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säure. Außerdem bildet sich im Pro- tein gezielt nur ein Produkt, im Ge- gensatz zu möglichen Produktge- mischen in Lösung. Die Untersuchung der Photoche- mie des im Protein eingebetteten Fla- vins und der darauf folgenden Reak- tionsschritte in der Proteinmatrix sind nicht einfach. 3) Als wichtige Me- thode für die Analyse des Reaktions- wegs hat sich die Infrarotspektrosko- pie etabliert, allerdings auf einem deutlich anderen technischen Niveau als im Laboralltag der organischen und anorganischen Chemie. Photochemie des Flavins in Lösung Die Vielfalt der Redoxzustände des Flavins mit seinem chinoiden System macht es zu einem idealen Zentrum für Redoxreaktionen. So kann das Flavin in physiologischen pH-Bereichen im oxidierten Zu- stand, als Anion- oder Neutralradi- kal, sowie im protonierten und de- protonierten voll reduzierten Zu- stand vorliegen. Durch Anregung kommen zu diesen Zuständen noch die reaktiven Singulett- und Tri- plettzustände. Flavin besteht aus einem Isoallo- xazinring und liegt je nach Substi- tution an N 10 als Riboflavin (Vita- Für biologische Lichtsensoren galt lange Zeit stets ein einheitliches Reaktionsschema: Alle bekannten tierischen und pflanzlichen Senso- ren sollten demnach auf der Grund- lage einer Isomerisierungsreaktion funktionieren (Abbildung 1, S. 24). So isomerisiert zum Beispiel das Re- tinal im Rhodopsin im mensch- lichen Auge lichtgetrieben von 11-cis nach all-trans. Ebenso reagiert das lineare Tetrapyrrol im pflanzli- chen Sensor Phytochrom über eine Photoisomerisierung. Groß war da- her die Überraschung darüber, dass in mehreren Lichtsensoren Flavine als reaktives Zentrum dienen. 1) Fla- vine können nicht isomerisieren, da sie aus einem konjugierten, planaren Dreiringsystem als Grundkörper aufgebaut sind. Flavine sind als Kofaktoren von Proteinen weit verbreitet. Dort fun- gieren sie im Dunkeln als Redoxver- mittler in unterschiedlichen enzy- matischen Reaktionen. 2) Die Photo- chemie der Flavine mit blauem Licht in Lösung wurde bereits in den 1970er Jahren gründlich untersucht. Im Protein treten allerdings photo- chemische Produkte auf, die in Lö- sung nur als instabile Zwischenstu- fen vorkommen – beispielsweise als Radikale oder als ein kovalentes Ad- dukt mit einer benachbarten Amino- Anna Pfeifer, Tilman Kottke Im Gegensatz zu allen anderen biologischen Lichtsensoren beruhen die flavinhaltigen nicht auf einer Photoisomerisierung sondern auf Redoxprozessen. Flavinhaltige Blaulichtsensoren steuern unter anderem die innere Uhr und den inneren Kalender vieler Organismen. Auch als Magnetfeldsensor können sie fungieren und sind daher ein Kandidat für die Orientierung von Zugvögeln im Erdmagnetfeld. Die große Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren Biophysikalische Chemie min B 2 ), Flavinmononucleotid (FMN) oder Flavinadenindinucleo- tid (FAD) vor (Abbildung 2, S. 24). Gibt man in Lösung als Reaktions- partner Aminosäuren hinzu, so rea- giert das angeregte Flavin als Oxi- dationsmittel je nach Reaktivität des Reaktionspartners aus dem an- geregten Singulett- oder verzögert aus dem angeregten Triplett- zustand. Ergebnis sind Radikal- zustände, die zerfallen oder unspe- zifisch weiterreagieren. Flavin kann dabei photochemisch Addukte mit einer kovalenten Bindung an das N 5 oder C 4a zu vielen funktionellen Gruppen bilden. Allerdings sind diese Addukte gegenüber nukleo- philen Angriffen aus der Lösung oder Reoxidation durch Sauerstoff oft nicht stabil. 4) QUERGELESEN ❯❯ Die Photochemie der flavinhaltigen Blau- lichtsensoren beruht auf der Vielfalt der möglichen Redoxzustände des eingebetteten Flavins. ❯❯ Zur Untersuchung der Photochemie des Proteins dient die Infrarotspektroskopie im Differenz- und Doppeldifferenzmodus. ❯❯ Erste Versuche zeigen, dass sich flavinhaltige Blaulichtsensoren dazu nutzen lassen, biologische Prozesse künstlich zu steuern. Nachrichten aus der Chemie | 59 | Januar 2011 | www.gdch.de/nachrichten 23

Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

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Page 1: Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

säure. Außerdem bildet sich im Pro-tein gezielt nur ein Produkt, im Ge-gensatz zu möglichen Produktge-mischen in Lösung.

Die Untersuchung der Photoche-mie des im Protein eingebetteten Fla-vins und der darauf folgenden Reak-tionsschritte in der Proteinmatrix sind nicht einfach.3) Als wichtige Me-thode für die Analyse des Reaktions-wegs hat sich die Infrarotspektrosko-pie etabliert, allerdings auf einem deutlich anderen technischen Niveau als im Laboralltag der organischen und anorganischen Chemie.

Photochemie des Flavins in Lösung

� Die Vielfalt der Redoxzustände des Flavins mit seinem chinoiden System macht es zu einem idealen Zentrum für Redoxreaktionen. So kann das Flavin in physiologischen pH-Bereichen im oxidierten Zu-stand, als Anion- oder Neutralradi-kal, sowie im protonierten und de-protonierten voll reduzierten Zu-stand vorliegen. Durch Anregung kommen zu diesen Zuständen noch die reaktiven Singulett- und Tri-plettzustände.

Flavin besteht aus einem Isoallo-xazinring und liegt je nach Substi-tution an N10 als Riboflavin (Vita-

� Für biologische Lichtsensoren galt lange Zeit stets ein einheitliches Reaktionsschema: Alle bekannten tierischen und pflanzlichen Senso-ren sollten demnach auf der Grund-lage einer Isomerisierungsreaktion funktionieren (Abbildung 1, S. 24). So isomerisiert zum Beispiel das Re-tinal im Rhodopsin im mensch-lichen Auge lichtgetrieben von 11-cis nach all-trans. Ebenso reagiert das lineare Tetrapyrrol im pflanzli-chen Sensor Phytochrom über eine Photoisomerisierung. Groß war da-her die Überraschung darüber, dass in mehreren Lichtsensoren Flavine als reaktives Zentrum dienen.1) Fla-vine können nicht isomerisieren, da sie aus einem konjugierten, planaren Dreiringsystem als Grundkörper aufgebaut sind.

Flavine sind als Kofaktoren von Proteinen weit verbreitet. Dort fun-gieren sie im Dunkeln als Redoxver-mittler in unterschiedlichen enzy-matischen Reaktionen.2) Die Photo-chemie der Flavine mit blauem Licht in Lösung wurde bereits in den 1970er Jahren gründlich untersucht. Im Protein treten allerdings photo-chemische Produkte auf, die in Lö-sung nur als instabile Zwischenstu-fen vorkommen – beispielsweise als Radikale oder als ein kovalentes Ad-dukt mit einer benachbarten Amino-

Anna Pfeifer, Tilman Kottke

Im Gegensatz zu allen anderen biologischen Lichtsensoren beruhen die flavinhaltigen nicht auf einer

Photoisomerisierung sondern auf Redoxprozessen. Flavinhaltige Blaulichtsensoren steuern unter anderem

die innere Uhr und den inneren Kalender vieler Organismen. Auch als Magnetfeldsensor können sie

fungieren und sind daher ein Kandidat für die Orientierung von Zugvögeln im Erd magnetfeld.

Die große Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

�Biophysikalische Chemie�

min B2), Flavinmononucleotid (FMN) oder Flavinadenindinucleo-tid (FAD) vor (Abbildung 2, S. 24). Gibt man in Lösung als Reaktions-partner Aminosäuren hinzu, so rea-giert das angeregte Flavin als Oxi-dationsmittel je nach Reaktivität des Reaktionspartners aus dem an-geregten Singulett- oder verzögert aus dem angeregten Triplett-zustand. Ergebnis sind Radikal-zustände, die zerfallen oder unspe-zifisch weiterreagieren. Flavin kann dabei photochemisch Addukte mit einer kovalenten Bindung an das N5 oder C4a zu vielen funktionellen Gruppen bilden. Allerdings sind diese Addukte gegenüber nukleo -philen Angriffen aus der Lösung oder Reoxidation durch Sauerstoff oft nicht stabil.4)

� QUERGELESEN

�� Die Photochemie der flavinhaltigen Blau -

licht sensoren beruht auf der Vielfalt der

möglichen Redoxzustände des eingebetteten

Flavins.

�� Zur Untersuchung der Photochemie des

Proteins dient die Infrarot spektroskopie

im Differenz- und Doppeldifferenz modus.

�� Erste Versuche zeigen, dass sich flavinhaltige

Blaulicht sensoren dazu nutzen lassen,

biologische Prozesse künstlich zu steuern.

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Januar 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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Page 2: Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

Welche Rolle spielt das Protein in der Photochemie des Flavins?

� Obwohl nichtkovalent gebunden, sind Protein und Flavin durch Was-serstoffbrückenbindungen an das Isoalloxazin und zusätzlich zum po-laren Substituenten an N10 stabil

Die Vororientierung des Reakti-onspartners ermöglicht selektive Re-aktionen. Befindet sich wie im Pflan-zen-Cryptochrom ein Tryptophan in der Nähe, so wird ein Elektron auf das Flavin übertragen (Abbildung 2). Die Protonierung des Radikal -anions des Flavins stabilisiert dieses

miteinander verbunden. Im FAD entfernt sich dabei der Adeninrest vom Dreiringsystem, und das FAD wird entweder gestreckt oder bildet eine U-förmige Struktur wie in den Cryptochromen. In dieser Umge-bung sind je nach Funktion reaktive Aminosäuren positioniert.

13

14NLys

HNLys

H

all-trans 13-cis

h Rhodopsin Typ I

Rhodopsin Typ II1112

NHLys

NLys

H

all-trans11-cis

7O

NH HN

NH

O

15 16

HN

S

O O OO

O

R

Cys

Pflanzen-Phytochrom

(Retinal)

(Retinal)

( R=CHCH2:Phytochromobilin

R=CH2CH3:Phycocyanobilin )

C15-Z,anti

NH HN

NH

OHN

S

O O OO

O

Cys

R

C15-E,anti

O

8

O

S Cys OS Cys

Photoactive Yellow Protein

7-trans 7-cis

(Cumarsäure)

h

h

h

8

765a

9a9

N5

4a

10aN10

4 NH3

2N1

O

O

O

HO OH

N N

NN

NH2

CH2HCHCHCCH2

OHOHOH

O POO P OO

O

NH

N

N

NR

O

O

H

h

h +e-

- e-

SCysProtein

N

N

N

NR

O

O

H

+ H+

- H+ NH

N

N

NR

O

O

H

Phototropin Cryptochrom

Anionradikal Neutralradikal

Insekt Pflanze

oxidiertes FlavinAddukt

RiboflavinFlavinmononucleotidFlavinadenindinucleotid

O

+Protein-Cys-SH

-Protein-Cys-SH ••

Abb. 2. Photochemische Reaktionen des Flavins in den Blaulichtsensoren Phototropin und Cryptochrom.

Abb. 1. Isomerisierungsreaktionen in biologischen Lichtsensoren. Abgeleitet sind die Kofaktoren von den in Klammern angegebenen

chemischen Verbindungen.

�Magazin� Biophysikalische Chemie 24

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Page 3: Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

der inneren Uhr, die den Tagesrhyth-mus steuert. Der natürliche Zyklus einer negativen Rückkopplung der Uhrenkomponenten auf ihre eigene Transkription ist nicht genau auf 24 Stunden eingestellt (beim Men-schen zum Beispiel sind es ungefähr 25 Stunden). Demnach benötigt es ein äußeres Lichtsignal, um den 24-Stunden-Rhythmus beizubehal-ten.

Das Cryptochrom speist das Lichtsignal in Insekten und Pflanzen direkt in die Rückkopplungsschleife der Uhr ein. In Wirbeltieren aller-dings arbeitet das Cryptochrom als ein zentraler Bestandteil des Uhr-werks selbst. Stattdessen wird das Lichtsignal wohl von einem Rho-dopsin, dem Melanopsin, detektiert.

Weitere wichtige Rollen spielt das Cryptochrom bei der Steuerung der Entwicklung von Pflanzen, der Pho-tomorphogenese, und der Bestim-mung der Jahreszeit über die Taglän-ge. Bei genauer Betrachtung ist je-doch eine Abgrenzung der verschie-denen Funktionen der Sensoren schwierig, so gibt es auch ein LOV-Protein in Pflanzen namens Zeitlu-pe, das zu den letztgenannten Funk-tionen beiträgt.

Seit kurzem ist bekannt, dass die Taufliege Drosophila durch das Cryptochrom in der Lage ist, ein sehr schwaches Magnetfeld nahe

nachgewiesen, dass es sich um eine aktive Antwort auf blaues Licht han-delt, den Phototropismus (Abbil-dung 3).6) Der Effekt ist weit verbrei-tet; so fand auch der Nobelpreisträ-ger Max Delbrück (1906 – 1981) an seinem Modellorganismus, dem Pilz Phycomyces, einen ähnlichen Blau-lichteffekt beim Sporangiophoren-Wachstum. Diese Reaktionen auf das Licht haben gemeinsam, dass sie von der gleichen Proteindomäne als Sensor gesteuert werden, der flav-inhaltigen LOV-Domäne (light-, oxygen-, or voltage-sensitive).

Die LOV-Domäne kommt als Baustein in vielen verschiedenen Blaulichtsensoren von Bakterien, Pilzen und Pflanzen vor. Gleich dop-pelt findet sie sich innerhalb des Pflanzensensors Phototropin. Es fungiert nicht nur als Sensor für den Phototropismus, sondern ist auch für die Bewegung der Chloroplasten, die Regulierung der Spaltöffnungen an der Blattunterseite und die Orien-tierung der Blätter zuständig.7) Wohlgemerkt nur die Orientierung der Blätter – die Ausrichtung der Sonnenblume nach dem Licht über den Tag hinweg ist nur ein Mythos.

Noch vielseitiger zeigt sich das Cryptochrom. Es findet sich nicht nur in Pflanzen, sondern auch in Tieren. Eine wichtige Rolle spielt es dabei durch die Synchronisierung

Abb. 4. Im Pflanzen-Cryptochrom erfolgen

nach Belichtung ein Elektronentransfer von

einem benachbarten Tryptophan und davon

zeitlich entkoppelt ein Protonentransfer ver-

mutlich von der benachbarten Asparagin-

säure zum Flavin hin. (PDB-Eintrag: 1U3C)

gegenüber einem Rücktransfer, so dass das Neutralradikal als langlebi-ger Signalzustand vorliegt.

Anion- wie Neutralradikal wer-den im Insekten- und Pflanzen-Cryptochrom bis zu Stunden in Ge-genwart von Sauerstoff stabilisiert, während sie in Lösung sofort dispro-portionieren. Ein anderes Photopro-dukt erhält man im Phototropin mit einem Cystein: Dort bildet sich ein kovalentes Addukt mit dem Fla-vin-C4a. Das Protein schirmt dieses von weiteren Nukleophilen oder ge-genüber einer Protonierung5) ab und verlängert so die Zerfallszeiten auf Sekunden bis Tage.

Die Rolle des Proteins besteht demnach zunächst darin, das Reak-tionsprodukt abzuschirmen und ei-ne hohe Selektivität durch einen vor-gegebenen Reaktionspartner zu er-reichen. Eine weitere wichtige Rolle ist die Weiterleitung des Signals von der Bindungstasche des Flavins zur Proteinoberfläche und zu möglichen Interaktionspartnern.

Funktionen der Blaulicht -sensoren in Pflanzen und Tieren

� Bis in das 17. Jahrhundert galt das Wachstum von Pflanzen zum Licht gemäß der Lehre von Aristoteles als passiver Effekt ohne Leben. Seitdem wurde experimentell schrittweise

Abb. 3. Biologische Funktionen der Blaulichtrezeptoren in Pflanzen und Tieren. Gezeigt sind

die Synchronisation der inneren Uhr, die Orientierung von Zugvögeln im Magnetfeld, die

Entwicklung von Pflanzen (Photomorphogenese) und das Wachstum zum Licht hin (Photo-

tropismus).

Biophysikalische Chemie �Magazin� 25

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Page 4: Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

� FT-IR-Spektroskopie im Differenz- und Doppeldifferenzmodus

von den Schwingungen des Ko-

faktors und des Proteins, die sich

während der Reaktion ändern.

Lokalisierte Schwingungen kön-

nen durch Isotopenmarkierun-

gen, quantenchemische Rech-

nungen und Ersatz von Amino-

säuren über Mutagenese zuge-

ordnet werden. Um Änderungen

in den gekoppelten Schwingun-

gen der Sekundär struktur zu lo-

kalisieren, kann die Doppel -

differenz spektroskopie eingesetzt

werden.

Doppeldifferenzspektroskopie:

Bestimmt man die Differenzspek-

tren von verschieden langen Seg-

menten eines Proteins, lässt sich

durch Subtraktion eine Doppeldif-

ferenz bilden. Die Signale können

dem fehlenden Bereich des kürze-

ren Konstrukts zugewiesen wer-

den; im gezeigten, einfachen Bei-

spiel ist dies die Ja-Helix (Abbil-

Differenzspektroskopie:

Das Absorptionsspektrum eines

Proteins zeigt bei N Atomen Bei-

träge von 3 N – 6 Normalschwin-

gungen. Besonders fallen die Bei-

träge der Peptidbindung des Pro-

teinrückgrats auf: Man erkennt

sie als Amid-I- und Amid-II-

Schwingungen, bei denen es sich

im Wesentlichen um die CO-

Streckschwingung bzw. die Kopp-

lung aus CN-Streckschwingung

und NH-Biegeschwingung han-

delt. Die Bande der Amid-I-

Schwingungen wird allerdings

noch von der Absorption der Bie-

geschwingung des Wassers über-

lagert.

In den Spektren der Probe im

Dunkeln und nach Belichtung ist

zunächst kein Unterschied zu er-

kennen. Nach Subtraktion der

Spektren voneinander und über

1000facher Vergrößerung er-

kennt man selektiv Signale nur

dung unten rechts). Dabei muss

allerdings aus strukturellen Über-

legungen sichergestellt werden,

dass nicht die Anwesenheit der

Ja-Helix bereits eine substanzielle

Änderung im Dunkeln hervorruft.

Somit wird das komplexe Schwin-

gungsmuster auf eine einzige

Bande einer gekoppelten CO-

Schwingung reduziert. Diese be-

findet sich im Amid-I-Bereich bei

1646 cm–1, einer typischen Fre-

quenz für eine Helix. Die Bande

geht durch die Belichtung ver-

loren, da sie sich aufgrund der

verminderten Kopplung der Mode

durch die Änderung des Wasser-

stoffbrückennetzwerks stark ver-

breitert. Dies ist ein Nachweis,

dass sich diese Helix bei Belich-

tung der LOV-Domäne entfaltet.

Weitere Hinweise sind die Entfal-

tung eines Schleifenelements bei

1690 cm–1 und die entsprechende

Mode im Amid-II-Bereich.

Links: Absorptionsspektrum und lichtinduziertes Differenzspektrum eines Blaulichtrezeptors. Rechts: Differenzspektren verschieden

langer Segmente des Proteins und die daraus gebildete Doppeldifferenz zur Isolierung und Lokalisierung einzelner Schwingungs -

beiträge.

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�Magazin� Biophysikalische Chemie 26

Page 5: Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

den 50 µT des Erdmagnetfelds wahr-zunehmen.8) An einem strukturell verwandten Protein wurde ein Ein-fluss von Magnetfeldern auf die Pho-toreaktion nachgewiesen.9) Dem-nach ist Cryptochrom nicht nur ein Licht- sondern auch ein Magnetfeld-sensor. Diese Erkenntnis hat weitrei-chende Bedeutung. So ist Crypto-chrom derzeit in Zugvögeln der ein-zige plausible Kandidat für eine Ori-entierung anhand der Inklination des Erdmagnetfelds.

Mechanismus der Signalweiterleitung

� Zwischen der Anregung des Fla-vins durch blaues Licht und der Ver-mittlung der biologischen Funktion durch den Sensor nach außen stehen mehrere Reaktionsschritte. Um die-se aufzulösen und in ihrem Zeit-ablauf einzuordnen, muss die ver-wendete Methode sensitiv gegen-über Abläufen im Flavin und im Pro-tein sein und dynamische Unter-suchungen erlauben. Dazu bietet sich die Mittelinfrarotspektroskopie an. Man verwendet den reaktions-induzierten Differenzmodus, da das Wasser in diesem Spektralbereich stark absorbiert und Tausende von infrarotaktiven Schwingungen des Proteins das sehr kleine Signal der Reaktion überlagern (s. Kasten).10) Nur die direkte Differenzbildung zwischen dem belichteten und un-belichteten Zustand erlaubt es bei konstanten Messbedingungen, alle am Reaktionsgeschehen unbeteilig-ten Schwingungen auszuklammern.

Detektierbar sind so neben den Änderungen der Schwingungs-moden des Flavins durch die Photo-reaktion auch Protonierungsände-rungen oder Umstrukturierungen des Wasserstoffbrückennetzwerks der Aminosäuren. Mit der Methode ließ sich beim Pflanzen-Crypto-chrom zeigen, dass parallel zur Bil-dung des Neutralradikals des Fla-vins durch Licht auch eine Depro-tonierung einer Asparagin- oder Glutaminsäure im Protein stattfin-det.11) Das in dem dafür charakteris-tischen Wellenzahlenbereich über 1700 cm–1 auftretende Signal war

mit �A = 7·10–5 nachweisbar und belegt die Empfindlichkeit der Me-thode. Aus strukturellen Überlegun-gen wurde als Kandidat eine dem Flavin benachbarte Asparaginsäure identifiziert und als Protonendonor für das Flavin vorgeschlagen (Abbil-dung 4). Dieser für die Bildung des Signalzustands wichtige Schritt läuft entkoppelt vom Elektronentransfer im Mikrosekundenbereich ab12) und könnte durch die Bildung eines gela-denen Aspartats in einem unpolaren Bereich des Proteins eine Signalkas-kade auslösen.

Ein weiterer Vorteil der Infrarot-spektroskopie ist die Sensitivität ge-genüber der Konformation des Pro-teinrückgrats. Die gekoppelten Amid-I- und Amid-II-Schwingungen der Peptidgruppen liefern charakte-ristische Signale von Sekundärstruk-turelementen wie a-Helices, b-Falt-blättern oder Schleifenelementen. Ändert sich die Konformation dieser Elemente bei einem Prozess, so ist dies als Differenzsignal zu sehen.

Ein grundlegender Nachteil der Methode ist die fehlende Ortsinfor-mation in Bezug auf die dreidimen-sionale Struktur des Proteins. Diese Information ist allerdings zugänglich, wenn man Differenzspektren ver-schieden langer Segmente des Pro-

teins aufnimmt und daraus Doppel-differenzen berechnet (s. Kasten). Mit diesem Ansatz lassen sich die Konformationsänderungen kleinen Abschnitten des Proteins zuordnen. Dies wurde anhand des Phototropins in seiner ganzen Länge von 749 Ami-nosäuren demonstriert.13) Abgetrennt wurden dabei die Beiträge der jeweils ungefähr 100 Aminosäuren langen lichtsensitiven LOV-Domänen von denen der Kinase, die für die Signal-weiterleitung zuständig ist. Globale Änderungen in der Tertiärstruktur der Kinase durch Belichtung der LOV-Domäne waren dadurch nach-weisbar. Insbesondere reagiert dem-nach auch ein kurze, zusätzliche Schleife in der Kinase auf Licht mit einer Strukturänderung.

Reaktionsschritte über zeitaufgelöste Spektroskopie

� Generell arbeitet man mit der Fou-rier-Transform-Spektroskopie, bei der das Infrarotlicht in einem Michelson-Interferometer moduliert und das de-tektierte Interferogramm durch eine Fourier-Transformation wieder in ein Spektrum umgerechnet wird. Möchte man eine zeitaufgelöste Information erhalten, so ist dies durch die Spiegel-geschwindigkeit des Interferometers

Abb. 5. Zeitaufgelöste FT-IR-Differenzmessung nach Belichtung einer LOV-Domäne des

Phototropins. Mit der Step-Scan-Technik ließ sich eine Zeitauflösung von 2 μs erreichen.

Die Adduktbildung des Flavins und die darauf folgenden Prozesse in der Proteinmatrix

wurden so sichtbar.

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Januar 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Biophysikalische Chemie �Magazin� 27

Page 6: Die groÃe Ausnahme: flavinhaltige Blaulichtsensoren

mechanisch meist auf den Millisekun-denbereich beschränkt. Abhilfe schafft die Step-Scan-Technik (s. Nachr. Chem. 2006, 54, 959).14–16) Mit ihr las-sen sich bis in den Mikrosekundenbe-reich Differenzspektren aufnehmen, mitunter sogar bis in den Nanosekun-denbereich. Bei Proteinreaktionen müssen hierzu allerdings die handels-üblichen FT-IR-Spektrometer modifi-ziert werden.

Hohe Anforderungen stellt dieser Ansatz demnach außer an die zeitli-che Synchronisation und die Elek-tronik des Spektrometers auch an das untersuchte System selbst: Die Photoreaktion muss mehrere tau-send Mal vollständig reproduzierbar ausgelöst werden. Dazu gibt es meh-rere methodische Herangehenswei-sen, etwa durch einen automati-schen Probenwechsler oder durch Umpumpen. Hier gilt es dann aller-dings, den Probenverbrauch zu mi-nimieren.17)

Am Ende einer aufwendigen Mess-reihe steht ein dreidimensionaler Da-tensatz, der eine Fülle von Informatio-nen enthält (Abbildung 5, S. 27). Im Fall der LOV-Domäne des Phototro-pins war so 2 µs nach Belichtung ein unprotonierter angeregter Triplett-zustand des Flavins nachweisbar, be-vor dieser mit dem Cystein zum kova-lenten Addukt reagiert.18) Dies wider-

legte einen zuvor postulierten ioni-schen Verlauf der Reaktion.

Künstliche Lichtsteuerung von biologischen Prozessen

� Licht eignet sich gut als Startgeber für biologische Prozesse, da es leicht von außen applizierbar und zeitlich präzise auslösbar ist. Ein Ziel ist es daher, grundlegende Abläufe wie die Biosynthese von Proteinen in der Zel-le durch Licht zu initiieren. Dass sich insbesondere die LOV-Domänen für diese Art von Lichtsteuerung eignen, zeigten Wu et al. vor kurzem.19) Sie steuerten die Zellbewegung einer Tierzelle durch Licht: Die Zelle konn-te einen blauen Lichtpuls wahrneh-men und sich darauf zubewegen.

Die vorwiegend von Bakterien ge-nutzte Blue-Light-Sensor-Using-Fla-vin-(Bluf)-Domäne führte in einer Taufliege dazu, dass diese bei Belich-tung erstarrte.20) Dabei ist ein ent-scheidender Vorteil, dass das Flavin in allen Zellen für einen Einbau in den Sensor zur Verfügung steht. So ist es denkbar, dass auf Basis dieser oder anderer Sensoren in Zukunft auch krankhafte Veränderungen im menschlichen Gehirn durch Belich-tung therapiert werden können.

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Tilman Kottke, geboren

1974, studierte Chemie an

der Universität Marburg mit

Aufenthalt am Imperial Col-

lege, London, und pro-

movierte an der Universität

Regensburg in physikalischer Chemie. Als

Nachwuchsgruppenleiter arbeitete er am For-

schungszentrum Jülich in der Strukturbiologie

und seit dem Jahr 2006 in der biophysika-

lischen Chemie der Universität Bielefeld. Sein

Interesse gilt der Anwendung und Entwick-

lung der FT-IR-Spektroskopie zur Unter-

suchung photochemischer Prozesse, ins-

besondere in den Blaulichtrezeptoren.

[email protected]

Anna Pfeifer, geboren 1981,

arbeitet seit dem Jahr 2010

als Postdoc in der physika-

lischen Chemie der Univer-

sität Düsseldorf. Sie studier-

te Chemie an der Ludwig-

Maximilian-Universität München und fertigte

ihre Diplomarbeit in der physikalischen Che-

mie an. Sie promovierte an der Universität Bie-

lefeld in der biophysikalischen Chemie zur FT-

IR-Spektroskopie an Phototropin.

�Magazin� Biophysikalische Chemie 28

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