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Die Hexe von Yarden

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 210

Die Hexe von Yarden

Sie kommt aus der Eisigen Sphäre -sie ist eine Unsterbliche

von Dirk Hess

In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit demGroßen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße-rer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im-periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein-de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera-tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein-wohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der jun-ge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetigwachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereitsmehrmals erfolgreich vorgegangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen denUsurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch dieEinwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos.

Den Verschollenen wiederzufinden, ist Ischtars vordringliche Aufgabe. Zusammenmit Atlans Kameraden Fartuloon, Corpkor und Eiskralle versucht die Goldene Göttinin ihrem Doppelpyramidenschiff, den Mikrokosmos zu erreichen.

Sie ahnt, daß ihr Geliebter in Gefahr ist. Sie weiß jedoch nicht, daß inzwischen ei-ne Unsterbliche aus der Eisigen Sphäre auf Atlan Jagd macht – DIE HEXE VONYARDEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Allan und Crysalgira - Die beiden Arkoniden kämpfen um ihre Freiheit.Karschkar - Die Hexe von Yarden.Zaphiro, Terziul und Subbi Mlrack - Karschkars Sklaven.Yürgaam und Vaarny - Mitglieder eines Kommandounternehmens der Tejonther.Chapat - Atlans Sohn.

1.

Name: ZaphiroBezeichnung: DialogpartnerKennzeichen: EmotionverstärkerLebenserwartung: UnbegrenztBesitzer: KarschkarSeine Augen waren braun. Sie wirkten auf

den Betrachter ungemein vertrauener-weckend. Sein schwarzes Haar fiel in wei-chen Wellen über die Schultern herab. Erwar fast zwei Meter groß. Alles an ihm ver-riet Kraft und Konzentration. Die metalli-sche Kombination spannte sich wie einezweite Haut über seinem Körper.

Zaphiro durfte keine Waffen tragen.Er war ein Mann, dem sich jede Frau be-

denkenlos anvertraut hätte. Er strahlte einberuhigendes Gefühl aus, das sich sofort aufjeden anderen übertrug, der in seiner Näheweilte.

Zaphiro sah nicht so aus, als könnte er je-mals brutal und jähzornig sein. Seine Bewe-gungen wirkten elegant und beherrscht.

Zaphiro war vom Wohlwollen seiner Be-sitzerin Karschkar abhängig. Die Unsterbli-che konnte ihn jederzeit vernichten. SeinSchicksal lag völlig in ihrer Hand.

Diese Tatsache machte ihn halb verrücktvor Angst.

Zaphiro wußte, daß seine Herrin sehr lau-nisch war. Aber er konnte mit ihren Launenumgehen. Er besaß die ausgeprägte Fähig-keit, ihren Unmut oder ihren Zorn in weni-gen Augenblicken in Freude und Wohlgefal-len auflösen zu können.

Zaphiro war viel zu sanftmütig, um sichgegen die exzentrischen Wünsche Karsch-kars aufzulehnen. Trotzdem dachte Zaphiroan Mord. Nicht, daß er den Mord eiskalt

plante. Er konnte nicht einmal daran denken,einen anderen kaltblütig zu töten. Er wolltenur nicht auf die Zuneigung seiner Herrinverzichten. Ohne Karschkars Zuneigung gabes für ihn keine Existenzberechtigung. Erspürte immer dann eine innere Unruhe,wenn Karschkar einen anderen als ihn be-vorzugte. Er wurde dann ständig von derAngst verfolgt, sie könnte ihn einfach ausdem Verkehr ziehen.

Zaphiros Befürchtungen erhielten zusätz-liche Nahrung, als der TejonthermischlingTerziul an Bord kam.

Terziul hatte es in verhältnismäßig kurzerZeit verstanden, sich Karschkars Gunst zusichern. Der Tejonthermischling war andersals seine Rassegenossen. Er besaß einen gel-ben Pelz. Wenn man darüber hinwegstrich,knisterte es elektrisierend. Terziul warschlau. Er war der erste, der schon nach we-nigen Stunden Karschkars Salon betretendurfte. Dort ließ er sich verwöhnen, trankWein und programmierte die Schallpositro-nik mit eigenen musikalischen Kompositio-nen. Terziul hatte rasch durchschaut, daßKarschkar einsam war. Die Unsterblichewünschte sich ein Kind. Aber ihre Rasse warsteril. Sie war erst spät in den Kreis der Un-sterblichen aufgenommen worden. Ihre Hautwar trotz mehrerer Schönheitsoperationenund Zellauffrischungen faltig. Daran mochteihr Lebenswandel schuld sein. Vielleichtquälte sie sich auch zu sehr mit ihremSchicksal herum.

Terziul sollte sie für einige Zeit davon ab-lenken. Der Tejonthermischling verstandsein Handwerk. Seine Redeweise war vor-nehm und gewählt. Er konnte aber auch flu-chen wie ein Lopsegger. Seltsam, daßKarschkar seine Strategie noch nicht durch-schaut hatte! Aber vielleicht verschloß sie

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ihre Augen nur vor der Wirklichkeit. Viel-leicht genoß sie die Stunden mit dem Misch-ling. Terziul war der geborene Geschichten-erzähler. Wenn er in seiner blumenreichenErzählweise ganze Raumfahrerepen vorKarschkar ausbreitete, hörte sogar Zaphirofasziniert zu.

Der Kreuzzug nach Yarden war TerziulsLieblingsthema.

Zaphiro hatte die Bildschirme seinerKammer mit den Aufnahmeoptiken inKarschkars Salon heimlich synchron ge-schaltet. Jetzt lag er auf seiner Gußplastik-liege und beobachtete seinen Nebenbuhler.Um ihn herum summten positronische In-strumente. Der ganze Raum war nicht ganzzehn Quadratmeter groß. Bis auf die Guß-plastikliege enthielt er keinerlei Möbel oderSitzmulden. Die Luft wurde durch einen Bo-denschlitz angesaugt und durch einenDeckenfilter in den darüberliegenden Raumabgegeben. Wegen der positronischen In-strumente blieb die Temperatur konstant aufzwanzig Grad.

Es war nicht bequem, die ganze Zeit indiesem Raum zu verbringen. Aber Zaphiromachte sich nichts daraus. Der Wunsch nachmehr Komfort war noch niemals in ihmwachgeworden.

Zaphiro starrte auf die Bildschirme, diehalbschräg unter der Decke hingen. DieStimme Terziuls kam klar und ohne Verzer-rungen aus dem kleinen Lautsprecher. Za-phiro hatte den Lautsprecher bei einemRundgang aus dem Ersatzteillager mitge-nommen. Karschkar wußte nichts davon.Und das war auch besser so. Es war ein Risi-ko für einen Dialogpartner, plötzlich Eigeni-nitiative zu zeigen.

Der linke Bildschirm übertrug TerziulsGesicht. Der Tejonthermischling lehnte mitdem Rücken gegen Karschkars Brust. Ebenkam Terziuls behaarte Rechte ins Bild. Siebeschrieb einen Halbkreis und senkte sichdann langsam auf Karschkars Arm herab.

»Ich frage mich immer wieder, ob wir Te-jonther eigentlich etwas gegen euch Tropoy-thers unternehmen können«, kam es aus dem

kleinen Lautsprecher.Karschkars dunkle Stimme verriet Belu-

stigung.»Das würde euch schlecht bekommen,

Terziul. Der Kreuzzug nach Yarden ist eineEinrichtung, die aus unserem Lebenszyklusnicht mehr wegzudenken ist. Unsere ganzeLebensweise, was sage ich … die Lebensarteines ganzen Universums richtet sich nachdiesen Kreuzzügen. Ich habe deine Ge-schichten genossen, Terziul, aber ich wün-sche keine Kritik mehr an tropoythischen In-stitutionen.«

Der Mischling wußte, daß er sich zu die-sem Thema nicht mehr äußern durfte. Erwürde die Wahrheit über die Kreuzzügenach Yarden ohnehin nicht herausbekom-men. Die Tropoythers bewahrten ihr Ge-heimnis.

Zaphiro blickte auf den anderen Bild-schirm, auf dem Karschkars Gesicht einge-blendet wurde. Diesmal trug sie die Haarehochgesteckt. Sie hatte eine grellrote Farbeaufgetragen, die ihrem faltigen Gesichteinen jugendlichen Ausdruck verlieh.

Terziul ließ es sich gefallen, daß Karsch-kar langsam über seinen gelben Pelz strich.Das elektrisierende Knistern bereitete derTropoytherin großes Vergnügen. Sie lächel-te weltvergessen. Ihre schweren Augenlidersenkten sich langsam.

Terziul begann mit einem alten tejonthi-schen Märchen.

Zaphiro lauschte der Geschichte. Er wärezwar lieber zu Karschkar geeilt, um TerziulsPlatz einzunehmen, aber das war ausge-schlossen. Ohne den ausdrücklichenWunsch seiner Herrin durfte er den Salonnicht betreten. Er wartete vergeblich auf dasschrille Summen des elektronischen Mel-ders. Das Gerät blieb stumm.

Und so lauschte er weiter der Erzählungdes Tejonthermischlings. Die Geschichtelenkte ihn genauso von seinen Problemenab, wie sie Karschkars Einsamkeit für weni-ge Augenblicke durchbrach.

Terziul sprach von der Sehnsucht allerTejonther, das ewige Leben zu erringen. Un-

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zählige Tejonther waren schon ausgezogen,um den Gral des Lebens zu erringen.

Für Terziul war es bestimmt ein eigenarti-ges Gefühl, seine Zeit neben einer Unsterbli-chen zu verbringen. Aber er durfte nicht da-mit rechnen, in den Kreis der unsterblichenTropoythers aufgenommen zu werden. Daswürde einem Fremdrassigen niemals gelin-gen. Die Tropoythers – oder Varganen –liebten die Exklusivität der Rasse. In diesemUniversum spielten sie die führende Rolle.Sie waren in den Augen der anderen Raum-fahrer Götter. Es gab keine Rasse, die mäch-tiger als die der Tropoythers war.

»Erzähle mir mehr von Vruumys, demSucher des Lebens!« verlangte Karschkar.Sie hatte den Namen dieses tejonthischenRaumfahrers schon öfter gehört. Jetzt inter-essierte es sie brennend, was aus dem Be-pelzten geworden war.

»Niemand weiß, was aus Vruumys ge-worden ist«, begann Terziul. »Er kann dasewige Leben gefunden haben, er kann aberauch gestorben sein.«

»Ich will keine Geschichten über den Todhören.«

Terziul lächelte unsicher.»Wie meine Herrin es wünscht! Ich werde

vom Leben erzählen. Ich werde die Mysteri-en des Heiligen Grals vor dir ausbreiten, wieich sie erfahren habe. Das Leben ist vielfäl-tig. Genauso vielfältig und schillernd sinddie Geschichten, die sich um die Erringungdes ewigen Lebens ranken.«

Zaphiro empfand überhaupt nichts dabei,als Terziul vom ewigen Leben sprach. Za-phiro war unsterblich. Jedenfalls solange,wie es seiner Herrin gefiel, ihn am Leben zulassen. Sie konnte seine Existenz jederzeitauslöschen. Dabei war es nun egal, ob er un-sterblich oder sterblich war. Ein Knopfdruckgenügte, um ihn für immer in das grauenvol-le Nichts des Todes stürzen zu lassen.

Zaphiro richtete sich kurz auf. Es warseltsam, daß sein Gesicht die Gedanken wi-derspiegelte, die ihn bewegten. Sekunden-lang flackerte ein unstetes Feuer in seinenbraunen Augen. Dann war er wieder ruhig

und legte sich langsam in die ausgestanztenHöhlungen seiner Gußplastikliege.

Terziuls melodisch klingende Stimmekam aus dem Lautsprecher.

»Vruumys verfolgte vor allen Tejontherndieses Zeitalters verbissen jede Spur, die aufden Heiligen Gral des ewigen Lebens hin-deutete. Er landete auf unerforschten Plane-ten. Er schlug sich durch die Hölle kriegeri-scher Zivilisationen. Ihm war keine Anstren-gung zu gering, um endlich das ersehnte Zielzu erreichen. Vruumys' frühe Abenteuerwurden auf Magnetkassetten geprägt. Nachseinen Berichten flimmern diese Abenteuerüber die Bildschirme der Tejonther. Vruu-mys ist bei allen beliebt. Er versteht es, kos-mische Theorien über den Ursprung allenSeins mit spannenden Erlebnisberichten zuverknüpfen. Es wäre ein großer Verlust fürdie tejonthische Unterhaltungsindustrie,wenn Vruumys tot ist.«

Karschkars Stimme gellte durch den Sa-lon. Sie war böse geworden, weil Terziulschon wieder den Tod erwähnt hatte.

»Ich könnte vergessen, was für ein per-fekter Geschichtenerzähler du bist, Terziul!Was das heißt, kannst du dir sicher vorstel-len. Ich mag es nicht, wenn man meineWünsche ignoriert.«

Terziul nickte bedächtig und schmiegtesich unterwürfig an Karschkars Brust. Dasschien die Tropoytherin ein wenig zu beru-higen. Sie forderte ihren Gespielen auf, eineGeschichte von Vruumys, dem legendärenRaumfahrer der Tejonther, zu erzählen.

Zaphiro, der das Geschehen auf dem Bild-schirm verfolgt hatte, konnte sich ein Grin-sen nicht verkneifen. Innerlich hoffte er, daßTerziul noch einmal einen Fehler machte. Erwünschte sich nichts sehnlicher, als daß derverhaßte Nebenbuhler durch eine Unge-schicklichkeit bei Karschkar in Ungnadefiel. Dann würde er, Zaphiro, wie ein Phönixaus der Asche des Vergessens aufsteigen,um seiner Herrin alle Wünsche von den Au-gen abzulesen.

Zaphiro nahm sich vor, Karschkar bei derersten Gelegenheit über Terziuls mangelnde

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Emotionsfähigkeiten zu informieren. Es wareinfach undenkbar, daß ein tejontherischerMischling solche Qualitäten wie Emotions-verstärkung besaß. Darin war Zaphiro ein-zigartig. Und er kannte seine Fähigkeit. Erwürde sie im Kampf um Karschkars Gunstskrupellos einsetzen. Er würde sogar ihrenegativen Gefühle verstärken, wenn es Ter-ziuls Schaden war. Irgend etwas in seinemInnern war zerbrochen. Er wußte nicht, wasdas war, aber es erzeugte in ihm ein Bren-nen. Dieses schreckliche Gefühl wuchs undwurde stärker. Einmal mußte der Zeitpunktgekommen sein, an dem sämtliche Hem-mungen davon zerstört wurden.

Was dann geschehen würde, wagte Zaphi-ro sich nicht vorzustellen.

Zaphiro war ein Mann mit gepflegtenVerhaltensweisen. Er würde niemals brutalreagieren. Er konnte nicht wissen, daß eininnerer Block wirksam verhinderte, daß erzum Mörder wurde. Er wußte nicht, daßKarschkar vorgesorgt hatte.

Ein schrilles Heulen riß ihn aus den Über-legungen. In der Zentrale des Raumschiffswurde Alarm gegeben. Zaphiro sah, wieKarschkar ihren Gespielen vom Polsterstieß.

Terziul wollte sich aufrichten, um vorKarschkar eine Verbeugung zu machen.Doch er berührte die Platte mit den Früchtenso ungeschickt, daß sie vom Tisch rutschte.Die bunten Früchte kullerten über den wei-chen Flauschboden des Salons. Terziul mur-melte eine Entschuldigung und beeilte sich,Karschkar den Weg freizumachen.

Das Heulen der Alarmsirene hielt unver-mindert an.

»Du rührst dich nicht von der Stelle!« riefKarschkar nervös. »Ich kann dich in derZentrale nicht gebrauchen. Laß die Fingervon den Instrumenten. Ich will nicht, daß dunoch mehr durcheinanderbringst.«

Terziul ging ein paar Schritte voraus, umfür Karschkar die Schiebetür zu öffnen.

Zaphiro verfolgte jede Bewegung seinesNebenbuhlers auf dem Bildschirm. Er konn-te sich ein hämisches Grinsen nicht verknei-

fen. Plötzlich kam ihm eine Idee, wie er Ter-ziul noch eins auswischen konnte.

Er hatte während seiner Wartezeit in derAufenthaltskammer gelernt, die positroni-schen Schaltkreise zu manipulieren. ObwohlZaphiro nie in seinem Leben Hyperphysikoder ein verwandtes Sachgebiet studiert hat-te, verstand er die schwierigsten Zusammen-hänge robotischer Logik. Er verband blitz-schnell zwei Kontakte und löste einen Span-nungsabfall im Bereich des Salons aus. DieAutomatik reagierte so langsam, daß derSchaden nicht innerhalb von drei Sekundenausgeglichen werden konnte.

Grinsend sah Zaphiro, wie Terziul seineRechte auf den Wärmekontakt neben derSchiebetür legte und sich verbeugte. Jetztmußte die Tür in die Wandöffnung gleiten,um Karschkar nach draußen zu entlassen.Doch nichts dergleichen geschah. Karschkarprallte mit dem Kopf gegen die Türfläche.Auf der faltigen Haut der Tropoytherin er-schien ein rötlicher Fleck. Ihre Augenliderverzogen sich zornig. Sie schnappte nachLuft.

»Du elender Stümper! Du bist zu nichtszu gebrauchen.«

Terziul stammelte verlegen. Er konntenicht begreifen, daß die Türautomatik ausge-rechnet in diesem Augenblick versagt habensollte.

Am anderen Ende der positronischenÜberwachungsleitungen kicherte Zaphiro.Er löste die Kontakte wieder voneinander.Gespannt blickte er auf den Bildschirm.

Karschkar berührte den Wärmekontakt.Zischend öffnete sich die Tür. Sie ordneteihre Frisur, die durcheinandergeraten warund ging nach draußen. Sie ließ einen ziem-lich verwirrten Terziul zurück. Der Tejon-thermischling konnte sein Pech einfach nichtbegreifen. In seinem Innersten ahnte er, daßseine Zeit als Günstling Karschkars vorüberwar.

Er hatte Angst vor dem Augenblick, andem Karschkar ihm den Laufpaß geben wür-de. Es war bekannt, daß Tropoytherinnendabei sehr skrupellos handelten. Sie konnte

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ihn jederzeit durch die Schleuse ins All sto-ßen. Mit oder ohne Raumanzug. Das hingvon ihrer Laune ab. Wenn er Glück hatte,ließ sie ihm ein kleines Landungsboot, mitdem er den nächstgelegenen Planeten an-steuern konnte.

Alles in allem sahen die Zeiten für Terziulschlecht aus. Er hätte sich doch nicht beiKarschkar einschmeicheln sollen. Dann wä-re ihm vieles erspart geblieben. Aber wiesollte ein mittelgroßer tejonthischer Misch-ling seinen Lebensunterhalt verdienen?

Er war ein Paria. Ein Ausgestoßener beiden Schwarzpelzen, die mit ihren Raum-schiffen den Sternenraum durchquerten.

*

Das Doppelpyramidenschiff schwebte inzwölftausend Meter Höhe über einer Sauer-stoffwelt. Weiße Wolkenfelder lockertenden Anblick der blauen Kugel auf. An eini-gen Stellen schimmerte es türkisgrün. Esgab nur wenige Kontinente dort unten.

Karschkar hatte keinen Blick für dieSchönheit des Planeten.

Sie berührte mehrere Kontakte auf demSchaltpult. Eine seelenlose Automatenstim-me plärrte durch die Zentrale.

»Achtzehn tejonthische Einheiten in un-mittelbarer Nähe der Gefühlsbasis! Energie-peilung in sechzig Grad Delta rot.«

Karschkar stieß die Luft geräuschvoll aus.Sie schürzte ihre bemalten Lippen. Sie wuß-te genau, was die Tejonther in der Gefühls-basis suchten. Die Schwarzpelze wollten dasGeheimnis der Kreuzzüge nach Yarden lö-sen. Sie hatten die Gefühlsbasis besetzt undanalysierten die komplizierten Instrumente.Karschkar lachte laut auf. Das würde höch-stens zur Vernichtung der tejontherischenRaumkommandos führen. Eine Gefühlsbasisließ sich nicht so ohne weiteres knacken. EinWunder, daß die Tejonther von den Impul-sen der Station noch nicht verrückt gewor-den waren. Vielleicht waren sie immun da-gegen. Karschkar konnte ihren aufkeimen-den Haß gegen Terziul nicht länger unter-

drücken. Er war zwar nur ein Tejonther-mischling, aber es genügte ihr vollkommen,daß er bepelzt war. Sie konnte sich selbstnicht mehr verstehen. Wie hatte sie sich denBurschen nur als Gespielen an Bord holenkönnen? Sie beschloß in diesem Augenblick,nach ihrer Rückkehr in die Eisige Sphäreeinen Emotiotechniker aufzusuchen. Siemußte ihre unbewußten Empfindungen un-bedingt wieder in den Griff bekommen. EineUnsterbliche konnte sich keine Entgleisun-gen leisten. Sonst wurde sie womöglich ausder tropoythischen Gemeinschaft ausgesto-ßen.

Vielleicht aber waren alle Gedanken, diesie sich machte, reine Zeitverschwendung.Vielleicht würde der geheimnisvolle Fremdealle ihre Probleme lösen.

Sie wußte, daß in der Gefühlsbasis einFremder mit seiner Begleiterin angekommenwar. Dieser Mann war für die Tropoythersbesonders interessant. Es war ein offenesGeheimnis, daß er von einigen wichtigenPersönlichkeiten in Yarden brennend erwar-tet wurde.

Dieser Mann konnte den Nachwuchs derTropoythers sichern helfen!

Seit den Experimenten mit der AbsolutenBewegung hatte es keine Geburten mehr ge-geben. Jede Vereinigung zwischen Tropoy-thers war kinderlos geblieben. Für ihre un-glaublichen technischen Leistungen hattensie einen hohen Preis gezahlt. Darüber konn-te die Erlangung der Unsterblichkeit nichthinwegtäuschen. Ihre Rasse wäre längst aus-gestorben, wenn sie das Geheimnis des ewi-gen Lebens nicht enträtselt hätten.

Und jetzt war ein Mann nach Yarden un-terwegs, der dieses Grundproblem mit einemSchlag lösen konnte. Er hatte mit einer Aus-gestoßenen ein Kind gezeugt. Der Embryowurde entführt. Damit war eindeutig bewie-sen, daß dieser Mann mit einer VarganinKinder haben konnte. Und was für Ischtarmöglich war, sollte auch für Karschkar mög-lich sein. Deshalb war sie zu dieser Gefühls-basis aufgebrochen. Sie wollte den Fremdenfür sich allein haben.

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Sie mußte an den Embryo denken. Ihr al-tes Gesicht verzog sich zu einem häßlichenGrinsen. Dieser Embryo würde ihr im Falleeines Falles helfen, den Willen des Fremdenzu brechen. Sie hatte vorgesorgt. Wenn sieeinmal einen Plan gefaßt hatte, war sie nichtdavon abzubringen.

Niemand würde sie daran hindern. Auchdie Tejonther nicht, die sich an. der Gefühls-basis zu schaffen machten.

»Wir landen im Sicherheitsabstand zurGefühlsbasis. Alle Waffensysteme aktivie-ren.«

Karschkar handelte wie in Trance. DieLandung verlief vollautomatisch. Sie gabnur die Kommandos für die einzelnen Etap-pen durch. Die Positronik reagierte sofort.

Auf den Bildschirmen kam die blaue Flä-che der ausgedehnten Meere rasch näher.Einzelne Wolkenfetzen wirbelten vorüber.An den Bildschirmrändern wurden ionisierteLuftmoleküle sichtbar. Der Doppelpyrami-denraumer drehte sich wie in Zeitlupe umseine Achse. Dann verringerte er die Ge-schwindigkeit um knapp fünfzig Prozent.Das mächtige Schiff schwebte langsam aufden größten Inselkontinent des Planeten zu.Die Spitzen des Antigravfeldes preßten Mul-den in die Wogen des Ozeans.

Als das Schiff sich der Küste bis auf fünf-zig Kilometer genähert hatte, stiegen mehre-re Schwebefahrzeuge pfeilschnell in denHimmel. Das Aufblitzen von Ortungssigna-len geisterte durch den Dunst.

Die Tejonther haben mich natürlich längstgeortet, stellte Karschkar fest. Die Burschengehen kein Risiko ein. Sie verteilen sichüber den Küstenstreifen und warten ab, wasich unternehmen werde.

»Das könnt ihr haben«, schrie Karschkarunbeherrscht und drückte die Taste des In-terkoms ein. Sie wurde augenblicklich mitdem Steuergehirn der Roboteinheiten ver-bunden.

»Programmeinheit A-1 bis B-12 stehenzur Verfügung«, plärrte es aus dem Laut-sprecher.

Karschkar hielt kurz inne. Sie überlegte,

was sie mit Terziul anstellen sollte. DerMischling war ihr im Wege. Er durfte späternichts von dem Fremden verraten, den sieaus der Gefühlsbasis holen wollte. Außer-dem war ihr Terziul auf einmal lästig gewor-den. Er würde sie stören, wenn der Fremdean Bord kam.

»Schafft Terziul aus dem Salon! Er wirdmit den Programmeinheiten A-1 bis B-12ausgeschleust. Er darf keine Waffen bei sichtragen. Wir lassen ihn auf dem Planeten zu-rück.«

Karschkar empfand keinerlei Skrupel da-bei, Terziul auf diesem unbesiedelten Plane-ten zurückzulassen. Der Planet befand sichin der relativen Lebenszone, wenn man vontropoythischen oder tejonthischen Maßstä-ben ausging. Sollte Terziul sich umsehen,vielleicht würde er die nächsten Jahre lebendüberstehen.

Als die Roboter den schreienden Tejon-thermischling in die Schleusenkammer zerr-ten, hatte Karschkar ihn längst vergessen.Sie trauerte niemals vergangenen Dingennach. Für sie zählte nur die Gegenwart.

Karschkar wurde von einer brennendenUngeduld erfaßt.

Sie wollte den geheimnisvollen Fremdenendlich sehen. Niemand würde etwas mer-ken, wenn sie ihn heimlich an Bord nahm.Er würde ganz allein ihr gehören.

Karschkar dachte kurz an Zaphiro. Aberder würde ihr bestimmt keine Schwierigkei-ten machen. Zaphiro war auf ihre persönli-chen Bedürfnisse konditioniert worden. Siekonnte sich nicht vorstellen, daß er sie je-mals verraten würde. Das widersprach sei-nem Naturell. Er war ein perfekter Liebha-ber, sonst nichts.

Aber es gab ein Problem, mit dem sienicht so leicht fertig werden würde.

Der Fremde, der eben in der Gefühlsbasisangekommen war, besaß eine Begleiterin.Freiwillig wird er auf die Frau bestimmtnicht verzichten, schoß es Karschkar durchden Kopf. Es mußte einen Weg geben, ihnvon dieser Frau loszueisen.

Karschkar kannte zahlreiche Psychotricks,

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mit denen sie ihre Männer betörte. Sie wür-de sie auch bei diesem Fremden anwenden.Sie wußte, daß brutale Gewalt zu nichts füh-ren würde. Der Fremde sollte sich freiwilligin sein Schicksal ergeben. Im Notfall konntesie die fremde Frau immer noch als Druck-mittel gegen ihn einsetzen.

Karschkar starrte gebannt auf den Bild-schirm.

Die beiden Robotstaffeln schwebten aufdie Küste zu. Ihre silbernen Leiber glänztenin der Sonne. Jetzt bildeten sie eine weitauseinandergezogene Linie.

Zwei Roboter trugen den schreiendenTerziul. Sie entfernten sich von der Staffelund steuerten die ersten Felsenerhebungender Küste an. Sie ließen Terziul wie einennassen Sack fallen und schwebten wiederdavon.

*

Zaphiro war erleichtert.Den Nebenbuhler war er endgültig los.

Karschkar hatte ihn ausgesetzt. Zaphiro ver-folgte das weitere Geschehen über den Bild-schirm in seiner Kammer. Er empfand we-der Freude, noch konnte er mit Terziul Mit-leid haben. Ihm war das Schicksal desMischlings völlig gleichgültig. Hauptsache,er stand ihm nicht mehr im Wege.

Zaphiro wunderte sich, daß ihn Karschkarnoch nicht zu sich gerufen hatte. Der elek-tronische Summer blieb stumm.

Zaphiro wußte auch nicht, weshalbKarschkar diese Welt angesteuert hatte. Erhatte keine Ahnung davon, daß Karschkareinen Mann an Bord holen wollte. Zaphiroglaubte immer noch, wieder die Nummereins bei Karschkar sein zu können. Dabeihatte er nur noch fünfundzwanzig Stundenzu leben.

2.

Ich lag der Länge nach auf einem Gitter.Mein Kopf schmerzte höllisch. Ich fühlte,

wie mir das Herz bis zum Halse schlug.

Schweiß tropfte langsam in meine Augen-winkel. Ich konnte mich kaum bewegen. Je-de Muskelanspannung tat weh.

Langsam glitten meine Hände über dasengmaschige Gitter. Von unten kam einSchwall heißer Luft hoch.

Neben mir lag Crysalgira. Sie war ohn-mächtig. Am gleichmäßigen Atmen erkann-te ich, daß sie lebte. Der Transmitterdurch-gang hatte sie genauso mitgenommen wiemich.

In meinen Ohren summte es. Ich konntedie Geräusche meiner Umgebung noch nichtrichtig deuten.

Ob das Yarden war?Das wirst du nicht herausfinden, wenn du

nicht sofort mit dem Konditionstraining be-ginnst, pulste mein Extrasinn.

Ich schloß gequält die Augen. Jede Fasermeines Körpers tat mir weh. Ich mußte inYarden angekommen sein. Das war gut so.Denn von hieraus bestand die Möglichkeit,in den Makrokosmos zurückzukehren.

Mein Sohn Chapat würde mir dabei hel-fen. Aber ich mußte ihn zuerst einmal fin-den. Meine Gedanken eilten den Ereignissenvoraus. Ich wollte aus dem energetischenGefängnis entkommen, das mich hier fest-hielt. Ich wollte die unbeschreibliche Barrie-re überwinden, die mich vom Makrokosmostrennte.

Vermutlich werden die Varganen etwasdagegen haben, meinte mein Extrasinn. Dusollst zu biologischen Zuchtexperimentenherangezogen werden. Die Varganen wis-sen, daß du mit Ischtar einen Sohn gezeugthast. Sie haben den Embryo nicht grundlosentführt. Sie wissen, daß du mit einer Varga-nin den Fortbestand ihrer Rasse sichernkannst.

Ich stieß den Atem geräuschvoll aus. Frei-willig würde ich mich nicht dazu hergeben.Bei Ischtar war das etwas ganz anderes ge-wesen. Ich hatte die stolze Varganin geliebt.Das war aber schon lange her. Ein Abgrundaus Raum und Zeit trennte uns jetzt. Ich warim Mikrokosmos, Ischtar dagegen war imMakrokosmos zurückgeblieben.

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Gellende Schreie rissen mich in die Wirk-lichkeit zurück.

Du bist mitten in einer Kampfzone gelan-det, wisperte mein Extrasinn.

Das Fauchen der Strahlwaffen war nichtzu überhören. Ich drehte mich schwerfälligauf die andere Seite. Meine Augenlider wa-ren verkrustet. Ich strich mir die Haare ausdem Gesicht.

Fünf Meter vor mir rundete sich ein ova-les Tor. Qualmwolken wälzten sich aus derÖffnung auf mich zu. Der angrenzendeGang war mindestens hundert Meter lang.Die glatten Wände reflektierten das Aufblit-zen mehrerer Strahlschüsse.

Irgendwo wurde das Trampeln schwererMagnetstiefel laut. Die Schritte verhallten ineinem Seitengang. Dafür heulte eine Alarm-sirene auf. Anscheinend war ein Brand aus-gebrochen, der sich mit den automatischenLöschgeräten nicht mehr unter Kontrollehalten ließ.

Crysalgira kam stöhnend wieder zu sich.»Ich helfe dir, Crysalgira«, begann ich

und entspannte mich langsam. »Ich muß zu-erst auf die Beine kommen. Der Transmit-terdurchgang ist mir ziemlich an die Nierengegangen.«

Crysalgira stöhnte unterdrückt.»Wo sind wir?«»Vermutlich in Yarden!«Ich begann mit dem Lockerungstraining

der Beinmuskulatur. Viel Zeit blieb unsnicht mehr. Der Kampflärm kam immer nä-her. Die Eindringlinge schienen keine Rück-sicht zu nehmen. Ich hörte das typischeSchmelzgeräusch von Thermowaffen. Me-tallteile polterten über den Boden. Dann de-tonierten Sprengkapseln. Das Schreien derKämpfer war entsetzlich.

Ich richtete mich auf. Das engmaschigeGitter war auf einmal warm geworden. Ichblickte hoch. Fünf Meter über mir glühte aufeinmal eine spiralig gewundene Röhre auf.Ein blaues Blitzen stabilisierte sich zu einemGlutstrahl. Dann war der gesamte Raum voneinem merkwürdigen Knistern erfüllt.

»Wir müssen hier schleunigst raus«, rief

ich.Ich ergriff Crysalgiras Schulter. Ich riß sie

hoch. Sie stieß einen Wehlaut aus, aber ichignorierte ihn.

Ich sah Crysalgira fragend an.»Wie geht's … kannst du laufen?«Sie nickte gequält.Wir schafften es ohne Schwierigkeiten bis

zum Gang. Plötzlich war hinter uns die Höl-le los. Knallend stabilisierte sich ein blau-schimmerndes Entstofflichungsfeld. An denEnergieschenkeln ionisierte sich die Luft. Esroch nach Ozon.

»Wenn wir ein paar Sekunden gezögerthätten, wären wir jetzt entweder desinte-griert oder auf dem Weg ins Nichts«, meinteich vielsagend.

»Du denkst an eine Vernichtungsschal-tung?«

Crysalgira hatte denselben Gedenken wieich gehabt. Das Energiefeld, das über demRastergitter stand, unterschied sich von denanderen Transmitfeldern.

»Der Kampf, der hier unten wütet, könntedas Konzept der Varganen völlig über denHaufen geworfen haben«, meinte ich nach-denklich. »Möglicherweise sind wir jetzt einSicherheitsrisiko. Man will uns wieder los-werden.«

Ich starrte in den schwarzen Qualm. Esstank bestialisch nach verschmolzenenKunststoffteilen. Weiter hinten hatten sichsicher schon giftige Gase gebildet, so daßein Durchkommen ausgeschlossen war. Da-zu fehlten uns Atemgeräte.

»Können wir den Transmitter nicht umpo-len? Vielleicht ist Magantilliken noch amGegengerät«, vermutete Crysalgira.

Ich hob die Schultern und machte einziemlich ratloses Gesicht. An und für sichwar Crysalgiras Vorschlag recht vernünftig.Aber in diesem Fall entbehrte er jeglicherHoffnung. Es waren nirgends Schaltungenoder Programmtafeln zu erkennen, mit de-nen man den Transmitter programmierenkonnte. Auf den Wänden waren unbekannteSymbole eingeprägt worden. Instrumenteund Schalteinheiten sah ich nirgendwo.

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Zurück könnt ihr nicht. Der Transmittersteht unter Energie, gab mir mein Extrasinnzu verstehen.

»Wenn der Qualm nicht schlimmer wird,schaffen wir's vielleicht«, rief ich Crysalgirazu. »Wir wollen es wenigstens versuchen.«

Wir liefen schutzlos durch den Gang. DieQualmkonzentration war unterschiedlich.Manchmal funktionierten die Absaugvor-richtungen noch, so daß es relativ qualm-freie Gangzonen gab.

Plötzlich tauchte ein paar Meter vor unsein unförmiges Schemen auf. Das Wesenduckte sich und verschwand blitzschnell imHintergrund. Ein schriller Schrei gelltedurch den Gang. Dann kratzte es metallischüber den Boden.

Ich langte unwillkürlich nach meinemStrahler. Doch die Halteschlaufe am Gürtelwar leer.

Ich war waffenlos und damit den Unbe-kannten in Yarden wehrlos ausgeliefert.

Ein ovaler Körper tauchte vor uns auf. Erschwebte langsam näher.

Crysalgira hob die Rechte vor den Mund,um nicht schreien zu müssen. Sie wußte, inwelch einer aussichtslosen Lage wir uns be-fanden.

Ich behielt trotzdem die Ruhe. Panik wür-de mehr schaden als nützen.

Ein Roboter, stellte mein Extrasinn fest.Das Ding war anderthalb Meter hoch und

knapp einen Meter breit.Sein Kopfteil endete in einer Spindel, die

zugleich Sende- und Empfangsantenne war.Ein flimmernder Optikring beherrschte denKopf.

Zwei elastische Greiftentakel hieltenStrahlenwaffen. Die Abstrahlmündungenflimmerten leicht. Der Roboter hatte vor we-nigen Augenblicken noch damit geschossen.Die Zieldorne glühten noch, während sichdie Mündungen dunkelviolett verfärbt hat-ten.

Ich erwartete das Schlimmste und war be-reit, blitzschnell aus dem Feuerbereich desRoboters zu springen.

Das würde dir im Ernstfall nicht viel nüt-

zen, gab mir mein Extrasinn sarkastisch zuverstehen. Wenn er den Auftrag gehabt hät-te, dich zu töten, würdest du längst nichtmehr existieren.

War das nur ein Beruhigungsmanövermeines Extrasinns, oder wollte der Robotermich tatsächlich nicht angreifen?

Da ertönte eine Stimme. Sie sprach inreinstem Varganisch, wie ich es von Ischtaroder Magantilliken her kannte. Der Robotersprach mit mir. Er schien mich nicht zu ken-nen, denn er gebrauchte keinen Namen.Trotzdem war er über den Grund meinesHierseins informiert.

»Unsere Herrin erwartet dich! Du bist derFremde, der auf dem Weg nach Yarden ist.Wir werden dich sicher zu unserer Herringeleiten.«

Ich sah Crysalgira kurz an. Die aber wargenauso ratlos wie ich.

»Was soll denn das schon wieder hei-ßen?« stieß ich hervor. »Wohin willst dumich bringen?«

Der Roboter antwortete nicht. Ein weiß-leuchtender Glutstrahl zuckte durch denGang und bohrte sich in Sekundenbruchtei-len durch den Roboter.

Ich riß Crysalgira aus der Feuerbahn. Umein Haar wäre sie von der Austrittsglut ver-brannt worden.

»In Deckung!« hörte ich mich schreien.Aber es gab nirgendwo eine schützende

Nische. Wir waren den Unbekannten ausge-liefert.

*

Die schweren Schritte verstummten dichtneben mir. Es mußten mindestens sechsKämpfer sein, die uns aufs Korn genommenhatten. Dicht neben meiner Wange verspürteich ein brennendes Stechen. Ein Fremder be-rührte mich mit dem heißen Lauf seines Bla-sters.

»Steh auf!«Ich blickte langsam an seiner metallischen

Kombination hoch. Er hatte einen durchsich-tigen Atemschutzhelm übergestülpt, um bes-

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ser durch die verqualmten Gänge zu kom-men. Sein Gesicht war mit einem schwarzenFell bedeckt. Seine Augen schimmerten ineinem gelblichen Farbton.

Das sind Tejonther, schoß es mir durchden Kopf.

»Was sucht ihr in Yarden?« fragte ich.Der Tejonther lachte kehlig. Die anderen

machten ebenfalls belustigte Gesten. Sie ho-ben ihre Blaster und deuteten auf mich.

»Du warst also nach Yarden unterwegs?«Sie lachten wieder.»Ist das denn nicht Yarden? Ich bin mit

meiner Begleiterin gerade aus dem Trans-mitter gekommen.«

»Dann hast du noch mal Glück gehabt«,meinte der erste Tejonther. »Wir haben denTransmitter umprogrammiert. Jedes Objekt,das jetzt hierher abgestrahlt wird, löst sich inseine atomaren Bestandteile auf.«

Der Tejonther sah mich überheblich an.Er empfand es sicherlich als Leistung, einevarganische Positronik in seinem Sinne um-funktioniert zuhaben.

Ich mußte unbedingt herauskriegen, wasdie Tejonther hier suchten.

»Ihr seid nicht zufällig hier?«Crysalgira biß sich auf die Unterlippe. Sie

hielt meine Frage für zu plump. Wenn unsdie Tejonther nichts verraten wollten, würdeich sie auch nicht zu einer Aussage bewegenkönnen.

»Du solltest dich damit abfinden, daß dunicht in Yarden angekommen bist«, sagte ei-ner von den Tejonthern. »Wenn dir dein Le-ben lieb ist, rühr dich nicht vom Fleck. Wirhaben genug mit den verdammten Roboternzu tun.«

Ich wollte es ganz genau wissen.»Wo befinden wir uns? Ist das ein Raum-

schiff oder eine planetare Station?«Die Tejonther verzogen die Gesichter.

Schließlich bequemte sich einer von ihnenzu einer Antwort.

»Das ist eine Gefühlsbasis der Tropoy-thers, und wir haben sie geknackt!«

Diese Auskunft würde meine gesamtenPläne ändern. Ich war von Yarden weiter

entfernt denn je. Aber vielleicht war das bes-ser so. Wenn ich meinen entführten SohnChapat nicht gefunden hätte, wäre esschlecht um mich und Crysalgira bestellt ge-wesen. Wir sollten in Yarden für den Fortbe-stand der sterilen Tropoythers sorgen.

Die Tejonther wurden auf einmal unruhig.Einer von ihnen trug ein Armbandempfangs-gerät. Aus den hektisch gebrüllten Befehlenging hervor, daß die silbernen Roboter dieGefühlsstation umzingelt hatten. Es gab an-scheinend Eingänge, von denen die Tejon-ther nichts wußten. Durch diese Tore dran-gen die feindlichen Roboter jetzt ein.

Ob die Roboter zu deinem Schutz abge-stellt wurden? Mein Extrasinn stellte dieseVermutung zur Diskussion. Auf Grund derbisherigen Ereignisse war es durchaus mög-lich, daß die Varganen mich retten wollten.

»Ihr kommt mit!« schrie der eine Tejon-ther. »Wir entscheiden später, was mit euchgeschehen soll.«

Die Bewaffneten zerrten uns durch ver-qualmte Gänge. An vielen Stellen branntendie Kabelstränge, die von Explosionen frei-gelegt worden waren. Ich hustete mehr, alsich atmen konnte. Es war grauenhaft.

»Hier entlang«, ertönte ein tejonthischerBefehl. »Die Roboter haben das Haupttorabgeriegelt.«

Wir wurden in eine schmale Röhre gesto-ßen. Das Gehen wurde immer mehr zurQual. Ich ließ mich von den nachfolgendenTejonthern einfach durch die abwärts ge-neigte Röhre schieben. Crysalgira folgte mirweiter hinten.

Plötzlich blendete uns greller Lichtschein.Du bist im Freien angekommen, signali-

sierte mein Extrasinn.

*

Vor uns erstreckte sich ein waldreichesTal. Die Luft war frisch und klar. Ich atmetetief durch. Es roch nach blühenden Pflanzenund faulendem Laub.

Die Gefühlsstation der Tropoythers lagam Fuß eines Felsengebirges.

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Die stahlblaue Kuppel verschmolz auf ei-ner Seite fest mit den Felsen. Mehrere über-dachte Röhrenverbindungen zogen sich, vonder Kuppel ausgehend, strahlenförmig durchdie Landschaft.

Wir waren aus einer solchen Röhre ge-kommen.

»Hier sind noch keine Roboter. Wir neh-men erst mal Kontakt zu einem anderenStoßtrupp auf«, meinte ein Tejonther aufge-regt.

Ich sah zu, wie er seinen Armbandsenderaktivierte.

»Hier Yürgaam! Wir haben die Gefühls-basis verlassen und nähern uns dem Wald.Wo steckt ihr?«

Der Tejonther drückte mehrmals auf diewinzige Sprechtaste seines Senders. Er wie-derholte seinen Funkspruch, aber es geschahnichts. Der Empfänger blieb stumm. Die an-dere Gruppe schien im Kampf gegen die Ro-boter gefallen zu sein.

Ein dumpfer Knall ließ uns zusammen-zucken.

Die Tejonther stießen unverständlicheLaute aus. Sie drehten sich um und muster-ten aufgeregt die nähere Umgebung. Wir be-fanden uns augenblicklich in einer Felsmul-de. Die hohen Laubbäume versperrten unsdie Sicht in den Hintergrund des Waldes.

Dann erblickten wir eine große Rauch-wolke, die etwa zehn Kilometer von uns ent-fernt in den blauen Himmel stieg. Das auf-geregte Zwitschern kleiner Vögel wurdehörbar.

»Dort hinten müßte Gnuuris Gruppe ihrLager aufgeschlagen haben«, meinte der Te-jonther, der von den anderen Yürgaam ge-nannt wurde. Er schien eine führende Positi-on in diesem Unternehmen zu haben.

»Die verfluchten Roboter müssen ihn ge-ortet haben, als er zu uns durchstoßen woll-te.« Yürgaam nickte.

»Dann werden sie uns auch bald imNacken sitzen.«

Mehrere Explosionen folgen kurz hinter-einander. Es klang fast wie eine einzige De-tonation. Die erste Rauchwolke vereinigte

sich mit den anderen Qualmsäulen zu einemriesigen Pilz, der drohend über dem Waldstand.

»Wir schlagen uns zu ihnen durch«, gabYürgaam den Befehl und meinte zu mir ge-wandt: »Du gehst voraus!

Wenn wir auf feindliche Roboter stoßen,erwischt es dich zuerst. Außerdem habenwir dich auf diese Weise besser im Auge.«

Ein paar Tejonther lachten. Sie schienensich über die Rolle zu amüsieren, die Yür-gaam mir zugedacht hatte. Ich war wenigererfreut darüber. Auf diese Weise stand ichmitten in der Schußlinie der gegnerischenParteien. Fliehen konnte ich nicht. Yürgaamließ den Zeigefinger niemals vom Feuerkon-takt.

3.

Name: TerziulRasse: TejonthermischlingKennzeichen: KeineLebenserwartung: Neunzig tejonthische

EinheitenTerziuls gelber Pelz war blutverschmiert.An einigen Stellen war die Haut bis aufs

rohe Fleisch aufgescheuert. Er mußte großeSchmerzen haben. Aber er ließ sich nichtsanmerken. Er hatte sich beim Sturz auf dieKüstenfelsen schwere Prellungen zugezo-gen.

Die Roboter hatten ihn einfach losgelas-sen. Dann waren sie zurück zum Pulk deranderen Kampfmaschinen geflogen. Sie hat-ten ihn ausgesetzt und damit ihren Auftragerledigt. Roboter kannten keine Emotionen.

Seit Terziul wußte, daß Karschkar aufdem namenlosen Planeten gelandet war, er-füllte ihn ein unstillbarer Tatendrang.

Er wollte sich an der Tropoytherin rächen.Terziul stellte sich die entsetzlichen Fol-

termethoden vor, mit denen er Karschkarquälten wollte. Doch das Objekt seiner Ag-gression befand sich im Schutz des Doppel-pyramidenraumschiffs.

Wenn Karschkar das Raumschiff nichtverließ, kam er niemals an sie heran. Es war

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unmöglich, sich dem Schiff unbemerkt zunähern. Die automatischen Wachsonden hät-ten ihn sofort registriert.

Das Doppelpyramidenschiff lag auf deranderen Seite des großen Waldtals. Auf die-ser Seite befand sich die Gefühlsbasis. Ter-ziul ahnte, daß Karschkar zwischen sich undder umkämpften Station einen Sicherheits-abstand wahren wollte. Die heftigen Kämpfeließen auf nichts Gutes schließen.

Bis jetzt hatte Terziul nur die tropoythi-schen Roboter gesehen. Die silbernen Leiberschwebten tief über dem Wald und hieltennach dem unbekannten Gegner Ausschau.

Terziul fragte sich, ob Karschkar von An-fang an auf dieser Welt landen wollte. Ermußte an Karschkars Worte denken. DieTropoytherin hatte oft von ihrem Geheim-planeten gesprochen. Dorthin wollte sie ihneinmal mitnehmen. Terziul ballte die Händezu Fäusten. Er war auch noch darauf reinge-fallen! Die Unsterbliche hatte ihn ganzschön zum Narren gehalten.

Er kletterte die scharfkantigen Felsenlangsam hinunter. Er mußte darauf achten,jeden Fehltritt zu vermeiden. Es gab hier tie-fe Felsspalten, aus denen er sich sicher nichtohne fremde Hilfe befreit hätte.

Terziul hielt inne. Neben ihm hatte sich ineiner Bodenrinne Wasser angesammelt. Ertrank ein paar Schluck davon und verzog an-gewidert sein Gesicht. Er war ganz andereGetränke gewöhnt. In Karschkars Salon gabes sämtliche Spezialitäten von Yarden.

Terziul sah die mächtige Kuppel der Ge-fühlsbasis vor sich aufragen.

Er duckte sich hinter einen Felsen, als erdie Erinnye aus einem aufgleitenden Torschweben sah. Terziul wußte nicht, daß dieErinnyen Roboter der Tropoythers waren. Erhielt sie für Göttinnen.

Die Erinnye sah wie ein Geist aus. Durch-sichtige Schleier umhüllten ihren weiblichenKörper.

Terziul hatte auf einmal Angst. Er war al-lein. Niemand würde ihm hier helfen. Wennihn die Erinnye sah, war er erledigt.

Trotzdem wagte Terziul einen Blick nach

unten. Er blieb soweit in Deckung, daß er je-derzeit in die Felsspalte zurückkriechenkonnte.

Plötzlich ertönte ein durchdringendes Sir-ren.

Die Erinnye drehte sich um die eigeneAchse und stieg etwas höher empor. Siekonnte jetzt den gesamten Vorplatz der Kup-pel überblicken. Auf dem Sandboden warenzahlreiche Fußabdrücke erkennbar. An einerStelle stieg Qualm auf. Die Wrackteile eineszerschossenen Roboters glühten immernoch.

Das Sirren verstärkte sich. Es ging vonder Erinnye aus. Sie streckte den rechtenArm aus. Terziul erkannte den tropoythi-schen Stabstrahler, dessen Lauf flimmerte.

Wen hat sie aufs Korn genommen, schoßes dem Mischling durch den Kopf. Michkann sie nicht gesehen haben. Ich bin nochzu weit von der Kuppel entfernt.

Terziul hätte beinahe aufgeschrieen, als erdie fünf Gestalten erkannte, die im Eiltempoaus einem Röhrengang vor der Kuppelstürmten. Das waren Tejonther. Sie trugenschwere Thermostrahler und hatten Explo-sivkapseln in den Gürtelschlaufen hängen.

»Schießt, was das Zeug hält!« gellte dieStimme eines Tejonthers über den Platz.

Der Kämpfer existierte nicht mehr, als dasEcho seines Rufes von den Kuppelwändenzurückgeworfen wurde. Die Erinnye hatteden Fächerstrahl ihrer Waffe auf die Tejon-ther gerichtet und sie durch eine Handbewe-gung ausgelöscht. Es war nicht einmal einAschehäufchen von ihnen übriggeblieben.Jetzt detonierten die Energiemagazine ihrerStrahler. Schwarze Flecken blieben im Sandzurück.

Die Erinnye verhielt sich einen Augen-blick abwartend, dann schwebte sie in dieKuppel zurück.

Terziul atmete auf. Sie hatte ihn nicht ge-sehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würdedie Erinnye auch nicht so schnell wiedernach draußen kommen. Das Tor hatte sichgeschlossen.

Terziul überlegte noch, ob er in eine von

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den Gangröhren eindringen sollte, oder ob ersich lieber durch den Wald schlagen sollte.Gekämpft wurde inzwischen an vielen Plät-zen. Die Tejonther wurden von den Robo-tern in alle Richtungen davongetrieben.

Terziul wurde auf einmal auf ein Zischenaufmerksam. Es kam von einem Röhren-gang, dessen Außenfläche sich plötzlichdunkelrot färbte. Als eine runde Metallplattekrachend nach draußen gestoßen wurde,wußte Terziul, daß er Verbündete gefundenhatte.

*

»Laßt eure Köpfe unten!« schrie Terziulden Tejonthern zu, die durch die Öffnungdes Röhrengangs kriechen wollten.

Die Raumfahrer verschwanden auf derStelle im Innern der Röhre.

Terziul sah mehrere Blastermündungenüber die unregelmäßigen Schmelzstellen derWand ragen.

Sie trauen mir nicht, erkannte Terziul. Siehaben gemerkt, daß ich ein Mischling bin.Meine Sprache hat mich verraten.

»Eine Erinnye hat eure Freunde erledigt!«Drüben regte sich nichts. Die Blastermün-

dungen waren noch an derselben Stelle wieeben.

Terziul mußte das Risiko eingehen. Erbrauchte eine Waffe. Die Tejonther besaßengenügend Strahler. Ohne ihre Hilfe kam ernie bis zu Karschkars Raumschiff.

Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaaresträubten.

»Ein Bastard!« tönte es dumpf aus demRöhrengang. »Wie kommt der hierher?«

»Er macht gemeinsame Sache mit denTropoythers! Das ist doch ein klarer Fall!«

»Nein«, schrie Terziul und hob beideHände. »Ich bin unbewaffnet.«

Seine Stimme klang eigenartig hohl. DasEcho wurde von den Felsen mehrmals zu-rückgeworfen. Terziuls Hände zitterten.Schweiß lief ihm in die Augenwinkel.

»Nicht schießen … ich bin eurer Freund!«»Das kann jeder behaupten«, schallte es

aus dem Röhrenloch. »Wie kommt es über-haupt, daß du noch lebst, während es unsereKameraden erwischt hat?«

»Das kann ich euch erklären! Aber nehmtendlich die verdammten Blaster runter. Ichkomme jetzt zu euch. Gebt mir Feuerschutz,falls die Erinnye noch mal aufkreuzen soll-te.«

Terziul bekam keine Antwort. Er mußtees wagen. Mit einem Ruck schwang er sichüber die Felsenklippe und taumelte denschräg nach unten abfallenden Geröllhanghinab. Er stolperte und kam in einer Wolkeaus Staub und Dreck wieder hoch.

Sie haben bis jetzt nicht geschossen,dachte Terziul erleichtert.

Die Angst saß ihm im Nacken.Hinter ihm konnte jeden Augenblick das

große Schiebetor aufgleiten und die Erinnyeins Freie lassen. Vor ihm flimmerten die Ab-strahlmündungen von sechs tejonthischenBlastern.

Terziul hielt den Atem an und lief ge-bückt weiter. Der Sand knirschte unter sei-nen Füßen.

Die Tejonther drückten nicht ab. Sie lie-ßen ihn unbehelligt in die Röhre springen.Sie trugen geschlossene Atemhelme. Ihrebehaarten Gesichter drückten Mißtrauen undunverhohlene Abneigung aus.

Ein Mischling galt bei den Tejonthernnicht viel.

Terziul atmete schwer. Er preßte die rech-te Hand gegen die linke Brustseite. EinigeWunden bluteten wieder. Er befand sich ineinem erbärmlichen Zustand.

»Wie kommst du hierher?« herrschte ihnder rangälteste Tejonther an. Auf seinerBrust steckte ein kleines Sternensymbol. Erschien der Kommandant des ganzen Lan-dungsunternehmens zu sein.

Terziul kniff die Lippen zusammen. Erdurfte jetzt keinen Fehler machen, sonst warer erledigt. Abgesehen davon, daß sie ihmnicht abnehmen würden, der Geliebte einerTropoytherin gewesen zu sein, wäre dieseAntwort höchst unklug gewesen.

Diese Tejonther kämpften gegen Karsch-

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kars Roboter. Er mußte sich also als einFeind der Unsterblichen ausgeben.

»Ich bin aus dem Raumschiff geflohen«,log er. »Die Kommandantin wollte mich tö-ten.«

»Ach, nein!« spöttelte ein junger Tejon-ther. »Du siehst nicht gerade wie ein Rebellaus. Wohl eher wie ein verdammter Gespie-le von diesen überheblichen Tropoythers.«

Terziul kniff die Augen zusammen. DieseBurschen waren gerissener, als er zunächstangenommen hatte.

»Ich brauche eure Hilfe!«Der Gruppenführer sah Terziul nachdenk-

lich an.»Du bist waffenlos zu uns gekommen.

Wir hätten dich jederzeit desintegrieren kön-nen. Vielleicht stimmt es, was du uns sagst.«

»Ich sage die Wahrheit«, fing Terziul er-neut an. »Ihr müßt mir helfen, das Doppel-pyramidenraumschiff der Tropoythers zuvernichten!«

Der Tejonther stieß den Atem geräusch-voll aus.

»Und sonst nichts?«Sie lachten wieder. Terziul merkte sofort,

daß er bei den jungen Burschen keinerleiChancen hatte. Sie verachteten ihn. Und sieließen es ihn deutlich spüren.

»Wir sollten ihn wieder in die Wüsteschicken, Vaarny«, meinte ein junger Tejon-ther und deutete mit dem Daumen auf Terzi-ul.

Vaarny war der älteste von allen. Er ließsich nicht von Emotionen leiten. Das ver-schaffte ihm einen Vorteil, denn die jungenKämpfer liefen nur allzuoft in blindem Eiferins Verderben.

Vaarny nahm den Blaster hoch und über-prüfte das Energiemagazin. Dann sagte er:»Der Mischling könnte uns wichtige Dingeüber die Besatzung verraten. Wir haben kei-ne Verbindung mehr zu den anderen Grup-pen. Wenn wir jemals wieder von hier weg-kommen wollen, muß der Pyramidenraumervon der Bildfläche verschwinden. Wenn unsder Bursche helfen kann, ist er mir willkom-men. Andernfalls könnt ihr ihn zum Teufel

jagen.«Terziul räusperte sich. Er wollte die Gele-

genheit beim Schopf packen und sein Wis-sen zum Besten geben.

Vaarny kam ihm zuvor.»Wie heißt du, Bastard?«»Terziul!«»Dann merk' dir eins, Terziul … du hast

nur zu reden, wenn du von einem von unsgefragt wirst. Wir verstehen keinen Spaß.Wenn du uns lästig wirst, mußt du ins Grasbeißen.«

Vaarny klopfte mit der Linken auf denBlasterschaft.

»Ich habe dich verstanden«, kam es leisevon Terziuls Lippen. »Was wollt ihr wis-sen?«

»Du hast vorhin gesagt, wir sollten dir beider Vernichtung des Tropoytherschiffs be-hilflich sein. Wie kommst du auf die Idee,unsere paar Kämpfer könnten das schaf-fen?«

Terziul lächelte. Er merkte, daß Vaarnynicht auf seine Mitarbeit verzichten wollte.

»Es ist nur eine Frau an Bord. Die Kom-mandantin. Sie heißt Karschkar und gehörtzu den Unsterblichen.«

Die jungen Tejonther pfiffen durch dieZähne. Sie sahen ihn auf einmal gespanntan.

»Vielleicht können wir das Schiff ka-pern.«

Terziul drehte sich um. Sein Haß aufKarschkar war größer, als jede Vernunft. Erhatte sich kaum unter Kontrolle. Seine Lip-pen bebten, als er den Tejonther anschrie.

»Was heißt hier kapern? Ich denke, ihrwollt das Schiff vernichten? Die Unsterbli-che soll mit ansehen, wie wir ihr stolzesSchiff in die Luft jagen.«

Vaarny stieß Terziul den Kolben des Bla-sters in die Seite.

»Hast du ein schlechtes Gedächtnis, Ter-ziul? Ich sagte doch eben, daß du nur redendarfst, wenn du dazu aufgefordert wirst.Keinen Ton mehr, oder du landest draußen.Dann kannst du dir aussuchen, wer dir denGnadenschuß geben darf.«

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Terziul sah auf den Boden. Im Augen-blick blieb ihm nichts anderes übrig, als sichden Befehlen der Tejonther zu fügen.

Vaarny wandte sich seinen Kameradenzu.

»Wenn es stimmt, daß eine Erinnye unse-re Freunde erschossen hat, dürfen wir dieLaufröhre hier noch nicht verlassen. Wir ge-hen weiter durch die Röhre und schmelzenuns erst am anderen Ende durch.«

Vaarnys Vorschlag wurde sofort akzep-tiert.

»Vorwärts, Terziul! Es geht weiter. Dukannst uns unterwegs noch mehr von dieserUnsterblichen berichten. Jede Einzelheit istfür uns wichtig.«

*

Als das herausgeschweißte Metallstücknach draußen polterte, erkannten sie, daß siemitten im Wald herausgekommen waren.

Die Tejonther rissen sich die Atemhelmevon den Köpfen und saugten die frischeWaldluft tief in ihre Lungen ein.

»Jetzt müssen wir aufpassen«, meinteVaarny. »Im Dickicht können wir leicht dieRichtung verlieren. Wir werden sicher nichtmit Robotüberfällen zu rechnen haben. Des-halb können wir uns ganz auf unsere Mar-schroute konzentrieren.«

Sie stiegen durch die schmale Öffnung inder Laufröhre. Die Ränder glühten hoch.Aber sie waren durch ihre metallischenKombinationen ausreichend geschützt. NurTerziul versengte sich das Fell.

»Wir bleiben am besten dicht beisam-men.«

Vaarny ging voraus. Die Äste knacktenunter seinen Stiefeln. Das Laub raschelte.Lediglich die Baumkronen waren grün. Al-les andere war knochentrocken.

»Paßt mit euren Strahlern auf«, mahnteVaarny seine Begleiter. »Ein Schuß, und derganze Wald steht in Flammen. Das Feuerfindet genügend Nahrung, um sich in einenFlächenbrand auszuweiten.«

Die anderen nickten stillschweigend.

»Aber darauf werden die Roboter kaumRücksicht nehmen, wenn sie uns ent-decken«, sagte einer dicht hinter Vaarny.»Sie brauchen uns nicht mal einzeln abzu-schießen. Ein Glutfächer genügt, und wirwerden geröstet.«

Vaarny schüttelte den Kopf. »Die Kom-mandantin des Raumschiffs wird nicht sodumm sein, daß sie ihre Roboter nicht ent-sprechend programmiert hat. Das Schiffsteht zu dicht am Waldrand. Außerdem liegtdie Gefühlsbasis ebenfalls in unmittelbarerNähe des Waldes. Ein Flächenbrand könntedort unersetzliche Instrumente vernichten.«Die anderen nickten wieder. Plötzlich hieltVaarny die Hand vor den Mund. Er drehteden Kopf leicht nach rechts. Das Dickichtließ kaum Licht durch. Es herrschte ein dü-steres Halbdunkel vor. »Seid mal leise!«

»Ich kann nichts hören«, meinte VaarnysHintermann.

»Habt ihr eure Ohren verstopft? Nichtweit vor uns bewegt sich etwas. Es knacktso seltsam. Als ob sich jemand den Wegdurchs Unterholz bahnen würde.«

Vaarny schob die Zweige vor sich beisei-te. Das trockene Astwerk raschelte.

»Bleibt dicht hinter mir … und paßt auf,daß ihr keinen Lärm macht. Wir wissennichts über die Tiere dieses Planeten. Bisjetzt haben wir nur ein paar harmlose Vögelzu Gesicht bekommen. Wer weiß, was sichin den Wäldern sonst noch herumtreibt.«

Terziul hatte auf einmal ein beklommenesGefühl. Er hatte die seltsamen Geräuscheauch vernommen. Sie erinnerten ihn an dasMalmen einer Zerkleinerungsanlage. Nichtganz so laut, eher etwas verhaltener – so, alswürde ein Tier seine Beute in den Schlupf-winkel zerren.

Zwei Tejonther schoben neue Energiema-gazine in die Kolben ihrer Blaster. Es knack-te metallisch, als der Verschluß einrastete.Die Feueranzeigen leuchteten rot auf.

»Seid ihr verrückt geworden?« zischteVaarny. »Solange wir im Wald sind, werdendie Blaster nicht benutzt. Wozu habt ihr Vi-bratordolche dabei?«

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Terziul erkannte sofort, daß die beidenKämpfer sichtlich nervös wurden. Sie warenden Gebrauch der Strahlenwaffen gewöhnt.Wenn sie überhaupt jemals eine Nahkampf-ausbildung genossen hatten, gehörte dasÜben mit einem Vibratordolch bestimmtnicht dazu. Energiewaffen waren das A undO bei kriegerischen Auseinandersetzungen.

Ein langgezogenes Schnaufen ertönte. DieTejonther blieben ruckhaft stehen. SogarVaarny verhielt sich abwartend und starrteaufgeregt in das Halbdunkel des Waldes.

»Ein großes Tier«, kam es über VaarnysLippen.

Der Gruppenführer wog den schweren Vi-bratordolch in der Rechten. Die Klinge be-stand aus extrem gehärteten Stahlklingen.Die Schneideflächen waren gezähnt und lie-fen parallel zueinander. Ein kleiner Motorim Griff sorgte für den Vibrationseffekt.Durch Daumendruck ließ sich die Ge-schwindigkeit in drei Stufen regeln. Mit Stu-fe drei konnte man die Metallfaserkombina-tion eines Tejonthers wie Wachs zerschnei-den.

Plötzlich zerbrach ein morscher Baum-stamm. Kaum war das Krachen und Split-tern verhallt, als es ganz in der Nähe ra-schelte. Trockenes Astwerk regnete auf dieTejonther herab.

Vaarny drückte einen jungen Tejonthermit fester Hand zu Boden.

»Nicht die Nerven verlieren, Güloor!«»Das … Ungeheuer kommt genau auf uns

zu.«Vaarny schüttelte energisch den Kopf.»Irrtum! Dann hätten wir längst sehen

müssen, wer diesen Lärm verursacht. In die-sem Dickicht täuscht man sich über die Ent-fernungen. Besonders bei so undefinierbarenGeräuschen.«

Vaarny verstand es ausgezeichnet, seinewahren Gefühle vor den anderen zu verber-gen. Eine Fähigkeit, die dazu beigetragenhatte, daß er von den tejonthischen Rebellenzum Leiter des Unternehmens ausgewähltworden war.

Vaarny blickte kurz zu Terziul hinüber.

Der Mischling sah gehetzt in verschiedeneRichtungen. Er stützte sich wie bei einemSprung am Boden ab. Sein Atem ging keu-chend.

Vaarny erkannte sofort, daß der Mischlingbei der geringsten Kleinigkeit davonrennenwürde. Er mußte ihn sofort beruhigen. Wenndie unbekannte Kreatur auf sie aufmerksamwurde, waren sie höchstwahrscheinlich erle-digt. Den Geräuschen nach zu urteilen, han-delte es sich um ein ziemlich großes Lebe-wesen.

»Halt, Terziul«, stieß Vaarny zischendhervor. »Keinen Schritt weiter! Ich nagledich mit dem Dolch an den nächstbestenBaum. Du kannst meine Freunde fragen.Darin bin ich ungeschlagener Meister.«

Terziul zuckte zusammen. Die Vorstel-lung, von dem Tejonther getötet zu werden,war alles andere als angenehm.

Bevor der Mischling etwas antwortenkonnte, zerbrach in unmittelbarer Nähe er-neut ein Baumstamm. Ein dumpfes Keuchenfolgte dem Splittern. Dann bebte der Boden.Astwerk wurde achtlos beiseite gewirbelt.Ein paar Erdbrocken trafen die Tejonther.

»Weg hier!« schrie Vaarny. »Wir schla-gen uns zur Gefühlsbasis durch. Hier kom-men wir bestimmt nicht mehr weiter.«

Das Beben verstärkte sich. Die trockenenBäume zitterten. Äste und Blattwerk regne-ten auf die Tejonther herab.

»Los, worauf wartet ihr noch?« VaarnysBefehl ging im Entsetzensschrei der beidenjungen Kämpfer unter, die dicht neben Ter-ziul standen. Sie wurden wie von einer ge-waltigen Faust hochgehoben und dann me-terweit davongeschleudert. Dort, wo sieeben noch gestanden hatten, gähnte ein fin-steres Erdloch. Der weiche Boden türmtesich zu einem Erdwall auf. Terziul schriewie am Spieß. »Helft mir doch! Ich kannmich nicht festhalten. Ich rutsche in den Bo-den.«

Terziul hing mit beiden Händen am Erd-wall. Die gleitenden Erdmassen ließen ihnimmer wieder abrutschen. Sein gelber Pelzwar über und über mit stinkendem Schmutz

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besudelt.»Ich werde in den Boden gezerrt«,

kreischte Terziul mit überschlagender Stim-me. »Das Ungeheuer hat mich gepackt.«

Vaarny drehte sich um und packte mit derLinken Terziuls verzweifelt hochtastendeHand.

»Ich hab dich! Du mußt dich abstützen.«Statt einer Antwort kam ein Gurgeln aus

dem Erdloch. Terziul war bereits unter denlockeren Erdkrumen verschwunden. Nur einArm ragte noch heraus, und den umklam-merte Vaarny.

»Was ist mit euch los?« herrschte Vaarnyseine Begleiter an. »Helft mir, den Bastard'rauszuziehen!«

»Der Kerl ist doch bloß eine Belastungfür uns!«

Vaarnys gelbe Augen funkelten zornig.Aus der Tiefe des Waldbodens kamen rö-chelnde Laute. Ringsumher bebte der Bo-den. Kleine Löcher bildeten sich und ver-schwanden sofort wieder. »Helft mir!«

Die jungen Tejonther erkannten, daßVaarny es ernst meinte. Sie überwanden ihreFurcht vor der unbekannten Bestie und um-klammerten Terziuls Arm.

»Er lebt bestimmt nicht mehr«, vermuteteeiner von den Tejonthern, dessen schwarzerPelz schweißverklebt war.

Plötzlich gab der Boden unter dem Erd-wall erneut nach. Terziul wurde auf einmalwieder sichtbar. Er hing ohnmächtig imGriff der Tejonther. Unter ihm gähnte einschwarzes Loch. Vaarny hielt angewidertden Atem an.

»Das stinkt ja wie die Pest!« Ein scheußli-cher Geruch stieg aus der unheilvollen Öff-nung nach oben. Vaarny dachte unwillkür-lich an den stinkenden Atem eines riesigenDrachen. Ein Ruck, und sie hatten Terziulhochgezogen.

»Bringt ihn wieder zu Bewußtsein! Ver-teilt euch drüben zwischen den Bäumen.Dort scheint der Untergrund fester zu sein.«

Die Tejonther kamen dem Befehl sofortnach. Einer flößte Terziul ein paar TropfenKonzentratsaft ein. Der Mischling regte

sich. Dann schlug er die Augen auf. SeineStimme klang leise und belegt. Er sagte ein-fach nur »Danke«, sonst nichts.

»Seht mal, wie ihn das Biest zugerichtethat!«

Die anderen Kämpfer folgten der ausge-streckten Hand ihres Kameraden. Der Tejon-ther deutete auf Terziuls Beine.

Einer wandte sich würgend ab. Er holtekrampfartig Luft.

»Das … das Ding wollte ihn verschlin-gen.«

Terziuls Beine schimmerten rosig. Eineätzende Flüssigkeit hatte die gesamte Behaa-rung entfernt. Die Haut war ebenfalls starkangegriffen. Ein paar Minuten länger, undvon Terziul wäre nicht viel übriggeblieben.

Erst jetzt kam dem Mischling zum Be-wußtsein, in welcher grauenhaften Gefahr ergeschwebt hatte. Die Schmerzen schienennicht allzu stark zu sein. Die psychische Be-lastung aber war zu groß für Terziul. Erstieß einen gellenden Schrei aus und ent-wand sich den Händen seiner Helfer.

»Es frißt euch alle! Ihr seid verloren!«Vaarny drehte sich irritiert um. Der Grup-

penführer hatte sich vorsichtig an den Randdes Erdlochs herangewagt. Er hielt seinenVibratordolch in der Rechten.

»Bringt ihn zum Schweigen!«Terziul schrie weiter. Da stand Vaarny

auf, um den Mischling zu packen. Er wollteihm gerade eine Ohrfeige geben, als er gur-gelnd innehielt. Seine Augen traten weit her-vor. Seine Zunge kam aus dem Mund.

Ein schleimiger Tentakel hatte sich umVaarnys Hals geschlungen. Die Kraft war sogewaltig, daß der Tejonther blitzschnell vonden Füßen gerissen wurde.

*

Terziul sprang hinter einen dicken Baum-stamm und umklammerte die bröcklige Rin-de mit beiden Händen. Er starrte auf dieschmale Lichtung. Er war so schockiert, daßer zu keiner vernünftigen Handlung mehr fä-hig war.

Die Hexe von Yarden 19

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Vaarny konnte sich noch einmal aufrich-ten. Der Tentakel riß ihn jedoch sofort wie-der zu Boden. Gurgelnde Laute kamen vonden Lippen des Tejonthers.

»Eure … Dolche … schnell!«Jetzt brach der Boden über fünf Meter ein.

Äste und Blattwerk verschwanden mit dernachrieselnden Erde in der Tiefe. Ein gieri-ges Keuchen drang nach oben. Die Bestie,die Vaarny gepackt hatte, mußte ganz dichtunter der Erdoberfläche stecken.

Vaarny bekam keine Luft mehr. Sein Ge-sicht verzerrte sich zu einer abscheulichenFratze. Seine Arme gingen puppenhaft aufund nieder. Dennoch hielten seine Fingerden Vibrationsdolch unvermindert fest. Jetztpreßte Vaarny die Klinge gegen den Tenta-kel. Ein Sirren ertönte, als Vaarny den Mo-tor durch Daumendruck einschaltete. In der-selben Sekunde brüllte es in der Erde ent-setzlich auf. Ein gewaltiges Beben ließ dieTejonther umhertaumeln. Staub wirbelte auf.Ein trockener Baumstamm neigte sichschräg zur Seite.

»Das Biest kommt hoch! Lauft um euerLeben!«

Vaarny taumelte wie ein Schlafwandlerins Unterholz. Der Tentakel war von seinemVibrationsdolch zerfetzt worden. Dadurchwurde der Tejonther die Hälfte des Fang-arms aber noch lange nicht los, denn dieserhatte sich fest um seinen Hals geschlungen.

Vaarny stolperte und kam noch einmalhoch. Er riß mit beiden Händen an der ent-setzlichen Krause, die seinen Hals zusam-menpreßte.

Terziul schluckte aufgeregt, als er Vaarnysterben sah. Der Tejonther sank röchelnd insich zusammen. Wenig später war er tot.

»Nehmt eure Blaster!« keuchte ein jungerTejonther. »Anders kommen wir der un-heimlichen Bestie nicht bei.«

Im gleichen Augenblick öffnete sich derWaldboden im gesamten Bereich der schma-len Lichtung. Die Tejonther verschwandenmitsamt ihren Waffen in der Tiefe. Mehrereweißhäutige Schlangenarme kamen hochund wirbelten umher. Sie rissen die morsche

Rinde von den nächstbesten Bäumen.Terziul konnte den Blick nicht von dem

grauenhaften Geschehen abwenden. Er hattedas Gefühl, dies alles gar nicht wirklich zuerleben. Er kam sich wie in einem Alptraumvor.

Als ihn ein Erdbrocken unsanft an derStirn traf, wußte er, daß dies die Wirklich-keit war. Er stöhnte gequält auf. Denn wiedurch Zauberhand kamen die Tejonthernoch einmal hoch. Sie waren über und übermit weißem Schleim bedeckt. Sie bewegtensich nicht mehr. Anscheinend waren sie imWürgegriff der Bestie erstickt worden.

Für ein paar Sekunden kam der Erdbe-wohner ins Freie.

Terziul hielt den Atem an und wurdestocksteif. Er hatte noch nie in seinem Lebenetwas so abgrundtief Häßliches gesehen. Erwar nahe daran, den Verstand zu verlieren.Er wollte weglaufen, doch seine Beine wa-ren zentnerschwer. Er mußte die Kreatur an-sehen, ob er wollte oder nicht.

Der Körper des gierigen Erdbewohnerswar tropfenförmig. Ein grauschwarzer Pelzbedeckte die flunderförmige Oberseite. Diegefährlichen Fangarme wuchsen sternförmigaus dem Randwulst des grotesken Körpers.Terziul erblickte mehrere Saugnäpfe, diesich rhythmisch öffneten und schlossen. Alssich die Kreatur halb auf die Seite legte, umdie letzten Tejonther in die Grube zu zerren,sah er die Grabwerkzeuge des Tieres.

Mehrere zangenförmige Schaufeln wuch-sen aus der Bauchseite, die völlig haarloswar. Die speckige Haut glänzte feucht. An-scheinend waren unter der Bauchhaut Drü-sen verborgen, die dem Körper unter demErdreich eine gewisse Gleitfähigkeit verlie-hen, indem sie regelmäßig eine gelatinearti-ge Substanz absonderten.

Terziul mußte mit ansehen, wie die totenTejonther in dem Erdloch verschwanden.Dabei rumorte es in der Tiefe. Anscheinendlebten dort unten noch mehr von diesen Un-geheuern. Erdbrocken wurden hochge-schleudert. Der Boden veränderte sich wiebei einem Erdbeben. Das Rumoren hielt eine

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Zeitlang an, dann wurde es still.Eine Staubwolke hing über der schmalen

Lichtung.Die plötzliche Stille war beklemmend.

Terziul atmete zum erstenmal wieder tiefdurch. Langsam wich die Beklemmung vonihm. Er starrte aufmerksam zu dem Erdhü-gel hinüber. Aber dort regte sich nichtsmehr. Terziul setzte vorsichtig einen Fußvor den anderen. Dann stand er dicht vordem Hügel.

Die Erde dampfte etwas. Der penetranteGestank, der von dem Ungeheuer ausgegan-gen war, hielt unvermindert an.

Das Loch im Boden hatte sich geschlos-sen.

Terziul fröstelte. Er wischte sich denSchmutz vom Gesicht. Er war froh, daß esihn nicht auch erwischt hatte.

Terziul wandte sich von dem Erdhügel ab.Er war unentschlossen, in welche Richtunger gehen sollte. Da sah er Vaarnys Körper.Der Tejonther lag am Rand des Dickichts.

Terziul drückte die erstarrenden FingerVaarnys auseinander. Der Vibratordolch ge-hörte jetzt ihm. Vorsichtig löste er den Gür-tel, an dem fünf Sprengkapseln hingen –kaum faustgroße Körper von großer Spreng-kraft. Die Kapseln ließen sich mit Hilfe ei-nes Zeitzünders oder eines Druckzündershochjagen.

Der Mischling steckte auch noch den Bla-ster in seinen Gürtel. Dann wandte er sichvom Ort des entsetzlichen Geschehens ab.Er hoffte, nie wieder einer so grauenhaftenBestie zu begegnen.

Aber was wußte Terziul schon über dieseWelt?

Vor wenigen Stunden hatte er noch nichtsvon ihrer Existenz geahnt. Karschkars Ent-scheidung, ihn hier auszusetzen, war völligunverhofft für ihn erfolgt. Er konnte es jetztnoch nicht recht fassen, bei der Unsterbli-chen in Ungnade gefallen zu sein. Er zwangsich gewaltsam, an etwas anderes zu denken.Aber immer wieder tauchte Karschkars Ge-sicht vor seinem geistigen Auge auf. So sehrer sich anstrengte, die Tropoytherin aus sei-

ner Erinnerung zu verbannen, es gelang ihmnicht.

Terziul lief weiter durch den Wald, deräußerlich so harmlos und friedlich aussah.Tief unter dem laubbedeckten Boden verbar-gen sich grauenhafte Bestien.

Terziul rechnete mit dem Schlimmsten,doch er kam ungeschoren bis an das Raum-schiff der Unsterblichen.

*

Karschkar feuerte mit der kleinen Impuls-kanone auf die grünen Echsen, die ihrRaumschiff umzingelt hatten. Der Glutstrahlblitzte immer kurz auf und erlosch dann so-fort wieder. Im gleichen Augenblick löstesich eine Echse auf. Zurück blieben nur klei-ne Aschehäufchen, die rasch verwehten.

Terziul lag der Länge nach auf dem Bo-den. Vor ihm wuchsen binsenartige Ge-wächse, die ihm ausreichend Deckung bo-ten. Ein Sandstreifen von etwa hundert Me-ter Breite trennte ihn vom RaumschiffKarschkars.

Terziul ließ die Finger über das kühle Me-tall der Sprengkapseln gleiten. Er hätte dieBomben am liebsten auf Sofortdetonationgestellt und gegen das Raumschiff geschleu-dert. Aber das hätte überhaupt nichtsgenützt. Der hochverdichtete Vargan-Stahlhätte durch die Explosion nicht einmal Krat-zer davongetragen.

Das Fauchen der kleinen Impulskanonemachte Terziul nervös.

Karschkar tötete zum Vergnügen. Diefünf Meter langen Echsen taten keinem et-was. Sie hatten sich vor dem schimmerndenSchiff versammelt und harrten friedlich derDinge, die da kommen sollten. Anscheinendnahmen sie es gar nicht wahr, daß eine weitüberlegene Intelligenz Tod und Vernichtungzwischen ihnen säte.

Terziul biß sich auf die Unterlippe. Erwünschte sich nichts sehnlicher, als daßKarschkar endlich das Schiff verlassen wür-de. Dann konnte er sie töten. Einen anderenWunsch hatte er nicht mehr. Aber Karschkar

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tat ihm diesen Gefallen nicht. Sie blieb imRaumschiff.

Eben streifte ein Glutstrahl den Rückeneiner Echse. Das Tier brüllte schmerzgepei-nigt auf und warf sich auf die andere Seite.Sein Schwanz peitschte den Sand auf. Dabeiberührte das knapp fünf Meter lange Reptilzwei von seinen Artgenossen. Die Tierezüngelten erregt und stürzten sich aufeinan-der. Sie kämpften verbissen miteinander.

Terziul merkte, daß Karschkar das Schie-ßen eingestellt hatte. Er wußte auch, wes-halb. Die Unsterbliche genoß den Kampf derEchsen in allen Einzelheiten. Sie hatte be-stimmt mehrere Außenkameras auf das Ge-schehen gerichtet, so daß sie über fünf odersechs Bildschirme gleichzeitig den Kampfverfolgen konnte. Dabei würde zumindestein Bildschirm eine Ausschnittvergrößerungbringen.

Terziul mußte sich beherrschen, um nichteine von seinen Sprengladungen zwischendie teilweise miteinander verschlungenenEchsenkörper zu schleudern.

Ein Tier kam geradewegs auf ihn zu. Esschien die Lust am Kampf verloren zu ha-ben. Es schleppte sich langsam durch denSand. Über die grüne Schuppenhaut desRückens lief eine breiige Substanz.

Terziul kroch auf allen vieren zu denquerliegenden Baumstämmen hinüber. Jetztkam auch noch Wind auf. Die warme Briesetrieb den Sand direkt in seine Richtung. Trü-be Schleier verschlechterten die Sicht. Diehohen Baumkronen des nahe gelegenenWaldes sahen auf einmal wie Gespensteraus. Bizarre Äste, mächtige Luftwurzeln undgeborstene Baumstämme verwandelten sichplötzlich in unheimliche Gebilde.

Die Echse hatte Terziuls erstes Versteckerreicht. Sie scharrte mit den krallenbewehr-ten Tatzen den Boden auf. Die Zunge glittprüfend über die Binsengewächse. Danndrehte sich das Tier unruhig in die entgegen-gesetzte Richtung.

Terziul atmete erleichtert auf. Das Biesthatte ihn nicht gewittert.

Vom Raumschiff kam das Brüllen und

Toben der Echsen. Jetzt blitzte auch wiederein Impulsstrahl auf. Eine gewaltige Sand-fontäne wurde aufgewirbelt. Mehrere düste-re Schatten verschwanden in den Staubwol-ken.

Terziul dachte kurz daran, sich im Schutzder Sandwolken an das Raumschiff heranzu-schleichen.

Aber er verwarf diesen Gedanken sofortwieder. Er würde niemals lebend bis an dieSchleuse herankommen. Entweder zerrissenihn die Echsen, oder Karschkar tötete ihndurch einen Impulstreffer. Beides waren kei-ne sehr angenehmen Todesarten. Besondersdann nicht, wenn die Rache eines Mannesunerfüllt blieb.

Terziul drehte sich um. Er kniff die Au-gen zusammen. Der Flugsand nistete sich inseinen Pelz ein. Die feinen Sandkörnchenscheuerten an den wunden Stellen. AberTerziul achtete nicht darauf. Wenige Metervor ihm türmten sich mächtige Baumstäm-me. Ein Sturm hatte sie vor längerer Zeitentwurzelt. Jetzt bildeten sie eine natürlicheGrenze zwischen Wald und Wüstenstreifen.

Terziul spielte nachdenklich mit derSprengkapsel. Er mußte Karschkar irgend-wie aus dem Raumschiff locken. Die Fragewar nur, wie er das anstellen sollte.

Ich muß einen tejonthischen Angriff aufdas Raumschiff vortäuschen, schoß es ihmdurch den Kopf. Vielleicht kann ich sie da-durch aus der Reserve locken. Ich habenichts mehr zu verlieren. Wenn ich nochmehr Zeit verliere, startet sie womöglichwieder. Und ich kann bis an mein Lebensen-de durch die Einöde dieser Welt irren.

Terziul drückte kurzentschlossen denZünder in die erste Sprengkapsel. Er stelltedie Zeituhr auf drei Minuten ein. Das müßtereichen, dachte er. Bis dahin verkrieche ichmich in einer Erdmulde. Mir wird überhauptnichts passieren.

Terziul schleuderte die Bombe zwischendie riesigen Baumstämme. Dann hetzte ergebückt zu den wulstartigen Binsengewäch-sen hinüber. Sie bildeten einen natürlichenSchutzwall. Ihre Wurzeln hatten sich tief in

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den sandigen Untergrund gebohrt. Selbst ei-ne Detonation würde ihnen nicht viel ausma-chen.

Noch eine Minute, dachte Terziul, dannkracht es ganz gewaltig.

Terziul robbte zwischen die Binsen undsteckte den Kopf in den Sand. Sein Atemging keuchend. Die Sandschleier wehtenüber ihn hinweg. Drüben ragte das riesigeDoppelpyramidenschiff wie eine Burg ausdem Dunst auf. Das Brüllen der Echsen warleiser geworden. Es gab höchstens noch eineHandvoll von den grüngeschuppten Bestien.

Noch zehn Sekunden. Vielleicht auch einpaar Sekunden mehr. Terziul zählte langsammit.

Plötzlich wurde der Mischling unruhig. Ermußte daran denken, was geschah, wennsich der Wind drehte. Im Augenblick war ervor dem Feuer der Detonation sicher. DerWind würde die Glut zum Wald hinübertrei-ben.

Ein greller Lichtblitz zuckte durch dieSandwolken. Das Splittern und Bersten derBaumstämme mischte sich mit dem Knallder Explosion. Holzsplitter und Erdbrockenprasselten auf den regungslos daliegendenTejonthermischling herunter.

Im gleichen Augenblick züngelten dieFlammen aus dem morschen Holz. DerWind entfachte sie zu prasselnder Glut. DieGrasnarben, die noch nicht vom Sand be-deckt waren, gingen ebenfalls in Flammenauf.

Terziul blickte in eine Flammenhölle. Erhatte plötzlich unbeschreibliche Angst. DasInferno der tobenden Gluten ging über seineVorstellungskraft. Innerhalb von Sekundentrug der Wind die Glut in die nahegelegenenBaumkronen. Überall schossen Flammenaus dem trockenen Astwerk. Das Knisternund Prasseln war sogar lauter als der Sturm.Die Böen rissen mächtige Qualmwolken indie Höhe, wo sie sich zu düsteren Rauchfä-chern zerfaserten.

Am Raumschiff veränderte sich überhauptnichts.

Sie hat mir den Trick nicht abgenommen,

stellte Terziul fest. Er mußte sich beherr-schen. Es fehlte nicht mehr viel, und er hättedie restlichen Sprengkörper auch noch akti-viert. Aber er wußte, daß er sie für den Not-fall aufheben mußte. Mit den Robotern derTropoythers war nicht zu spaßen.

Es wurde innerhalb weniger Augenblickeglühend heiß. Während am Waldrand riesigeFackeln loderten, ging von dem ganzen Feu-er eine unglaubliche Hitze aus. Terziulkonnte kaum noch atmen. Sein Pelz verfärb-te sich langsam, die Augenwimpern wurdenvon der Glut versengt.

Das ist doch nicht möglich, ging es demMischling panikartig durch den Kopf. Ichbin doch auf der entgegengesetzten Seite.Das Feuer kann mich überhaupt nicht errei-chen.

Aber es kam genau auf ihn zu. Terziulsprang auf und hetzte durch den warmenSand. Qualm und Staub hüllten ihn ein. Erlief genau auf das Raumschiff zu. Als er dieerste Landestütze dicht vor sich aufragensah, wartete er jeden Augenblick auf die fau-chende Entladung der Impulskanone. AberKarschkar schoß nicht auf ihn. Terziulwankte weiter vorwärts. Er wußte jetzt, daßsich der Wind gedreht hatte. Das Schlimm-ste, was ihm passieren konnte, war einge-troffen. Die entfesselte Gluthölle streifte dasRaumschiff von einer Seite.

Ich schaffe es nicht mehr, wußte Terziul.Er wankte bis zur unteren Schleuse, dannVerliesen ihn die Kräfte. Das Metall desTropoytherschiffs fühlte sich kalt an. Darun-ter vibrierten komplizierte Maschinen. EinKnopfdruck hätte genügt, um die Schleuseauffahren zu lassen.

Terziul wußte, daß unter den Stahlplattenfrische Luft, Nahrung und Wasser waren.Nur ein Schritt, und er wäre gerettet. EineFlammenzunge schoß auf ihn zu. Er bedeck-te das Gesicht mit beiden Armen. Ein ste-chender Schmerz raubte ihm fast die Besin-nung.

»Ich will nicht sterben … Karschkar!Hörst du mich nicht?«

Die Stimme des Tejonthermischlings wur-

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de von der tödlichen Hitze erstickt. SeineLungen waren voller Qualm. Er würde nurnoch ein paar Minuten leben, wenn ihnKarschkar nicht ins Schiff ließ.

»Karschkar!«Es kam keine Antwort. Terziul preßte sich

mit dem Gesicht eng gegen das kalte Metalldes Schiffes. Sein Atem ging stoßweise. Erlegte sein Ohr gegen die Wand. Er spürtedas Vibrieren der Generatoren. Dann trom-melte er verzweifelt gegen die Schleuse.

»Karschkar … laß mich 'rein! Ich ver-brenne!«

Das war das Letzte, was Terziul jemals inseinem Leben sagen würde.

Karschkar erlebte das Ende ihres Gespie-len auf dem Bildschirm mit. Sie verzog kei-ne Miene. Ihr Gesicht glich einer erstarrtenMaske. Ihre Augen waren starr auf die flim-mernde Bildfläche gerichtet. Ein Lautspre-cher übertrug das Heulen des Windes unddas Knistern der Flammen.

Jetzt taumelte Terziul vom Schiff weg.Die Außenbordkamera folgte ihm im Blick-winkel. Terziul wurde von den Flammenvollständig eingehüllt. Er machte noch einpaar matte Bewegungen, dann war er tot. Ererlebte nicht mehr, wie die Höllenglut desFeuers die letzten Sprengkörper zur Explosi-on brachte. Es blitzte viermal grell auf, dannwar Terziul verschwunden.

Die Detonationen konnten dem Doppel-pyramidenraumschiff nicht schaden. Auchdas Feuer würde Karschkar nichts anhabenkönnen. Vargan-Stahl war das widerstands-fähigste Metall in diesem Universum.

Als sich der Wind drehte und den Brandwieder zurück in den Wald trieb, nahmKarschkar Verbindung zu ihren Roboternauf. Sie drängte darauf, den Fremden end-lich in das Schiff einzuschleusen. Sie wolltewieder starten. Die Aktion gegen die rebelli-schen Tejonther dauerte ihr entschieden zulange.

Karschkar wollte nicht warten, bis einWachkommando die Vorfälle in der Ge-fühlsbasis kontrollierte.

4.

Ich wußte, daß Yürgaam niemals bis zumDoppelpyramidenraumer vorstoßen würde.Das war dem Tejonther viel zu gefährlich.Aber ich mußte die erstbeste Gelegenheitzur Flucht nützen. Wenn das Schiff startete,waren Crysalgira und ich dazu verdammt,für alle Zeiten hierzubleiben.

Aus den Gesprächen der Tejonther gingeindeutig hervor, daß sie sämtliche Raum-schiffe im Kampf gegen die silbernen Robo-ter verloren hatten. Wenn sie Glück hatten,lag im Wald noch ein Wrack, aus dem siewichtige Dinge bergen konnten. An einenStart von dieser Welt war nicht mehr zu den-ken.

»Der Tropoyther hat den Wald in Brandgesteckt«, keuchte Yürgaam. »Er will unsvernichten. Wir werden von den letztenÜberlebenden abgeschnitten. Ganz zuschweigen von der Ausrüstung, die wir inGnuuris Lager zurückgelassen haben.«

Schwarzer Qualm stand über dem Wald.Das tropoythische Raumschiff war jetztnicht mehr zu erkennen. Ich hatte mir trotz-dem die Richtung gemerkt. Wenn es hart aufhart ging, würde ich mich mit Crysalgira al-lein durch den Wald schlagen.

Du vergißt das Feuer, korrigierte michmein Extrasinn. Der Wind treibt die Glut ge-nau in eure Richtung. Du kannst dir aus-rechnen, wann es hier auch brennt.

»Wollt ihr ewig hier herumstehen?«herrschte ich den Tejonther an. »In einerStunde ist es hier so heiß, daß ihr in euerenSchutzanzügen geröstet werdet.«

Yürgaam stieß mir die Blastermündungvor die Brust. Er funkelte mich nervös an.

»Das weiß ich auch. Wenn es soweit ist,verbrennst du als erster. Wir sind immerhinbesser ausgerüstet als du und deine Begleite-rin.«

Crysalgira sah mich an. Sie würde mit mirzusammen fliehen, wenn ich es wollte. DiePrinzessin konnte kämpfen. Das hatte ich er-lebt. Aber ohne Waffen hatten wir keine

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Chance. Die Tejonther würden uns sofort er-schießen.

»Wir sollten zu den höhergelegenen Fel-sen laufen«, schlug ich vor. »Dort sind wirvor dem Feuer geschützt. Da oben gibt esnichts Brennbares.«

Yürgaam befahl mir, augenblicklich zuschweigen.

»Ich habe das Kommando. Du bist meinGefangener. Ich hätte dich längst töten kön-nen. Daß du noch lebst, verdankst du alsonur meinem Interesse. Wenn ich nicht sicherwäre, daß du uns ein paar wichtige Dingeüber die Tropoythers verraten könntest, wärtihr zwei nicht mehr am Leben. Ich empfehledir also dringend, den Mund zu halten.«

Yürgaam holte seine Begleiter zusammen.Die jungen Tejonther waren erschöpft. Siewürden ohne Rast bald schlappmachen.

»Wir können uns doch nicht in dieseFlammenhölle jagen lassen«, rief mir Crys-algira beunruhigt zu.

Ich neigte den Kopf gegen ihre Schulterund flüsterte: »Ganz ruhig bleiben, Crysalgi-ra! Ich warte nur auf einen günstigen Mo-ment, dann knöpfe ich mir diesen Yürgaamvor.«

»Vorwärts!« Yürgaam trieb Crysalgiraunsanft von mir fort. »Es geht weiter. Wirversuchen, einen Stützpunkt zwischen denFelsen einzurichten. Wenn es doch nochÜberlebende von anderen Trupps gebensollte, werden sie uns dort am ehesten fin-den.«

Die Felsen, zwischen denen wir vor demFeuer Schutz suchen wollten, schoben sichals mächtiger Keil schräg in den Wald hin-ein. Wir waren etwa fünf Kilometer davonentfernt. Das Raumschiff stand auf der ande-ren Seite.

Der Wind wehte uns glühendheiße Luft-schwaden entgegen. Ich konnte mir lebhaftvorstellen, welche Hitzegrade im Zentrumdes Waldbrands herrschten.

»Haltet euch die Biester vom Leibe!«schrie Yürgaam und riß den Vibratordolchaus dem Gürtel.

Etwa zehn grünhäutige Echsen kamen aus

dem Unterholz genau auf uns zu. Das Feuerhatte sie aus ihren Verstecken getrieben.

Ich griff nach Crysalgiras Hand. Das wardie langerhoffte Gelegenheit, von den Te-jonthern Abschied zu nehmen.

Yürgaam wich der ersten Echse aus. DasTier nahm keine Notiz von ihm. Es rannteauf seinen Stummelbeinen davon. Ein jun-ges Tier stieß dem Tejonther seine spitzeSchnauze in die Kniekehle. Yürgaam stürztezu Boden.

Ich sah, wie er sich blitzschnell abrollteund die Klinge seines Vibratordolchs in denNacken der Echse stieß. Die Hornplatte desTieres zersplitterte.

Yürgaam stieß einen Triumphschrei aus.»Laßt die Biester nicht zu nahe an euch

'ran!«Yürgaams Ruf wurde von einem schmet-

ternden Schlag erstickt. Das verletzte Reptilhatte eine unverhoffte Körperdrehung ge-macht. Sein langer, gezackter Schwanz er-wischte den Tejonther frontal. Yürgaam lagam Boden und rührte sich nicht. Aus seinenMundwinkeln sickerte Blut.

Jetzt nahm das Biest mich aufs Korn. Dielange Zunge schoß wie ein Pfeil aus demRachen. Die kleinen Augen starrten michtückisch an.

»Du brauchst eine Waffe, Atlan!«Crysalgira hatte recht. Ich schlug einen

Haken und kam gerade noch an der vor-schnellenden Echse vorbei. Jetzt kauerte ichneben Yürgaam. Der Tejonther war tot. DerSchwanzschlag der Echse hatte ihn ins Jen-seits befördert.

Ich langte nach dem Vibratordolch. Alsich den Blaster an mich reißen wollte, bohrtesich dicht neben meiner Hand ein Glutstrahlin den Boden.

»So haben wir nicht gewettet! Pfoten wegvon dem Strahler, oder du bist erledigt!«

Der junge Tejonther meinte es ernst. An-scheinend hielt er seinen Gruppenführer nurfür verletzt. Deshalb nahm er mich jetzt aufsKorn.

»Yürgaam ist tot«, rief ich.»Du lügst! So ein lächerliches Biest kann

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Yürgaam nicht töten.«»Es stimmt aber!«Mehrere kleine Echsen huschten an uns

vorüber. Der Wind trug jetzt Qualmwolkenzu uns heran. Es roch nach verbranntemHolz. Die Hitze dörrte mir den Hals aus. Ichfühlte ein Brennen in der Kehle.

Als eine über fünf Meter lange Echse her-ankam, duckte ich mich blitzschnell undrollte mich etwa zehn Schritt weiter nachrechts. Das Tier und Yürgaams Leiche be-fanden sich jetzt genau zwischen mir unddem jungen Tejonther.

Du spielst mal wieder mit hohem Einsatz,meinte mein Extrasinn.

Die Blasterentladung löste die Echse zurHälfte auf. Der Hinterleib blieb zuckend amBoden liegen. Bevor der Tejonther zumzweitenmal abdrücken konnte, hatte ich mei-nen Vibratordolch geschleudert, der ihm dieWaffe aus der Hand schlug.

Ich blickte kurz nach links und dann nachrechts. Die anderen Kämpfer waren mit denEchsen beschäftigt. Immer mehr dieser Tierekamen auf uns zu.

Ich hetzte mit wenigen Sätzen auf denBurschen zu. Er wollte gerade den Blasteraufheben. Seine Finger glitten vom Waffen-griff ab. Dann hatte ich sein Handgelenk ge-packt. Seine Fingerspitzen berührten denBlaster. Ich stieß ihm meine Knie in den Un-terleib. Der Tejonther stöhnte schmerzgepei-nigt auf. Ich biß die Zähne zusammen. Dieheiße Luft machte mir schwer zu schaffen.

Ich schickte meinen Gegner mit einemDagorgriff ins Reich der Träume. Er sankschlaff zusammen. In den nächsten zehn Mi-nuten würde er uns nicht wieder gefährlichwerden.

»Wir schnappen uns die Atemgeräte«, riefich Crysalgira zu.

Wortlos löste sie die Magnethalterungenfür den Luftfilter von der Kombination desBewußtlosen. Ich nahm das Gerät Yür-gaams. Kleine Sauerstoffpatronen ergänztendie Apparatur, die federleicht in unserenHänden lag. Die aufblasbare Atemhaubepaßte wie angegossen auf unsere Metall-

kombinationen.Drüben streckte eine Echse einen zweiten

Tejonther nieder.Wir waren in den reinsten Hexenkessel

geraten. Ich bedauerte es, keine Antigravag-gregate zu besitzen. Damit wäre es ein Kin-derspiel gewesen, heil aus dem bedrohtenWaldgebiet herauszukommen.

»Wir haben hier genug Zeit verloren, Cry-salgira!« rief ich.

Wir liefen davon. Die kämpfenden Tejon-ther ließen uns zufrieden. Bevor einer vonihnen unsere Flucht bemerkte, waren wirlängst in den Qualmwolken verschwunden.Irgendwo im Hintergrund flackerte es hellauf. Dort waren die Felsen. Wir durften dieRichtung nicht verlieren, denn das Flamme-ninferno rückte unaufhaltsam näher. Es wur-de schnell heiß. Windböen trieben einenFunkenregen vor sich her.

*

Die Atemgeräte funktionierten nicht mehrrichtig.

Ich zog Crysalgira dicht an mich heran.Ich sah, daß ihr Gesicht schweißnaß war.Die Haare klebten ihr auf der Stirn. IhrAtem ging stoßweise.

»Es kann nicht mehr weit sein, Crysalgi-ra!«

Meine Stimme klang eigentümlich ver-zerrt unter dem Schutzhelm. Das Zischendes einströmenden Sauerstoffs wurde leiser.Die Patronen waren schnell aufgebraucht.Was in wenigen Minuten kommen würde,konnte ich mir lebhaft vorstellen.

Giftige Rauchschwaden trieben uns entge-gen. Die verbrennenden Bäume sonderteneine harzige Substanz ab, die sich im Feuerchemisch umwandelte. Es entstanden hoch-giftige Substanzen, die unsere Atemfilterstark belasteten. Ich spürte ein Brennen inden Augen. Zuerst hielt ich den Schweiß fürdie Ursache, dann wurde mir rasch klar, daßdie giftigen Dämpfe durch den Filter dran-gen.

Ohne die Schutzhelme wären wir längst

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erstickt.Crysalgira zerrte an meiner Hand.»Ich … kann nicht mehr!«»Du mußt aber! Oder willst du hier lang-

sam verbrennen? Mach jetzt bloß nichtschlapp. Wir werden die Felsen gleich se-hen.«

Crysalgira schüttelte den Kopf. Sie waram Ende ihrer Kräfte. Schweißtropfen perl-ten unter ihrem Haaransatz hervor.

»Du kannst dich später ausruhen«, sagteich so bestimmt wie möglich. »Jetzt kommweiter!«

Vor uns ragte ein mächtiger Baum in dieQualmwolken empor. Sein Stamm branntelichterloh. Es standen nur noch zwei Ästevon seinem glühenden Stamm ab, so daß esden Anschein hatte, dort würde ein Wesenaus Fleisch und Blut verbrennen.

Ein Windstoß ließ die Glut hell auf-flackern. Aus der schwarzverbrannten Rindedes Baumes zuckten blaue Flämmchen. EinAst brach herunter und zersplitterte in tau-send Teile. Als das Krachen und Berstenverstummte, hatte auch das Zischen meinerSauerstoffversorgung aufgehört. Der durch-sichtige Schutzhelm verformte sich unterdem Ansturm der Glut.

»Es war alles umsonst«, stöhnte Crysalgi-ra. Sie wollte erschöpft zu Boden sinken, alsich sie grob hochriß. »Du darfst nicht aufge-ben, Crysalgira! Hörst du? Ich will nicht,daß du aufgibst!«

Wir kamen schleppend vorwärts. Das At-men war ein einziges Martyrium. Ich wolltemir den Schutzhelm vom Kopf reißen. Dashätte ich nicht überlebt. Ich wußte es, undtrotzdem wollte ich es tun. Die Atemnotwurde so furchtbar, daß ich sekundenlangtaumelte. Crysalgira entglitt meinem Griff.

Mein Extrasinn schwieg. Er hätte mirauch nicht weiterhelfen können.

Da erblickte ich die schwarzen Schemenvor uns. Weiße Dämpfe waberten auf. KeinZweifel, das sind die Felsen, durchzuckte esmich.

Ich riß mich gewaltsam zusammen. Ichmußte meine letzten Kraft- und Willensre-

serven aktivieren. Höchstens noch zweihun-dert Meter, und wir waren in Sicherheit.

»Die Felsen«, hörte ich mich sagen. »Wirschaffen es, Crysalgira!«

Und wir kamen wie durch ein Wunder beiden Felsen an.

Aber noch waren wir nicht in Sicherheit.Der Wind trieb die Flammen des Wald-

brandes um den Felsenkeil herum. Wir stan-den dicht neben der Biegung, an der die Glutihre volle Vernichtungskraft entwickelnwürde.

»Wir klettern nach oben, Crysalgira!«Meine Handflächen waren über und über

mit Brandblasen bedeckt. Die Haut spanntesich um die Knöchel. Ich biß die Zähne zu-sammen, um nicht laut aufzuschreien. Wirkletterten langsam Meter um Meter höherhinauf.

»Es geht nicht mehr mit den Atemhel-men!« keuchte ich.

Wir lösten die Verschlüsse von den Kom-binationsoberteilen. Die Helme fielen au-genblicklich in sich zusammen. Jetzt brande-te die Hitze mit elementarer Gewalt gegenunsere Gesichter. Der Schweiß trocknete au-genblicklich. Die Luft stach höllisch in un-seren Lungen.

»Ganz kurz atmen«, empfahl ich Crysal-gira.

In den Felsspalten war es noch nicht ganzso heiß, wie auf dem Boden. Wir befandenuns jetzt auf der dem Brand abgewandtenSeite. Über uns wölbte sich ein Felsüber-hang. Noch weiter oben erstreckte sich danndas Plateau. Weiter konnten wir nicht klet-tern. Unser Weg war hier zu Ende.

»Die Flammen«, stieß Crysalgira mühsamhervor, »sie schießen über die Felsen hin-weg.«

Crysalgira hatte richtig beobachtet. Überuns tobte ein Glutorkan. Der Waldbrand hat-te uns eingeschlossen. Daß wir noch nichtverbrannt waren, verdankten wir einzig undallein den schützenden Felsen.

Wir zwängten uns in eine schmale Fels-spalte. Dort preßten wir uns eng aneinander.Ich sah Crysalgiras rußgeschwärztes Gesicht

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dicht vor mir. Sie hatte die Augen geschlos-sen. Jetzt zuckten ihre Lider, und sie öffneteihre verklebten Augen einen Spaltbreit.

»Es ist aus, nicht wahr?«Ich sagte nichts, sondern drückte ihr Ge-

sicht gegen meine Brust. Was hätte ich auchsagen sollen? Wir waren in eine Sackgassegeraten. Der Luftsauerstoff wurde von derFeuersbrunst verbraucht. Es war endgültigaus.

5.

Ein leises Säuseln erfüllte den Raum. Eskam von allen Seiten. Die Tonschwingungenwirkten nervenberuhigend. In der Luft wa-ren exotische Wohlgerüche. Meine Umge-bung hatte sich schlagartig verändert. Ichhielt die Augen geschlossen. Irgendwiefürchtete ich, aus einem angenehmen Traumin die schreckliche Wirklichkeit geschleu-dert zu werden.

Ich lag auf einem weichen Polster.Vorsichtig glitt ich mit den Fingerspitzen

über mein Gesicht. Verblüfft erkannte ich,daß nichts mehr vom Ruß und Dreck zu spü-ren war. Sogar die Brandwunden waren ver-heilt. Die Haare waren frisch gewaschen undgetrocknet.

Ich riß die Augen mit einem Ruck auf.Irgend jemand hat dich aus dem Feuer

geholt, meinte mein Extrasinn.Ein Vorhang aus Perlen und Seide blähte

sich im Lufthauch. Ich sog die Luft tief einund verspürte einen leicht berauschendenEffekt. Bunte Leuchtkreise wirbelten überden Vorhang. Die Farbenspiele waren reiz-voll und sinnverwirrend. Ich richtete michneugierig auf. Wo war ich gelandet? DerWaldbrand schien unendlich weit entfernt zusein. Nichts erinnerte mehr an die schreckli-chen Augenblicke in der Flammenhölle.

Eine unerklärliche Kraft wollte mich dar-an hindern, die vergangenen Ereignisse nocheinmal zu überdenken. Hier war alles gelöstund heiter. Das Wort Gefahr schien es hiernicht zu geben. Etwas wollte mir einreden,daß ich nichts zu befürchten hätte. Ich

streckte mich wohlig in die weichen Polster.Plötzlich wurde ich unruhig. Ich war al-

lein. Crysalgira war nirgendwo zu sehen.Die Prinzessin war verschwunden.

Ich rief: »Crysalgira!« Mein Ruf wurdevom melodischen Säuseln übertönt, das denRaum erfüllte.

Ich richtete mich auf. Bis auf einen Len-denschurz aus dunklem hochelastischemMaterial war ich unbekleidet.

Außer mir war niemand in der Nähe. Oderdoch? »Crysalgira!«

Wieder erhielt ich keine Antwort. DerHimmel über mir war blau. Er wirkte jedochkünstlich. Ich glaubte, den Schrei eines See-vogels gehört zu haben. Aber das war si-cherlich nur eine Illusion, die von einer Ma-schine geschaffen wurde – genau wie derHimmel.

»Crysalgira«, rief ich drängender. »Wosteckst du?«

Du mußt mit dem Schlimmsten rechnen,meinte mein Extrasinn. Die Gluthölle desWaldbrandes schlug über euch beiden zu-sammen.

Ich war tatsächlich allein in dieser para-diesischen Umgebung. Aber trotz der zau-berhaften Blumen und Landschaftsprojektio-nen verspürte ich eine gewisse Wehmut. Ichmußte annehmen, daß Crysalgira in denFlammen umgekommen war.

Du scheinst nicht viel von Trauer zu hal-ten, gab mein Extrasinn mir sarkastisch zuverstehen.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich fühltemich frei und unbeschwert. Ich wünschte,dieses Gefühl würde ewig anhalten. Aberdann kam wieder das Drängen und Bohren,mehr über Crysalgiras Schicksal in Erfah-rung zu bringen.

Du denkst unlogisch. Mein Extrasinn ana-lysierte mich schonungslos. Du willst denfurchtbaren Waldbrand vergessen, aber duwillst auch wieder dorthin zurück, um nachCrysalgira zu forschen.

Ich fühlte mich kräftig genug, um die nä-here Umgebung zu erforschen. Irgend etwasstimmte hier nicht. Ich würde schon heraus-

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finden, was mich störte. Mir ging es körper-lich blendend. Meine unbekannten Retterhatten mich ausgezeichnet versorgt. MeineHaut glänzte leicht ölig. Von den Brand-wunden war nichts mehr zu erkennen. Le-diglich über die Fingerknöchel spannte sichdie Haut noch ein wenig. Sonst erinnertenichts mehr an die überstandenen Strapazen.

Bist du dir ganz sicher, daß die Unbe-kannten dich nicht auch mit Psychodrogenbehandelt haben? Wozu hätten sie das tunsollen? Um den Schock zu beseitigen, den dudurch Crysalgiras Tod erlitten hast. Viel-leicht braucht man dich noch. So ganzselbstlos dürften die Fremden auch nichtsein.

Das war eine reine Vermutung, die meinExtrasinn zur Diskussion stellte. Die Wahr-heit würde ich allein nicht herausfinden. Da-zu mußte ich erst einmal mit den Fremdenreden.

Welcher Rasse mochten sie angehören?Tejonther waren es bestimmt nicht. Dazu

war die ganze Umgebung technisch viel zuraffiniert angelegt. Vielleicht Varganen? DieEinrichtung des Saales erinnerte an den Er-holungssalon in Ischtars Doppelpyramiden-schiff.

Die Blumen zu meiner Linken warenecht. Sie schwammen in einer durchsichti-gen Schale. Das Wasser war zartrosa ge-färbt. Ich berührte gedankenverloren eineder Blüten. Im gleichen Augenblick ertönteeine zauberhafte Melodie. Ihr Klang war sorein und klar, daß ich mich unbewußt vor-beugte, um sie noch besser in mich aufneh-men zu können. Plötzlich brach die Musikab. Enttäuscht sah ich mich um. Ich war al-lein.

Dann tauchte ich meine ganze Hand in dieWasserschale.

Die Musik kam sofort wieder. Diesmalwar es ein anderes Thema. Die Tonfolgensteigerten sich zu einem mächtigen Akkord,der langsam verebbte, als ich meine Handaus dem Wasser zog.

Ein raffiniertes Spielzeug, dachte ich beimir. Wer es sich ausgedacht hat, muß sehr

viel Zeit und Muße haben.Auf einer kostbaren Schale entdeckte ich

erlesene Früchte. Zwischen dem Obst lagenSüßigkeiten. Dahinter fand ich mehrere Glä-ser mit perlenden Getränken.

Wer auch immer mich aus dem Infernodes Waldbrandes gerettet hatte, er war aufmein körperliches Wohlergehen bedacht.Erst jetzt merkte ich, daß ich großen Dursthatte. Ich griff nach dem erstbesten Glas. Esfühlte sich kühl an. Der Inhalt war hellblaugefärbt. Luftblasen stiegen vom Boden desGlases auf. Ich setzte es an die Lippen undempfand die prickelnde Frische des Ge-tränks als unbeschreiblich wohltuend. Ichtrank es in einem Zug. Dann hielt ich schweratmend inne.

Farbige Kreise drehten sich vor meinenAugen. Ein leichtes Schwindelgefühl ließmich taumeln. Ich stellte das Glas auf dieAblage zurück. Es stieß gegen die Frucht-schale. Das Klirren brachte mich vorüberge-hend zur Besinnung.

Im Getränk war ein Betäubungsmittel,wisperte mein Extrasinn.

Ich ließ die Ablage los und machte einpaar Schritte vorwärts. Die Wände warenauf einmal mit fließenden Farben überflutet.Es war ein ständiges Wogen. Ich wischtemir über die Augen. Die Bewegung der Far-ben blieb. Sie verstärkte sich sogar noch.

Ich berührte die Wand. Das Material, ausdem sie bestand, fühlte sich weich und nach-giebig an. Ich preßte meine Hand dagegen,aber es gab keinen Millimeter breit nach.

Du mußt den Ausgang suchen!Ja, mein Extrasinn hatte recht. Ich wollte

hier raus. Ich konnte es einfach nicht glau-ben, daß Crysalgira tot war. Ich würde siesolange suchen, bis ich sie gefunden hatte.

Der Raum schien halbrund angelegt zusein. Ich lief an der farbigen Wand vorbeiund kam wieder bei den weichen Polsternan. Ich lief weiter und sah die Wasserorgelmit den Blüten vor mir liegen. Als ich dieGläser mit den Erfrischungsgetränken er-blickte, überlief es mich eiskalt. Das Glas,das ich eben erst geleert hatte, war bereits

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wieder gefüllt.»Wo seid ihr? Gebt euch endlich zu er-

kennen!«Die einzige Antwort der Fremden bestand

in einer Verstärkung des Säuselns. Die elek-tronischen Klänge sollten beruhigend wir-ken, aber ich wollte mich nicht beruhigenlassen. Ich kam mir wie gefangen vor. Soperfekt der Service auch sein mochte, erkonnte nicht darüber hinwegtäuschen, daßmeine Bewegungsfreiheit stark beschränktwar.

Du befindest dich in einem goldenen Kä-fig, stellte mein Extrasinn fest.

»Dann will ich endlich meine Kerkermei-ster sehen«, rief ich aufgeregt und verzwei-felt zugleich.

»Das sind harte Worte, Atlan! Niemandwill dich einkerkern! Im Gegenteil, Unzähli-ge würden dich um diese Augenblicke be-neiden!«

Ich spürte eine unangenehme Starre imGenick. Das war immer so, wenn ich michbeobachtet fühlte. Langsam drehte ich michum. Meine Augen weiteten sich vor Erstau-nen.

Das ist eine Varganin wie Ischtar, durch-zuckte es mich.

*

»Gefalle ich dir?«Sie streckte ihre weißbestäubte Rechte

aus. Glitzernde Ringe steckten an den Fin-gern. Ein goldenes Gespinst umgab ihre Ar-me. Sie hatte die Haare zu einer Hochfrisurzusammengesteckt. Eine goldene Krone auszartblättrigen Ornamenten wand sich um ih-re hohe Stirn.

»Warum sagst du nichts? Habe ich dichso überrascht?«

»Wo ist Crysalgira?« stieß ich mühsambeherrscht hervor.

Sie verzog enttäuscht die Mundwinkel.Ihre Hand senkte sich langsam. Die seidenenTücher ihres Umhangs raschelten.

»Du kannst ruhig etwas freundlicher zumir sein, Atlan!«

»Woher kennst du meinen Namen, Varga-nin?«

»Ich weiß noch viel mehr über dich. Duwarst nach Yarden unterwegs. Dabei ist et-was schiefgegangen. Hätte ich meine Robo-ter nicht ausschwärmen lassen, wärest du inder Flammenhölle umgekommen.«

Da hast du den Grund für deine wunder-same Rettung, spottete mein Extrasinn. Sieist an deiner Gesellschaft interessiert.

Mir kam der Gedanke, daß mein Zusam-mentreffen mit dieser Varganin nicht ganzso zufällig war, wie sie mir weismachenwollte. Ich bedauerte es, nicht mehr über siezu wissen.

»Komm, setz dich zu mir.« Sie deutetemit der ringgeschmückten Rechten zu denweichen Polstern hinüber. »Ich bin sicher,daß wir uns ausgezeichnet verstehen wer-den. Du sollst nicht denken, daß ich Dank-barkeit von dir verlange. Ich habe dich ausdem Feuer gerettet. Das. war doch ganzselbstverständlich.«

»Und was ist mit Crysalgira?«»Du meinst deine Begleiterin«, ließ sich

die Varganin vernehmen. »Kannst du eigent-lich an nichts anderes denken? Du brauchstdir keine Sorgen um die Frau zu machen.Ich habe von ihr alles über dich erfahren.Deinen Namen und deine Herkunft, und wasman als Frau sonst noch alles von dir wissenmuß!«

Die Varganin verzog lächelnd den Mund.Sie ist älter, als es den Anschein hat, ging

es mir durch den Kopf. Sie trägt eine Bio-maske. Jetzt, als ich dicht vor ihr stand undden erregenden Duft ihres Parfüms einatme-te, fiel die Anspannung ab, die mich anfangsergriffen hatte. Die Varganin gehörte zwarderselben Rasse wie Ischtar an, aber siekonnte niemals mit der Goldenen Göttinkonkurrieren. Diese Frau hatte alle mögli-chen Tricks angewandt, um ihr wirklichesAlter vor mir zu verbergen. Die gleitendenTücher ihres Umhangs verhüllten einenschlaffen Körper. Ich war mir sicher, daßunter der Biomaske ein faltiges Gesicht zumVorschein kommen würde. Die Augenlider

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waren schwer. Die farbige Creme konnte diePigmentverfärbungen ihres Alters nichtgänzlich vertuschen.

Ich setzte mich zu ihr und sah sie nach-denklich an.

»Du gehörst doch zu den unsterblichenVarganen von Yarden, nicht wahr?«

Sie nickte und lächelte. Dabei spanntesich die hauchdünne Biomaske über ihrenWangen.

»Das stimmt, Atlan! Aber ich will michzuerst bei dir vorstellen. Ich heiße Karsch-kar. Ich bin sehr froh, daß ich dich aus demFeuer retten konnte. Um ein Haar wäre ichzu spät gekommen. Es war nicht leicht, denTransmitter zu unterbrechen.«

»Du hast mich also ganz bewußt in dieseGefühlsbasis gelotst!«

Ich biß mir auf die Unterlippe. Diese Var-ganin verfolgte ein ganz bestimmtes Ziel.Wenn mich nicht alles täuschte, würde sie esmir bald verraten.

»Du darfst mir nicht böse sein, Atlan«,fing Karschkar von neuem an. »Ich mußte eseinfach tun. In Yarden hätte ich keine Chan-ce gehabt. Die jungen Dinger wissen dichgar nicht zu schätzen. Für sie war es selbst-verständlich, daß sie dich bekommen wür-den. An mich dachte keiner. Uns Alte habensie abgeschrieben.«

Karschkar hielt einen Moment inne. Sieberuhigte sich ein wenig. Dann lächelte siewieder und strich mir über den Kopf. IhreBewegungen wirkten einstudiert.

»Wofür sollten mich die jungen Dingerdenn bekommen?« fragte ich grinsend.

»Das müßtest du inzwischen wissen, At-lan. Deine Begleiterin war jedenfalls ge-nauestens darüber informiert, was mit euchin Yarden geschehen sollte.«

Das war es also. Karschkar spielte auf un-sere Rolle als Zuchtexemplare an. Wir soll-ten den jüngeren Vertretern dieser Rasse zurSicherung ihrer Fortpflanzung zur Verfü-gung stehen. Und Karschkar durfte dabeinicht mitmachen.

»Du hast mich gegen den Willen deinesVolkes entführt«, stellte ich fest.

»Du darfst es nicht so sehen, Atlan. Ichgehörte eben nicht zu den Auserwählten, diedich haben dürfen. Vargo und Kandro ent-schieden sich gegen mich. Dann gelangteder Transportplan in meine Hände, aus demich ersehen konnte, über welche Transmit-terverbindung man dich nach Yarden schaf-fen wollte. Ich kannte also den genauenZeitpunkt deines Zwischenaufenthalts in derGefühlsbasis. Die Versuchung war zu großfür mich. Du darfst es mir nicht verübeln,Atlan! Jede andere in meiner Lage hätte das-selbe getan.«

Ich drückte ihre Hände sanft, aber ent-schieden zurück.

»Bevor wir weiterreden, will ich wissen,wo ich Crysalgira finde … Besser noch, durufst sie sofort in diesen Raum!«

Karschkars Miene verdüsterte sich.»Ich will den Namen deiner Begleiterin

nicht noch einmal hören. Sie lebt, und dassollte dir genügen.«

»Schön«, meinte ich beruhigt, »aber ichverstehe eines nicht. Wenn Crysalgira lebt,warum darf sie uns dann nicht Gesellschaftleisten? Hier ist ausreichend Platz.«

Karschkar stand auf. Sie bebte am ganzenKörper. Ihre Stimme überschlug sich, als siemir antwortete: »Du Narr! Ich bin eine un-sterbliche Tropoytherin. Ich habe dich inmein Raumschiff aufgenommen. Du bist inmeiner Nähe so sicher wie noch nie zuvor indeinem Leben. Niemand wird dir etwas tun.Ich könnte dir sogar die Unsterblichkeit ver-leihen. Meine Gesellschaft ist begehrens-wert.«

Ich unterbrach ihren Redefluß. »Ich sollwohl unsterblich werden, damit ich spätergenauso steril bin, wie deine Artgenossen!«

Sie bedeutete mir durch eine Handbewe-gung, ich sollte still sein.

»Jeder andere würde sich danach sehnen,mit mir allein zu sein. Ich begreife dichnicht, Atlan. Was ist denn schon an dieserCrysalgira? Sie ist sterblich. Sie ist eineganz normale Frau.«

Ich nickte. »Das ist sie auch, Karschkar… und ich schätze Crysalgira so, wie sie ist.

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Aber das wirst du wohl kaum verstehen. Dubist eine Unsterbliche und hast das Wert-vollste verloren, das Sterbliche besitzen. Dukannst nicht mehr lieben! Du bist seelisch sosteril, wie deine Artgenossen körperlich ste-ril sind. Ich verachte dich.«

Karschkar fuhr zornig auf. »Du hast Zeit,um es dir zu überlegen. Aber warte nicht zulange damit. Ich könnte die Geduld verlie-ren. Auch eine Unsterbliche kann nicht ewigwarten. Niemand in Yarden darf wissen, daßich dich aus der Gefühlsbasis geholt habe.Dieser Salon wird für alle Zeiten deine Hei-mat sein.«

Das war eine unverhohlene Drohung.Vor meinem geistigen Auge sah ich mich

als alten, fetten Gespielen der Varganin.Körperlich würde es mir an nichts mangeln.Die Nahrungsmittelvorräte waren uner-schöpflich. Auch die Unterhaltungspositro-nik schien ein Langzeitprogramm zu besit-zen. Aber das war kein Leben für mich. Ichliebte das Abenteuer. Ich konnte unmöglichlange an einem Ort verharren. Es war über-haupt undenkbar, daß ich diesen Zustandlange ausgehalten hätte. Lieber würde ichmir das Leben nehmen. Ich schüttelte ener-gisch den Kopf. »Was du mir eben angebo-ten hast, Karschkar, nennen wir bei uns ein-fach die Hölle!«

»Hölle?« fragte sie, »was ist das?« Ich tratdicht an sie heran. Sie stand dicht an derWand der Farbenspiele. Wenn man genauerhinsah, erkannte man eine dünne Linie. Dasmußte die verborgene Tür zu Karschkars Sa-lon sein. Paß auf, wenn sie den Raum ver-läßt, schlug mir mein Extrasinn vor, dudarfst dich nicht noch einmal hier einsper-ren lassen. Es könnte leicht für immer sein.

»Du willst wissen, was wir Arkoniden un-ter dem Begriff Hölle verstehen.«

»Ja! Erkläre es mir, Atlan!«»Die Hölle«, fing ich an, »ist eine Be-

zeichnung aus unserer Mythologie. Sie istdas genaue Gegenteil von dem, was wir Ar-koniden unter einem erfüllten Leben verste-hen. Die Hölle ist ein Ort des Todes, an demsich alles Lebenswerte in sein Gegenteil ver-

kehrt. Die Hölle ist nur ein anderes Wort fürGrauen, Schmerzen und Entsetzen.«

Ich hätte ihr einen Vortrag über die my-thologische Herkunft des Begriffs und seineVerwendung in der altarkonidischen Religi-on halten können. Aber Karschkar wolltenichts mehr hören.

»Schweig!« keifte sie. »Schweig, oder ichlasse dich desintegrieren!«

Sie rang sichtlich nach Atem. Ich hatte sieaus der Fassung gebracht. Mit wenigenWorten hatte ich ihr klargemacht, daß siemich umsonst aus der Gefühlsbasis entführthatte. Sie schien zu überlegen, dann stieß siezornig hervor: »Bevor du stirbst, sollst dudie Hinrichtung deiner Begleiterin miterle-ben. Ich werde dich dabei beobachten unddein Entsetzen genießen, Arkonide!«

Äußerlich blieb ich völlig unbewegt. In-nerlich wurde ich hin und her gerissen. Ichmußte mich beherrschen, daß ich Karschkarnicht einfach an den Schultern packte undsie zwang, mich zu Crysalgira zu führen.Karschkar hatte bestimmt vorgesorgt. DieVarganen besaßen raffinierte Waffen. Ob esnun eine vergiftete Nadel in den Falten ihresUmhanges war oder ein Stabstrahler, den siedicht am Körper trugen, der Effekt wäre der-selbe gewesen. Ich blickte der Varganin tiefin die Augen. Sie hatte Schwierigkeiten,meinem Blick standzuhalten. Es freute mich,daß ich sie unsicher machte. Dann sagte ichlangsam: »Du hast meine Worte bestätigt.Diese Umgebung ist die Hölle … und dubist das verabscheuungswürdigste Wesen,dem ich jemals begegnet bin.«

Karschkar stieß einen Wutschrei aus. Siewandte sich ab und öffnete durch Handdruckdie Wandtür. Zischend glitt ein Teil derWandfläche beiseite. Draußen zweigtenmehrere Gänge ab.

Das ist deine Chance, zuckte der Impulsmeines Extrasinns durch mein Bewußtsein.

Ich hielt die zornige Varganin an derSchulter fest und stieß sie in den Salon zu-rück. Das geschah so schnell und unverhofft,daß sie ihre versteckten Waffen nicht benut-zen konnte. Sie prallte mit dem Rücken ge-

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gen die Wandablage und rutschte langsamzu Boden.

»Ich töte dich«, keifte Karschkar hintermir her. Sie wollte aufstehen, aber sie ver-fing sich in den Falten ihres Umhangs.»Lauf nur weg, ich erwische dich wieder.Ich werde Crysalgira hinrichten, und dannkommst du dran!«

»Da habe ich noch ein Wörtchen mitzure-den, meine Teuerste«, sagte ich und ver-schwand aus dem Salon. Die Wandöffnungschloß sich sofort. Das Keifen der Varganinverstummte.

*

Ich mußte schleunigst aus Karschkars un-mittelbarer Nähe kommen.

Drei Gänge zweigten vor mir ab. ZehnMeter weiter hinten war sie durch Gittertü-ren verschlossen.

Lauf, so schnell du kannst!Ich rannte auf die Gittertür zu, die den

Gang in zwei Hälften teilte. Als ich die Me-tallstäbe berührte, kam Karschkar aus demSalon. Ich hörte ihren Schrei. Sie schienhalb verrückt vor Zorn und Enttäuschung zusein.

»Ich kriege dich, Arkonide!«Ich duckte mich instinktiv. Hinter mir

blitzte es auf. Ein glühender Hauch peitschtean mir vorbei. Im gleichen Augenblick löstesich ein Teil des Gitters auf. Glühende Me-talltropfen brannten sich in den Boden. Oh-ne lange zu überlegen, stemmte ich mich ge-gen den Gitterrest. Es krachte, dann war ichdurch. Gebückt lief ich weiter. KarschkarsStrahler fauchte noch einmal auf, dann warich an einer Gangbiegung angelangt.

Du brauchst ein sicheres Versteck, meintemein Extrasinn. Sie wird ihre Roboter aufdich hetzen.

Der Rat meines Extrasinns war logisch,aber schwierig zu befolgen.

Ich wußte nicht, ob ich mich an Bord desDoppelpyramidenraumers oder in Karsch-kars Station auf dem Geheimplaneten auf-hielt. Im ersten Fall hätte ich mich nur bis

zur Zentrale durchzuschlagen brauchen. Einpaar Schaltungen an der Positronik hättenden ganzen Apparat gehörig durcheinander-gebracht. Im zweiten Fall wäre es ange-brachter, sich ins Freie abzusetzen. Voraus-setzung dafür war, daß Karschkars Planet ei-ne atembare Atmosphäre besaß.

Das waren viele unbekannte Faktoren. Zuviele, wie ich mir eingestehen mußte. Aufdie Dauer konnte das nicht gutgehen.

Ich lief weiter. Die flimmernde Wand er-kannte ich zu spät. Bevor ich meinen Laufstoppen konnte, erfolgte der ruckhafteDurchgang. Ein elektrischer Schlag durch-zuckte mich. Ich stürzte, konnte mich aberabrollen und kam blitzschnell wieder auf dieBeine.

Meine Umgebung hatte sich abrupt verän-dert. Vor mir erstreckte sich eine paradiesi-sche Parklandschaft. Zierliche Bäume be-grenzten einen kiesbestreuten Weg. Ein klei-ner Brunnen sprudelte dicht neben mir. Vo-gelgezwitscher erfüllte die Luft. Es warwarm.

Das ist keine Projektion, meinte mein Ex-trasinn, diesmal bist du in einer natürlichenUmgebung gelandet.

Ich befand mich also auf dem Planetender Varganin. Ich war während des Flugeshierher bewußtlos gewesen. Daher konnteich auch nicht sagen, wieviel Zeit seit demStart vom Planeten der Gefühlsbasis vergan-gen war. Das konnten ein paar Stunden, ge-nausogut aber auch Tage oder Wochen ge-wesen sein.

Ein hysterisches Lachen ließ mich zusam-menzucken. Schreie durchbrachen die Stille.Ich sah mich um. Hinter mir wölbte sich dieWand von Karschkars Station. Vor mir führ-te der kiesbestreute Weg auf ein kleines,weißes Haus zu. Es besaß seltsamerweiseüberhaupt keine Fenster. Seine Oberflächeerinnerte an eine Tropfsteinlandschaft.Schimmernde Kugeln saßen zwischen denspitzen Verstrebungen.

Das irre Lachen ertönte noch einmal. Eskam aus dem Haus. Dessen war ich mir ganzsicher. Langsam schritt ich auf das Gebäude

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zu. Eine unerklärliche Faszination ging da-von aus.

6.

Name: Subbi MirackBezeichnung: TropoytherKennzeichen: HalbmutantLebenserwartung: Im Zeitfeld unbegrenztDu bist ganz schön gerissen, dachte Subbi

Mirack grinsend. Aber mich kannst du trotz-dem nicht reinlegen. Ich weiß genau, was duvorhast. Du kannst deine Gedanken ruhigabschirmen. Ich kenne deine Pläne. Du hastes ja oft genug versucht. Aber ich war wach-sam. Ich konnte dich immer wieder zurück-schlagen. Ich weiß alles über dich, denn dubist mir sehr ähnlich. Nicht nur äußerlich.Aber ich bin trotz aller Ähnlichkeit besserals du.

Mirack lachte schrill auf. Sein hagererKörper bebte. Die Rippen zeichneten sichunter seiner weißen Haut ab. Sein Kopf erin-nerte an einen Totenschädel, in dem dieGlutpunkte rötlicher Augen leuchteten. SeinHaar war schütter. Es zog sich in einemschmalen Kranz um seine hohe Stirn.

Nichts an ihm erinnerte an die Zeit seinergrößten Erfolge.

Subbi Mirack war Telepathie-Artist gewe-sen. Er leitete eine verbotene Loge in Yar-den. Er empfing dort die hübschesten Frau-en. Sie wollten sich von ihm telepathischanalysieren lassen. Gleichzeitig besaß er dieFähigkeit, die Gefühle anderer zu verstär-ken. Das machte ihn zu einem erfolgreichenLiebhaber. Es gab keine Frau, die ihn abge-wiesen hätte.

Das Zimmer war annähernd sechzig Qua-dratmeter groß. Es besaß nur eine Tür. Dieandere hatte Mirack vor langer Zeit verbarri-kadiert. Rechts befand sich die Programmta-fel der Speisepositronik. Fenster gab esnicht. Dafür aber sinnverwirrende Farbspie-le.

Subbi Mirack brauchte keine Not zu lei-den.

Karschkar würde ihn nicht sterben lassen.

Sie hatte damals zwar verhindert, daß er un-sterblich wurde, aber sie revanchierte sichgroßzügig für alle entgangenen Leistungen.Zu schade, dachte Mirack, daß sie ihr Inter-esse an mir verloren hat.

Er lachte schrill auf und schlug sich wieein Verrückter auf die mageren Schenkel. Erwar bereit für den Kampf mit seinem Wider-sacher. Er brannte darauf, seinem Gegner ei-ne Verletzung beizubringen. Der letzteZweikampf lag schon viel zu lange zurück.

Karschkar würde ihn dabei sicherlich be-obachten. Vielleicht rief sie ihn wieder zusich, wenn er sich besonders geschickt an-stellte. Er hatte die Hoffnung nie aufgege-ben. Einmal würde der Tag kommen, andem Karschkar das Haus ohne Eingang undAusgang betreten würde. Dann durfte er sei-nen Gegner hinrichten. Aber wann würdedas sein?

Mirack wußte es nicht. Er wußte nur eins:Karschkar hatte ihn damals verraten! Siewollte ihn ganz für sich allein haben. Siehatte den Behörden gemeldet, daß er die ver-botene Loge leitete. Man hatte ihn daraufhinverhaftet. Das war kurz vor dem Zeitpunktgewesen, zu dem man ihm die Unsterblich-keit verleihen wollte. Die Gerichtspositroniklehnte daraufhin seinen Antrag ab. Er solltealt und reif werden, hieß es in der Urteilsbe-gründung, bevor man seinen Antrag auf Un-sterblichkeit erneut prüfen wollte. Die Fä-higkeit der Emotioverstärkung per Telepa-thie sollte ihm genommen werden. Alle Vor-bereitungen dazu liefen bereits, als Karsch-kar ihn heimlich befreite.

Und so hatte das Verhängnis seinen Laufgenommen: Karschkar entführte ihn auf ih-ren Geheimplaneten. Die ersten Wochen wa-ren für sie beide unbeschreiblich schön ge-wesen. Doch dann ließ das Interesse der Un-sterblichen nach. Sie holte sich einen ande-ren Gespielen. Seit diesem Tag lebte er imHaus. Mirack neigte den Kopf zur Seite.Das Klopfen kam von oben. Sein Gegnerwar wieder aktiv. Das Klopfen wurde lauter.Es kam von der Mitte.

Der Kerl sitzt genau über mir, dachte Mi-

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rack. Er will mich nervös machen.Dem Klopfen folgte der Hall schwerer

Schritte.Jetzt geht er zum Ausgang, durchzuckte

es Mirack siedendheiß. Vom Ausgang desanderen Zimmers ging es über winkligeStiegen abwärts. Wie viele Zimmer nochüber ihm lagen, wußte Mirack nicht. SeinGegner hatte ihn noch niemals höher hinauf-gelassen.

Mirack trat vor die Speisepositronik undberührte die sensorischen Tasten. EineLichtkette flackerte auf, dann öffnete sichder Schachtschlitz. In einem Becher dampfteein kräftigendes Getränk. Mirack trank esrasch aus. Dann räumte er den niedrigenSchrank aus und schob ihn von der Tür weg.Der Riegel hing schief in seiner Halterung.An einem Haken hing Miracks einzige Waf-fe: Ein unterarmlanges Holzstück, in dessenOberseite er spitze Eisendornen getriebenhatte. Er griff routinemäßig danach und ließdie Tür aufschnappen.

Draußen herrschte Totenstille.Mirack ließ die Tür hinter sich wieder

zugleiten. Er starrte angespannt in das glä-serne Labyrinth, das den größten Raum desHauses einnahm. Dicht davor führten dieTreppen nach oben und nach unten. Das La-byrinth war gefährlich. Zu Beginn seinesAufenthalts im Haus hatte er sich dort ein-mal verirrt. Er wäre beinahe verhungert. Imletzten Augenblick hatte er das System er-kannt, nach dem die verwirrenden Gängeund Schächte angelegt waren. Sein Gegnerwar häufig dicht an ihm vorbeigelaufen. Nurdie dünnen Transparentwände hatten sievoneinander getrennt.

In einem der Gänge hatte Subbi ein Ske-lett gefunden.

Er erinnerte sich noch ganz genau daran.Der Anblick verfolgte ihn in seinen Träu-men. Er hatte sich oft gefragt, wer im Laby-rinth gestorben war. Vielleicht ein GespieleKarschkars, der in Ungnade gefallen war. Erhatte sich vorgenommen, die Unsterblichebei der ersten Gelegenheit danach zu fragen.Aber Karschkar hatte nie wieder etwas von

sich hören lassen.Plötzlich spürte Mirack einen frischen

Luftstrom. Er sprang ein paar Schritte weitzurück und hielt seinen Dornenknüppel inder Rechten. Er roch den Duft frischer Blu-men, der von draußen hereinkam. Ob dasKarschkar war, die ihn besuchen wollte? Erkonnte es kaum glauben. Eine starke Erre-gung bemächtigte sich seiner. Er erinnertesich an die Zeit, die er auf den herrlichenWiesen von Karschkars Welt verbracht hat-te. Er wünschte sich nichts sehnlicher, alsnoch einmal unter freiem Himmel stehen zudürfen.

Dafür hätte er gern sein Leben hingege-ben.

Die Gedankenimpulse des Fremden ver-rieten Neugier. Mirack stellte sich den Mannals groß und schlank vor. Die Impulse ver-rieten Stärke und Beherrschung. Beides Ei-genschaften, die Mirack längst verloren hat-te.

Von unten tönten Schritte herauf. Erkommt die Treppe hoch, durchzuckte es ihn.Das ist mein Henker. Karschkar hat ihn ge-schickt, um mich töten zu lassen.

Anstatt die Gedanken des Fremden zuanalysieren, um hinter den Zweck seines Be-suches zu kommen, ging Mirack inDeckung. Er kauerte sich tief in die Nischeneben dem Treppenabsatz. Er würde warten,bis der Mann oben war. Dann würde er ihnvon hinten niederschlagen. Sollte er denSchlag mit dem Dornenknüppel überleben,so würde er ihn in die Tiefe stürzen.

Doch bevor sich Mirack auf den Fremdenwerfen konnte, ertönte unten ein Überra-schungsruf. Der Mann sprang ohne ersichtli-chen Grund gegen die Wand. Benommenstürzte er zu Boden und stieß Worte in einerfür Mirack unverständlichen Sprache aus.Jetzt schmetterte der Fremde seine Faust ge-gen die Wand. Er schlug immer wieder zu.Seine Knöchel waren schon blutig.

Er ist verrückt geworden, dachte Mirack.Der Fremde trug sein silberblondes Haar

schulterlang. Er war kein Tropoyther. Dassah Mirack sofort. Aber er war kein Tele-

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path. Das ließ den Mann in Miracks Augensofort als zweitrangigen Gegner erscheinen,mit dem er kurzen Prozeß machen würde.

7.

Der Angriff des Fremden kam völligüberraschend für mich.

Ich duckte mich, um dem Handkanten-schlag zu entgehen. Der nächste Schlagstreifte mich an der Schulter. Seltsamerwei-se verspürte ich überhaupt keinen Schmerz.Ich sprang ein paar Schritte zurück undstarrte den Fremden an. Ein unheimlichesGefühl beschlich mich. Er kam mir irgend-wie bekannt vor. Sein Gesicht verschwammvor meinen Augen. Ich schüttelte benommenden Kopf.

Die Rechte zuckte an meinem Kopf vor-bei und wollte einen Treffer an meinerSchläfe landen. Ich sah, wie sich die Fingerdes Mannes krümmten, um den äußerstschmerzhaften Dagorgriff im Nacken anzu-wenden.

Es überlief mich siedendheiß. Er be-herrschte die Dagortechnik. Dann muß er ar-konidischer Abstammung sein. Aber wiekam ein Arkonide in den Mikrokosmos?Und wie kam er ausgerechnet in diesesmerkwürdige Haus?

Er griff mich ohne Vorwarnung erneut an.Seine Fäuste trommelten wie ein Wirbel-wind auf mich ein. Er wollte mich in die En-ge treiben.

Du wirst psychisch beeinflußt, bemerktemein Extrasinn.

Ich hatte keine Zeit, länger über diese Be-merkung nachzudenken. Er trieb mich lang-sam, aber sicher, in die Enge. Wenn einereinen Dagorgriff bei mir landen konnte, warich erledigt.

Ich mußte erneut eine Serie knallharterSchläge einstecken. Er zielte nach meinemKopf. Ich wich ihm aus und versetzte ihmeinen Nierenhaken. Er zeigte keinerlei Reak-tion. Dafür tat mir der Handknöchel erbärm-lich weh. Ich tänzelte vor ihm auf und ab.Ich mußte in Bewegung bleiben, wenn ich

ihn mir vom Leibe halten wollte. Aber ir-gend etwas stimmte hier nicht. Was konntemein Extrasinn gemeint haben?

Warum spürst du die Schläge deinesGegners nicht?

Ich hielt erstaunt inne. Die Frage meinesExtrasinns war berechtigt. Ich sah meinenGegner prüfend an. Er blieb ebenfalls ste-hen. Seine Gestalt wirkte irgendwie unwirk-lich auf mich. Wenn ich mich anstrengte,konnte ich durch ihn hindurchsehen. Hinterihm erstreckte sich ein Gewirr aus halbtrans-parenten Gängen und Röhren.

Du kannst tatsächlich durch ihn hin-durchsehen, bestätigte mir mein Extrasinn.Bleib ganz ruhig stehen. Du treibst nichtsanderes als Spiegelfechterei. Du mußt deineaggressiven Impulse unterdrücken oder aufein Mindestmaß beschränken.

Ich beherrschte mich. Ich strengte michan, meinen Gegner als Freund zu sehen. Ichschaffte es, meine Haßgefühle völlig zu ver-drängen. Ich entspannte mich. »Wir könntenFreunde sein«, rief ich. »Wer bist du? Ken-nen wir uns vielleicht? Ich habe nichts ge-gen dich. Ich kann einen Bundesgenossengebrauchen. Diese Karschkar hat es nichtanders verdient. Na, wie wär's, hilfst dumir?«

Ich streckte meine Hand aus. Ich machteeinen Schritt vorwärts. Jetzt wurde sein Ge-sicht noch nebelhafter. Es zerfloß zu einerbreiigen Masse.

Dein Gegner ist nichts anderes als eineFiktivprojektion deiner aggressiven Gedan-ken und Gefühle.

Die Erkenntnis überkam mich wie einDonnerschlag. Es gab überhaupt keinenGegner. Ich war allein in diesem Haus, dasnichts anderes als eine raffiniert angelegtePsychofalle darstellte. Ein Gerät empfingmein Individualmuster, speicherte es in einerPositronik und strahlte dann meine eigenenAggressionsimpulse gegen mich ab.

Jetzt war die Projektion des Gegners ver-schwunden.

Ich schalt mich einen Narren, daß ich aufdiesen Trick hereingefallen war. Ohne mei-

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nen Logiksinn hätte ich solange gekämpft,bis ich entweder völlig erschöpft am Bodengelegen hätte, oder bis meine aggressivenGedanken verschwunden waren.

Nachdem ich die Falle durchschaut hatte,sah ich das ganze Haus in einem völlig an-deren Licht. Die Gänge und Zimmer warennach logischen Gesichtspunkten angelegt.Zu jedem Stockwerk gehörte ein Labyrinth,dessen Anfang gleichzeitig das Ende, bezie-hungsweise der Ausgang war.

Noch einmal würden mir die Haßimpulsenicht gefährlich werden. Ich hatte mich wie-der ganz in der Gewalt. Ich hoffte sogar, vondiesem Haus aus den ersten Schlag gegenKarschkar landen zu können. Dazu abermußte ich erst einmal die Schaltstelle desPsychogenerators finden. Langsam stieg ichdie Stufen hinauf.

Plötzlich hörte ich das aufgeregte Atmeneines Mannes.

Als der Fremde mit seiner Dornenkeulezuschlug, war es zum Ausweichen schon zuspät. Ich riß instinktiv den Arm hoch undfing den Schlag ab. Das rettete mir das Le-ben. Der Schlag wäre absolut tödlich gewe-sen. Jetzt riß sich der Bursche los. Er holtemit seinem Knüppel aus. Seine Augenflackerten erregt.

Er ist wahnsinnig, schoß es mir durch denKopf.

*

Mein Gegner war klapperdürr. Seine Rip-penknochen traten hervor. Unter der welkenHaut seiner mageren Arme spannten sichkaum Muskeln. Er war ein Tropoyther. Aberich hatte nie einen so alten Mann dieser Ras-se kennengelernt. Magantilliken oder dievarganischen Körper auf den VersunkenenWelten waren durchwegs von ansehnlicherGestalt gewesen. Ich vermißte alle Merkma-le der Tropoythers bei diesem Mann. An-scheinend hatte man ihm die Unsterblichkeitverweigert.

Aber wie kam er zu Karschkar? Ich konn-te mir einfach nicht vorstellen, daß die Un-

sterbliche sich mit so einem schmächtigenBurschen amüsiert hatte.

»Hör endlich mit dem Unsinn auf«, for-derte ich ihn auf. »Mir liegt nichts dran, dichzu töten. Ich bin Karschkars Feind. Wennich die Lage richtig einschätze, bist du auchnicht gerade ihr Freund, oder?«

Der Mann kicherte irre. Über seine blauangelaufenen Lippen tropfte Speichel. Frei-willig würde er nicht aufgeben, dafür war erschon viel zulange unter dem Einfluß desPsychogenerators. Höchstwahrscheinlich litter unter Verfolgungswahn. Wer ständig vonseinen eigenen Haßgefühlen gepeinigt wur-de, und wer von einer gnadenlosen Maschi-ne ständig die Verkörperung seiner Aggres-sion vorgespiegelt bekam, mußte verrücktwerden.

Er stieß wilde Schreie aus und rannte los.In der erhobenen Rechten trug er die Dor-nenkeule.

Ich beugte mich etwas vor und winkeltebeide Hände an.

Unsere Augen trafen sich. Das machte ihnunsicher. Seine Schreie verebbten im Laby-rinth zu meiner Linken. Er ließ die Keuleunentschlossen kreisen. Doch dann überwogseine Angriffslust, und, er schlug zu. Ichpackte sein Handgelenk und riß es nach un-ten. Dabei kam ich auf dem Rücken zu lie-gen. Er stürzte auf mich. Die Keuleschrammte dicht hinter meinem Kopf aufden Boden. Ein paar Dornen brachen ab.Jetzt winkelte ich die Beine an und stieß ihmbeide Füße in den Unterleib. Ich ließ ihn losund schleuderte ihn mit einem Tritt weg.

Er schrie gellend auf, als er ein paar Me-ter weit vor mir zu Boden krachte. SeineWaffe rutschte zu mir herüber. Ich packtesie und federte mich hoch. Er war nicht be-wußtlos. Er funkelte mich ängstlich an. SeinGesicht verzog sich zu einer Schreckens-maske.

»Ich habe dir vorhin schon gesagt, daß ichdich nicht töten will. Die Quetschungen hät-test du dir sparen können. Komm hoch, oderhast du dich verletzt?«

Er entspannte sich ein wenig. Anschei-

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nend traute er mir immer noch nicht. Ichschob den Griff seiner Keule in meinen Len-denschurz. Das beruhigte ihn anscheinend.Ich streckte meine Hand aus.

»Du kannst mir vertrauen. Ich will dirnichts tun. Wie heißt du?«

Ich half ihm beim Aufstehen. Eine merk-würdige Kälte ging von seiner Hand aus.Aber ich sagte nichts. Er sah mich lange an.Dann sprach er langsam und stockend, alshätte er schon sehr lange mit keinem mehrgeredet: »Ich bin Subbi Mirack. Karschkarbrachte mich hierher. Ich sollte für ihre Un-terhaltung sorgen. Aber das ist eine sehr lan-ge Geschichte. Manches habe ich vergessen.Aber sag' du mir, was dich in dieses Hausführt. Hat dich mein Gegner denn noch nichtangegriffen?«

»Der einzige, der mich angegriffen hat,das warst du!« Mirack sah mich ungläubigan. »Aber … ich kämpfe schon solange ge-gen ihn, wie ich in diesem Haus lebe. Wa-rum sollte er dich verschont haben? Er gehtmit äußerster Raffinesse vor.«

Subbi Mirack sah sich unruhig um. Er tratvon einem Fuß auf den anderen. Dabeischielte er nach seiner Keule, die jetzt inmeinem Gürtel steckte. Ich legte meineRechte auf den Waffengriff.

»Es gibt keinen Gegner«, sagte ich. »Dubist das Opfer einer teuflischen Maschinegeworden. Man hat dir deinen eigenen Haßvorgespiegelt. Du hast gegen eine Fiktivpro-jektion gekämpft. Wenn du Schmerzen ver-spürtest, dann nur deshalb, weil du dichselbst verletzt hast.«

Mirack schluckte. Die Erkenntnis, seit un-glaublich langer Zeit zum Narren gehaltenworden zu sein, versetzte ihm einen Schock.Er schrie hysterisch: »Du lügst! Ich bin Te-lepath … ich hätte das merken müssen. Duwillst mir nur etwas einreden.«

»Nein, Mirack! Warum sollte ich dich be-lügen? Ich habe überhaupt keinen Grund da-zu. Und was deine telepathischen Fähigkei-ten angeht … es gibt Maschinen, mit denenman sogar Telepathen beeinflussen kann.«

Der Gefangene Karschkars krümmte sich

schreiend zusammen.Sein Leben war also eine einzige Täu-

schung gewesen. Das konnte er nicht ver-kraften. Er wollte, daß alles so blieb, wie esbisher gewesen war. Er riß den rechten Armhoch und deutete zum nächsten Treppenab-satz.

»Dort steht er! Ich werde dir nicht helfen,wenn er dich angreift. Er soll dich ruhig tö-ten. Du hast nichts Besseres verdient.«

Mirack zitterte. Ich konnte ihn sogar ver-stehen. Vielleicht hätte ich ihm nicht dieWahrheit sagen sollen. Mein Extrasinn be-stätigte meine Vermutung: Er wird nie wie-der zu einem normalen Leben fähig sein. Erlebte zu lange in dieser künstlichen Umwelt.Karschkar hat diesen Mann seelisch undkörperlich vernichtet.

Ich wollte ihn dennoch nicht aufgeben.»Ich habe die Tricks dieser Maschinerie

durchschaut. Ich konnte dich nach draußenbringen. Mir fällt es nicht schwer, die Im-pulse des Psychogenerators zu ignorieren.«

Mirack sank zu Boden. Er umklammerteseinen Kopf mit beiden Händen undschluchzte. Ich trat neben ihn und berührteseine Schulter. Wieder durchströmte michjenes merkwürdige Gefühl, das ich empfun-den hatte, als ich ihm zum erstenmal dieHand gab. Miracks Körper war eiskalt. Ichmußte unwillkürlich an einen wiederbeleb-ten Leichnam denken, der ein gespenstischesLeben in einem Haus ohne Zeit führte.

»Ich helfe dir jetzt, Mirack! Wir verlassendieses Haus.«

Er sagte kein Wort mehr. Aber in seinemGesicht zuckte es hektisch. Er war völlighandlungsunfähig. Er würde mir bedin-gungslos wie ein Kind folgen.

Vor uns lag ein breiter Gang, der sichnach links und nach rechts wölbte. Ein flim-merndes Kristallmuster bedeckte die Wand-fläche. Dazwischen steckten armdicke Git-ter. Ich wußte, daß dies alles eine optischeTäuschung war. Man konnte durch die Git-ter hindurchgreifen. Mirack hätte in den Jah-ren seiner Gefangenschaft nur den Mut zuhaben brauchen, hier einfach hindurchzuge-

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hen. Aber er besaß ja keinen Extrasinn, derihn auf mentale Beeinflussung hingewiesenhätte. Vielleicht war das Programm des Psy-chogenerators auch direkt auf seine Persön-lichkeit abgestimmt worden. Das würde er-klären, weshalb ich relativ schnell mit derTäuschung fertig wurde.

Ich griff einfach durch die projiziertenGitter hindurch. Ein Kribbeln lief mir überdie Haut. Sonst geschah überhaupt nichts.Mirack dagegen wollte zurücklaufen. SeinGesicht drückte panische Angst aus.

»Das Feuer«, stammelte er, »das Feuerwird uns verbrennen. Wir können nicht hin-ausgehen. Ich habe oft vor dem Tor gestan-den. Es geht nicht. Die Flammen vernichtenuns.«

»Auch das Feuer ist nur eine Illusion, Mi-rack!«

»Nein … es brennt! Ich spüre den Glut-hauch.«

Ich mußte ihn mit Gewalt durch die flim-mernde Sphäre zerren. Er schrie dabei soentsetzlich, daß ich meinen Entschluß schonfast bereute. Ich konnte nicht wissen, daßMirack nicht nur geistig beeinflußt wurde.Auch sein Körper war dem Diktat einerschrecklichen Maschine unterworfen. DieFolgen dieser Beeinflussung wurden sicht-bar, als wir im Freien standen.

Im gleichen Augenblick traf mich einmörderischer Schlag.

Karschkar hat uns mit ihren Robotern um-zingelt. Ein Paralysatortreffer streckte michnieder. Ich fiel neben Mirack zu Boden.Meine Sinne waren hellwach, so daß ich denunvorstellbaren Schrecken mit ansehenmußte, der sich meinen Augen bot.

*

Subbi Miracks weiße Haut überzog sichmit bräunlichen Runzeln. Sein Körperschrumpfte langsam in sich zusammen. Erstarb unter entsetzlichen Qualen. Seine Au-gen starrten in den blauen Himmel. Er be-wegte seinen Arm auf mich zu, doch seineKraft reichte nicht mehr aus, um mich zu be-

rühren. Ich hätte ihm auch nicht helfen kön-nen. Der Paralysatortreffer eines Roboterslähmte mich.

Mirack wollte etwas sagen. Seine Lippenbewegten sich stumm. Dann verkrallten sichseine Skelettfinger im weichen Boden. – An-scheinend die Wirkung der Zeit, vermutetemein Extrasinn. Er wurde während seinerGefangenschaft energetisch konserviert. Ermußte sterben, sobald er das Strahlungsfeldverläßt.

Ich wollte mich von dem grauenvollenAnblick abwenden, doch ich konnte meinenKopf nicht bewegen. Karschkar beobachtetemich. Sie stand ein paar Meter von mir ent-fernt. Aus meinem Blickwinkel konnte ichihre Beine und die Körper mehrerer Robotersehen.

»Du hättest länger in meiner Psychofallebleiben sollen, Atlan … dann würdest dudich jetzt auch langsam verwandeln. Siehnur genau hin! Vielleicht programmiere ichden Psychogenerator auf deine Persönlich-keit um. Dann wirst du solange im Hausbleiben, wie ich es wünsche. Doch zuvorwill ich noch meinen Spaß mit dir haben.«

Miracks Gesicht war eine einzige dunkel-braune Hautfläche. Er hatte sich in eine Mu-mie verwandelt. Ich versuchte erneut, meineAugenlider zu senken. Aber die Lähmunghielt unvermindert an. Meine starren Augäp-fel waren auf den Leichnam gerichtet.

Ich weiß nicht mehr, wie lange michKarschkar in diesem Zustand liegen ließ.Als ich ein starkes Prickeln in Armen undBeinen bemerkte, hoben mich die Roboterauf. Ich war noch nicht stark genug, ummich gegen diese Behandlung zu wehren. Eshätte auch wenig Sinn gehabt. Die Roboterhätten mich sofort wieder geschockt.

»Schafft ihn in meinen Salon«, hörte ichKarschkars Befehl. »Von dort kann er unsnicht noch einmal entkommen. Schaltet dieEnergiebarriere ein. Die Nahrungsmittelpo-sitronik wird deaktiviert.«

Die Roboter trugen mich durch das imma-terielle Tor ins Innere der Station. Ich mußtean Crysalgira denken. Hoffentlich lebte sie

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noch. Meine ganze Hoffnung klammertesich daran. Ich konnte nicht ahnen, welcheteuflischen Pläne Karschkar mit uns verfolg-te. Im Augenblick jedenfalls konnte ichnichts gegen sie unternehmen.

8.

Karschkar sprach zu mir über die Bild-Sprech-Verbindung.

»Wie ich sehe, hast du die Lähmung in-zwischen überwunden. Ein zweites Malkannst du nicht fliehen. Ich habe alle nötigenVorbereitungen getroffen. Du sollst wissen,daß ich alles mit dir tun oder lassen kann,was ich will. Du bist mein Gefangener. Unddas wirst du bleiben, bis ich es mir andersüberlegt habe.«

Ich trat vor die Bildschirmpositronik.»Warum hast du mich nicht getötet?«Karschkars Gesicht verriet keinerlei Ge-

fühlsbewegung. Sie hatte sich wieder völligunter Kontrolle.

»Ganz einfach, Atlan! Ich will ein Kindvon dir haben. Als man meinen Alterungs-prozeß anhielt und mir die Unsterblichkeitverlieh, war ich bereits zu alt für die Gesell-schaft von Yarden. Man drängte mich in ei-ne Außenseiterposition. Was blieb mir ande-res übrig, als meine Vergnügungen auf die-sen Geheimplaneten zu verlagern? Leiderblieb es mir bis jetzt versagt, ein Kind zu be-kommen. Nur du kannst mir diesen Wunscherfüllen.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Denkstdu, ich werde dir freiwillig dabei behilflichsein?«

»Selbstverständlich«, kam es aus demLautsprecher der Bild-Sprech-Anlage. »Wieich schon mehrfach geäußert habe, besitzeich genügend Mittel und Wege, um dich zuallem zu zwingen. Das solltest du inzwi-schen eingesehen haben.«

Ich drehte mich langsam um. MeineChancen standen tatsächlich schlecht. Ohnefremde Hilfe konnte ich den Salon nicht ver-lassen. Karschkar brauchte nur ihre Psycho-generatoren auf mich richten, und ich würde

mich wie ein willenloser Zombie benehmen.Ich mußte die aufkommende Panik ge-

waltsam unterdrücken. Karschkars Stimmeriß mich aus den Überlegungen.

»Bevor ich abschalte, will ich dir nochmitteilen, daß ich jetzt den Befehl zur Tö-tung Crysalgiras gebe. Ich kann diese Fraunicht mehr gebrauchen. Sie stört mich. Abersei beruhigt, sie wird einen schnellen Toderleiden. Wenn es soweit ist, blende ich dieHinrichtung über Bildschirm in den Salonein.«

Ich starrte wortlos auf den Bildschirm. Ichwar unfähig, auch nur ein Wort zu sagen.Karschkars Abbild löste sich in einem Farb-wirbel auf. Sie hatte sich aus dem Kommu-nikationsnetz ausgeschaltet. Ich weiß nicht,wie lange ich so dastand. Als sich mein Ge-fühlssturm gelegt hatte, meldete sich meinExtrasinn. Du mußt aus dem Salon heraus-kommen. Es gibt nur eine Möglichkeit, wiedu das schaffst: Wende das tikoische Fieberan!

Das tikoische Fieber, schoß es mir durchden Kopf, habe ich während meiner Ausbil-dung für die ARK SUMMIA zum erstenmalkennengelernt. Nach der Erringung der ARKSUMMIA hatte ich einen völlig neuen Sta-tus gewonnen. Damals war mein Logiksek-tor aktiviert worden. Außerdem erlernte ichverschiedene Fähigkeiten, Kampfesweisenund Psychotricks, die mir schon oft das Le-ben gerettet hatten.

Das tikoische Fieber gehörte dazu.Vergiß nicht, daß die Anwendung des

Fiebers lebensgefährlich ist. Ab einem be-stimmten Zeitpunkt läßt sich das Fiebernicht mehr kontrollieren. Dann helfen auchdie besten Medikamente nichts mehr. DeinKörper wird für Monate hinaus gelähmtsein. Sollte eine bestimmte Schwelle über-schritten sein, stirbst du sogar.

Mein Extrasinn referierte nichts anderesals meine Erinnerung.

Ich kannte jede Einzelheit, die zur Auslö-sung des tikoischen Fiebers führte. Ich legtemich auf den Boden. Zuerst konzentrierteich mich auf meine Beine, dann kamen die

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Arme dran, und schließlich versetzte ichmeinen ganzen Körper in eine Art Dämmer-zustand. Ich fühlte mein Herz schlagen. DerPulsschlag meines Blutes dröhnte mir in denOhren. Plötzlich bekam ich Angst. Es wardasselbe Gefühl, das ein Mann hat, wenn ersich einem riskanten Selbstversuch unter-zieht.

Die Wärmeimpulse überfluteten mich.Die optischen Eindrücke wurden undeutlich.Rote Schemen breiteten sich vor mir aus.Nicht nachlassen, redete ich mir ein. Nurnicht schlappmachen, sonst läßt sich dasFieber nicht mehr beherrschen.

Über mir knackte der Lautsprecher derBild-Sprech-Verbindung Karschkar schalte-te sich wieder in das Kommunikationsnetzein. Ihre Stimme klang undeutlich. Alle äu-ßeren Eindrücke drangen wie durch eineFilzwand an mein Bewußtsein.

»Ich blende jetzt in die Hinrichtungszelleum.«

Ich verdrängte alles. Sogar die schreckli-che Erkenntnis, daß Karschkar meine Be-gleiterin in genau diesem Augenblick hin-richten wollte. Es ging nicht anders. Ichmußte jetzt stark bleiben. Das tikoische Fie-ber war meine einzige Chance, hier wiederherauszukommen.

»Warum sagst du nichts, Atlan?«Ich stöhnte. Meine Lippen waren auf ein-

mal angeschwollen. Rote Flecken überzogenmeinen Körper. Die Arme zuckten imRhythmus meines Pulsschlags, Schweiß liefmir über die Stirn. Das Fieber verbrauchtemeine Körperflüssigkeit. Das körpereigeneSystem, einen Temperaturausgleich durchdie Flüssigkeitsverdunstung herzustellen,versagte völlig. Das Fieber kam zu schnellüber mich. Ich verspürte bereits einen bren-nenden Durst. Meine Kehle war wie ausge-dörrt.

»Steh auf, Atlan! Ich will, daß du Crysal-giras Tod miterlebst.«

Karschkars Stimme verhallte im Salon.Ich reagierte überhaupt nicht darauf. Ichkonnte die einzelnen Worte kaum noch ver-stehen. Sie hallten wie Gongschläge in mei-

nen Ohren.Ich zuckte am ganzen Körper. Die Fieber-

wellen rasten in immer kürzeren Abständendurch mein Innerstes. Ich stammelte ein paarWorte, aber ihr Sinn blieb mir unverständ-lich.

Nicht so schnell, pulste mein Extrasinn.Du darfst die Kontrolle über das Fiebernicht verlieren.

Jetzt schrie Karschkar ihren Robotern Be-fehle zu. Ich verstand sie nicht, konnte miraber denken, worum es ging. Karschkar warüber meinen Zustand beunruhigt. Sie wußtenicht, ob ich ihr etwas vorspielte, oder obich tatsächlich erkrankt war. Sie mußte da-mit rechnen, daß mein Aufenthalt im Hausdes Psychogenerators nicht ohne Folgen aufmeinen Organismus geblieben war.

Dann war ich in der selbstgeschaffenenHölle des tikoischen Fiebers allein. Das ge-fährliche Experiment würde bald seinen Hö-hepunkt erreicht haben. Ich hoffte, daß michKarschkar bis dahin aus dem Salon geholthaben würde.

Wenn nicht, dann war ich genauso erle-digt, wie Crysalgira.

*

Karschkar lief neben der Schwebebahreher, auf die mich die Roboter gelegt hatten.Sie sah mich besorgt an. Ihre Hand berührtemeine glühende Stirn. Ich mußte inzwischenschrecklich aussehen. Das tikoische Fieberveränderte den Körper unwahrscheinlichschnell. Es verursachte rote Flecken, Haut-bläschen und geschwollene Gelenke.

»Wasser«, hörte ich mich stammeln. Mei-ne Stimme schien aus einem anderen Raumzu kommen. Ich hatte auf einmal das Ge-fühl, hoch über mir selbst zu schweben. Mitdiesem Gefühl kam zugleich die Todesangst.Ich kannte das Risiko, das man bei der Akti-vierung des tikoischen Fiebers einging. Eingeschwächter Organismus würde die Strapa-zen nicht lange aushalten.

»Setzt ihn vorsichtig in der Mitte ab.«Karschkar ging in den Behandlungsraum

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voraus. Die Roboter schoben meine Bahrebis vor die Analysepositronik. Die Lichtfel-der der optischen Anzeigeinstrumente erin-nerten mich an Raubtieraugen.

Dann hörte ich das Klicken von Schaltern.Ein Hebel rastete ein. Plötzlich berührtemich eiskaltes Metall. Das waren die Meß-plättchen, die mir von den Robotern auf dieHaut gelegt wurde.

Keine Angst, beruhigte ich mich in Ge-danken, sie registrieren nur die Symptomedes tikoischen Fiebers, nicht aber die Gei-steskraft, die es auslöste.

Karschkar beugte sich über mich. Ihr Ge-sicht wirkte auf meine veränderte Wahrneh-mungsweise wie ein riesiger, häßlicher Bal-lon. Ihr Mund öffnete sich langsam. Er erin-nerte mich an den Saugnapf eines überdi-mensionalen Polypen. Karschkars Wortedröhnten entsetzlich.

»Ich weiß nicht, ob du mich wieder rein-legen willst, Atlan. Meine Positronik wirddas sehr schnell herausfinden. Dann bestrafeich dich furchtbar. Du wirst dir wünschen,niemals geboren worden zu sein. Aber jetzthör mir gut zu. Ich lasse Crysalgira töten.Verstehst du? Ich lasse deine Begleiterinhinrichten. Ich weiß nicht, ob du diesen Vor-gang während deiner Fieberanfälle wahrneh-men kannst. Ich werde ihn auf alle Fälleüber den kleinen Bildschirm über deinemKopf einblenden lassen. Du sollst wissen,daß du keinen eigenen Willen mehr hast. Dubist auf Gedeih und Verderb mir ausgelie-fert.«

Ich stammelte stereotyp: »Wasser, bitteWasser!«

Karschkar reagierte nicht auf mein Bet-teln. Sie wandte sich wieder an die Roboter.

»Was zeigen die Instrumente an?« DasArbeitsgeräusch der Analysemaschine er-füllte den Raum. Lichterketten flackertenauf. Von den hauchdünnen Metallplättchenauf meinem Körper ging ein Vibrieren aus.Die Meßsonden übertrugen alle Daten direktin die Positronik.

»Stark überhöhte Körpertemperatur«, kames aus dem Lautsprecher.

»Kreislaufschwankungen, verbunden mitStoff Wechselstörungen. Die einzelnen Wer-te werden nach tropoythischen Maßstäbenklassifiziert. Es fehlen wichtige Grunddatenüber den Organismus des Untersuchten …«

Die Daten wurden gleichzeitig auf einemBildschirm eingeblendet. Dort konnteKarschkar sie selbst überprüfen. Anschei-nend fielen die Werte ziemlich beunruhi-gend aus. Karschkar wurde nervös.

»Selbst wenn wir seinen Organismus miteinem tropoythischen Körper vergleichen,befindet er sich in einem äußerst kritischenZustand. Wir müssen sofort die Krankheits-ursache herausfinden, damit wir mit der Be-handlung beginnen können.«

»Blutanalyse negativ«, plärrte die Ma-schine.

»Wie steht es mit Strahlungsschäden?«fragte Karschkar sofort.

Es dauerte ein paar Sekunden. Währenddieser Zeitspanne mußte ich alle Kräfte zu-sammennehmen, um mich auf die unregel-mäßig erfolgenden Fieberschübe zu konzen-trieren. Ich hatte einen Zustand erreicht, indem es gefährlich werden konnte.

»Strahlungsanalyse negativ. Keine beson-deren Werte.«

Karschkar wandte sich erneut an mich.»Was weißt du über das Fieber? Handelt

es sich um eine Krankheit, die für deineRasse typisch ist? Rede!«

Ich tat, als hätte ich ihre Worte überhauptnicht wahrgenommen. Ich bat fortwährendum Wasser. Ich verdrehte die Augen und rö-chelte.

Karschkar erkannte, daß sie von mir keineAuskunft bekommen würde. Sie wußtenicht, wie sie mich behandeln sollte. Die Po-sitronik wußte auch keinen Rat. Solange derGrund für meine Erkrankung nicht feststand,konnte sie auch nicht mit der Behandlungder Symptome beginnen.

»Kann er in diesem Zustand aufstehen?«fragte Karschkar die Positronik.

»Nein. Die Hochrechnung der vorliegen-den Daten ergibt eine achtundneunzigpro-zentige Handlungsunfähigkeit des Unter-

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suchten. Zwei Prozent müssen als Unsicher-heitsfaktor einkalkuliert werden, da es sichum einen fremden Organismus handelt.«

Karschkar überlegte einen Augenblick.Dann hatte sie eine Idee. Sie schickte dieRoboter hinaus und sagte: »Wir sezierenCrysalgiras Körper. Das ist eine einmaligeGelegenheit, mehr über den organischenAufbau der Arkoniden zu erfahren. Ich binsicher, daß dann einer Heilung Atlans nichtsmehr im Wege steht.«

Zischend schloß sich die Tür zum Be-handlungszimmer.

Ich war allein. Die Meßsonden lagen nochimmer auf meinem Körper. Das Summender positronischen Elemente drang undeut-lich an mein Ohr. Wenn Karschkar die Ana-lysepositronik mit einem Alarmgerät gekop-pelt hatte, würde ihr jede Besserung meinesGesundheitszustandes sofort gemeldet wer-den.

Ich mußte es trotzdem wagen.Denk an nichts anderes als an die Elimi-

nierung des tikoischen Fiebers, riet mirmein Extrasinn. Jede Ablenkung verlang-samt den Normalisierungsprozeß.

Ich durfte nicht an Crysalgira denken. Ichmußte mich nur auf die Beseitigung des ti-koischen Fiebers konzentrieren.

Als sich mein Herzschlag beruhigt hatte,wurde mir der brennende Durst erst richtigbewußt. Ich war völlig ausgedörrt. MeinHals schmerzte vor Trockenheit. MeineZunge lag wie ein Fremdkörper in derMundhöhle. Das Atmen wurde zur Qual.Meine Gelenke schmerzten wie nach einemGewaltmarsch. Trotzdem schaffte ich dasUnmögliche: In weniger als zehn Minutennormalisierten sich meine Körperfunktionenderart, daß ich aufstehen konnte.

Während ich noch überlegte, ob ich mirzuerst eine Waffe besorgen sollte oder obich einfach aus dem Behandlungszimmerlaufen sollte, glitt die Tür auf. Also doch einAlarmsystem, das mit der Positronik gekop-pelt ist, durchzuckte es mich. Ich sprang vonder Schwebebahre herunter und ging in An-griffsstellung. Dabei wurde mir fast schwarz

vor Augen. Als sich meine Augen an dieHelligkeit von draußen gewöhnt hatten, er-kannte ich einen hochgewachsenen Tropoy-ther, der langsam auf mich zuging.

*

Er trägt deine Kombination auf dem Arm,signalisierte mir mein Extrasinn. Ich schautegenauer hin. Richtig, der Fremde brachtemir meine tejonthische Metallkombination.Im Instrumentengürtel befanden sich meinewichtigsten Dinge.

»Was willst du von mir?« fragte ich ihnneugierig.

Die Augen des Tropoythers waren braun.Sein Gesicht machte einen vertrauener-weckenden Eindruck auf mich. Er war unbe-waffnet. Eine ungemein freundliche und be-ruhigende Aura ging von ihm aus.

Seine Stimme klang sonor.»Ich bringe dir deine Kombination, Atlan.

Du kannst die Meßsonden von deinem Kör-per lösen. Ich schalte die Positronik aus.Karschkar wird nichts merken. Sie ist imAugenblick beschäftigt.«

Der Fremde lächelte gewinnend. Er reich-te mir die zusammengefaltete Kombinationund meinte: »Ich habe dich von Anfang ansehr genau beobachtet. Ich wußte sofort, daßdeine Erkrankung gespielt war. MeineHochachtung. Das bringt nicht jeder fertig.Du wärst der ideale Liebhaber für meineHerrin.«

»Herrin?« wiederholte ich neugierig.»Bist du etwa Karschkars Sklave?«

»Ich bin Zaphiro, Karschkar ist meine Be-sitzerin. Ich diene ihr freiwillig. Ich tue allesfür sie. Ich besitze jedoch eine gewisse Ei-genaktivität, die da endet, wo ich meinerHerrin Schaden zufügen könnte.«

Ich betrachtete mein Gegenüber prüfend.Zaphiro benahm sich merkwürdig. Norma-lerweise hätte er mich sofort verraten müs-sen. Er behauptete, Karschkars ergebenerDiener zu sein, und trotzdem half er mir.Wie vertrug sich das miteinander?

Zaphiro schien meine Gedanken erraten

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zu haben. Er sagte ruhig und beherrscht:»Du wunderst dich darüber, daß ich dichnicht festnehmen lasse, nicht wahr?«

Ich nickte, während ich mir meine Kom-bination überzog.

Zaphiro begann mit seiner Erklärung:»Ich durfte meiner Herrin schon lange nichtmehr dienen. Das lag nicht an mir, sondernan der Tatsache, daß Karschkar den Reiz desNeuen suchte. Ich mußte also mit ansehen,wie sie unwürdige Unterhalter in ihren Salonführte. Keiner von diesen Männern besaßmeine Qualitäten. Sie wurden alle nach ver-hältnismäßig kurzer Zeit entfernt. Jetzt hatKarschkar dich in ihr Reich geholt. Du bistanders als alle Männer, die jemals hier wa-ren. Aber du bist Karschkars Feind. Dukönntest meine Herrin töten …«

»So ist es«, unterbrach ich meinen Ge-sprächspartner.

»Das allein wäre Grund genug für mich,dich schleunigst von hier verschwinden zulassen.«

»Willst du mich töten?«»Ich töte kein intelligentes Wesen. Ich ar-

rangiere lediglich die Dinge zugunsten mei-nes Auftrags. Dieser Auftrag lautet folgen-dermaßen: Diene deiner Herrin und erfüllteihr jeden Wunsch! Ich habe gesehen, daßKarschkar unglücklich ist. Du kannst ihrauch nicht helfen. Im Gegenteil, du würdestsie bei der erstbesten Gelegenheit töten.Sollte es zum Zeugungsakt kommen, sosteht das Ergebnis nicht einmal exakt fest.Karschkar erhielt erst im Alter die Unsterb-lichkeit. Die Geburt eines Kindes könnte siealso töten. Dieses Risiko darf meine Herrinnicht eingehen. Du mußt unbedingt von hierverschwinden, Atlan.«

Mir war nichts lieber als das. Aber ichfragte mich, wie Zaphiro das anstellen woll-te. Draußen wimmelte es von Robotern. Ichfragte ihn nach seinem Plan: »Hast du etwaein Raumschiff für mich?«

»Das nicht, Atlan! Aber ich kann dich zueinem Beiboot des großen Doppelpyrami-denschiffs führen. Die Steuerung ist leicht.Du kannst damit etwa dreitausend Lichtjahre

zurücklegen. Die Distanz reicht aus. um aufeinem anderen Planeten zu landen.«

»Ich brauche eine Waffe, Zaphiro!«Mein Befreier schüttelte mit dem Kopf.

»Unmöglich! Das kann ich nicht zulassen.Du könntest Karschkar verletzen oder sogartöten.«

»Kannst du mich dann wenigstens zu Cry-salgira führen?«

»Welchen Sinn sollte das haben? DeineBegleiterin wurde soeben getötet. Willst dumit einer Toten von hier starten?«

Im gleichen Augenblick kam mir einphantastischer Gedanke. Er war so unglaub-lich, daß ich mich selbst fragte, ob ich nichtplötzlich verrückt geworden war. Ich sagteaber nur: »Ich will Crysalgira sehen! Dudarfst keine Zeit verlieren, sonst wird siewomöglich noch seziert. Karschkar hatte et-was Ähnliches angedeutet.«

Zaphiro ging vor mir aus dem Behand-lungszimmer. Draußen war alles still. Vonden Robotern war nichts mehr zu sehen.

»Komm«, meinte Zaphiro und deutete aufeinen Gangverteiler. »Wir müssen dorthin.«

*

Die Tür war mit einem roten Flammen-symbol markiert. Rechts hing ein Bild-schirm. Er war abgeschaltet.

»Willst du nur einen Blick hineinwer-fen?« fragte mich Zaphiro. »Das kannst duauch über diesen Bildschirm erledigen. Dei-ne Begleiterin liegt noch im Labor. Die ana-tomische Untersuchung wird gleich stattfin-den. Du hast nicht mehr viel Zeit.«

»Nein … ich will zu ihr hinein.«Zaphiro öffnete die schwere Tür. Ich hielt

den Atem an. Ich war auf alles gefaßt. Crys-algira hatte mir sehr viel bedeutet. Die ge-meinsamen Abenteuer hatten uns zusam-mengeschweißt. Zwischen uns beiden exi-stierte sogar etwas Zuneigung. Es schmerztemich ungemein, sie jetzt als Leichnam sehenzu müssen.

Vielleicht ist es noch nicht zu spät, erin-nerte mich mein Extrasinn an meinen verwe-

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genen Plan.Das Labor war taghell beleuchtet. Links

erstreckte sich eine Wand mit positronischenInstrumenten. Dazwischen hingen Bildschir-me und Programmeinheiten für den Groß-rechner. Rechts befand sich das Kühlreser-voir mit chemischen und biologischen Ver-suchsmaterialien.

Crysalgira lag auf einer Bahre. Ihr Ge-sicht war schneeweiß. Die Augen standenweit offen. Ein entsetzter Ausdruck lag inihnen. Ich mußte wegsehen.

»Wie lange ist sie exakt tot?« fragte ichleise. Meine Stimme bebte. Ich mußte michbeherrschen.

»Das haben wir gleich. Ich brauche nurdie Zeitzähler vom Energiemeßgerät able-sen.«

Ich löste vorsichtig die Metallplättchenvon Crysalgiras Brust. Sie war durch einenStromstoß getötet worden. DunkelvioletteVerfärbungen verrieten die Stellen, an denendie Roboter die Elektroden angesetzt hatten.

»Vor zwölf Minuten hat ihr Herz aufge-hört zu schlagen«, teilte mir Zaphiro gleich-mütig mit. »Die Instrumente registrierennoch schwache Zellschwingungsimpulse.Das Gehirn zerfällt in wenigen Augen-blicken.«

Zwölf Minuten, schoß es mir durch denKopf. Zwölf Minuten können eine Ewigkeitbedeuten, wenn man an die unterbrocheneSauerstoffversorgung eines Gehirns denkt.Dennoch verlängerte sich die Zeitspanne, in-nerhalb derer ein Gehirn nach erfolgreichenWiederbelebungen funktionsfähig blieb, umgewisse Toleranzwerte. So hatten die Lun-gen aller Wahrscheinlichkeit noch vor demExitus noch einmal ausreichend Sauerstoffins Blut gepumpt, so daß dem Gehirn einletzter Versorgungsschub gewährt wurde.

Ich wollte es auf alle Fälle wagen.»Beeile dich, Atlan«, drängte Zaphiro.

»Die Roboter können gleich ins Labor kom-men. Karschkar hat den Sezierungsterminschon festgesetzt.«

»Ich weiß, Zaphiro! Aber ich habe etwassehr Wichtiges zu erledigen.«

Ich griff in die Gürteltasche meiner Kom-bination. Ich atmete auf. Die beiden kaumerbsengroßen Kügelchen waren noch vor-handen. Jetzt wußte ich, daß Crysalgira nocheinmal mit dem Leben davonkommen wür-de. Egal, welche Schäden sie durch die Hin-richtung erlitten hatte, ich würde sie insDiesseits zurückrufen, und ich würde ihr da-bei helfen, alle Schmerzen der Wiederer-weckung zu überwinden.

Ich nahm eines von den rostroten Kügel-chen und legte es zwischen ihre Lippen. Ichließ es vorsichtig in ihre Mundhöhle gleiten.Dort verband es sich augenblicklich mit demSpeichel. Es wallte auf und verwandelte sichin einen rötlich leuchtenden Gallertklumpen.

Jetzt mußte ich abwarten. Mein Abenteuermit den riesigen Schmetterlingen fiel mirwieder ein. Ich hatte ein mächtiges Tierdurch diese Kügelchen ins Leben zurückge-rufen, damit es uns von einem Felsenplateauauf die Ebene hinuntertragen sollte. Späterwar mir unbeabsichtigt die Wiederer-weckung eines geopferten Eingeborenen-mädchens gelungen. Leider war ich mit denKügelchen zu spät gekommen. Die Un-glückliche war damals schon über einen Tagtot gewesen. Die Kügelchen vermochtenzwar ihren Organismus wieder zu beleben,doch ihr Gehirn war unrettbar verloren ge-wesen.

Ein Stöhnen riß mich aus meinen Gedan-ken.

»Sie lebt!« stieß Zaphiro ungläubig her-vor. »Wie hast du das bloß angestellt? Daswiderspricht jeglicher medizinischer Er-kenntnis.«

»Das darfst du mich nicht fragen, Zaphi-ro. Ich weiß selbst nicht recht, wie das funk-tioniert. Ich fand diese Kügelchen auf einemfernen Planeten. Ich kenne nicht einmal sei-ne Position. Das Geheimnis des Lebens wirdalso für immer verschollen bleiben. Jetzt be-sitze ich nur noch ein einziges Kügelchen.Ich hebe es mir für den Notfall auf.«

Crysalgira lebte. Ihre Wangen hatten wie-der eine rosige Färbung angenommen. IhreAugen leuchteten. Die entsetzliche Todes-

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starre war aus ihnen gewichen.»Erkennst du mich, Crysalgira?«Sie bewegte ihre Lippen. Aber sie brachte

nur ein Stöhnen zustande. Sie hob ihreRechte, mußte sie aber wieder sinken lassen.Ihre Finger zuckten. Sie wollte mir etwasmitteilen.

»Streng dich nicht unnötig an, Crysalgira!Wenn du mich hören kannst, schließe drei-mal die Augen!«

Sie tat, was ich sie geheißen hatte. Dannblickte sie mich erwartungsvoll an.

Ich hätte beinahe laut aufgeschrieen vorFreude. Doch die Bedrohung durch Karsch-kars Roboter war nach wie vor akut. Crysal-giras Reaktion zeigte mir, daß ihr Gehirnkeine erkennbaren Schäden davongetragenhatte. Ich war unbeschreiblich froh.

»Ich brauche ein kreislaufstabilisierendesMittel«, verlangte ich von Zaphiro. »Kennstdu dich hier im Labor aus?«

Zaphiro nickte. »Ich weiß hier Bescheid.In dieser Kühlbox findest du Ampullen mitanregenden Substanzen. Es handelt sich umein völlig ungefährliches Stimulans, das dei-ne Begleiterin sofort wieder auf die Beinebringt. Man kann damit sogar Tejonther be-handeln. Ich will nur sagen, daß es für eue-ren Organismus absolut unschädlich ist.«

Ich griff in den Behälter und holte einpaar Ampullen heraus. Sie enthielten einekristalline Substanz, die sich über Null Gradverflüssigte.

»Wie nimmt man dieses Zeug ein?«Zaphiro legte eine Ampulle in die bereit-

liegende Hochdruckinjektionsspritze. Dannsetzte er die Mündung auf Crysalgiras Ober-arm und betätigte den Auslöser für die klei-ne Druckkammer. Es zischte, und alles warerledigt.

Plötzlich dröhnten vor der Tür schwereSchritte auf.

»Die Roboter! Ihr müßt verschwinden«,schrie Zaphiro.

Ich nahm Crysalgira hoch. Sie konnte im-mer noch nicht aufstehen. Sie lag aber leichtwie eine Feder in meinen Armen.

»Wo können wir uns verstecken? Aus der

Tür kommen wir nicht mehr, denn die Robo-ter sind schon zu nahe.«

Zaphiro deutete auf eine knapp einen Me-ter hohe und anderthalb Meter breite Metall-klappe an der Wand.

»Das ist der Abfallschacht. Ich blockieredie Verbindung zum Konverter. Euch wirdnichts passieren, wenn ihr dort hinunter-rutscht. Ihr müßt mir vertrauen.«

Uns blieb keine andere Wahl. Zaphiroklappte das Luk auf. Darunter gähnte einefinstere Schachtöffnung. Das Ende konnteman von hier aus nicht erkennen. Es ging je-denfalls ziemlich tief hinunter.

»Kommst du nicht mit?« wandte ich michan Zaphiro.

»Nein! Ich lenke die Roboter von euch ab.Es wird hier einen ziemlichen Wirbel geben,wenn die Roboter Crysalgiras Leiche nichtfinden. Ihr braucht den Vorsprung, um dasBeiboot zu erreichen. Paßt auf, wenn ihr un-ten gegen das Abschirmgitter des Konver-ters prallt. Berührt keinen Hebel, sonst ver-brennt ihr. Ihr braucht nur der grünen Liniezu folgen. In wenigen Minuten erreicht ihrden Ausgang. Dort müßt ihr auf mich war-ten. Ich komme so schnell wie möglich zueuch.«

Jetzt öffneten die Roboter die Labortür.Im gleichen Augenblick schwang ich

mich in den engen Schacht. Zaphiro schobCrysalgira hinterher. Sekunden später klapp-te die Luke wieder zu. Wir hörten nur noch,wie die Roboter in das Labor stampften.

Es ging rasend schnell abwärts. Für einenkurzen Augenblick fürchtete ich, Zaphirohätte uns in eine Falle gelockt. Doch als ichmit Crysalgira vor dem Abschirmgitter lan-dete und die grüne Linie auf der Wand er-blickte, wußte ich, daß unsere Gefangen-schaft bald beendet sein würde.

9.

Das Doppelpyramidenraumschiff standknapp fünfhundert Meter vor KarschkarsStation. Es war nicht zu übersehen. Ich wun-derte mich, daß es mir nicht bei meinem er-

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sten Fluchtversuch aufgefallen war. An-scheinend war ich an einer anderen Stelleins Freie gekommen.

»Meinst du, wir schaffen es bis zumSchiff?« fragte ich Crysalgira.

»Wenn du mir hilfst, ist es ein Kinder-spiel.«

Wir hatten nur ein paar Worte miteinan-der gewechselt. Ich vermied es, die Hinrich-tung zu erwähnen. Ich wollte, daß Crysalgiradieses Erlebnis so rasch wie möglich vergaß.

»Also … dann nichts wie los!«Ich stützte Crysalgira, denn sie konnte

noch nicht richtig laufen. Sie strengte sichsehr an. Ich sah, wie sie die Zähne zusam-menbiß.

Niedriges Buschwerk bot uns ausreichendDeckung. Kleine Brunnen mit weißen Ver-zierungen schlossen sich an. Eine mächtigeBlumenschale wölbte sich über den Weg.Ich hielt kurz inne, um die Lage zu sondie-ren. Es war alles ruhig. Von Zaphiro warnichts zu sehen. Er hatte zwar verlangt, wirsollten am Ausgang der Station warten, dochich wollte ins Raumschiff. Dort würde ichWaffen finden. Was war dagegen schon einBeiboot?

Noch zehn Meter bis zum Raumschiff.Die untere Schleuse stand offen. Crysalgi-

ra sah mich fragend an.»Kannst du die tropoythischen Schiffe

überhaupt starten?«»Leider nein! Aber wenn ich einen Strah-

ler gefunden habe, werde ich Karschkar da-zu zwingen. Ich will nach Yarden, um mei-nen Sohn zu befreien. Er allein kann uns denWeg zum Makrokosmos zeigen.«

Wir sahen uns kurz an, dann liefen wirlos. Crysalgira schaffte es schon besser, alsnoch vor wenigen Minuten. Ich wußte, daßsie die Nachwirkungen ihres Todes baldüberwunden haben würde.

Im Schleusenraum glühten kleine Lämp-chen. Ich kannte mich inzwischen einiger-maßen an Bord der tropoythischen Schiffeaus. Wir liefen an den Liftschächten vorbei.Vor uns lag ein großer Laderaum. Dahinwollte ich nicht. Ich erinnerte mich an die

kleinen Glaskästen in den Gängen. In diesenKästen lagen Stabstrahler. Anscheinend eineArt eiserne Reserve für den Notfall.

Ich wunderte mich, daß bis jetzt alles soglatt verlaufen war. Wir waren an keinerStelle durch Absperrungen oder Alarmanla-gen aufgehalten worden. Karschkar schiensich sicher genug zu fühlen, um darauf ver-zichten zu können. Wer sollte ihr schon ge-fährlich werden? Und ich lag ja angeblichim Fieber. Besser konnte ich es nicht haben.Solange Karschkar meine Flucht nicht ge-meldet wurde, hatte ich freie Bahn.

»Hier ist es!« rief ich erfreut. »Das sindgenug Waffen für eine ganze Raumschiffbe-satzung.«

Zwischen den Schottöffnungen waren je-ne kleinen Glaskästen angebracht, unter de-ren Abdeckung jeweils ein Stabstrahler lag.

Ich zertrümmerte die erste Scheibe mitder bloßen Faust.

Als das Glas splitterte, heulte irgendwoeine Alarmsirene auf. Ich zuckte zusammen.»Schnell, Crysalgira! Jetzt ist Karschkar ge-warnt.«

Ich zertrümmerte ein weiteres Glas. DieWaffe fiel heraus. Ich gab sie Crysalgira, diemich verständnislos anblickte.

»Du brauchst nur die Daumenmulde amoberen Ende zu berühren. Das genügt füreinen Impulsstrahl. Ich hoffe jedoch, daß wirnicht allzugroße Beschädigungen im Raum-schiff anrichten müssen. Ich will mit demSchiff starten!«

Das schrille Heulen zerrte an unserenNerven.

Wir schlichen gebückt weiter. Mit demPersonenlift wollte ich nicht in die Zentralefahren. Das war mir zu gefährlich. Karsch-kar brauchte nur die Energieversorgunglahmzulegen, und wir hingen fest.

Plötzlich verstummte das Heulen. Es wur-de totenstill.

»Jemand hat die Alarmanlage abgeschal-tet. Also sind wir nicht allein im Schiff.Vielleicht Karschkar?«

Ich wartete bereits auf die dröhnendenSchritte der Kampfroboter. Sie blieben je-

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doch aus. Dafür donnerte keine zehn Metervon uns entfernt ein schweres Schott in sei-ne Wand- und Bodenfüllung.

»Da wird jemand nervös«, stieß ich her-vor. »Schnell in Deckung, Crysalgira! Ichknacke das Schott, bevor es zu spät ist.«

Crysalgira schob sich in eine Wandnischezur Linken. Über ihr wölbte sich ein Bild-schirm. Sie war vor den Gluten des Impuls-strahlers ausreichend geschützt. Dann stellteich mich dicht neben die Wand und zieltemit dem Stabstrahler auf das Schott. DieFeueranzeige leuchtete auf. Ich winkeltemeinen linken Unterarm an, um meine Au-gen vor der Glutentladung zu schützen.

»Jetzt«, schrie ich und berührte den Waf-fenkontakt.

Der Strahler lag ganz ruhig in meinerHand. Im gleichen Augenblick erschien drü-ben auf dem Stahlschott ein grellweißerFleck, der sich rasch ausdehnte. An denRändern verfärbte er sich dunkelviolett. Esgab einen Ruck, und im Schott gähnte einLoch. Ich ließ den Strahl in konzentrischenKreisen über die Stahlfläche wandern. Lang-sam vergrößerte sich der Durchbruch.

Eine phantastische Waffe, ging es mirdurch den Kopf. Sie wird nicht mal bei Dau-erfeuer warm. Dagegen wären unsere arko-nidischen Blaster längst heißgeschossen.

Dafür erwärmte sich die Luft. HeißeSchwaden kamen auf uns zu. Doch dann wardie Öffnung groß genug, daß wir gebückthindurchsteigen konnten.

»Halte die Luft an, Crysalgira, und paßauf, daß du dich nicht an den Schmelzrän-dern verbrennst.«

Ich ging zuerst. Ich wollte die Lage son-dieren und Crysalgira decken. An der ande-ren Seite war alles still. Da sah ich die Auf-nahmelinsen einer Überwachungskamerarechts oben unter der Decke. Ich schoß so-fort. Es gab einen Knall, die Linsen zer-sprangen, und ein schmorendes Loch war al-les, was von der Kamera übrigblieb.

»Wo liegt die Zentrale?« fragte Crysalgi-ra. Sie hielt ihren Strahler schußbereit in derRechten.

Ich deutete auf einen halbrund vorge-wölbten Personenlift.

»Wenn wir dort einsteigen und uns in dieEtage über diesem Gang befördern lassen,sind wir gleich da.«

»Das ist gefährlich!«Ich nickte. »Deshalb nehmen wir ja auch

den Kabelschacht. Wie steht's mit dir …kannst du schon wieder klettern?«

»Ich will es wenigstens versuchen. Haupt-sache, du kommst durch, Atlan.«

Ich löste vorsichtig die Schraubverbin-dungen der Wandplatte dicht neben demPersonenlift. Crysalgira half mir dabei, dieschwere Platte abzunehmen und geräuschlosauf den Boden zu legen.

Der Schacht war nicht ganz einen Meterbreit und ebenso tief. Die Kabelhalterungenwürden unser Gewicht aushalten. Ich schobden Strahler in den Gürtel und schwangmich in die Öffnung. Dann ergriff ich Crys-algiras Hand.

»Komm«, sagte ich. »Wir haben es gleichgeschafft.«

*

Karschkar wirbelte erschrocken um dieeigene Achse. Sie riß geistesgegenwärtigeinen kleinen Strahler aus den Falten ihresGewandes. Ihre Augen waren vor Entsetzenweit geöffnet.

»Wie … wie kommst du hier rein?«Ich feuerte noch im Liegen. Ich wollte sie

nicht töten, sondern nur entwaffnen. Abersie hatte ebenfalls auf den Feuerkontakt ih-res Strahlers gedrückt. Die beiden Glutbah-nen kreuzten sich. Dicht neben mir zerplatz-ten mehrere Anzeigeinstrumente. Es rochbestialisch nach verschmorten Plastikteilen.

Karschkar stieß einen Schmerzensschreiaus. Ich hatte ihre Hand gestreift. Ihre Waffeschlitterte über den Boden.

»Das … hast du gewagt?« stotterte sie un-gläubig. »Du hast auf eine Unsterbliche ge-schossen!«

»Ich hätte dich ebensogut töten können«,entgegnete ich kalt. Dann kroch ich ganz aus

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der Wandöffnung. Ich trat die herausgesto-ßene Wandplatte beiseite. Crysalgira folgtemir.

Karschkar erwähnte nichts über Crysalgi-ras Wiederbelebung. Sie wußte also bereits,daß mir das Unglaubliche gelungen war. Al-so hatte sie unsere Ankunft im Raumschiffbemerkt.

Sie rechnete nicht damit, daß ihr zweidurch den Kabelschacht in die Zentrale ein-dringt, erklärte mein Extrasinn.

»Ich hetze die Kampfroboter auf euch!«schrie Karschkar.

»Das wäre dein Ende. Bevor der erste Ro-boter in die Zentrale eindringt, bist du tot.«

Karschkar biß sich auf die Unterlippe. Ichsah, wie sie angestrengt nachdachte. DieBiofolie auf ihrem Gesicht warf Falten.

»Ich überlasse euch beiden ein Beiboot«,schlug Karschkar schließlich vor.

Ich schüttelte den Kopf und richtete denStabstrahler auf sie.

»Du mußt mich schon für ziemlich dummhalten, Karschkar. Ich möchte wetten, daßdu uns nicht einmal starten läßt. Ein Impuls-strahler oder vielleicht ein Paralysatortreffer,und wir sind erledigt. Du hättest dir denkenkönnen, daß ich nicht umsonst in diesesSchiff eingedrungen bin. Ich werde damitnach Yarden fliegen.«

Karschkar verzog verächtlich die Mund-winkel.

»Wenn du das Schiff überhaupt steuernkannst – was ich bezweifle –, dann kämst duniemals unbemerkt nach Yarden. Dort gibtes Überwachungsmechanismen, von denendu nicht einmal träumst.«

»Dann bringst du uns eben nach Yarden!Dir wird schon etwas einfallen, womit dudeine Freunde ablenkst. Ich bin sicher, daßdu uns in die Eisige Sphäre bringen kannst,ohne daß man dort etwas von unserer An-kunft merkt.«

»Was willst du dort? Du hast keine Chan-ce gegen die Unsterblichen.«

Ich sah Karschkar gleichmütig an.»Ganz einfach … ich will meinen Sohn

Chapat befreien und dieses Universum ver-

lassen.«Als ich den Namen meines Sohnes er-

wähnte, zuckte Karschkar zusammen. Siefing sich aber rasch wieder. Unsicher wisch-te sie sich eine Haarsträhne aus dem Ge-sicht.

»Du kennst meinen Sohn, nicht wahr?«Ich trat einen Schritt auf sie zu. »Heraus mitder Sprache! Du wirst mir jetzt alles verra-ten, was du weißt. Wo befindet sich Chapatjetzt? Wer bewacht ihn?«

Karschkar schwieg verbissen.Sie wird hart bleiben, meinte mein Extra-

sinn. Sie verrät ihre Rasse nicht.Da glitt das Personenschott auf. Crysalgi-

ra richtete ihren Strahler auf den Näherkom-menden. Es war Zaphiro. Er blieb mitten inder Zentrale stehen und sah uns abwartendan. Seltsamerweise war er überhaupt nichtaufgeregt. Er drückte dieselbe Ausgegli-chenheit aus, die ich schon während meinerBefreiung an ihm bewundert hatte.

Jetzt wandte er sich mir zu. »Leg dieWaffe weg, Atlan! Du darfst meine Herrinnicht bedrohen.«

»Ich denke nicht daran, Zaphiro! Sie wür-de mich sofort töten, wenn sie Gelegenheitdazu bekommt. Ich bin kein Selbstmörder.Das mußt du verstehen. Warum hast dumich sonst befreit? Dann wäre alles umsonstgewesen.«

Karschkar stieß einen zornigen Schreiaus.

»Was? Du hast diesen Kerl befreit? Dannhabe ich dir das alles zu verdanken.«

Zaphiro blieb ruhig. Er drehte sich nurhalb um. Seine Arme waren eng an den Kör-per gelegt. Er stand da wie ein Zinnsoldat.Er sagte: »Ich habe die Bestimmungen nichtverletzt. Ich habe dein Leben nicht bedroht,Herrin. Ich habe mich dir gegenüber absolutkorrekt verhalten. Ich interpretiere meinVerhalten folgendermaßen: Ich konnte mei-nem Auftrag, dir zu dienen, nicht nachkom-men, solange du andere Unterhalter in dei-nen Salon geführt hast. Sie waren alle unfä-hig, dir das zu geben, was du wünschst. Duwarst unglücklich. Meine Spezialschaltung

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erlaubt diese Beobachtung. Ich mußte alsoalle nur erdenkbaren Schritte ergreifen, umwieder in die Nähe von dir zu kommen.«

»Du stupides Ding«, schrie Karschkar.»Gleich siehst du, was du angerichtet hast.«

»Ich erwarte deine Befehle«, sagte Zaphi-ro ungerührt.

Karschkar geriet nur noch mehr in Wut.Sie starrte mich irre an. Ihre Biofolie warverrutscht, so daß sie einen jämmerlichenAnblick bot. Speichel lief ihr über die Lip-pen.

»Du wirst nicht erleben, daß ich meinVolk an einen Bastard verrate! Ohne meineHilfe kommt ihr nie nach Yarden. Ihr werdetauf diesem Planeten verrecken. SämtlicheRoboter sind darauf programmiert, euch zutöten. Ihr könnt euch in meinem Raumschiffverbarrikadieren, aber das nützt euch nichts.Einmal erledigen euch die Roboter ja doch.«

»Dazu wird es nicht kommen«, rief ich.»Du wirst jetzt einen Deaktivierungsimpulsabstrahlen. Wenn die Roboter nicht in einerMinute abgeschaltet sind, töte ich dich!«

Karschkar lachte hysterisch auf. Sie taste-te über ihr Gewand. Ihr Zeigefinder öffneteeine kleine Tasche am Gürtel. Dann schobsie blitzschnell eine winzige Kapsel in ihrenMund. Ich konnte es nicht mehr verhindern.Als ich sie am Arm packte, war sie bereitstot. Sie fiel schwer zu Boden.

Im gleichen Augenblick flammte einBildschirm über der Schaltkonsole auf.Mehrere Roboter waren eingeblendet. Siestanden vor der Schleuse. Die Stimme einesAutomaten kam aus dem Lautsprecher.

»Die Gefangenen sind in das Raumschiffeingedrungen. Sämtliche Schotte müssen ge-schlossen werden. Wir verteilen uns jetzt imSchiff. Erwarten weitere Weisungen …«

»Sie kommen gleich in die Zentrale«, riefCrysalgira entsetzt. Sie wandte sich zu Za-phiro um. »Wie kann man die Roboter vonder Zentrale fernhalten? Du mußt es uns ver-raten. Die Roboter haben einen Tötungsbe-fehl.«

Zaphiro reagierte nicht mehr. Aus seinenOhren stiegen kleine weiße Rauchwölkchen

empor. Es roch nach verbranntem Plastik-material. Zaphiros braune Augen glänztenjetzt metallisch. Er stand wie eine Statue da.

»Zaphiro ist ein Roboter«, stieß Crysalgi-ra ungläubig hervor.

»Ja, ich habe es schon geahnt. Aber er istkein gewöhnlicher Roboter. Zaphiro ist einperfekter Androide. Ein hochkompliziertesWesen aus positronischen Verbindungenund organischen Substanzen. Er hat sich ab-geschaltet, als Karschkar Selbstmord be-ging.«

»Jetzt sind wir erledigt«, meinte Crysalgi-ra niedergeschlagen. »Niemand kann dieRoboter noch aufhalten.«

Doch! Ich kann es.Ich zuckte wie elektrisiert zusammen. Das

war nicht mein Extrasinn gewesen. Das wareine telepathische Stimme, die mir sehr be-kannt vorkam.

Erkennst du mich denn wirklich nichtwieder, Vater?

»Chapat!« schrie ich entgeistert. »Wie inaller Welt kommst du hierher? Wo steckstdu?«

Drei Meter hinter dir. Du brauchst nurdie Wandklappe zu öffnen.

Der Behälter mit dem Körper meines Soh-nes war an ein kompliziertes Überlebenssy-stem angeschlossen.

Ich bin gerade im richtigen Augenblickwieder zu mir gekommen, drangen Chapatstelepathische Impulse in mein Bewußtsein.Karschkar hatte mich betäubt, sonst hätteich mich schon früher gemeldet. Die Dosismußte jetzt erneuert werden. Glücklicher-weise kam die alte Hexe nicht mehr dazu.Du hast sie ziemlich in die Enge getrieben,Vater.

Ich empfing ein telepathisches Lachen.Mir selbst war jedoch nicht zum Lachen zu-mute. Die Roboter konnten jeden Momenthier sein.

Siehst du die roten Berührungstasten aufdem Schaltpult?

»Ja«, antwortete ich meinem Sohn.»Wozu dienen sie?«

Das ist die Schalteinheit für die Robot-

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staffel. Ich gebe dir Karschkars Geheimco-de, mit dem, du sämtliche Kampfmaschinenauf dieser Welt abschalten kannst.

Chapat übermittelte mir die kompliziertenSymbole. Im gleichen Augenblick stampftenzehn Roboter mit schußbereiten Impuls-strahlern in die Zentrale. Sie waren durchein offenstehendes Schott gekommen. Siekonnten jeden Augenblick abdrücken.

Blitzschnell berührte ich die Tasten desFunkgeräts und tippte den Code zur Deakti-vierung hinein. Ich zog den Kopf ein. Ich er-wartete das Fauchen der schweren Strahlen-waffen. Doch es geschah nichts. Ich drehtemich um. Die Kampfroboter standen jetztgenauso starr und reglos da, wie Zaphiro.

»Wir haben es geschafft«, rief Crysalgiraglücklich und fiel mir um den Hals. »Wirsind außer Gefahr, wir leben, und besitzenein Raumschiff!«

Da vernahm ich ein Splittern. ChapatsÜberlebensbehälter zerplatzte. Der Kleinewar längst kein hilfloser Embryo mehr. Inseinem kleinen Körper steckte der Geist ei-nes Erwachsenen. Seine kleinen Arme undBeine waren voll ausgebildet.

Das faule Leben ist vorbei, kamen Cha-pats telepathische Impulse. Ich bin auchnicht mehr Karschkars Geisel. Die Altewollte mich doch tatsächlich gegen ihre ei-genen Leute ausspielen. Sie fürchtete trotz

aller Vorsichtsmaßnahmen, daß man sie ver-folgen würde.

»Ich bin sicher, daß du mir eine interes-sante Geschichte erzählen kannst, Chapat!Aber das hat Zeit. Wir besitzen einen ganzenPlaneten. Wir werden es uns hier wohnlicheinrichten. Vielleicht finde ich mit der Zeitheraus, wie man das Doppelpyramidenschiffstarten kann. Ich werde –«

Chapat unterbrach mich ärgerlich: Traustdu mir denn gar nichts zu? Ich weiß, wieman diese Schiffe startet. Ich weiß noch vielmehr. Oder glaubst du, Ischtar hätte mirüberhaupt nichts beigebracht?

Crysalgiras Augen leuchteten. Sie wußtegenausogut wie ich, daß Chapat uns denWeg nach Yarden weisen würde. Damit warsogar die Rückkehr in den Makrokosmos ingreifbare Nähe gerückt. Ich dachte jetztnicht an die Gefahren, die wir noch zu mei-stern hatten. Ich nahm meinen Sohn hochund legte ihn in Crysalgiras Arme.

Chapats telepathische Impulse waren vollfreundlicher Ironie: Für Atlan und Arkon –auf Leben und Tod!

ENDE

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