherei verwundet und Mit der Kasse in die Schweiz geflohen." Auf der ganzen Welt verbreitet, ist ebenfalls das auf Zetteln geschrieben Frage und Antwortspiel: Wer war es? Wo befand er sich? Was tat er? Was sagte er? Was sagten die Leute? Wie ist es ausgegangen?

LIMERICKS Der Limerick ist ein eigenstndiges, von regeln bestimmtes, englisches, Genre des Nonsens. Seine Reimform ist a, a, b, b, a. Ganz einfach. Und er beinhaltet immer ein phantastisches Binom. Beispiel: Es war ein Pilot aus Hannover, der trug stets nur pinke Pullover, die fand er todfesch und so sprach er beim Crash: "Immerhin sah ich gut aus - und over!" How to make an unforgettable Limerick: Erster Schritt: Wahl der Hauptperson. Zweiter Schritt: Bezeichnung eine Eigenart, die sich in einer Handlung ausdrckt. Dritter Schritt: Aussage ber die Handlung. Vierter Schritt: die Pointe.

EXISTENTIELLE FRAGEN

Charaktere sind also die Seele jeder Geschichte. Charaktere sind das einzige, was uns an Geschichten wirklich interessiert. Wir wollen mit ihnen mitfhlen, mitleiden, mitfreuen, ihre Siege und Niederlagen teilen, durch sie und mit ihnen vom Alpha bis zum Omega gehen.


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Gute Plots knnen schwache Charaktere kaschieren, aber jeder wird die Geschichten dennoch als schwach erleben. Erst gute. lebendige Charaktere machen eine Geschichte bildhaft. Charaktere mssen Freunde des Autors werden. Sie mssen es werden. Sie sind es nicht von Anfang an. Der Autor muss seine Charaktere kennenlernen, sich mit ihnen befreunden, verbnden und auseinandersetzen. Manchmal auch sie aushalten. Der Autor muss seine Charaktere auch die fiesen lieben. Und vor allem darf er eines niemals tun: sie lange alleine lassen. Charaktere sind launisch, eiferschtig und liebebedrftig. Wenn man sie zu lange allein lsst, verlassen sie einen. Manchmal kann man sie zurckholen, manchmal aber auch nicht. Charaktere knnen unendlich viele emotionale Zustnde annehmen. Sie sind aber alle auf zwei Grundzustnde zurckzufhren:

Labil Stabil

Was die Charaktere aus ihren stabilen Zustnden heraustreibt, ist existenzielle Unruhe. Diese Unruhe entsteht durch allgemeine, existenzielle Grundfragen des Lebens. (Quelle: Fischli & Wei: "Findet mich das Glck", Verlag Walter Knig))

Was denkt mein Hund? Sind Tiere Menschen? Warum ruft sie nicht an? Ist mein Dasein erfllt von Heiterkeit? Bin ich mein Auto? Warum falle ich nachts immer aus meinem Bett?


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Muss ich bald sterben? Soll ich im Wald als Ruber leben? Ist alles halb so schlimm? Wre ich ein guter Polizist? Ist alles in meinem Kopf? Verbummele ich mein Leben? Wei ich alles ber mich? Wie wirke ich? Liebt man mich? Gibt es die Welt auch ohne mich? Bin ich auserwhlt? Hilft hartnckiges Wnschen? Ist Widerstand zwecklos? Bin ich ein Sonderling? Mache ich alles falsch? Durchschaut man mich? Ist es wichtiger, dass es der Welt gut geht oder mir? Herrscht tiefer Frieden in meiner Wohnung, wenn ich nicht da

bin? Bin ich zu weich? Wre ich gern ein rtselhafter Mensch voller Geheimnisse? Bin ich allein hier drauen? Hat man mir meine hhere Herkunft verschwiegen? Ist sie sauer? Kann man alles falsch machen?

Die Aufgabe der Geschichte ist es, soviel Spannung aufzubauen, Neugier zu wecken, dass das Publikum vom stabilen in den labilen Zustand wechselt. Der erzeugte Schwung muss erhalten werden. Die Geschichte treibt das Publikum durch emotionale Hhen und Tiefen.


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1000 GEFHLE

Hoffnung Verlorenheit im Universum Schmerzliches Vermissen eines geliebten Menschen, der

verstorben ist. Das Bedauern ber etwas Zerbrochenes. Die Bestrzung ber die Erkenntnis, von der falschen Person

geliebt zu werden. Die Wut ber ein Missgeschick. Bedauern Unruhe Peinlichkeit Die Erleichterung nach einer erhofften Nachricht. Die Zufriedenheit eines perfekten Nachmittages. Das Verlangen nach einer flchtigen Berhrung. Hadern mit sich selbst. Die Genugtuung beim Blick in den Spiegel. Langeweile Die Ernchterung nach der Erkenntnis unaufhaltsamen Verlustes. Der Ekel vor der eigenen Schuld. Das Unbehagen vor einer Lge. Wohligkeit Die Trauer beim Anblick groer Schnheit. Die Verlockung, eine Schwelle zu berschreiten. Abenteuerlust Schalk Unbeugsame, ewige Hoffnung Die pltzliche Gelassenheit nach einem schmerzvollen Abschied. Die Verwunderung ber Zuflle des Lebens. Die Bitterkeit ber ein gebrochenes Versprechen. Die Furcht vor einem entscheidenden Brief. Das Unbehagen vor einer entscheidenden Begegnung. Die Scham ber eigene Schuld und Schwche. Mutwillen Mitgefhl Der Schmerz, einen geliebten Menschen nicht berhren zu

drfen. Die Ernchterung angesichts der Wahrheit.

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