42
Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem Author(s): Rudolf Stucken Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 11, H. 2 (1949), pp. 230-270 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40908560 . Accessed: 10/06/2014 15:50 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige FinanzproblemAuthor(s): Rudolf StuckenSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 11, H. 2 (1949), pp. 230-270Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40908560 .

Accessed: 10/06/2014 15:50

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

.JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

.

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access toFinanzArchiv / Public Finance Analysis.

http://www.jstor.org

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 2: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

230

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

von

Rudolf Stucken

1. Einleitung. Seitdem Archibald Hutcheson im Jahre 1716 den Gedanken einer

Vermögensabgabe in England verfocht, um dadurch die englische Staatsschuld abzubürden, stehen alle Vorschläge, eine große Ver- mögensabgabe zu erheben, in Zusammenhang mit der Tatsache, daß die Staatsschuld in gleichzeitigen oder vorangegangenen Kriegen rie- senhaft angeschwollen ist und die Zeitgenossen sich Gedanken dar- über machen, diese Staatsschuld wieder zu beseitigen oder wenig- stens merklich zu reduzieren. Bei Hutcheson hatte der spanische Erb- folgekrieg den Anlaß gegeben, bei David Eicardos Vorschlägen waren es die napoleonischen Kriege gewesen, der Antrag Carayon-Latours und Philippoteaux' in der französischen Nationalversammlung 1872 war durch den Krieg 1870/71 ausgelöst worden, in Deutschland wurde eine umfassende Diskussion über dies Thema durch den ersten Welt- krieg veranlaßt, der Niederschlag des ersten Weltkrieges in der eng- lischen Staatsschuld führte zur Erörterung der großen Vermögens- abgabe (capital levy) im Committee on National Debt and Taxation, (nach seinem Chairman gewöhnlich Colwy η- Committee genannt)1). So ist es nicht weiter verwunderlich, daß nunmehr die Diskussion über die große Vermögensabgabe von neuem aufgelebt ist, und zwar vor allem in Deutschland, um dadurch der im zweiten Weltkrieg aufgehäuften Schuldenlast, die das Eeich bei seinem Zusammen- bruch hinterlassen hat, Herr zu werden.

1) Siehe den Lehrgeschichtlichen Abschnitt bei Bruno Seidel: Ge- schichte und Probleme der Vermögensabgabe, Erlanger Dissertation 1947, (angedrückt).

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 3: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 231

Mit dem Worte „große Vermögensabgabe" bezeichnen wir eine einmalig erhobene „materielle" Vermögensteuer. D. h., eine Steuer, bei der das Vermögen die Bemessungsgrundlage bildet und die mit so hohen Sätzen erhoben wird, daß sie regelmäßig nicht aus den Er- trägnissen des Vermögens in einer relativ kurzen Zeitspanne, ζ. Β. einem Jahr, entrichtet werden kann, Die Erträgnisse des Vermögens können vielmehr nur dann die Steuerquelle bilden, wenn der Steuer- gläubiger, der Fiskus, sich mit Katenzahlungen, die sich über eine Vielzahl von Jahren verteilen, einverstanden erklärt. Andernfalls greift die große Vermögensabgabe den Vermögensstamm selbst an, sie führt zu einer Minderung des Vermögens des Steuerpflichtigen. Es gehört zum Wesen der großen Vermögensabgabe, daß bei ihr infolge ihrer Höhe regelmäßig das Liquiditätsproblem, die Frage des rechtzeitigen Geldanschlusses, d. h. die Frage, ob überhaupt und wie die Abgabe in Geld entrichtet werden kann, auftritt und einer Lösung bedarf. - Dadurch, daß es sich um eine einmalige Steuer handelt, ist geklärt, daß die Erbschaftsteuer, die vielfach auch als materielle Vermögen- steuer angesprochen werden muß, die aber nicht einmalig, sondern bei bestimmten Gelegenheiten, nämlich gelegentlich des Erbganges erhoben wird, nicht unter den Begriff der großen Vermögensabgabe fällt. Diese Ausscheidung der Erbschaftsteuer erweist sich als durch- aus zweckmäßig, weil bei ihr die Problematik eine andere ist; zu- mindest ist es volkswirtschaftlich relevant, wie groß die Zahl dçr Wirtschaftssubjekte ist, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem kurzen Zeitraum von einer solchen materiellen Vermögensteuer betroffen werden, und diese Zahl ist bei der Erbschaftsteuer, ver- glichen mit der großen Vermögensabgabe, relativ klein; die Lage ist durchaus unterschiedlich, wenn neben denen, die von der mate- riellen Vermögensteuer betroffen werden, noch ein weiter Personen- kreis vorhanden ist, der aus gleichzeitigen Ersparnissen Vermögens- objekte, die die Besteuerten zum Zwecke der Steuerzahlung zu ver- äußern wünschen, zu erwerben vermag oder diesen zur Durchhaltung der Vermögensobjekte Kredit zu geben vermag, als wenn das nicht der Fall ist. - Zur Klärung des Begriffes sei noch folgendes bemerkt : Es ist oben ausgeführt worden, daß die große Vermögensabgabe man- gels ausreichend weit hinausgeschobener Eatenzahlungen den Ver- mögensstamm selbst angreift ; das soll heißen, daß das Vermögen der Zensiten vermindert wird, nicht jedoch, daß das Volksvermögen ver- mindert wird ; das zweite kann mit dçm ersten verbunden sein, braucht

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 4: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

232 Rudolf Stucken

es jedoch nicht zu sein, und es ist für die Beurteilung der großen Vermögensabgabe zweifellos von großer Bedeutung, ob sie auch eine Beeinträchtigung des Volksvermögens herbeiführt1).

Praktische Erfahrungen mit der großen Vermögensabgabe liegen kaum vor. Man denkt in Deutschland vielfach in diesem Zusammen- hang an den Wehrbeitrag vom Jahre 1913; aber die Steuersätze des Wehrbeitrages hatten doch nur eine so bescheidene Höhe, daß er in der Eegel aus den Vermögenserträgnissen eines Jahres bezahlt wer- den konnte. Eine große Vermögensabgabe sollte nach dem Willen ihrer Urheber das Eeichsnotopfer vom Jahre 1919 sein; aber die Inflation ging darüber hinweg und bewirkte, daß Sachwertbesitzer im allgemeinen nur relativ gering betroffen wurden, wohingegen aller- dings Eentner und andere Personenkreise, deren Vermögen annähernd ausschließlich aus Forderungen auf Mark bestand, durch das Eeichs- notopfer schwere Einbußen am Vermögensstamm erlitten. Etwa um die gleiche Zeit wurde in einer Eeihe weiterer Länder eine große Ver- mögensabgabe erhoben, aber infolge der Inflation jener Zeit sind diese Versuche auch wenig lehrreich2).

2. Die finanz- und währungspolitische Aufgabe. Wie schon in der Einleitung festgestellt, wird der großen Ver-

mögensabgabe gewöhnlich eine spezifische Aufgabe gestellt, nämlich die Mittel zur Staatsschuldentilgung aufzubringen. Auch in der Gegen- wart handelt es sich um diese spezifische Aufgabe, aber offensicht- lich doch in einer ungewöhnlichen Ausprägung. Die erste Besonder- heit beruht darin, daß die Schuldenverpflichtungen des deutschen Eeiches zur Zeit überhaupt nicht bedient werden. Abgesehen davon, daß mit der Zentralgewalt des Eeiches auch die Eeichsfinanzwirt- schaft untergegangen ist, macht sich hier der Tatbestand geltend, daß die Eeichsverschuldung bis zum Zusammenbruch eine Höhe er- reicht hatte, daß die Schuldenverpflichtungen neben den sonstigen Staatsaufgaben gar nicht mehr ohne ständigen „Eückgriff auf die

1) Siehe hierzu Adolph Wagner: Finanzwissenschaft, zweiter Teil, zweite Abteilung, 2. Aufllage, Leipzig 1890, S. 318; Fritz Terhalle: Finanzwissenschaft, Jena 1930, S. 163 f.; Hubertus Herz: Theorie der Substanzbesteuerung, Berlin 1938, S. 22 ff.

2) Vgl. die Zusammenstellung bei Boleslav Fux: Die Vermögens- steuer, Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Bd., Tübingen 1927, S. 155 ff.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 5: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 233

Notenpresse* ' genauer: ohne fortlauf ende Schöpfung zusätzlichen Gel- des, erfüllt werden können. Einer Vermögensabgabe muß also in erster Linie die Aufgabe gestellt werden, die Schuldverpflichtungen auf eine Höhe zurückzuführen, daß der Schuldendienst stattfinden kann ohne fortgesetzte Vergrößerung des Geldvolumens. Von der Seite der Gläubiger her gesehen dreht es sich um die Bettung eines Teils der Ansprüche in einer Lage, in der die Gesamtheit der Ansprüche vor- läufig keinerlei Befriedigung findet. Wir wollen es an dieser Stelle unerörtert lassen, welche Institution in die finanzwirtschaftlichen Eechte und Pflichten des Eeiches als Eechtsnachfolger eintritt, wir gehen nur davon aus, daß diejenige Institution, die es unternimmt, die Schuldverpflichtungen des Eeiches zu erfüllen, auch die Kompe- tenz zur Erhebung einer großen Vermögensabgabe besitzt. Die zweite Besonderheit besteht darin, daß neben der verbrieften Eeichsschuld gewaltige Schuldverpflichtungen anderer Art, die ebenso wie die Ver- pflichtungen aus der verbrieften Eeichsschuld derzeit nicht erfüllt werden, vorhanden sind. Denken wir nur an die durch Luft- oder Erdkampfmittel Geschädigten, an die Flüchtlinge mit ihren Ansprü- chen auf Erstattung des in den geräumten Gebieten zurückgelassenen Vermögens, an die Gläubiger von Forderungen gegenüber der Wehr- macht und anderen Eeichsstellen, die im Augenblick des Zusammen- bruchs noch nicht abgerechnet und beglichen waren, an die bisherigen Besitzer von Auslandsvermögen, denen diese Vermögen entzogen wor- den sind, an die durch Demontage Geschädigten. Jedenfalls kommen außer denen, die Eeichsanleihen, unverzinsliche Eeichsschatzanwei- sungen oder Eeichsschatzwechsel in ihrem Portefeuille haben, noch weite Personenkreise in Betracht, die Forderungen gegen das Eeich oder seinen Eechtsnachfolger geltend zu machen haben. Und zu dem Personenkreis der unmittelbaren Gläubiger des Eeiches tritt der Kreis der mittelbaren Gläubiger, nämlich alle diejenigen, die Guthaben bei Kreditinstituten besitzen, einschließlich der Sparer bei Sparkassen und Genossenschaften, sowie die Lebensversicherten; denn ihre Ansprüche sind zweifelhaft geworden, da die Kreditinstitute und die Träger der Lebensversicherung ihren Verpflichtungen vornehmlich Eeichspapiere auf der Aktivseite gegenüberstehen haben. Also ein weiter Kreis von Personen, die mangels Erfüllung der Verpflichtungen durch das Eeich oder einen Eechtsnachfolger Schaden leiden. Man stellt demgemäß der Vermögensabgabe die Aufgabe eines „Lastenausgleiches" zwischen denen, die das Glück hatten, Vermögen über den Krieg hinweg zu

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 6: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

234 Β u d o 1 f Stucken

retten, und denen, die ihr Vermögen oder Teile davon eingebüßt haben. Daneben dreht es sich um die Sanierung der Kredit- und Versicherungswirtschaft durch geeignete Beeinflussung der Höhe der Verpflichtungen gegenüber den Guthabengläubigern und den Ver- sicherungsnehmern und durch Bevalorisierung von Aktiva der in Frage stehenden Institute. - Jedenfalls dürfen wir wohl davon aus- gehen, daß in der deutschen Bevölkerung nicht die Absicht besteht, den tatsächlich eingetretenen Staatsbankerott als irreparable Tatsache hinzunehmen, sondern daß der Wille vorhanden ist, den Geschädigten wenigstens eine Quote ihrer Ansprüche zuteil werden zu lassen.

Nun müssen wir im Auge behalten, daß die gekennzeichnete Auf- gabe nicht notwendig allein der Vermögensabgabe gestellt zu werden braucht, sondern daß möglicherweise auch sonstige Haushaltsmittel dieser Aufgabe dienstbar gemacht werden können. Wir werden die- ser Frage wieder begegnen, wenn wir über die notwendige Höhe der Vermögensabgabe sprechen (siehe unten S. 251 ff.).

Es ist nun aber durchaus möglich, der Vermögensabgabe über den Lastenausgleich hinaus eine weitere große Aufgabe zu stellen, eine währungspolitische Aufgabe, nämlich die Wiederherstellung eines ge- ordneten Geldwesens durch Zurückführung der Geldmenge auf eine dem Güterstrom entsprechende Größe. Man hat sich im heutigen Deutschland weitgehend daran gewöhnt, die beiden Aufgaben je durch besondere Mittel erfüllen zu wollen, nämlich den Lastenausgleich durch die Vermögensabgabe und die Geldneuordnung durch Blockie- rung der Bankguthaben und Umtausch und eventuell Blockierung des Bargeldes. Wenn wir der Vermögensabgabe die doppelte Aufgabe des Lastenausgleichs und der Zurückführung der Geldmenge stellen, dann werden wir zu erörtern haben, ob denn eigentlich die Entrich- tung einer solchen Abgabe zu einer Geldmengenverminderung führt, bzw. welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit dies der Fall ist.

3. Die Höhe der Verpflichtungen. Über die Höhe der Verpflichtungen, die das Eeich beim Zusam-

menbruch hinterlassen hat, gibt es unterschiedliche Schätzungen. Von irgendwelchen exakten Daten kann nicht die Eede sein. Immerhin müssen wir uns gewisse Vorstellungen über die Größenverhältnisse machen.

Die Höhe der ßeichsschuld ist zuletzt für den 30. September 1944

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 7: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 285

ausgewiesen worden; sie betrug zu diesem Termin 321,9 Milliarden RM. Nach Äußerungen von verschiedenen Seiten nehmen auch wir an, daß die ausgewiesene Reichsschuld bis zum Zusam- menbruch auf etwa 400 Milliarden RM angewachsen ist. Zu dieser ausgewiesenen Reichsschuld treten nun aber erhebliche Schuldposten, die in dem Ausweis nicht enthalten waren. Die Schätzungen darüber gehen weit auseinander, teils wegen des Mangels an Unterlagen, teils weil ζ. Β. bei den Kriegssachschäden von den verschiedenen Schät- zern ganz unterschiedliche Werte als entschädigungsberechtigt zu- grunde gelegt werden; sie müssen ja zu weit auseinanderklaffenden Größen kommen, wenn der eine die Einheitswerte, die vielfach erheb- lich unter den Anschaffungswerten liegen, und der andere die Repro- duktionswerte vom Jahre 1948, 1944 oder 1945 zugrunde legt. Wir wollen bezüglich der Kriegssachschäden Schätzungen über- nehmen, die in einer von Professor Dr. Dr. Nöll v, d. Nahmer ver- faßten „Denkschrift über Umfang und Rückzahlungsmöglichkeit der Reichsschuld'4 (angefertigt beim Regierungspräsidenten in Wiesbaden Herbst 1945) enthalten sind. Danach sind die Kriegssachschäden mit 92,4 Milliarden RM anzusetzen : diese Zahl ergibt sich aus angenom- menen Grundstücksschäden in Höhe von 36 Milliarden RM, Schäden an Wohnungseinrichtungen in Höhe von 18 Milliarden RM, Schäden an Gewerbetrieben in Höhe von 30 Milliarden RM und unter Ein- rechnung eines Sicherheitszuschlages von 10% = 8,4 Milliarden RM. Weiterhin ist an die nichtbezahlten Kriegslieferun- gen zu denken; die Abwicklung der Abrechnungen war bereits seit Mitte 1944 wesentlich gestört, so daß wir diesen Posten mit 20 Mil- liarden RM veranschlagen wollen, wesentlich höher als es in der ge- nannten Denkschrift geschehen ist.

Zu diesen drei Posten kommen nun die Entschädi- gungsforderungen der Flüchtlinge für zurückgelas- sene Vermögenswerte, bei denen wir zwischen zurückgelassenem Geld- kapital, zurückgelassenem Realvermögen ohne Hausrat und zurück- gelassenem Hausrat unterscheiden können. Zahlenunterlagen für eine Schätzung existieren nur für das Realvermögen ohne Hausrat, näm- lich in der Finanzstatistik vom Jahre 1935 *), aber auch diese Zahlen existieren selbstverständlich nur für diejenigen Gebiete, die damals zum Reich gehörten, also für die geräumten Gebiete des Altreiches

x) Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1938, S. 538 ff. Finanzarchiv. N. F. 11. Heft 2. 16

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 8: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

236 Rudolf Stucken

östlich der Oder und Lausitzer Neiße; und hier taucht noch die Schwie- rigkeit auf, daß die Oberfinanzamtsbezirke, für die die Finanzstatistik das Zahlenmaterial bringt, sich nicht vollständig mit den geräumten Gebieten decken. Immerhin geben die Zahlenangaben für die Ober- finanzamtsbezirke Ostpreußen, Pommern und Schlesien Anhalts- punkte; (wir folgen hierin der oben genannten Denkschrift). Für den Hausrat nehmen wir einen Prokopfbetrag von 1000. - EM an. Be- züglich des zurückgelassenen Geldkapitals (Wertpapiere, Spar- und andere Guthaben) können wir uns nur an der Bevölkerungsgröße und den allgemeinen Eeichstumsverhältnissen, verglichen mit den entsprechenden Zahlen für das Gesamtreich, unter Berücksichtigung der Zeit der Zugehörigkeit zum Eeich, orientieren. Die Berechnun- gen1) führen zu folgenden Ergebnissen:

Geldkapital Real vermögen Hausrat Summe Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden

RM RM RM RM Sudetenland 6,75 8,80 3,00 18,55 im Kriege eingeglie- derte Ostgebiete 0,50 3,00 1,50 5,00 geräumte Gebiete vom Altreich östlich der Oder-Neiße 4,00 19,50 9^50 33,00

11,25 31,30 14,00 56,55

Insgesamt also rund 56,5 Milliarden EM Entschädigungsforderungen der Flüchtlinge, die zu den früher genannten drei Posten der Beichs- verschuldung hinzukommen.

Weiterhin sind infolge der Beschlagnahme der Aus- landswerte der deutschen Bevölkerung und Entziehung des Eigentums an ihnen (Gesetz des Alliierten Kontrollrates Nr. 5 vom 30. Oktober 1945) sowie infolge der Demontage und Weg- führungvon Betriebseinrichtungen bisher nicht ge- regelte Entschädigungsforderungen gegenüber dem Eechtsnachfolger des Eeiches eitstanden. Wir setzen hierfür die in der mehrfach zitier- ten Denkschrift genannte Zahl von 30 Milliarden EM ein.

*) Die Berechnungen sind im Jahre 1946 für Zwecke eines Gutachtens, das der Verfasser unter Assistenz von Dr. Bruno S e i d e 1 f ür das Groß- hessische Finanzministerium angefertigt hat, durchgeführt worden; dort auch eine ausführliche Behandlung der Schätzungsunterlagen; das Gutachten ist nicht veröffentlicht.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 9: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 237

Insgesamt ergeben sich also folgende Schuldverpflichtungen Milliarden RM

ausgewiesene Reichsschuld 400,00 Kriegssachschäden 92,40 nicht bezahlte Kriegslieferungen 20,00 Entschädigungen der Flüchtlinge 56,55 Auslandswerte und Demontage 30,00

598,95

also rund 600 Milliarden EM. Es ist die Frage zu stellen, ob wir unseren weiteren Untersuchun-

gen diese Zahl von 600 Milliarden zugrunde legen sollen. Wir müssen jedenfalls ins Auge fassen, daß es sich nicht um eine innere Keichs- schuld in dieser Höhe handelt, sondern daß ein Teil der Beichsver- schuldung von Anfang an äußere Ε ei chs schul d gewesen oder im Laufe der Ereignisse geworden ist. Schon während des Krie- ges ist ein Teil der Eeichsemissionen beim „Ausland" untergebracht worden, vornehmlich bei den Eeichskreditkassen, der Verrechnungs- kasse, bei Banken des Protektorats, Polens und der Niederlande. Nach den Berechnungen von Günther Keiser belief sich die ausländische Aufbringung von August 1939 bis Dezember 1942 auf 20,5 Milliarden EM x); ferner im Jahre 1943 allein auf 13,0 Milliar- den EM 2). Es ist anzunehmen, daß die Unterbringung beim Aus- land im letzten Kriegsabschnitt geringer geworden ist, wir wollen deshalb für die Zeit ab Anfang 1944 bis Mai 1945 nur 10 Milliarden EM ansetzen. Mithin sollen insgesamt 43,5 Milliarden EM von der ausgewiesenen Eeichsschuld bis zum Ende der Kampfhandlungen im Ausland untergebracht sein3). Große Beträge waren aber auch in solchen Gebieten untergekommen, die damals zum Eeiche gehörten, späterhin aber geräumt worden sind. Man denke hier an Österreich, das Sudetenland, Elsaß-Lothringen, Luxemburg, Eupen und Mal- medy, die im Kriege eingegliederten Ostgebiete, die Gebiete des Alt- reiches östlich der Oder und Lausitzer Neiße. Wir nehmen an, daß

x) Günther Keiser: Die Hypothek des Krieges, Bankwirtschaft, Jahrgang 1943, S. 93 ff.

2) GüntherKeiser: Geldkapitalbildung und Kreditvolumen, Bank- wirtschaft, Jahrgang 1944, S. 442 ff.

8) In der Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor- schung: Die deutsche Wirtschaft zwei Jahre nach dem Zusammenbruch, Berlin 1947, S. 197, ist dieser Posten auf 40 bis 45 Milliarden RM. geschätzt worden.

16*

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 10: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

238 Rudolf Stucken

zwar nicht alle dort untergebrachten Eeichsschuldtitel dort geblieben sind, aber doch ein erheblicher Teil. Insgesamt möchten wir mit Eeichsschuldtiteln im Betrag von 30 Milliarden rechnen, die durch den Kriegsausgang zur Auslandsschuld geworden sind und die zu den oben bereits genannten 43,5 Milliarden, die gleich beim „Ausland" untergebracht wurden, hinzutreten. Einen gewissen Anteil hat so- dann noch das Ausland an den nicht abgerechneten Kriegslieferungen, so daß wir den auf das Ausland fallenden Teil der Reichsverschul- dung mit 75 Milliarden EM ansetzen können. Bezüglich dieser Aus- landsverschuldung liegen die Verhältnisse durchaus anders als be- züglich der Inlandsverschuldung, es kommt hier insbesondere eine Aufrechnung mit zurückgelassenen Vermögenswerten in Frage. Wir möchten deshalb diesen Teil der Eeichsverschuldung aus unseren wei- teren Betrachtungen ausschließen, zumal wir bezüglich der Behand- lung dieser Schulden garnicht Herr unserer Entschlüsse sind.

Wir wollen sodann noch einen weiteren Posten herausheben, nämlich die Entschädigungsforderungen für zer- störten oder zurückgelassenen Hausrat. Wir wol- len nicht nur hier bei den Schuldverpflichtungen den Hausrat weg- lassen, sondern weiterhin auch bei dem besteuerbaren Vermögen, da es uns zweckmäßig erscheint, gesondert den noch vorhandenen dem verlorenen Hausrat gegenüberzustellen und einen besonderen Lasten- ausgleich zwischen beiden herbeizuführen1). Nach unseren obigen Ausführungen handelt es sich um die Beträge von 18 Milliarden EM zuzüglich 10% = 1,8 Milliarden EM für zerstörten und 14 Milliar- den EM für zurückgelassenen Hausrat ; insgesamt also 33,8 Milliar- den EM.

Wenn wir nun also von der gesamten geschätzten Schuldver- pflichtung des Eeiches in Höhe von nicht ganz 600 Milliarden EM. die Posten Auslandsverpflichtungen und Entschädigungsforderungen für Hausrat absetzen, kommen wir zu Schuldverpflichtungen in Höhe von rund

490 Milliarden EM2), für die wir Deckung durch eine große Vermögensabgabe suchen wollen.

*) Einzelheiten hierzu in dem oben genannten Gutachten und in der Erlanger Dissertation von Bruno Seidel, a. a. O., passim.

2) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt a. a. O. S. 201 die innere Reichsschuld auf 440 Milliarden RM.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 11: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 239

4. Das besteuerbare Vermögen. Bei der Frage, welche Vermögensbeträge zum Zwecke der Staats-

schuldentilgung einer großen Vermögensabgabe unterworfen werden können, vergleicht man vielfach die Zahlen für die Schuldverpflich- tungen mit den Zahlen für das Volksvermögen. Ist es nun richtig, das „besteuerbare' ' Vermögen, d. h. dasjenige Vermögen, das man sinnvoller Weise der Besteuerung unterwerfen kann, mit dem Volks- vermögen gleichzusetzen, oder stehen beide wenigstens in solchem Zusammenhang miteinander, daß beim Wachsen des Volksvermögens auch das besteuerbare Vermögen wächst und daß beim Schrumpfen des einen auch das andere schrumpft ?

Für die Größe des Volksvermögens und für die Größe des be- steuerbaren Vermögens spielen die Eealvermögen die gleiche Bolle, z. B. das land- und forstwirtschaftliche Vermögen, das Grundver- mögen, das aus Sachwerten bestehende Vermögen der gewerblichen Betriebe. Unterschiedlich aber können auf das Volksvermögen einer- seits und das besteuerbare Vermögen andererseits die Forderungen und Schulden wirken. Forderungen und Schulden zwischen Ange- hörigen desselben Staates gleichen sich in ihrer Wirkung auf das Volksvermögen wie auch auf das besteuerbare Vermögen aus, dem Aktivum beim einen steht ein entsprechendes Passivum beim anderen Bürger gegenüber. Forderungen der Bürger gegenüber dem Ausland erhöhen und Schulden der Bürger gegenüber dem Ausland vermin- dern sowohl das Volksvermögen als auch das besteuerbare Vermögen. Schulden des Staates (und ebenso Forderungen des Staates) gegen- über seinen Bürgern aber wirken unterschiedlich auf das Volksver- mögen einerseits und das besteuerbare Vermögen andererseits. Beim Volksvermögen gleichen sich auch hier die Forderungen der Bürger und die Schulden des Staates aus. Beim besteuerbaren Vermögen ist es anders; die Forderungen bilden einen Teil des Aktivvermögens der Steuerpflichtigen, aber wenn der Staat selbst Schuldner ist, fehlt der Steuerpflichtige, der die Schuld von seinem Aktivvermögen ab- setzen könnte. Unterschiedlich wirken auch Schulden des Staates gegenüber dem Ausland auf das Volks vermögen und das besteuer- bare Vermögen; denn das Volksvermögen wird dadurch gemindert, aber das besteuerbare Vermögen bleibt unberührt. Wir müssen aus diesen Feststellungen folgern, daß es in Zeiten starker Veränderung der Staatsschuld unzulässig ist, aus der Größenveränderung des Volks-

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 12: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

240 Rudolf Stucken

Vermögens ohne weiteres auf gleichgerichtete Größenveränderungen des besteuerbaren Vermögens zu schließen.

Die Beziehung zwischen der Größe der Staatsverschuldung gegen- über den Staatsbürgern auf der einen Seite und der Größe des be- steuerbaren Vermögens auf der anderen Seite läßt sich in folgenden Satz kleiden:

Steigt (sinkt) die Verschuldung des Staates gegenüber seinen Bürgern, ohne daß das Eeal- vermögen undder Saldo von Forderungen und Schulden der Bürger gegenüber dem Auslande sich verändern, so steigt (sinkt) auch das be- steuerbare Vermögen.

Wir wollen diesem Satze einige ergänzende Bemerkungen an- schließen. 1. Wollen wir festhalten, daß das besteuerbare Vermögen unter der Voraussetzung gleichbleibenden Eealvermögens bei stei- gender Staatsverschuldung insoweit nicht steigt, als der Gläubiger Ausländer ist. Wir haben deshalb bei unseren nachfolgenden Aus- sagen über die Größe des besteuerbaren Vermögens nur die Inlands- staatsschuld zu berücksichtigen, die wir ja bereits berechnet haben. 2. Es ist zu beachten, daß die Steigerung des besteuerbaren Ver- mögens vielfach nicht bei dem unmittelbaren Gläubiger des Staates vorliegt, sondern beim letzten Geldgeber; ζ. Β. wenn die Sparkassen in Milliardenbeträgen Eeichsschuldtitel übernahmen, so lag eine Ver- mehrung des besteuerbaren Vermögens bei denjenigen Personenkreisen vor, deren Einlagen bei den Sparkassen gewachsen waren, was dann die Sparkassen zur Übernahme von Eeichsschuldtiteln befähigte; oder wenn die Eeichsbank Eeichsschatzwechsel hereinnahm, so lag die Mehrung des besteuerbaren Vermögens bei den Inhabern der in zu- nehmendem Betrag umlaufenden Eeichsbanknoten oder bei den Gläu- bigern der zunehmenden Eeichsbankgiroeinlagen vor. Wenn Banken usw. Eeichsschuldtitel nicht in Zusammenhang mit einer Vermehrung der Einlagen, sondern im Anschluß an die Verminderung der Kredite an die Kundschaft erwarben, dann hatten diejenigen eine Vermeh- rung des besteuerbaren Vermögens aufzuweisen, die die Kredite zu- rückzahlten. (Wir nehmen in diesen Fällen an, daß nicht nur das Eealvermögen im ganzen unverändert erhalten bleibt, sondern auch bei den hier in Frage kommenden einzelnen Wirtschaftssubjekten.)

Es bedurfte dieser grundsätzlichen Ausführungen, um verständ- lich zu machen, daß trotz gewaltiger Vernichtung von Eealvermögen

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 13: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 241

in der Kriegszeit und weiterer Verminderung des Eealvermögens und Fortfalls der Auslandsvermögen in der Zeit nach dem Zusammen- bruch das besteuerbare Vermögen gegenüber der Vorkriegszeit nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Vergleichen wir mit dem 1. Januar 1935. Die ausgewiesene Eeichsverschuldung belief sich damals auf 13,5 Milliarden EM. Zu dieser ausgewiesenen tritt eine Eeichsver- schuldung in Form der Arbeitsbeschaffungswechsel und zwar in Höhe von 3 Milliarden EM1). Also zusammen 16,5 Milliarden EM, davon rund 14,7 Milliarden Inlandsverschuldung. Demgegenüber haben wir die Inlandsreichsverschuldung für die Gegenwart (unter Außeracht- lassung der Entschädigungsforderungen für vernichteten oder zerstör- ten Hausrat) auf 490 Milliarden EM geschätzt; also eine Zunahme um 475 Milliarden EM. An diese Größe reichen die Einbußen bei anderen Teilen des besteuerbaren Vermögens bei weitem nicht heran.

Wir wollen nunmehr der oben festgestellten Zahl für die Höhe der Eeichsverschuldung eine ent- sprechende Zahl für das besteuerbare Vermö- gen gegenüberstellen. Den ersten Posten bildet hier die Inlandsreichsverschuldung selbst in Höhe von 490 Milliarden EM. Man könnte nun dem Einsatz der Forderungen gegen das Eeich mit ihrem Nominalwert in das Vermögen der Steuer- pflichtigen entgegenhalten, daß ja die Eeichsschuld zur Zeit gar nicht bedient wird, daß also ein hoher Abschlag gegenüber dem Nominal- wert am Platze sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß ja der Sinn der ganzen Aktion ist, aus dem Staatsbankrott wieder herauszuführen und die Forderungen, soweit sie nach der Vermögensabgabe verblei- ben, wieder vollwertig zu machen; und daß selbstverständlich die in Frage stehenden Forderungen bzw. die an ihrer Statt in Frage kom- menden Vermögenswerte der mittelbaren Geldgeber (siehe oben S. 240) von einer Verminderung durch die Vermögensabgabe nicht ausgenom- men werden können.

Zweitens beschäftigen wir uns mit dem Eealvermögen, als dessen Hauptposten das land- und forstwirtschaftliche Vermögen, das Grundvermögen und das Eealvermögen der Gewerbebetriebe in Frage kommen.

*) Vgl. vom Verfasser: Deutsche Geld- und Kreditpolitik, Hamburg 1937, S. 127.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 14: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

242 Rudolf Stucken

1. Land- und forstwirtschaftliche s Vermögen. Die Einheitswerte des Altreichsgebietes1) betrugen für den 1. Ja-

nuar 1935 40,9 Milliarden EM. Von dieser Zahl sind die Einheitswerte der geräumten Ostteile des Altreiches abzusetzen. Nehmen wir hier- für wieder die Zahlen für die 3 Oberfinanzamtsgebiete Ostpreußen, Pommern und Schlesien, so ergibt das Einheitswerte in Höhe von 7,43 Milliarden EM. Für Eestdeutschland also Einheitswerte von 33,47 Milliarden EM. Wir wollen hiervon 5% mit Eücksieht auf den Eaubbau der vergangenen Jahre abziehen, das sind 1,67 Milliarden EM. Wir erhalten also als mutmaßliche Höhe der Einheitswerte des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens

31,80 Milliarden EM.

2. Grundvermögen. Die Einheitswerte des Altreichsgebietes betrugen für den 1. Ja-

nuar 1935 78,5 Milliarden EM. Hiervon sind für abgetretene Gebiete abzusetzen 6,70 Milliarden EM, ergibt für Eestdeutschland 71,8 Mil- liarden EM. Wir nehmen an, daß die Neubautätigkeit, die vor allem noch in den Jahren 1935 bis 1939 Platz griff, groß genug war, um die Wertminderung durch die gewöhnliche Abnutzung wie auch durch die gesteigerte Abnutzung in den Kriegs- und den Folgejahren aus- zugleichen. Aber über die Abnutzung hinaus hat eine nennenswerte Zerstörung durch Kriegseinwirkungen stattgefunden. Im Einklänge mit der mehrfach genannten Wiesbadener Denkschrift haben wir als Entschädigungsforderungen für Grundstücksschäden oben 36 Milliar- den EM zuzüglich 10% angesetzt, doch überschreiten diese für Ent- schädigungsforderungen angesetzten Beträge die Einheitswerte, die nur auf 24 Milliarden EM geschätzt worden sind. Wir kommen des- halb für das Grundvermögen zu Einheitswerten in Höhe von 71,8- 24 Milliarden EM =

47,8 Milliarden EM.

3. Das Eealvermögen der Gewerbebetriebe. Das Eohvermögen der Gewerbebetriebe des Altreichsgebietes be-

trug für den 1. Januar 1935 125,5 Milliarden EM. Auf die geräumten Ostgebiete entfallen davon rund 8 Milliarden EM, also auf Eest-

1) Siehe hierzu und für die folgenden Angaben Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 538 ff.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 15: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 243

deutschland 117,5 Milliarden EM. Das Eohvermögen ist nennenswert größer als das Eealvermögen, denn es enthält auch Guthaben, For- derungen und Wertpapiere. Auf Grund zusammenfassender Bilanz- statistiken schätzen wir den Anteil der Forderungen pp. auf 30%, so daß nur 70% des Eohvermögens als Eealvermögen anzusehen sind (die Schulden und sonstigen Abzüge sind in der Finanzstatistik beson- ders aufgeführt und beeinflussen das Eohvermögen nicht); wir kom- men mithin für das Gebiet von Eest deutschland und für den 1. Januar 1935 zu einem Eealvermögen der Gewerbebetriebe in Höhe von 82,28 Milliarden EM. Zweifellos sind seit dem 1. Januar 1935 in den Ge- werbebetrieben gewaltige Investitionen vorgenommen worden, aller- dings doch wohl sehr einseitiger Art, so daß diese nicht ohne weiteres für die Friedensproduktion in Frage kommen. Andererseits sind die vorhandenen Eealvermögen durch Kriegseinwirkungen und Nach- kriegsdemontagen vermindert worden. Die Forderungen für Schäden an Gewerbebetrieben haben wir oben mit 30 Milliarden zuzüglich 10% angenommen, doch überschreiten diese Ansätze die Werte, die nach der Einheitsbewertung in Frage kommen. Ohne auf die Einzel- heiten der Schätzung einzugehen, wollen wir annehmen, daß das oben errechnete Eealvermögen der Gewerbebetriebe insgesamt um 29 Mil- liarden EM vermindert worden ist, wir kommen mithin zu einem Gesamtbetrag für das Eealvermögen der Gewerbebetriebe in Höhe von

53,28 Milliarden EM. Einen großen weiteren Posten könnte der Hausrat bilden.

Doch wollen wir diesen hier nicht einrechnen, sondern den Hausrat- bestand gesondert den Entschädigungsforderungen für zerstörten oder zurückgelassenen Hausrat gegenüberstellen1).

Die Schätzung des Eealvermögens insgesamt stellt sich mithin auf

132,9 Milliarden EM. Wir sind also zu einem besteuerbaren Vermögen

von 490 Milliarden (Inlandsreichsverschuldung) + 132,9 Milliarden (Eealvermögen) gekommen, gleich

622,9 Milliarden EM. Dem Kenner des für die Vermögensbesteuerung in Deutschland

maßgebenden Eeichsbewertungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 mag

l) Siehe Anmerkung 1 oben S. 238.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 16: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

244 Rudolf Stucken

es aufgefallen sein, daß wir von der Systematik des Gesetzes abge- wichen sind und daß wir eine Eeihe von Vermögenswerten nicht be- rücksichtigt haben, die dort im § 67 unter „Sonstiges Vermögen" ge- nannt sind. Das Gesetz mußte anders vorgehen, als wir es getan haben, da es sich dort um die Feststellung des Vermögens der einzelnen Wirt- schaftssubjekte handelt, während wir hier nach dem besteuerbaren Vermögen insgesamt fragen, wobei wir insbesondere Forderungen und Schulden zwischen Steuerpflichtigen aufrechnen konnten. Wir konn- ten deshalb die in § 67, 1, 1 genannten Kapitalforderungen, mit Aus- nahme der Forderungen gegen das Eeich, die berücksichtigt sind, gar nicht nennen. Das Gleiche gilt von den in § 67, 1, 2 genannten Spar- einlagen, Bankguthaben usw. und von den in § 67, 1, 4 und 6 be- handelten Nießbrauchsrechten usw. und noch nicht fälligen Ansprü- chen an Lebens- und Eentenversicherungen. Die unter § 67, 1, 5 und 7 bis 11 genannten Posten konnten wir als relativ unbedeutend unberücksichtigt lassen. Die Nichtberücksichtigung von den in § 67, 1, 3 genannten Aktien, Anteilscheinen 'usw. hat jedoch einen anderen Grund. Nach dem Vermögensteuergesetz vom 16. Oktober 1934 §§ 1 und 4 wird einerseits das Vermögen der Aktiengesellschaft der Besteuerung unterworfen, und andererseits gehören die Aktien zum steuerpflichtigen Vermögen ihrer Eigentümer, man besteuert also erstens das Vermögensobjekt selbst und zweitens die Anteile an die- sem Vermögensobjekt. Eine solche zweifache Besteuerung mag an- gängig sein, wenn es sich um relativ niedrige Steuersätze handelt. Wenn aber das Vermögen der Aktiengesellschaft durch die Vermö- gensabgabe um 50, 60 oder 80% gemindert wird, dann büßen auch die Anteile ähnliche Vomhundertsätze ihres Wertes ein, und die In- konsequenz, die in dieser zweifachen Besteuerung liegt, tritt in einer wirtschaftlich nicht tragbaren Weise in Erscheinung. Wir haben des- halb die Aktien usw. nicht nochmals im besteuerbaren Vermögen be- rücksichtigt.

Nach unserem Vorgehen hätten wir noch den Saldo von Aus- landsvermögen und Auslandsschulden der Bürger zu berücksichtigen. Eindeutige Aussagen lassen sich nur bezüglich des Auslandsvermögens machen, nämlich das Eigentum an den Auslandswerten ist der deut- schen Bevölkerung entzogen ; wir haben deshalb an Stelle dieser Aus- landswerte eine entsprechende Entschädigungsforderung an den Eechtsnachfolger des Eeichs oben bereits berücksichtigt. Über die Auslandsschulden läßt sich kaum eine befriedigende Aussage machen.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 17: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 245

Großenteils sind sie in den vergangenen Jahren durch Zahlungen an die Konversions- und die Verrechnungskasse getilgt worden (wenn auch der Transfer an den Gläubiger vielfach nicht zustande gekom- men ist). Soweit sie nicht getilgt sind, ist ihre weitere Behandlung ungeklärt. Wir sind deshalb genötigt, diesen Posten unberücksichtigt zu lassen.

5. Subjektive und objektive Methode der Besteuerung.

Entsprechend der Art, in der die Vermögensteuer üblicherweise ausgestaltet ist, sind wir daran gewöhnt, die Vermögensteuer als Subjektsteuer anzusprechen. Die subjektive Methode ist dadurch charakterisiert, daß das Vermögen auf das Subjekt bezogen wird. Das heißt : für jedes Steuersubjekt bzw. für die gemeinschaftlich ver- anlagten Wirtschaftssubjekte (Haushaltsbesteuerung) wird das ge- samte zu ihrem Verfügungsbereich gehörige Vermögen unter Abzug der Schulden festgestellt, und dieses Vermögen wird sodann der Be- steuerung unterworfen unter Berücksichtigung von Momenten, die in der Person des Steuerpflichtigen liegen. Die subjektive Methode ermöglicht eine relativ gute Anpassung an die steuerliche Leistungs- fähigkeit der Besteuerten durch Gewährung von Freibeträgen und durch die Ausgestaltung des Tarifs (Progressionstarif). Ein techni- sches Hilfsmittel für die Durchführung der Subjektsteuern ist die Steuerdeklaration, d. h. der Steuerpflichtige hat eine Erklärung über die für die Besteuerung relevanten Tatbestände abzugeben. Diese im modernen Steuersystem bevorzugt angewandte subjektive Methode gewährleistet allerdings nur dann diese Vorteile, wenn es möglich ist, die Minderleistungsfähigen so zu entlasten, daß sie nicht propor- tional zu ihrem Vermögen, sondern unterproportional zur Steuerlei- stung herangezogen werden. Dieser Schonung der Minderleistungs- fähigen setzt nun aber die Eücksicht auf das zu erzielende Steuer- aufkommen eine Grenze. Ist dieses angestrebte Steueraufkommen von solcher Höhe, daß nicht nur die großen Vermögen mit äußerster Schärfe zur Steuerleistung herangezogen werden müssen, sondern daß auch den kleinen und mittleren ausnahmslos in gleichem Verhältnis Opfer auferlegt werden müssen, dann entfällt der Vorteil der sub- jektiven Methode.

Im deutschen Vermögensteuergesetz vom 16. Oktober 1934 hat man zwar von der Progression keinen Gebrauch gemacht1), wohl

*) Anders im jetzt maßgebenden Kontrollratsgesetz Nr. 13 vom 11. 2. 46.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 18: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

246 Rudolf Stucken

aber von dem Mittel der Freibeträge. Und zwar hat man natürlichen Personen folgende Preibeträge zugebilligt: 10 000.- KM in jedem Fall, 10 000. - EM für die Ehefrau des Steuerpflichtigen und einen gleichen Betrag für jedes minderjährige Kind des Steuerpflichtigen, das zu seinem Haushalt gehört. Diese Preibeträge wirkten sich der- art auf die Höhe des steuerpflichtigen Vermögens aus, daß dieses bei natürlichen Personen nach dem Stande vom 1. Januar 1935 nur 39 Milliarden EM betrug1). Allerdings gab es daneben bei nicht- natürlichen Personen ein steuerpflichtiges Vermögen von 28 Milliar- den EM2), aber es ist zu beachten, daß diese beiden Posten nicht einfach addiert werden können; denn im steuerpflichtigen Vermögen der nichtnatürlichen Personen ist das Vermögen der Aktiengesell- schaften usw., in dem steuerpflichtigen Vermögen der natürlichen Personen aber sind großenteils die Anteile an diesen Gesellschaften enthalten, und wie oben (S. 244) ausgeführt, ist diese zweifache Be- steuerung vielleicht bei relativ niedrigen Steuersätzen tragbar, nicht aber bei den Sätzen, die für eine große Vermögensabgabe in Frage kommen. Der Abstand des damaligen steuerpflichtigen Vermögens von dem, was wir als besteuerbares Vermögen bezeichnen, ist so rie- sengroß, daß wir zu dem Schlüsse kommen müssen, daß, um das finanzpolitische Ziel zu erreichen, bei der Vermögensabgabe keines- falls solche Freibeträge in Frage kommen.

Wenn wir nun einmal für die Gegenwart die Höhe der Eeichs- verpflichtungen der Höhe des besteuerbaren Vermögens gegenüber- stellen, 490 Milliarden EM gegenüber 623 Milliarden EM, dann müs- sen wir feststellen, daß 80% oder 4/5 des besteuerbaren Vermögens erforderlich sind, um die Eeichsschuld mit dem Aufkommen an Ver- mögensabgabe zu decken. Es hat wohl keinen Zweck, für irgend- welche Vermögen über den Satz von 80% hinauszugehen, und auch der Satz von 80% ist mit den Mitteln der Subjektbesteuerung nicht effektiv zu machen. Man müßte ja auch schon mittelgroße Vermögen hundertprozentig konfiszieren, wollte man Vermögen bis zu 10 000 EM von der Vermögensabgabe freilassen und doch das finanzpolitische Ziel der Deckung der Eeichsverpflichtungen durch die Vermögens- abgabe erreichen. Das gleiche müßte geschehen, wollte man die klei- neren Vermögen durch Einführung eines Progressionstarifes merklich

*) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, S. 542 f. 2) Ebenda S. 541.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 19: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 247

schonen. Wir kommen hier zu der Erkenntnis, daß die Frage, ob Frei- grenzen und Progression oder schlechthin proportionale Besteuerung, nicht allein nach dem sozialpolitischen Willen zu entscheiden ist, son- dern daß das angestrebte Steueraufkommen unter Umständen den Verzicht auf diese sozialpolitische Ausgestaltung der Besteuerung aufzwingt.

Der subjektiven Methode, deren wesentlichste Vorzüge angesichts des finanzpolitischen Zieles im vorliegenden Falle nicht zu realisieren sind, stellen wir nun die objektive Methode gegenüber. Diese ist bei der Vermögensbesteuerung dadurch charakterisiert, daß die einzelnen Vermögensobjekte besteuert werden, ohne daß eine Zusammenfas- sung der Objekte, über die ein Steuerpflichtiger verfügt, erfolgt und ohne daß die beim Steuerpflichtigen herrschenden persönlichen Ver- hältnisse berücksichtigt werden. Freigrenzen und Progression nach der Höhe des Vermögens des Steuerpflichtigen entfallen, zumal das Gesamtvermögen der einzelnen Steuerpflichtigen gar nicht ermittelt wird. Das schließt grundsätzlich nicht aus, daß die einzelnen Arten von Steuerobjekten mit unterschiedlichen Steuersätzen belegt wer- den und daß innerhalb der Steuerart die einzelnen Steuerobjekte nach ihrer Größe nicht proportional, sondern progressiv besteuert werden. Aber ebenso wie der angestrebte Ertrag der Abgabe die Pro- gression nach der Höhe des Gesamtvermögens ausschließen kann, vermag er auch eine solche Differenzierung der Steuersätze auszu- schließen1).

6. Die Vermögensabgabe nach der objektiven Methode im einzelnen.

Wir wollen zunächst von folgender finanzpolitischen Aufgabe aus- gehen: 1. Die Eeichsverpflichtungen sind in solcher Weise zu redu- zieren, daß die verbleibende Eestschuld aus Mitteln, die aus der Ver- mögensabgabe aufkommen, bedient werden kann; 2. die Vermögens- minderung bei den Besitzern von Bargeld, von auf Eeichsmark lau- tenden Forderungen und von Kealvermögen soll im gleichen Ver- hältnis vollzogen werden. Dies führt uns zu folgender Gestaltung der Vermögensabgabe nach der objektiven Methode:

1. Alles vorhandene Stückgeld einschließlich des für den deut-

*) Wit halten allerdings eine Differenzierung zugunsten des Hausrates für angebracht, um die Widerstände gegen die Hausratsbelastung herabzumindern.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 20: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

248 Rudolf Stucken

sehen Verkehr bestimmten Besatzungsgeldes ist zu einem Stichtag im Verhältnis 5:1 zusammenzulegen.

2. Alle am Stichtag bestehenden Geldforderungen, gleichgültig ob fällig oder nicht, sind ebenfalls im Verhältnis 5:1 zusammenzu- legen, und zwar nicht nur die gegenüber der öffentlichen Hand, son- dern auch die gegenüber Privaten bestehenden Geldforderungen; aus- genommen von der Zusammenlegung sind Geldforderungen für die Lieferung oder zeitweilige Überlassung von Gütern und für Leistun- gen, insoweit die Lieferung oder die Leistung nach dem Stichtag er- folgt oder die Geldforderung eine Überlassung für einen Zeitraum nach dem Stichtage betrifft.

3. Das am Stichtag vorhandene Eealvermögen ohne Schulden- abzug wird mit einer Steuer in Höhe von 4/5 des Wertes belegt. Inso- weit eine alsbaldige Abtragung der Steuer nicht möglich ist, ist die Steuerschuld mit 3% jährlich zu verzinsen und mit mindestens 1% zuzüglich ersparter Zinsen zu tilgen, bzw. es ist eine entsprechende Staatsbeteiligung einzuräumen.

Wir müssen hier einige Erläuterungen anfügen: Zu Punkt 1. Dieser verlangt die Zusammenlegung des Stück-

geldes im Verhältnis 5:1. Wenn 4/5 alles vorhandenen Vermögens staats- seitig in Anspruch genommen wird, ist es notwendig, entsprechend auch beim Stückgeld vorzugehen. Diese Zusammenlegung ist auch erforderlich, um bei der Notenbank den Ausgleich für die in Punkt 2 vorgesehene Zusammenlegung aller am Stichtag vorhandenen For- derungen zu schaffen. Dadurch wird automatisch eine Herabmin- derung des Stückgeldes auf 1/5 erreicht ; eine weitere Herabminderung des Stückgeldes versprechen wir uns von der Handhabung dieser Zusammenlegung. Der technisch einfachste Weg wäre, den Nennwert der am Stichtag vorhandenen Geldsorten auf 1/-5 herabzusetzen unter Beibehaltung der bisher vorhandenen Scheine und Münzen. Nun ist es aber bekannt, daß das Stückgeld keineswegs gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt ist, sondern sich bei denen, die am schwarzen Markt beteiligt sind, ballt; große Gewinne sind bei verbotenen Ge- schäften gemacht worden und nicht versteuert worden und haben ihren Niederschlag in den gehorteten Stückgeldbeträgen dieser Per- sonenkreise gefunden. Es besteht keinerlei Interesse daran, daß diese Leute mit relativ großen Barbeständen nach der durch die Vermögens- abgabe herbeigeführten Geldneuordnung dastehen. Es empfiehlt sich vielmehr, die Geldstücke umzutauschen, und insoferne größere als be-

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 21: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 249

stimmte Höchstbeträge zum Umtausch eingereicht werden, eine eides- stattliche Erklärung über die Herkunft der Gelder zu verlangen. Wir versprechen uns davon, daß große Beträge nicht eingereicht werden und dann verfallen, weil die Eigentümer die Strafverfolgung wegen Schwarzhandel oder Steuerhinterziehung zu gewärtigen haben.

Zu Punkt 2. Die Zusammenlegung aller Forderungen im Ver- hältnis 5:1 sichert unmittelbar die Herabminderung der Eeichsschuld auf 1/5. Diese Herabminderung ist nur durchführbar, wenn auch die Forderungen zwischen Privaten ebenso behandelt werden; wir er- innern nur an die Einlagen bei Kreditinstituten, denen auf der Aktiv- seite der Bilanz in der Hauptsache Eeichswerte gegenüberstehen. Inso- weit beim Schuldner der Forderung Eealvermögenswerte gegenüber- stehen, ist doch die Zusammenlegung der Forderung auf */5 erfor- derlich, um für die unter Punkt 3 vorgesehene Vermögensabgabe vom Eealvermögen Erfüllungsmöglichkeiten zu schaffen, zumal ein Schul- denabzug beim Eealvermögensbesitzer nicht vorgesehen ist. Diese Zu- sammenlegung der Forderungen soll, abgesehen von der ausdrück- lich vorgesehenen Ausnahme für Lieferungen und Leistungen nach dem Stichtag, die den Weiterbestand des bisherigen Preis- und Lohn- niveaus zum Ziele hat, alle Forderungen betreffen, also alle For- derungen aus langfristigen, mittelfristigen oder kurzfristigen Schuld- verschreibungen, alle hypothekarisch gesicherten Kredite von Banken und anderen, alle Einlagen bei Kreditinstituten, alle Forderungen der Banken und sonstigen Geschädigten gegenüber dem Eeich, alle For- derungen aus Warenlieferungen und Leistungen, insoweit die Lie- ferungen und Leistungen vor dem Stichtag erfolgt sind. Geldfor- derungen für Lieferungen und Leistungen, die nach dem Stichtag erfolgt sind, werden ausgenommen. Ohne eine solche Ausnahme würde das ganze Preis-, Lohn- und Einkommensniveau automatisch auf 2/5 gesenkt, was unbedingt vermieden werden muß, denn andernfalls würde die Herabminderung der Eeichsschuld auf 1/5 von einer Herab- minderung der Umsätze, Einkommen und mithin auch der Steuer- einnahmen auf 1/5 begleitet.

Zu Punkt 3. Das am Stichtag vorhandene Eealvermögen soll mit einer Steuer in Höhe von 4/5 des Wertes belegt werden. Schulden sind von dem Wert nicht in Abzug zu bringen, da diese gemäß Punkt 2 ja auch auf x/5 reduziert werden. Das Eealvermögen der Land- und Forstwirtschaft und das Eealvermögen am Haus- und Grundbesitz werden durch die dafür festgestellten Einheitswerte er-

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 22: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

250 Rudolf Stucken

faßt. Zur Bewertung des Eealvermögens der Gewerbebetriebe können wir uns zwar nicht der Einheitswerte als solcher bedienen, wohl aber der Werte für das Eohvermögen, von denen bei der Peststellung der Einheitswerte ausgegangen wird. Die Einheitswerte selbst kommen deshalb nicht in Frage, weil bei ihrer Berechnung die Schulden des gewerblichen Betriebes abgesetzt werden. Das Kohvermögen enthält nun neben dem Eealvermögen auch die Forderungen, die ja bereits durch die Zusammenlegung betroffen werden und nicht noch ein zweites Mal erfaßt werden sollen, und Anteilspapiere, für die das oben S. 244 Gesagte gilt. Aus dem Eohvermögen sind deshalb die Forderun- gen pp. auszuscheiden, und es sind aus den für die Einheitsbewertung vorhandenen Unterlagen ausschließlich die Eealvermögenswerte her- auszuheben. Soll dem Grundgedanken dieses Vorschlages entspro- chen werden, so muß das gewerbliche Eealvermögen für den Stich- tag neu festgesetzt werden, da bei den gewerblichen Betrieben im Laufe der Zeit mit nennenswerten Veränderungen zu rechnen ist, insbesondere auch in der Weise, daß entweder Eealvermögenswerte in Geldvermögen oder Geldvermögen in Eealvermögenswerte über- führt werden.

Es bleibt nun die Frage offen, ob und in welcher Weise Werte, die bisher nicht genannt sind, der Vermögensabgabe zu unterwerfen sind. Beteiligungen, ζ. Β. in der Form der Aktien oder der Anteile an G. m. b. H.s, verlieren bei der Durchführung der bisher genannten Maßnahmen automatisch 4/5 ihres Wertes, sie sind deshalb nicht der Vermögensabgabe zu unterwerfen. Dasselbe gilt von Ansprüchen aus Lebens- und Kapitalversicherungen und Eentenversicherungen, da die bis zum Stichtag erworbenen Anwartschaften im Einklang mit der Zusammenlegung der Forderungen und der Besteuerung der Eealvermögenswerte, über die der Versicherer verfügt, auch auf x/5 absinken müssen. Der Kapitalwert der Nießbrauchsrechte ist eben- falls nicht gesondert der Vermögensabgabe zu unterwerfen, da das Objekt, an dem das Eecht besteht, bereits durch die Vermögens- abgabe getroffen wird. (Sollte allerdings der Nießbrauchsberechtigte nicht anteilig an den Lasten des Objektes beteiligt sein, so ist ein gerechter Ausgleich zwischen dem Nießbrauchsberechtigten und dem Lastenträger ins Auge zu fassen.)

Folgende nach dem Eeichsbewertungsgesetz § 67 noch zum Son- stigen Vermögen gehörigen Vermögenswerte sind an Hand der Ein- heitsbewertung nicht zu erfassen und müssen gesondert auf Grund

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 23: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 251

von Deklarationen der Steuerpflichtigen erfaßt werden: Urheber- rechte, geschützte und nicht geschützte Erfindungen (§ 67, 1, 5); der Überbestand an umlaufenden Betriebsmitteln eines land- und forst- wirtschaftlichen Betriebs (§ 67, 1, 7) und die in § 67, 1> 8 genannten ähnlichen Wirtschaftsgüter; die Vermögensgegenstände gemäß § 67, 1, 9 (Edelmetalle, Edelsteine und Perlen), § 67, 1, 10 (Gegenstände aus edlem Metall, Schmuckgegenstände usw.) und § 67, 1, 11 (Kunst- gegenstände und Sammlungen). Es handelt sich hier nur um be- schränkte Größen, so daß wir sie oben bei der Berechnung des Keal- vermögens unberücksichtigt gelassen haben. Die Deklarationen könn- ten formularmäßig mit denjenigen Deklarationen verbunden wer- den, die in Zusammenhang mit der Hausratsbelastung erforderlich werden.

Wir glauben, daß die Vermögensabgabe bei Anwendung dieser objektiven Methode technisch zu bewältigen ist, trotzdem die Gesamt- bevölkerung von der Vermögensabgabe erfaßt wird. Die Möglichkeit, auch kleine Vermögen für Zwecke einer Vermögensabgabe zu erfas- sen, erachtete man in England bei den Verhandlungen des Colwyn- Committee in den zwanziger Jahren nicht als gegeben, wobei man damals die subjektive Methode der Besteuerung im Auge hatte1). Auch die Experten der Labour-Party, deren Vorschlag den Ver- handlungen des Committee zugrunde gelegt wurde, waren zu dem Schluß gekommen, daß eine Freigrenze von 5 000 Pfund - damals etwa 100 000. - EM! - erforderlich sei, um eine finanztechnische Lösung der Aufgabe möglich zu machen. Es gehörte schon der Eeich- tum Englands dazu, daß man trotz dieser hohen Freigrenze glaubte, bei geeigneter Gestaltung des Tarifes einen Ertrag der Abgabe in Höhe von 3 Milliarden Pfund erreichen zu können. Abgesehen davon, daß in unserem Falle schon der angestrebte Ertrag der Abgabe dazu zwingt, von der Entlastung der kleinen Vermögen Abstand zu neh- men, zwingt auch der Gesichtspunkt der Steuertechnik eine Methode auf, bei der nur eine proportionale Belastung der Vermögen unter- schiedlicher Größe in Frage kommt.

Wir werden an späterer Stelle sehen, daß eine so weitgehende Belastung möglicherweise ernste Folgen für die Gestaltung des Wirt- schaftslebens hat, insbesondere für die Höhe der Beschäftigung und

*) Report of the Committee on National Debt and Taxation, London 1927, Cmd. 2800, S. 251 f .

Finanzarchiv. N. F. 11. Heft 2. 17

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 24: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

252 Rudolf Stucken

die Größe des Sozialproduktes. Man kann infolgedessen die finanz- politische Aufgabe evtl. anders stellen. Wir halten zunächst an der Forderung, daß die Besitzer von Bargeld, Forderungen und Eeal- vermögen in gleichem Verhältnis getroffen werden, fest, aber wir ver- langen nicht, daß die ganze nach der Zusammenlegung verbleibende Bestschuld durch die Vermögensabgabe gedeckt wird, sondern neh- men an, daß aus dem Haushalt nennenswerte Beträge zur Befrie- digung der Forderungsberechtigten beigesteuert werden können. Dies ermöglicht eine geringere Zusammenlegung als im Verhältnis 5:1 und eine geringere Belastung des Eealvermögens als mit 4/5 des Wertes. Wir wollen nun annehmen, daß die Zusammenlegung nur im Ver- hältnis 1:3 und die Belastung des Kealvermögens entsprechend nur mit % des Wertes erfolgen soll. % des besteuerbaren Vermögens sind gleich 415 Milliarden, 75 Milliarden EM an Eeichsverpflichtungen sind dann nicht gedeckt, ihre Verzinsung und Tilgung müßte dann also aus allgemeinen Haushaltsmitteln erfolgen, d. h. bei 3% Ver- zinsung und 1% Tilgung zuzüglich ersparter Zinsen müßten aus all- gemeinen Haushaltmitteln jährlich 3 Milliarden EM beigesteuert werden. (Wir können uns diese Eechnung auch folgendermaßen vor Augen führen: Durch die Zusammenlegung im Verhältnis 3:1 wer- den die Eeichsverpflichtungen auf rund 163 Milliarden EM reduziert. Die Zahlungen der Eealvermögensbesitzer decken aber nur reichlich 88 Milliarden EM, bleibt also der oben genannte Eest von 75 Milliar- den EM aus allgemeinen Haushaltmitteln zu bedienen.)

Lassen wir nun einmal die Forderung, daß die Besitzer von Bar- geld, Forderungen usw. gleichmäßig getroffen werden, fallen, neh- men aber die Forderung wieder auf, daß die ganze verbleibende Eest- schuld durch die Belastung des Eealvermögens gedeckt wird. Zum Beispiel in der Weise, daß die Forderungen gegenüber dem Eeich in schärferem Maße zusammengelegt werden als 5:1, daß aber die Sachwertbesitzer nicht in gleichem Verhältnis belastet werden, also mit weniger als 4/5 des Wertes, da dies zur Deckung der nach der Zusammenlegung verbleibenden Verpflichtungen des Eeiches aus- reicht. Von einem Fortschritt in sozialer Eichtung kann dabei kaum die Eede sein, denn zu den Forderungsberechtigten gehören ja Flücht- linge, Bombengeschädigte usw., ferner bilden die Forderungsrechte auch den Gegenposten zu Spareinlagen usw., so daß mit einer schär- feren Zusammenlegung der Forderungen auch eine schärfere Zusam- menlegung der Spareinlagen usw. verbunden sein müßte. Je mehr

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 25: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 253

man von dem Grundsatz gleichmäßiger Vermögensminderung zu Un- gunsten der Forderungsberechtigten abweicht, um so leichter ist selbst- verständlich die finanzpolitische Aufgabe zu lösen ; schließlich kommt man dann dahin, daß man sich wieder Freibeiträge und Progression der Steuersätze „leisten* * kann, und zwar unter Übergang von der objektiven zur subjektiven Methode der Besteuerung.

7. Die Auswirkung der Vermögensabgabe auf die Steuereinnahme der Folgezeit.

Die Auswirkung der Vermögensabgabe und der mit ihrem Ertrag bewirkten Verminderung der englischen Staatsschuld auf die zukünf- tigen Steuereinnahmen hat im Colwyn- Committee eine große Bolle gespielt1). Man konstatierte, daß der Einsparung am Schuldendienst eine wesentliche Einbuße an Steuereinnahmen gegenübertrete, so daß die Nettoentlastung des Haushaltes durch die Vermögensabgabe weit hinter der Bruttoentlastung zurückbleibe. Im Bericht ist vermerkt, daß Ρ i g ο u und Κ e y n e s , die sich zunächst nach dem ersten Weltkrieg für die Erhebung einer großen Vermögensabgabe zur Staats- schuldenverminderung ausgesprochen hatten, später unter dem Ein- druck der Erkenntnis, welche Einbuße an Steuereinnahmen in der Zukunft daraus resultiere, ihr Urteil revidiert haben und Gegner der großen Vermögensabgabe wurden. Der Board of Inland Eevenue schätzte, daß bei einer Bruttoeinsparung am Schuldendienst in Höhe von 125 Millionen pro Jahr infolge der Minderung der Einkommen und Vermögen eine Einbuße an Steuereinnahmen von 77 Millionen pro Jahr zu erwarten sei, wodurch sich die Nettoeinsparung auf 48 Millionen verringert. Wir müssen die Frage aufwerfen, ob in unserem Falle mit einem ähnlichen Ergebnis zu rechnen ist. Wir wollen diese Frage unter der Annahme behandeln, daß die Aktivität im Wirt- schaftsleben unter der Einhebung der Vermögensabgabe und Keduk- tion der Eeichsschuld nicht leidet, daß also die Beschäftigung dadurch nicht beeinträchtigt wird, daß Volkseinkommen und Volksvermögen unverändert bleiben, Annahmen, die auch den obigen Berechnungen des Colwyn-Eeports zugrunde liegen. Wenn das Colwyn- Committee mit einer Minderung des besteuerbaren Vermögens und Einkommens bei gleichbleibendem Volksvermögen und Volkseinkommen rechnete, dann ist ihm offensichtlich eine Erkenntnis schon aufgegangen, die

l) Keport, S. 254 f. 17*

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 26: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

254 Rudolf Stucken

in der Gegenwart Hoch oft übersehen wird, nämlich daß besteuerbares Einkommen und Vermögen einerseits und Volkseinkommen und -ver- mögen andererseits sich unterschiedlich entwickeln können ; (wir haben oben ausgeführt, daß dies ja gerade in Zusammenhang mit der Größe der Staatsschulden geschehen kann).

Die besonderen Bedingungen, unter denen die Einhebung einer Vermögensabgabe und Eeduktion der Eeichsschuld heute stehen wür- den, läßt sich folgendermaßen formulieren: Wenn nicht eine große Vermögensabgabe eingehoben wird, dann ist nicht daran zu denken^ daß der Eechtsnachf olger des Eeiches die Eeichsschuldverpflichtungen irgendwie erfüllt. Werden sie aber auf längere Sicht nicht erfüllt, dann ist ihr Vermögenswert gleich Null. Eine vorhandene Forderung an das Eeich kann demgemäß nicht als besteuerbares Aktivum an- gesehen werden. Ebensowenig fallen dann besteuerbare Einkommen aus Zinszahlungen des Eeiches oder seines Eechtsnachfolgers an, da ja keine Zinsenzahlung erfolgt. Demgegenüber kam der englische Staat damals, als das Colwyn-Committee tagte, und auch späterhin seinen Schuldverpflichtungen nach, die Schuldtitel des Staates bil- deten demgemäß einen Teil des besteuerbaren Vermögens und die Zinszahlungen einen Teil des besteuerbaren Einkommens.

Es liegt in unserem Falle also so, daß erst die Einhebung der Vermögensabgabe und Eeduktion der Eeichsschuldverpflichtungen auf einen geringeren Nominalbetrag diesen Teilbetrag neu zum be- steuerbaren Vermögen treten läßt und daß die Aufnahme der Zinszahlung auf diesen Teilbetrag erst neue besteuerbare Einkom- men bei den Zinsempfängern entstehen läßt. Also bei den Inhabern von Forderungen gegen das Eeich entstehen neue besteuerbare Ver- mögen und Einkommen. Demgegenüber ist nun die Lage des Eeal- vermögensbesitzers zu betrachten. Sein besteuerbares Vermögen wird durch die Wegsteuerung eines Teiles des Wertes reduziert; das gilt auch dann, wenn er die Vermögensabgabe nicht gleich entrichten kann und mit langfristiger Zins- und Amortisationsleistung belegt wird; denn das Vermögen ist doch geringer, wenn der Besitzer in dieser Weise belastet ist, als wenn er unbelastet ist. Auch das be- steuerbare Einkommen des Eealvermögensbesitzers ist geringer, wenn er die Vermögensabgabe aus seinem Vermögen entrichtet hat oder wenn er langfristige Zins- und Tilgungsverpflichtungen auf seine Abgabeschuld zu entrichten hat, als wenn das nicht der Fall wäre. Wir , haben also grundsätzlich Anwachsen von besteuerbarem Ver-

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 27: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 255

mögen und Einkommen bei den Forderungsberechtigten und Abnahme bei den Eealvermögensbesitzern. Die beiden Größen müssen dann gleich sein, wenn die Vermögensabgabe der Eealvermögensbesitzer mit der Höhe der nach der Zusammenlegung verbleibenden Best- schuld übereinstimmt und wenn alle Zinszahlungen der Eealver- mögensbesitzer ausschließlich zur Zinszahlung an die Forderungs- berechtigten und alle Tilgungszahlungen der erstgenannten auch nur zu Tilgungszahlungen an die letztgenannten verwandt werden.

Nun haben wir oben eine Variante behandelt, bei der die zuletzt besprochene Bedingung nicht erfüllt ist. Nämlich die Möglichkeit, daß die Forderungen nur im Verhältnis 3:1 zusammengelegt und die Eealvermögensbesitzer nur mit % des Vermögenswertes belastet wer- den, daß zum Ausgleich dann 3 Milliarden EM. für die Bedienung der Schuldverpflichtungen aus dem allgemeinen Haushalt beige- steuert werden. In diesem Falle nimmt das besteuerbare Vermögen und Einkommen der Forderungsberechtigten sogar stärker zu, als das besteperbare Vermögen und Einkommen der Eealvermögensbe- sitzer abnimmt. Wir konstatieren also: Der Entschluß, 3 Milliarden EM aus allgemeinen Haushaltsmitteln für die Bedienung der For- derungen beizusteuern, bedeutet nicht eine Nettobelastung des Haus- haltes um 3 Milliarden EM, sondern um einen geringeren Betrag, weil bei den Inhabern dieser Forderungen dadurch besteuerbare Ver- mögen und Einkommen entstehen.

Wir haben also die im Colwyn-Eeport angeschnittene Frage unter der Annahme anderer Bedingungen behandelt als dort gesetzt waren. Unter diesen anderen Bedingungen sind wir zu andersartigen, schließ- lich diametral entgegengesetzten Ergebnissen gekommen. Wir haben hier also wieder einmal den Fall vor uns, daß eine Lehre nur unter ganz bestimmten Bedingungen, die ausdrücklich oder stillschweigend angenommen worden sind, gilt, daß sie unter bestimmten anders- artigen Bedingungen nicht gilt und daß diese andersartigen Bedin- gungen in einer andersartigen historischen Situation Aktualität ge- winnen.

Wir sind also für den Fall, daß sich die Eestschuld und die Abgabe der Eealvermögensbesitzer decken, zu dem Ergebnis gekom- men, daß sich die besteuerbaren Einkommen und Vermögen bei der oben angenommenen Verwendung der eingehenden Beträge nicht ändern. Das heißt aber doch nicht, daß sich die dem Haushalt bei gegebenen Sätzen der Einkommen-, Vermögen-, Erbschaftsteuer usw.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 28: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

^56 Rudolf Stucken

zufließenden Steuerbeträge nicht ändern. Denn es ist zu beachten, daß eine andersartige Verteilung der Vermögen und Einkommen ein- tritt. Die Erhebung der Vermögensabgabe und das Wiederaufleben der zur Zeit ruhenden Forderungen führt voraussichtlich eine Nivel- lierung der Vermögen und Einkommen gegenüber einem Zustand, in dem auf beides verzichtet wird, herbei. Denn die Vermögen und Einkommen der Eealvermögensbesitzer sind durchschnittlich größer als die Vermögen und Einkommen derjenigen Personenkreise, die durch das Aufleben der Forderungen begünstigt werden. Diese anders- artige Vermögens- und Einkommçnsveít eilung mindert die Steuer- einnahmen bei der herrschenden Art der Besteuerung, nämlich bei den herrschenden Progressionstarifen; wenn ein Einkommen von 100 000.- EM auf 95 000.- EM vermindert wird, entfällt mehr an Steuern, als durch Steigerung eines Einkommens von 5 000. - EM auf 10 000.- EM an Steuern zuwächst. Diese Einbuße für den öffent- lichen Haushalt sieht auf der Passivseite des ganzen Verfahrens, während andererseits die Nivellierung der Einkommen pj^. und der Lastenausgleich unter sozialpolitischem Aspekt positiv zu werten sind.

8. Die Auswirkung auf die Geldmenge. Im Golwyn-Oommittee hat man sich Gedanken darüber gemacht,

ob die Einhebung einer großen Vermögensabgabe die Tendenz habe, die Geldmenge zu vermindern oder zu vermehren. Man strebte kei- nerlei Verminderung der Geldmenge an, denn man hatte nicht eine Geldschwemme, einen Geldüberhang, wie wir ihn heute als Folge der kriegsbedingten Geldschöpfung bei blockierten Preisen und Löhnen haben; man fürchtete vielmehr, daß eine etwa resultierende Geld- mengenverminderung eine Depression herbeiführen würde mit allen üblichen Folgen. Man wollte aber auch keine Geldmengenvermehrung, die eine Preissteigerung und Verschlechterung der Zahlungsbilanz hervorrufen würde. Man wäre froh gewesen, wenn man eindeutig hätte sagen können, daß die Vermögensabgabe die Geldmenge unbe- einflußt lasse. Man mußte sich vielmehr damit abfinden, daß sich die Wirkung auf die Geldmenge nicht mit Bestimmtheit voraussagen lasse, konnte sich aber damit trösten, daß bei geeignetem Verhalten des Staates und der Notenbank Tendenzen zur Inflation wie auch zur Deflation ausgeglichen werden könnten1). Im Gegensatz zu dem,

*) Report, S. 272 f.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 29: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 257

was damals war, haben wir der großen Vermögensabgabe auch die Aufgabe gestellt, die Geldmenge, der bei den blockierten Preisen und Löhnen kein entsprechender Güterstrom gegenübertritt, zu reduzie- ren. Im unmittelbaren Anschluß an den Stichtag, von dem die Bede war, soll die Geldmenge auf einen Bruchteil vermindert werden, und wir hoffen, daß diese Verminderung genügt, wohingegen dann im weiteren Verlauf der Jahre kein Interesse mehr an weiterer Vermin- derung der Geldmenge bestehen soll; so daß wir also von den Zah- lungen, die die Realvermögensbesitzer zur Verzinsung und Tilgung ihrer Abgabeschuld im Laufe von Jahren zu leisten haben, keine wei- tere Verminderung der Geldmenge erstreben.

Wie steht es denn grundsätzlich mit der Wirkung von Steuer- zahlungen auf die Geldmenge? Der Laie neigt dazu, anzunehmen, daß die Steuererhebung grundsätzlich die Geldmenge vermindere. Denn er geht von der eigenen Erfahrung aus, daß er, wenn er Zahlungen für Steuerzwecke leisten muß, weniger Geld zur Verfügung hat, als er ohne diese Steuerleistung zur Verfügung hätte. Aber gewöhnlich gibt doch der Staat das empfangene Geld alsbald wieder aus, es geht also wieder in den Wirtschaftskreislauf ein; bis zu diesem zweiten Akt aber denkt der Laie meistens nicht. Exakter ausgedrückt: Wenn der Steuerpflichtige Geldbeträge, die ihm für Leistungen an den Gütermarkt, also für Warenlieferung, Arbeitsleistung und dgl., zu- geflossen sind, an den Staat abführt und der Staat diese eingehenden Geldbeträge alsbald wieder zu Zahlungen verwendet, und zwar an solche, die die empfangenen Geldbeträge alsbald weiter am Güter- markt verwenden, dann ist kein unmittelbarer Anlaß zur Geldmen- genvermehrung oder -Verminderung vorhanden; (durch geeigneten „Vorgriff* auf die erwarteten Staatseinnahmen läßt sich auch ver- hindern, daß die „Umlaufsgeschwindigkeit " des Geldes, d. h. die Zahl von Malen, die das Geld zu Umsätzen von Gütern gegen Geld ver- wandt wird, infolge des Umwegs über die Staatskasse sinkt). Anders liegt es in dem Falle, daß der Steuerpflichtige zwecks Zahlung seiner Steuerschuld einen Kredit bei einer Bank nimmt; in diesem Falle liegt eine Geldschöpfung vor - die Bank schöpft den Kredit, indem sie ihrem Kunden den Betrag auf Girokonto gutschreibt, über den der Kunde dann verfügt; es liegt in diesem Falle eine Tendenz zur Geldmengenvermehrung vor. Allerdings kann diese Geldschöpfung in ihrer Wirkung auf die Geldmenge dadurch kompensiert werden, daß ein anderer Kunde einen früher bei der Bank genommenen Kredit

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 30: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

258 Β udo If Stucken

zurückzahlt, und zwar aus Geld, das ihm im Wirtschaftsverkehr zu- geflossen ist, oder daß ein Kunde bei der Bank einen entsprechenden Betrag spart, d. h. daß er einen ihm im Wirtschaftsverkehr zuge- flossenen Geldbetrag nicht selbst weiterverwendet, sondern stillegt, was mit einer Überführung des Betrages vom Girokonto auf ein Spar- konto verbunden sein kann, aber nicht sein muß. Was von der Kredit- gewährung gesagt worden ist, gilt auch in dem Falle, daß der Steuer- pflichtige einen gesparten Geldbetrag zum Zwecke der Steuerzahlung „entspart", also über diesen früher stillgelegten Betrag zu Steuer- zwecken wieder verfügt. Kreditgewährung und Ent sparen bewirken Geldschöpfung, Kreditrückzahlung und Sparen hingegen Geldver- nichtüng (ein Guthaben, das bisher zu Zahlungen verwandt wurde, verschwindet schlechthin im Falle der Kreditrückzahlung, bzw. es verliert die Geldfunktion und hört damit auf, Geld zu sein, im Falle des Sparens).

Abgesehen von der Handlungsweise des Steuerpflichtigen ist nun aber auch das Verhalten des Staates von Bedeutung, nämlich die Art, in der er über die eingehenden Geldbeträge verfügt. Verwendet er sie alsbald wieder zu Zahlungen, so strömen die Beträge wieder in den Geldkreislauf ein, vorausgesetzt, daß der Empfänger nun mit diesen Beträgen etwas unternimmt.

Aber es gibt auch Wege, auf denen der Staat diese Beträge still- legen kann, so daß sie weder von ihm noch von einem anderen weiter verwandt werden. Zum Beispiel, wenn der Staat in Zusammenwirken mit der Notenbank „Deflationspolitik4 ' treibt; das geht gewöhnlich so vor sich, daß er Steuereingänge nicht zu laufenden Ausgaben ver- wendet, sondern damit von der Notenbank Staatspapiere, die diese früher übernommen hat, zurückkauft, und zwar ohne daß die Noten- bank diese Verminderung ihrer Anlagen zu vermehrter anderweitiger Kreditgewährung verwendet; dabei werden die Kreditbanken dann sogar zu weitergehender Geldvernichtung gezwungen, da sie bei den Steuerzahlungen der Wirtschaftssubjekte auf das Konto des Staates bei der Notenbank, denen keine entsprechenden Zahlungen vom Konto des Staates an die Wirtschaftssubjekte gegenüberstehen, selbst Noten- bankguthaben verlieren, so daß ihre Barliquidität sinkt, sofern die Notenbank ihnen nicht vermehrte Kredite einräumt ; sie müssen also selbst ihre Kredite vermindern, wenn sie die alte Barliquidität, das alte Verhältnis der Barreserven, zu denen die Notenbankguthaben gerechnet werden, zu den Verpflichtungen wiederherstellen wollen.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 31: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 259

Der Staat kann sich auch einer milderen Form der Geldmengen- verminderung bedienen und zwar in folgender Weise: Er verwendet einen Teil der für die Tilgung von Staatsschulden zur Verfügung stehenden Geldbeträge zum Bückkauf von Staatsschuldtiteln, die sich in den Händen der Kunden von Kreditbanken oder im Porte- feuille der Kreditbanken selbst befinden, und nur den verbleibenden Best zu Bückkäufen von Staatsschuldtiteln aus dem Portefeuille der Notenbank. Dabei kann er es im Zusammenwirken mit der Noten- bank so einrichten, daß die Kreditbanken nicht zur Verminderung von Krediten, die sie an Wirtschaftssubjekte gegeben haben, ge- zwungen werden, daß sie aber doch in solchem Maß Notenbankgut- haben verlieren, daß sie nicht mehr zu einer kompensatorischen Geld- schöpfung in der Lage sind. In diesem Falle nimmt die Geldmenge nur um den Betrag derjenigen Geldbeträge ab, die den Wirtschafts- subjekten aus dem Wirtschaftskreislauf zugeflossen sind und die sie als Steuer entrichtet haben, nicht aber um ein Vielfaches dieses Be- trages wie im Falle der oben gekennzeichneten „Deflationspolitik"»

Wir kommen demgemäß zu folgenden zwei Grenzfällen. Stärkste Vermehrung der Geldmenge tritt im Zusammenhang mit der Steuer- entrichtung dann ein, wenn der Steuerpflichtige den Steuerbetrag nicht aus Geldbeträgen entnimmt, die ihm im Wirtschaftsverkehr zu- fließen, sondern wenn er zum Zwecke der Steuerentrichtung Kredit von seiner Bank nimmt oder ein bisher stillgelegtes eigenes Guthaben verwendet, also entspart, und wenn der Staat den Steuereingang zu Zahlungen an solche Wirtschaftssubjekte verwendet, die die empfan- genen Geldbeträge alsbald zu Käufen auf dem Gütermarkt verwen- den. Allerdings würde sich bei diesem Vorgang die Barliquidität der Kreditbanken verschlechtern, wenn nicht die Notenbank den Kredit- banken auf einem der üblichen Wege (Diskont- oder Lombardkredit, Offenmarktpolitik) zusätzliche Notenbankguthaben zuführt. Stärkste Verminderung der Geldmenge tritt im Zusammenhang mit der Steuer- entrichtung ein, wenn der Steuerpflichtige Geldbeträge verwendet, die ihm im Wirtschaftsverkehr zufließen und wenn der Staat diese Geldbeträge zum Bückkauf von Staatsschuldtiteln aus dem Porte- feuille der Notenbank verwendet.

Wie steht es nun im Falle der großen Vermögensabgabe, insbe- sondere im Falle der oben gekennzeichneten Ausgestaltung als Objekt- steuer. Wird das Bargeld und werden alle Forderungen auf einen Bruchteil, z. B. 1/5 reduziert, so wird auch alsbald das Bar- und

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 32: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

260 Rudolf Stucken

Giralgeld auf 1/5 vermindert. In der Lage der Kreditbanken hat sich insofern nichts geändert, als einerseits ihre Barreserven, andererseits aber auch ihre Verpflichtungen auf */5 reduziert sind, so daß also die Barliquidität unverändert bleibt. Der Vorgang läßt aber doch möglicherweise die Geldmenge nicht unberührt. Wir müssen daran denken, daß auf diesem Wege die öffentlichen Körperschaften, Fir- men und Privatpersonen eine Eeduktion ihrer Kassenreserven in Höhe von 4/5 erleben. Es mag sein, daß die Kassenreserven in ihrer Gesamtheit fünfmal größer waren, als zur Abwicklung des Geschäfts- verkehrs erforderlich ist. Aber das schließt doch nicht aus, daß die Verteilung der Kassenreserven eine recht ungleichmäßige war, daß nun ein Teil der Wirtschaftssubjekte gezwungen ist, Kredit zu neh- men oder noch vorhandene Guthaben zu entsparen, um nach der vollzogenen Verringerung der Kassenreserven auf 1/5 weiterarbeiten oder die dringendsten Bedürfnisse decken zu können. So besteht die Gefahr, daß die eingetretene Geldmengenverminderung zum Teil durch einsetzende Geldmengenvermehrung wieder kompensiert wird. Diese nachträgliche Wiederauffüllung der Geldmenge in engen Grenzen zu halten, aber doch insoweit geschehen zu lassen, daß der Mangel an Kassenreserven nicht zum neuen „Engpaß*

' der Produktion wird, ist Sache einer funktionsfähigen Notenbank in Zusammenarbeit mit den Kreditbanken.

Man kann verstehen, daß vielleicht die Staatsführung das Be- streben hat, bestimmte Gruppen von Staatsgläubigern möglichst bald abzufinden, um ihnen zu ermöglichen, mit dem empfangenen Geld etwas zu unternehmen; man denke nur an die Flüchtlinge und Bom- bengeschädigten. Und der Finanzminister könnte aus diesem Grunde einen Druck auf die Abgabepflichtigen ausüben, sobald wie möglich die Abgabe hundertprozentig zu entrichten. Aber man darf nicht außer acht lassen, daß dies ohne Geldschöpfung kaum möglich ist. Die Vermögensabgabe ist ja so geartet, daß man im Gegensatz zu anderen Steuern, ζ. Β. der Einkommensteuer, nicht erwarten kann, daß die Wirtschaftssubjekte die zur Steuerentrichtung notwendigen Beträge in liquider Form bereit haben. Es liegt schon ein relativ hohes Maß von Liquidität vor, wenn ein Steuerpflichtiger die Abgabe aus Spar- guthaben entrichten kann - aber wir haben oben gesehen, daß ein solches Entsparen auch die Tendenz zur Geldmengenvermehrung in sich trägt. Der Druck des Finanzministers, die Vermögensabgabe bald- möglichst in Geld zu entrichten, muß bei einer großen Zahl von

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 33: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 261

Steuerpflichtigen zur Kreditnahme führen, also wiederum Tendenz zur Geldmengenvermehrung. Und diese Tendenz wird in der gege- benen Lage, bei Auszahlung der eingehenden Beträge an Bomben- geschädigte pp., voraussichtlich nicht dadurch an der Auswirkung gehindert, daß andere bei einem Kreditinstitut sparen oder Kredite zurückzahlen, da bei der Allgemeinheit der Vermögensabgabe kaum jemand dazu in der Lage ist. (Unter anderen Voraussetzungen, näm- lich bei Auszahlung der eingehenden Beträge an die Besitzer ver- briefter Staatsschuld, ist eher mit einer kompensierenden Stillegung von Geld zu rechnen.)

Aus dieser Erkenntnis muß der Schluß gezogen werden, daß man mit dem Druck auf baldige Entrichtung der Vermögensabgabe in Geld zurückhaltend sein muß, zumal wenn man noch den Wunsch hat, die Geldmenge eher zu verkleinern als zu vergrößern. Im Hin- blick auf das Liquiditätsproblem und mit Eücksicht auf die Gefahr der Geldmengenvergrößerung ist es erforderlich, den Steuerpflich- tigen zwei Zugeständnisse zu machen: 1. Zahlung in Eaten, die sich auf einen Zeitraum von Jahren hin erstrecken, so daß es den Steuer- pflichtigen möglich wird, die jeweils benötigten Geldbeträge von ihren Einnahmen abzuzweigen; und 2. Entrichtung der Abgabe in der Form vorhandener Vermögensgüter. Als solche Vermögensgüter kommen vor allem Schuldtitel des Staates selbst in Frage, ζ. Β. ein Eealvermögensbesitzer verfügt über Eeichsanleihe oder hat eine For- derung an den Staat auf Grund von Kriegsschäden, abgegebenem Auslandsvermögen und dgl.; es ist angebracht, ihn seine Abgabe- schuld durch Hingabe der Eeichsschuldtitel oder der Forderungs- rechte abgelten zu lassen. Ja, es ist angebracht, über den Kreis der eigenen Schuldtitel des Staates noch hinauszugehen, indem noch weitere Schuldverschreibungen und sogar Anteilsrechte an Zahlungs statt annahmefähig erklärt werden. Aber selbstverständlich ist auch dies kein Mittel, um die Forderungen der Bombengeschädigten und Flüchtlinge baldigst begleichen zu können; der Staat bekommt hier- bei ja gar kein Geld in die Kasse. Nur insoweit die Abgabepflich- tigen aus Geldbeträgen, die ihnen im Wirtschaftsverkehr zufließen, ihre Abgabe entrichten, kann der Staat Forderungsberechtigten Geld auskehren, ohne die Tendenz zur Geldmengenvermehrung auszu- lösen. Erst in einem späteren Stadium, wenn wieder das Sparen ein- gesetzt hat, mag eine etwa vorhandene Tendenz zur Geldvermeh- rung, die mit der Zahlung der Vermögensabgabe und der Weiter-

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 34: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

262 Rudolf Stucken

Verwendung der dadurch verfügbar gewordenen Geldbeträge durch Flüchtlinge pp. verbunden ist, durch die mit Sparen bei Kreditinsti- tuten und Kreditrückzahlung verbundene Tendenz zur Geldmengen- verminderung kompensiert werden.

Das Ergebnis ist bitter für all diejenigen, die ihre durch Kampf- handlungen oder durch den Kriegsausgang zerstörte Existenz bal- digst wieder aufbauen wollen. Man muß sie im wesentlichen auf die Geldbeträge verweisen, die im Laufe der Jahre als Katenzahlungen auf die Abgabeschuld der Eealvermögensbesitzer eingehen. Man muß auf andere Wege sinnen, ihnen zu helfen; wir sehen den folgenden: man mache Eealvermögenswerte der mit der Vermögensabgabe be- legten Eealvermögensbesitzer unmittelbar für die Tilgung dieses Teils der Staatsverpflichtungen nutzbar. Und zwar in der Weise, daß man Flüchtlingen pp. beim Vorliegen geeigneter Objekte „Bedarfsdeckungs- scheine" oder „ Steuergutscheine* ' in die Hand gibt, mit denen sie von einem Eealvermögensbesitzer Vermögensobjekte in natura oder Anteile an solchen erwerben können und die dann der Eealvermögens- besitzer zur Abdeckung seiner Abgabeschuld verwenden kann. Auf diese Weise können Vermögenswerte für den der Abgabe zugrunde liegenden Zweck nutzbar gemacht werden, ohne daß es zu einer Geld- mengenvermehrung kommt1).

Wir stehen nun aber noch vor einem heiklen Problem der Geld- mengenpolitik. Wie groß muß denn die Geldmenge sein, damit eine Störung des Produktions- und Verteilungsprozesses weder durch Geld- mangel noch durch ein Übermaß von Geld eintritt. Man pflegt bei den Berechnungen an die Geldmenge der Vorkriegszeit anzuknüpfen und daraus auf die zukünftig benötigte Geldmenge zu schließen. Man kann sagen: bei gleichen Preisen und Löhnen, gleichem Handels- volumen (Summe von Gütereinheiten) und gleicher Umlaufsgeschwin- digkeit des Geldes benötigen wir eine gleiche Menge von Geld wie vor dem Kriege. Aber von* diesen Voraussetzungen ist ja keine ein- zige verwirklicht. Die Preise und Löhne sind, ausgedrückt in Geld- einheiten, höher als vor dem Kriege, und es besteht unseres Erach- tens vorläufig keinerlei Möglichkeit, sofern die Löhne nicht gesenkt werden, (was sinnlos wäre), auf das Preisniveau der Vorkriegszeit zurückzukehren; denn wir müssen abgesehen von den Löhnen mit

J) Ausführlicher behandelt in unserm oben genannten Gutachten und der genannten Erlanger Dissertation von Bruno Seidel.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 35: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 263

höheren Unkosten wegen gestiegener Weltmarktpreise für Eohstoffe und Fertigwaren und wegen der ganzen Desorganisation des Produk- tionsprozesses rechnen. Das Handelsvolumen ist mit Sicherheit klei- ner geworden, aber mangels Klarheit darüber, in welchem Maß uns in Zukunft Eohstoffe und sonstige für die Produktion erforderliche Produktionsmittel zur Verfügung stehen werden und ob und wann die Arbeitsleistung wieder ihre einstige Höhe erreichen wird, ist über die zukünftige Größe des Handelsvolumens kaum ein sicheres Urteil möglich. Noch unsicherer ist die zukünftige Größe der Umlaufsge- schwindigkeit des Geldes; wir nehmen an, daß zumindest im ersten Stadium eine Tendenz zur Verlangsamung der Umlaufsgeschwindig- keit vorhanden ist, und zwar im Zusammenhang mit dem Bestreben vieler Wirtschaftssubjekte, die durch die Zusammenlegung des Bar- geldes und der Bankguthaben bei ihnen zu klein gewordenen Kassen- reserven wieder zu erhöhen. Speziell beim Stückgeld rechnen wir damit, daß in nennenswertem Umfange gehortet wird, d. h. daß Geld, das in den Verkehr geschickt wurde, dem Verkehr entzogen wird und damit aufhört, Geld zu sein, bzw. wie es auch oft ausgedrückt wird, die Umlaufgeschwindigkeit Null annimmt. Wir glauben an eine um- fangreiche Hortung von Stückgeld mit Eücksicht auf die konfiska- torische Höhe von Steuern, die die Steuerpflichtigen zur Hinterzie- hung treibt. Mit anderen Worten, wir stehen mit Urteilen bezüglich der in der Zukunft benötigten Geldmenge auf schwankendem Boden. Wir stehen sogar auf unsicherem Grund bei Urteilen über die heute vorhandene Geldmenge1). Es ist weder eine eindeutige Aussage über die Menge des außerhalb der Notenbanken vorhandenen Stückgeldes noch eine solche über die Menge des Giralgeldes zu machen; man muß ja auch ins Auge fassen, daß Giroguthaben jederzeit in das Lager der Sparguthaben hinüberwechseln können und umgekehrt.

Unter diesen Umständen ist jeder Zusammenlegungssatz unter geldpolitischem Gesichtspunkt ein Sprung ins Ungewisse. Je stärker man zusammenlegt, um so größer wird der Kreis derjenigen, die ent- sparen müssen oder Kredit benötigen, um überhaupt weiterarbeiten

*) Zahlenangaben über die Geldmenge Ende 1938 (Stückgeld und Giral- geld) gibt auf Grund sorgfältiger Berechnungen Gerda Finzel: Die Geld- menge in Deutschland 1938 - 1943, Erlanger Dissertation 1947; für September 1946 Zahlenangaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: a. a. O., S. 221 ; die hier aufgeführten Sonstige Depositen können nur zum Teil als Giralgeld angesprochen werden.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 36: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

264 Rudolf Stucken

zu können. Wir glauben, daß ein Zusammenlegungssatz 5:1, zumal wenn die Stückgeldmenge durch geeignete Handhabung des Um- tausches (siehe oben S.248L) in stärkerem Maß reduziert wird, für den Start ausreichend ist; hingegen mag ein Zusammenlegungssatz 3:1 unter geldpolitischem Gesichtspunkt unzulänglich sein, so daß es ergänzender Maßnahmen bedarf, um die Geldmenge ausreichend zu reduzieren. Angesichts der bestehenden Unsicherheit über die richtige Größe der Geldmenge legen wir den größten Wert darauf, daß im Eahmen der Vermögensabgabe noch Möglichkeiten vorhan- den sind, eine weitere Verkleinerung oder eine Vergrößerung der Geld- menge herbeizuführen, sofern Staat und Notenbank in geeigneter Weise Hand in Hand arbeiten. Man denke an die beiden oben be- handelten Grenzfälle, nämlich 1. Eückkauf von Eeichstiteln aus der Hand der Notenbank unter Verwendung von Geldern, die den Steuer- pflichtigen im Wirtschaftsverkehr zugeflossen sind, als schärfstes Mittel der Geldmengenverminderung; und 2. Weitergabe von Geld, das der Vermögensabgabepflichtige durch Kreditnahme bzw. Ent- sparen aufgebracht hat, an solche, die damit etwas unternehmen wol- len, als stärkstes Mittel der Geldmengenvermehrung. Es bedarf einer sinnvollen Einstellung auf die geldpolitische Aufgabe bei denen, die es in erster Linie mit der Staatsfinanzwirtschaft zu tun haben, wenn die geldpolitische Aufgabe, die wir der Vermögensabgabe gestellt haben, gelöst werden soll.

9. Die Auswirkung auf die Wirtschaftslage und das Sozialprodukt.

Muß es dahin kommen, daß nach Einführung einer solchen tief einschneidenden Steuer wie die große Vermögensabgabe eine Depres- sion sich im Wirtschaftsleben breit macht, oder erweist sich die Ver- mögensabgabe bei geeigneter Verwendung ihres Ertrages durch den Staat gar nicht als „konjunkturverschlechterndes Moment**1)? Wir haben hierzu im vorigen Kapitel bereits wichtige Peststellungen ge- macht. Wir haben gesehen, daß bei geeigneter Verwendung des Er- trages der Abgabe durch den Staat und diejenigen, die von ihm die Geldbeträge empfangen, unmittelbar keine Geldmengenverminderung einzutreten braucht, und daß Möglichkeiten bestehen, durch „Vor-

1) Siehe vom Verfasser: Die Konjunkturen im Wirtschaf tsleben, Jena 1932, S. 53 ff.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 37: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 265

griff" auf die erwarteten Eingänge dafür zu sorgen, daß der Um- weg des Geldes über die Staatskasse nicht .zu einer Verminderung der Umlaufgeschwindigkeit führt. Also unmittelbar braucht keine Absatzschrumpfung einzutreten, sofern in dieser Weise verfahren wird. Zu einer Absatzschrumpfung vermag allerdings die große Vermögens- abgabe dann zu führen, wenn die Abgabepflichtigen zur Abdeckung ihrer Verpflichtungen Geldbeträge verwenden, die ihnen im Wirt- schaftsverkehr zufließen, wohingegen die Geldbeträge seitens des Staa- tes an die Notenbank oder an solche Personenkreise ausgekehrt wer- den, die nichts damit unternehmen, und wenn dann mangels Kredit- nachfrage bzw. mangels Entsparens von anderer Seite keine kompen- satorische Geldschöpfung Platz greift. Wir sind der Meinung, daß sich eine solche Konstellation von Bedingungen bei geeignetem Ver- halten des Staates und der Notenbank vermeiden läßt, es sei denn, daß gewisse psychologische Auswirkungen der Vermögensabgabe hinzukommen und zur Verwirklichung dieser Konstellation von Bedingungen führen. Wir haben hier vor allem an folgende psychologische Vorgänge zu denken: In Unter- nehmerkreisen neigt man dazu, sich durch Erhöhung von Steuern, und nun gar durch die Einführung einer großen Vermögensabgabe, die Laune verderben zu lassen und pessimistisch in die Zukunft zu schauen. Das hat dann zur Folge, daß man mit Investitionen, Ersatz- ebenso wie Neuinvestitionen, zurückhaltend wird. Auf dem Wege über diese Schrumpfung der Investitionen kann stimmungsmäßig be- dingt eine Verschlechterung der Konjunktur herbeigeführt werden, auch wenn kein unmittelbarer Anlaß dafür vorliegt. Im Falle der großen Vermögensabgabe würde sich dies folgendermaßen abspielen: Die Unternehmer verwenden zur Entrichtung ihrer Vermögensabgabe Beträge, die ihnen im Wirtschaftsverkehr zufließen und die sie sonst zu Investitionen verwandt hätten. Der Staat kauft mit diesen Be- trägen Wertpapiere von Kreditbanken oder von Kunden der Kredit- banken zurück. Auch die Kreditbanken und ihre Kunden unter- liegen der psychologischen Atmosphäre, sie sind zurückhaltend mit Neuanlagen jeder Art, die Kreditbanken werden, sofern sie noch ein Obligo bei der Notenbank haben, dazu neigen, dies abzudecken, so- fern in diesem Zusammenhang Notenbankguthaben zu ihrer Ver- fügung bleiben; die Kunden, deren Wertpapiere eingelöst werden, werden ebenfalls früher genommene Kredite zurückzahlen oder die Beträge beim Kreditinstitut auf einem Konto stehen lassen. So kom-

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 38: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

266 Rudolf Stucken

men wir allerdings zu einer Schrumpfung der Nachfrage und mithin zu einer Konjunkturverschlechterung.

Im Colwyn-Cominittee hat man erörtert, ob nicht auf einem anderen Umweg eine Konjunkturverschlechterung ausgelöst wird1). Es wurde der Ansicht Ausdruck gegeben, daß der Kredit, den Geschäftsleute erhalten, im Verhältnis zu dem Vermögen steht, über das sie verfügen. Durch die Vermögensabgabe wird aber ihr Vermögen reduziert, ins- besondere auch ihr Vermögen in Form von Wertpapieren, die bisher als Kreditunterlagen dienen konnten. Es ist dann aber bestritten worden, daß üblicherweise mit der Kreditnahme tatsächlich an die Grenze herangegangen werde, über die hinaus die Geschäftsleute den Banken nicht mehr sicher genug als Kreditnehmer erscheinen; dem- gemäß nahm man im Committee an, daß die Vermögensreduktion durch die Vermögensabgabe nicht zu einer Eeduktion des Kredites zu führen brauche. Aber es ist natürlich möglich, daß das, was im damaligen reichen England keine Kolle spielte, in einem anderen Land oder zu anderer Zeit hohe Aktualität gewinnt. Alles in allem aber blieb im Committee ein großes Maß von Unsicherheit darüber, wie sich die große Vermögensabgabe und ihre Verwendung zur Schul- dentilgung auf die Konjunktur auswirken würde; und im Hinblick auf die hier behandelten Momente können wir auch nur konstatieren, daß ein hohes Maß von Unsicherheit zurückbleibt, insbesondere weil die psychologischen Eeaktionen nie mit Sicherheit vorherzusagen sind.

Nun haben wir es in der Gegenwart mit einer ungewöhnlichen Lage zu tun, die keine Ähnlichkeit hat mit der, die die Mitglieder des Colwyn- Committee vorfanden. Als erstes haben wir hier den Tatbestand des Geldüberhangs und das Bestre- ben, die Geldmenge auf einen Β ruchteil zuver- mindern, zu konstatieren. Geldmengenverminderung bedeutet gewöhnlich Nachfrageschrumpfung und Konjunkturverschlechterung. Aber wir wissen ja, daß wir dank der in der Vergangenheit vollzogenen Geldschöpfung bei blockierten Preisen ein Übermaß von Nachfrage haben, das künstlich durch Eationierungsmaßnahmen gezügelt wer- den mußte. Eine Minderung der Geldmenge und der Nachfrage braucht in dieser Lage keine Konjunkturverschlechterung zu bedeuten, son-

!) Report, S. 267 ff.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 39: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 267

dem kann sich darauf beschränken, die Nachfrage an die Menge vor- handener Güter bei den gegebenen Preisen anzupassen, ohne daß Schwierigkeiten, die produzierten Güter abzusetzen, zu entstehen brauchen. (Die Geldmengenverminderung würde sich dann dahin auswirken, daß die Eationierung in Teilgebieten des Wirtschafts- lebens schlechthin fortfallen kann, in anderen Teilgebieten, in denen sie wegen des völlig anormalen Zustandes unseres Wirtschaftslebens noch aufrecht erhalten werden muß, wesentlicherleichtert wird.)

Nun ist aber zu befürchten, daß die im Eahmen der Vermögens- abgabe vollzogene Verminderung der Kassenreser- ven der Unternehmungen zu einer Minderung der Pro- duktion und damit auch zu einer Abnahme des Sozialproduktes führt, was bei gegebenen Preisen und Löhnen zugleich eine Min- derung des Volkseinkommens bedeutet. Denn wie schon oben er- wähnt, besteht bei der Zusammenlegung des Bargeldes und der Bank- guthaben die Gefahr, daß ein erheblicher Teil der Unternehmungen nach dieser Zusammenlegung ohne zulängliche Geldbeträge für Lohn- zahlungen und für den Bezug von Eohstoffen und sonstigen sach- lichen Produktionsmitteln dasteht. Soll dies die Produktion ange- sichts des Strebens, Löhne und Warenpreise aufrechtzuerhalten, nicht lähmen, so müssen die in Frage stehenden Unternehmungen Kredite von den Banken bekommen können. Können Sie diese Kre- dite bekommen? Stellt man sich auf den Standpunkt, daß die er- reichte Verminderung der Geldmenge keinesfalls gefährdet werden darf, dann könnte man von den Banken verlangen, alle Geldschöp- fung zu unterlassen und deshalb keine Kredite zu geben. Im Falle einer solchen konsequenten Politik werden tatsächlich die Kassen- reserven zum neuen Engpaß der Produktion, der neue Arbeitslosig- keit und weitere Schrumpfung des Güterstromes erzwingt. Wir haben deshalb oben (S. 260) bereits mit einer gewissen Wiedererhöhung der Kassenreserven von Unternehmungen pp. gerechnet. Aber auch ab- gesehen von einer dogmatischen Verteidigung der erreichten Geld- mengenverminderung sind Einwendungen gegen eine zur Fortführung der Produktion ausreichende Kreditgewährung zu machen. Sind denn eigentlich die Unternehmungen bei der gegenwärtigen Höhe der Be- steuerung kreditwürdig, zumal wenn ihr Eealvermögen noch mit einer hohen Abgabe belegt wird, muß der Kredit nicht hoffnungslos einfrieren? Und sind die Banken denn eigentlich mit Eücksicht auf ihre eigenen Kassenreserven in der Lage, den Kredit zu geben?

Finanzarchiv. Ν. F. 11. Heft 2. 18

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 40: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

268 Rudolf Stucken

Zur ersten Frage müssen wir erklären, daß bei der gegenwärtigen Höhe der Besteuerung die Unternehmungen in der Form der Per- sonalgesellschaft oder des Einzelkaufmanns tatsächlich nicht kredit- würdig sind, da von einer Eückzahlung des Kredites in absehbarer Zeit keine Eede sein kann. Die Kreditgewährung an diese Unter- nehmungen durch die Banken des kurzfristigen Geschäftes für Zwecke der Erhöhung der Kassenreserven bedeutet praktisch eine Speku- lation auf zukünftige Herabminderung der Einkommen- und der lau- fenden Vermögensteuer. Ob die Erwartung zukünftiger Herabmin- derung der genannten Steuern gehegt werden darf, muß vor der Durchführung der Vermögensabgabe geklärt werden, soll diese nicht zu einer Herabminderung des Sozialproduktes führen. Aber können die Kreditbanken denn eigentlich mit Eücksicht auf ihre eigenen Kassenreserven solche Kredite geben? Sie können es nur, wenn hinter ihnen eine funktionsfähige Notenbank steht, die ihnen die benötigten Notenbankguthaben zuführt. Die Notenbank muß also einerseits zur Kreditgewährung an Banken bereit sein, um nicht die für die Auf- rechterhaltung der Produktion nötige Kreditgewährung der Kredit- banken unmöglich zu machen. Sie muß aber andererseits auch die Kreditgewährung der Kreditbanken in Schranken halten, um nicht alsbald wieder einen Geldüberhang entstehen zu lassen.

Aber noch wegen einer anderen Anormalität unseres Wirtschafts- lebens droht der Beschäftigung und der Produktion eine Gefahr im Falle der Durchführung der Geldmengenverminderung, gleichgültig ob dies durch eine Vermögensabgabe oder durch andere spezifische Maßnahmen geschieht. Zur Zeit (März 1948) sind der Produk- tion durch den Mangel an wichtigsten Eoh- und Hilfsstoffen Schranken gesetzt. Dieser Mangel hat dahin geführt, daß einerseits der glatte Ablauf der Produktion ge- hemmt wird, daß demgemäß das Sozialprodukt relativ klein bleibt, daß andererseits vielfach Gegenstände mit relativ geringem Eohstoff- aufwand gefertigt werden, nach denen kein dringender Bedarf vor- handen ist, während die Produktion dringendst benötigter Güter wegen Eohstoffmangel unterbleibt. Bei der bisherigen Unsicherheit über die Zukunft unseres Geldes haben auch die Güter, die keinerlei dring- lichen Bedarf befriedigen, Absatz; wenn aber nach einer Währungs- neuordnung die Menschen wieder anfangen, an die Stabilität des Gel- des zu glauben, dann müssen wir damit rechnen, daß sie nicht mehr bereit sind, ihr Geld in diesen Artikeln anzulegen und daß deshalb

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 41: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem 269

in diesen Teilbereichen des Wirtschaftslebens eine Konjunkturver- schlechterung eintritt. Leider bedeutet das ganz und gar nicht, daß nun die Produzenten dieser wenig begehrten Artikel zur Produktion begehrter Artikel übergehen können, denn das scheitert schon an der Eohstoffrage. So können wir uns nur dann denken, daß eine Minderung der Beschäftigung und des Sozialproduktes nicht einzutreten braucht, wenn die Eohstoffrage gelöst wird. Zu einem erheblichen Teil han- delt es sich hierbei um die ausreichende Beschaffung ausländischer Eohstoffe. Soll es also nicht zu der gekennzeichneten Minderung der Beschäftigung kommen, dann müssen im Augenblick der Geldmen- genverminderung Eohstoffe auch aus dem Ausland beschafft werden können, und es muß für die Zukunft möglich sein, ausländische Eoh- stoffe fortlaufend zu beschaffen. Für die Wirtschaftslage gewinnt es deshalb entscheidende Bedeutung, ob im Augenblick der Geldmen- genverminderung ein ausländischer Eohstoffkredit zu haben ist und ob der Export genügend Freiheit erhält, um die Devisen für den fort- gesetzten Eohstoffbezug zu gewinnen.

10. Schlußbetrachtung. Es braucht uns nicht zu verwundern, daß keine andere Steuer

in solchem Maß Widerstände auslöst wie die große Vermögensabgabe, zumal wenn diese auch kleine Vermögen antastet. Man wehrt sich aus dem Besitzinstinkt heraus gegen den einmaligen tiefen Einschnitt in das ererbte oder erarbeitete Vermögen, und man ist angesichts der Alternative, ob Vermögensabgabe oder kontinuierliche erhöhte Besteuerung, bereit, sich lieber der letztgenannten zu unterwerfen. Wenn die Mehrheit des Colwyn- Committee nach eingehender Er- wägung des Für und Wider zur Ablehnung der großen Vermögens- abgabe kam, wenn führende französische Finanzwissenschafter sich negativ oder skeptisch zur großen Vermögensabgabe einstellen1), dann findet ihre Entscheidung zweifellos den Beifall weitester Volks- kreise, die in standortgebundem Denken2) einseitig die Argumente gegen die große Vermögensabgabe ergreifen, die ihnen tieferschür-

*) Siehe Paul Leroy-Beaulieu: Traité de la Science des Finan- ces, 6. Auflage, 2. Bd., Paris 1899, S. 285 ff., oder Henry Laufenbur- ger: Précis d'Économie et de Législation Financières, 1. Bd., 2. Auflage, Paris 1943, S. 150 f.

2) Siehe Bruno Seidel, a.a.O., Einleitung Teil B: Soziologische Vorfragen zum Problem der Vermögensabgabe.

18*

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 42: Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

270 Rudolf Stucken, Die große Vermögensabgabe und das heutige Finanzproblem

fende Untersuchungen neben Argumenten für die Vermögensabgabe bieten. Vielleicht ist der Widerstand gegenwärtig auf deutschem Bo- den verhältnismäßig schwach ausgeprägt. Man ist sich darüber klar, daß die Geldneuordnung früher oder später kommen und einschnei- dende Vermögensminderungen für die Besitzer von Geld und For- derungen bringen muß ; es steht also nicht der Einschnitt in das Ver- mögen schlechthin zur Debatte, sondern nur die Frage, ob alle oder nur bestimmte Arten betroffen werden sollen. Man empfindet die tiefe Ungerechtigkeit, die darin liegen würde, die Ausgebombten und Flüchtlinge ohne Entschädigung und das glücklich über die Kriegs- jahre hinübergerettete Vermögen unangetastet zu lassen. Man ist sich auch dessen bewußt, daß die Liquidation des Zusammenbruches des Eeichs nur mit Mitteln geschehen kann, die aufs härteste in den Inter- essenbereich jedes Einzelnen eingreifen. So ist also die geistige Ein- stellung der Bevölkerung zur großen Vermögensabgabe verhältnis- mäßig positiv; aber es gilt wohl auch jetzt das, was nach dem ersten Weltkrieg zu konstatieren war, nämlich daß die innere Bereitschaft zur großen Vermögensabgabe schwindet und wachsender Ablehnung Platz macht, je länger die Zeit wird, die seit Abschluß der Kriegs- handlungen vergangen ist.

This content downloaded from 91.229.229.195 on Tue, 10 Jun 2014 15:50:05 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions