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Die Höhle der Berserker

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Nr. 351

Die Höhle der Berserker

Der Dimensionswanderer in einem fremden Körper

von H. G. Francis

Pthor, das Stück von Atlantis, dessen Horden Terra überfallen sollten, hat sich längst wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Konti­nent des Schreckens urplötzlich materialisiert war.

Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wieder auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll.

Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte da­zu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde.

Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nach­dem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezo­gen hat.

Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Dar­auf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden.

Während nun Atlan im All und auf fremden Welten seine gefährlichen Abenteuer besteht, ist nicht nur der seltsame Kundschafter mit seiner noch seltsameren, exoti­schen Begleiterin auf der Suche nach Atlan befindlich, sondern auch USO-Spezialist Sinclair Marout Kennon, der zuletzt als Lebo Axton eine wichtige Rolle im Kampf ge­gen Orbanaschol spielte.

Nach dem Sturz des Usurpators beginnt Axton-Kennon seine Odyssee durch Zeit und Raum, die ihn schließlich in Atlans Nähe führt. Der USO-Agent materialisiert in

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einem fremden Körper und gelangt in DIE HÖHLE DER BERSERKER …

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4 H. G. Francis

Die Hautpersonen des Romans: S. M. Kennon alias Lebo Axton - Der Dimensionswanderer auf Atlans Spur.Tirque - Axtons Gefährte auf dem Planeten Yamolquoht.Caidon-Rov - Neuer Herr der Feste Grool.Grizzard - Ein ehemaliger Schläfer wird übernommen.Orzmoran - Anführer der Berserker von Kelschostra.Razamon und Kolphyr - Atlans Freunde begegnen Berserkern.

1.

Sinclair Marout Kennon kämpfte verzwei­felt um seine Existenz. Er trieb im hype­renergetischen Strom durch die Dimensions­korridore, ohne irgendwo Halt zu finden oder sich ausreichend orientieren zu können.

Hin und wieder empfing er hyperdimen­sionale Impulse, von denen er glaubte, daß sie von dem Zellaktivator Atlans stammten. Er war sich jedoch nicht darüber klar, ob sie wirklich von dem Arkoniden kamen, oder ob er sich das nur einbildete.

Er fühlte, daß die übergeordneten Energi­en ihn in zunehmendem Maße beherrschten. Während er sich zu Anfang noch relativ leicht aus ihnen befreien konnte, zeigte sich nun, daß es ihm immer schwerer wurde, sich in materialisierter Form zu erhalten.

Er dachte an Tirque. Den Einsamen hatte er mit dem Sand­

wurm alleingelassen. Das war durchaus nicht seine Absicht gewesen. Er hatte bei ihm bleiben wollen, weil er sich dessen be­wußt war, daß der fluchtartige Aufbruch aus der Oase Simquerz Tirque als Schuldge­ständnis ausgelegt werden konnte. Und der Einsame war zu schlicht von Gemüt, um sich gegen solche Verdächtigungen wehren zu können.

Daher konzentrierte sich Axton-Kennon immer wieder auf Tirque, weil er hoffte, mit paramentalen Energien die hyperenergeti­sche Dimensionsschranke durchbrechen und zu dem Einsamen zurückkehren zu können.

Ohne daß er sagen konnte, wie lange sei­ne Anstrengungen gedauert hatten, erreichte er sein Ziel. Er materialisierte auf dem Rücken des Sandwurms bei Tirque, dem

einsamen Reiter von Yamolquoht. Der Ha­gere wandte ihm den Rücken zu. Er bemerk­te ihn nicht. Doch Zaquetel, der Sandwurm, reagierte.

Er schnaufte und wühlte sich halb in den Sand, so daß nur noch die obere Rundung seines etwa zehn Meter langen Rückens dar­aus hervorsah.

Axton-Kennon wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Laut über die Lippen. Noch hatte sich sein Körper nicht ausrei­chend stabilisiert.

»Zaquetel, was ist denn?« rief Tirque jammernd. »Warum läßt du mich im Stich? Es ist doch nicht mehr weit bis Querzkont.«

Axton hob seine Hände und sah, daß sie transparent waren. Er fühlte einen starken Sog, der ihn in die Unendlichkeit zurückzie­hen wollte. Er konzentrierte sich auf seine Materialisation, bis es ihm endlich gelang, die drohende Verflüchtigung abzuwenden.

Er schlug die Augen auf. Tirque kauerte dicht vor ihm und musterte

ihn erstaunt. »Wenn du dich entschlossen hast, hierzu­

bleiben, sage es mir, bitte«, forderte er. »Ich finde dein Benehmen etwas ungewöhnlich.«

Axton-Kennon seufzte. »War ich lange weg, Tirque?« fragte er,

mühsam formulierend, da er die Sprache des anderen nur unzureichend beherrschte.

»Das will ich meinen«, antwortete der Einsame. »Acht Wochen bin ich allein durch die Wüste gezogen. Zwölf Oasen habe ich besucht und befriedet. Alle Menschen auf Yamolquoht sind glücklich. Die Kunde von meinen Heldentaten in der Oase Simquerz eilt mir voraus. Überall werde ich mit offe­nen Armen empfangen.«

»Das glaube ich dir«, sagte Axton mit un­

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bewegtem Gesicht. Er stand Tirque mit ge­mischten Gefühlen gegenüber. Auf der einen Seite tat er ihm leid, weil er so naiv war, daß er bei all seinem Eifer nicht merkte, daß ihn niemand ernst nahm. Man ließ ihn schalten und walten und machte doch, was man woll­te, sobald er weitergezogen war.

Auf der anderen Seite bewunderte er Tir­que auch, weil dieser unbeirrbar war und überall versuchte, Ordnung zu schaffen. Er schien der einzige auf diesem Planeten zu sein, der sich überhaupt Gedanken über die Anforderungen des gesellschaftlichen Zu­sammenlebens machte.

Jetzt hatte Axton Angst. Er fürchtete, daß der Waffenproduzent der Oase Simquerz sich rächen würde. Daher machte er sich Vorwürfe, weil er Tirque nicht rechtzeitig genügend abgesichert hatte.

»Ich bleibe«, erklärte Axton. »Und wie ich hoffe, auch für einige Zeit.«

»Was soll das heißen?« fragte der Einsa­me. »Kannst du mir keine klare Auskunft geben?«

»Das würde ich gern tun, aber ich kann es nicht.« Axton lächelte flüchtig. »Hin und wieder reißt es mich fort. Ich kann nichts da­gegen tun.«

Tirque nickte, als habe er nichts anderes erwartet.

»Das ist mein Schicksal«, sagte er. »Ich bin der einzig Vollkommene von Yamol­quoht. Warum kann es nicht auch andere Vollkommene geben? Kannst du mir das sa­gen?«

»Ich wünschte, ich könnte es«, entgegnete der Verwachsene. Er blickte an Tirque vor­bei. In einer Entfernung von etwa einem Ki­lometer hoben sich sieben weiße Türme aus der Wüste. Axton schätzte, daß sie etwa hundert Meter hoch waren. Sie wuchsen aus dem dichten Grün einer Oase empor. »Wo sind wir?«

Tirque deutete mit dem Daumen über die Schulter auf die Türme.

»Das ist Querzkont«, erklärte er. »Mein nächstes Ziel. Ich weiß nun, daß die Waffen, die in Simquerz gebaut werden, von hier aus

zu anderen Planeten gebracht werden. Dort verbreiten sie Tod und Verderben. Es ist al­so meine Aufgabe, die vier Raumschiffe zu vernichten, die es in Querzkont gibt.«

»Wie willst du das erreichen?« fragte Ax­ton erschrocken. Tirque ahnte nicht, daß er sich auf ein lebensgefährliches Abenteuer einlassen wollte. Wenn man ihn verdächtig­te, an der Zerstörung der Anlagen von Sim­querz beteiligt gewesen zu sein, dann war zu befürchten, daß die Herrscher von Querz­kont ihn kurzerhand umbrachten, sobald er sich in der Oase blicken ließ.

Der Einsame richtete sich stolz auf. »Mit Zaquetels Hilfe werde ich die vier

Raumschiffe in Grund und Boden reiten«, erwiderte er. »Ich werde ihre zerbrechlichen Hüllen mit dem Schwert zerschmettern. Sie werden zerplatzen wie Eierschalen.«

»Würdest du mir erlauben, dir zu helfen?« fragte der Verwachsene.

»Wie könntest du mir helfen?« Tirque lä­chelte mitleidig. »Du bist klein, schwach und verkrüppelt. Du bist noch nicht einmal in der Lage, ein Schwert zu heben.«

»Es würde mir genügen, wenn ich dein Diener sein darf«, erklärte der Terraner.

»Nun gut«, sagte der Hagere. »Du hast recht. Es steht einem Edlen an, einen Diener zu haben. Wir reiten nach Querzkont, und du kommst mit.«

Er sprang auf und hieb dem Sandwurm die Schwertspitze in die Haut. Zaquetel zuckte überrascht zusammen und schnellte sich so heftig aus dem Sand, daß Tirque und Axton fast heruntergefallen wären.

»Auf, auf«, schrie der Hagere. »Seine Kaiserliche Majestät Querzkont von Querz­kont soll das Fürchten lernen. Tirque, der Gerechte, kommt. Er wird die Werkzeuge des Bösen vernichten.«

Der Sandwurm schob sich mit schnellen Bewegungen auf die Turmoase zu.

»Woher hat Querzkont eigentlich die vier Raumschiffe?« fragte Axton.

Tirque setzte sich wieder ihm gegenüber. »Ich weiß es nicht genau«, erwiderte er.

»Es heißt, daß sie ein Geschenk eines frem­

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den, mächtigen Volkes sind. Ich glaube aber eher, daß er sie gestohlen hat. Man sagt von ihm, daß er einem Mächtigen für lange Zeit gedient hat. Auf einer anderen Welt. Von dort hat er die Raumschiffe mitgebracht.«

Er wandte Axton den Rücken zu und gab ihm damit zu verstehen, daß er nicht mehr reden wollte. Der Terraner glaubte, sich zu­sammenreimen zu können, wie Querzkont zu den Raumschiffen gekommen war. Er vermutete, daß er einige Jahre als Söldner bei einer raumfahrenden Macht gedient hat­te. Während dieser Zeit hatte er sich kosmo­nautische Kenntnisse erworben. Vielleicht hatte er auch entdeckt, daß es Raumschiffs­depots gab, die unbewacht waren. Axton wußte, daß auch das Solare Imperium solche Depots auf unbewohnten Planeten angelegt hatte. Die Absicht dabei war, das militäri­sche Abwehrmaterial zu dezentralisieren, damit es im Angriffsfall nicht mit einem Schlag vernichtet werden konnte.

Solche Depots waren grundsätzlich stark abgesichert, so daß sie nicht so ohne weite­res geplündert werden konnten. Dennoch er­gab sich grundsätzlich für einen Eingeweih­ten die Möglichkeit, aus ihnen Material zu entwenden.

Axton konnte sich nicht vorstellen, daß Querzkont auf anderem Wege zu vier Raum­schiffen gekommen war. Er hielt es für mög­lich, daß man ihm eines zu Belohnung ge­schenkt hatte, nicht aber vier.

Da Querzkont die Raumschiffe dazu be­nutzte, Vernichtungswaffen in Krisengebiete zu bringen, die er selbst zusammen mit Sim­querz erst zu solchen Krisengebieten ge­macht hatte, hatte Axton keine moralischen Bedenken, diese Raumschiffe zu vernichten.

Die Frage war nur, ob das überhaupt mög­lich war. Allein konnte Tirque es nicht schaffen, zumal er überhaupt keine Vorstel­lung davon hatte, was zu tun war, wenn man ein Raumschiff an weiteren Starts hindern wollte.

Etwa zweihundert Meter von der Oase entfernt, begann Zaquetel plötzlich, sich in den Boden zu wühlen. Tirque ergriff sein

H. G. Francis

Schwert und sprang ab. Axton folgte seinem Beispiel, da der Hagere keinen Versuch machte, den Sandwurm von seinem Vorha­ben abzubringen. Innerhalb weniger Sekun­den verschwand der riesige Körper unter dem Sand. Nur noch die buschartigen Fühler blickten heraus.

Tirque deutete wortlos auf einen ähnli­chen Busch in der Nähe. Damit war klar, weshalb Zaquetel sich weigerte, weiterzu­kriechen. Er hatte Gesellschaft gefunden.

Die beiden Männer schritten nebeneinan­der auf die Türme zu. Axton sah, daß unter den hochaufragenden Bäumen ein buntes Treiben herrschte. Die Klänge einer exoti­schen Musik wehten zu ihm herüber.

»Man feiert«, sagte er. »Es ist Frühling«, erklärte der Hagere.

»Man feiert den Beginn der wärmeren Jah­reszeit.«

Der Terraner fuhr sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. Er stöhnte.

»Da bin ich aber froh, daß ich jetzt hier bin«, entgegnete er. »Im Hochsommer ist es vermutlich zu heiß für mich.«

Tirque blickte prüfend auf ihn herab. »Du bist zu fett«, sagte er. »Das ist es.

Wenn du eine Idealfigur hättest, so wie ich, wäre alles anders.«

»Die habe ich leider nicht«, bemerkte Ax­ton. »Habe ich etwas zu beachten bei dem Fest? Du weißt, daß ich fremd hier bin und mich nicht besonders gut auskenne. Als dein Diener sollte ich die wichtigsten Regeln be­herrschen.«

»In den nächsten sieben Tagen gibt es nur einen Herrscher«, erläuterte Tirque. »Das ist der Hohepriester. Querzkont verzichtet wäh­rend dieser Zeit auf seine Macht. Alles ande­re ist unwesentlich für dich. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«

»Woran erkenne ich den Priester?« »Er trägt rote Kleider und hat sich vom

Kopf bis zu den Füßen mit roter Farbe be­malt. Du kannst ihn nicht übersehen.«

Sie hatten die ersten Bäume der Oase er­reicht. Sie hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit terranischen Palmen, doch überwucher­

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ten zahllose, winzige Bäume die Blätter, die sich über den schlanken Stämmen wölbten.

Axton sah den Priester schon wenig spä­ter. Er stand auf einem gezimmerten Podest und sang mit lauter Stimme vor einer Men­ge, die sich unter den Bäumen versammelt hatte. Tirque schien sich nicht für ihn zu in­teressieren, denn er führte Axton an einem der Häuser vorbei zu einem freien Platz, der sich zwischen den Turmhäusern dehnte.

»Das sind die Maschinen des Bösen«, rief er und zeigte auf vier Raumschiffe, die auf dem Platz standen.

Es waren Raumer, wie Axton sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie erinnerten in ihrer Form an die Schiffe der terranischen Wikin­ger der Frühzeit, hatten jedoch neben dem eigentlichen Schiffsrumpf zwei Ausleger, über denen sich die tonnenförmigen Trieb­werke erhoben. An der Spitze des hoch auf­steigenden Bugs befanden sich mehrere An­tennen und Beobachtungssysteme.

Die Schiffe widersprachen in ihrem Auf­bau allen Tendenzen, die sonst beim Bau von Raumschiffen verfolgt wurden. Axton war nicht in der Lage, sie irgendeinem der ihm bekannten Völker zuzuordnen.

Männer und Frauen, die durch ihre far­benprächtige Kleidung auffielen, hielten sich zwischen den Raumschiffen auf, die von bewaffneten Soldaten bewacht wurden.

»In diesen Tagen kommen Besucher aus allen Ländern hierher, um den Beginn der wärmeren Jahreszeit zu feiern«, erläuterte Tirque mit zornbebender Stimme. »Querzkont scheut sich nicht, ihnen die Ma­schinen des Bösen zu zeigen. Er will mit ih­nen protzen.«

Axton sah sich um. Alle vier Raumschiffe waren gut abgesichert. Die Schleusen waren geschlossen. Davor standen jeweils vier oder fünf Soldaten mit schußbereiten Waffen. Es erschien ausgeschlossen, an diesen Wachen vorbei in die Schiffe zu kommen.

»Ist das immer so?« fragte Axton. »Ich meine, werden die Maschinen des Bösen im­mer so gut bewacht?«

»Das war schon immer so«, bestätigte

Tirque. Er riß sein Schwert hoch und stieß einen gellenden Schrei aus. »Hier ist der Rä­cher der Betrogenen. Kämpft, wenn euch eu­er Leben lieb ist.«

Bevor Axton es verhindern konnte, rannte er los. Er stürzte sich mit erhobenem Schwert auf eines der Raumschiffe. Ver­blüfft beobachtete der Verwachsene, daß die Wachen zur Seite traten. Tirque schlug sein Schwert mit voller Wucht auf eines der Triebwerke, ohne allerdings Schaden anzu­richten. In der Metall-Kunststofflegierung zeigte sich noch nicht einmal ein Kratzer.

Die Zuschauer eilten aus allen Richtungen herbei, um sich den Kampf des Einsamen gegen das Raumschiff nicht entgehen zu las­sen. Axton hörte ihre spöttischen Bemerkun­gen.

Tirque tat ihm leid. Am liebsten wäre er ihm in den Arm ge­

fallen, um ihn von seinem sinnlosen Tun ab­zuhalten. Er wußte jedoch, daß er damit nichts erreicht hätte. Tirque war davon über­zeugt, daß er das Böse vernichtete, und nichts konnte ihn von dieser Überzeugung abbringen.

Axton zog sich bis in die Nähe der ande­ren Raumschiffe zurück. Er hoffte, daß die Achtsamkeit der Wachen nachlassen würde, doch er wurde enttäuscht. Die Soldaten stan­den schweigend vor den Raumern, hielten langläufige Schußwaffen in beiden Händen und ließen sich nicht ablenken.

»Verschwinde, Krüppel«, rief einer von ihnen, als er einem der Raumschiffe zu nahe kam.

Axton blieb stehen, als habe er nichts ge­hört.

Der Soldat sprang förmlich auf ihn zu und trat ihm mit dem Fuß gegen die Brust. Er schleuderte Axton weit zurück. Hilflos stürzte der Terraner in den Sand. Er war wie betäubt. Minutenlang war er nicht in der La­ge, sich zu erheben. Der Soldat schien ihm die Rippen zertrümmert zu haben.

Doch dann erholte er sich allmählich. Keiner der Zuschauer beachtete ihn, und

niemand kam auf den Gedanken, ihm zu hel­

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fen. Axton richtete sich mühsam auf. Er ging

auf den Soldaten zu, der ihn getreten hatte. Fünf Schritte von ihm entfernt blieb er ste­hen.

»Du wirst es nicht glauben«, sagte er mit krächzender Stimme, »aber du wirst bereu­en, was du getan hast. Niemand macht so et­was mit mir, ohne dafür bezahlen zu müs­sen.«

Der Soldat lachte. »Verschwinde, Krüppel«, befahl er.

»Deine Faust fürchte ich nicht.« »Man muß nicht mit der Faust kämpfen,

man kann auch seinen Verstand gebrau­chen«, erwiderte der Terraner. »Damit er­reicht man meistens mehr.«

Der Soldat trat drohend auf ihn zu. Axton wich zurück und flüchtete bis in die Nähe des Einsamen. Er stutzte, als er diesen sah. Tirque stand noch immer vor dem Raum­schiff. Er stützte sich jetzt jedoch auf den Griff seines Schwertes. Die Augenbrauen hatte er tief heruntergezogen. Mit finsterer Miene blickte er auf einen Mann, der ebenso dünn war wie er. Der Mann trug zerlumpte Kleider, die seinen stark behaarten Körper nur dürftig bedeckten.

»Querzkont«, rief Tirque. »Du wagst es also doch, in meine Nähe zu kommen?«

Axton glaubte, sich verhört zu haben. Der Zerlumpte konnte unmöglich der mächtigste Mann des ganzen Planeten sein. Er konnte nicht der Eigentümer der Raumschiffe sein, auf denen sich seine Macht aufbaute.

Der Zerlumpte sank vor Tirque auf die Knie.

»Verzeih mir«, rief er. Seine Stimme war überraschend dunkel und kraftvoll. »Nach deinem letzten Besuch bei mir bin ich in mich gegangen.«

Die Zuschauer drängten sich um die bei­den Männer. Alle schienen nur auf dieses Ereignis gewartet zu haben. Der Terraner hörte ihre Bemerkungen, und er hörte sie la­chen.

»Du hast mir bewußt gemacht, wieviel Böses ich getan habe«, fuhr der Zerlumpte

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fort. »Seitdem habe ich keine Minute mehr schlafen können. Die Raumschiffe sind nicht mehr gestartet. Ich finde keine Ruhe mehr, bis du mir verziehen hast.«

Die Zuschauer bogen sich vor Lachen, und Axton begriff endlich, daß Querzkont den Einsamen nur verhöhnte. Er machte sich über ihn lustig, um die Besucher zu unter­halten. Tirque aber merkte nicht, daß Querz­kont ihn nicht ernst nahm. Würdevoll hob er das Schwert, blickte einige Sekunden lang in die Sonne, senkte dann das Schwert auf den Kopf des Zerlumpten herab und verkündete gerührt, daß er ihm verziehen habe.

Querzkont erhob sich, warf die Arme in die Höhe und jubelte. Die Zuschauer spen­deten ihm schreiend Beifall. Und Tirque lä­chelte glücklich. Er wähnte sich an seinem Ziel.

Axton schämte sich für ihn. Er zog sich zurück bis an den Rand der Oase. Er setzte sich in den Sand und dachte über das nach, was er erlebt hatte.

Tirque war ein gütiger Mensch. Er war zutiefst davon überzeugt, daß sein Friedens­zug sinnvoll war. Dabei merkte er nicht, daß die Menschen des ganzen Planeten über ihn lachten.

Axton-Kennon stieß einen Fluch aus. Er mußte irgend etwas tun. Querzkont mußte bestraft werden für das, was er tat.

Er versuchte, einen Plan zu entwickeln. Bevor er sich jedoch ausreichend konzen­triert hatte, setzte plötzlich ein hyperenerge­tischer Sog ein. Axton-Kennon stemmte sich ihm entgegen, richtete jedoch nichts gegen ihn aus.

Er entmaterialisierte. Der Verflüchti­gungseffekt war wieder einmal stärker als er.

2.

Als Axton wieder körperlich wurde, erin­nerte er sich daran, deutliche Zellaktivator-Im­pulse empfangen zu haben. Er glaubte sogar, vorübergehend das Gesicht Atlans gesehen zu haben.

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Doch er konnte nicht darüber nachdenken. Tirque beugte sich über ihn und blickte

ihn prüfend an. »Ich habe auf dich gewartet«, sagte er.

»Ich wußte, daß du kommen würdest.« Der Terraner brauchte einige Sekunden,

bis er wieder wußte, wo er war. »Wieviel Zeit ist vergangen?« fragte er. »Ein paar Stunden nur. Es ist dunkel ge­

worden«, antwortete der Einsame. Er setzte sich neben dem Verwachsenen in den Sand und seufzte. »Ich glaube, sie machen sich über mich lustig.«

Axton fuhr verblüfft herum. Sollte der Einsame plötzlich wach geworden sein?

»Was ist geschehen?« fragte er. »Ich habe versucht, die Raumschiffe zu

zerstören«, erklärte Tirque mit überraschend klarer Stimme. »Es ist mir nicht gelungen. Nicht einmal Schrammen sind an den Schif­fen. Nur mein Schwert hat ein paar Scharten mehr.«

»Was willst du damit sagen?« fragte der Verwachsene. »Zweifelst du an dir selbst?«

»Ich habe nachgedacht«, gestand er. »Und mir ist etwas aufgefallen. Ich hätte die Waf­fenfabrik von Simquerz nicht ohne deine Hilfe zerstören können. Nein. Im Grunde ha­be ich sie gar nicht lahmgelegt, sondern du warst es. Ich habe mir nur eingebildet, daß ich es war.«

»Ist das so wichtig?« fragte Axton. »Sehr sogar«, erwiderte Tirque. Axton

hatte den Eindruck, daß der rätselhafte Mann neben ihm eine Phase völliger geisti­ger Klarheit durchlebte. Und er begann sich zu fragen, ob Tirque wirklich frei war, oder ob er von einer fremden Kraft beeinflußt wurde:

Deutete nicht alles darauf hin, daß es so war?

Mehr als einmal hatte Axton den Ein­druck gehabt, daß der Hagere für irgend et­was bestraft wurde, was er getan hatte.

»Das mußt du mir erklären«, sagte er. »Ich weiß, daß die Raumschiffe von

Querzkont zerstört werden müssen«, eröff­nete ihm Tirque. »Ich weiß aber auch, daß

ich allein es niemals schaffen kann. Deshalb frage ich dich. Gibt es eine Möglichkeit, sie zu zerstören?«

»Es gibt eine«, antwortete der Terraner. »Dazu brauche ich deine Hilfe.«

»Die hast du.« »Gut«, entgegnete der Verwachsene und

sprang erregt auf. Die kriminalistische Lei­denschaft übermannte ihn. »Wir wollen kei­ne Zeit verlieren. Glaubst du, daß Querzkont dich einladen wird, wenn du ihn darum bit­test?«

»Das wird er ganz sicher tun.« »Dann los«, rief Axton und packte Tirque

am Arm. »Zu ihm. Und bestehe darauf, daß ich dabei bin. Weißt du, wo er ist?«

»In seiner Wohnung. Er gibt ein Fest für die Besucher, die von überallher gekommen sind. Auch der Hohepriester ist dort.«

»Dann darfst du nicht fehlen.« Die beiden ungleichen Männer kehrten in

die Oase zurück. Überall brannten große Feuer, an denen Fleischstücke gegrillt wur­den. Die Besucher der Oase tranken Wein aus Holzfässern. Tirque kannte sich in der Oase aus. Er führte Axton zu einem der Hochhäuser, das von Soldaten bewacht wur­de. Er sprach mit einem der Offiziere und teilte ihm seinen Wunsch mit. Der Mann grinste herablassend, ging ins Haus und kehrte nach einigen Minuten mit der Nach­richt zurück, daß sie an dem Fest teilnehmen sollten.

»Paß aber auf, daß Sitte und Moral ge­wahrt werden«, brüllte er dem Einsamen un­ter dem Gelächter der anderen zu.

Tirque führte Axton wortlos ins Haus. Ei­ner der Soldaten begleitete sie. Er brachte sie zu einem Fahrstuhl. Mit diesem ging es bis in das oberste Geschoß des Hauses hin­auf. Zwei Offiziere empfingen Axton und Tirque und eskortierten sie bis in den Fest­saal.

Als die beiden neuen Gäste eintraten, herrschte auffallende Stille unter den Gä­sten. Querzkont stand am Ende einer langen Tafel. Er trug jetzt prachtvolle Kleider, die mit Edelsteinen verziert waren.

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»Tirque, der Rächer der Entrechteten«, brüllte er.

Die Gäste brachen in ein wildes Gelächter aus. Zahllose Spottrufe flogen durch den Raum. Darauf hatte Axton seinen hageren Begleiter vorbereitet. Er selbst hatte oft ge­nug ähnliche Szenen im altarkonidischen Imperium erlebt, wo man sich über seine körperlichen Unzulänglichkeiten lustig ge­macht hatte.

Tirque ging hochaufgerichtet zu dem Platz, den Querzkont ihm an der Tafel an­wies. Der Beherrscher der Oase machte noch eine Reihe von weiteren Bemerkungen, mit denen er den Hageren verhöhnte, doch bald wandte sich das allgemeine Interesse wieder anderen zu. Tirque und Axton aßen und tranken, was man ihnen anbot.

»Ich glaube, ich habe zuviel gegessen«, sagte der Terraner, als etwa eine Stunde ver­strichen war. Er erhob sich und ging tau­melnd zu einem der Diener, der ihn bedient hatte. »Kann ich mich irgendwo für ein paar Minuten erholen? Vielleicht haben Sie einen Raum, in dem ich mich ein wenig hinlegen kann?«

Er hatte beobachtet, daß einige der ande­ren Gäste sich ebenfalls kurzzeitig zurück­gezogen hatten und danach erholt wiederge­kommen waren. Der Diener schöpfte keinen Verdacht. Er führte Axton aus dem Saal in einen abgelegenen Raum.

»Hier ist es ruhig«, sagte er. »Wenn Sie wieder an die Tafel wollen, lassen Sie es mich wissen. Sie brauchen nur diesen Knopf hier zu drücken.«

»Danke.« Axton legte sich in einen Ses­sel. Durch das offene Fenster wehte ein war­mer Wind herein. Darauf baute sich sein Plan auf. Er hatte schon vorher gesehen, daß die meisten Fenster des Hauses offen waren.

Er eilte zum Fenster und blickte hinaus. Unter dem Fenster lief ein schmaler Sims entlang. Über ihn konnte er alle anderen Räume der Wohnung erreichen. Axton klet­terte hinaus. Der Sims war gerade breit ge­nug für ihn. Vorsichtig schob sich der Ver­wachsene darauf entlang bis zum nächsten

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Zimmer. Er sah, daß einer der Gäste darin lag. Er schlich sich weiter von Fenster zu Fenster, bis er endlich vor einem Raum stand, der unschwer als Arbeitszimmer zu erkennen war. Er war äußerst großzügig an­gelegt, so daß Axton von vornherein aus­schloß, daß er für einen der Mitarbeiter von Querzkont vorgesehen war.

Das Fenster war auch hier offen. Axton kletterte hindurch. Er merkte, daß

seine Knie vor Schwäche zitterten, und er mußte sich für einige Minuten auf den Bo­den setzen, um sich zu erholen.

Dabei sah er sich um. Der Raum enthielt verschiedene Kommu­

nikationsgeräte und einen Computer. An den Wänden hingen Sternenkarten und Zeich­nungen der Landschaften von Yamolquoht.

Als Axton sich wieder kräftig genug fühl­te, richtete er sich auf und begann, das Zim­mer zu untersuchen. Er hatte weitaus schnel­ler Erfolg, als er erwartet hatte. Schon nach wenigen Minuten, als er eine Schublade ge­öffnet hatte, stieß er auf eine Landkarte, in die ein Lageplan eingezeichnet war. Er verg­lich sie mit anderen Karten, skizzierte auf ei­nem Zettel, worauf es ihm ankam und brach­te danach alles wieder in Ordnung.

Er kletterte durch das Fenster auf den Sims hinauf. Wind war aufgekommen und erste Regentropfen fielen. Axton erschrak. Er wußte, daß er sich beeilen mußte. Doch jede unachtsame Bewegung konnte dazu führen, daß er das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte.

Als er etwa die Hälfte des Weges zurück­gelegt hatte, hörte er, daß hinter ihm die Fenster geschlossen wurden. Jemand ging von Zimmer zu Zimmer und schob die Fen­ster zu, so daß es nicht hereinregnen konnte.

Axton glitt schneller voran. Er hatte keine andere Wahl. Das immer wiederkehrende Klappern der Fenster und das Einschnappen der Schlösser zeigte ihm an, daß ihm die Diener immer näher kamen. Er mußte vor ihnen sein Zimmer erreichen, sonst würden sie ihn entdecken.

Er schaffte es gerade noch, sein Zimmer

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zu erreichen und sich dort hinzulegen, bevor die Diener eintraten und auch hier das Fen­ster schlossen. Er erhob sich.

»Oh«, sagte er und fuhr sich mit den Hän­den über das Gesicht. »Ich bin wohl etwas eingeschlafen.«

»Ich hoffe, Ihnen ist jetzt etwas besser«, entgegnete einer der Diener höflich. Sein Ton verriet Axton, daß er nichts bemerkt hatte.

»Danke. Ich möchte jetzt zurück.« Der Diener führte ihn an die Tafel zurück.

Axton blinzelte Tirque zu, um ihm zu ver­stehen zu geben, daß er erfolgreich gewesen war.

*

»Was tun wir jetzt?« fragte Tirque, als sie das Haus im Morgengrauen verließen.

»Wir verschwinden von hier«, antwortete Axton. Sie eilten zu Zaquetel, dem Sand­wurm, stiegen auf seinen Rücken und ließen sich von ihm in die Wüste hinaustragen.

Axton zeigte dem Hageren die Skizze, die er angefertigt hatte, so daß er Zaquetel in die richtige Richtung lenken konnte.

»Was hast du vor?« fragte er verwirrt. »Wie willst du die Raumschiffe zerstören, wenn du nicht in der Oase bist?«

»Wir können keinen direkten Angriff auf die Raumschiffe führen«, erklärte Axton, »sondern nur einen indirekten. Paß auf. Sim­querz hat die Raumschiffe irgendwo gestoh­len. Das halte ich für absolut sicher. Er hat ein Depot geräumt, aber er war klug genug, nicht nur die Raumschiffe zu nehmen, son­dern auch die dazu notwendigen Wartungs­maschinen und Ersatzteile.«

Lebo Axton hatte große Mühe, Tirque die Zusammenhänge auseinanderzusetzen, da er die Sprache nur unzureichend beherrschte und manche Dinge umständlich umschrei­ben mußte.

»Zaquetel trägt uns jetzt dorthin, wo die Maschinen stehen. Querzkont muß die Raumschiffe in gewissen Abständen immer wieder von den Maschinen bearbeiten las­

sen. Wenn er das nicht mehr macht, kann er die Raumer früher oder später nicht mehr fliegen, weil die Systeme nicht mehr richtig aufeinander abgestimmt sind oder ganz aus­fallen.«

»Ein kluger Plan«, lobte Tirque. »Die Ma­schinen des Bösen stehen ihm also nur noch für eine kurze Zeit zur Verfügung.«

Axton bemerkte, daß ihnen ein anderer Sandwurm folgte. Er erinnerte sich daran, daß Zaquetel in der Oase mit einem anderen Wurm Freundschaft geschlossen hatte.

»Vorausgesetzt, daß es uns gelingt, den Plan durchzuführen«, antwortete er.

Er war optimistisch. Zaquetel trug sie un­ermüdlich durch die Wüste. Gegen Abend, als sich die Sonne dem Horizont zuneigte, sahen sie die Werft Querzkonts. Sie wurde von schwarzen Mauern umgeben. Axton schätzte, daß sie etwa zwanzig Meter hoch waren. Er veranlaßte Zaquetel, sie einmal um die Werft herumzutragen. Dabei stellte er fest, daß es keinen Eingang gab.

»Wir kommen nicht hinein«, rief Tirque bestürzt. »Welch eine Torheit! Wie kann man so etwas machen.«

»Du irrst dich«, versetzte Axton. »Querzkonts Raumschiffe fliegen hinein. Er braucht keine Tore.«

»Und was machen wir jetzt?« »Ich weiß es nicht.« Axton ließ sich von

dem Sandwurm bis an die Mauer herantra­gen. Sie war so glatt, daß er nicht daran hochklettern konnte. Er wollte Tirque fra­gen, ob Zaquetel sich nicht daran aufrichten und sie auf diese Weise hochheben konnte, doch er verzichtete darauf, weil auch der Sandwurm nicht groß genug war. Sie konn­ten mit seiner Hilfe die Mauerkrone nicht er­reichen.

»Dann müssen wir aufgeben«, sagte Tir­que niedergeschlagen. »Wir müssen nach Querzkont zurückkehren und die Raum­schiffe direkt angreifen.«

Er richtete sich stolz auf und hob sein Schwert gegen die untergehende Sonne. »Und wenn es mich das Leben kosten soll­te«, rief er pathetisch, »ich werde es tun. Ich

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werde das Böse vernichten.« Der Terraner blickte ihn mitleidig an. Da

war wieder der alte, wirklichkeitsferne Ton, der anzeigte, daß Tirque sich in eine Schein­welt rettete.

»Na schön«, sagte er, »dann kehren wir eben zur Oase zurück und gehen zu Querz­kont, um mit ihm zu palavern, während Zaquetel sich in den Sand eingräbt und mit einer schönen Sandwurmdame plaudert.«

Axton stutzte. »Moment mal«, rief er dann. »Wie tief

kann Zaquetel sich eigentlich in den Sand graben?«

»So tief, wie er will«, antwortete Tirque. »Dann könnte er sich auch unter die Mau­

er hindurchgraben?« »Natürlich könnte er das«, erwiderte der

Hagere gleichgültig. »Aber was hätten wir davon?«

»Kann Zaquetel uns nicht mitnehmen?« Tirque schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen«, sagte er. Seine Augen

weiteten sich vor Überraschung. »Jetzt be­greife ich endlich. Ja, gewiß, Zaquetel könn­te einen von uns mitnehmen. In seinem Maul.«

Axton fuhr unwillkürlich zusammen. Er blickte nach vorn, konnte jedoch wegen der buschartigen Fühler nichts vom Kopf Zaquetels sehen. Die Vorstellung, zwischen die scharfen Zähne des Sandwurms zu krie­chen, erschreckte ihn.

»Hast du so etwas je getan?« fragte er. »Nein – noch nie. Aber einmal ist ja im­

mer das erste Mal.« Er glitt vom Rücken des Sandwurms herab und sprach beschwörend auf das Tier ein. Axton ging zu ihm. Er blickte erschaudernd auf die hornigen Lip­pen und die Zähne des Sandwurms. Zaquetel blickte ihn an, und Axton glaubte, ein spötti­sches Funkeln in seinen Augen zu bemer­ken.

»Zaquetel wird es tun«, erklärte Tirque. »Du zuerst. Er nimmt dich ins Maul und wühlt sich mit dir unter der Mauer hindurch auf die andere Seite. Es wird etwa eine Mi­nute dauern. Kannst du so lange die Luft an-

H. G. Francis

halten?« »Kein Problem«, antwortete Axton. Er

war davon überzeugt, daß das Atmen wirk­lich keine Schwierigkeit darstellte. »Wichtig ist nur, daß Zaquetel nicht plötzlich Appetit bekommt.«

Tirque lachte. »Keine Angst«, sagte er. »Zaquetel wird

dir nichts tun. Die meisten Sandwürmer sind bissig. Ich würde dir nicht raten, in das Maul eines anderen zu steigen. Bei Zaquetel aber kannst du es ruhig wagen.«

Der Sandwurm öffnete das Maul. »Steig ein«, forderte Tirque. »Wir wollen keine Zeit verlieren.«

»Ich glaube, daß ich es allein schaffe«, sagte der Verwachsene. »Du brauchst mir also nicht zu folgen. Es genügt, wenn du hier bleibst und dafür sorgst, daß Zaquetel mich später wieder abholt.«

»Kann ich mich auf dich verlassen?« »Du kannst«, erwiderte der Terraner. Tirque stieß sein Schwert in den Boden

und stützte seine Hände auf den Griff. »Dann will ich hier Wache halten«, ver­

kündete er. Lebo Axton stieg zögernd über die horni­

gen Lippen des Sandwurms hinweg und leg­te sich auf die Zunge des Tieres. Er atmete einige Male tief durch. Plötzlich schloß Zaquetel das Maul. Axton spürte den Druck der Zunge und des Gaumens. Dann warf der Sandwurm den Kopf ruckend hin und her. Axton glaubte, verschlungen zu werden. Er klammerte sich an einen Zahn, wurde nach vorn geworfen und fühlte dann, daß Zaque­tel den Kopf hob. Unmittelbar darauf öffnete sich das Maul, und kühle Luft strich herein.

Axton kletterte eilig über die Zahnreihe und die Unterlippe hinweg und ließ sich in den Sand sinken. Er atmete heftig. Zaquetel hatte ihn tatsächlich in die Werft gebracht. Nur sein Kopf ragte aus dem Sand hervor. Wiederum glaubte Axton, ein spöttisches Funkeln in den großen Augen zu sehen.

»Warte hier auf mich«, sagte er. »Ich komme bald zurück.«

Verbrannte Sandflächen zwischen drei

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flachen Gebäuden und einigen Kränen zeig­ten an, daß Axton sein Ziel gefunden hatte. Er befand sich in der Werft Querzkonts. In den Häusern brannte Licht. Außerhalb der Gebäude hielt sich niemand auf, so daß der Verwachsene sich relativ gut bewegen konn­te, ohne eine Entdeckung zu befürchten.

Einige Männer kamen aus einem der Häu­ser und gingen zu einem anderen hinüber. Aus der Art der Anlagen schloß Axton, wo die wichtigsten waren. Er vermutete sie in dem Haus, das die Männer verlassen hatten. Er eilte zu ihm hinüber und blickte durch die Fenster hinein. Im Innern stand ein blitzen-der Roboter. Er war von humanoider Ge­stalt, hatte aber vier mit Werkzeugen verse­hene Arme. Durch mehrere Kabel war er mit einem Steuergerät an der Tür der Halle ver­bunden. In zahlreichen Containern lagerten allerlei Ersatzteile.

Axton war das Wartungssystem augen­blicklich klar. Die Einsatzbereitschaft der Raumschiffe Querzkonts hing einzig und al­lein von dem Roboter ab. Wenn er ausfiel, konnten die Schiffe nicht mehr gewartet und repariert werden. Er vermutete, daß der Ro­boter – wie in solchen Fällen üblich – eine mehrfache Funktionsabsicherung besaß. Wenn bei ihm ein System ausfiel, wurde es automatisch durch ein anderes ersetzt.

Axton blickte den Roboter an. Er fürchte­te sich nicht vor ihm, da er davon überzeugt war, daß die Maschine gar nicht kämpfen konnte. Dennoch erfüllte es ihn mit Unbeha­gen, sich mit einem Roboter auseinanderset­zen zu müssen. Man konnte niemals vorher wissen, wie sie programmiert waren. Die ge­samte Macht Querzkonts basierte im Grunde genommen, auf der Funktionstüchtigkeit dieses Roboters. Daher mußte Axton davon ausgehen, daß Sicherungen gegen Sabotage­akte eingebaut worden waren.

Er eilte zur Tür und öffnete sie. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß niemand ihn gesehen hatte, betrat er die Halle und schloß die Tür hinter sich. Ihm schien, daß der Roboter ihn beobachtete. Die Linsen funkelten kalt im Licht der Deckenlampen.

Axton trat einige Schritte zur Seite. Er­leichtert stellte er fest, daß sich der runde Kopf des Roboters nicht drehte. Vorsichtig näherte er sich dem Schaltkasten des Robo­ters, der durch Kabel mit diesem verbunden war. Nachdem er ihn untersucht hatte, glaubte er nicht mehr daran, daß Fallen an­gelegt worden waren. Er sagte sich, daß Querzkont diesen Roboter irgendwann ge­stohlen und dabei auch keinen Alarm ausge­löst hatte.

Er löste die Schrauben der Deckplatte des Kastens und legte ein Gewirr von Kabeln frei. Auf den ersten Blick erkannte er, daß der Schaltkasten so gut wie bedeutungslos war. Er war nicht weiter als ein Ablenkungs­manöver für einen technisch Unkundigen. Auf diesen hätte er fraglos den Eindruck ei­ner besonderen Wichtigkeit gemacht, nicht aber auf einen Spezialisten wie Axton-Kennon, der in Quinto-Center, dem Haupt­quartier der United Stars Organisation, eine qualifizierte Ausbildung genossen hatte.

Er wandte sich dem Roboter zu und über­zeugte sich davon, daß dieser ausgeschaltet war. Mühelos fand er heraus, wie die Ma­schine aktiviert wurde. Dazu war lediglich ein kleiner Hebel in seinem Nacken umzule­gen.

Auf dem Rücken des Roboters befand sich eine Platte, die mit Magnethalterungen versehen war. Kleine Veränderungen in der Metallstruktur der Platte zeigten Axton an, daß man sie vor längerer Zeit einmal gewalt­sam entfernt hatte. Er vermutete, daß Querz­kont es getan hatte.

Axton wollte kein Schweißgerät einset­zen. Daher untersuchte er den Kopf und fand, wie erhofft, daß man ihn ablösen konnte, wenn man eine geschickt versteckte Mechanik betätigte.

Er hob den Kopf ab und blickte hinein. Triumphierend lächelte er, als er sah, daß sich darin kleine Platten mit aufgedruckten Schaltungen befanden. Sie bildeten das ei­gentliche Herz des Roboters. Er nahm sie heraus. Es waren sieben Stück.

Plötzlich hörte er Schritte, die sich der

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Halle näherten. Hastig stülpte er den Kopf über das Halsstück des Roboters und warf sich hinter einem Container auf den Boden.

Die Tür öffnete sich. Einer der Mechaniker trat ein. Er pfiff lei­

se vor sich hin, ging dicht an Axton vorbei, ohne ihn zu bemerken, und holte aus einem Schrank an der Wand eine Flasche hervor. Dann drehte er sich um, kehrte zur Tür zu­rück, löschte das Licht und verschloß die Tür. Axton hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloß drehte.

Durch die Fenster kam nur noch wenig Licht herein. Es genügte Axton jedoch. Er befestigte den Robotkopf nun wieder und eilte dann zur Tür. Sie hatte ein einfaches Schloß. Nachdem er einige Minuten lang ge­sucht hatte, fand er ein Gerät, das er als Er­satzschlüssel benutzen konnte. Damit öffne­te er die Tür.

Als sie aufsprang, heulten die Sirenen auf. Überrascht blieb Axton in der Tür stehen.

Damit hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gerechnet. In den anderen Gebäuden wurden Stimmen laut.

Axton rannte quer über den Platz auf die Stelle zu, an der er Zaquetel verlassen hatte. In der Dunkelheit konnte er den Sandwurm nicht sehen. Aus dem Mittelgebäude kamen mehrere Männer. Axton hörte sie schreien.

»Die Tür ist offen«, brüllte einer von ih­nen. »Jemand hat sie aufgeschlossen.«

»Da drüben ist etwas«, schrie ein anderer. »Da läuft jemand.«

Axton konnte die Männer gegen den hel­len Hintergrund der Fenster gut erkennen. Er sah, daß sie sich ihm näherten. Einige von ihnen trugen lange Stangen in den Händen.

»Er kann uns nicht entkommen«, rief ei­ner der Männer. »Nur ruhig. Den erwischen wir.«

Axton blieb stehen. Der Lauf hatte ihn an­gestrengt. Er hatte stechende Schmerzen in der Lunge.

Zaquetel war nicht zu sehen. Auch ragten keine Büsche aus dem Boden, die ihm die Stelle anzeigten, wo der Sandwurm sich ver­barg.

H. G. Francis

»Zaquetel«, rief er. Wenige Meter vor ihm hob sich der Bo­

den. Sand rieselte zur Seite. Die buscharti­gen Fühler des Sandwurms tauchten auf. Axton sah die großen Augen des Tieres. Er rannte darauf zu.

Ein Schuß fiel, und eine Kugel flog sir­rend an ihm vorbei.

Der Sandwurm öffnete das Maul. Axton warf sich mit einem Satz zwischen die mes­serscharfen Zähne.

In der gleichen Sekunde bemerkte er den Kopf eines anderen Sandwurms, der nur et­wa zehn Meter von ihm entfernt war. Aus dem offenen Maul ragte der Kopf Tirques hervor.

Und im gleichen Augenblick begriff Ax­ton, daß er in den Rachen des falschen Sand­wurms gesprungen war. In panischer Angst versuchte er, wieder daraus hervorzukom­men. Es gelang ihm nicht. Die Zähne schlos­sen sich. Er spürte den Druck der Zunge, die ihn herumwälzte.

Voller Entsetzen warf er sich gegen die Zähne. Er fühlte plötzlich den Sog der hype­renergetischen Dimensionskraftfelder. Als der Sandwurm ihn mit der Zunge tiefer in den Rachen drückte, um ihn zu verschlin­gen, entmaterialisierte er.

3.

Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als er wieder materialisierte. Plötzlich fand er sich inmitten einer Eiswüste wieder. Eisiger Wind peitschte ihm ins Gesicht.

Axton legte die Arme um den Oberkör­per. Er fror. Die Kälte durchdrang die leich­te Kleidung, die er am Hof Orbanaschols III. getragen hatte.

Der Boden unter seinen Füßen schwankte. Er blickte nach unten und stellte fest, daß er mit den Füßen im Wasser stand. Er befand sich auf einer Eisscholle.

Bevor der Terraner Zeit hatte, sich weiter umzusehen, erfaßte ihn wieder ein hype­renergetischer Sog und riß ihn mit sich. Er entmaterialisierte. Haltlos trieb er im Strom

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der übergeordneten Energien. Immer wieder hoffte er, die Aktivatorim­

pulse aufzufangen, doch es schien, als habe er sich im rätselhaften Gewirr der Dimensi­onskorridore verirrt. Nirgendwo zeigten sich Impulse, die ihm einen Hinweis gegeben hätten. Er versuchte, sich darauf zu konzen­trieren, als er sich überraschend mitten in ei­ner Menschenmenge wiederfand, die ein Sportstadion füllte. Auf einem blutigroten Rasen kämpften bizarre Gestalten miteinan­der.

Bevor Axton Zeit hatte, die Situation zu analysieren, riß es ihn wieder mit sich fort.

Als er später abermals materialisierte, flatterten Segel über seinem Kopf. Ein ange­nehmer Wind blies ihm ins Gesicht. Holz­planken schwankten unter seinen Füßen. Er blickte zum Himmel hinauf und sah zwei rötliche Sonnen.

Hinter ihm ertönten die Stimmen von fremden Geschöpfen, die ihn entdeckt hat­ten. Er fuhr herum und sah, daß sie sich mit Messern bewaffnet hatten. Sie sahen nur entfernt humanoid aus.

Es kam jedoch nicht zum Kampf, weil Axton abermals entmaterialisierte.

Jetzt verlor er die Hoffnung, doch noch zu Atlan zu kommen. Er wurde sich klar dar­über, daß er nicht die Kraft hatte, sich dem ständigen Wechsel zwischen Materialisation und Entmaterialisation zu widersetzen. Er war zum Spielball übergeordneter Energien geworden.

Axton-Kennon sah keinen Sinn mehr dar­in, sich diesen Kräften entgegenzustellen. Er gab auf.

Dabei war er sich durchaus darüber klar, daß sich sein Bewußtsein mehr und mehr auflösen und schließlich ganz verflüchtigen würde. Er würde dann seine Persönlichkeit verlieren und in das Energiegefüge des Uni­versums eingehen. Das würde seinen end­gültigen Tod bedeuten.

Axton bedauerte nicht, daß er diese Ent­wicklung nahm. Er war zutiefst deprimiert, weil es ihm nicht gelungen war, seine Wün­sche zu verwirklichen. Was bedeutete schon

ein Leben wie jenes, das er auf Yamolquoht geführt hatte? Ihm war es gelungen ein un­menschliches Spiel von Simquerz und Querzkont zu beenden. Das bedeutete wahr­scheinlich Frieden für eine andere Welt, die nun keinen Waffennachschub mehr hatte. Doch bedeuteten ihm die Yamolquohter im Grunde genommen kaum etwas, und das an­dere Volk war ihm völlig unbekannt.

Er wurde sich klar darüber, daß er diesem Volk nicht geholfen hatte, weil er Mitleid mit ihm gehabt oder weil ihn Simquerz und Querzkont empört hatten. Es war Tirque ge­wesen, der ihn beeindruckt hatte. Für ihn hatte er sich spontan entschieden, und nur ihm hatte er geholfen. Er wußte aber, daß er nicht ewig mit ihm durch die Wüsten hätte ziehen können. Das wäre keine Aufgabe für ihn gewesen, für die zu leben sich lohnte.

Das war der Grund dafür, daß Axton-Kennon aufgab. Er hatte mehr als fünfhun­dert Jahre gelebt, und in dieser Phase seines Lebens glaubte er nicht daran, daß es noch irgend etwas geben könnte, worauf er neu­gierig war.

Mitten in diese Phase tiefster Depression hinein kam eine Reihe von hyperenergeti­schen Impulsen.

Axtons Stimmung änderte sich schlagar­tig. Er geriet in eine freudige Erregung, in der er versuchte, die Impulse zu halten und ihnen bis zu ihrer Ursprungsquelle zu fol­gen. Mehr denn je glaubte er daran, daß sie von Atlan kamen.

Doch dann verschwanden die Impulse plötzlich wieder, so als hätte Atlan einen Ortswechsel vorgenommen.

Axton-Kennon war grenzenlos verwirrt. Er fragte sich, wie Atlan innerhalb der Di­mensionskorridore einen Ortswechsel vor­nehmen konnte. Dabei mußte er davon aus­gehen, daß der Arkonide nicht zu der glei­chen Existenzform gekommen war wie er selbst.

Axton-Kennon irrte sich jedoch nicht. Atlan nahm tatsächlich einen Ortswechsel

vor. Der Verwachsene erfaßte, wie Pthor die Erde verließ und davonraste. Er war hell­

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wach und wartete auf neue Hinweise. Plötz­lich war er wieder fest davon überzeugt, daß sie kommen würden. Er konnte nicht erken­nen, daß da irgendwo Pthor in den Dimensi­onskorridoren war. Daher konnte er sich auch nicht erklären, was geschehen war. Ge­rade das aber machte ihn neugierig und ließ sein Interesse weiter ansteigen.

Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als er plötzlich wieder Impulse auffing. Sie waren stationär, so daß er sich darauf einpeilen konnte. Und schließlich gelang es ihm auch, sich ihnen zu nähern.

Doch dann verstummte die Impulsquelle erneut.

Axton-Kennon rätselte an der ihm ver­worren erscheinenden Situation herum. Er vermutete, daß Atlan – falls er es überhaupt war – abermals einen Ortswechsel vorge­nommen hatte.

Und er irrte sich nicht. Tatsächlich hatte Atlan Pthor verlassen

und danach auch den Planeten Loors, auf dem Pthor gelandet war.

Kennon war verzweifelt, und er wollte wenigstens zu dem Platz gehen, den er als letzten angepeilt hatte. Er hoffte, von dort aus die Spur Atlans aufnehmen zu können.

Während er darauf zutrieb, konzentrierte er sich. Er wollte sich auf keinen Fall von ei­ner Materialisation überraschen lassen und dann auf irgendeiner Welt landen, die in kei­ner Beziehung zu Atlan stand. Er wollte den Arkoniden finden. Dieses Mal sollte alles so verlaufen, wie er es sich vorstellte.

Axton-Kennon hatte plötzlich das Gefühl, in eine Strömung geraten zu sein. Eine un­sichtbare Kraft ergriff ihn und riß ihn mit. Er erkannte, daß der Materialisationsprozeß einsetzte.

Vor seinen Augen flimmerte es. Er ver­nahm das Rauschen des Windes. Er schloß die Augen. Ihm war übel. Irgend etwas stimmte nicht. Er fühlte es, konnte aber nicht sagen, was dieses Mal anders war als sonst.

Er schlug die Augen wieder auf. Über ihm wölbte sich ein grauer Himmel. Er befand

H. G. Francis

sich in einem seltsamen Gefährt, das sich mit hoher Geschwindigkeit bewegte. Er konnte die Geschwindigkeit annähernd ab­schätzen, als einige Vögel über ihm hinweg­zogen.

In seiner Nähe saß ein geschupptes Rie­senwesen, das unglaublich massig wirkte. Aus seinem Schädel wuchs ein Büschel füh­lerartiger Gebilde hervor. Als es sich um­drehte und ihn ansah, glaubte Axton-Ken­non, daß das Wesen ihn anlächelte. Der Ge­schuppte drehte sich jedoch schnell wieder um und wandte ihm den Rücken zu, so daß Axton den Gedanken an eine Sympathie­kundgebung zur Seite schob. Er glaubte, daß dieses Wesen von Natur aus so aussah, daß der Eindruck des Lächelns entstand.

Auch das andere Wesen blickte kurz zu ihm herüber. Es hatte einen stechenden Blick. Das war zunächst das einzige, was Axton an ihm auffiel, da dieser Fremde durch nichts vom Bild des Menschen ab­wich.

Axton schloß die Augen erneut. Sein Be­finden besserte sich allmählich, wenngleich er sich noch nicht so gut fühlte, daß er auf­stehen konnte. Er beschloß, sich genügend Zeit zu nehmen, bis er durch nichts mehr be­einträchtigt wurde.

Er legte eine Hand auf die Brust. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn, als er

merkte, daß er seine Blusenjacke nicht mehr trug. Unwillkürlich griff er sich auch mit der anderen Hand an die Brust. Dann glitten sei­ne Hände an ihm herunter.

Er war nackt! Axton schlug die Augen wieder auf, hob

den Kopf und blickte an sich herunter. Er sah nicht seinen verwachsenen Körper

mit der aufgewölbten Trommelbrust, den dünnen Beinen und den unproportioniert großen Füßen. Er sah den schlanken Körper eines noch jungen Mannes. Es war ein wohl­geformter, menschlicher Körper ohne jeden Fehler und ohne Anzeichen von überstande­nen Verletzungen. Axton schätzte, daß er et­wa 1,80 m groß war. Seine Hände strichen über das Haar. Es war lang, so daß er es se­

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hen konnte. Es hatte eine dunkelbraune Tö­nung.

Erst jetzt traf Axton-Kennon der Schock. Er begriff, was geschehen war. Er war

nicht in seinem eigenen Körper materiali­siert, sondern in dem eines anderen Men­schen, der in diesem Fahrzeug zusammen mit den beiden Wesen war.

Was war mit seinem eigenen Körper ge­schehen? War dies die Welt, auf der Atlan oder ein anderer Zellaktivatorträger sich auf­gehalten hatte?

Axton versuchte, dem Gehirn des Frem­den Informationen zu entlocken, aber er stieß ins Leere.

Axton wollte nicht akzeptieren, daß alle Anstrengungen vergeblich sein sollten. Er sagte sich, daß da ein lebendes Gehirn war, das sein eigenes Bewußtsein in sich aufge­nommen hatte, das aber das eigene nicht zu­gleich verloren haben konnte.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, als ihm ein neuer, schrecklicher Gedanke kam. Wo war sein echter Körper geblieben, jener verwachsene, schwache Körper, den er so liebte? Er glaubte nicht daran, daß er irgendwo in den hyperenerge­tischen Dimensionskorridoren geblieben war. Er mußte hier auf dieser Welt sein. Und wahrscheinlich befand sich in ihm das Be­wußtsein des nackten Fremden, in dessen Körper er jetzt existierte.

Der Gedanke erschien ihm so zwingend logisch, daß er ihn nicht wieder verwarf. Er nahm als Tatsache hin, daß es so war, wie er überlegt hatte. Eine andere Möglichkeit schied mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.

Er richtete sich auf und blickte zur Seite. Er sah, daß das Fahrzeug durch eine wüsten­artige Landschaft raste, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Yamolquoht hatte. Befand er sich noch auf der Welt des einsamen Tir­que?

Die beiden anderen im Wagen sprachen miteinander. Aus ihren Gesten schloß Ax­ton, daß sie sich über ihn unterhielten. Ihre Sprache klang hart und rauh. Er hatte nie ei­ne ähnliche Sprache gehört. Doch sie inter­

essierte ihn zur Zeit auch noch nicht. Seine Gedanken richteten sich auf seinen

Originalkörper. Er hatte nicht vor, diesen Gnomenkörper aufzugeben. Er war ent­schlossen, ihn zu suchen und zu beschützen.

*

»Sie kommen«, meldete Sakkaga, der Techno. Er machte eine genau abgezirkelte Verbeugung, so wie stets, wenn er den dü­steren Raum betrat, in dem Caidon-Rov sich die überwiegende Zeit des Tages aufhielt.

»Danke«, entgegnete der Mann, der in der Ecke über einem Wust von Papieren lag. Er legte einen Stift, mit dem er geschrieben hat­te, zur Seite und erhob sich. Er ordnete die dunklen Kleider, die seinen Körper umga­ben, und verließ den Raum. Er schritt eine Steintreppe nach unten. Sakkaga folgte ihm.

In der Feste Grool war es ruhig. Nur hin und wieder ertönte mal ein Ham­

merschlag, oder eine Tür fiel ins Schloß. Vereinzelt hörte Caidon-Rov flüchtige Schritte. Seit dem Ende Porquetors hatte sich viel verändert. Auch Caidon-Rov war anders geworden. Er war jetzt still und in sich gekehrt. Er wirkte auf die Technos und Dellos, die bei ihm waren, noch rätselhafter als sonst.

Die meisten von ihnen hatte er in eine fragwürdige Freiheit entlassen. Nachdem sie den Wunsch geäußert hatten, nach draußen zu gehen, hatte er das Tor für sie geöffnet. Er wollte niemanden mehr um sich haben, der ihm nicht freiwillig diente. Daher fühlte er sich nun als unumschränkter Herrscher der Feste Grool.

Als er das Tor der Feste über die nach un­ten führende Spirale erreicht hatte, waren die Dalazaaren schon fast dort. Auf ein Zei­chen von ihm öffnete Sakkaga das Tor. Cai­don-Rov trat aus der Feste und blieb stehen.

Fünf Dalazaaren kamen. Sie brachten Fleisch und verschiedene andere Nahrungs­mittel. Stolz grüßten sie den großen, hageren Caidon-Rov, der die Versorgungsgüter mit sichtlichem Interesse musterte. Er stellte

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fest, daß sie auch eine bauchige Tonflasche dabei hatten, und er ahnte, was darin war. In seinen Augen leuchtete es auf.

»Wir brauchen bestimmte Werkzeuge«, eröffnete ihm Corlonpon, der Anführer der Dalazaaren. »Das Metall unserer Messer ist zu weich. Daher werden sie zu schnell stumpf.«

Caidon-Rov nickte. »Ihr benötigt einen Metallhärter. So etwas

haben wir da. Das ist kein Problem. Unser Vorrat ist allerdings klein, so daß wir euch einen hohen Preis abverlangen müssen.«

Corlonpon grinste. »Klar«, erwiderte er. »Und, wenn die gan­

ze Feste Grool davon voll wäre, würdest du sagen, daß es äußerst knapp ist. Du hast uns immer betrogen, warum solltest du es nicht auch jetzt tun?«

Seine Worte nötigten Caidon-Rov nur ein müdes Lächeln ab. Eigentlich hätte er die kleine Abwechslung genießen müssen, die sich durch den Besuch der Dalazaaren er­gab. Sein Interesse am Handel mit ihnen hat­te sich jedoch längst bis auf ein Minimum reduziert, das notwendig war, ihn und die wenigen Diener zu versorgen. Caidon-Rov ging jedoch nicht soweit, auf Feilschen zu verzichten. Er handelte den Preis sorgfältig aus, wobei ihm gerade sein mangelndes In­teresse zugute kam. Da die Dalazaaren merkten, daß er nur wenig haben wollte, lie­ßen sie in ihren Forderungen immer mehr nach. Nur eines verkauften sie wirklich teu­er. Die bauchige Flasche mit dem Wein, der mit Auszügen aus dem Blut ihrer Stiere ver­setzt war. Sie wußten, daß Caidon-Rov dar­auf besonders erpicht war.

Nach mehr als zwei Stunden war der Han­del beendet. Beide Seiten waren zufrieden. Caidon-Rov kehrte in die Feste zurück. Er trug die Tonflasche selbst. Die anderen Din­ge ließ er auf einen Elektrokarren verladen und in die Feste fahren.

Er zog sich in seine Kammer zurück und schenkte sich ein Glas Wein ein. Als er trank, hörte er es in der Nähe rumoren. Er blickte überrascht auf. Alle Diener wußten,

H. G. Francis

wie wichtig ihm die Ruhe war. Ungehalten stand er auf und verließ seinen Arbeitsraum, in dem er an einem literarischen Werk arbei­tete, seit er der alleinige Herr der Feste war.

Auf dem Gang vor dem Zimmer war es ruhig. Doch Caidon-Rov hörte, daß sich je­mand von ihm entfernte. Er vermeinte, auf­geregte Stimmen zu vernehmen. Eine Tür klappte.

Caidon-Rov fühlte sich plötzlich unsicher. Er hatte sich lange Zeit überhaupt keine

Gedanken um seine Sicherheit und um die Macht in der Feste gemacht. Er hatte es als selbstverständlich angesehen, daß sich alle anderen nach seinen Worten richteten.

Jetzt fragte er sich, ob er es sich wirklich leisten konnte, Sakkaga blindlings zu ver­trauen. Der Techno hatte ihm nie widerspro­chen und immer das getan, was er ihm be­fohlen hatte. Er hatte ihm jedoch schon lan­ge keine Vertrauensfalle mehr gestellt, so wie er es sonst hin und wieder gemacht hat­te, um ihn zu überprüfen. Caidon-Rov eilte lautlos über den Gang. Er folgte dem Ge­räusch, das er sich nicht erklären konnte.

Als er an eine Tür kam, hinter der eine Treppe nach oben führte, ertönte ein Schrei. Der Hagere fuhr zusammen. Unwillkürlich griff er nach seiner Hüfte. Sonst pflegte ein Messer in seinem Gürtel zu stecken, das er benutzte, um Obst zu schälen, oder mit dem er hin und wieder schnitzte. Er hatte es lie­gengelassen.

Caidon-Rov öffnete die Tür. Er sah, daß sich im gleichen Augenblick über ihm eine andere Tür schloß. Er hatte einige Sekunden zu lange gezögert, sonst hätte er diejenigen gesehen, die sich vor ihm bewegten.

Entschlossen stürmte er die Treppe hoch und stieß die Tür auf. Drei seiner Diener standen vor ihm. Sie blickten ihn bestürzt an. Zwischen ihnen krümmte sich eine selt­same Gestalt auf dem Boden. Caidon-Rov hatte nie zuvor ein Geschöpf wie dieses ge­sehen. Der Mann war klein, hatte einen übergroßen Kopf mit schütteren, blonden Haaren. Seine Hände waren klein und zier­lich wie die eines Kindes, während die Füße

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unproportioniert groß waren. Bekleidet war der Fremde mit einer hell­

blauen Blusenjacke, die mit Metallfäden verziert war. Ein Gürtel aus einem fremdar­tigen Material spannte sich um seine Hüften. Die Beine steckten in engen Hosen.

»Wo kommt dieser Krüppel her?« fragte er.

»Wir wissen es nicht«, antwortete einer der Diener. »Sakkaga …«

Eine Tür öffnete sich und Sakkaga gesell­te sich zu ihnen. Er hatte die Worte gehört.

»Ich habe den Kerl in der Nähe Ihrer Tür erwischt«, erklärte Sakkaga. »Ich habe ihn sofort wegbringen lassen, weil ich Sie nicht stören wollte.«

Die Erklärung klang akzeptabel. »Wie kommt er in die Feste?« »Er muß sich unter den Waren versteckt

haben, die die Dalazaaren gebracht haben«, erwiderte Sakkaga, »obwohl ich alles kon­trolliert habe. Ich wüßte sonst nicht, wie er hereingekommen sein sollte.«

»Bringt ihn dorthin«, befahl Caidon-Rov und zeigte auf eine Tür, hinter der ein großer Raum lag. In diesem arbeiteten hin und wie­der die Diener an großen Teppichen. Jetzt aber hielt sich niemand darin auf.

Der Verwachsene leistete keinerlei Wi­derstand, als die Diener ihn aufrichteten und in den Raum führten, den der Hagere ihnen bezeichnet hatte. Aus ihrem Verhalten schloß Caidon-Rov, daß sie die Wahrheit gesagt hatten. Sie hatten ihn nicht hinterge­hen, sondern ihn vor Störungen bewahren wollen.

Er beobachtete den Verwachsenen, der auf so rätselhafte Weise in die Feste gekom­men war. Der Fremde machte einen völlig verstörten Eindruck. Es schien, als stehe er unter einem schweren Schock. Caidon-Rov sah, daß es ihm schwerfiel, sich richtig zu bewegen. Die Hilflosigkeit des Fremden verdrängte den Verdacht, es mit einem ge­fährlichen Gegner zu tun zu haben, schnell.

Die Diener führten den Verwachsenen zu einem Sessel und setzten ihn hinein. Sie mußten ihn stützen, weil er sich nach vorn

neigte und dabei fast aus dem Sessel gefal­len wäre. Als er die Rückenlehne als Stütze erkannt hatte, blieb er ruhig sitzen. Seine Augen bewegten sich ruckend hin und her. Die Lippen bewegten sich, ohne einen ver­ständlichen Laut zu formen.

»Wer bist du?« fragte Caidon-Rov. Sein Interesse war erwacht. Er langweilte sich plötzlich nicht mehr.

Caidon-Rov glaubte, jemanden zu haben, der seine Hilfe benötigte, und dessen Per­sönlichkeit so ungewöhnlich war, daß es sich lohnte, sich mit ihr zu befassen. Dazu war allerdings notwendig, daß der Verwach­sene seinen Schock überwand.

»Wer bist du?« fragte der Hagere erneut. Er sprach ruhig und freundlich, weil er dem Fremden das Gefühl geben wollte, daß er sich in Sicherheit befand. »Hast du keinen Namen?«

Der Eindringling gab einige gestammelte Laute von sich. Caidon-Rov glaubte, »Grizzard« herauszuhören.

»Grizzard?« fragte er. »Sagtest du Griz­zard?«

Der Fremde antwortete stammelnd und keuchend. Abermals glaubte Caidon-Rov, »Grizzard« zu verstehen.

»Also gut«, sagte er daher. »Ich werde dich Grizzard nennen. Gebt ihm etwas zu Trinken. Am besten Wasser. Das verträgt er mit Sicherheit. Wir werden für ihn sorgen.«

Caidon-Rov, der eine lange Zeit nur für Porquetor dagewesen war, sah nun endlich wieder eine Aufgabe vor sich. Wenn er an Porquetor dachte, dann identifizierte er die­sen nur selten mit dem Namen Yunthaal, sondern fast immer nur mit dem Namen Por­quetor, der ihm wesentlich vertrauter war.

Er setzte sich auf einen Hocker Grizzard gegenüber und betrachtete ihn eingehend. Dabei versuchte er zu rekonstruieren, wie der Wagen mit den Waren ausgesehen hatte, die sie von den Dalazaaren gekauft hatten. Nach einiger Zeit schüttelte er den Kopf. Er hielt es für ausgeschlossen, daß die Dalazaa­ren Grizzard in die Feste Grool geschmug­gelt hatten. Doch damit wurde der Fall für

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ihn noch rätselhafter. »Untersucht die Feste«, befahl er Sakka­

ga. »Vielleicht hat sich durch Verfall irgend-wo eine Schwachstelle gebildet, durch die er eingedrungen ist. Seht euch um. Innen und außen. Ich will wissen, wie er hereingekom­men ist.«

Sakkaga gab den anderen Dienern einen Wink und eilte mit ihnen hinaus.

Der Hagere ließ seine Finger über den Arm Grizzards gleiten. Er stellte fest, daß der Stoff der Blusenjacke von außergewöhn­licher Qualität war. Er war so kostbar, wie Caidon-Rov ihn noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Aufgrund der Verzierungen daran glaubte der Herr der Feste Grool, daß Grizzard aus einem Lebenskreis mit beson­ders hochstehendem Niveau stammte. So et­was aber gab es, wie er meinte, auf Pthor nicht. Selbst in der FESTUNG nicht.

Caidon-Rov streckte Grizzard freundlich lächelnd die Hände entgegen.

»Komm«, sagte er. »Steh auf. Bewege dich.«

Grizzard blickte ihn an. Deutlich erkenn­bar versuchte er, aufzustehen. Es gelang ihm aber nicht, das Spiel seiner Muskeln richtig zu koordinieren.

»Entweder leidest du unter einer schwe­ren Gehirnstörung«, sagte Caidon-Rov mit­leidig, »oder dir ist dein eigener Körper fremd geworden. Du hast einen Schock, und es wird meine Aufgabe sein, dich daraus zu lösen.«

Caidon-Rov war vereinsamt, seit er allein mit den Dienern in der Feste lebte. Er war durchaus nicht unglücklich, daß nun jemand gekommen war, den er umsorgen konnte.

4.

Es wurde diesig und kühl. Lebo Axton fröstelte. Er wurde sich sei­

ner Nacktheit bewußt. Unwillkürlich beweg­te er die Arme und Beine, um den Kreislauf anzuregen.

Eigentlich hätte er froh über den neuen Körper sein müssen, der unendlich viel lei-

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stungsfähiger war als der andere. Doch Ax­ton erfuhr, welch tiefe Bedeutung das Wort hatte: Niemand kann heraus aus seiner Haut.

Das Gefühl der Fremdheit war übermäch­tig, und Axton spürte die Furcht in sich, schon bald wieder aus diesem Körper ver­trieben zu werden. Bisher waren er und der verwachsene Körper eine Einheit gewesen. Diese Einheit konnte er nicht einfach ver­gessen. Sie war ein bestimmtes Element sei­nes Lebens.

Alles war ganz anders gewesen, als er im Robotkörper gelebt hatte. Zu keiner Zeit hat­te er das Gefühl der Fremdheit gehabt. Dar­über hinaus aber hatte er stets in der Über­zeugung gelebt, daß eine Rückkehr in seinen natürlich gewachsenen Körper unmöglich war.

Als Axton sich jetzt aufrichtete und auf den Boden kauerte, nahm er unwillkürlich die Haltung an, zu der ihn sein anderer Kör­per gezwungen hätte. Er zog die Schultern hoch, krümmte den Rücken ein wenig und ließ die Schultern sinken. Er glaubte, unter Atemnot zu leiden.

Die beiden Fremden drehten sich hin und wieder um. Aus dem Tonfall, in dem sie sprachen, schloß er, daß sie sich über ihn un­terhielten. Er glaubte, aus ihren Worten her­aushören zu können, daß sie ihm ohne emo­tionelle Beteiligung gegenüberstanden. Eini­ge Male fiel der Name Grizzard.

Axton schloß daraus, daß er im Körper ei­nes Mannes namens Grizzard lebte.

Er versuchte, sich über die Situation klar­zuwerden, kam in dieser Hinsicht jedoch nicht weiter. Ihm schien, daß sein Körper den geistigen Befehlen nur zögernd oder gar widerstrebend folgte. Er hatte Schmerzen in den Gelenken, und die Muskulatur erschien ihm unnatürlich verhärtet. Unwillkürlich dachte er daran, wie es ihm ergangen war, wenn er körperlich hart beansprucht worden war. Dabei hatte er jedoch nicht das Gefühl, einen Muskelkater zu haben. Er meinte, die­ser Grizzard müsse entweder paralysiert worden sein oder besonders lange geschla­

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21 Die Höhle der Berserker

fen haben. Das seltsame Gefährt jagte mit hoher Ge­

schwindigkeit auf drei Berge zu, von denen der höchste etwa 7500 Meter war. Die ande­ren beiden Gipfel waren dagegen deutlich kleiner. Der Wagen fuhr durch eine Gras­landschaft, die hin und wieder von Tannen­wäldchen unterbrochen wurde.

Als sie sich einem Hohlweg näherten, verringerte das Fahrzeug seine Geschwin­digkeit. Der Mann mit dem stechenden Blick machte eine ausholende Bewegung. Axton hatte den Eindruck, daß er beunruhigt war und nicht durch den Hohlweg fahren wollte. Fürchtete er, in eine Falle zu fahren?

Axton wünschte, man hätte ihm endlich etwas zum Anziehen gegeben. Ihm war kalt, und er fürchtete, daß die Fahrt höher und hö­her in die Berge hinaufführen würde. Er ver­spürte wenig Lust, nackt im Schnee herum­zulaufen.

Er wollte den Dunkelhaarigen mit dem stechenden Blick bitten, ihm etwas zu ge­ben, doch dann wurde er sich dessen be­wußt, daß dieser ihn nicht verstehen würde. Es wäre sinnlos gewesen, Interkosmo oder Arkonidisch mit ihm zu reden. Er sprach ei­ne andere Sprache, wie Axton sie nie zuvor gehört hatte.

Bevor er sich dazu entschließen konnte, mit Hilfe der Gestensprache etwas zu erbit­ten, sackte der Wagen plötzlich weg. Er rutschte in eine raffiniert angelegte Falle hinein, die etwa hundert Meter vor dem Hohlweg lag. Das Fahrzeug prallte gegen den Sand, und seine drei Insassen flogen hinaus.

Lebo Axton überschlug sich, stürzte auf die Schulter, prallte mit dem Kopf gegen einen Ast und blieb einige Sekunden lang betäubt auf dem Boden liegen.

Er hörte das Gebrüll einiger Männer. Es schreckte ihn auf. Er fuhr hoch und sah sich von etwa zwanzig Angreifern gegenüber. Sie trugen zerlumpte Kleider und sahen dem Düsteren mit dem stechenden Blick ähnlich. Sie waren mit Messern und Holzknüppeln bewaffnet. Bevor Axton wußte, wie ihm ge­

schah, erhielt er einen Schlag über den Kopf und stürzte zu Boden. Er sah einen der Zer­lumpten über sich. Der Mann hob einen dicken Holzknüppel hoch über den Kopf.

Axton wälzte sich zur Seite. Der Hieb verfehlte ihn nur knapp. Er hörte, wie das Holz sich klatschend in den Waldboden grub. Er erkannte entsetzt, daß der Schlag ihn getötet hätte, wenn er ihn am Schädel getroffen hätte.

Instinktiv warf Axton sich nach vorn. Er packte die Beine des Zerlumpten und riß ihn zu Boden, bevor er zu einem neuen Schlag ansetzen konnte. Überraschend kraftvoll fuhr seine Faust hoch. Er schlug sie seinem Gegner unter das Kinn und setzte ihn außer Gefecht.

Axton richtete sich staunend auf. Er rieb sich die Faust. Dabei veränderte sich seine Körperhaltung wieder. Er sackte in sich zu­sammen, als könne er sich nicht halten, und er machte ein paar unbeholfene Schritte auf einen anderen Mann zu, der von dem Düste­ren ausgeschaltet worden war.

Fassungslos beobachtete er, wie dieser und der Geschuppte kämpften. Sie schlugen unglaublich kraftvoll auf die Angreifer ein.

Jemand sprang Axton von hinten an und warf ihn zu Boden. Vom gleichen Moment an verwandelte er sich in eine Kampfma­schine. Er dachte nicht mehr und beobachte­te nicht mehr, sondern kämpfte um sein Le­ben. Da er in seinem verwachsenen Körper allen Kämpfen ausgewichen und in seinem Robotkörper stets grenzenlos überlegen ge­wesen war, hatte er jetzt Mühe, seine Kräfte richtig einzusetzen.

Einmal schlug er so hart zu, daß er glaub­te, sich die Hand gebrochen zu haben. Der Schmerz fuhr ihm durch den ganzen Körper und zwang ihn zu Boden. Er sah nichts mehr. Vor seinen Augen schien sich alles in flimmerndem Licht aufzulösen. Gerade in diesen Sekunden, in denen er praktisch wehrlos war, rissen ihn zwei Gegner hoch. Er versuchte sie abzuwehren, schlug jetzt aber viel zu schwach zu. Zwei Hiebe trafen ihn an der Brust. Sie warfen ihn zu Boden.

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Er riß die Augen auf. Einer seiner beiden Gegner setzte sich ihm auf die Beine, wäh­rend der andere mit einem Messer ausholte, um ihn zu erstechen.

In höchster Not grub Axton dem Mann, der auf ihm saß, die Finger in die Haare und riß ihn mit ganzer Kraft zu sich heran. Zu­gleich stieß der andere zu. Beide erkannten den gefährlichen Trick Axtons. Sie schrien auf vor Entsetzen, aber der eine konnte sich nicht aus dem Griff des Nackten befreien, während der andere von seinem eigenen Schwung mitgerissen wurde.

Die Klinge fuhr dem Mann, der auf Axton saß, tief in die Schulter.

Der Terraner nutzte den Moment der Überraschung für sich und stieß den Mann von sich. Dabei gelang es ihm, das Messer an sich zu bringen. Er sprang auf und stellte sich an einen Baum, um den Rücken frei zu haben.

Der Düstere und das geschuppte Wesen hatten etwa zehn Männer zu Boden geschla­gen. Die anderen zogen sich einige Schritte weit zurück. Sie zögerten, erneut anzugrei­fen. Axton erkannte, daß sie warten wollten, bis die Bewußtlosen wieder zu sich kamen und weiterkämpfen konnten.

Er eilte zu dem Düsteren und dem Ge­schuppten hin und stellte sich zu ihnen, so daß sie sich gegenseitig den Rücken deckten und die Angreifer beobachten konnten.

Axton beobachtete, daß einige von ihnen ihre Messer an langen Ästen befestigten. Die Absicht war klar. Da sie im direkten Zwei­kampf kein Übergewicht erlangten, wollten die Zerlumpten Speere werfen. Damit wur­den sie fraglos noch gefährlicher, als sie be­reits waren.

Doch wenig später zeigte sich, daß die Wegelagerer nur geblufft hatten. Sie taten nur so, als seien sie mit Vorbereitungsarbei­ten beschäftigt. Sie griffen an, während Ax­ton noch glaubte, daß sie wenigstens zehn Minuten benötigten, die Lanzen fertigzustel­len.

Er streckte den Angreifern die Faust mit dem Messer drohend entgegen …

H. G. Francis

Plötzlich ertönte ein schriller Pfiff. Schlagartig blieben die Zerlumpten stehen. Sie blickten sich unsicher um.

Unter den Bäumen kam eine hochge­wachsene Gestalt hervor. Sie war in kostba­re Pelze gehüllt. Auf ihrer Schulter hockte ein kleiner, weißer Geier. Axton vermutete, daß es ein noch junges Tier war. Der Mann sah dem Düsteren so ähnlich, daß er ein Zwillingsbruder von ihm hätte sein können. Er verfügte über eine überragende Autorität.

Während er sich den drei Überfallenen näherte, machte er den Zerlumpten mit der Hand ein Zeichen. Er befahl ihnen mit dieser Geste, sich zurückzuziehen.

Und sie gehorchten widerspruchslos. Dann geschah etwas, womit Axton nicht

gerechnet hatte. »Verdammt«, sagte der Düstere. Axton war, als ob er von einem elektri­

schen Schlag getroffen worden sei. Der Dü­stere hatte Interkosmo gesprochen. Axton war so überrascht, daß er nicht in der Lage war, auch nur einen Laut über die Lippen zu bringen.

*

Nicht nur Axton war wie vom Schlag ge­troffen.

Die Überraschung war für Razamon nicht weniger groß. Er hatte nicht damit gerech­net, einem echten Berserker zu begegnen. So entfuhr ihm unwillkürlich der terranische Fluch: »Verdammt.«

Er ahnte nicht, welche Wirkung er damit auf den Nackten erzielte. Diesen beachtete er gar nicht. Sein ganzes Augenmerk richte­te sich auf den Berserker.

Er erinnerte sich an die Gerüchte, in de­nen es hieß, daß in den unzugänglichen Ge­bieten des Taambergs noch echte Berserker lebten. Diese Gerüchte schienen sich nun zu bestätigen.

Aber auch der Bepelzte schien grenzenlos überrascht zu sein, ihn zu sehen.

»Du bist ein echter Berserker«, sagte er zu Razamon. »Aber wir haben dich nie gese­

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23 Die Höhle der Berserker

hen.« Er trat näher an Razamon heran und

blickte ihm prüfend in die Augen. Kolphyr und den unbekleideten Grizzard schien er nicht zu beachten.

»Ich bin Orzmoran«, fuhr der Bepelzte fort. Er deutete auf den Geier auf seiner Schulter. »Und der Stormock heißt Kirzo.«

»Ich bin Razamon«, erwiderte der Beglei­ter Kolphyrs. »Man hätte uns beinahe über­wältigt. Viel hat nicht gefehlt.«

»Davon bin ich nicht überzeugt«, sagte Orzmoran lächelnd. »Ich hatte eher den Ein­druck, daß der Kampf bald zu Ende gewesen wäre. Mit dir als Sieger.«

Er deutete auf Kolphyr und Grizzard. »Ihr steht unter meinem Schutz. Du und

deine Freunde. Ihr habt keinen weiteren An­griff zu befürchten.«

Razamon betrachtete die Zerlumpten, die in respektvollem Abstand von ihnen blieben. Er zweifelte nicht daran, daß es Nachkom­men von Berserkern waren. Orzmoran bestä­tigte ihm seine Vermutung.

»Jetzt leben sie als Wegelagerer und über­fallen alle, die sich hier sehen lassen«, er­klärte er. »Es ist ein hartes Leben, bei dem die Faust mehr im Vordergrund steht als der Kopf.«

Verächtlich verzog er die Lippen. Er macht damit deutlich, daß er sich mit diesem Leben auf keinen Fall identifizierte.

»Leben außer dir noch weitere Berser­ker?« fragte Razamon.

»Allerdings.« Orzmoran antwortete be­reitwillig auf die Fragen. »Die letzten Ber­serker haben lange Zeit zurückgezogen ge­lebt. Erst die jüngsten Ereignisse haben sie veranlaßt, nach unten zu kommen.«

Er lächelte flüchtig. »Wir wollen natürlich wissen, was vor­

geht«, fuhr er fort. »Das Berserkertum haben wir längst abgelegt, obwohl wir – wenn es einmal sein muß – kräftig zuschlagen kön­nen.«

Er zwinkerte Razamon verständnishei­schend zu. Mit seinen Worten verriet er die­sem, daß es ihm ähnlich ging wie ihm selbst.

Auch Razamon hatte sein Berserkertum ab­gelegt. Da er immer wieder in gewaltsame Auseinandersetzungen geriet, waren seine Anfälle schon lange nicht mehr aufgetreten. Es kam nicht mehr zu einem Aggressions­stau bei ihm.

»Was geschieht jetzt?« fragte Razamon. »Ich lade dich und deine Begleiter an, mit

mir nach oben zu gehen und dort Wiederse­hen zu feiern«, antwortete Orzmoran freund­lich. »Sodann möchte ich mehr über dich wissen. Ich möchte hören, wer du bist, wo­her du kommst, und was dir widerfahren ist.«

Razamon hatte den Eindruck, daß die Phase der größten Gefahr vorbei war. Er hat­te keine Bedenken, Orzmoran zu folgen. Er wußte, daß er seinem Wort vertrauen durfte.

Orzmoran gab den Wegelagerern einen Wink. Einige von ihnen traten ehrfürchtig an ihn heran.

»Gebt ihm ein paar Sachen«, befahl er. »Ich will nicht, daß er hier nackt herumläuft. Es ist zu kalt.«

Die Zerlumpten diskutierten kurz. Dann legten einige von ihnen einfache Kleidungs­stücke ab und reichten sie Axton. Dieser streifte sie hastig über. Er war froh, endlich etwas zu haben, was ihn gegen die Kälte schützte. Zu seinem Entsetzen begann es aber schon wenig später, auf seiner Haut zu jucken. Er spürte die Stiche und Bisse von Parasiten, und er nahm sich vor, die Klei­dungsstücke so schnell wie möglich zu reini­gen.

Razamon grinste, als er sah, wie »Grizzard« sich kratzte.

*

»Wir steigen hier hoch«, sagte Orzmoran und zeigte auf einen Pfad, der durch den Tannenwald führte. »Es geht steil bergan.«

Damit war für Razamon klar, daß sie den Torc nicht mehr benutzen konnten. Er über­ließ sich der Führung Orzmorans. Schon nach kurzer Zeit verließen sie den Tannen­wald. Der Pfad stieg danach tatsächlich steil

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an. »Es scheint auf den Schubath zu gehen«,

raunte Razamon Kolphyr zu. Er war über­rascht, denn es hieß, daß dieser 7500 m hohe Berg noch niemals bestiegen worden war.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß da oben jemand lebt«, entgegnete der Bera. Sei­ne Blicke wanderten nach oben. Die Schnee­grenze lag schon bei etwa 1500 Metern. Sie hatten sie bald erreicht. Ein eisiger Wind strich an den Flanken des Berges entlang. Die Kälte kroch durch die Kleider.

Razamon beobachtete Grizzard. Der Fremde machte ihm Sorgen. Er sah deutlich, daß es ihm immer wieder Schwierigkeiten machte, sich richtig zu bewegen. Einige Mi­nuten lang ging alles gut, dann aber verdreh­te er den einen oder den anderen Fuß und stolperte. Doch er stürzte nicht, sondern fing sich immer wieder ab.

Hin und wieder ließ er die Schultern nach vorn kippen, so als leide er unter Rücken­schmerzen. Dann schleiften die Füße so be­ängstigend über den Boden, daß Razamon meinte, er werde gleich zusammenbrechen. Doch Grizzard richtete sich immer wieder auf, so als ob ein Ruck durch ihn ginge. Da­nach bewegte er sich einige Minuten lang völlig normal. Seine Schritte wirkten dann geschmeidig und sicher.

Es war, als müsse er sich ständig auf die Bewegungsabläufe seiner Extremitäten kon­zentrieren.

Razamon machte sich kaum Gedanken darüber. Für ihn war Grizzard ein Mann, der für Jahrhunderte oder gar noch mehr in einer Nische in künstlichem Schlaf gelegen hatte. Daher wäre er eher überrascht gewesen, wenn er keine Schwierigkeiten mit seinem Körper gehabt hätte.

Er bedauerte, daß Grizzard nicht an­sprechbar war. Mehrfach hatte er es mit Pthora versucht, aber ohne den geringsten Erfolg. Er hatte keinerlei Reaktionen an dem Erwachten bemerkt, so daß er nun davon überzeugt war, daß Grizzard nie pthorische Laute gehört hatte. Er kam nicht auf den Ge­danken, es in einer anderen Sprache zu ver-

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suchen. Das wäre aus seiner Sicht auch völ­lig widersinnig gewesen.

Als sie die Schneegrenze erreicht hatten, blieb Orzmoran stehen. Er wartete, bis Raza­mon, Kolphyr und Grizzard bei ihm waren. Razamon blickte ins Tal zurück. Die Tan­nenwälder, in denen sie überfallen worden waren, lagen in einer Nebelbank. Von den Wegelagerern war nichts mehr zu sehen.

»Von hier an geht es in das Innere des Berges«, erklärte Orzmoran.

»Die letzten Berserker leben also in einer Höhle«, stellte Razamon fest. »Nun. Das nenne ich eine Überraschung.«

»Warte ab. Du wirst noch mehr über­rascht.«

Orzmoran bückte sich und legte eine Hand an die Unterseite eines vorspringenden Felsens. Dieser wich zur Seite und gab den Blick in einen Gang frei, der in den Berg führte. Orzmoran betrat den Gang. Er nahm eine Fackel aus einem Felsspalt und zündete sie an. Als sie etwa zehn Meter weit gegan­gen waren, drückte er einen Hebel, der aus der Wand ragte, in die Wand hinein. Knir­schend schloß sich der Gang hinter ihnen.

»Man hat schon versucht, uns zu folgen«, berichtete Orzmoran amüsiert, »doch keiner hat herausgefunden, wo wir bleiben. Nie­mand hat bisher entdeckt, wie sich der Fel­sen da draußen bewegen läßt. Und sollte tat­sächlich jemand Glück haben, wird es ihm nicht bekommen.«

Er legte eine Hand gegen den Felsen, die­ser wich zurück, und Orzmoran betrat eine geräumige Höhle, die nach oben hin offen war. Von dort hingen zwei aus Stricken und Lederstücken geflochtene Körbe an Zugsei­len herab.

»Steigt ein«, forderte Orzmoran Raza­mon, Kolphyr und Grizzard auf. »Die Körbe tragen euch. Man wird euch hochziehen.«

Damit wurde Razamon endlich klar, wes­halb der bepelzte Berserker vorher in so selt­samem Ton gesagt hatte, sie sollten ihm nach oben folgen. Als Orzmoran den Fels­gang betreten hatte, da hatte Razamon damit gerechnet, daß er sie in die Tiefe führen

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würde. Orzmoran half Razamon, Kolphyr und

Grizzard dabei, in die Körbe zu steigen. Er kletterte als letzter hinein. Der Geier blieb auf seiner Schulter sitzen, als ginge ihn alles gar nichts an.

Orzmoran zog an einem Lederseil, das ne­ben den Körben herabhing, und irgendwo weit über ihnen setzte jemand ein Räder­werk in Bewegung. Die Körbe stiegen laut­los nach oben. Zunächst schwebten sie durch einen relativ engen Schacht, aber dann weitete sich die Höhle mehr und mehr. Raz­amon hatte den Eindruck, daß der Berg Schubath in seinem Gipfelbereich hohl war.

Staunend blickte er nach oben. An den Innenwänden der gigantischen

Höhle, die teils von Fackeln, teils durch Öff­nungen von draußen hereinfallendem Licht erhellt wurde, klebten zahllose Plattformen mit hausähnlichen Gebilden darauf. Sie sa­hen Schwalbennestern ähnlich und waren durch ein Gewirr von geflochtenen Hänge­brücken und Korbsystemen miteinander ver­bunden. Staunend sah Razamon, daß auf ei­nigen Plattformen sogar Anbauflächen er­richtet worden waren, auf denen Obst und Gemüse gezogen wurde. In Käfigen lebten zahlreiche Haustiere der unterschiedlichsten Art. Von den Käfigen führten vielfach Gän­ge nach draußen, so daß die Tiere die Höhle auch verlassen konnten.

»Hier leben wir«, erklärte Orzmoran stolz.

»Wir?« fragte Razamon. »Wieviele seid ihr noch?«

»Wir sind siebenunddreißig Männer und sechsundzwanzig Frauen. Kelschostra ist unsere Stadt.«

»Ich nehme an, daß du der Anführer bist«, sagte Razamon.

»Allerdings«, antwortete Orzmoran. »Sie hören auf mich. Es ist nicht schwer, ihr An­führer zu sein. Probleme ergeben sich nur äußerst selten. Meistens werden sie von draußen hereingetragen.«

Razamon lächelte. »Wir kommen von draußen«, bemerkte

er. »Bei euch rechne ich nicht mit Proble­

men«, erwiderte Orzmoran. Sie schwebten mit den Körben bis zu ei­

ner Plattform, die sich in halber Höhe der Höhle befand. Die Öffnung, durch die sie gekommen waren, lag nun mehr als zwei­hundert Meter unter ihnen. Orzmoran pfiff auf den Fingern, und von allen Seiten näher­ten sich ihnen stolze Gestalten. Sie alle hat­ten eine verblüffende Ähnlichkeit mit Raza­mon, die Frauen ebenso wie die Männer. Sie waren mit kostbaren Pelzen bekleidet.

Orzmoran zeigte auf Razamon. »Das ist Razamon, ein Berserker«, rief er

mit hallender Stimme. »Er ist zu uns zurück­gekehrt. Das ist ein Grund für uns zu feiern. Bereitet alles vor.«

Razamon bemerkte, daß man ihn wohl­wollend betrachtete, während man Grizzard mit haßerfüllten Blicken bedachte. Ihn sah man offenbar als Unwürdigen an, der kein Recht hatte, in der Höhle Kelschostra zu sein. Kolphyr dagegen behandelten sie neu­tral. Er war so fremdartig, daß er ihren Wi­derwillen nicht erregte.

*

Axton spürte die Abneigung der Männer und Frauen in der Halle. Der Kosmokrimi­nalist hatte Feingefühl genug, um zu mer­ken, daß er nicht willkommen war. Er war von der seltsamen Stadt im Berg fasziniert und hätte sich am liebsten ausschließlich da­mit beschäftigt, sie zu erforschen. Doch wollte er ihre Bewohner nicht mehr stören, als unvermeidbar war.

Er erfaßte, daß der Anführer einen Befehl gegeben hatte, dem alle nur zu gern folgten. Er beobachtete Orzmoran und Razamon sorgfältig. Die Namen hatte er mittlerweile mitbekommen. Zwischen Razamon und Orzmoran entwickelte sich ein lebhaftes Ge­spräch, bei dem beide in ausgelassener Stim­mung waren.

Er beobachtete, daß Razamon eine junge Frau fast ständig im Auge behielt, die ihm

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und Orzmoran einen Krug mit einem Ge­tränk brachte. Sie bot auch Kolphyr davon an, doch dieser lehnte schweigend ab. Auf den Gedanken, auch ihm den Krug zu bie­ten, kam sie nicht.

Die anderen Höhlenbewohner eilten über die Hängebrücken davon. Axton sah, daß sie sich wuschen, Krüge mit Getränken aus ih­ren Hütten holten oder sich andere Pelze überstreiften. Überall herrschte geschäftiges Treiben.

In der Nähe befand sich eine Hütte, die offenbar nicht bewohnt war. Sie klebte wie ein halbmondförmiges Schwalbennest an der Wand. Von einer Plattform aus führte ein schmaler Gang ins Freie. Er war mit Netzen verhängt.

Da sich niemand um ihn kümmerte, erhob sich Axton. Er ging über eine Hängebrücke zu der Hütte hin und blickte hinein.

Sie war tatsächlich leer. Axton schob das Netz zur Seite und trat

durch den Gang ins Freie hinaus. Frische, kühle Luft wehte ihm entgegen. Draußen lag meterhoher Schnee. Seine Hoffnung, etwas von dem Land zu sehen, in dem er materiali­siert war, erfüllte sich nicht. Nebel lag über dem Land. Aber selbst wenn er etwas gese­hen hätte, hätte ihm das nicht viel geholfen.

Als er sich umdrehte, stand einer der Höh­lenbewohner vor ihm. Er erkannte ihn an ei­ner Narbe wieder, die seine Unterlippe ver­unstaltete. Der Mann blickte ihn drohend an. Axton versuchte, sich harmlos zu geben, um dadurch die Angriffslust der anderen zu dämpfen. Er lächelte.

»Ich habe keine Ahnung, wo ich bin«, sagte er. »Ich wollte mich ein wenig umse­hen.«

Er sprach Interkosmo, wobei es ihm aller­dings unerwartete Mühe machte, die Worte zu formulieren.

Der Berserker schien jedoch kein Interes­se daran zu haben, sich mit ihm zu verstän­digen. Er sprang ihn aus dem Stand heraus an. Axton beobachtete, daß er in den Knien leicht einknickte. Er war erfahren genug, um zu wissen, was kam. Er warf sich zur Seite.

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Der Düstere schnellte sich an ihm vorbei. Seine ausgestreckten Hände verfehlten ihn. Er landete bäuchlings auf dem Schnee und rutschte etwa vierzig Meter weit ab, bevor er sich abfangen konnte. Bleich vor Zorn sprang er wieder auf die Beine und blickte zu Axton hoch.

»Tut mir leid, Freund«, sagte der Terraner spöttelnd. »Ich habe dich nicht gebeten, mir derart stürmisch die Hand zu geben.«

Der Höhlenbewohner rannte das Schnee­feld hoch auf ihn zu, kam jedoch nur lang­sam voran, weil der Schnee immer wieder unter seinen Füßen wegrutschte.

Lebo Axton wollte sich nicht auf einen Kampf mit ihm einlassen. Er zog sich in die Höhle zurück. Er wollte zu Razamon und Kolphyr gehen, doch die beiden Freunde waren verschwunden. Sie mußten eine der Hütten an den Wänden betreten haben.

Bevor er nach ihnen rufen konnte, erschi­en der vor Wut tobende Berserker hinter ihm im Gang.

Axton flüchtete über eine Hängebrücke auf ein Haus zu, bei dem sie mit dem Auf­zugskorb angekommen waren.

Als er mitten auf der Hängebrücke war, schleuderte sein Verfolger einen Tonbehäl­ter auf ihn. Er traf ihn im Genick. Axton stürzte benommen auf die Knie. Seine Beine waren plötzlich kraftlos, als wären sie ge­lähmt.

Der Höhlenbewohner eilte auf ihn zu, packte ihn unter den Armen und hob ihn von der Brücke. Er lachte triumphierend auf und ließ Axton fallen.

5.

Caidon-Rov fuhr aus dem Schlaf auf. Er horchte in die Dunkelheit. Wispernde

Stimmen erklangen an der Tür seines Schlafraums.

Der Herr der Feste Grool schlüpfte von seiner Liege und schaltete das Licht an. Er eilte lautlos zur Tür. Dort blieb er stehen. Wieder ertönten Stimmen. Dann klappte ei­ne Tür, und es wurde ruhig. Caidon-Rov

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fuhr sich mit beiden Händen über das Ge­sicht. Er war müde, und er fühlte sich leer.

Doch dann erinnerte er sich daran, daß er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, über den Fremden zu wachen und ihn zu pflegen.

»Grizzard«, murmelte er. Er lief zu einer anderen Tür und öffnete

sie leise, um den Verwachsenen nicht zu stö­ren. Der Lichtschein der Deckenlampe fiel durch die offene Tür auf das Lager Griz­zards.

Es war leer. Caidon-Rov erschrak. Hastig schaltete er

das Licht im Nebenraum an. Vor dem Lager befanden sich einige rote Flecken auf dem Boden. Er bückte sich und strich mit den Fingern darüber hinweg. Es waren Blut­flecke.

In höchster Sorge kehrte der Hagere in seinen Schlafraum zurück und holte sich ei­ne Energiestrahlwaffe. Er hatte sie in den Räumen Porquetors gefunden. Zu keiner Zeit hatte er daran gedacht, daß Grizzard in der Feste einer Gefahr ausgesetzt sein könn­te. Er vertraute seinen Dienern, die sich bis­lang immer als absolut zuverlässig erwiesen hatten. Jetzt aber hatte jemand den Ver­wachsenen verschleppt und dabei verletzt.

Caidon-Rov konnte sich den Vorgang nicht erklären. Er konnte sich keinen ver­nünftigen Grund denken, der dazu geführt hatte, seine Helfer zu so einer Tat zu verlei­ten.

Er wollte bereits aus seinem Schlafraum stürzen, als ihm Bedenken kamen. Wer auch immer Grizzard geraubt hatte, der hatte sich damit zugleich auch gegen ihn erhoben. Das kam einer Revolte gleich. Wer so etwas wagte, der war sich darüber klar, daß sein Handeln Folgen hatte. Daher blieb ihm gar keine andere Wahl, als ihm Fall einer Ent­deckung mit ganzer Härte zuzuschlagen.

Caidon-Rov kam zu dem Schluß, daß die Verantwortlichen wenigstens eine Wache vor seinem Schlafraum zurückgelassen hat­ten. Dazu waren sie schon aus Sicherheits­gründen gezwungen. Er weilte zu einer ver­steckten Tür, öffnete sie, kam auf einen

schmalen Gang, auf dem gerade Platz genug für einen schlanken Mann wie ihn war, eilte ihn entlang und verließ ihn durch eine eben­falls versteckt angebrachte Tür wieder.

Inzwischen war er davon überzeugt, daß die Täter versuchen würden, Grizzard aus der Feste zu bringen.

Was aber bezweckten sie? Er konnte sich das Geschehen nicht erklä­

ren, da Grizzard seiner Ansicht nach keinen realisierbaren Wert darstellte.

Verstört fragte er sich, ob Sakkaga oder einer der anderen Technos über Informatio­nen verfügte, die er nicht hatte. Wenn das der Fall war, dann war seine Position in der Feste Grool stark gefährdet, denn seine Au­torität und seine Macht beruhten nicht nur auf der Tatsache, daß er die besseren Waffen hatte. Es war vor allem sein überlegenes Wissen, das ihm Macht verlieh.

Er schlich sich durch leere Gänge nach unten. Früher oder später hoffte er, auf die Entführer zu treffen und sie zu überraschen. Doch erst als er die in weitem Bogen bis zum Tor führende Spirale erreicht hatte, sah er sie. Es waren drei Technos. Sie schlepp­ten Grizzard auf einer Trage auf das Tor zu.

Durch eines der Fenster fiel Licht nach unten. Caidon-Rov sah, daß die Technos Grizzard mit Stricken an die Trage gefesselt hatten. Er blutete aus einer Wunde an der Stirn.

Lautlos eilte er hinter ihnen her. Er ließ sie bis zum Tor kommen. Einer von ihnen schaltete Licht an, so daß er sie besser sehen konnte. Sie standen beieinander und disku­tierten. Er vermutete, daß sie nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten.

Er trat aus der Dunkelheit heraus auf sie zu. Die Strahlenwaffe hielt er schußbereit in der Hand. Sie sank ihm nach unten, als er Sakkaga erkannte, der die Gruppe der Tech­nos anführte.

»Verräter«, sagte er zornig. »Das ist also deine Antwort auf meine Güte.«

»Verzeih mir, Herr«, rief Sakkaga ent­setzt. »Ich konnte nicht anders.«

Caidon-Rov wollte seine Worte nicht hö­

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ren. Er schoß und tötete ihn. Danach richtete er die Waffe auf die anderen.

»Wohin wolltet ihr ihn bringen?« forschte er.

»In die FESTUNG«, antwortete einer der Technos. Er trat furchtlos auf Caidon-Rov zu. Dabei zeigte er auf den Verwachsenen. »Man sieht schon an der Kleidung, daß die­ser Mann etwas Besonderes ist. Niemand hat je eine solche Kleidung auf Pthor gesehen. Daher ist es ein Verbrechen, ihn in der Feste Grool gefangenzuhalten. Die neuen Herren, die Söhne Odins, müssen wissen, daß er hier ist. Deshalb hat Sakkaga befohlen, ihn in die FESTUNG zu bringen.«

Das waren ungewöhnliche Worte für einen Techno. Sie bewiesen nicht nur, daß dieser Techno über eine beachtliche Intelli­genz, sondern auch über Mut und Entschluß­kraft verfügte. Beides war Caidon-Rov unter den gegebenen Umständen nicht recht.

Er selbst war längst auch zu den Schlüs­sen gekommen, die die Technos gezogen hatten. Doch hatte er im Gegensatz zu ihnen daraus nicht abgeleitet, daß er den Verwach­senen in die FESTUNG bringen mußte. Tat­sächlich hatte er auch diesen Gedanken er­wogen, aber sogleich wieder verworfen. Er wollte nicht den neuen Herren der FE­STUNG einen Dienst erweisen, sondern endlich seine Einsamkeit durchbrechen. Er brauchte jemanden, für den er sorgen konn­te.

Dazu reichte einer der Technos nicht aus. Diese Geschöpfe waren für ihn zu wenig entwicklungsfähig. Ein geheimnisvoller Mann wie jener Grizzard aber war genau richtig für ihn. Was interessierten ihn die Söhne Odins. Er war egoistisch genug, den Verwachsenen ganz allein für sich zu bean­spruchen.

Die verräterische Initiative der Technos versetzte ihm einen schweren Schlag. Er er­kannte, daß er sie zu freundlich behandelt hatte. Sie waren aufgrund ihrer psychologi­schen Struktur nicht in der Lage, so etwas zu würdigen. Sie brauchten eine strenge Hand.

»Ihr werdet eure Strafe bekommen«, er-

H. G. Francis

klärte er. »Bringt ihn zurück.« Sie verstanden, was er meinte. Und er

wußte, weshalb er ihnen in diesem Ton ge­droht hatte. Er wollte einen Angriff auf sich provozieren. Tatsächlich ließen die Technos sich herausfordern, als er so tat, als wolle er sich abwenden.

Sie stürzten sich schreiend auf ihn. Sie suchten eine schnelle Entscheidung und glaubten, ihn überwinden zu können.

Er fuhr herum und erschoß sie mit der Strahlenwaffe.

Ein zorniges Lächeln glitt über seine Lip­pen. Niemand sollte glauben, daß er so leicht zu überlisten war.

Über die spiralförmige Treppe kamen zehn Technos herbeigelaufen. Sie warfen sich vor ihm zu Boden, um ihm zu zeigen, daß sie nicht an Widerstand dachten.

»Bringt ihn wieder nach oben«, befahl er. »Beeilt euch. Und versorgt seine Wunde.«

Er trat zur Seite und überwachte den Transport. Zunächst befürchtete er noch, daß die Technos sich dem Aufstand anschließen würden, dann aber zeigte sich, daß die Re­bellion der Diener bereits beendet war. Die Technos beugten sich seiner Macht.

*

Axton-Kennon schrie gellend auf, als er von der Hängebrücke stürzte. Er schlug mit Armen und Beinen um sich.

Unter ihm gähnte ein Abgrund von zwei­hundert Metern Tiefe.

Seine Hand schlug gegen einen Strick und umklammerte ihn. Er warf sich mit ganzer Verzweiflung nach vorn, packte einen zwei­ten Strick und rutschte an beiden einige Me­ter herunter. Seine Hände brannten, als habe er sich die Haut abgerissen. Das war jedoch nicht der Fall. Er merkte, daß er sich nicht verletzt hatte, als er etwa zehn Meter unter der Hängebrücke zwischen den Seilen pen­delte.

Sein Gegner beugte sich über die Brücke. Er lachte boshaft zu ihm herunter und rief ihm etwas zu.

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29 Die Höhle der Berserker

Axton sah sich um. Er konnte sich in die­ser Lage nicht lange halten. Links und rechts von ihm führten Stricke in die Höhe und zu den Seiten hin. Sie dienten größtenteils der Halterung der Plattformen, die an den Felsen befestigt worden waren. Sie führten an ihnen vorbei zu Felsvorsprüngen, an denen sie ver­ankert waren.

Axton erkannte, daß es für ihn nur eine einzige Möglichkeit gab, sich zu retten. Er mußte sich zu einem der Ankertaue hinüber­schwingen und daran hochklettern. Wenn er das tat, konnte der andere ihn nicht so ohne weiteres erreichen.

Doch sein gefährlicher Gegenspieler dachte gar nicht daran, ihm eine Chance zu geben.

Ein schriller Pfiff ertönte. Ein Schrei ant­wortete, und dann schwebte mit ausgebreite­ten Flügeln ein riesiger, weißer Geier aus der Höhe herab. Er landete neben dem Ber­serker auf der Hängebrücke. Dieser sprach leise auf ihn ein und deutete auf Axton.

Der Terraner kletterte an den Seilen hoch, bis er glaubte, einen Sprung riskieren zu können. Er warf sich zur Seite, löste sich, flog etwa zwei Meter weit durch die Luft, klammerte sich an ein anderes Seil und rutschte etwa drei Meter daran herunter, bis es ihm endlich gelang, sich abzufangen. Ent­setzt erkannte er, daß das Seil eingefettet war.

Der Berserker lachte schallend. Er gab dem Geier einen Stoß in die Seite. Der Raubvogel ließ sich nach vorn fallen, breite­te die Flügel aus und glitt lautlos an Axton vorbei. Das Tier hatte eine Spannweite von mehr als vier Metern.

Der Terraner sah den scharfen Raubtier­schnabel und wußte, daß er nur eine winzige Chance hatte, sich gegen das Tier zu be­haupten, wenn es ihn angriff. Er beobachtete es. Ohne die Flügel zu bewegen, zog es einen weiten Kreis, stieg dann auf, bis es et­wa zwanzig Meter über ihm war und stürzte sich auf ihn herab.

Ein schriller Pfiff hallte durch die Höhle. Der messerscharfe Geierschnabel zuckte zur

Seite und fuhr an Axton vorbei. Das Tier zog die Flügel ein und ließ sich abfallen. Erst etwa fünfzig Meter tiefer breitete es die Flügel wieder aus und ging zum Segelflug über.

Axton blickte nach oben. Der Berserker, der versucht hatte, ihn zu

töten, lag auf dem Boden der Hängebrücke. Orzmoran beugte sich über ihn. Seine Hände waren noch jetzt zu Fäusten geballt.

Er hatte den aufsässigen Höhlenbewohner niedergeschlagen und Axton dadurch das Leben gerettet.

Eilig kletterte der Terraner an dem schlüpfrigen Seil in die Höhe. Er hatte das Gefühl, daß er keine Zeit verschwenden durfte. Allzu leicht, so meinte er, konnte sich das Blatt wieder wenden. Er erreichte die Plattform mit der verlassenen Hütte. Kolphyr beugte sich über ihren Rand, packte seine Arme und hob ihn mit spielerisch leichter Bewegung hinauf.

Axton ließ sich auf den Boden sinken. Er blickte zur Hängebrücke hinüber, die beina­he sein Ende bedeutet hätte.

Er brachte kein Wort über die Lippen. Jegliche Kraft schien aus seinem Körper ge­wichen zu sein. Mit Entsetzen dachte er dar­an, wie es ihm ergangen wäre, wenn er sich noch in seinem eigenen, verwachsenen Kör­per befunden hätte.

Vielleicht wäre es dann wieder zu einer Entmaterialisierung gekommen, dachte er.

Vor diesem Gedanken schrak er zurück. Er wollte sich mit aller Macht auf dieser Welt halten, obwohl er sich nicht in seinem eigenen Körper befand. Er glaubte, eine Spur gefunden zu haben, und diese wollte er auf keinen Fall verlieren.

Er ließ sich auf den Boden sinken. Dank­bar nickte er Kolphyr zu. Dieser beugte sich über ihn, nahm seinen Kopf zwischen die mächtigen Hände und drückte ihm die feuchten Lippen auf das Gesicht.

*

Die Vorbereitungen für das Fest gingen

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weiter. Axton-Grizzard versuchte nun, stän­dig in der Nähe von Kolphyr zu bleiben. Er wußte, daß er sich mit den Berserkern auf keinen Kampf einlassen durfte.

Auch Razamon bemühte sich, bei ihm zu bleiben, wurde jedoch immer wieder von Orzmoran weggeholt. Der Anführer der Höhlenbewohner befand sich in einer ausge­zeichneten Stimmung.

»Wir haben schon lange nicht mehr gefei­ert«, rief er Razamon zu. »Du hast uns end­lich einen unwiderlegbaren Grund dazu ge­geben.«

Axton verfolgte das Geschehen und ver­suchte, etwas von der Sprache zu erfassen, doch das gelang ihm nicht besonders gut. Er hatte zwar bald einige einfache Begriffe her­aus, aber das genügte nicht. Für eine Ver­ständigung mit den Berserkern im Notfall reichte es nicht aus, wenn er Ja oder Nein sagen konnte.

Und er ahnte, daß dieser Notfall bald ein­treten würde.

Während er neben dem Geschuppten auf der Plattform saß und die Vorbereitungen für das Fest beobachtete, stellte er fest, daß sich einige Berserker auf einer benachbarten Plattform versammelten. Sie redeten mitein­ander und blickten dabei immer wieder dro­hend zu ihm herüber.

Noch befand sich Kolphyr bei ihm. Hin und wieder war Razamon da. Und Orzmoran schien auch auf ihn zu achten.

Doch was – so fragte sich Axton – würde geschehen, wenn das Fest erst einmal ablief? Würde es berauschende Getränke geben, die dann die noch bestehenden Hemmungen bei einigen Berserkern aufhoben?

Er wurde sich darüber klar, daß er völlig auf sich allein gestellt war. Razamon konnte sich den Festlichkeiten nicht entziehen. Wie Kolphyr reagieren würde, wußte er nicht. Er hatte noch nicht gesehen, daß der Geschupp­te irgend etwas zu sich genommen hatte, während Razamon sich von einer jungen Frau, die er Zorvara nannte, hin und wieder ein Stück gegrilltes Fleisch zustecken ließ.

Immer wieder beschäftigte Axton sich mit

H. G. Francis

der Frage, ob das Wort »Verdammt« ein Zu­fall gewesen war, oder ob es doch aus dem Interkosmo stammte.

Er entschloß sich, Razamon direkt darauf anzusprechen, als Orzmoran Kolphyr von drei Frauen abholen und über einige Hänge­brücken zu einer anderen Plattform bringen ließ. Gleichzeitig bedeutete der Anführer der Berserker Axton, daß er sich keine Sorge zu machen brauchte. Seine Gesten sagten, er habe alles unter Kontrolle, und niemand werde es wagen, ihn noch einmal anzugrei­fen.

Axton antwortete mit einer freundlichen Geste, glaubte Orzmoran jedoch nicht.

Er erhob sich und ging zu Razamon. Doch im gleichen Moment kam auch das Mädchen Zorvara zu dem Atlanter, hakte sich lachend bei ihm unter und entfernte sich mit ihm. Axton blickte ihnen nach.

Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte sich so absichern, daß jeder Angriff auf ihn von vornherein aussichtslos wurde. Er zog sich nun auf eine höher gelegene Plattform zurück. Sie war ihm aufgefallen, weil sie von den Höhlenbewohnern nicht beachtet wurde. Als er sie über eine Hängebrücke er­reichte, wußte er auch, warum. Sie war alt und brüchig. Es knisterte im Gestein, als er sie betrat.

Axton lächelte zufrieden. Diese Plattform war genau richtig für ihn. Wenn man ihn hier angriff, würde die Plattform zu stark be­lastet werden und abbrechen. Er stellte fest, daß er sich in einer solchen Situation an ei­nigen Stricken festhalten konnte.

In der halbverfallenen Hütte auf der Platt­form fand er einige Töpfe, Felle, Tuche und ein Messer. Er steckte das Messer zu sich und setzte sich an den Rand der Plattform.

Er wartete ab. In den ersten Minuten blickten die Berser­

ker noch zu ihm hoch. Sie waren überrascht, daß er sich diese Plattform ausgesucht hatte. Razamon begriff jedoch, welche Absicht er damit verfolgte, und er gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, daß er einver­standen war.

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31 Die Höhle der Berserker

Dann ließ das Interesse der Höhlenbe­wohner nach. Axton begann damit, die Tra­geseile der Hängebrücke mit dem Messer zu bearbeiten. Dabei ging er so vorsichtig vor, daß keiner der Berserker etwas bemerkte.

Die Höhlenbewohner zündeten Feuer auf einigen benachbarten Plattformen an, stell­ten Sitzmöbel auf oder breiteten Felle auf dem Boden aus und brachten große Krüge mit Getränken.

Dann wurde es still. Die Höhlenbewohner rückten eng zusammen. Sie setzten sich. Nur Orzmoran blieb stehen. Er ließ sich einen Krug reichen und hielt eine Rede. Axton er­faßte nur, daß Orzmoran von Razamon sprach und ihn zu seiner Rückkehr beglück­wünschte. Dann prostete er Razamon mit dem Gebräu zu, das er Arzer-Tyrs nannte.

Die Männer und Frauen tranken. Danach blickte Orzmoran zu Axton hoch,

sagte etwas zu einem zierlichen Mädchen, und dieses eilte mit einem kleinen Krug zu ihm. Dem Terraner stockte der Atem. Das Mädchen wollte ihm etwas zu Trinken brin­gen. Dabei mußte es über die Hängebrücke, die er beschädigt hatte.

Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte ihr entgegengehen.

Vorsichtig stieg er auf die Brücke, wobei er die Füße so setzte, daß die geschwächten Stellen am wenigsten belastet wurden. Das Mädchen lächelte freundlich. Es war völlig ahnungslos. Wenn die Brücke unter ihr wegsackte, würde sie völlig überrascht wer­den.

Axton spürte, daß einige der Stricke ris­sen. Das Mädchen blieb stehen. Ihre Augen weiteten sich. Sie begriff. Ängstlich setzte sie den Krug ab, flüchtete jedoch nicht, son­dern wartete, bis er bei ihr war. Er nickte ihr dankend zu und lächelte beruhigend. Dann hob er den Krug auf und trank etwas.

Überrascht stellte er fest, daß das Getränk keinerlei Eigengeschmack hatte. Er setzte den Krug wieder ab. Das Mädchen eilte da­von. Axton ließ den Krug stehen und kehrte zur Plattform zurück. Dabei riß ein weiterer Strick, die Brücke stürzte jedoch nicht ein.

Die anderen Berserker hatten nichts be­merkt. Sie konzentrierten sich auf ihr Fest, während Axton darüber nachdachte, daß sie etwas tranken, was ohne Geschmack war. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ihm bewußt wurde, daß er sich geirrt hatte. Während er bereits eine berauschende Wirkung verspür­te, sagte er sich, daß Arzer-Tyrs sicherlich ein schmackhaftes Getränk war, daß seine Geschmacksnerven jedoch versagt hatten.

Er dachte über sich und seinen Körper nach, während unter ihm das Fest weiter­ging. Ihm fiel nicht auf, daß einige weiße Geier ihre Horste hoch über ihm verließen und im Inneren der Höhle zu kreisen began­nen.

Wieso war er nackt gewesen? Warum be­herrschte er die Sprache der Männer nicht, in dessen Wagen er gewesen war? Wieso war er überhaupt bei ihnen gewesen? Hatten sie ihn irgendwo aufgelesen? War er ausge­raubt worden? Wieso beherrschte er seinen Körper nicht immer? Warum versagten die Geschmacksnerven? Hatte dieser Körper keine, oder aktivierten sie sich nur allmäh­lich?

Das waren alles Fragen, auf die er keine Antwort wußte. Dabei fühlte er, daß es wichtig für ihn war, möglichst bald die rich­tigen Antworten zu bekommen.

Als er aufblickte, stellte er fest, daß mehr als zehn Geier in der Höhle kreisten. Die großen, weißen Vögel schwebten in majestä­tischer Ruhe durch die Höhle, wichen den Seilen scheinbar mühelos aus und schienen schwerelos zu sein. Weitere Stormocks ge­sellten sich zu ihnen. Axton zählte schon bald zwanzig, dann dreißig Vögel.

Voller Unbehagen beobachtete er sie. Die feiernden Männer und Frauen blick­

ten nur hin und wieder auf das seltsame Schauspiel, das die Tiere ihnen boten. Ab und zu gellte ein Pfiff durch Kelschostra. Dann stiegen die Geier höher auf, und weite­re Vögel stießen zu ihnen.

Axton zog sich bis zum Eingang der Hüt­te zurück. Er stellte fest, daß das Fenster mit Tüchern verhängt war. Die Tür bildete den

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einzigen Eingang. Voller Unruhe fragte er sich, was er tun

sollte, falls die Stormocks sich auf ihn stürz­ten.

6.

Razamon war arglos. Er beobachtete das Schauspiel der in der

Höhle kreisenden Vögel, ohne an eine Ge­fahr zu denken. Ihm war zwar aufgefallen, daß die Höhlenbewohner Grizzard haßerfüllt gegenüberstanden. Der Angriff auf Grizzard hatte ihn erschreckt, aber da Orzmoran ihm versicherte, daß nun alles in Ordnung sei, glaubte er an keine weitere Gefahr.

Außerdem zeigte das Mädchen Zorvara starkes Interesse für ihn, und er ließ sich gern durch sie ablenken.

»Die Männer werden einen Scheinkampf in der Höhle zeigen«, verkündete Orzmoran. »So etwas hast du noch nicht gesehen.«

»Wann wird das sein?« »Sobald wir genügend Krüge geleert ha­

ben«, antwortete der Anführer der Berserker vergnügt.

Einige Frauen erschienen im Kreis der Männer. Sie spielten auf hölzernen Instru­menten, denen sie eine fröhliche Melodie entlockten. Ein Pfiff ertönte, der sich in die Melodie einfügte. Die Geier begannen, mit den Flügeln zu flattern. Sie stiegen auf.

Razamon blickte nach oben. Er spürte die Wirkung des Alkohols. So dauerte es einige Zeit, bis er erkannte, daß die Stormocks die Plattform angriffen, auf die Grizzard sich zurückgezogen hatte.

Er sprang auf. Das Lachen auf dem Gesicht Orzmorans

erstarb. Er erhob sich ebenfalls. Razamon konnte Grizzard sehen, der mit

einem großen Tuch um sich schlug. Er stand mitten im Vogelschwarm und trieb die wild flatternden Geier immer wieder zurück. Die Stormocks versuchten, ihn mit Schnabelhie­ben zu erreichen.

Orzmoran pfiff auf den Fingern, doch nur einige der Tiere gehorchten. Die meisten

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griffen Grizzard weiter an. Dieser zog sich bis in den Eingang der Hütte zurück. Er kämpfte verbissen weiter. Razamon hielt es nicht mehr auf seinem Platz. Er rannte über eine schwankende Hängebrücke und hangel­te sich an Seilen bis zur nächsten Plattform hoch. Nun trennten ihn nur noch zwei Hän­gebrücken von Grizzard.

Grizzard schrie ihm etwas zu. Razamon stutzte. Er glaubte gehört zu haben: »Bleib dort!«

Doch das konnte nicht sein. Er war über­zeugt, sich in all dem Lärm, den die kämp­fenden Vögel und die wütend schreienden Berserker in der Höhle veranstalteten, ver­hört zu haben.

Ein brennender Pfeil stieg auf. Gleichzei­tig pfiff Orzmoran auf den Fingern.

Mit einem Schlag zogen sich die Geier von Grizzard zurück. Der Pfeil fuhr einem von ihnen durch die Federn eines Flügels und versengte ihn. Schreiend ließ sich das Tier in die Tiefe fallen. Es fing sich erst et­wa hundert Meter tiefer wieder ab.

Grizzard sank erschöpft auf die Knie. Razamon sah, daß er heftig atmete. Seine Kleidung war zerrissen. An der Schulter hat­te er eine blutige Wunde, sonst aber hatte er den Kampf gut überstanden.

»Razamon, komm her zu mir«, schrie Orzmoran. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ihm wird nichts geschehen.«

Razamon nickte Grizzard zu. Er glaubte nicht, daß sich ein Gespräch mit ihm jetzt lohnte. Für ihn war Grizzard einer der Schlä­fer. Daher glaubte er, daß eine Unterhaltung mit ihm ein hohes Maß an Konzentration er­forderte, zumal er von erheblichen Verstän­digungsschwierigkeiten ausgehen mußte.

Er kehrte zu Orzmoran und Zorvara zu­rück. Der Anführer der Berserker entschul­digte sich bei ihm.

»Trink Arzer-Tyrs«, rief sie und reichte ihm einen gefüllten Becher.

»Nicht ohne dich«, entgegnete er und wartete, bis sie sich ebenfalls einen Becher gefüllt hatte.

»Da möchte ich mich aber anschließen«,

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33 Die Höhle der Berserker

bemerkte Orzmoran. Zorvara bediente ihn. »Auf eine gute Zukunft«, rief Razamon. »Auf eine gute Zukunft«, antwortete der

Anführer der Berserker und trank zusammen mit Razamon und Zorvara die Becher aus.

Razamon deutete nach oben. »Deine Leu­te scheinen ihn nicht zu mögen«, sagte er.

»Er ist nicht wie wir, uns aber doch ähn­lich«, versetzte Orzmoran unwillig. »Das ist alles.«

»Ich konnte nicht wissen …«, begann Razamon, aber Orzmoran unterbrach ihn so­fort wieder.

»Es ist nicht deine Schuld, daß er hier ist«, sagte er. »Ich habe euch hierher ge­bracht. Nicht nur dich und den grünen Exo­ten, sondern auch ihn. Meine Leute werden das akzeptieren. Es dauert nur ein bißchen bei ihnen, bis sie soweit sind.«

Razamon glaubte ihm. Das dunkle Ge­bräu, das Zorvara ihm immer wieder reichte, tat seine Wirkung.

Ein Schrei ertönte. Augenblicklich trat Stille ein. Razamon blickte nach oben, als er sah, daß es die anderen auch taten. Hoch über ihnen an der höchsten Wölbung der Höhlendecke stand ein junger Mann auf ei­nem Felsvorsprung. Zu seinen Füßen kauer­ten vier Stormock-Geier.

»Was hat er vor?« fragte Razamon, der befürchtete, daß der Junge betrunken war und nicht mehr wußte, was er tat.

»Warte ab und paß auf. Es lohnt sich«, er­widerte Orzmoran. Er stand auf und reckte die Arme in die Höhe. Dann antwortete er mit einem lauten Pfiff.

Die Männer und Frauen standen schwei­gend auf. Sie traten an die Ränder der Platt­formen heran.

Orzmoran pfiff abermals. Der junge Mann an der Höhlendecke brei­

tete die Arme wie ein Vogel aus und stieß sich ab. Er stürzte in die Tiefe und riß die vier weißen Geier mit. Sie waren mit dünnen Seilen mit ihm verbunden.

Razamon hielt den Atem an. Er erriet, was der Junge vorhatte, glaubte aber nicht daran, daß er es schaffen konnte. Immer

schneller stürzte der Junge an Razamon vor­bei. Die Stormocks flatterten wild mit den Flügeln, konnten den Sturz aber noch nicht aufhalten.

Razamon beugte sich ebenso wie die an­deren über den Rand der Plattform und blickte nach unten. Er war entsetzt über das, was der Springer wagte.

Hundert Meter unter Razamon verlang­samte sich der Sturz deutlich, ging aber im­mer noch weiter.

Die Männer und Frauen in der Höhle be­gannen zu schreien, als dem Springer nur noch fünfzig Meter bis zum felsigen Boden der Höhle blieben. Der Flügelschlag der Stormocks war langsamer, zugleich aber auch wirksamer geworden. Etwa fünf Meter über dem Boden hatten die Vögel den Sturz endlich abgefangen. Der jugendliche Berser­ker sank jedoch noch bis zum Boden herun­ter. Razamon sah, daß er ihn mit den Füßen berührte, in den Knien einknickte und sich danach kräftig abstieß. Er schrie triumphie­rend auf. Die vier weißen Geier hoben ihn mit mächtigem Flügelschlag an. Sie stiegen mit ihm auf.

Die Berserker jubelten. Sie trampelten be­geistert mit den Füßen, so daß die Plattfor­men zu schwingen begannen. Razamon be­fürchtete, sie könnte abreißen und abstürzen, aber die Höhlenbewohner fühlten sich voll­kommen sicher auf ihnen.

Sie jubelten, bis der Springer eine Platt­form erreicht und sich von den Stormocks befreit hatte. Ein Mädchen reichte ihm einen Krug. Er trank ihn aus, ohne einmal abzuset­zen und erntete dafür noch einmal Beifall.

*

Axton beobachtete das Geschehen von seiner Plattform aus. Er war froh, daß sich die allgemeine Aufmerksamkeit von ihm ab­wandte. Er hoffte, daß die feiernden Berser­ker ihn allmählich vergessen würden.

Doch schon bald bemerkte er, daß das nicht der Fall war. Ihm fielen einige junge Männer auf, die zusammensaßen, miteinan­

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der tranken und hin und wieder zu ihm hin­aufblickten. Einige von ihnen machten Ge­sten, die absolut eindeutig waren. Sie woll­ten ihn mit einem Messer töten.

Axton beschloß, Razamon zu sich zu ru­fen und um Hilfe zu bitten. Da es ihm zuvor nicht gelungen war, einige Worte in Inter­kosmo zu formulieren, übte er in seiner Hüt­te einige Worte. Doch wiederum zeigte sich, daß er den neuen Körper nur unzureichend beherrschte. Die Muskulatur der Zunge war so vielfältig und kompliziert, daß es beson­ders schwer war, sie richtig zu steuern.

Er brachte nicht mehr als unartikulierte Laute hervor.

Unter diesen Umständen konnte er nicht in der Höhle bleiben. Die Sicherung mit den angeschnittenen Seilen reichte nicht. Wenn die Berserker ihn angreifen wollten, konnten sie sich von den Geiern zu ihm tragen las­sen.

Axton kroch bis zum Rand der Plattform vor und blickte nach unten. Die Berserker schwatzten wild durcheinander. Alle saßen an Feuern, aßen und tranken. Die Frauen be­dienten die Männer. Das Bild war friedlich.

Axton drehte sich um, weil er sehen woll­te, auf welche Weise er Kelschostra am be­sten verlassen konnte. Da entdeckte er einen Mann, der bäuchlings über eine Hänge­brücke auf ihn zukroch. Es war die Hänge­brücke, die er beschädigt hatte. Der Berser­ker wußte offenbar Bescheid, daß es darauf ankam, das Gewicht zu verteilen, um die einzelnen Seile auf diese Weise zu entlasten.

Axton sprang hoch. Er warf sich zur Hän­gebrücke hinüber. Dabei riß er das Messer heraus.

Der Angreifer kroch schneller. Axton rutschte etwa einen Meter über den Boden, erreichte die Hängebrücke und hieb das Messer in eines der angeschnittenen Seile. Der Berserker erkannte die Gefahr und ver­suchte, sich auf ihn zu schnellen.

Die Seile rissen. Die Brücke sackte ab. Der Angreifer warf sich herum und griff blitzschnell in die Seile. Er schwang mit der abbrechenden Brücke zurück. Wütend

H. G. Francis

schreiend drohte er Axton mit der Faust. Der Terraner hockte auf dem Boden und

senkte den Kopf. Er hatte Glück gehabt. Hätte er den Angreifer Sekunden später erst bemerkt, dann wäre alles zu spät gewesen.

Er blickte zu den anderen Höhlenbewoh­nern, doch diese hatten nichts bemerkt. Nur in der Gruppe der jüngeren Männer, die Ax­ton schon vorher aufgefallen war, hatte man beobachtet, was geschehen war. Die Männer steckten die Köpfe zusammen, während der gescheiterte Angreifer sich an den Seilen nach unten hangelte und zu seinen Freunden zurückkehrte. Als er eine der Plattformen er­reichte, blieb er schwankend stehen.

Er war betrunken, doch das hatte ihn beim Klettern kaum gestört. Axton erschauerte. Diese Männer waren noch weitaus gefährli­cher, als er angenommen hatte.

Sein Messer war mit der Brücke ver­schwunden. Er war waffenlos. Noch immer hoffte er, Razamon auf sich aufmerksam machen zu können. Deshalb setzte er sich auf den Rand der Plattform und wartete, bis der Düstere nach oben blickte. Rasch gab er ihm mit den Händen ein Zeichen, doch Raz­amon beachtete sie nicht. Er stand schon zu sehr unter dem Einfluß des berauschenden Getränks.

Axtons Hoffnung, Kolphyr irgendwie an­sprechen zu können, erfüllte sich auch nicht. Der Bera lag auf einem Fellbündel vor einer Hütte und schlief.

Axtons Blicke glitten an den Felsen hoch bis zu einer Öffnung über seiner Hütte. An einigen Vorsprüngen konnte er hochsteigen und dann versuchen, über die verschneiten und vereisten Flanken des Berges zu ent­kommen.

Auf den ersten Metern war er durch die Plattform und die Hütte gedeckt. Erst auf den letzten beiden Metern konnten die Ber­serker ihn sehen. Er mußte diese Distanz schnell überwinden, damit sie gar nicht erst einen Angriff gegen ihn starten konnten.

Er zog sich bis zur Felswand zurück und kletterte an ihr hoch. Schon auf dem unter­sten Stück merkte er, daß er sich verschätzt

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hatte. Es war weitaus schwerer, sich in der steil aufsteigenden Wand zu halten, als er gedacht hatte. Doch er gab nicht auf.

Er mußte etwa zwölf Meter hoch klettern. Ein Sturz aus dieser Höhe bedeutete das si­chere Ende. Doch er hatte keine Wahl. Er wußte, daß er die Nacht auf der Plattform auch nicht überlebt hätte.

Er blickte nicht nach unten, sondern ar­beitete sich konzentriert nach oben, ohne an etwas anderes zu denken. Dann lagen die letzten beiden Meter vor ihm. Er spürte, daß ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Jetzt kam es darauf an.

Jeden Moment glaubte er, den wütenden Schrei zu vernehmen, der ihm anzeigte, daß man seine Flucht entdeckt hatte. Doch unter ihm änderte sich nichts am Lärm der feiern-den Höhlenbewohner. Sie sangen, lachten und brüllten durcheinander. Niemand be­merkte etwas.

Axton erreichte die Öffnung, kroch hinein und blieb erschöpft liegen. Sein Atem ging schnell und keuchend. Er spürte, daß er vor Schwäche zitterte, doch die Schwäche ver­ging rasch.

Nach etwa drei Minuten drehte er sich um und kroch so weit zurück, daß er in die Höh­le sehen konnte. Er atmete auf.

Die Berserker schienen ihn nach dem letz­ten, gescheiterten Angriff vergessen zu ha­ben.

Axton kroch nun in dem Felsgang weiter, bis er an eine Schneedecke stieß. Er schlug die Faust dagegen und schuf eine Öffnung, die groß genug für ihn war.

Draußen war es dunkel, aber nicht so dun­kel, daß er überhaupt nichts mehr sehen konnte. Der Schnee schien aus sich selbst heraus zu leuchten und ein gespenstisches Licht zu verbreiten.

Er pfiff vergnügt durch die Zähne. Er hat­te es geschafft. Er war frei und brauchte sich vor einer Bedrohung durch die Berserker nicht mehr zu fürchten.

Er nahm etwas Schnee auf und schob ihn in den Mund, um seinen Durst zu löschen.

Dann sah er sich um. Weit unter ihm la­

gen die Tannenwälder. Diese wollte er vor allem erreichen. Er machte sich noch keine Gedanken darüber, was später sein würde. Zunächst einmal wollte er nur den lebensge­fährlichen Bereich der Berserker verlassen.

Er bedauerte, daß er Spuren hinterließ, aber das konnte er nicht ändern.

Der Hang, auf dem er sich befand, fiel steil ab. Axton hätte springend und rut­schend schnell vorankommen können, doch er wollte kein Risiko eingehen. Allzu groß war die Gefahr, daß er dabei plötzlich über die Kante eines senkrecht abfallenden Ab­hangs geriet und abstürzte.

Er war etwa fünf Minuten lang abgestie­gen, als er merkte, daß er die richtige Ent­scheidung getroffen hatte. Er stand plötzlich an einem Abhang und wäre rettungslos ver­loren gewesen, wenn er zu unvorsichtig ge­wesen wäre. Er zog sich Schritt für Schritt zurück. Um den Schnee nicht in Bewegung zu setzen, ging er langsam und achtete dar­auf, daß nichts unter seinen Füßen weg­rutschte. Er benötigte noch fast fünf Minu­ten, bis er endlich einen Felsen erreicht hat­te, hinter dem er sicher war. Aufatmend lehnte er sich dagegen.

Etwas strich über ihn hinweg. Er blickte hoch, konnte jedoch nichts ent­

decken. Dennoch war er sich dessen sicher, daß irgend etwas in seiner Nähe war. Er glaubte, etwas rauschen gehört zu haben.

Konzentriert horchend wartete er ab. Und wenig später spürte er, daß sich ihm etwas Großes näherte. Er glaubte, den veränderten Luftdruck fühlen zu können, der durch das große Wesen hervorgerufen wurde. Rasch ließ er sich auf die Knie fallen und hob die Arme über den Kopf.

Wiederum glitt etwas über ihn hinweg, und etwas Hartes streifte seine Hand.

Axton riß die Augen auf. Die Dunkelheit schien undurchdringlich zu werden, so als ob ein schwarzer Vorhang heruntergegangen wäre. Verzweifelt fragte er sich, ob es auf dieser Welt keinen Mond gab, und ob sie zu weit von anderen Sternen entfernt sei, als daß man diese sehen könnte.

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Dann aber wurde es wieder heller. Der Schatten schien zu weichen, ohne daß der Terraner erkennen konnte, ob er wirklich da gewesen war oder nicht.

Ein Schrei ertönte, wie er ihn noch nie zu­vor gehört hatte. Er war ungemein wild und urtümlich, und er stammte gewiß nicht von einem Vogel.

Axton spürte, daß sich ihm die Haare sträubten.

Er hielt es nicht mehr bei dem Felsen aus. Für ihn gab es nur eine Möglichkeit. Er mußte zur Höhle der Berserker zurückkeh­ren und in der Öffnung über seiner Hütte den Tag abwarten. Dann erst durfte er flie­hen. Mitten in der Nacht war die Gefahr zu groß.

Mühsam kämpfte er sich durch den Schnee voran. Seine Füße sackten tief ein, so daß jeder Schritt zur Qual wurde. Dabei blickte er sich ständig um.

Er arbeitete sich immer näher an die Spur heran, die er bei seinem Abstieg hinterlassen hatte, weil sie ihm anzeigte, woher er ge­kommen war.

Aus der Tiefe hallte wiederum jener fremdartige Schrei zu ihm herauf, der ihm schon einmal Rätsel aufgegeben hatte. Er glaubte, heraushören zu können, daß er sich ihm näherte. Er fuhr herum und setzte sich in den Schnee. Die Welt schien nur als schwarz und weiß zu bestehen, ohne daß ein Übergang erkennbar gewesen wäre.

Wieder spürte er, daß sich ihm etwas nä­herte. Instinktiv streckte er die Arme aus und spreizte die Finger. Er hörte ein seltsa­mes Rauschen, und plötzlich tauchten zwei große, rote Augen aus der Dunkelheit auf.

Axton warf sich zur Seite, stützte sich mit den Händen ab und stieß mit beiden Beinen nach oben. Er fühlte, daß seine Hacken ge­gen etwas Hartes stießen. Ein wilder Schrei ertönte direkt über ihm. Er war schrill und drohend.

Axton schlug mit beiden Beinen um sich, und er traf abermals. Irgend etwas stürzte in den Schnee.

Er richtete sich keuchend auf. Unwillkür-

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lich weitete er die Augen in der Hoffnung, besser sehen zu können. Er hielt die Hände schützend vor das Gesicht.

Aus dem Schnee heraus schoß etwas auf ihn zu. Er fühlte, wie hornige Finger seine Hände umklammerten, und etwas Hartes schlug von oben gegen seinen Schädel. Ax­ton fühlte sich hochgerissen. Er warf sich hin und her, konnte sich aber nicht im Schnee halten. Er rutschte aus, überschlug sich und glitt auf dem Schneebrett in die Tiefe. Sein unheimlicher Gegner klammerte sich an ihn und versuchte, ihn zu betäuben, indem er ihm immer wieder auf den Kopf schlug.

Entsetzt dachte Axton daran, daß er sich dem Abhang näherte. Die Angst vor dem tödlichen Absturz steigerte seine Kräfte. Er konnte eine Hand aus der Umklammerung lösen. Er holte aus und schlug mit voller Kraft zu. Seine Faust schien gegen eine Hornwand zu prallen.

Das Tier, das ihn angefallen hatte, schrie wild auf. Nun löste sich auch die zweite Krallenhand von ihm. Er fühlte, daß ihm Flügel ins Gesicht schlugen, und ein Dorn riß ihm die Wange auf. Dann stürzte das un­heimliche Wesen über den Schnee in die Tiefe. Es überschlug sich immer wieder. Das konnte er deutlich erkennen.

Und plötzlich – gar nicht so weit von ihm entfernt – verschwand es.

Axton begriff. Der Abhang war fast er­reicht. Das geflügelte Wesen konnte sich retten, so wie die Stormock-Geier es getan hatten, die von dem Springer in der Höhle mitgezerrt worden waren. Er aber hatte kei­ne Chance mehr, wenn er den Abhang erst einmal erreicht hatte.

Panikartig stemmte er die Füße in den Schnee. Er rutschte in seiner alten Spur mit ständig wachsender Geschwindigkeit nach unten. Er erfaßte, welchen Fehler er machte, und warf sich aus der Spur heraus. Er krallte sich mit den Fingern in den Schnee, stieß die Beine nach unten und beendete seinen Sturz kurz vor dem Abgrund.

Dieses Mal kroch er schneller nach oben.

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37 Die Höhle der Berserker

Der Schnee rutschte unter ihm weg, aber er arbeitete sich so energisch voran, daß er aus der Gefahrenzone geriet.

Er hielt inne, als er plötzlich den wilden Schrei des Tieres aus der Tiefe hörte.

Mittlerweile war er sich klar darüber, daß er es mit einer Flugechse zu tun hatte. Sie war nicht besonders groß. Er schätzte, daß sie kleiner als die ausgewachsenen Stor­mocks der Berserker war. Dennoch war sie ungemein gefährlich.

Er wunderte sich darüber, daß sie wäh­rend der kühlen Nacht angriff. Das war sonst nicht die Art der Flugechsen, die zu den Reptilien gehörten und bei absinkenden Temperaturen in einer Schlafstellung erstarr­ten.

Doch dieses allgemeine Bild galt nur auf der Erde. Axton war auf vielen Welten ge­wesen, auf denen er Flugechsen ganz ande­rer Art begegnet war. Sie hatten zwar wie Reptilien ausgesehen, waren aber keine ge­wesen und hatten sich daher in ihrem Ver­halten deutlich vom sonst gültigen Bild der Flugechsen unterschieden.

Das war hier auch der Fall. Die Echse verfügte über einen besonderen Kälteschutz. Sie hatte jedoch kein Gefieder. Das wußte Axton genau, da er ihren Körper in seinen Händen gefühlt hatte.

Der Schrei verriet ihm, daß die Echse den Sturz lebend überstanden hatte. Er mußte mit weiteren Angriffen rechnen.

Je näher Axton seinem Ziel kam, desto beschwerlicher wurde der Aufstieg. Immer wieder rutschte er ab, so daß er nur langsam vorankam. Allmählich wurde es ein wenig heller, so daß Axton die Flugechse sehen konnte, als sie lautlos heranglitt. Sie flog et­wa zwei Meter über der Schneedecke, hatte eine Spannweite von mehr als vier Metern, ihr Körper aber war kleiner, als er erwartet hatte.

Axton erkannte, daß er den Felsgang nicht mehr rechtzeitig erreichen, und daß er einem Kampf mit der Echse nicht ausweichen konnte. Er verharrte auf einer Stelle, die ihm günstig erschien und wartete auf den An­

griff. Die Sicht war immer noch schlecht. Den­

noch waren die Voraussetzungen wesentlich besser als zuvor.

Die Flugechse umkreiste ihn in weitem Bogen. Als sie über einen überhängenden Felsen flog, machte Axton eine Entdeckung. Vom Felsen hingen lange Eiszapfen herun­ter. Sie erschienen ihm wie Dolche. Eilig verließ er den Platz, den er sich ausgesucht hatte, und wenig später hielt er einen Eiszap­fen von etwa dreißig Zentimetern Länge in der Hand. Er war so hart, daß er nicht so leicht brach, wenn er damit zustieß.

Die Flugechse schien seinen Plan zu erra­ten. Sie griff plötzlich an, als wolle sie ver­hindern, daß er sich im letzten Moment noch mehr Waffen besorgte.

Lebo Axton erwartete sie. Er war jetzt völlig ruhig. Er hatte das Gefühl, seinen neuen Körper perfekt zu beherrschen. Die Flugechse flog in einer flachen Kurve an, stieg dann kurz vor ihm steil auf und ließ sich mit angezogenen Flügeln und ausge­streckten Krallen abfallen. Axton sah, wie sie den langgezogenen Rachen öffnete. Scharfe Zähne drohten.

Er ließ sich jedoch nicht ablenken, son­dern stieß ihr den Eiszapfen mitten in die Brust. Das Eis drang ein und tötete das Tier auf der Stelle. Warmes Blut floß dem Terra­ner über die Hände. Er schleuderte die Echse von sich.

Tief unter ihm fiel sie in den Schnee, roll­te weiter, nahm dabei Schnee auf und löste eine kleine Lawine aus, die rauschend über der Felskante verschwand.

Axton säuberte seine Hände im Schnee und stieg beruhigt weiter auf. Er war davon überzeugt, daß er nicht mehr mit einem An­griff zu rechnen brauchte. Hin und wieder sah er sich um, doch alles blieb ruhig. Er er­reichte den Felsgang, kroch hinein und streckte sich darin aus. Von innen schlug ihm angenehm warme Luft entgegen. Er schob sich bis zur Felskante voran und blickte nach unten. Die Berserker waren noch lauter als zuvor. Und alle standen unter

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dem bewußtseinstrübenden Einfluß des Ge­bräus, das sie aus Krügen tranken.

Doch darauf achtete Axton gar nicht. Er blickte senkrecht nach unten. Unter ihm hät­te eigentlich eine kleine Plattform mit einer Hütte darauf sein müssen. Sie war jedoch nicht mehr vorhanden. Ihre Trümmer lagen mehr als zweihundert Meter unter ihm auf dem Grund der Höhle.

7.

Der Schrei ließ Axton zusammenfahren. Es war der Schrei einer Flugechse, doch

er klang wesentlich lauter als der der ande­ren. Unwillkürlich blickte der Terraner zu den Berserkern hinunter. Diese reagierten nicht auf den Schrei. Sie fühlten sich nicht bedroht.

Axton drehte sich um und kroch bis zum Ausgang zurück. Vorsichtig spähte er hin­aus. Es war wiederum heller geworden. Die Sicht reichte nun schon fast bis ins Tal der Fichtenwälder.

Eine riesige Flugechse glitt über die schneebedeckten Hänge. Axton schätzte, daß sie eine Flügelweite von mehr als zwan­zig Metern hatte. Ansonsten glich sie der kleineren Echse völlig.

Es ist die Mutter, die ihr Junges sucht, dachte er.

Sie machte eine Fortsetzung der Flucht unmöglich. Er mußte warten, bis sie sich zu­rückgezogen hatte. Doch schien es, als habe er durch den Absturz der Plattform Zeit ge­wonnen. Er drehte sich erneut um und kroch wieder in den Gang hinein, weil es dort wär­mer war.

Er wurde müde. Jetzt merkte er, wie sehr ihn der Fluchtversuch angestrengt hatte. Er legte sich auf den Bauch und schloß die Au­gen. Wenig später war er bereits eingeschla­fen.

Er wachte auf, als ihn etwas am Fuß be­rührte. Erschreckt fuhr er hoch. Er blickte der Flugechse direkt in die Augen. Zischend schnappte sie nach ihm, während sie sich mühsam durch den Gang voranschob.

H. G. Francis

Axton sprang entsetzt auf. Er wich vor dem Raubtier zurück. Hilfesuchend blickte er in die Höhle. Er sah, daß die meisten Männer betrunken auf den Plattformen lagen und schliefen. Nur noch zehn Männer waren wach, aber sie waren so betrunken, daß er von ihnen keine Hilfe zu erwarten hatte. Un­ter ihnen befand sich auch Razamon, der sichtlich Mühe hatte, sich aufrecht zu halten.

Von Kolphyr war nichts zu sehen. Axton fuhr herum, drückte die Hände ge­

gen die Felswände und stieß mit den Füßen nach der Flugechse. Zischend schnappte sie nach ihm, ohne auch nur einen Zentimeter zurückzuweichen. Dabei zwängte sie sich weiter durch den Felsgang auf ihn zu.

Axton wich zurück. Nur noch zwei Meter trennten ihn von

dem Abgrund. Er erfaßte, daß er das Tier nicht zurücktreiben konnte. Er mußte den Abstieg versuchen.

Kurzentschlossen schob er sich mit den Füßen voran über die Kante und suchte nach einem Vorsprung, auf den er sich abstützen konnte. Es schien, als sei die Wand inzwi­schen völlig glatt geworden. Axton begann zu schwitzen. Situationen wie diese waren ihm fremd. Er war körperliche Anstrengun­gen nicht gewohnt. Der neue Körper hielt diesen Belastungen zwar mühelos stand, doch war der psychische Druck entschei­dend. Als er in seinem verwachsenen Körper lebte, hatte Axton dafür gesorgt, daß solche Situationen gar nicht erst entstanden. Er hat­te alle Einsätze so gut vorbereitet, daß kör­perliche Belastungen von dem Roboter Gentleman Kelly übernommen wurden. Ge­fahrenmomente dieser Art schieden dadurch von vornherein aus. Dennoch hatte es hin und wieder auch Zwischenfälle gegeben, die körperliche Anstrengungen von ihm ver­langten. Selbst in ihnen hatte jedoch stets ei­ne intellektuelle Leistung den Ausschlag ge­geben.

Jetzt kam es nur auf körperlich richtige Reaktionen an.

Axton zwang sich zur Ruhe. Die Echse war nur noch einen halben Meter von ihm

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entfernt, als sein Fuß endlich Halt fand. Er blickte nach unten und setzte auch den ande­ren Fuß auf. Erleichtert ließ er sich absin­ken, kletterte etwa zwei Meter tiefer und war damit der Echse vorläufig entkommen.

Er war sich jedoch darüber klar, daß er keine Pause einlegen durfte. In weniger als zwei Minuten würde die Echse frei sein, in die Höhle stürzen und sich dann ein Opfer aussuchen. Wenn er dann noch an der Wand hing, mußte sie ein Angriff auf ihn mehr rei­zen als eine Attacke auf die Schlafenden.

Dennoch ließ Axton sich nicht dazu ver­führen, überhastet abzusteigen.

Als die Flugechse den Kopf aus der Öff­nung schob, befand er sich fast fünfzehn Meter unter ihr. Er war noch annähernd vier Meter von Seilresten entfernt, die an Eisen­ringen an der Wand hingen. Er sah, daß er sich an ihnen entlanghangeln und zu einer Hängebrücke retten konnte, die etwa zwan­zig Meter seitlich von ihm lag.

Die Zeit wurde knapp. Axton stieß einige gellende Schreie aus,

weil er hoffte, dadurch die weißen Geier aufzuschrecken, aber es schien, als seien diese Tiere ebenso alkoholisiert wie die Männer und Frauen. Sie kauerten in ihren Horsten und schliefen. Den Feind bemerkten sie nicht.

Und auch die Berserker reagierten nicht auf die Schreie des Terraners. Dieser be­fürchtete, daß es ein Blutbad unter den Höh­lenbewohnern geben würde, wenn die Flug­echse erst einmal angriff. Verzweifelt fragte er sich, warum nicht wenigstens der Ge­schuppte aufwachte. Dieser konnte nicht be­trunken sein, denn er hatte nicht gesehen, daß Kolphyr irgend etwas zu sich genom­men hatte.

Als die Flugechse mit dem ganzen Körper aus dem Gang heraus war, sich nach vorn fallen ließ und mit ausgebreiteten Flügeln in die Höhle fiel, hatte Axton die Seile endlich erreicht.

Er blickte über die Schulter und beobach­tete das riesige Tier, das sich überraschend geschickt in dem Gewirr der Hängebrücken

und Zugseile bewegte, ohne irgendwo anzu­stoßen. Es flog einen weiten Kreis.

Axton hangelte sich an den Seilen ent­lang. Er kämpfte sich mit aller Energie vor­an. Es kam auf jede Sekunde an, denn wenn die Flugechse ihren Kreis vollendet hatte, würde sie angreifen. Daran zweifelte er nicht.

Axton sah, wie sie kam und die gewalti­gen Füße mit den messerscharfen Krallen ausstreckte. Zwei Meter trennten ihn noch von einer Hängebrücke und weitere zehn Meter von einer Hütte. Er warf sich verzwei­felt zum nächsten Seil vor und schnellte sich von dort weiter, nutzte den Schwung und er­reichte die Hängebrücke. Er tauchte in das Gewirr der Seile, und die Krallen der Bestie fuhren hautnah an ihm vorbei.

Er blickte der Flugechse nach, die ruhig davonglitt, als sei sie sich ihrer Beute abso­lut sicher. Er richtete sich auf und rannte über die Brücke bis zur Hütte. Aufatmend rettete er sich hinein.

Doch damit war das Problem noch nicht gelöst. Obwohl ihm von Seiten der Höhlen­bewohner nur Haß entgegengeschlagen war, wollte er nicht zulassen, daß die Höhlenbe­wohner, Razamon und Kolphyr von der Flugechse zerrissen wurden.

Er sah sich in der Höhle um. Überall la­gen Männer und Frauen auf den Plattformen und in den offenen Hütten und schliefen. Die Stormock-Geier kauerten teilnahmslos in ihren Horsten. Überraschenderweise schienen sie sich durch die Flugechse nicht herausgefordert zu fühlen.

Oder mußten sie erst mit befehlenden Pfiffen aktiviert werden? Axton konnte sich ihr Verhalten nicht erklären. Er hätte es als normal angesehen, wenn sie die Echse ange­griffen hätten.

Einige der Männer trugen Messer in ihren Gürteln, aber es wäre unsinnig gewesen, die Flugechse nur mit einem Messer in der Hand anzugreifen. Damit hätte er keine Er­folgsaussichten gehabt.

Axton entdeckte ein Bündel Speere, die in einem Faß steckten. Es stand etwa hundert

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Meter von ihm entfernt auf einer Plattform neben einer Hütte. Wenn er dorthin kommen wollte, mußte er über fünf Hängebrücken von beträchtlicher Länge laufen. Die Seiten­teile der Brücken bestanden aus geflochte­nen Seilen. Die Lauffläche war mit Holz­brettern ausgelegt. Die Brücken wurden durch seitliche Spannseile gehalten. Den­noch würden sie stark schwanken, wenn er über sie hinweglief. Dadurch würde er nur langsam vorankommen, da er sich immer wieder ausbalancieren mußte.

Die Echse würde genügend Gelegenheit haben, ihn anzugreifen. Dennoch hatte er keine andere Wahl. Die Speere boten ihm die einzige Möglichkeit, das Raubtier zu tö­ten.

Axton wartete, bis die Flugechse bei ihren Kreisflügen durch die Höhle an ihm vorbei war. Dann rannte er hinter ihr her über die erste Brücke. Die Echse reagierte augen­blicklich. Sie schlug flatternd mit ihren Flü­geln und stieß einen jener schrecklichen Schreie aus, die ihn draußen in Angst und Panik versetzt hatten. Auch jetzt spürte der Terraner, wie es ihm kalt über den Rücken lief.

Der Boden schien unter seinen Füßen zu weichen. Axton klammerte sich an die Seile. Er schrie auf.

Die Unendlichkeit griff nach ihm. Er fühlte den Sog der hyperenergetischen

Dimensionskorridore, in denen er so lange herumgeirrt war. Er hatte geglaubt, ihnen endgültig entkommen zu sein. Nun zeigte sich, daß er sich geirrt hatte. Zu keiner Zeit hatte er sich so wild und leidenschaftlich ge­gen den Sog gewehrt wie in dieser Situation. Er wußte, was es für die Menschen in der Höhle bedeutete, wenn er jetzt verschwand. Es war ihr sicherer Tod.

Axton kämpfte mit ganzer Kraft gegen die Auflösung. Er sah nicht, wo er war. Er hörte die bedrohlichen Schreie der Bestie nicht mehr. Er konzentrierte sich nur noch auf sich und seine materielle Existenz.

Jedoch vergeblich. Die hyperdimensionalen Energien waren

H. G. Francis

ihm millionenfach überlegen. Sie rissen ihn an sich. Er konnte nichts dagegen tun.

Der Axton-Grizzard-Körper verschwand von der Hängebrücke. Die Flugechse stieß ins Leere.

*

Das Entsetzen hätte nicht größer sein kön­nen.

Lebo Axton-Kennon tauchte in die hype­renergetischen Dimensionskorridore ein, wobei er sich voll dessen bewußt war, was geschehen war.

Er war verzweifelt und deprimiert. End­lich hatte er eine Spur gefunden, die ihm lohnend erschien. Er hatte jemanden ent­deckt, der Interkosmo sprach, und er war na­he an die Quelle der Aktivator-Impulse her­angekommen. Er hatte mehr als zehntausend Jahre Zeit übersprungen und war von Alt-Arkon in eine Zeit gekommen, in der es be­reits eine Sprache gab, die in der gesamten Milchstraße gültig war. Das bedeutete, daß er in die Zeit Perry Rhodans, in die Zeit des Solaren Imperiums gekommen war.

Nichts konnte wichtiger sein, als sich in dieser Zeit zu halten.

Daher kämpfte er mit ganzer Kraft dage­gen, von den hyperenergetischen Strömen hinweggeschwemmt zu werden. Er wollte so schnell wie möglich wieder materialisieren.

Zu seinem Leidwesen empfing er keiner­lei Aktivator-Impulse. Doch das bedeutete für ihn nicht, daß der Aktivatorträger, von dem sie ausgingen, nicht in jener Zeit und auf jener Welt existierte, auf der er gewesen war. Er war fest überzeugt davon, daß er in der Gesellschaft Razamons und Kolphyrs den Anfang des Weges gefunden hatte, den er beschreiten mußte.

Axton-Kennon spürte, daß er die Kraft hatte, sich selbst auf diese Welt zurückzuka­tapultieren. Er konnte und wollte nicht mit dem Gedanken leben, daß mehr als sechzig Menschen, die er hätte retten können, von einem wilden Tier zerrissen worden waren.

Er sah sich selbst, und ihm schien, als be­

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fände er sich auf einer weiten Ebene. Er empfand sich als etwas, das wie eine Kugel über diese Ebene raste und von unsichtbaren Kräften mal in diese, mal in jene Richtung gerissen wurde. Er konnte nicht erkennen, ob sich etwas über der Ebene wölbte, und ob sich überhaupt etwas über ihm befand. Bis auf die fugenlos glatte Ebene unter ihm schi­en alles unwirklich und mit seinen Sinnen nicht faßbar zu sein.

Axton glaubte jedoch, jenen Punkt noch erfassen zu können, an dem er in dieser Ebe­ne existent geworden war.

Während die hyperdimensionalen Energi­en an ihm zerrten, konzentrierte er sich auf diesen Punkt. Er ließ sich durch nichts ab­lenken. Und plötzlich stellte sich das Gefühl an, daß er sich diesem Punkt wieder näherte.

Er glaubte, über die Ebene zu rollen und sich an den Punkt heranzuarbeiten, auf den es ankam.

Je näher er ihm kam, desto unsicherer wurde er jedoch. Es gelang ihm immer we­niger, sich ausreichend zu konzentrieren. Ei­ne übergeordnete Macht schien zerstörend in seine Gedanken einzugreifen, um ihn davon abzuhalten, sein Ziel zu erreichen.

Doch dann schien sich eine Mulde in der Ebene zu bilden. Ihr tiefster Punkt senkte sich immer mehr ab, und er rollte unaufhalt­sam darauf zu.

Der Boden unter ihm wich. Er stürzte – und fühlte plötzlich, daß er wieder einen Körper hatte.

Er lag in einem dunklen Raum. Die Luft war heiß und stickig. Sein Gesicht war schweißbedeckt, und es fiel ihm schwer zu atmen.

Axton erschrak. Sein Herzschlag stockte. Er war nicht in der Höhle der Berserker

materialisiert. Alle Anstrengungen waren vergeblich gewesen.

Verzweiflung überkam ihn. Er schlug die Hände vors Gesicht und wünschte sich, wie­der in die hyperenergetischen Dimensions­korridore zurückzukehren. In diesen Sekun­den erinnerte er sich an Tirque, den Einsa­

men von Yamolquoht. War er nicht auch ein Wanderer wie dieser, der von einer unbe­kannten Kraft zur ewigen Ruhelosigkeit ge­trieben wurde?

Er hatte die Gewalt über sich selbst völlig verloren. Wie hatte er sich nur einbilden können, daß er Einfluß darauf hatte, wo und in welcher Zeit er materialisierte? Wie hatte er nur glauben können, daß er selbst be­stimmte, was geschah?

Er war wie Tirque, jene Gestalt, die Don Quichotte glich, der meinte, stets und überall gegen das Böse kämpfen zu müssen, ohne wirklich etwas zu erreichen.

Zum ersten Mal fragte er sich, ob es wirk­lich richtig gewesen war, daß er seinen Ro­botkörper aufgegeben hatte. In ihm hatte er selbst entscheiden können, was geschah. In ihm hatte er eine gewisse Macht repräsen­tiert, wenngleich er auf fast alles hatte ver­zichten müssen, was menschlich war.

Jetzt war alles viel schlimmer, als es vor­her gewesen war. Was hatte er denn schon davon, daß er hin und wieder in einem orga­nisch gewachsenen Körper lebte, wenn er dann doch keinen überzeugenden Kontakt mit dem Geschehen um ihn herum hatte?

Gewiß, zu Anfang der Entwicklung war es ihm gelungen, Tirque zu einigen Erfolgen zu verhelfen, zu denen dieser allein nie ge­kommen wäre. Aber das lag gefühlsmäßig nun schon Äonen zurück. Die unbekannte Kraft, die ihn nach einem unbegreiflichen System lenkte, erlaubte ihm nur noch kurze Kontakte mit der materiellen Welt. Axton kam sich vor wie der Pinsel in der Hand ei­nes Malers, der, in Gedanken versunken, hier und da einen Farbtupfer auf die Lein­wand setzte und dem Pinsel weder überließ, die Farbe auszuwählen, noch den Punkt zu suchen, den der Pinsel auf der Leinwand be­rühren sollte.

Axton fühlte, daß er an einem Abgrund stand. Sein psychischer Zusammenbruch stand unmittelbar bevor.

Er hob die Hand zum linken Auge, weil das Lid quälend zuckte. Im gleichen Augen­blick brach ein Schrei aus ihm hervor. Er

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richtete sich ruckartig auf und schlug mit dem Schädel gegen ein Holzbrett, das sich über seinem Lager befand. Er stöhnte vor Schreck und Schmerz auf und ließ sich zu­rückfallen, während er die Wahrheit erkann­te und von einem Glücksgefühl überwältigt wurde.

Er befand sich wieder in seinem eigenen Körper.

Seine Hände zitterten, als sie über sein Gesicht, seine Brust und seine Hände glitten. Er spürte die feine arkonidische Kleidung unter seinen Fingern, die Verzierungen aus Edelmetall, die Auszeichnungen, die Orba­naschol III. ihm verliehen hatte, und den Gürtel, den er in der Stunde der Entschei­dung im Kristallpalast von Arkon getragen hatte.

Axtons Hände ertasteten den Rand des Lagers. Er richtete sich vorsichtig auf und schob die Beine zur Seite. Er ließ sie nach unten gleiten, bis sie den Fußboden berühr­ten. Er atmete auf, da die Ergebnisse seiner Erkundung ihm sagten, daß er sich in einem normal eingerichteten Raum befand, in dem er offenbar nicht gefährdet war.

Er verfluchte die Tatsache, daß kein Licht im Raum brannte. So mußte er sich vorsich­tig umhertasten, um sich zu orientieren. Da er fürchtete, irgendwo über eine im Dunkeln verborgene Kante abzustürzen, legte er sich flach auf den Boden und schob sich langsam voran, bis er auf eine Wand stieß. Nun kroch er an dieser entlang. Er stellte fest, daß die Wand aus Steinen bestand, die mit Mörtel miteinander verbunden waren.

Wenig später berührten seine Finger Holz. Er atmete auf. Der Raum hatte also eine Tür. Er richtete sich daran auf, bis er den Türgriff fand und drückte diesen herunter. Die Tür öffnete sich. Licht fiel ihm in die Augen.

Er blickte auf einen schmalen Gang, von dem zwei weitere Holztüren abzweigten. Am Ende des Ganges stieg eine Treppe hin­auf. Sie bestand aus einer Kunststoff-Me­tall-Legierung, wie er mühelos erkannte.

Axton zog die Tür ganz auf und verließ den Raum. Er wußte nicht, wie er hierher

H. G. Francis

gekommen war. Er ging jedoch davon aus, daß sein Körper schon vorher hier gewesen war. Hatte er das Bewußtsein jenes anderen Mannes in sich geborgen, dessen Körper er übernommen hatte? Und was war inzwi­schen in diesen Räumen geschehen, in de­nen er sich nun aufhielt?

Axton war beunruhigt. Er suchte nach In­formationen. Er mußte wissen, wie die Si­tuation in seiner neuen Umgebung war, und mit wem er es zu tun hatte. Dabei verdrängte er die Gedanken an das Geschehen in der Höhle der Berserker, weil er glaubte, doch nicht dorthin zurückkehren zu können.

Er blieb stehen. Lebte das andere Bewußtsein jetzt in sei­

nem eigenen Körper? War es fähig, sich der Situation anzupassen? Konnte es die Gefahr bewältigen? Würde es die Speere entdecken und begreifen, welche Bedeutung sie hatten?

Die Fragen, die auf ihn einstürmten, ver­wirrten Axton. Er stand neben einer Tür.

Man hatte ihn nicht eingeschlossen. Daher glaubte er, davon ausgehen zu können, daß er nicht als Gefangener angesehen wurde.

Er trat gegen die Tür, vor der er stand. Sie erzitterte dröhnend in ihren Angeln. Jemand fuhr erschreckt schreiend auf. Ein Pfiff er­tönte.

»Ist hier jemand?« brüllte der Verwachse­ne und trat noch einmal gegen die Tür.

Eilige Schritte näherten sich über die Treppe.

»Hallo«, schrie Axton. »Wieso schlaft ihr denn alle?«

Zwei hochgewachsene, muskulöse Män­ner kamen über die Treppe herab. Axton schätzte, daß sie beide fast zwei Meter groß waren. Ihre Haut war rotbraun. Die Augen schwarz. Die ebenfalls schwarzen Haare fie­len ihnen bis in den Nacken herab. Ihre Ge­sichter hatten, wie es ihm schien, einen hochmütigen Ausdruck. Als die beiden Männer jedoch näher herankamen, merkte er, daß er sich getäuscht hatte. Sie sahen un­fertig aus. Beide waren einander so ähnlich, daß der Verwachsene sie für Zwillinge hielt.

»Hallo, ihr beiden«, sagte er herausfor­

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dernd. »Wieso liegt ihr auf der faulen Haut, wenn ich wissen will, wo ich bin?«

Er trat auf sie zu, stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte zu ihnen hoch, als ha­be er vor, sie mit Faustschlägen zu strafen.

Sie blieben stehen und sahen sich verdutzt an.

»Das verschlägt euch die Sprache, wie?« rief er keifend. »Los doch, sagt etwas. Ich möchte wissen, ob ihr Interkosmo könnt.«

Sie trugen eine einfache Kleidung, die aus einem groben Hemd, einem verknoteten Stoffgürtel und einer weiten Hose bestand. Die Füße steckten in Ledersandalen.

Axton trat rasch auf sie zu und trat einem von ihnen gegen das Schienbein.

»Rede endlich«, befahl er, während der Schwarzhaarige aufschreiend zurückfuhr. »Hat es weh getan?«

Hinter ihm ertönte eine energische Stim­me. Lebo Axton zuckte zusammen. Er ver­nahm Laute jener Sprache, die auch Raza­mon, Kolphyr und die Berserker benutzt hat­ten. Enttäuscht ließ er die Arme sinken. Er befand sich also noch auf der gleichen Welt wie zuvor. Das Wort »verdammt« schien nicht mehr als ein Zufall gewesen zu sein …

Er drehte sich um. »Ach, du meine Güte«, entfuhr es ihm, als

er die hagere, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt sah, die aus einem Seitenraum her­vorgekommen war. Der Mann sah unendlich traurig und niedergeschlagen aus. Sein Ge­sicht wirkte eingefallen wie das eines Toten. »Wer bist du denn?«

»Caidon-Rov«, antwortete der Hagere, und ein glückliches Lächeln erhellte sein Gesicht. »Caidon-Rov.«

»Ja, ja«, sagte der Terraner. »Einmal ge­nügt ja. Du bist also Caidon-Rov.«

»Caidon-Rov«, wiederholte der Hagere, der den Eindruck machte, als sei er völlig verwirrt, aber sehr glücklich.

Der Kosmokriminalist schloß aus seinem Verhalten, daß er sich mit dem Körper be­schäftigt hatte, und daß das Bewußtsein des anderen in ähnlicher Weise gelähmt gewe­sen war wie der Körper. Jetzt glaubte der

Hagere offenbar, daß diese Lähmung über­wunden sei.

Er sank vor Axton auf die Knie, so daß sich ihre Augen auf gleicher Höhe befanden.

»Hör mal«, sagte der Verwachsene spöt­tisch. »So etwas habe ich aber gar nicht gern. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn Orbanaschol vor mir auf den Knien herum­gerutscht wäre, aber du bist mir nicht bedeu­tend genug.«

Er sprach Interkosmo, weil er immer noch hoffte, daß man ihn verstehen würde. Im Gesicht des Hageren zeichnete sich jedoch keine Reaktion auf seine Worte ab.

Axton seufzte. »Ich habe von Anfang an das Gefühl ge­

habt, daß dieses Intermezzo nicht das bringt, was ich mir davon versprochen habe«, fuhr er fort. Seine Stimme wurde lauter. »Verdammt, wo bin ich?«

Der Hagere lachte. Er sprang auf, klatsch­te in die Hände und rief den beiden Schwarzhaarigen etwas zu. Diese rannten eilfertig davon.

»Ja«, sagte Axton und sprach dieses Mal in Pthora. »Richtig.«

Der Hagere fuhr herum. Seine Augen weiteten sich. Dann kam ein wahrer Schwall von Worten über seine blassen Lippen. Er kniete sich wieder vor Axton hin, faßte ihn bei den Schultern und sprach auf ihn ein, als sei er ein Kind.

»Verdammt«, sagte Axton nun wieder in Interkosmo. »Das hat mir gerade noch ge­fehlt, daß mich so einer wie du bemuttert. Da wäre mir aber ein Roboter von der Klas­se eines Gentleman Kelly wesentlich lie­ber.«

Die erhoffte Reaktion auf diese Worte blieb aus. Caidon-Rov verstand ihn nicht.

Axton drehte sich zur Seite und trat ent­täuscht mit dem Fuß gegen die Wand. Der Schmerz ließ ihn aufschreien. Axton hatte das Gefühl, von einem Messer durchbohrt zu werden. Unwillkürlich streckte er die Ar­me aus. Er wollte sich an der Wand abstüt­zen.

Seine Hände stießen ins Leere. Ihm wurde

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schwarz vor Augen. Er erkannte, daß er abermals entmateriali­

sierte, aber dieses Mal sträubte er sich nicht dagegen. Er versuchte vielmehr, die Auflö­sungstendenz zu verstärken.

Doch wiederum gelang es ihm nicht, die Entwicklung nach seinem Willen zu steuern.

8.

Der gierige Schrei der Flugechse schreck­te ihn auf.

Er riß die Augen auf und sah das riesige Tier direkt über sich. In dem weit geöffneten Schnabel drohten fingerlange Reißzähne.

Axton sprang auf und stürzte sogleich wieder zu Boden, weil die Hängebrücke, auf der er sich befand, zu stark schwankte. Er war dagegen noch immer auf den Steinbo­den eingestellt, auf dem er sich noch Sekun­den vorher befunden hatte.

Auf allen vieren kroch er aus dem Bereich der Krallen, die nach ihm schlugen.

Er blickte über die Schulter zurück und sah, daß die Flugechse sich mit einem Fuß in den Seilen der Hängebrücke verfangen hatte. Sie schlug wild mit ihren Hautflügeln und zerrte an den Seilen. Diese zerrissen, als bestünden sie aus morschem Material.

Axton sprang hoch. Er hielt sich mit den Händen an den Führungsseilen der Brücke fest und rannte weiter. Er sah die Speere vor sich. Nur noch drei Brücken trennten ihn von diesen Waffen.

Der andere, der vorübergehend in diesem Körper gewesen war, hatte die Gefahr also erkannt und war weitergelaufen. Er hatte au­genblicklich reagiert.

Axton lächelte verzerrt. Das ließ immerhin hoffen, daß der andere

auch in dem verwachsenen Körper versu­chen würde, drohenden Gefahren auszuwei­chen. Vielleicht brauchte er sich um seinen Körper daher gar nicht so viele Sorgen zu machen.

Der Flugsaurier war frei. Er ließ sich ab­fallen und stabilisierte seinen Flug mit mächtigen Flügelschlägen. Wieder stieß er

H. G. Francis

heisere Schreie aus, die mehrfach von den Wänden der Höhle widerhallten. Damit schreckte er dieses Mal einige der weißen Geier auf. Die Vögel lösten sich aus ihren Horsten, blieben jedoch dicht unter der Decke.

Axton jagte mit weiten Sprüngen über die Brücken. Er spürte, daß er den fremden Kör­per von Sekunde zu Sekunde besser be­herrschte. Und er hoffte, daß die hyperener­getischen Energien ihn nicht noch einmal aus dieser Welt reißen würden, bevor die Entscheidung gefallen war.

Erst wollte er die Echse töten. Danach mochte ihn das Schicksal wieder in die Be­reiche übergeordneter Energien entführen.

Er erreichte den Behälter mit den Speeren und riß das erste Wurfgeschoß heraus.

Der Flugsaurier stürzte sich wie ein Adler auf ihn herab. Er streckte ihm die Krallen entgegen. Lebo Axton holte weit aus und schleuderte den Speer auf das Tier. Er sah, daß die Echse eine instinktive Abwehrbewe­gung machte und das Wurfgeschoß zur Seite schlagen wollte. Doch die Speerspitze fuhr ihm zwischen die Krallen und bohrte sich durch einen Fuß.

Wild schreiend flüchtete das Tier nach oben. Die mächtigen Flügel peitschten durch die Luft. Einer der Dornen an ihrer Außen­kante erfaßte Axton und schleuderte ihn zu Boden. Seine Pelzjacke zerriß an der Schul­ter. Die Echse stieß sich von der Felswand ab und verschwand in dem Gewirr der Seile und Hängebrücken.

Axton eilte wieder zu den Speeren und riß einen aus dem Faß heraus, in dem sie steck­ten. Er rannte zur Kante der Plattform und blickte nach unten. Der Flugsaurier befand sich etwa fünfzig Meter unter ihm. Mit weit ausgebreiteten Flügeln segelte er durch die Höhle.

Axton holte erneut aus und warf den Speer nach unten. Seine Hände krallten sich um die Sicherheitsseile der Plattform, wäh­rend er verfolgte, welche Flugbahn die Lan­ze nahm. Ein Triumphschrei, drängte sich ihm auf die Lippen. Für einen kurzen Mo­

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ment glaubte er, den Körper der Echse zu treffen, doch dann fuhr der Speer dicht am Rumpf vorbei durch einen Hautflügel.

Er hinterließ nur eine kleine Öffnung, die jedoch heftig blutete.

Axton kehrte zu den Speeren zurück. Die­ses Mal zog er gleich vier heraus und lief mit ihnen bis zu den Sicherheitsseilen.

Der Flugsaurier stieg bereits zu einem er­neuten Angriff auf ihn auf. Die Höhle erzit­terte unter seinen wütenden Schreien. Die betrunkenen Schläfer reagierten nicht dar­auf, wohl aber die Stormocks, die bisher mit stoischer Ruhe in ihren Nestern gehockt hat­ten.

Axton blickte nach oben. Fast alle Geier hatten ihre Horste verlassen. Kreischend zo­gen sie ihre Kreise unter der Decke der Höh­le. Damit reagierten sie endlich auf den ge­fährlichen Feind, der in ihr Reich eingedrun­gen war.

Ein ohrenbetäubender Lärm entstand, der jedoch noch immer nicht ausreichte, Raza­mon, Orzmoran oder die anderen Berserker aus ihrem Schlaf zu wecken. Das Getränk, das sie zu sich genommen hatten, wirkte wie ein Narkotikum.

Axton wartete ab, bis der Flugsaurier hoch genug gestiegen war, dann schleuderte er den nächsten Speer auf ihn, verfehlte ihn jedoch. Der Speer flog zum Entsetzen des Terraners auf eine Gruppe schlafender Frau-en zu.

Axton schrie auf. Er fürchtete, eine der Frauen zu töten. Auf sie hatte er in seiner Erregung nicht geachtet.

Unmittelbar vor den Frauen kippte der Speer ab. Er schlug mit der Spitze gegen die Kante der Plattform und prallte nach unten hin weg, ohne Schaden anzurichten.

Axton atmete auf. Er griff nach dem näch­sten Speer und wartete. Er wollte nicht noch einmal durch Unachtsamkeit einen der Höh­lenbewohner gefährden.

Die Flugechse schien zu ahnen, vor wel­chem Problem der Terraner stand. Sie stieg plötzlich steil an, warf sich zur Seite und griff Axton an. Hinter ihr befand sich die

größte Plattform der Höhle mit wenigstens zwanzig Frauen und Männern, so daß Axton den Speer nicht werfen konnte.

Er wich zurück und lockte das Reptil hin­ter sich her. Heftig mit den Flügeln schla­gend, landete es auf einer Hängebrücke. Dann hüpfte es zischend auf ihn zu.

Lebo Axton legte sich nach vorn und schleuderte den Speer auf die Bestie. Diese schlug nach dem Geschoß, verfehlte es je­doch. Der Speer drang ihr tief in die Brust.

Der Flugsaurier schrie schmerzgepeinigt auf. Er schnellte sich in die Höhe und schlug wild mit den Flügeln. Axton schleuderte den zweiten Speer auf das Tier. Die Waffe traf den Saurier dicht unter dem Kopf am Hals.

Das Tier zuckte wie unter einem elektri­schen Schlag zusammen, fuhr zurück und kippte über die Seile der Hängebrücke hin­weg. Es verschwand aus den Blicken des Terraners. Dieser vernahm noch einen Schrei. Dann wurde es ruhiger.

Er eilte zum Rand der Brücke und blickte nach unten. Der Flugsaurier kauerte tief un­ter ihm auf dem Grund der Höhle. Er be­mühte sich, die Speere mit den Zähnen und den Krallen herauszuziehen. Dabei wirkte er jedoch so geschwächt, daß Axton glaubte, ihn besiegt zu haben.

Er blickte zu den Stormocks hoch, weil er erwartete, daß sie das waidwunde Tier nun angreifen würden, aber das war nicht der Fall. Die weißen Geier kehrten zu ihren Hor­sten zurück, als wüßten sie genau, daß es sich nicht lohnte, eine Verletzung im Kampf mit der Flugechse zu riskieren, da diese doch bald tot sein werde.

Axton ließ erleichtert die Speere sinken. Er sah sich um. Überall waren Spuren des Kampfes zurückgeblieben. Einige Seile wa­ren zerfetzt worden. Blutlachen beschmutz­ten zwei Plattformen und mehrere Hänge­brücken.

Unter diesen Umständen erschien es Ax­ton wie ein Wunder, daß keiner der Höhlen­bewohner verletzt worden war.

Er ging zu Razamon und kniete bei die­sem nieder. Er schüttelte ihn einige Male,

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ohne ihn aufwecken zu können. Der Düstere lag in einem komaähnlichen Schlaf.

Axton sah ein, daß es sinnlos war, unter diesen Umständen mit ihm sprechen zu wol­len. Razamon würde nichts verstehen, selbst wenn er für einige Sekunden oder Minuten die Augen aufmachte.

Auch von den Höhlenbewohnern war nichts zu erwarten. Voller Sorge dachte Ax­ton daran, daß sie besser an das Getränk ge­wöhnt sein konnten als Razamon. Wenn sie vor ihm aufwachten, bestand die Gefahr, daß sich ihr Haß gegen ihn richtete, und daß sie ihn umbrachten, bevor Razamon helfend eingreifen konnte.

Er ging zu Kolphyr hinüber und versuch­te, ihn zu wecken, doch ebenfalls vergeb­lich.

Da er nicht wußte, wie er unter den Ber­serkern überleben konnte, beschloß er, die Höhle zu verlassen. Dieses Mal waren die Bedingungen erheblich besser als während der Dunkelheit. Axton konnte hoffen, heil über die Schneefelder ins Tal zu kommen. Alles weitere mußte sich dann ergeben.

Er wollte jedoch nicht darauf verzichten, Razamon ein Zeichen zu hinterlassen, das ihn elektrisieren mußte, wenn er tatsächlich Interkosmo sprach. Daher durchsuchte er ei­nige der Hütten, bis er Papier und einen Schreibstift fand.

Damit schrieb er eine Botschaft für den Düsteren auf und schob sie ihm in den Är­mel, so daß er sie auf jeden Fall bemerkte, wenn er wieder zu sich kam. Dann blickte er an den Felswänden entlang, um sich eine Öffnung zu suchen, durch die er flüchten konnte. Er entschied sich für ein Loch, das etwa vierzig Meter von ihm entfernt war und nur einige Meter über einer Hütte lag. Er ging über eine Hängebrücke zur Hütte und blickte hinein. Neben einem Tisch hing ein Gürtel mit zwei Messern. Er nahm sich eines heraus und steckte es ein, um nicht völlig waffenlos in die Wildnis hinausgehen zu müssen.

Dann kletterte er an der Außenwand der Hütte hoch und stieg von hier aus über eini-

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ge Vorsprünge bis zur Öffnung im Fels hoch.

Sie war wesentlich größer als jene, durch die die Flugechse hereingekommen war. Aufrecht konnte er durch den Gang bis zum Schnee gehen, der auch hier den Ausgang verschloß. Er wollte ihn mit dem Messer entfernen. Das ging jedoch nur teilweise. Auf der Innenseite war der Schnee weich und locker. An der Außenseite aber lag eine Eisschicht über dem Schnee, die er nur müh­sam durchstoßen konnte.

Axton wunderte sich über das Eis, da es vorher nicht da gewesen war. Es leistete ihm erheblichen Widerstand, und fast eine halbe Stunde verstrich, bis er eine Öffnung ge­schaffen hatte, die groß genug für ihn war. Er kroch halb hindurch und blickte dann be­stürzt auf den Hang, der sich unter ihm dehnte.

Er konnte die Spuren seines nächtlichen Fluchtversuchs sehen. Sie führten bis zur senkrecht abfallenden Wand. Während der Nacht hatte es geregnet. Das Wasser war so­gleich gefroren und hatte eine dicke Eis­decke über dem Schnee gebildet, soweit er nicht geschmolzen war.

Axton erkannte, daß er die Höhle der Ber­serker auf diesem Wege nicht verlassen durfte. Ohne Hilfsmittel wäre er nie heil über die Eisfläche gekommen. Eine kleine Unachtsamkeit bedeutete zwangsläufig den Absturz.

Er verfluchte sich, weil er nicht früher er­kannt hatte, wie aussichtslos ein Ausbruch auf dieser Seite war, und weil er Zeit ver­schwendet hatte. Er kroch zurück und klet­terte über die Hütte auf die Plattform.

Ihm blieb nur noch ein Weg. Er mußte über das komplizierte Abseilsy­

stem nach unten und die Höhle durch den Schacht verlassen, durch den Orzmoran Razamon, Kolphyr und ihn nach oben ge­bracht hatte.

Voller Unbehagen betrachtete Axton die nach unten führenden Seile. Sie hingen kaum zwei Meter von der Flugechse entfernt herab, und diese lebte noch immer. Sie lag

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auf dem Grund der Höhle. Von den Speeren hatte sie sich befreit. Ihre Wunden bluteten nicht mehr, und es war für Axton nicht zu erkennen, ob sie stark geschwächt oder noch immer ein gefährlicher Gegner war.

Doch Axton blieb keine andere Wahl. Er mußte den Abstieg über die Seile ver­

suchen.

*

Als Axton in einen der Körbe stieg, um sich nach unten sinken zu lassen, stellte er fest, daß ein Metallgewicht bewegt werden mußte. Damit wurde das Zugseilsystem ab­gesichert. Er hängt sich an das Gewicht, konnte es jedoch nur wenige Zentimeter weit bewegen.

Ärgerlich kletterte er wieder aus dem Korb heraus, versuchte noch einmal, die Ge­wichtsperre zu betätigen, griff dann nach ei­nem Speer, den er sich bereitgestellt hatte, und setzte sich auf die Kante der Plattform. Von hier aus zog er sich den Tragkorb heran und ließ sich an ihm vorbei zum unteren Führungsseil sinken. Jetzt hing er unter dem Korb.

Er ließ sich mit ruhigen Bewegungen am Seil herab, das er um die Beine gleiten ließ, so daß er jederzeit abbremsen konnte. Dabei beobachtete er die Flugechse.

Das Raubtier wurde erst auf ihn aufmerk­sam, als er noch etwa zehn Meter über ihm war.

Es hob den Kopf und blickte zu ihm hoch. Axton rutschte weiter am Seil herab. Er

hielt sich mit der linken Hand fest. Mit der Rechten umklammerte er die Lanze. Am lie­bsten hätte er sich mehrere Meter weit abfal­len lassen, aber das konnte er sich nicht lei­sten, da er nicht wußte, ob er sich später wieder abfangen konnte.

So blieb ihm nichts anderes übrig, als sie langsam an die Flugechse heranzuarbeiten.

Als seine Füße noch etwa anderthalb Me­ter von den Zähnen der Echse entfernt wa­ren, bäumte sich das Tier plötzlich zischend auf und schnappte nach ihm. Axton stieß mit

der Lanze zu. Er traf die hornigen Lippen. Das Metall drang jedoch nicht ein, sondern prallte davon ab. Axton erhielt einen Schlag gegen den Arm, der so schmerzhaft war, daß er den Speer verlor. Er griff nach dem Mes­ser und wehrte den nächsten Angriff der Be­stie damit ab. Doch er sah ein, daß er damit nichts gegen die Echse ausrichten konnte. Er schleuderte das Messer daher in den weit ge­öffneten Rachen des Sauriers und ließ sich gleichzeitig fallen.

Er stürzte etwa vier Meter tief. Das Raubtier warf sich auf ihn, packte je­

doch nur das Seil, an dem er hing. Während Axton Arme und Beine um das Seil schlang, um sich abzufangen, zerrte der Flugsaurier es in die Höhe.

Der Terraner rutschte weiter daran herun­ter, bis er auf den Boden prallte. Er stürzte und rollte einige Meter weit über den Felsen, während das Seil im Schacht verschwand.

Zerschunden und zerschlagen blieb er lie­gen. Er hatte das Gefühl, sich das Schlüssel­bein gebrochen und beide Arme ausgerenkt zu haben. Doch als er sich schließlich erhob, stellte er erleichtert fest, daß er unverletzt war.

Er trat unter den Schacht und blickte nach oben. Er konnte einen Teil des Echsenkop­fes sehen. Ein Zipfel des Seils baumelte im Schacht.

Axton pfiff leise durch die Zähne. Er hatte Glück gehabt. Jetzt arbeitete er sich langsam durch die

Gänge voran. Dazu benötigte er weitaus mehr Zeit, als er gedacht hatte, denn es ge­lang ihm immer wieder nur nach langer Su­che, die Hebel zu finden, mit denen der Gang geöffnet werden konnte.

Schließlich aber schwang auch der letzte Felsbrocken zur Seite, und Axton trat aus dem Gang in den Schnee hinaus. Die Luft war klar und kalt. Die Sicht reichte mehrere Kilometer weit. Er sah einen Fluß, der sich durch die Landschaft schlängelte. Am Hori­zont bemerkte er einen See und dahinter einen Wald.

Er hatte dieses Land nie gesehen. Es erin­

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nerte ihn in keiner Weise an andere Welten, auf denen er gewesen war.

Ein langgezogener Schrei machte ihn auf eine Flugechse aufmerksam, die über die schneebedeckten Hänge des Berges glitt. Axton fluchte.

»Von euch habe ich die Nase voll«, mur­melte er und stieß mit dem Fuß etwas Eis ab. Er schleuderte es in die Tiefe. Es prallte auf die eisbedeckte Schneedecke und rutschte daran herunter, wobei es immer schneller wurde, bis es schließlich aus seinen Augen verschwand.

Axton kratzte sich am Hinterkopf. Er wußte nicht, wie er über das Eis nach unten kommen sollte, ohne sich zu verletzen.

Da er gewohnt war, auf den verwachse­nen und schwächlichen Körper Rücksicht zu nehmen, in dem er bisher gelebt hatte, er­wog er, sich auf den Bauch zu legen und so nach unten zu rutschen. Doch dann sträubte sich alles in ihm dagegen.

Er blickte an sich herunter. Jetzt lebte er in einem athletischen und

kräftigen Körper. Sollte er wie ein Frosch zu Tal kriechen?

Er dachte nicht daran. Auf den Bauch le­gen konnte er sich noch immer, wenn er gar keine andere Möglichkeit mehr hatte. Er trat aufrecht auf die Eisdecke und drehte sich mit der Seite zum abfallenden Hang. Dann schob er sich vorsichtig über das Eis voran. Dabei zeigte sich, daß er weitaus weniger rutschte als befürchtet. Er war zwar nicht be­sonders schnell, dafür aber fühlte er sich si­cher.

Bis die Flugechse angriff. Axton hörte den Schrei des Tieres, das

wie sein Körper auch über unbestimmte Zei­ten in einem der Glaspaläste geruht hatte. Er blickte zur Seite und sah, daß die Echse kaum zwei Meter über der Eisdecke schweb­te. Sie näherte sich ihm mit hoher Ge­schwindigkeit.

Axton warf sich nach vorn. Die Füße rutschten ihm weg, er hielt sich jedoch auf­recht. Mit ständig wachsender Geschwindig­keit jagte er über die Eisdecke. Nun konnte

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er es sich nicht mehr leisten, die Flugechse zu beobachten. Er sah, wie sich ihm ein Schatten näherte, und er bückte sich. Die Krallen des Raubtiers fuhren an ihm vorbei.

Axton glitt über einen Höcker, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Er überschlug sich einige Male, versuchte, sich zu halten, fand jedoch nirgendwo etwas, was aus dem Eis ragte. Er wurde schneller und schneller.

Er sah ein, daß er nichts ändern konnte. Daher warf er sich herum, bis er auf dem Bauch lag und streckte Arme und Beine von sich. Die Flugechse war verschwunden. Der gescheiterte Angriff schien sie entmutigt zu haben.

Axton schoß über das Eis hinweg auf die Tannenwälder zu. Er machte die Schneise aus, durch die Orzmoran sie geführt hatte, und er steuerte darauf zu. In ihr, so meinte er, konnte er sich langsam abfangen und den Sturz beenden.

Rasend schnell kam sie näher. Axton hüpfte hilflos über einen Eishöcker hinweg und prallte einige Meter tiefer wuchtig auf. Er zog die Arme unter den Kopf und verhin­derte so, daß er mit dem Gesicht aufs Eis schlug.

Als er den Kopf wieder hob, sah er drei Männer, die sich ihm in den Weg stellten. Sie gehörten zu den Wegelagerern, die auch das seltsame Fahrzeug überfallen hatten, in denen er aufgewacht war.

Axton krümmte sich zusammen. Wie ein Ball schoß er zwischen die Män­

ner und riß zwei von ihnen von den Beinen. Sie hieben mit Knüppeln nach ihm, verfehl­ten ihn jedoch im Sturz.

Er selbst aber fing sich endlich ab. We­sentlich früher als sie kam er auf die Beine. Er entriß einem von ihnen das Holz und hieb es ihm über den Schädel. Dann stürzten sich die beiden anderen auf ihn.

Lebo Axton-Kennon lachte auf. Nach all den gefährlichen Situationen, die

er überstanden hatte, fürchtete er sich nicht vor diesen Männern. Er sprang zurück, neig­te sich nach vorn und streckte die Arme aus.

»Kommt doch«, rief er lachend. »Ich ken­

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ne mich mit diesem Körper zwar noch nicht so gut aus, wie es eigentlich sein müßte, aber das wird von Minute zu Minute besser. Ich fühle mich nach der Rutschpartie so, als hätten zwanzig USO-Spezialisten mich ver­prügelt, aber ich fühle mich immer noch gut genug, euch aus den Stiefeln zu heben.«

Seine beiden Gegner blickten sich ver­blüfft an. Sie waren sichtlich verwirrt. Sie hatten damit gerechnet, daß er eingeschüch­tert sein würde, nicht aber, daß er sie ausla­chen würde.

Sie schrien wütend auf und griffen an. Axton sprang nach vorn, schlug einmal

nach links, einmal nach rechts und tänzelte zwischen den beiden Wegelagerern hin­durch. Der Kampf machte ihm Spaß, und er dachte keine Sekunde daran, daß er dabei auch unterliegen konnte.

Doch er wollte sich nicht lange aufhalten lassen. Er übernahm den nächsten Angriff. Aus dem Stand heraus schnellte er sich hoch. Seine rechte Hacke traf einen der bei­den Männer unter dem Kinn und fällte ihn.

Nun blieb nur noch ein Gegner übrig. Dieser aber ließ sich keineswegs ein­

schüchtern. Er schob seine Hand unter die Felljacke.

Axton ließ sich provozieren. Er glaubte, der andere habe ein Messer. Geschickt sprang er ihn an, jedoch nicht geschickt ge­nug. Der andere packte seinen Fuß, warf sich zu Boden und riß ihn mit. Gleichzeitig drehte er sich um sich selbst, wobei er mit seinem ganzen Körper Druck auf das Knie Axtons ausübte.

Der Terraner schrie gellend auf vor Schmerz. Er fürchtete, daß der Wegelagerer ihm das Knie brechen würde. Er konnte nicht anders. Er gab dem Druck nach und lag plötzlich unter dem anderen auf dem Eis.

Doch dann bot sich ihm eine Chance. Als sein Gegner bereits glaubte, gewonnen zu haben, hieb er ihm die Handkante gegen den Hals und betäubte ihn. Der Mann blieb auf ihm liegen.

Axton arbeitete sich unter ihm heraus. Sein Knie schmerzte so stark, daß er in

den ersten Minuten, in denen er seine Flucht fortsetzte, kaum auftreten konnte. Er stützte sich mit den Händen an den Bäumen ab und ging stark hinkend durch den Wald.

Als er den Fluß erreicht hatte, fühlte er sich jedoch schon besser. Es war wärmer ge­worden. Der Boden war frei von Eis und Schnee. Axton ging ins Wasser und wusch sich Hände und Gesicht ab. Er merkte, daß sein Knie mit erneuten Schmerzen auf das Wasser reagierte, kehrte ans Flußufer zurück und folgte dann dem Fluß in westlicher Richtung.

Immer wieder blickte er in den Himmel hinauf. Obwohl es heller Tag war, konnte er die Sonne nicht sehen. Die Wolken bildeten eine zusammenhängende Decke.

Flugechsen waren nicht zu sehen. Axton fragte sich, ob es viele dieser Tiere

auf dieser Welt gab. Er konnte nicht wissen, daß sie aus den gleichen Schlafkammern stammten wie der Körper, in dem er lebte, und daß sie gleichzeitig mit diesem Körper frei geworden waren.

Er mußte abermals an Tirque denken. Was war aus ihm geworden? Hatte er sich im Rachen seines Sand­

wurms aus der Raumschiffswerft zurückge­zogen? Wanderte er jetzt schon wieder von Oase zu Oase, um dort zu kämpfen?

Stand ihm ein ähnliches Schicksal bevor wie ihm?

Obwohl Axton sich in seinem neuen Kör­per wohl fühlte, wollte er nach wie vor in seinen richtigen Körper zurückkehren. Dazu glaubte er demjenigen verpflichtet zu sein, der jetzt in diesem Körper lebte – und si­cherlich nicht mit ihm einverstanden war. Axton horchte in sich hinein.

Er spürte keinerlei Sog. Hatte sich sein Bewußtsein im hyperdi­

mensionalen Spiel kosmischer Energien endgültig stabilisiert? Würde er für längere Zeit in diesem Körper bleiben?

Er wäre froh gewesen, wenn er einige Antworten auf seine Fragen erhalten hätte.

Seine Gedanken gingen zurück zu Raza­mon. Er war überzeugt davon, daß dieser

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den Zettel finden würde, aber er glaubte nicht so recht daran, daß er mit den Zeilen auch wirklich etwas anfangen konnte.

*

Razamon hatte das Gefühl, mit dem Schä­del in eine Obstpresse geraten zu sein. Noch niemals zuvor in seinem Leben hatte er sol­che Kopfschmerzen gehabt. Er hatte einen unangenehm süßlichen Geschmack auf der Zunge, ihm war unwohl, und vor seinen Au­gen drehte sich alles.

Er wälzte sich auf den Bauch herum. Da­bei bemerkte er, daß Zorvara neben ihm lag. Er erinnerte sich nur dunkel an sie.

Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er seine eigentliche Aufgabe vollkommen ver­gessen hatte. Niemals wieder, so schwor er sich, wollte er etwas von dem Gebräu der Berserker trinken.

Vor seinem Gesicht erschien ein grünge­schuppter Fuß.

»Du hast etwas verloren«, sagte Kolphyr und schob ihm einen Zettel hin.

»Ich habe keinen Zettel gehabt«, antwor­tete Razamon unwirsch. Er schob die Hand des Bera zurück, doch dieser ließ sich nicht abweisen. Er erklärte, daß ihm dieser Zettel aus dem Ärmel gerutscht sei.

Razamon ließ sich fluchend darüber aus, daß es ein Fehler gewesen war, soviel zu trinken. Er faltete den Zettel auseinander. Dabei fragte er sich, wie dieser in seinen Är­mel gekommen war.

Die Buchstaben verschwammen vor sei­nen Augen. Er stöhnte gequält auf, schloß die Augen und versuchte, seiner Übelkeit Herr zu werden. Dann las er: »Sie haben ›verdammt‹ gesagt. Hat das etwas zu bedeu­ten?«

Er warf den Zettel weg. »So ein Quatsch«, sagte er mühsam. »Ich

habe mehr als einmal ›verdammt‹ gesagt. Ich habe die halbe Nacht lang geflucht. Ob das was zu bedeuten hat? Quatsch.«

Er ließ den Kopf sinken. »Grizzard ist weg«, erklärte Kolphyr.

H. G. Francis

Razamon glaubte, einen Schlag bekom­men zu haben. Er fuhr auf, riß den Zettel an sich und las erneut.

»Das ist Interkosmo«, schrie er. »Na und?« fragte der Bera. Razamon antwortete nicht. Ihm wurde

plötzlich klar, was es bedeutete, daß die Worte in Interkosmo abgefaßt waren.

»Grizzard hat sie geschrieben«, sagte Razamon. »Wo ist er?«

»Weg«, antwortete Kolphyr. »Er ist weg­gelaufen.«

»Eine Nachricht in Interkosmo. Wir hät­ten ihn nie aus den Augen verlieren dürfen. Wer ist Grizzard? Und welche Chance ha­ben wir vertan? Kolphyr. Mir wird schlecht.«

Razamon beugte sich über die Kante der Plattform und blickte nach unten. Er war da­von überzeugt, daß der merkwürdige Griz­zard nicht weit kommen würde.

Razamon dachte an die FESTUNG. Er mußte dorthin zurück, weil er dort am ehe­sten wieder mit Atlan zusammentreffen wür­de, falls der Arkonide jemals wieder auf­taucht. Razamon wollte Atlan von der merk­würdigen Botschaft berichten.

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich bin noch so betrunken, daß ich da

unten einen toten Flugsaurier sehe, der von Orzmorans Leuten weggeschleppt wird«, sagte er stöhnend. »Mann, Kolphyr, wie kannst du glücklich sein, daß du nichts ge­trunken hast!«

Er schloß die Augen und öffnete sie wie­der.

Er sah den Flugsaurier noch immer. Razamon war nun davon überzeugt, daß

er viel zu früh aufgestanden war. Er ließ sich zu Boden sinken und rollte sich abermals zusammen. Aber der Schlaf wollte sich nicht mehr einstellen.

ENDE

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51 Die Höhle der Berserker

E N D E