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Die Höhlen von Magintor

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 201

Die Höhlen von Magintor

Die Goldene Göttin wartet auf Atlan- und Ra, der Barbar, startet ins

Abenteuer

von Peter Terrid

In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit demGroßen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße-rer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im-periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen.

Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die –allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind unddas Gemeinwohl völlig außer acht lassen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßigeThronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver-schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge-gangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen denUsurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen. Der Kristall-prinz ist bei seinem Besuch von Skrantasquor durch die Einwirkung einer Geheim-waffe der Maahks in ein anderes Raum-Zeitkontinuum gelangt – in den Mikrokos-mos.

Während Ischtar, die Goldene Göttin, in der Nähe von Skrantasquor wartet und aufeine Chance hofft, Atlan zurückholen zu können, wird Atlans Kampfgefährte Ra un-geduldig.

Der Barbar setzt sich ab, startet ins Abenteuer und erreicht DIE HÖHLEN VONMAGINTOR …

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Die Hautpersonen des Romans:Ischtar - Die Goldene Göttin wartet auf das Wiedererscheinen Atlans.Ra - Der Barbar geht auf Abenteuersuche.Bei Etir Baj - Der Gefangene von Krassigg entgeht der Vernichtung.Thabek - Ein hitzköpfiger junger Con-Treh.Das Ergothal - Eine Bestie, die eine ganze Welt vernichten kann.

1.

»Laß mich in Ruhe, Ra!«Die Worte Ischtars klangen sanft und ru-

hig, aber auch sehr bestimmt. Ra verzog är-gerlich das Gesicht, dann wich er schmol-lend in den entferntesten Winkel der Zentra-le aus.

Noch immer umkreiste das Doppelpyra-midenschiff der Varganin den Planeten, aufdem die Maahks ihren Stützpunkt aufgebauthatten. Von Atlan fehlte jedes Lebenszei-chen, und so blieb den beiden Menschen anBord nichts anderes übrig als zu warten. MitGleichmut wartete die Varganin auf dieRückkehr des Mannes, den sie liebte, wäh-rend Ra von Stunde zu Stunde zappligerwurde – er haßte Untätigkeit, sie machte ihnfast körperlich krank.

Zudem mußte er sich eingestehen, daß ergar nicht einmal so sehr darauf erpicht war,Atlan wiederzusehen. Wenn es sich umIschtar handelte, wurde Ra zum kalten Egoi-sten. Tauchte der Kristallprinz nicht wiederauf, dann war der Weg frei für Ra – so je-denfalls stellte es sich der Barbar vor.

Immerhin war er ein wenig vorsichtigergeworden. Klar und deutlich hatte ihn Ischt-ar bedroht, als er in einem Anfall blindwüti-ger Eifersucht das Keruhm hatte versagenlassen; der nächste Sabotageversuch, so hat-te Ischtar erklärt, würde Ras Tod bedeuten,und es hatte nicht den Anschein gehabt, alshätte die Varganin ihre Worte nicht ernst ge-meint.

»Ich halte diese Warterei nicht längeraus!« stellte Ra brummig fest. Unruhig ginger in der Zentrale des varganischen Schiffesauf und ab.

Ischtar schien ihm nicht zuzuhören. Sie

starrte unverwandt auf den großen Bild-schirm, auf dem sich langsam der Ball desPlaneten zu drehen schien, auf dem Atlangelandet war. Daß der Kristallprinz in dieHände der Maahks gefallen war, war aus-schließlich Ra zuzuschreiben. Dank der her-vorragenden Fernortungsmöglichkeiten derVarganen wußte Ischtar nur zu gut, wo At-lan sich befinden mußte; sie hatte gesehen,wie Atlan geschrumpft und schließlich imMikrokosmos verschwunden war.

Wie Ischtar wußte auch Ra, daß es auchMöglichkeiten gab, dieses geheimnisvolleKontinuum wieder zu verlassen, aber insge-heim hoffte der Barbar, daß es auf der ande-ren Seite genügend Gefahren gab, um selbsteinen Atlan zur Strecke zu bringen.

Obendrein zerrten die großenMaahkschiffe an Ras Nerven. Zwar konntendie Methanatmer gegen die Defensivbewaff-nung des varganischen Schiffes nicht vielausrichten, aber Ra fühlte sich sehr unbe-haglich in der Rolle des Belagerten.

»Ich werde mir ein bißchen Bewegungverschaffen!« verkündete er schließlich. Erzuckte mit den Schultern, als Ischtars Ant-wort ausblieb, dann entfernte er sich aus derZentrale.

Die Erfahrungen der jüngsten Zeit hattenihn gelehrt, daß Ischtar stundenlang dieOberfläche des Maahkplaneten mit der Fern-ortung abtasten würde, in der Hoffnung, dasWiedererscheinen Atlans beobachten zukönnen. Einmal mit der Fernortung beschäf-tigt, war Ischtar kaum ansprechbar; Ra wuß-te, daß er jetzt einige Stunden Zeit hatte.

Der Plan des Barbaren stand fest: Er woll-te sich nicht länger aufs Beobachten be-schränken, sondern selbst etwas unterneh-men. Immerhin verfügte das Doppelpyrami-denschiff Ischtars über Beiboote, und Ra

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war mit der varganischen Technologie hin-reichend vertraut, um ein solches Raumfahr-zeug auch ohne Ischtars Hilfe steuern zukönnen. Er wußte auch, wo er an Bord desgroßen Schiffes die nötige Ausrüstung fin-den konnte.

Ra kümmerte sich nicht um Ischtar, wäh-rend er Lebensmittel, Waffen und andereMaterialien an Bord eines der kleinen Bei-boote schleppte. Er wußte, daß sie so in ihreBeobachtungen vertieft sein würde, daß seinVerschwinden stundenlang unbemerkt blei-ben würde. Sorgfältig überzeugte sich Radavon, daß das Beiboot technisch einwand-frei funktionierte, dann erst ließ er die In-nenschleuse zufahren.

Erst als sich sein Boot vom Mutterschifflöste, erkannte Ra, daß er in seiner Rech-nung einen wichtigen Faktor übersehen hat-te. Das Doppelpyramidenschiff war einge-kreist von schweren Maahkeinheiten, undauf den Bildschirmen und Massetastern wür-de sich das kleine Beiboot deutlich abzeich-nen.

»Besser, als hier zu verschimmeln!«knurrte Ra und fletschte die Zähne, als er diegegnerischen Schiffe sah.

Er zog den Beschleunigungshebel heran;hinter ihm verstärkte sich das Arbeitsge-räusch des Beiboots, während das Mutter-schiff auf den normaloptischen Bildschir-men rasend schnell kleiner wurde und dannnicht mehr mit freiem Auge zu erkennenwar.

Sofort nahmen die Maahks die Verfol-gung auf.

Ra grinste nur; er wußte, daß man ihnnicht erwischen konnte.

Masse war träge, sie setzte jeder Bewe-gungsänderung einen Widerstand entgegen.Ras Boot war leicht und klein, seine Kurvenund Flugbahnen konnten von den hundert-fach größeren Maahkschiffen nicht nach-vollzogen werden. Zwar wären die Maschi-nen der Maahks durchaus in der Lage gewe-sen, die nötigen Energien zur Überwindungder Massenträgheit zu liefern, aber für derartwahnwitzige Bewegungen, wie Ra sie aus-

führte, waren ihre Schiffe nicht stabil genug.Bevor die Maahks erkannten, daß sie ihre

Beute so gut wie verloren hatten, war dasBeiboot schon so weit von ihnen entfernt,daß an einen wirkungsvollen Beschuß nichtmehr zu denken war. Nach kurzer Zeit ga-ben die Methanatmer die Verfolgungsjagdauf und drehten ab.

Ra grinste vergnügt, als er das Manöverauf dem Bildschirm verfolgte, dann machteer sich daran, sich ein Ziel für seinen Aus-flug zu suchen.

Was er eigentlich wollte, war ihm unbe-kannt. Nach Kraumon zu fliegen, hatte erkeine Lust, und ein Flug nach Arkon wäreein Selbstmordunternehmen gewesen. DerBarbar konnte nicht viel mehr tun, als sichin der Umgebung umzusehen und dann zuIschtar zurückzukehren.

»Wenn ich wenigstens einen Anhalts-punkt hätte …!« murmelte er.

Nur zu gerne hätte er wieder einmal sei-nen Heimatplaneten aufgesucht, aber ihmfehlte dazu das nötige Wissen. Immerhinkonnte er versuchen, eine Welt zu finden,die seiner Heimat entfernt ähnlich war. Viel-leicht war es ganz nützlich, eine solche Weltaufzustöbern, überlegte sich Ra.

Irgendeine urtümliche Welt mit ebensourtümlichen Bestien wäre genau nach RasGeschmack gewesen. Er könnte, überlegteer sich, ein paar dieser Bestien erlegen undihre Felle, Zähne oder Hörner Ischtar alsTrophäen zu Füßen legen.

Der Barbar war ein Wesen, das nicht sehrlange depressiv sein konnte, und in bezugauf Ischtar konnte man ihn einen unheilba-ren Optimisten nennen. In Gedanken malteer sich bereits aus, wie er Atlan mit seinerTrophäensammlung ausstechen würde.

Vielleicht fand sich auch eine Welt, aufder man sich niederlassen konnte – zusam-men mit Ischtar natürlich. Während das Bei-boot sich immer mehr von seinem Mutter-schiff entfernte, gab sich Ra verführerischenTagträumereien hin.

Kurzentschlossen ging er daran, seineVorstellungen der Wirklichkeit ein wenig

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näher zu bringen. Mit Hilfe der Positroniksuchte er sich in der näheren Umgebung ei-ne Sonne aus, die den Eindruck machte, alskönne sie Planeten aufweisen. Ra program-mierte den Kurs und überließ dann den Au-tomaten die Steuerung des Schiffes.

Es dauerte nicht lange, bis das kleine Var-ganenschiff die Sonne erreicht hatte, und Rastellte zufrieden fest, daß das Gestirn fünfBegleiter aufzuweisen hatte. Fröhlich pfei-fend machte er sich daran, die einzelnen Pla-neten auf ihre Tauglichkeit für seine Zweckezu untersuchen.

*

Bei Etir Baj wartete auf seinen Tod; eswar nur noch eine Frage von Sekunden,dann würde die Thermitladung in seinemKörper gezündet werden. Immerhin hatteder Mann die Gewißheit, daß der Mann, derihm die tödliche Ladung in den Leib hatteeinpflanzen lassen, das Ende seines Opfersnicht mehr bewußt erleben würde. AlfertTorpeh, der Kommandant des AsteroidenKrassigg, lag auf dem Bauch, er konnte vorAngst und Schmerzen kein Glied mehr rüh-ren. Sein Kopf war nur drei Handbreit vondem Unterkörper Etir Bajs entfernt. Der ge-heimnisvolle Arkonide, dem Torpeh inzwölf Jahren beständiger Quälerei sein Ge-heimnis nicht hatte entreißen können, hattesich neben dem Kopf des Stationskomman-danten auf den Boden gesetzt.

In dichten Schwaden wälzte sich derQualm durch die Halle; Explosionen ließenden Boden erzittern. Auch das Ende desVerbrecherasteroiden Krassigg war abzuse-hen.

»Warte, mein Freund!« hörte Bei Etir Bajeine warme Stimme sagen. »Ich werde dirhelfen! Es wird ganz einfach sein!«

Etir Baj öffnete die Augen. Über ihm er-schien ein schwaches Leuchten an derDecke. Verblüfft sah der Arkonide, wie sichder Körper des Olphers durch den massivenFels bewegte und sich rasch auf Bei Etir Bajherabsenkte. Immer näher kam der feurige

Ball; Etir Baj biß die Zähne zusammen, alser die erste Berührung spürte.

Es schmerzte nicht, als sich der Olpherweiter sinken ließ und im Körper Etir Bajsverschwand.

»Glück gehabt!« gab der Olpher telepa-thisch durch. »Es fehlte nicht mehr viel!«

Dann spürte Etir Baj, wie sich sein Körperzusammenkrümmte. Irgend etwas wühlte inseinem Körper und schickte Wellen vonSchmerz über die Nervenbahnen. Etir BajsMuskulatur zuckte krampfhaft, und AlfertTorpeh, der mit glasigen Augen auf sein Ge-genüber starrte, hatte den Eindruck, als lä-gen in Etir Bajs Magen zwei Tiere miteinan-der im Kampf. Langsam kroch der Kom-mandant von Krassigg zurück, versuchtesich aus der Nähe des vor Schmerzen umsich schlagenden Etir Baj zu bringen.

Bei Etir Baj hatte keine Zeit mehr gefun-den, sein Nervensystem auf völlige Schmer-zunempfindlichkeit umzustellen. In großenTropfen lief Schweiß über seine Stirn, seinAtem ging pfeifend. Es schien Ewigkeitenzu dauern, bis der Schmerz nachließ und derOlpher sich wieder meldete.

»Ich habe die Thermitbombe unschädlichgemacht!« meldete das geheimnisvolle We-sen, das aussah wie ein kleiner, feurigerschimmernder Ball aus reiner Energie.»Allerdings wirst du für den Rest deines Le-bens mit zwei faustgroßen Diamanten imKörper auskommen müssen!«

»Es gibt Schlimmeres!« meinte der Mannlächelnd.

Die Gewißheit, daß er nicht an der heim-tückischen Thermitladung würde sterbenmüssen, gab dem verletzten Mann neueEnergie. Von diesem Zeitpunkt an lag esweitestgehend an ihm, ob er die Vernichtungdes Asteroiden überlebte oder nicht.

Etir Baj warf einen verächtlichen Blickauf Alfert Torpeh. Der Kommandant desAsteroiden stammelte sinnlose Silben undbewegte sich, mühsam kriechend, immerweiter von Etir Baj weg.

»Du mußt dich beeilen!« erklärte der Ol-pher drängend. »Krassigg lebt nicht mehr

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lange!«Etir Baj sprang auf und griff nach seiner

Waffe. Er kümmerte sich nicht mehr um Al-fert Torpeh; von ihm drohte keine Gefahrmehr. Im Innern Krassiggs aber versuchtenknapp einhundert Menschen in einem rück-sichtslosen Kampf jeder gegen jeden, dasnackte Leben zu retten. Auf Krassigg warenzwei raumtaugliche Schiffe stationiert, eineswar bei der Verfolgung der CERVAX ver-nichtet worden, aber das andere Schiff muß-te noch flugtüchtig sein.

Etir Baj rannte los. Er hatte zwölf JahreZeit gehabt, sich jeden Winkel der Stationeinzuprägen. Obwohl das Licht flackerteund immer wieder ausfiel, ließ sich derMann nicht aufhalten. Er kannte den Weghinauf zu den Hangars sehr genau.

Als die künstliche Schwerkraft ausfiel,brauchte Etir Baj nur Sekunden, bis er sichauf die veränderte Lage eingestellt hatte. Mitnach vorn ausgestreckten Armen flog erdurch die Gänge, deren Wände immer grö-ßere Risse aufzuweisen hatten. Nur an einerGabelung legte er eine kurze Pause ein; ernahm einem Toten den Raumanzug ab undstreifte ihn sich in größter Eile über. Einkurzer Blick auf die Kontrollen genügte, umihm zu zeigen, daß alle Aggregate des An-zugs einwandfrei arbeiteten. Vorsichtshalberließ Etir Baj schon zu diesem Zeitpunkt dieHelmverschlüsse zuschnappen; er konntenicht abschätzen, wann die Atemluft im In-nern Krassiggs schlagartig ins Vakuum ent-weichen würde.

Nicht nur Bei Etir Baj hatte erkannt, daßKrassigg bald zerplatzen würde, auch dieanderen Männer in dem Asteroiden wußtennur zu genau, daß sie schnellstens ihr Ver-steck verlassen mußten. Da sie aber anderer-seits auch sehr genau wußten, daß für allekein Platz an Bord des einzigen noch ver-bliebenen Schiffes war, führten sie ihrenverzweifelten Kampf aller gegen alle bereitsin den Gängen und Räumen des Asteroiden.Immer wieder stieß Etir Baj auf seinem Wegauf Gruppen von Männern, die sich mit ver-bissener Wut bekämpften, mit Strahlern und

Messern, oft genüg mit den bloßen Händen.Überall lagen die Opfer solcher Auseinan-dersetzungen in den Gängen.

»Der gerade Weg wird blockiert sein!«überlegte Etir Baj halblaut. »Ich muß einenUmweg einschlagen!«

Jetzt, da sein Leben nicht mehr davon ab-hing, daß er alle Tage die Batterie neu auf-lud, die die Detonation der Thermitladungverhinderte, bewegte er sich freier und ziel-gerichteter. Er konnte sich seinen Weg aus-suchen.

Etir Baj entschied sich dafür, sich zu einerder Geschützkuppeln durchzuschlagen, mitdenen die Oberfläche Krassiggs vor uner-wünschtem Besuch geschützt wurde. Nachden Ereignissen der letzten Stunde war an-zunehmen, daß die Besatzungen die Ge-schützstände fluchtartig verlassen hatten.

Etir Baj grinste sarkastisch, als er fest-stellte, daß seine Überlegungen stimmten. Jenäher er den Geschützkuppeln kam, destoruhiger wurde es um ihn herum. Niemandstellte sich ihm in den Weg; die Männer hat-ten sich offenbar rings um die Hangars zu-sammengedrängt, um sich dort gegenseitigsolange zu dezimieren, bis für jeden Überle-benden Platz an Bord des letzten Schiffeswar.

Bei Etir Baj erreichte den Geschützstand.Die Impulskanone war stark beschädigt,aber die Panzerkuppel darüber zeigte nochkeine Zerfallserscheinungen. Der Mann ließdas schwere Schott hinter sich zufahren,dann öffnete er die Wartungsschleuse, dieins Freie führte. Zwar hätte er durchaus dieMöglichkeit gehabt, die innere Schleuse of-fenzulassen, aber es widersprach seinerMentalität, die Bewohner Krassiggs auf die-se heimtückische Art zu töten, obwohl ersich bewußt war, daß keiner der Männer lan-ge gezögert hätte, wäre er mit dem gleichenProblem konfrontiert gewesen.

Etir Baj verwendete seine Waffe alsRückstoßaggregat, um seine Fahrt zu be-schleunigen, als er langsam über die zer-narbte Oberfläche des Asteroiden glitt. Vonden Kämpfen, die im Innern tobten, war hier

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nichts wahrzunehmen.Obwohl Etir Baj die Station nie von au-

ßen gesehen hatte, wußte er doch sehr ge-nau, wohin er sich zu wenden hatte. Es wareine mühevolle Aufgabe gewesen, aus eini-gen hundert Einzelinformationen ein Puzzlezusammenzusetzen, mit dem sich etwas an-fangen ließ, aber Etir Baj hatte sich immer-hin zwölf Jahre lang auf diesen Tag vorbe-reitet. Er brauchte nur wenige Minuten, dannhatte er sein Ziel erreicht.

Es war nicht zu verfehlen. Deutlich warim Licht des Helmscheinwerfers das Lochzu erkennen, daß von der CERVAX bei ih-rer Flucht in die Oberfläche Krassiggs ge-schossen worden war.

»Diese Narren!« knurrte Etir Baj verächt-lich.

Der Hangar war leer. Als die CERVAXgestartet war, mußte die Atemluft schlagar-tig ins Vakuum entwichen sein, außerdemhatten sich die Schleusen zur restlichen Sta-tion automatisch geschlossen. Mit sich selbstund ihrem Verzweiflungskampf beschäftigt,war offenbar noch kein Bewohner Krassiggsdazu gekommen, eine dieser Schleusen zuöffnen. Wahrscheinlich hielten sich dieMänner noch in den Vorräumen der Hangarsauf und lieferten sich dort einen mörderi-schen Kampf.

Etir Baj stieß sich von der Hangardeckeab und schwebte rasch auf die obere Halb-kugel des Schiffes hinab. Die Kugel besaßeinen Durchmesser von sechzig Metern undwar überlichtschnell, mithin genau das, wasEtir Baj brauchte.

Der Mann wußte, daß ihm nicht mehr vielZeit verblieb. So rasch er konnte, arbeiteteer sich zur Mannschleuse vor, in der Hoff-nung, das Schiff verlassen vorzufinden.Aber ein Rumoren im Innern des Schiffesbelehrte ihn, daß sich irgendein lebendesWesen in dem Schiff aufhalten mußte. Denletzten Beweis für diese Vermutung liefertedie Schleuse, deren Schotte sich schlossen,ohne daß Etir Baj einen Hebel berührt hätte.Wahrscheinlich befand sich jemand in derZentrale und versuchte nun, das Schiff

schnellstens zu starten. Es entsprach derMentalität der Krassigg-Bewohner, daß esdem Betreffenden offenbar nicht einfiel, denVersuch zu unternehmen, einen Teil seinerGenossen zu retten.

»Elender Halunke!« knurrte Etir Baj.Er konnte nicht sehen, was sich im Han-

gar abspielte, aber aus den Geräuschen fol-gerte er, daß das Schiff abhob und langsaman Fahrt gewann. Wer auch immer dieSteuerung des Schiffes bediente, er überließseine früheren Kameraden ohne Rücksichtdem Tode, denn es konnte nicht mehr langedauern, bis der Asteroid zerplatzte.

Etir Baj fühlte sich sicher. Er wußte, daßder Unbekannte in der Zentrale genug damitzu tun hatte, das Raumschiff zu steuern.Diese Aufgabe erforderte soviel Konzentra-tion, daß an eine Überwachung des Schiff-sinnern nicht zu denken war. Daher unterzogsich Etir Baj gar nicht erst der Mühe, sichlangsam an die Zentrale heranzuschleichen,sondern benutzte den kürzesten Weg überden zentralen Antigravschacht. Als er dengroßen Raum erreichte, erkannte Bei EtirBaj einen Mann, der sich auf den Platz desPiloten gesetzt hatte und vollauf damit be-schäftigt war, das Schiff schnellstens vonKrassigg wegzubekommen. Der Grund fürdiese Eile war nicht zu übersehen.

Krassigg war explodiert. Von dem Aste-roiden war nicht mehr geblieben als einesich rasch ausbreitende Wolke aus verglü-henden Gasen. Die Detonation der Energie-anlagen im Innern des Asteroiden hatten dasFelsstück in Atome zerfetzt, von den Be-wohnern des Verbrecherstützpunkts war mitSicherheit keiner mehr am Leben.

Etir Baj wußte nur zu genau, daß jedereinzelne Krassigger vor normalen Gerichtendutzendmal zum Tode verurteilt worden wä-re, dennoch schluckte er heftig, als er dieGaswolke auf dem großen Panoramaschirmsah.

Das Schiff war schon zu schnell, um nochvon den Ausläufern der Katastrophe erreichtwerden zu können. Die vierdimensionalenFolgen des Energieausbruchs hatte das

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Schiff ohne Mühe überstanden.Etir Baj stand neben dem Eingang des

Antigravs und wartete, die Waffe entsichertin der Hand. Mit leiser Genugtuung sah erdas Erschrecken in den Augen des Mannes,als dieser sich umdrehte.

»Etir Baj!« staunte der Pilot. »Wie zumTeufel kommst du hierher?«

Etir Baj verzog das Gesicht zu einem ver-ächtlichen Grinsen; er war ziemlich erleich-tert. Denn der Mann, der es als einziger derKrassigg-Bewohner geschafft, das Schiff zuerreichen, war zwar ein Hüne von Gestalt,aber geistig nicht beweglich genug, um EtirBaj ernsthafte Schwierigkeiten bereiten zukönnen. Etir Baj ließ die Kapuze seinesRaumanzugs zurückklappen und lächelteden Mann an.

»Ter Mytor!« sagte er halblaut. »Du bistder letzte, den ich hier vermutet hätte!«

Mytor starrte nervös auf die entsicherteWaffe in Etir Bajs Hand. Für den Mann wares unbegreiflich, daß Etir Baj immer nochlebte. Er wußte wie jeder andere in Kras-sigg, daß Etir Bajs Leben davon abhing, daßdie kleine Batterie an seiner Hüfte eine De-tonation der Thermitbombe verhinderte. DieStelle, wo die Batterie sitzen mußte, warvom Anzug verdeckt, aber das Objekt hättesich unter dem flexiblen Gewebe deutlichabzeichnen müssen.

»Komm mir nicht näher!« warnte Mytorhastig, als Etir Baj einen Schritt auf ihn zumachte. »Du weißt, daß ich mit der Ladungin deinem Bauch nichts zu tun habe. Willstdu mich aus Rache töten?«

»Du brauchst um dein Leben nicht zujammern!« gab Etir Baj kalt zurück. »Ich ha-be die Ladung unschädlich gemacht! Wohinwolltest du das Schiff steuern?«

»Nach Arkon natürlich!« meinte Mytor.»Leg doch endlich die Waffe weg! Du siehstdoch, daß ich unbewaffnet bin!«

Etir Baj überlegte kurz. Er suchte in sei-nen Erinnerungen, dann wußte er, wohinsich Ter Mytor wenden wollte. Etir Baj hattegenügend Gesprächsfetzen aufgeschnappt,um zu wissen, wer die Hintermänner waren,

die den aufwendigen Stützpunkt Krassiggunterhalten und aufgebaut hatten. Er ver-zichtete darauf, sein Gegenüber mit diesenKenntnissen zu verblüffen.

»Du hast recht!« sagte er freundlich. »Wirsind aufeinander angewiesen!«

Langsam streifte er den Raumanzug ab.Die Wunde an seiner Hüfte brannte höllischund blutete stark. Dort hatte die Batterie ge-sessen, bis Alfert Torpeh sie zerschossenhatte. Der Blutverlust ließ Etir Baj leichtschwanken.

»Ich helfe dir!« sagte Mytor hastig undsprang auf. Er kam gerade noch rechtzeitig,um Etir Baj aufzufangen. Langsam ließ My-tor den Körper des Bewußtlosen auf den Bo-den gleiten, dann verzog sich sein Gesicht.Ter Mytor grinste boshaft.

»Warte, Etir Baj!« murmelte der Mann.»Vielleicht gelingt mir das, was Torpehzwölf Jahre lang nicht geschafft hat. Ichwerde herausbekommen, woher du stammstund wie das Geheimnis beschaffen ist, dasdu so beharrlich für dich behalten hast!«

*

Als Etir Baj erwachte, griff er unwillkür-lich nach der Hüftwunde. Er seufzte erleich-tert, als er den dicken Verband spürte. TerMytor hatte die Wunde mit einem Plasma-konzentrat besprüht, das eine rasche Heilunggarantierte. Ein Blick auf die Uhr zeigte demMann, daß er mehr als vierundzwanzigStunden lang ohne Bewußtsein gewesen war– Zeit genug für den durchtrainierten Kör-per, den großen Blutverlust wenigstens teil-weise wieder ausgleichen zu können.

Als Etir Baj hochsah, mußte er erkennen,daß der Verband keineswegs auf MytorsMitleid zurückzuführen war. Etir Baj starrtein die Mündung seiner eigenen Waffe, dieMytor auf seinen Kopf gerichtet hielt.

»Was soll der Unfug?« fragte der geheim-nisvolle Mann mit den dunklen Haaren undden blauen Augen. »Warum bedrohst dumich!«

»Ich glaube nicht, daß du freiwillig mit-

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kommen wirst, wenn ich dir sage, daß derFlug nach Arkon geht!« vermutete Mytorgrinsend. »Alfert Torpeh war ein Stümper,wenn es darum ging, Leute zu verhören. Ichkenne ein paar Männer, die sich auf solcheAufgaben spezialisiert haben – die werdendich schon zum Sprechen bringen!«

»Kaum anzunehmen!« meinte Etir Bajund stand langsam auf. »Außerdem habe ichnichts zu verbergen! Das Geheimnis, hinterdem Torpeh jahrelang hergejagt ist, bestehtnur in eurer Phantasie!«

»Dann beantworte mir noch ein paar Fra-gen!« höhnte Mytor. Etir Baj stellte zufrie-den fest, daß sein Trick zog; sein Gegenüberwurde sichtlich unruhig bei dem Gedanken,daß Etir Baj jetzt endlich auspacken würde.»Woher kommst du eigentlich? Zu welchemVolk gehörst du?«

»Ich bin Arkonide!« stellte Etir Baj fest;er lächelte verhalten. Er sagte die Wahrheit,aber niemand würde sie ihm glauben. Dieganze Wahrheit allerdings würde Etir Bajunter keinen Umständen enthüllen.

»Du willst mich wohl veralbern, wie?«knurrte Mytor gereizt. Er gehörte zu der Sor-te Menschen, die nichts weniger vertragenkönnen als das Gefühl, nicht jederzeit ernstgenommen zu werden. Er trat auf Etir Bajzu, einen Schritt nur, aber diese Bewegungreichte. Etir Bajs Fuß schnellte in die Höheund traf auf die Waffenhand Mytors. DerMann schrie auf, aber ließ die Waffe nichtfallen. Ein Schuß löste sich und krachte inein Istrumentenpult. Klirrend barst ein klei-ner Bildschirm und fiel in sich zusammen,gleichzeitig heulte eine Sirene auf.

»Verdammt!« schrie Mytor auf.Der Klang der Sirene bedeutete, daß ein

Instrument ausgefallen oder beschädigt seinmußte, ohne das dieses Schiff nicht ein-wandfrei zu beherrschen war. Etir Baj nutzteden winzigen Augenblick aus, in dem Mytorunaufmerksam war und griff an. Ein wilderZweikampf entspann sich. Mytor verlor dieWaffe, die geräuschvoll über den stählernenBoden schrammte; dafür gelang es ihm, EtirBaj einen gutgezielten Hieb zu versetzen,

der genau auf die kaum verheilte Hüftwundetraf. Zu Mytors Erstaunen verzog Etir Bajkeinen Muskel, er schien den fürchterlichenSchmerz überhaupt nicht zu spüren.

Jetzt wußte Ter Mytor, daß er gegen sei-nen Widersacher keine Siegeschance hatte.Er kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung,von dem Gedanken ausgehend, daß Etir Baj– wie es für Mytor selbstverständlich gewe-sen wäre – seinen unterlegenen Gegner kalt-blütig töten würde.

Es gelang dem Mann, sich Etir Bajs Griffzu entziehen. Hastig sprang Mytor auf dieFüße. Obwohl der Versuch völlig sinnloswar, wollte er sich wieder in den Besitz sei-ner Waffe setzen; Mytor machte einen Satzund versuchte, über Etir Baj hinwegzusprin-gen. Der geheimnisvolle Arkonide riß denFuß hoch und traf Mytor im Sprung. TerMytor landete auf dem linken Bein, verlordas Gleichgewicht und ruderte mit den Ar-men, um nicht zu stürzen. Während er sichdrehte, verlor er gänzlich den Halt und fielrücklings in das Instrumentenpult, das seinSchuß zerstört hatte. Im Bruchteil einer Se-kunde raste der Hochspannungsstrom durchseinen Körper.

*

Etir Baj knirschte mit den Zähnen.Er hatte sich die Zeit genommen, das, was

von Ter Mytor geblieben war, in den freienRaum zu stoßen. Während dieser Zeit hatteer in Gedanken nach einer Möglichkeit ge-sucht, den Ausfall des zerstörten Instrumentswieder wettzumachen. Er hatte keinen Aus-weg gefunden, und ohne das Instrument, dasdazu diente, die Abstrahlwerte der Einzel-triebwerke zu synchronisieren, war an einenWeiterflug nicht zu denken. Beim Erreichendes Transitionspunkts mußten Schub, Ge-schwindigkeit und Standort des Schiffes bisauf etliche Dezimalstellen hinter dem Kom-ma präzise bestimmbar sein, sonst war derSprung nahezu sinnlos. Ohne diese Datenwar der Punkt der Rematerialisation nicht zubestimmen.

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Immerhin war es Etir Baj gelungen, einehalbwegs präzise Bestimmung seines galak-tischen Standorts zuwege zu bringen. Nachseinen Berechnungen war er ziemlich weitvon arkonidischem Herrschaftsgebiet ent-fernt, weit genug jedenfalls, um seinenFreunden Zeit genug zu geben, ihn zu su-chen, bevor die Arkoniden ihn fanden. Dennmit der arkonidischen Flotte wollte Bei EtirBaj wenn möglich nichts zu tun haben.

Unruhig ging der hochgewachsene Mannin der Zentrale des kleinen Raumschiffes aufund ab. Er war sich durchaus darüber klar,welches Risiko er einging, sowohl für sich,als auch für seine Freunde und Gefährten.Bei Etir Baj hatte abzuwägen: seinemWunsch nach Rettung stand das starke Si-cherheitsinteresse seiner Art entgegen.

Als Etir Baj schließlich das Funkgeräteinschaltete, hatte er den Entschluß gefaßt,für den Fall, daß als erstes Arkoniden aufder Szene erscheinen sollten, das Schiff zusprengen. Vorsichtshalber faßte er auch denText so ab, daß seine Freunde sehr schnellerkennen konnten, wer da um Hilfe funkte.

Nach Schätzungen des Mannes würdenmindestens vier, bis fünf Stunden vergehen,bevor man ihn finden konnte, Zeit genug al-so, das Schiff zur Sprengung vorzubereiten.

*

Ra spürte, wie sein Herz schneller schlug,als er die Zeichen auf der schmalen Kartestudierte. Die Funküberwachung hatte denSpruch aufgefangen und auf dem Plastik-streifen festgehalten.

»Er funkt nicht auf der normalen Notruf-welle!« stellte Ra sachkundig fest. »Auf Hil-fe von staatlichen Organisationen legt ermithin keinen Wert!«

Ra konnte nicht wissen, wer den merk-würdigen Hilferuf abgesetzt hatte, aber erwar sich ziemlich sicher, daß dieser Jemandgute Gründe hatte, nicht von Flotteneinhei-ten aufgestöbert zu werden. Solche Men-schen konnten vielleicht nützlich sein; Geg-ner Orbanaschols waren auf Kraumon im-

mer willkommen, vorausgesetzt, sie handel-ten aus Gewissensgründen gesetzwidrig. Ankriminellen Gestalten lag Atlan wenig.

»Egal!« stellte Ra fest. »Ob kriminelloder Widerständler – ich werde mir denBurschen einmal ansehen! Vielleicht gibt esein Abenteuer!«

Dank der hervorragenden Technik derVarganen dauerte es nicht lange, bis Ra seinSchiff auf das neue Ziel eingestellt hatte.

*

Bei Etir Baj würgte einen Fluch hinunter,als er die Anzeige des Strukturtasters hörte.In seiner unmittelbaren Umgebung war einSchiff aus dem Hyperraum gefallen und ma-terialisiert. Ob Zufall oder nicht, Etir Baj sahsich in die Enge getrieben. Noch war seinSchiff nicht zur Selbstzerstörung vorbereitet.

Hastig machte Etir Baj die Sprengladungneben dem Hauptreaktor scharf, dann rannteer auf dem kürzesten Weg in die Zentrale.Der Anblick des Fremden versetzte ihm dennächsten Schock.

Niemals zuvor hatte Etir Baj ein solchesSchiff gesehen. Obwohl die fremde Einheitnicht mehr sein konnte als ein Beiboot, wuß-te Etir Baj, daß er einem Fremden gegen-überstand. In den Unterlagen seines Volkesund in seinem glänzenden Gedächtnis warnicht eine einzige raumfahrende Rasse ent-halten, die solche Konstruktionen baute.

»Bitte melden!« tönte es aus dem Laut-sprecher. Der Pilot des kleinen Doppelpyra-midenschiffs sprach ein einwandfreies Arko-nidisch, ein Umstand, der Etir Baj besonde-res Mißtrauen weckte. Die Erbauer des Bei-boots mußten schon ziemlich intensivenKontakt mit Arkoniden gehabt haben, ohnedaß Etir Baj je etwas davon gehört hatte. Erkonnte sich auch nicht erinnern, daß je aufKrassigg von solchen Konstruktionen ge-sprochen worden wäre, und die Verbrecherhatten über einen bemerkenswert gutinfor-mierten Nachrichtendienst verfügt.

»Sie haben um Hilfe gerufen!« stellte derFremde fest. »Was kann ich für Sie tun?«

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Page 11: Die Höhlen von Magintor

»Ich!« murmelte Etir Baj. »Also nur ei-ner!«

Um eine Neukonstruktion der Maahkskonnte es sich nicht handeln, dafür verrietdie Stimme des Sprechers zuviel Emotion.

Etir Baj griff nach dem Mikrophon; er be-diente sich des Normalfunks, als er sagte:

»Vielen Dank, daß Sie meinen Hilferuf soschnell beantwortet haben. Mein Reaktorläuft langsam heiß, und ich habe kein über-lichtschnelles Beiboot zur Verfügung. Ichwäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich an BordIhres Schiffes ließen. Was ist das übrigensfür eine Konstruktion? Ich habe dergleichennie zuvor gesehen!«

»Das glaube ich gern!« antwortete seinGesprächspartner, der Stimme nach zu urtei-len ein Mann. »Schiffsbauten dieser Art sindselten in der Galaxis. Wohin soll ich Siebringen? Nach Arkon?«

»Nur das nicht!« entfuhr es Etir Baj; erknirschte hörbar mit den Zähnen, als er be-griff, daß er sich eine Blöße gegeben hatte.

»Sieh an!« bekam er zu hören. »Ein Ge-sinnungsgenosse!«

Etir Baj zog die Brauen in die Höhe; erbegann sich Gedanken über seinen merk-würdigen Retter zu machen.

»Gesinnungsgenosse?« wiederholte EtirBaj skeptisch. »Was für eine Gesinnung ha-ben Sie denn? Wer sind Sie überhaupt?«

»Wer ich bin, tut nichts zur Sache!« ant-wortete die Stimme. »Aber, falls es Sie in-teressiert – ich bin ein persönlicher Freunddes künftigen Imperators von Arkon!«

Etir Baj begann zu grinsen. Offenbar hatteer es mit einem größenwahnsinnigen Narrenzu tun. Damit war auch die bizarre Form desSchiffes erklärt – reiche Arkoniden ließensich häufig absonderliche Schiffe bauen.

»Und wie wird er heißen, der neue Impe-rator?« fragte Etir Baj beiläufig, während erdie Schaltung für die Sprengung beendigte.

»Gonozal VIII.« lautete die Antwort.Etir Baj fuhr ruckartig in die Höhe; er ließ

das Mikrophon los, so daß der andere dasStöhnen nicht hören konnte, das über seineLippen kam. Etir Bajs Gesicht war verzerrt,

seine Hände zu Fäusten geballt.Wer auch immer der Pilot des Doppelpy-

ramidenschiffes war, er hatte sich mit diesenWorten das Todesurteil gesprochen.

2.

»Ich lasse die Schleuse auffahren!« ver-kündete Ra. Auf dem Bildschirm vor ihmkonnte er sehen, wie sich eine Öffnung inder Außenwandung der Kugel bildete, die ingeringem Abstand neben Ras Schiff imRaum schwebte.

Dann löste sich eine Gestalt aus dem er-hellten Bereich der Schleuse und schwebtelangsam zu Ra hinüber.

»Ich habe Ihre Schleuse erreicht!« ver-kündete der Mann im Raumanzug.

Ra nahm die wenigen Schaltungen vor,die die beiden Schotts zufahren ließen undden Raum der Kammer wieder mit Atemluftfüllten.

»Ich habe eine Bitte!« erklärte der Geret-tete. Den Geräuschen nach zu schließen, warer bereits damit beschäftigt, den Raumanzugwieder abzulegen. »Nehmen Sie Fahrt aufund vernichten Sie mein Schiff. Es darfnicht gefunden werden!«

»Wird gemacht!« versprach Ra.Er hatte herausgefunden, daß der Hilferuf

von einem Agenten einer arkonidischen Un-tergrundorganisation stammte, die angeblichüber weitreichende Möglichkeiten verfügteund mehrere tausend Mitglieder hatte, dar-unter führende Personen am Hofe Orbana-schols. In Gedanken klopfte sich Ra selbstauf die Schulter. Er würde der Held des Ta-ges sein, wenn er einen so wertvollen Ver-bündeten auf Kraumon vorstellte.

Der Wunsch des Agenten ließ sich leichterfüllen; nach wenigen Salven war von sei-nem Schiff nicht mehr übrig als eine raschexpandierende Wolke aus glühendem Gas.Die Explosion des Hauptreaktors setzte al-lerdings soviel Energie frei, daß man diesenAusbruch über Hunderte von Lichtjahrenhinweg würde orten können. Es galt alsoschnellstens zu verschwinden, wenn Ra ein

Die Höhlen von Magintor 11

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Gefecht mit Einheiten der Arkonflotte ver-meiden wollte.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar!« erklärte BeiEtir Baj freundlich, als er das Cockpit desVarganenschiffs betrat. Er hatte die Handausgestreckt, und Ra drehte sich schnell zuihm herum.

Auf beiden Gesichtern spiegelte sich dieÜberraschung.

Ra konnte sich nicht erinnern, jemals vondunkelhaarigen Arkoniden mit blauen Au-gen gehört zu haben, und wenn es so etwastatsächlich geben sollte, müßte es ausge-schlossen sein, daß ein so auffälliger Manneine wesentliche Rolle in einer Untergrund-organisation spielen konnte. Zudem bewie-sen die Narben am Kopf, unverkennbarNachwirkungen rücksichtslos geführter Psy-choverhöre, daß der Mann seinen Feindenschon einmal in die Hände gefallen war. Rahatte gehofft, einen wertvollen Verbündetengefunden zu haben; jetzt war er sichtlichenttäuscht.

Etir Baj war nicht minder verblüfft; aucher hatte damit gerechnet, einen typischenArkoniden vorzufinden, nach Möglichkeiteinen steinreichen, leicht verkalkten älterenHerrn, den zu übertölpeln für ihn ein Kin-derspiel sein würde. Jetzt sah Etir Baj vorsich einen stämmigen Mann mit kräftig aus-gebildeter Muskulatur, geistig hellwach undobendrein mit zwei Waffen am Gürtel verse-hen. Von was für einem urtümlichen Plane-ten der Barbar stammen mochte, interessier-te Etir Baj nicht; er erkannte nur, daß er höl-lisch aufpassen mußte, wenn er diesen Mannüberwältigen wollte.

»Ich hatte Sie mir etwas anders vorge-stellt!« erklärte Ra mit der für ihn typischenOffenheit. »Sie sehen etwas befremdlich ausfür einen Arkoniden!«

Etir Baj schüttelte die Hand, die ihm derBarbar entgegenstreckte, und grinste. Es wardieses Lächeln, das Ras Mißtrauen in Se-kundenbruchteilen zusammenbrechen ließ.

»Alles nur Maske!« erklärte Etir Baj hei-ter. »Ich hatte einen Einsatz auf Zaoviatdurchzuführen. Kennen Sie diese Welt?«

»Nie davon gehört!« antwortete Ra, undnannte seinen Namen. Er setzte sich auf denPlatz des Kopiloten und drehte den schwe-ren Sessel so, daß er Ra ins Gesicht sehenkonnte. »Mit ein paar Chemikalien sehe ichnach kurzer Zeit wieder ganz normal aus!«

Ra deutete auf die Narben an Etir BajsKopf.

»Echt?« wollte er wissen.»Auch gefälscht!« gab Etir Baj zurück.

»Wohin fliegen wir eigentlich?«Ra zuckte mit den Schultern und erklärte:»Irgendwohin! Ich habe nur zugesehen,

daß wir schnellstens von dem explodiertenSchiff wegkamen. Haben Sie ein bestimmtesZiel?«

»Einstweilen nicht!« log Etir Baj. »Ichmöchte mich zunächst gern ausruhen, etwasessen und ein Bad nehmen!«

»Kommen Sie mit!« bat Ra und zeigteEtir Baj die Räumlichkeiten.

*

Etir Baj hatte die Stiefel ausgezogen undbewegte sich nahezu geräuschlos. FünfStunden waren vergangen, seit Ra ihn anBord genommen hatte. Nach dem Essen hat-te sich Etir Baj niedergelegt und so naturge-treu geschnarcht, daß Ra darauf hereingefal-len war. Nach Etir Bajs Berechnungen muß-te der Barbar irgendwo im Schiff sein – undebenfalls schlafen. Der Mann grinste leicht,als er die Zentrale erreichte und dort Ra vor-fand. Der Barbar hatte es sich im Pilotenses-sel bequem gemacht und schlief, ein Zei-chen dafür, daß er Etir Baj traute.

Trotz der hervorragenden Reflexe desBarbaren brauchte Ra zuviel Zeit, um zu be-greifen, was geschehen war. Zwar hatte erdie ruckartige Bewegung gespürt, aber eheer reagieren konnte, hatte Etir Baj ihm be-reits die Waffen aus den Halftern gezogenund hielt sie ihm jetzt entgegen.

»Was soll das?« fragte Ra unwillig. »Bistdu verrückt geworden?«

»Keineswegs!« wehrte Etir Baj ab. »Setzdich wieder!«

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Ra bleckte die Zähne und ließ sich wiederauf den Pilotensitz zurücksinken. Er begriff,daß er in einer Falle saß, aber er hatte nichtdie leiseste Ahnung, warum ihm sein Ge-genüber die Errettung so schnöde vergalt.

»Und jetzt?« fragte Ra spöttisch. Erschlug die Beine übereinander und grinsteEtir Baj an. »Kannst du mit diesem Bootumgehen?«

»Ich nicht!« versetzte Etir Baj gleichmü-tig. »Aber du, und du wirst jetzt den Kursprogrammieren, den ich dir vorschreibe!«

»Fällt mir überhaupt nicht ein!« begehrteRa auf.

Knapp eine Handbreit neben ihm schlugder nadelfeine Strahl in den Pilotensesselein. Ra sprang hastig auf, während Etir Bajmit dem Lauf der Waffe seiner Bewegungfolgte. Ra verstand: Etir Baj würde sofortschießen, wenn er sich seinen Wünschen wi-dersetzte.

Was Ra besonders irritierte, war der un-verhohlene Haß, der aus Etir Bajs Zügensprach. Ein Haß, von dem Ra nicht wußte,was ihm zugrunde lag, der aber bereits altsein mußte und sich dementsprechend ge-staut hatte. Ra spürte, daß Etir Baj völlig ru-hig und beherrscht war; dieser Haß wurdenicht vom Feuer der Wut genährt, sondernbrannte mit steter, kalter Flamme. Entspre-chend schwierig war er zu löschen.

Ra bedachte seinen Gegner mit ein paargemurmelten Schimpfworten, die er aller-dings vorsichtshalber einer Sprache ent-nahm, die Etir Baj nicht verstehen konnte.Daß der Tonfall den Inhalt seiner Rede un-überhörbar machte, entging ihm dabei. EtirBaj ließ sich davon, nicht beirren. Ruhig undgelassen erteilte er seine Befehle, und Ramußte ergrimmt feststellen, daß der Mannihn keine Sekunde lang aus den Augen ließ.Etir Baj war auf der Hut, und es würde höl-lisch schwer für Ra werden, wieder das Heftin die Hand zu bekommen.

»Wohin soll die Reise gehen?« fragte Rasarkastisch. »Oder muß das geheim blei-ben?«

Etir Baj würdigte ihn keiner Antwort. Der

Mann stand hinter ihm, hatte die Mündungseiner Waffe auf Ras Nacken gerichtet, undRa konnte in einem spiegelnden Stück Me-tall sehen, daß Etir Baj lächelte.

Es war jenes freundliche, unverbindlicheLächeln, mit dem Etir Baj die Besatzungvon Krassigg jahrelang gefoppt hatte. Erhatte wieder jene durch nichts zu erschüt-ternde Ruhe wiedergefunden, mit der er sei-ne Feinde zu täuschen und einzulullen pfleg-te.

Ra seufzte und programmierte den befoh-lenen Kurs. Den Versuch, Etir Baj zu täu-schen, unternahm er gar nicht erst. Dieschweigende Drohung genügte völlig, umihn auf andere Gedanken zu bringen. EtirBaj kannte die psychologische Wirkung die-ses Schweigens, und er nutzte sie kaltblütigfür seine Zwecke aus.

Ra mußte unwillkürlich an Magantillikendenken, den Henker der Varganen, der eben-falls ein unerschütterliches Selbstvertrauenzur Schau getragen hatte. Auch der Varganehatte nicht viel gesprochen, und in den Zei-ten, in denen er hartnäckig schwieg, war erRa besonders gefährlich erschienen.

»Verfluchte Varganentechnik!« knurrteRa.

Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte ineinem anderen Schiff gesessen. Dann wäremehr Zeit verstrichen bis zum Erreichen desZieles. Zeit, die Ra bitter nötig brauchte,wenn er etwas gegen Etir Baj unternehmenwollte. Ihm war klar, daß am Ziel dieserReise ein Stützpunkt stand, wo Etir Baj Hil-fe und Unterstützung erwarten konnte, wahr-scheinlich auch Freunde, und je mehr Perso-nen sich mit Ras Bewachung beschäftigten,desto geringer wurden die Aussichten desBarbaren, seiner Gefangenschaft ein Endezu setzen.

Etir Baj ging auf Ras Knurren nicht ein,obwohl Ra gehofft hatte, daß ihn das Stich-wort Varganen zu Fragen reizen würde.Auch als er sich herumdrehte und Etir Bajdie Zunge herausstreckte, zeigte der Mannkeinerlei Reaktion. Mit leicht gespreiztenBeinen stand er fest und sicher auf dem stäh-

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Page 14: Die Höhlen von Magintor

lernen Boden des Cockpits und hielt lä-chelnd die Waffe auf Ra gerichtet.

»Der Gott des lautlosen Todes!« spotteteRa. »Oder vielleicht besser der lautloseGott?«

Ra trommelte mit den Fingern auf derLehne des Sessels. Er war nicht sehr ge-schwätzig, aber dieses Schweigen zerrtestark an seinen Nerven. Das einzige Zei-chen, das bewies, daß Etir Baj überhauptnoch lebte, war das Zittern der Spitze desStrahlers. Ra sah schärfer hin und zählte mit.

Er kombinierte kurz, daß die Zahl dieserwinzigen Bewegung identisch mit dem Pulsdes Bewaffneten sein mußte, und wenn EtirBaj tatsächlich mit Arkoniden biologischverwandt war, dann schien ihn diese Situati-on überhaupt nicht aufzuregen. Etir BajsHerz schlug so langsam und gleichmäßig,als ginge ihn die Sache nichts an.

Endlich kam Bewegung in die Gestalt EtirBajs. Er trat ein paar Schritte zurück und ak-tivierte den Interkom. Wenig später war dasvorprogrammierte Reiseziel erreicht. Aufden Bildschirmen erkannte Ra einen durch-aus gewöhnlichen Sauerstoffplaneten, meh-rere Kontinente, ausgedehnte Meere – eineWelt, wie sie in der Galaxis hunderttausend-fach vorkamen und von ihren Bewohnern oftfür einzigartig gehalten wurden.

Ra hatte gehofft, jetzt etwas mehr überEtir Baj zu erfahren, aber er wurde wiederenttäuscht. Der Mann verwendete ein ak-zentfreies Arkonidisch, als er in das Mikro-phon sagte:

»Keine unnötige Aufregung, Freunde!Hier spricht Bei Etir Baj. Kodewort El Ma-fus! Ich werde mit einem erbeuteten Schifflanden. Es sieht etwas merkwürdig aus, aberes besteht keine Gefahr!«

»Wenn du nicht ganz langsam landest,Bei Etir Baj«, lautete die Antwort, »werdenwir dich abschießen! Du bist bei uns längstals tot gemeldet!«

Etir Baj grinste kurz das Mikrophon an;sobald er sich wieder Ra zuwandte, verhär-teten sich sein Züge. Der Wink mit der Waf-fe war klar und unmißverständlich; Ra

seufzte leise und steuerte dann das vargani-sche Beiboot langsam auf den Planeten hin-ab.

»Ischtar wird mich vierteilen, wenn sie er-fährt, daß ich ihr Beiboot verloren habe!«murmelte er düster.

Für einen Augenblick spielte er mit demGedanken, in der letzten Minute das Boot soschnell sinken zu lassen, daß die Bewohnerdes Planeten sofort schießen würden. Er warsich über die Konsequenzen seiner Lage imklaren – die varganische Technik war allemüberlegen, was Ra bisher kennengelernt hat-te. Konnte er es verantworten, die technolo-gische Delikatesse, die sein Beiboot zweifel-sohne darstellte, in die Hände Etir Bajs undseiner Freunde fallen zu lassen?

Ra kam zu dem Ergebnis, daß der Wertseiner Person zweifellos höher einzuschät-zen war als der des Beiboots. Daher verzich-tete er darauf, mit einem gewollten Manöverseine und des Bootes Vernichtung heraufzu-beschwören.

Er wußte nicht, daß Bei Etir Baj, der psy-chologisch hervorragend geschult war, ausden wenigen Bewegungen und Veränderun-gen im Mienenspiel ziemlich genau hatte ab-lesen können, welche Gedanken Ra durchden Kopf geschossen waren. Das Lächelndes Mannes wurde etwas breiter.

»Langsamer!« bestimmte Etir Baj knapp.Ra ließ das Beiboot ein wenig tiefer sin-

ken. Deutlich war die Landschaft unter demBoot zu erkennen. Ra sah eine gewaltigeGebirgskette, mehrere tausend Kilometerlang. Aus dem Gewirr kleinerer und größe-rer Flüsse bildeten sich zwei gigantischeStröme, die nach Südosten flossen, sich zueinem gewaltigen Binnenmeer verbreiterten,das schließlich in einen Ozean abfloß. AlsRa die glitzernde Wasserfläche sah, wünsch-te er sich impulsiv, jetzt dort sein zu können,am Strande liegen zu dürfen, zu fischen, zujagen …

»Das Steuer mehr nach rechts!« komman-dierte Etir Baj und riß Ra so aus seinen Tag-träumen.

Das Ziel der Reise kam langsam in Sicht,

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als Ra die Geschwindigkeit immer mehr ver-ringerte und der Abstand zwischen demBoot und der Oberfläche des Planten aufwenige Kilometer zusammenschmolz. NachEtir Bajs Kommandos steuerte Ra ein weit-geschwungenes Tal an, das aus dieser gerin-gen Höhe deutliche Spuren von Bearbeitungaufwies. Allerdings hatte Ra etliche Mühe,bis er den Sinn der Bilder erkannte, die ihmdie Ortung lieferte. Zu seinem Erstaunenwaren die Drähte und Pfosten der Pferche, indenen Vieh weidete, so geschickt bemaltwurden, daß sie mit bloßem Auge nicht vomnatürlichen Hintergrund zu unterscheidenwaren. Auch die Anordnung der einzelnenKoppeln war so bizarr und verworren, daßder Eingriff denkender Wesen kaum zu er-kennen war. Ra begriff, daß die Bewohnerdieses Planeten sich alle erdenkliche Mühegaben, die Tatsache, daß diese Welt be-wohnt war, vor jedem zufälligen Besucherzu verbergen.

Eine Felswand stellte sich dem, Boot inden Weg; Ra zog den Steuerknüppel in dieHöhe und überflog das Hindernis. Dahinteröffnete sich ein Talkessel. An den von derErosion zernagten Resten eines Ringwallserkannte Ra, daß dieses annähernd ovaleLoch im Gebirge vom Einschlag eines Me-teors stammen mußte. Wahrscheinlich hattees sich um einen Brocken gehandelt, der vonirgendeinem zerplatzten Planten stammte,der vielleicht Jahrmillionen durch das Allgetrieben war, bis er hier zur Ruhe gekom-men war.

Auch das Innere des Kessels wies Zeichenvon Bearbeitung auf, wohlbestellte Felderund Äcker, dazwischen wieder Nutztiere, sozwischen die einzelnen Felder verteilt, daßder Eindruck einer geordneten Acker- undViehwirtschaft wieder verwischt wurde.

Ra fühlte sich zusehends unbehaglicher.Der eisigkalte, schweigende Mann in sei-

nem Nacken, die fast gespenstisch anmuten-de Besorgtheit der Planetenbewohner vorEntdeckung – Ra spürte, daß man ihm nichterlauben würde, dieses Geheimnis weiterzu-tragen. Und wie das sicherste Mittel aussah,

einen Verrat zu verhindern, wußte er nur zugut.

Behutsam setzte Ra das Beiboot auf ei-nem freien Flecken inmitten des Kessels ab.

»Zufrieden?« erkundigte er sich Bei EtirBaj, doch der antwortete nicht.

Er schien Ra völlig vergessen zu habenund starrte auf das Bild der Landschaft.Langsam schien sein Blick jeden Fels abzu-tasten, jede Einzelheit in sich aufsaugen zuwollen. Ra spürte, daß er jetzt eine reelleChance hatte, Etir Baj anzugreifen.

Ra überließ Etir Baj seinen Gedanken undstudierte die Landschaft ringsum. SchmalePforten öffneten sich in den Felswänden,auch sie hervorragend getarnt. Menschen er-schienen in den Öffnungen und kamen lang-sam näher. Sie waren unbewaffnet, von zweioder drei Männern abgesehen, aber Ra hattedas sichere Gefühl, daß hinter den täuschendechten Felsen auch ein paar großkalibrigeGeschütze steckten, die sein kleines Beibootmit einer Salve in Atome zerlegen konnten.Interessiert stellte Ra fest, daß die meistendieser Menschen Etir Baj verblüffend ähn-lich sahen – fast alle hatten langes, dunklesHaar; von Albinoaugen, wie sie für Arkoni-den typisch waren, konnte Ra nichts sehen.Die Haarfarben schwankten zwischenschwarz – diese Farbe überwog – und dun-kelblond; das charakteristische Weiß der Ar-koniden tauchte nicht auf. Doch Ra hatte in-zwischen von Etir Baj erfahren, daß er sichals Arkonide bezeichnete.

»Öffne die Schleuse!« befahl Etir Baj, dersich allmählich aus seiner Erstarrung löste.

Ra wußte, daß ihm nichts anderes übrigb-lieb. Nach wenigen Minuten standen zweiweitere Männer in der Zentrale des Bei-boots, die Etir Baj recht ähnlich sahen. Ver-blüfft stellte Ra fest, daß die Bewaffnungder beiden reichlich altmodisch, um nicht zusagen primitiv war. Beide Männer trugenweitgeschnittene Hosen, darüber eine einfar-bige Bluse, ebenfalls weit und locker ge-schnitten. In dem breiten Gürtel aus Rohle-der steckten ein langer Dolch mit breiterKlinge, ein unterarmlanges Schwert und ver-

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schiedene Kleinigkeiten, deren Sinn und Be-deutung Ra nicht erfassen konnte. Ein Kö-cher mit Pfeilen und ein Reflexbogen, denRa mit Kennerblick als vorzüglich einstufte,vervollständigten die Ausrüstung.

Für eine Minute herrschte ein beklem-mendes Schweigen im Cockpit des Varga-nenschiffs, dann trat der ältere der beidenFremden einen Schritt vor und schloß EtirBaj in die Arme.

»Willkommen in Magintor!« sagte erhalblaut.

Er drehte sich zu Ra herum und musterteden Barbaren eindringlich; Ra verschränktedie Arme vor der Brust und spannte dieMuskulatur ein wenig an – auf diese Weisekam sein Körperbau besser zur Geltung. Erhielt dem Blick des Mannes ohne Mühestand, bis sich der Fremde wieder Etir Bajzuwandte.

»Dein Freund?« fragte er knapp und nick-te anerkennend. »Du hast eine gute Wahl ge-troffen, Etir Baj!«

»Dieser Mann nennt sich Ra!« stellte EtirBaj mit kaltem Gesicht vor. »Er behauptet,der Freund eines Mannes mit Namen Atlanzu sein, der aus der Sippe der Gonozalsstammt!«

Ra sprang gerade noch rechtzeitig zurück,um dem Schwerthieb zu entgehen, den derjüngere der beiden Männer blitzschnell nachihm führte. Bevor der junge Mann noch ein-mal ausholen konnte und Ra, der wegen desPultes hinter sich nicht mehr ausweichenkonnte, den Schädel spaltete, fiel ihm EtirBaj in den Arm.

»Das ist ein Fall für das Con-Treh-Than!«stellte Etir Baj fest.

Der jüngere Mann schien seinen Haß nurmit Mühe zügeln zu können; mit einem wü-tenden Knurren steckte er das Schwert zu-rück in den Gürtel.

»Komm mit, Gonozal-Freund!« fauchteer. »Wenn du zu fliehen versuchst, soll esmir recht sein. Ich werde dir mit Vergnügenden Kopf einschlagen!«

Ra grinste den Mann unverschämt an.»Vielleicht lasse ich es auf einen Versuch

ankommen!« meinte er spöttisch.Als der Mann ihn am Arm packte, um ihn

vor sich her zu stoßen, griff Ra zu. Der Be-waffnete konnte gerade noch einen Ruf derÜberraschung ausstoßen, dann beendete erauf einem Instrumentenpult seinen Flugdurch die Luft, den er einem geschickt ange-setzten Hebelgriff von Ra verdankte.

Etir Baj grinste breit, während der Älteredrohend sein Schwert zückte. Ra stand ruhigin der Zentrale. Er hatte dem jungen Manneine Lektion erteilt, und das genügte ihm.

»Sieh dich vor, Thabek!« meinte Etir Baj.»Dieser Barbar ist gerissen und geschickt,du hast es gerade gemerkt!«

Thabek kämpfte seinen Rachedurst niederund brachte aus dem Gürtel ein paar dünne,lederne Riemen zum Vorschein, mit denener einem gleichmütig dreinblickenden Radie Hände fesselte. Wenn er darauf speku-liert hatte, Ra einen Schmerzenslaut zu ent-locken, indem er die Riemen grausam engzusammenzerrte, so sah er sich getäuscht.Ra grinste ihn nur an, obwohl er sich ganzund gar nicht wohl in seiner Haut fühlte. Erwar sich sicher, daß der Schmerz in denHandgelenken nur Vorbote von dem war,was ihm noch bevorstand.

*

Ra hockte auf der schmalen Holzpritsche;er hatte die Beine an den Oberkörper gezo-gen, hielt die Knie mit den Armen umfangenund sang leise vor sich hin. Durch das dickeHolz der Zellentür hörte er die leisen Schrit-te des Wachtpostens.

Ra hatte inzwischen herausbekommen,daß sich die Bewohner dieser Welt Con-Treh nannten. Der Begriff kam Ra bekanntvor, er erinnerte an alte Formen der arkoni-dischen Sprache, aber Ra war im Alt-Arkonidischen nicht bewandert genug, umherausbekommen zu können, was mit dieserBezeichnung gemeint war.

Der Ort, an dem er sich befand, nanntesich Magintor; in ihm lebten etwa fünftau-send Con-Treh. Die ganze Stadt war im Fels

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verborgen, teils in den Felswänden ver-steckt, in Höhlen und Gängen, teils in einergewaltigen Anlage unter der grünen Ober-fläche des Talkessels.

Über die Con-Treh hatte Ra nicht sehrviel in Erfahrung bringen können. Es hattesich herumgesprochen, daß er ein Freundder Gonozals sei, und dies schien unter denCon-Treh ein todeswürdiges Verbrechen zusein. Es hatte Ra einen Tag gekostet, bis derWachtposten bereit war, ein paar Auskünftezu geben und sich mit dem Gefangenen zuunterhalten.

»Es ist so schön, Barbar zu sein!« summ-te Ra leise. Text und Melodie dieses bemer-kenswerten musikalischen Kunstwerks hatteer vor wenigen Stunden erfunden; der nerv-tötende Gesang mit dem schwachsinnigenText hatte den Posten schließlich zermürbt.

»He, Wächter!« brüllte Ra. »Was werdetihr mit mir machen?«

»Töten!« lautete die knappe Auskunft.»Und warum?« wollte Ra wissen, aber er

erhielt keine Antwort.Der Posten war offenbar nicht bereit, über

diesen Punkt zu sprechen. Für Ra war es einRätsel, warum die Con-Treh ihren grenzen-losen Haß auf die Familie der Gonozals ge-worfen hatten. Ra war kein Experte in arko-nidischer Geschichte, aber wenn ihn seinGedächtnis nicht trog, dann hatte die Sippeder Gonozals in der mehrtausendjährigenGeschichte Arkons etliche Admiräle, Flot-tenkommandeure und Imperatoren gestellt.In dieser Reihe fand sich der übliche Anteilvon Säufern, Prassern, Wüstlingen,Schwachköpfen und Perversen, der in allenHerrscherhäusern aller Zeiten und Planetenüblich war, wenn uneingeschränkte Machtnicht nach Verdienst und Können sondernnach Geburt weitergegeben wurde. Die an-deren berühmten Dynastien Arkons hattensich durch den gleichen Anteil von Geniali-tät und Cäsarenwahnsinn ausgezeichnet. Zu-dem hatte Ra noch nie ein Wort über dieCon-Treh gehört, und er war sich sicher, daßdieses Volk, das unzweifelhaft mit den Ar-koniden verwandt war, auch für Atlan eine

Überraschung gewesen wäre.Draußen vor der Tür waren Schritte zu

hören. Zwei weitere Wachen erschienen,dann drehte sich kreischend der Schlüssel imSchloß. Ächzend schwang die hölzerne Türzur Seite.

»Mitkommen!« befahl eine der beidenWachen. Auch diese beiden Männer warennur mit Hieb- oder Stichwaffen ausgerüstet.Von Strahlwaffen schienen sie noch nie et-was gehört zu haben. Wieder wurden Ra dieHände gefesselt, wieder mit ledernen Rie-men, allerdings wurden die Fesseln diesmalnicht so schmerzhaft stramm angezogen.

Folgsam trottete Ra vor den Wachen her,deren Hände an den Griffen der Schwerterlagen. Um die Blicke, die Ra von allen Sei-ten zugeworfen wurden, kümmerte der Bar-bar sich nicht; ihm wurde allerdings klar,daß der Gonozal-Haß der Con-Treh keineAllüre der herrschenden Kreise war, sondernoffenbar tief im Volk verwurzelt war, unddies ohne massive Propaganda und Massen-beeinflussung.

Auf seinem Weg durch ein Labyrinth vonGängen und Räumen machte Ra einige über-raschende Entdeckungen. Die dreiköpfigeGruppe marschierte an einem Tor vorbei,das genau in dem Augenblick kurz geöffnetwurde, als die Gruppe auf gleicher Höhewar. Ra warf einen raschen Blick zur Seiteund erkannte in dem großen Raum die un-verkennbare Silhouette eines großen Ener-giegeschützes. Einige Details verrieten Ra,daß diese Geschütze allerdings schon sehralt sein mußten. Die Con-Treh hinkten tech-nologisch um einige Jahrhunderte hinterdem arkonidischen Standard hinterher.

Ra grinste, als er sich vorstellte, daß einMann mit einem Schwert im Gürtel und ei-nem Reflexbogen über der Schulter einEnergiegeschütz bediente. Magintor war ei-ne Stadt mit vielen Widersprüchen, in der ei-ne primitive Lebensführung neben einerhochentwickelten Technik bestehen konnte.Man verfügte in Con-Treh sogar über raum-tüchtige Schiffe.

Während Ra diesen Gedanken nachhing,

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vergaß er nicht, sich den Weg, den er ge-führt wurde, genau einzuprägen. Noch hatteRa die Hoffnung nicht aufgegeben, daß esihm vielleicht gelingen konnte, sich zu be-freien. Unter den dunkelhaarigen Con-Trehwürde er bei weitem nicht so stark auffallenwie unter den weißhaarigen Arkoniden.Fünftausend Con-Treh waren zwar zuwenig,um darin regelrecht untertauchen zu können,aber in der allgemeinen Verwirrung konntees vielleicht gelingen, eines der Con-Treh-Schiffe zu erreichen und damit zu ver-schwinden. An das varganische Beibootwürde Ra sicherlich nicht herankommen; eswurde bestimmt scharf bewacht.

Der Marsch der kleinen Gruppe endete aneinem großen, hölzernen Tor. Zwei Postenmit Speeren hielten davor Wache. Ra hattenur wenig Zeit, die prachtvollen Schnitzerei-en des Tores zu bewundern, denn die Speer-träger öffneten das Tor, und die beiden Wa-chen zerrten Ra vorwärts. Eine große Halleerstreckte sich hinter dem Portal; sie mußteziemlich nahe an der Oberfläche liegen,denn aus unregelmäßig geformten Öffnun-gen in der Halbkugel der Kuppel fiel Tages-licht in den Saal, gerade genug, um demRaum mit einem diffusen Dämmerlicht denCharakter eines Tempels oder einer anderenweihevollen Stätte zu geben.

Zwei Drittel der runden Halle wurde vonZuschauertribünen eingenommen ; zwischenden steinernen Rängen führte der Weg Rasvor ein Podium, hinter dem fünf Gestaltensaßen. Als Rah näher kam, konnte er sehen,daß es sich um fünf betagte Männer handel-te, die in hochlehnigen Sesseln saßen und Raruhig anblickten.

Aus einer Nische des Raumes löste sichdie Gestalt eines Mannes; Ra erkannte BeiEtir Baj, der ihn in diese Lage gebracht hat-te.

»Die Sitzung des Con-Treh-Than ist er-öffnet!« sagte eine tiefe, kraftvolle Stimme.»Bei Etir Baj, berichte!«

Der Angesprochene trat vor die fünf Mit-glieder des Con-Treh-Than und erzählte.Nach seiner Darstellung war sein Erkun-

dungsflug vor zwölf Jahren fehlgeschlagen.(Ra notierte zufrieden, daß er damit den letz-ten Beweis dafür hatte, daß die Con-Trehüber Raumschiffe verfügten.) Er war ge-zwungen gewesen, sich in die Rettungskap-sel zurückzuziehen, in der er schließlich vonden Verbrechern aufgefischt wurde, die ih-ren Stützpunkt in dem Asteroiden Krassigghatten. Ra nickte anerkennend, als Etir Bajsachlich und genau den Hergang seinerFlucht erzählte. Was er über sein Zusam-mentreffen mit Ra berichtete, stimmte in je-dem Detail.

»Du hast Etir Baj erklärt, du seist einFreund des Mannes Atlan, der aus der Sippeder Gonozals stamme!« sagte schließlich derSprecher des Con-Treh-Than. Ra konnte er-kennen, daß das Alter die Haare des Mannesgebleicht – und daß der Alte seine Haaredunkel gefärbt hatte. Überhaupt hatte Rakeinen einzigen älteren Mann mit grauemoder weißem Haar erkennen können. Wardies eine Mode, oder hing es ebenfalls mitdem Geheimnis zusammen, das die Con-Treh umgab.

»Stimmt dies?« wollte der Sprecher wis-sen.

Etir Baj hatte erklärt, daß er Ra sein Le-ben verdanke, und der Tonfall, in der derSprecher seine Frage stellte, war eindeutig.Man war bereit, Ra eine goldene Brücke zubauen, obwohl das Murmeln im Hintergrundbewies, daß die Mehrzahl der Con-Treh mitdiesem Entgegenkommen durchaus nichteinverstanden war.

»Atlan ist mein Freund!« stellte Ra fest.»Und sein Vater ist Gonozal VII. gewesen,der von seinem Bruder Orbanaschol ermor-det wurde!«

Hinter sich hörte Ra ein drohendes Knur-ren; das Publikum zeigte offen seine Wutund den Haß, der sich an dem Wort Gonozalentzündete.

Der Sprecher des Con-Treh-Than standauf und sah Ra lange und intensiv an. Raglaubte, die Andeutung eines bedauerndenSchulterzuckens sehen zu können.

»Man wird dir Zeit geben, deinen Frieden

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mit deinen Gottheiten zu machen!« erklärteder Sprecher mit ruhiger Stimme. »BeimSonnenaufgang des nächsten Tages wirst dusterben! Führt ihn weg!«

Ohne Gegenwehr ließ sich Ra abführen;den nachdenklichen Blick, mit dem Bei EtirBaj den Gefangenen betrachtete, nahm ernicht wahr. Ras Gedanken kreisten umFluchtmöglichkeiten. Viel Zeit blieb ihmnicht, um dem Henker zu entwischen.

»Wenn du noch einen Wunsch hast«, sag-te einer der Wächter, »dann sage ihn jetzt.Vielleicht kann er dir erfüllt werden!«

Ein Gedanke durchzuckte Ras Hirn; derBarbar unterdrückte ein triumphierendesGrinsen. Ra hatte eine Möglichkeit gefun-den, ein wahnwitziges Unterfangen zwar,aber trotz der Risiken dem sicheren Todevorzuziehen.

»Wenn ich zu meinen Gott beten will,dem mächtigen, unüberwindlichen, allesse-henden und allesrächenden Barsach«, erklär-te Ra, »dann brauche ich das Licht des hin-scheidenden Tages in meiner Zelle!«

Eine der Wachen kratzte sich hinter demOhr.

»Ich glaube, das ließe sich bewerkstelli-gen!« meinte er schließlich. »Was brauchstdu noch für deinen Götzen?«

Ra begann aufzuzählen. Die Liste warziemlich lang und enthielt eine Menge völligüberflüssigen Krempels, aber dazwischeneingestreut hatte Ra die Dinge, die er wirk-lich für seinen Plan brauchte.

»Heiliger Spiralnebel!« platzte einer derWächter heraus. »Läßt euch euer Götzen-dienst eigentlich noch Zeit zum Leben?«

»Er gibt uns das Leben!« bemerkte Raund freute sich über den Hintersinn dieserWorte.

*

Ra betrachtete zufrieden den Lichtfleckauf dem Boden seiner Zelle. Man hatte ihmtatsächlich einen Raum zugewiesen, der na-he der Oberfläche liegen mußte. Durch eineverglaste Öffnung fiel das Sonnenlicht in

den Raum, allerdings war das Fenster soklein, daß der Lichtstrahl nur für ein schwa-ches Dämmerlicht ausreichte. Die elektri-sche Beleuchtung war auf Ras Bitten hin ab-gestellt worden.

An einer Stelle des Raumes, die der wan-dernde Strahl erst in einer Stunde erreichenwürde, hatte Ra seinen Altar gebaut: eineHolzkiste mit einer Decke darüber, auf dereine aus Lehm geformte Gestalt hockte. Rawar kein besonders geschickter Bildhauer,und das machte sich jetzt bezahlt. Der Götzewar bemerkenswert scheußlich geraten, unddie zweifelnden Blicke der Wachen besag-ten, daß es ihnen ziemlich unsinnig erschien,eine derart widerliche Gestalt anzubeten.Die schmalen, farbigen Bänder, mit denenRa den Götzen Barsach herausgeputzt hatte,konnten den abstoßenden Eindruck nur nocherhöhen. Um seinen Gott milde zu stimmen,hatte Ra ihn mit Nahrungsmitteln versorgt.

Ra hatte sich vorgenommen: wenn erschon abtreten mußte, dann wenigstens miteinem boshaften Scherz. Daher hatte er beiden Con-Treh ein paar Speisen für seinenGott in Auftrag gegeben, die kein normalerMensch freiwillig gegessen hätte. In der Zel-le hing ein Geruch, der die Gesichter derWachen blutleer machte. Immer wieder zogsich eine der Wachen würgend zurück.

Vor dem Altar hatte Ra ein Räucher-becken aufgebaut, in dem eine HandvollKohlen glimmte. Zufrieden stellte Ra fest,daß ein ziemlich kräftiger Luftzug denRauch aus der Zelle und die Gänge davortrieb.

Ra verzichtete darauf, seine Fähigkeitenals Komponist und Textdichter einzusetzen,denn er brauchte die Wachen in seiner Nähe,nicht einige Räume weit entfernt. Er hatteeine der Wachen gebeten, die Trommel fürihn zu schlagen.

Der Barbar konnte sehr zufrieden mit sichsein. Ohne dies die Wachen merken zu las-sen, hatte er sie in sein Spiel einbezogen.Der verbissene Ernst und Eifer, mit dem ersich anscheinend ausschließlich auf seinenGötzen konzentrierte, hatte die Wachsam-

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keit der Con-Treh stark vermindert. DieMänner waren so begierig, die absonderli-chen Riten des Barbaren zu verfolgen, daßsie nicht darauf achteten, was Ra wirklichim Schilde führte.

»Fertig!« sagte Ra schließlich. Seine Vor-bereitungen waren beendet. »Schlag dieTrommel!«

Niemand schien sich daran zu stören, daßplötzlich Ra die Befehle erteilte. Sofort be-gann der Trommler mit einem wilden, mit-reißenden Rhythmus, den die beiden ande-ren Wachen schnell händeklatschend beglei-teten.

Dann begann Ra zu tanzen.Er erinnerte sich der Tänze seiner Heimat,

von der er nicht wußte, wo in der Galaxis siezu suchen war; Ra wußte aber, was nötigwar, um den Tänzer in einen fast rauschhaf-ten Zustand zu versetzen, dessen Wirkunghäufig auch auf die Zuschauer überging.

Ra tanzte den Tanz seines Lebens, dies-mal nicht begeistert und gläubig wie früher,als die Bezeichnung Barbar für ihn nochsehr zutreffend gewesen war. Diesmal warenseine Bewegungen kontrolliert, der trancear-tige Zustand nur gespielt.

Während er sich in der kleinen Zelle be-wegte, studierte Ra die Gesichter der Wa-chen. Als er sich sicher war, daß die Wachenihm förmlich gebannt zusahen, bewegte ersich langsam tanzend auf den improvisiertenAltar zu. Scheinbar beiläufig nahm er eineHandvoll eines grünlichen Pulvers auf, daser sich zusammengemischt hatte. EineHandbewegung genügte, um das Pulver aufdie glimmenden Kohlen zu streuen. EineQualmwolke stieg in die Höhe und wurdevom Luftzug verweht.

»Hm, das riecht aber …!«Zu dem Wort gut kam die Wache nicht

mehr. Die Augen des Mannes wurden gla-sig, seine Beine knickten unter ihm zusam-men. Es klapperte vernehmlich, als derMann auf dem Boden aufprallte, aber die an-deren Wachen konnten darauf nicht reagie-ren. Auch ihre Sinne wurden von dem betäu-benden Harzrauch benebelt, nacheinander

wurden sie bewußtlos. Ra grinste zufrieden,dann nahm er das Wassergefäß und löschteschnell das Kohlefeuer. Die kritische Phaseseiner Flucht war jetzt gekommen. Rabrauchte einige Augenblicke Zeit, bis er denRaum verlassen konnte, denn er selbst wargegen die betäubende Wirkung seiner Mix-tur keineswegs gefeit. Ra griff nach demBein der vor ihm liegenden Wache und zerr-te den Körper des Bewußtlosen zu sich her-an. Rasch nahm er dem Mann die Waffen abund streifte seine Kleidung über. Dann taste-te er sich langsam vorwärts, immer wiederschnuppernd. Er atmete erleichtert auf, als ermerkte, daß sich die Wirkung seiner Mixturso abgeschwächt hatte, daß er den Raumverlassen konnte. Er stand auf der Schwelle,als ihm ein Gedanke kam.

Er raffte in seiner Zelle schnell ein paarbrennbare Materialien zusammen und ent-zündete ein kleines Feuer. In die Flammensetzte er einen hölzernen Napf, den er behut-sam mit den Resten des Räucherpulvers füll-te. Nach einer gewissen Zeit würden sich dieFlammen durch das Holz gefressen habenund wieder das Harzpulver erreichen. Dadas Holz vermutlich nur langsam brannte,wurde der gesamte Zellenbereich für einigeStunden in die betäubenden Schwaden ge-taucht sein. Wenn Ra etwas Glück hatte, wardie gasgefüllte Strecke größer als der Weg,den ein Mensch mit angehaltenem Atem lau-fen konnte – in diesem Fall würde einigeZeit verstreichen, in der niemand sagenkonnte, was sich in der Zelle des Todeskan-didaten abgespielt hatte. Ra schätzte, daß esmindestens zwanzig Minuten dauern würde,bis man einen Raumanzug herbeigeschaffthatte, mit dem man den gasgefüllten Bezirkgefahrlos betreten konnte.

»Viel Glück!« wünschte sich Ra selbst,dann machte er sich auf den Weg. Wo genaudie Raumschiffe der Con-Treh zu suchenwaren, wußte er nicht, aber es gab immerhinÜberlegungen, mit denen man die Zahl dermöglichen Orte einschränken konnte.

Unterhalb der Wohngebiete Magintorswaren die Hangars sicherlich nicht zu su-

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chen; folglich mußten sie weit höher, mehran der Oberfläche liegen. Dicht über demBoden waren startende Raumschiffe beson-ders gefährdet, da sie dort naturgemäß nurrecht langsam fliegen konnten. Das machtees nötig, die Hangars mit Geschützen gegenAngriffe zu sichern. Auch diese Geschützemußten dicht an der Oberfläche liegen.

Alles sprach dafür, daß die Con-Treh ihreSchiffe in dem zerfallen wirkenden Ring-wall versteckt hatten, der nach dem Meteor-einschlag übriggeblieben war. Ra hatte einsehr gut ausgeprägtes Gefühl für räumlicheAnordnungen; er erinnerte sich der Him-melsrichtung beim Betreten der Stadt, danndes Weges, den man ihn geführt hatte. Nachkurzem Nachdenken wußte Ra, wo ungefährer sich aufhielt.

Niemand beachtete den Barbaren, als erlangsam und ruhig durch die unterirdischenAnlagen der Stadt Magintor schritt. DieCon-Treh hatten die Bergfestung so bequemgestaltet, wie es sich unter den waltendenUmständen einrichten ließ. Nach dem allesüberragenden Haß auf alles, was mit demNamen Gonozal zusammenhing, war dervorherrschende Charakterzug der Con-Trehganz offensichtlich ihre panische Angst vorEntdeckung. Ra konnte nur staunen ange-sichts der Bemühungen der Con-Treh, ihreExistenz zu vertuschen. Jetzt begriff Ra, wa-rum die Con-Treh so wenig arkonidischeTechnik wie möglich verwendeten, denn dieStreustrahlung großer Reaktoren – beson-ders wenn sie so altertümlich waren wie dieAnlagen der Con-Treh – war mit modernenOrtungsgeräten mühelos anzumessen.

Auf bewaffnete Männer stieß Ra nur sehrselten. Bei einer so kleinen Gemeinschaftwar es offenbar nicht nötig, eine große Poli-zeitruppe zu unterhalten. Außerdem schiender ständige Druck, unter dem die Con-Trehlebten, der Gefahr entdeckt zu werden, aus-reichend zu sein, eventuelle Zwistigkeitenschnell zu beseitigen. Es war eine alte kos-mo-soziologische Tatsache, daß äußererDruck bei einer Gemeinschaft innere Span-nungen dämpft und nicht so stark hervortre-

ten läßt.Erst als der Verkehr auf den Gängen all-

mählich spärlicher wurde und wesentlichmehr Männer als Frauen zu erkennen waren,war sich Ra sicher, langsam in den Bereicheinzudringen, in dem er die Raumschiffevermutete.

Wider Willen halfen ihm die Con-Trehbei seinem Versuch, ein Schiff zu ergattern.Man mußte Ras Verschwinden bemerkt ha-ben, das folgerte der Barbar aus dem Heuleneiniger Sirenen. Schlagartig wurden die Be-wegungen der Menschen schneller. Männerrannten durch die Gänge, ohne sich um an-dere Personen zu kümmern. Ra konnte dasnur lieb sein; er rannte mit, bis er an einerTür ein Symbol entdeckte, das unmißver-ständlich auf Raumschiffe hinwies. Ra zö-gerte nicht lange, riß die Tür auf und stürmtein den Raum. Die ersten beiden Räume wa-ren leer, dahinter gabelte sich der Gang. Derrechte Weg führte, wie das Piktogramm aus-wies, zu einem Geschützstand, der linke zuden Hangars. Ra entschied sich naturgemäßfür den linken Gang, obwohl er kurz zöger-te. Auf dem Weg über ein Geschütz an dieOberfläche zu kommen, war unter Umstän-den besser. Er hätte sich in den Wäldern undTälern rund um Magintor so lange ver-stecken können, bis die Bewachung derRaumschiffe wieder normal gewesen wäre.

Aber Ra konnte nicht wissen, wie, dieOberfläche dieser Welt beschaffen war, wel-che wilden Tiere und giftigen Pflanzen eshier gab. Daher entschied er sich für den ris-kanteren Fluchtweg.

»Glück gehabt!« murmelte Ra, als er denHangar erreicht hatte.

Vor ihm stand ein Sechzig-Meter-Schiff,offenbar startklar. Der Hangar selbst warmenschenleer. Das war nicht verwunderlich,denn einige Augenblicke vor Ras Eintretenhatte eine Lautsprecherdurchsage die Be-wohner von Magintor auf eine falsche Fähr-te gelockt. Irgendein Con-Treh, der das Pechhatte, Ra auf den ersten Blick sehr ähnlichzu sehen, war in einem entfernten Winkelder Stadt aufgestöbert worden und hatte sich

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in seiner Angst verschanzt.Ziemlich rasch hatte Ra das Schaltpult ge-

funden, mit dem die Decke des Hangars be-trieben und kontrolliert wurde. Ein Knopf-druck genügte, um die meterdicke Felsplattegeräuschlos zur Seite gleiten zu lassen. ÜberRas Kopf wurde der Himmel sichtbar.

»Bestes Flugwetter!« freute sich Ra.In das Schiff zu kommen, bereitete ihm

nur wenige Schwierigkeiten. Zwar war dieKonstruktion veraltet wie fast die gesamtetechnische Ausrüstung der Con-Treh, aberdie wesentlichen Konstruktionsmerkmalewaren durch die Jahrtausende hindurchgleich geblieben, die Kugelbauweise, der ty-pische Ringwulst – und unter anderem auchder Mechanismus, der die Mannschleuseauffahren ließ.

Ra wartete nicht, bis das Schleusentorhinter ihm zuschwang. Er wußte, daß derAutomat auch ohne ihn auskam. So rasch esging, suchte er die Zentrale auf. Die Unter-schiede zwischen den Schiffen, die Ra kann-te, und dieser Konstruktion waren fürs ersteunerheblich. Die Ein-Mann-Katastrophensteuerung war annä-hernd baugleich mit den Mustern, die Ra ausseinen Hypnoschulungen kannte. Ein einzi-ger Handgriff genügte, um die Arbeit, dieüblicherweise von einer geschulten Besat-zung gemacht wurde, dem zentralen Positro-nenrechner aufzubürden. Natürlich war dasSchiff mit dieser Schaltung bei weitem nichtso präzise zu handhaben wie normal, aberfür Ras Zwecke reichte die Steuerfähigkeitdurchaus.

Die Hand des Barbaren lag schon auf demHebel, mit dem die Triebwerke hochgefah-ren werden sollten, als er aus den Augen-winkeln heraus eine Bewegung auf einemBildschirm wahrnahm. Ein rascher Blick zurSeite zeigte ihm, daß ein Mann den Hangarbetreten hatte. Es war der junge Thabek, derkurz nach der Landung versucht hatte, Raden Schädel zu spalten.

Ra trommelte nervös mit den Fingern.Natürlich konnte er jetzt ohne weiteres

starten; die Maschinen des Raumschiffs

wurden von der Anwesenheit des Mannesnicht beeinflußt, aber die anlaufenden Ma-schinen würden Thabek im Bruchteil einerSekunde atomisieren.

»Geh, Junge, bitte geh!« murmelte Raverzweifelt.

Thabek tat ihm den Gefallen nicht. Derjunge Con-Treh stellte plötzlich fest, daß dieDecke des Hangars offenstand, und wenigspäter schob sich die Felsdecke wieder anihren alten Platz.

Ras Flucht war gescheitert.Zwar hätte er sich den Weg durch die

Decke freischießen können, aber auch dabeiwäre Thabek gestorben, ebenso die beidenanderen Männer, die auf Thabeks Rufen hinin den Hangar stürzten.

Ra überprüfte schnell die Kontrollen undstellte fest, daß das Schiff noch mit dem In-terkomnetz Magintors verbunden war. Rabrauchte nicht lange, bis er die Kameras inder Zentrale so umgestellt hatte, daß jederWinkel des Raumes von ihren Linsen erfaßtwerden konnte. Noch hatte er die Verbin-dung nicht hergestellt, aber seine Hand be-wegte sich in dem Augenblick, in dem Tha-bek in die Zentrale gestürmt kam.

Der junge Con-Treh achtete nicht auf dieLichtanzeige, die signalisierte, daß die Bil-der aus dem Schiff in das allgemeine Ver-bundnetz eingespeist wurden. Er riß mit ei-nem Wutschrei das Schwert aus dem Gürtelund stürzte sich auf Ra.

Der Barbar zückte schnell seine Waffe.»Ich werde dich jetzt töten!« versprach

Thabek, undeutlich vor Wut. »Und diesmalwird mir niemand in den Arm fallen!«

»Komm näher, Jüngelchen!« spottete Ra.Das Wort Jüngelchen war zuviel für Tha-

bek, blindwütig stürmte er vor. In seinerAufregung achtete er nicht darauf, daß nachihm noch andere Con-Treh die Zentrale be-traten; sie waren ebenfalls bewaffnet, teil-weise sogar mit Strahlwaffen, aber sie ver-zichteten darauf, in den Kampf einzugreifen,vielmehr stellten sie sich entlang den Wän-den auf und diskutierten leise die Vorzügeder beiden Gegner.

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Thabek war jung, geschickt und hitzig; Rakonnte seine größere Kraft und seine Routi-ne ausspielen. Einstweilen hatte er mit demjungen Con-Treh wenig Mühe, aber sobaldder Gegner etwas Ruhe gewann, mußte Raernsthaft auf der Hut sein, wenn er nichtblessiert werden wollte.

Funken sprühten durch die Zentrale, wenndie Klingen aufeinandertrafen. Beide Waf-fen waren aus bestem Stahl geschmiedet, anein Zerspringen war nicht zu denken. Ratrieb den jungen Con-Treh mit einer Seriewirbelnder Schläge vor sich her, bis er ihn ineinen Winkel getrieben hatte, aus dem eskein Entkommen mehr gab. Dann ging Radaran, seinen Gegner zu zermürben. Er ließThabek keine Möglichkeit zum Angreifen,sondern deckte ihn mit einem Hagel vonSchlägen ein, den Thabek nur mit Mühe ab-wehren konnte. In seiner ungünstigen Lagegab sich Thabek bald etliche Blößen, aberRa verzichtete darauf, die Deckungslückenauszunutzen.

Den Zuschauern fiel ziemlich schnell auf,welche Strategie Ra verfolgte, und sie beob-achteten den nun sehr ungleich gewordenenKampf mit breitem Grinsen.

Thabek wurde langsam müde; er begannzu begreifen, daß seine Lage kritisch war,und in der Aufregung entblößte er seineDeckung noch mehr. Ra nutzte die Schwä-che seines Gegners erbarmungslos aus; min-destens ein Dutzend Mal zischte seine Klin-ge auf Thabeks rechten Oberarm herab. Raschlug mit der flachen Klinge, das gab zwarkeine Verletzungen, tat aber höllisch wehund ließ den Arm erlahmen.

Dicke Schweißtropfen erschienen aufThabeks Stirn; jetzt hatte die Angst den jun-gen Con-Treh fest im Griff. Immer langsa-mer wurden die Bewegungen, mit denen erdie harten Schwertschläge Ras abblockte.

Schließlich machte Ra dem Kampf einEnde; er legte noch einmal alle Kraft ineinen Hieb und setzte den Schlag gegenThabeks Schwert, dicht über dem Heft. Tha-bek konnte die Waffe nicht mehr halten, derStahl flog aus seiner Hand und landete klir-

rend auf dem Boden der Zentrale.»Thabek Scevati Ahuar!« sagte Ra grin-

send, und während die Männer in der Zen-trale ein tobendes Gelächter anstimmten,färbte sich Thabeks Gesicht dunkelrot. Erwußte, daß er von nun an mit diesem Namenwürde weiterleben müssen. Zumindest einpaar Jahre lang würde ihn jeder Mann wieRa anreden – als den kopflosen Schädelspal-ter.

3.

»Könnt Ihr mir einen Grund nennen, wa-rum der Gefangene Ra mit dem Schiff nichtgestartet ist?«

Die Stimme Etir Bajs drang bis in denletzten Winkel der großen Halle, die wiederbis auf den letzten Platz gefüllt war. NachRas Fluchtversuch hatte sich das Con-Treh-Than genötigt gesehen, eine weitereSitzung zum Fall dieses Barbaren anzube-raumen.

»Ich frage weiter!« setzte Etir Baj seineRede fort. »Jeder hier weiß, daß Thabek, derkopflose Schädelspalter, keine Sekunde ge-zögert hätte, den Gefangenen tatsächlich zutöten. Und Ra konnte aus dem Verhalten deranderen Wachen an Bord des Schiffes ohneMühe ableiten, daß ihn niemand hindernwürde, das Duell damit zu beenden, daß erThabek tötete!«

»Du willst damit sagen, Bei Etir Baj«, be-gann der Sprecher zögernd, »daß Ra dasSchiff nicht startete, um Thabeks Leben zuschonen. Auch dein eigenes Leben ver-dankst du der Hilfe dieses Mannes!«

»So ist es!«Mit Staunen hatte Bei Etir Baj den Zwei-

kampf auf dem Interkombildschirm verfolgt.Die Art, in der Ra sein Schwert handhabte,hatte Etir Bajs Anerkennung wachgerufen,die Tatsache, daß Ra sich gescheut hatte, ei-nem Con-Treh das Leben zu nehmen, hattenihn endgültig davon überzeugt, daß man die-sen Mann nicht einfach töten durfte.

»Er bleibt nach wie vor bei seiner Be-hauptung, ein Freund Atlans zu sein!« stellte

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der Sprecher fest. »Es mag sein, daß seineHandlungsweise unsere Milde förmlich er-zwingt, aber können wir es wirklich zulas-sen, daß ein solcher Mann unter uns Con-Treh lebt?«

»Ich habe einen Vorschlag!« meldete sichwieder Etir Baj.

»Sprich, Etir Baj!« forderte ihn der Spre-cher auf.

»Seit zweihundert Jahren«, begann derMann, »ist es keinem mehr gelungen, dieHalle der Erinnerung zu betreten! Ich schla-ge vor, daß wir Ra die Möglichkeit geben,einen neuen Versuch zu machen. Mißlingtihm sein Auftrag, so ist sein Problem gelöst.Schafft er es aber, uns den Zugang zur Halleder Erinnerung wieder zu öffnen, dann soller sich verpflichten, kein Wort über uns zusprechen. Ich bin sicher, daß ein Mann wieRa diesen Eid halten wird. Wir könnten ihndann irgendwo in der Galaxis mit seinemBoot freigeben!«

Stille breitete sich in der Ratshalle aus.Nach langem Zögern sagte der Sprecher:

»Dies ist eine Sache, die zu gewichtig istfür das Con-Treh-Than allein. Ich frage dieGemeinschaft der Con-Treh: sollen wir denVorschlag Bei Etir Bajs annehmen?«

»Ich stimme dafür!« tönte eine klareStimme; Etir Baj drehte sich herum und er-kannte Thabek, der sich von seinem Sitz er-hoben hatte. Auf dem Gesicht des Sprecherszeigte sich der Anflug eines Lächelns.

Die Abstimmung war schnell durchge-führt; die Mehrheit der Con-Treh stimmteEtir Bajs Vorschlag zu. Ra, der – diesmalohne Fesseln – vor dem Con-Treh-Thanstand, atmete erleichtert auf; er war nocheinmal davongekommen, denn ein zweitesMal hätte er die Wachen nicht übertölpelnkönnen.

»Wer sagt uns, ob Ra, wenn er zurück-kehrt, tatsächlich die Halle erreicht hat?«warf eine Frau ein. »Wenn einer nicht tötet,dann sagt das noch nicht, daß er auch nichtlügt!«

»Ich bitte um die Erlaubnis, Ra begleitenzu dürfen!« meldete sich Etir Baj schnell.

Auch dieser Vorschlag wurde angenom-men.

*

»Sieh her Ra!« forderte Etir Baj den Bar-baren auf. »Dies ist der Kontinent Quertal,und hier liegt Magintor. Dieser breite Stromist der Donacona, er mündet in das Binnen-meer Abdalor. Inmitten des Meeres ist eineInsel, und dort steht die Halle der Erinnerun-gen!«

»Die Con-Treh haben eine ganz schöneStrecke zwischen sich und ihre Erinnerun-gen gelegt!« stellte Ra bissig fest. »Habt ihrAngst davor?«

Etir Baj wurde schlagartig ernst.»Ich werde dir die Information geben, die

ich für nötig halte. Mehr wirst du nicht er-fahren. Wer wenig weiß, kann wenig verra-ten!« erklärte er nachdrücklich.

»Auch wer viel weiß, erzählt nicht alles!«meinte Ra grinsend und deutete auf die Nar-ben an Etir Bajs Kopf. »Wie weit ist es biszu der Halle?«

»Schätzungsweise fünfeinhalbtausend Ki-lometer!« lautete die kurze Antwort.

»Zu Fuß?« ächzte Ra bei dieser Auskunft.»Bis wir am Ziel sind, hat uns die Alters-schwäche längst ins Grab gebracht. Warumnehmen wir nicht ein Beiboot oder einenGleiter?«

Etir Baj setzte zu einer Erklärung an, aberRa winkte schnell ab.

»Ich weiß!« seufzte er. »Alles wegen derOrtungsgefahr. Eines Tages werdet ihr vorAngst noch ein Verfahren finden, wie manvöllig ohne Geräusch atmen kann oder fürJahrzehnte ohne Luft auskommt! Was fürWaffen können wir mitnehmen? Ich vermu-te, daß es zwischen Magintor und dem Meerallerhand Viehzeug gibt, das uns auf denPelz rücken könnte, oder irre ich mich?«

»Du kannst dich in der Waffenkammerbedienen!« erklärte ihm Etir Baj. »Nur Ener-giewaffen müssen in den Magazinen blei-ben. Ich hoffe, du kannst mit altmodischenWaffen umgehen? Daß du mit dem Schwert

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kämpfen kannst, habe ich gesehen, aberkannst du auch mit einem Bogen umgehen?«

»Ich werde mir Mühe geben!« versprachRa belustigt. »Wir Barbaren lernen ziemlichschnell!«

In den Waffenkammern gab es alles, wasman aus Holz, Metall oder Steinen herstel-len konnte: Messer aller Arten, Schwerter inverschiedenen Längen, Piken, Keulen, Mor-gensterne, Kampfbeile, Schleudern und Har-punen. Nach Schußwaffen suchte Ra ver-geblich; ihre Herstellung hätte eine entspre-chende Industrie verlangt und damit das Or-tungsrisiko erhöht.

Ra entschied sich für ein unterarmlangesMesser, einen großen Reflexbogen mit meh-reren Ersatzsehnen und eine Schleuder. VielWaffen konnten die beiden Männer nichtmitnehmen; für den ersten Teil der Strecke,der durch unzugängliche Gebirge führte,mußten sie Proviant für einige Tage mit-schleppen, außerdem das Werkzeug, mitdem sie später ein Boot bauen wollten.

Schon am Morgen nach Ras vergeblicherFlucht machten sich die beiden Männer aufden Weg.

*

Ras anfängliche Sorge, daß Etir Baj denStrapazen einer solchen Wanderung viel-leicht nicht ganz gewachsen sein würde, zer-streute sich ziemlich schnell. Die beidenMänner kamen rasch vorwärts. Auf vielenJagdausflügen hatte Etir Baj schon vor Jah-ren ein großes Gebiet rings um Magintordurchstreift; er hatte daher auch die Führungübernommen. Da der Con-Treh nicht bereitwar, mehr über sich oder sein Volk zu er-zählen, war es auch Ra nicht eingefallen,mehr von sich zu geben als ihm unumgäng-lich erschien. Im stillen amüsierte er sichüber Etir Bajs Besorgnis; der Con-Treh hieltRa für einen Raumfahrer und damit fürreichlich degeneriert, für einen Mann, dersich nur hinter Energiegeschützen und unterSchirmfeldern sicher fühlt. Ra tat nichts, umdiesen falschen Eindruck zu zerstreuen.

Die Con-Treh stellten aus der Haut ihrerRinder vorzügliche Lederwaren her. Ra undEtir Baj hatten sich für enge Anzüge ausRohleder entschieden, an den Füßen trugensie ebenfalls lederne Mokassins. Die Ausrü-stung schleppten sie in sorgfältig verschnür-ten Ballen auf dem Rücken.

»Gibt es eigentlich außer euch Con-Trehnoch anderes intelligentes Leben auf diesemPlaneten?« fragte Ra plötzlich.

Seit Stunden hatten die beiden Männerkein Wort gewechselt, waren schweigendnebeneinander durch den tiefen Schnee ge-stapft, der den Paß bedeckte.

»Außer dir nicht!« erklärte Etir Baj. »Dasheißt …!«

Er stolperte, weil Ra der zu erwartendenboshaften Bemerkung mit einem Fußtritt zu-vorgekommen war. Etir Baj rutschte einStück, da der Weg leicht abwärts führte, undlandete schließlich in einer Schneeverwe-hung.

Die beiden Männer fühlten sich viel zuwohl, um ständig ernsthaft sein zu können.Etir Baj hatte zwölf Jahre im Innern einesAsteroiden verbracht, und erst jetzt spürte erin voller Deutlichkeit, was er in dieser Zeitentbehrt hatte. Auch Ras natürlicher Bewe-gungsdrang war in der letzten Zeit kaum zurGeltung gekommen; er war froh, zum erstenMal seit geraumer Zeit den Blick nichtdurch stählerne Bordwände versperrt zu se-hen.

Die Schneeballschlacht dauerte nur weni-ge Minuten, dann marschierten die beidenMänner weiter. Etir Baj summte leise ein ur-altes Lied.

Die Sonne stand schon ziemlich tief, alsdie beiden Männer das Ende des Passes er-reichten. Unter sich sahen sie ein dunklesTal, dicht mit Bäumen bestanden. Dazwi-schen glitzerte das Wasser des Wildbachs,der hier im Gebirge entsprang und sich spä-ter zu dem gewaltigen Strom Donacona ent-wickelte.

»Das Wasser läuft unterirdisch an einemkleinen Vulkan vorbei!« erklärte Etir Baj.»Daher konnte sich der Urwald entwickeln.

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Wir sollten dort unser Lager aufschlagen!«Ra nickte kurz, obwohl er es für ratsamer

gehalten hätte, sich am Rand des Waldesaufzuhalten. Dort waren die Fluchtmöglich-keiten größer, falls es irgendeiner Bestie ein-fallen sollten, den Schlaf der beiden Männerzu stören.

Der Abstieg war mit den schweren Lastenauf dem Rücken ziemlich schwierig. DerHang fiel steil ab, und das Gestein war brü-chig. Als sie den Boden des Tales erreichthatten, sah Ra auch den Wildbach, der weiß-schäumend aus einer Felsspalte hervorbrach.Das Bett war mit Geröll übersät; Baumstäm-me lagen quer zur Strömung.

»Wenn der Fluß über lange Strecken soaussieht«, murmelte Ra düster, »werden wirEwigkeiten brauchen, bis wir unser Ziel er-reicht haben!«

»Weiter unten wird der Fluß so breit, daßman in seiner Mitte bequem fahren kann!«beteuerte Etir Baj. Ra war skeptisch, aber erwidersprach nicht.

Die beiden Männer fanden eine Lichtungin dem undurchdringlich erscheinenden Ge-strüpp des Waldes. Etir Baj erzählte Ra, daßdieses Gebiet von den Con-Treh noch nie-mals richtig erforscht worden war.

»Gibt es noch andere Siedlungen der Con-Treh auf dieser Welt?« fragte Ra. Etir Bajnickte kurz, aber er sagte nicht, wo dieseAnsiedlungen lagen, oder wie kopfstark dieCon-Treh insgesamt waren. Auf einer sol-chen Welt konnten, wenn die Bewohnerrücksichtsvoll mit ihrer Umwelt umgingen,knapp fünfhundert Millionen Menschen einbequemes Leben führen. Ra war sicher, daßdie Con-Treh nicht annähernd diese Zahl er-reichten. Vermutlich gab es auf dem ganzenPlaneten nur ein paar tausend dieser merk-würdig aussehenden Arkoniden.

Mit steinernem Gesicht sah Ra zu, wieEtir Baj Holz zusammensuchte und ein Feu-er anfachen wollte. Immerhin war der Con-Treh erfahren genug, trockenes Holz auszu-wählen. Aber bereits kurze Zeit, nachdemdie ersten Flammen hochgezüngelt waren,wußte Ra, daß sein Weggefährte in seiner,

Ras Heimat, nicht lange überlebt hätte. DieFlammen wurden viel zu groß, und dieRauchsäule war bei Tageslicht kilometer-weit zu sehen. Während Etir Baj sich weiterum das Feuer kümmerte, nahm Ra den Bo-gen von der Schulter und schlug sich ins Ge-büsch. Da dieser Winkel des Planeten nurüberaus selten von Zweibeinern unsicher ge-macht wurde, waren die Jagdbedingungenhervorragend. Bereits nach wenigen Minu-ten hatte Ra einen vierfüßigen Säuger er-späht; als Sekunden später das Tier mit ei-nem Pfeil im Herzen zusammenbrach, wußteRa, daß er von seinen Fertigkeiten nochnichts eingebüßt hatte. Es war gut, das zuwissen, denn zur Abwehr aller nur mögli-chen Gefahren waren die beiden Männer aufihre altmodischen Waffen angewiesen.

»Aha, ein Merua!« stellte Etir Baj fest, alsRa seine Beute anschleppte. »Das Fleischschmeckt hervorragend, liegt aber schwer imMagen!«

Ra störte das nicht, er war froh, endlichder Konzentratnahrung entgangen zu sein,die an Bord der meisten Raumschiffe ausge-geben wurde. Nach einigen Minuten drehtesich der Braten langsam auf einem improvi-sierten Grill und verbreitete einen prachtvol-len Geruch.

»Was ist eigentlich an dieser Halle der Er-innerung so wichtig!« wollte Ra wissen; ersprach undeutlich, an seinen Wangen liefder Fleischsaft entlang.

»Du wirst es sehen, wenn wir die Halleerreicht haben!« erwiderte Etir Baj kauend.Er warf einen Seitenblick auf seinen Gefähr-ten. Im flackernden Licht des Feuers wirktedas markante Gesicht des Barbaren beson-ders eindrucksvoll. Etir Baj bedauerte leb-haft, daß er sich verpflichtet hatte, Ra nurmit den allernötigsten Informationen zu ver-sehen. Der Mann gefiel ihm, und Etir Bajwürde es sehr bedauern, wenn der Versuch,die Halle zu erreichen, fehlschlagen sollte.

Erst ein paar Minuten später fiel ihm ein,daß er den Fehlschlag dieses Versuchs ver-mutlich auch nicht überleben würde.

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*

»Hier?« wollte Ra wissen.Etir Baj nickte kurz und setzte die Last

ab. Die beiden Männer hatten noch einenPaß übersteigen müssen, während sich derFluß den bequemeren, gradlinigen Wegdurch die Felsen gebahnt hatte. Die Männerhatten inzwischen das Ende des Gebirges er-reicht. Von ihrem Standort aus konnten siedie weiten Waldgebiete überblicken, die dieLandschaft bis an den fernen Horizont be-deckten. Nur geübten Augen war es mög-lich, das schmale, blaue Band zu erkennen,das sich durch die grüne Ebene wand. DerFluß war hier nicht sehr breit, und an beidenUfern standen Bäume, teilweise tief imWasser.

»Es fragt sich nur, was wir bauen!« über-legte Etir Baj laut. »Ein Floß oder ein Ka-nu?«

»Das Floß wäre einfacher, aber langsamund ziemlich breit!« meinte Ra. »Der Flußist noch so schmal, daß wir mit dem Floßüberall hängenbleiben können. Ein Kanu er-fordert aber entschieden mehr Aufwand!«

»Es ist aber wesentlich schneller!« be-merkte Etir Baj. »Außerdem schleppen wirnichts mit uns herum, das durch Nässe ver-dorben werden könnte!«

Damit war die Entscheidung gefallen. Raübernahm die Aufgabe, einen passendenBaum zu finden, der zu einem Kanu umge-baut werden sollte. Er selbst hätte zwar lie-ber ein Fell- oder Rindenboot gebaut, aberdazu fehlte die Zeit. Bald hatte er einen ge-eigneten Baum gefunden, ein fünfmalmannshoher Stamm, gerade gewachsen, unddas Astwerk begann erst in beträchtlicherHöhe.

Eine unangenehme Überraschung wurdeoffenkundig, als die beiden Männer demStamm mit den mitgebrachten Äxten zu Lei-be rücken wollten. Der Mann, der die Äxtegeschäftet hatte, war ein erbärmlicher Stüm-per gewesen. Nach den ersten kräftigen Hie-ben brachen die Stiele, zu allem Überfluß

dicht unterhalb der Schneide.Ra murmelte einen Fluch und schleuderte

die nutzlose Axt ins Gebüsch.»Bis wir die Holzreste herausgewühlt und

neue Stiele geschnitzt hätten«, stellte er er-grimmt fest, »werden ein paar Tage vergan-gen sein. Wir müssen anders vorgehen!«

»Wie, wenn ich fragen darf?« meinte EtirBaj düster.

Ra grinste ihn unverschämt an.»Ein Barbar weiß immer Rat!« behauptete

er.Fartuloon hatte einmal bemerkt, daß Ra

offenkundig einer hochentwickelten Stein-kultur entstammen müsse. Er hatte richtigbeobachtet, und Ra hatte von dem, was erfrüher einmal gelernt hatte, nichts vergessen.Er brauchte einen halben Tag, dann hatte erzwei Steinbeile angefertigt, von denen er ei-nes an Bei Etir Baj weitergab.

»Und du glaubst, daß uns diese primitivenDinger weiterhelfen werden?« fragte erzweifelnd.

»Wir werden es versuchen!« konterte Ra.Bei Etir Baj mußte die verblüffende Fest-

stellung machen, daß die Steinzeit auch ihreguten Seiten gehabt haben mußte. In ver-blüffend kurzer Zeit war der mächtigeStamm gefällt und entastet, dann machtensich die Männer daran, eine Vertiefung inden Stamm zu hauen. Während Etir Bajnoch hackte, entfachte Ra ein neues Feuer,diesmal aus Holzarten, die sehr langsambrannten. Mit den rotglühenden Holzstückenfüllte er die Höhlung im Stamm, wo sich dieGlut langsam in die Tiefe fraß.

Die Arbeit nahm vier Tage in Anspruch,in denen das Feuer pausenlos überwachtwerden mußte. Drohte die Gefahr, daß dieBordwand zu dünn geraten könnte, mußtedas Feuer schnell gelöscht werden. Gleich-zeitig war der freie Mann damit beschäftigt,Kiel und Bug mit der Axt roh herauszu-hacken. Später wurden die Kanten mit ei-nem Mahlstein und Sand geglättet.

Ra sammelte im Wald lange, zähe Lianen,mit denen er einen Ausleger am Boot befe-stigte. Auf diese Weise wurde das Boot na-

Die Höhlen von Magintor 27

Page 28: Die Höhlen von Magintor

hezu kentersicher, und am Morgen des sech-sten Tages schwamm das Kanu auf demWasser des Flusses.

*

Die Fahrt verlief einstweilen ohne großeStörungen. Ein paar Mal mußten sich diebeiden Männer der wütenden Angriffe einesRudels Wasserbüffel erwehren, aber dankder Schärfe ihrer Schwerter konnten sich dieMänner den Weg freikämpfen. Inzwischenwar der Strom so breit geworden, daß dasBoot gemächlich treiben konnte. Ein Mannam Steuer genügte, der andere konnte sich indieser Zeit ausruhen und dann später dasRuder übernehmen. Auf diese Weise war esmöglich, bei Tag und Nacht zu fahren. Rahatte während einer Pause eine kleine Platt-form aus Holz gebastelt, die er überaus sorg-fältig mit dünnen Steinplatten belegt hatte.Auf dieser Plattform brannte des Nachts einFeuer, damit der Rudergänger etwas sehenkonnte. Eine Laune der Natur wollte es, daßdie Insekten dieser Welt ohne AusnahmeVegetarier waren; Ras Befürchtung, in derNacht mit Insektenstacheln gespickt zu wer-den, hatte sich als grundlos erwiesen.

Der Fischbestand war reichlich, Krebseließen sich mit der bloßen Hand fangen, unddas abendliche Wildbret ließ sich ohne son-derliche Mühe vom Boot aus mit Pfeilen er-reichen.

Etir Baj lag mit dem Rücken auf dem Bo-den des Kanus und starrte auf die wenigenWolken, die der Wind bedächtig über denblauen Himmel schob.

»Darauf habe ich zwölf Jahre lang gewar-tet!« murmelte er nachdenklich. »Manchmalfrage ich mich, wozu man überhaupt Raum-schiffe baut!«

»Wie hättest du diesen Planeten erreicht,wenn nicht mit einem Raumschiff!« wandteer ein. »Wie ist dein Volk eigentlich auf die-se Welt gekommen? Du wirst mir doch nichterzählen wollen, eure Art sei hier entstan-den!«

»Mit Raumschiffen vermutlich!« beant-

wortete Etir Baj die Frage. »Und wie bist duan dein Schiff gekommen? Hast du es selbstgebaut?«

Jetzt war die Reihe an Ra, ausweichendeAntworten zu geben. Immerhin hatte ihnEtir Baj an etwas erinnert. Nach Ras Überle-gungen kreiste Ischtar in ihrem Schiff nochimmer um den Maahkstützpunkt. Irgend-wann würde sie Ra vermissen, und so, wieRa die Varganentechnik einschätzte, würdees ihr ein leichtes sein, den Standort ihresBeiboots herauszufinden. Was dann gesche-hen würde, daran wagte Ra gar nicht erst zudenken. In Magintor würde eine fürchterli-che Panik ausbrechen, wenn das Doppelpy-ramidenschiff am Himmel auftauchte undsich obendrein gegen den konzentriertenStrahlbeschuß aus den veralteten Geschüt-zen der Con-Treh als gefeit erwies. UndIschtar war nicht die Frau, die lange fackel-te, wenn man ihr Schiff ohne Vorwarnungbeschoß.

Ra machte ein paar schwache Paddel-schläge, um das Boot wieder auf den richti-gen Kurs zu bringen. Das Wasser war kri-stallklar und erfrischend kühl. Darüber lagein feiner Geruch nach Moder, der vermut-lich von dem Pflanzenmaterial stammte, dasam Ufer versunken war. Nur ab und zu warein Teil eines umgestürzten Baumstamms zusehen, der Rest des Ufers wurde kilometer-weit von Schwimmpflanzen bedeckt, vor al-lem einer Sorte mit einer leuchtend rotenBlüte, mit einer gelbweißen Maserung anden Blattspitzen. Ra klemmte das Paddel indie Armbeuge und bückte sich; vor ihm lagein Stück Fleisch, das er am Abend zuvorgebraten hatte. Genußvoll schlug der Barbarseine weißen Zähne in das Fleisch.

*

Die Sonne stand sehr tief am Horizont;noch waren ihre Strahlen kräftig genug, umden Boden zu wärmen. Ihr Schein fiel aufeinen verlassenen Lagerplatz, auf ein längsterloschenes Feuer. Daneben lagen einigeSteinsplitter; Ra hatte hier eine neue Schnei-

28 Peter Terrid

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de für sein Steinbeil geschlagen.Die Splitter glänzten im Licht der unter-

gehenden Sonne. Das Gestein war glashart,und an einigen Stellen waren die Bruchkan-ten glatt wie Eis. Langsam wanderte derSchein der Sonne weiter.

Das Splitterstück war knapp handteller-groß, von scharfen Zacken umsäumt. RasSchlag hatte den Splitter sauber abgetrennt;in der Mitte des Steines war eine sanft ge-wölbte Vertiefung entstanden, die glatt undspiegelnd war. Langsam wanderten dieLichtstrahlen, die von der Sonne ausgingenund von diesem Spiegel zurückgeworfenwurden, über den Boden, der mit trockenemLaub bedeckt war.

Auf dem Weg des gesammelten, zurück-geworfenen Sonnenlichts gab es nur einBlatt, das genau die Entfernung von demsteinernen Hohlspiegel hatte, die der Brenn-weite dieses Spiegels entsprachen. DiesesBlatt begann zu glimmen, und als die Sonnehinter den Baumwipfeln versank, stand be-reits eine quadratmetergroße Fläche inFlammen.

*

Am späten Nachmittag erst öffneten dieWasserblumen ihre roten Kelche. Den gan-zen Tag über hatten sie das Gas produziert,das sie jetzt brauchten, um ihre Nahrung fin-den zu können.

In dem klaren Wasser gab es nicht genü-gend Nahrung für die Blumen, daher ergänz-ten sie ihren Vorrat, indem sie die Insektenfingen, die abends in Millionenschwärmenüber den Wassern tanzten. Unwiderstehlichwurden die Insekten von dem betäubendenDuft angelockt, und erst wenn das Gas seinetodbringende Wirkung schon fast zur Gänzegetan hatte, öffneten die Blumen ihre Kelchevollständig und fingen den nahrhaften Re-gen langsam herabsinkender Insekten auf.

Das Gas, das die Pflanzen produzierten,war sehr leicht und brennbar. Sekunden,nachdem der Laubbrand am Ufer eine derBlumen erreicht hatte, standen bereits einige

hundert Meter des Ufers in Flammen.Der Wind trieb den Feuersturm vor sich

her, flußabwärts.

*

Das Feuer, diesmal von Ra angelegt,brannte leise und mit kleiner Flamme. Die-ses Geräusch wurde nur ab und zu von ei-nem genußvollen Schmatzen unterbrochen.Vor Tagen hatte Ra ein paar große Schiefer-platten gefunden, die er seitdem mitschlepp-te. Auf dieser Fläche briet er Fleisch undFisch, röstete Nüsse und buk aus Nußmilch,Fleischfett, Eiern und gequollenem Grassa-men hervorragend schmeckende Fladen.

Bisher war die Fahrt zwar ab und zu an-strengend, aber noch nicht gefährlich gewor-den. Wäre nicht die Sorge Ras gewesen, derein Eingreifen Ischtars befürchtete, hätte derBarbar die Reise als Ferienausflug genießenkönnen. An die Gefahr, daß das Unterneh-men mißlingen könnte, und die Con-Trehihn um einen Kopf kürzer machen würden,dachte er nicht mehr. Inzwischen verstand ersich mit Etir Baj fast ohne Worte; die beidenMänner paßten gut zueinander, vor allemdeshalb, weil sie sich in dieser Wildnis wohlfühlten.

Welche Strecke sie bisher zurückgelegthatten, konnte Ra nur schätzen, es konntenannähernd tausend Kilometer sein. Der Flußhatte hier ein steiniges Bett und war relativschmal, entsprechend hoch war die Ge-schwindigkeit des fließenden Wassers. Nacheinigen Tagen hatte Ra gemerkt, daß derWind tagsüber häufig flußabwärts wehte,daher hatte er ein Segel und einen Mast ge-bastelt, der die Geschwindigkeit des Ein-baums beträchtlich erhöhte.

Etir Baj rülpste ungeniert, dann packte erdas verbliebene Stück Braten in ein paargroße Blätter. So hielt sich das Fleisch tage-lang, zudem wurde es von dem Saft derBlätter aromatischer.

»Gute Nacht!« wünschte Ra, als sich EtirBaj auf die Seite legte und die Beine anzog.Die Nachtluft war angenehm warm, der

Die Höhlen von Magintor 29

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Himmel sternenklar. Ra starrte in die Höhe;er versuchte gar nicht erst, irgendeine be-kannte Konstellation zu finden. In diesemRaumgebiet, dem galaktischen Zentrumziemlich nahe, änderten sich die Sternbildermit jedem Lichtjahr. Irgendwo in dieserSchwärze kreiste Ischtars Schiff um einenStern, und irgendwo lag auch Ras Heimat.Unwillkürlich sah sich Ra um.

»Doch«, murmelte er. »Hier könnte ichmich niederlassen!«

Er hörte auf das leise Geräusch des flie-ßenden Wassers, auf die verwirrenden Le-bensäußerungen des großen Urwalds, dennoch niemand erforscht hatte. Hinter demGebirge ging einer der Monde auf; der Tra-bant mußte eine merkwürdige Umlaufbahnbesitzen, denn bisher hatte Ra den Mondnoch nie gesehen.

Es dauerte nur kurze Zeit, bis Ra begriff,daß es sich nicht um einen Mond handelte,sondern um ein gewaltiges Feuer, dessenWiderschein er wahrgenommen hatte.

Ra stieß Etir Baj an. Sofort war der Mannhellwach und sprang auf.

»Wir müssen verschwinden – und zwarschnell!« stellte Ra fest und deutete über dieSchulter, während er schon damit beschäf-tigt war, die Waffen und Ausrüstungsgegen-stände schnell im Boot zu verstauen. EtirBaj unterstützte ihn ohne Zögern, und nachwenigen Minuten trieb das Boot schnell aufdem Wasser. Ra kniete kurz hinter der Platt-form mit dem Leuchtfeuer; mit harten Pad-delschlägen trieb er das Boot vorwärts. EtirBaj saß am Heck und schwang ebenfallskraftvoll sein Paddel.

Ra fluchte erbittert, als er entdeckte, wel-che Ursache die neue Gefahr hatte. In derEile des Aufbruchs hatte er vergessen, dasLagerfeuer zu löschen, und nun hatte sichder Brand weitergefressen und ebenfalls dieWasserblumengase entzündet. Mit großerGeschwindigkeit, weit schneller als das Ka-nu, fraß sich der Brand am Ufer entlang.

»Verbrennen werden wir jedenfallsnicht!« schrie Etir Baj. Er mußte sich an-strengen, um das Brausen des Feuers zu

übertönen. »Die Blumen wachsen nur inUfernähe!«

»Aber ersticken können wir sehr wohl!«brüllte Ra über die Schulter. »Wenn derBrand das ganze Ufer erfaßt hat und das Un-terholz brennt, wird das Feuer jedes AtomSauerstoff heranziehen, bis uns nichts mehrübrig bleibt!«

»Das linke Ufer ist frei!« schrie Etir Baj.»Versuchen wir dort unser Glück!«

Der Einbaum war leicht zu lenken, wennbeide Männer zusammenarbeiteten, undnach relativ kurzer Zeit trieb das Boot inUfernähe. Dieser Uferstreifen war bislangvom Feuer verschont worden, aber derLichtglanz im Rücken der beiden Männerwies unübersehbar darauf hin, daß der erste,größere Brand beide Uferstreifen erfaßt ha-ben mußte. Es konnte auch nicht mehr langedauern, bis der Brand, der aus dem Lager-feuer erwachsen war, durch Funkenflug aufdie andere Seite des Flusses übersprang.

»Sollen wir an Land gehen?« fragte Ra.»Dort haben wir vielleicht eine größereChance durchzukommen!«

Etir Baj schüttelte lebhaft den Kopf.Längst war das Feuer so groß geworden,

daß es große Teile des Urwalds erfaßt hatteund hinter sich einen unter Umständen kilo-meterbreiten Streifen verbrannter Flächeentlang dem Flußverlauf zurückließ. Nie-mand konnte wissen, wie dicht der Wald andieser Stelle stand; unter Umständen wärendie Männer nur überaus langsam vorwärts-gekommen und vom Feuer eingeholt wor-den.

»Land in Sicht!« rief Ra und grinste.Das linke Flußufer wurde zusehends stei-

niger; der Bewuchs wurde immer geringerund hörte schließlich ganz auf. Jetzt aller-dings war eine Landung unmöglich, denndie Felsen ragten Dutzende von Metern fastsenkrecht in die Höhe. In dem Licht, das vondem Uferfeuer ausging, konnte Ra sehen,daß in diesem Bereich an Landung nicht zudenken war. Zudem verengte sich das Fluß-bett, und dementsprechend höher wurde dieFließgeschwindigkeit des Wassers. In ihrem

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Page 31: Die Höhlen von Magintor

Eifer, dem Feuer zu entkommen, hatten dieMänner darauf nicht geachtet, und jetzt warder Fluß so reißend geworden, daß Men-schenkraft das Boot nicht gegen die Strö-mung fortbewegen konnte.

Um die Männer herum war das Prasselndes Feuers, durchsetzt von einem langsamanschwellenden Dröhnen.

»Das Feuer holt uns ein!« rief Etir Baj.Ra schüttelte den Kopf.»Der Lärm kommt von vorne!« stellte er

fest. »Wir treiben auf einen Wasserfall zu!«Auch das rechte Ufer wurde allmählich

steiler. Von dem Rand der Klippen leuchtetedas Feuer auf den Fluß, auf die wirbelndenWassermassen, den weißlich leuchtendenGischt. Das Boot wurde unruhig; die Wellenwurden kürzer und härter, und der Einbaumwurde vom Anprall des Wassers herumge-stoßen.

»Wie hoch ist der Fall?« schrie Ra, umdas Brausen des Wassers zu übertönen. »Istes überhaupt ein richtiger Wasserfall odernur eine Stromschnelle?«

»Keine Ahnung!« gab der Con-Treh zu-rück. »Der Fluß ist nie genau vermessenworden.«

»Langsam begreife ich, daß von dieserReise noch keiner zurückgekommen ist!«brummte Ra.

Etir Baj konnte die Worte nicht hören, zulaut war inzwischen das Toben des Wassers.

Es dauerte nicht lange, dann konnten diebeiden Männer nicht mehr paddeln oder dasBoot lenken. So heftig tanzte das Kanu aufdem Wasser, daß die Männer ihre ganzeKraft brauchten, um nicht über Bord ge-schleudert zu werden. Das Brausen des Fal-les war zu einem ohrenbetäubenden Dröh-nen angewachsen, das jede Verständigungunmöglich machte. Der Aufprall auf die Fel-sen zerstäubte die Wassertropfen, der wäßri-ge Nebel drang in die Lungen und ließ dieMänner husten.

»Festhalten!« brüllte Ra instinktiv, ob-wohl Etir Baj ihn nicht hören konnte.

Vor sich sah Ra die Felskante, über diedas Wasser strömte und in die Tiefe stürzte.

Jetzt hing alles davon ab, welche Strecke dasWasser im freien Fall zurücklegte. Ra spür-te, wie das Boot angehoben wurde, dannsackte das Vorderteil in die Tiefe. Ra schrieinstinktiv, als er den Halt verlor und ausdem Boot geschleudert wurde; neben ihmtauchte für einen Sekundenbruchteil einschwarzer Schemen auf und glitt vorüber,dann prallte Ras Körper auf dem Wasser-spiegel auf.

Ra glaubte seine Knochen brechen zu hö-ren, als er aufschlug; die Strömung packteihn und wirbelte ihn herum. Die Welt ver-schwand in einem Wirbel aus weißschäu-mendem, wildbewegtem Wasser. Ra schlugum sich und versuchte nach Luft zu schnap-pen; Wasser drang in die Luftröhre und lösteeinen unwiderstehlichen Hustenreiz aus.Dann prallte Ras Kopf gegen etwas Hartes,und im Bruchteil einer Sekunde verlor er dasBewußtsein.

4.

»Wo zum Teufel bin ich!« stöhnte Ra.Sein Schädel dröhnte wie eine Trommel,

er fühlte sich zerschlagen und zerschunden.Aber er lebte noch, und das war das Wich-tigste.

»In einem Berg!« erklärte ihm eine be-kannt klingende Stimme.

»Etir Baj!« staunte Ra. »Wo steckst du?«Eine Hand legte sich auf Ras Schulter. Es

war stockfinster, kein Lichtstrahl fiel in die-se Schwärze, und selbst Ras hervorragendeAugen konnten nichts wahrnehmen als Dun-kelheit.

»Einstweilen leben wir noch!« meinte EtirBaj, aber der Ton seiner Stimme klang allesandere als optimistisch. »Ich habe mich imBoot festgeklammert und bin mit dem Kanuabgestürzt. Dabei hat sich das Boot auf denRücken gedreht, auf diese Weise hatte icheinen kleinen Luftvorrat bei meiner Fahrtund wurde nicht ohnmächtig. Wenn ich mirdie Landschaft vorstelle, dann geschieht hierfolgendes: der Fluß fällt ungefähr zwanzigMeter tief. Ein Teil des Wassers wird durch

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eine Öffnung im Berg in diesen unterirdi-schen Fluß gedrückt, der Rest läuft über denRand des Sturzbeckens und bildet einenzweiten Flußlauf. Wann und wo sich diesebeiden Arme wieder vereinigen, weiß ichnicht!«

»Was ist von unserer Ausrüstung nochda?« erkundigte sich Ra.

Das Gefühl, fürs erste sicher zu sein, ließihn die Schmerzen rasch vergessen. Etir Baj,der schon einige Zeit länger bei Bewußtseinwar, hatte die Zeit genutzt, um in der Dun-kelheit herumzutasten und festzustellen, woer sich befand. Auf diese Weise hatte er dasBoot wiedergefunden, es vertäut und dannnach Ra gesucht.

»Das Wasser fließt hier ziemlich ruhig!«stellte der Con-Treh fest. »Ich habe das Ka-nu am Ufer angebunden und leergeschöpft,während du betäubt warst!«

»Und die Ausrüstung?« wiederholte Raseine Frage. »Wieviel davon hat den Ab-sturz überstanden?«

Etir Bajs Seufzen verriet, daß es um dieAusrüstung nicht gut bestellt sein konnte.

»Sieh selber nach!« schlug er vor.Ra entdeckte an seiner Hüfte das Schwert

und den Dolch. Im Boot lag ein Bogen mitgesprungener Sehne. Etir Baj hatte seinMesser ebenfalls retten können. Mehr warnicht geblieben.

»Wir müssen zusehen, daß wir diese Höh-le verlassen!« stellte Ra fest. »Wir müssenhier heraus, sonst verhungern wir!«

Glücklicherweise hatten die Paddel denSturz ebenfalls überstanden, hauptsächlichdeswegen, weil Ra die Paddel mit dünnen,aber sehr starken Lederriemen am Boot be-festigt hatte, nachdem ihm ein Paddel ausder Hand geglitten und abgetrieben war.

»Wie fühlst du dich, Ra?« wollte Etir Bajwissen.

»Mäßig!« gab Ra zurück; der Tonfall vonEtir Bajs Stimme hatte echte Besorgnis ver-raten, und das freute Ra. Er verschwieg, daßsein Schädel noch immer dröhnte undschmerzte. »Warten wir nicht lange, fahrenwir los!«

Die kleine Feuerplattform am Bug warverschwunden, wahrscheinlich war sie beimSturz ähnlich wie der Ausleger in Splitterverwandelt worden. Ra übernahm die vorde-re Sitzbank und stieß das Boot vom Ufer ab.

Zu sehen war nichts, das einzige Hilfsmit-tel zur Orientierung war das leise Rauschendes Wassers. Die Luft in der Höhle war kaltund feucht, und die beiden Männer zittertenbald vor Kälte.

»Lange halten wir das nicht durch!« pro-phezeite Etir Baj düster.

»Man kann viel ertragen, wenn manmuß!« hielt Ra ihm entgegen.

Das Plätschern der Paddel verstärkte sich.Ra und Etir Baj kamen langsam in Schwung.Es war eine einfache Rechnung: solange diebeiden Männer fleißig paddelten, würden sienicht frieren. Allerdings brauchten sie we-gen der Arbeit entschieden mehr Nahrungs-mittel, um den Energieverlust wieder aus-gleichen zu können. Das wiederum verkürz-te die Zeitspanne, die ihnen zur Verfügungstand, um wieder das Tageslicht zu errei-chen.

Hinzu kam die nervliche Belastung.Schon nach sehr kurzer Zeit wurde der Ge-hörsinn wesentlich schärfer, aber selbst nochso scharfe Ohren konnten nicht feststellen,welcher Art die Geräusche waren, die diebeiden Männer umgaben. Niemand konntesagen, ob das leise Glucksen von einemFelsvorsprung stammte, um den das Wasserherumströmte, oder ob es sich um das Ge-räusch eines Fisches handelte. Ra wußte,daß sich Tiere schon nach wenigen Genera-tionen völlig an ein Leben in absoluter Fin-sternis anzupassen vermochten. Was er nichtwußte, war die Antwort auf die Frage, wiegroß solche Tiere werden konnten.

Der Barbar begann zu lächeln, als er weitvoraus einen schwachen Lichtschimmerwahrnehmen konnte, zuerst nur verschwom-men, dann immer deutlicher zu erkennen.

»Ich glaube, wir sind bald wieder im Frei-en!« gab er an Etir Baj durch. »Ich kannLicht sehen!«

»Ich sehe schwarz!« bemerkte Etir Baj

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brummend. »Für den Fall nämlich, daß dieAusfahrt aus dieser Höhle verläuft wie dieEinfahrt!«

Ra gab keine Antwort; er spähte ange-strengt nach vorn, versuchte Einzelheiten zuerkennen. Unwillkürlich beschleunigten diebeiden Männer den Rhythmus ihrer Paddel-schläge. Das Licht reichte bereits aus, umschwach das Ufer des unterirdischen Flusseserkennen zu lassen. Immer stärker wurde derSchein, und Ra begann zu hoffen, daß er inein paar Stunden schon wieder an einemFeuer seine Glieder wärmen und die Klei-dung würde trocknen können.

Um so größer war die Enttäuschung, alser bemerkte, daß der Lichtschein nicht vonder Sonne stammte. Das unwirklich bleicheLicht ging von den Felswänden aus, die denFluß umgaben. Sogar das Wasser wurde vonunten erhellt, und Ra konnte unterarmlangeFische erkennen, die sich träge bewegten.

»Woher kommt dieses Leuchten?« fragteRa seinen Begleiter. »Ist dieses Materialhäufig auf dieser Welt zu finden?«

Etir Baj schüttelte langsam den Kopf.Ratlos antwortete er:

»Ich habe dieses Material noch nie gese-hen! Das heißt: ich kenne eine Substanz, dieauch ohne Lichtzufuhr im Dunkeln leuch-tet!«

»Ich weiß!« warf Ra ein. »Ich denke anden gleichen Stoff – chemisch reines Uran!«

Die beiden Männer wußten, was sich ausdiesen Überlegungen ergab. Eine Konzen-tration strahlenden Materials von solchemAusmaß ergab eine Dosis an Radioaktivität,die die beiden Männer in kurzer Zeit tötenmußte.

Ra wäre fast aus dem Boot gekippt, alsEtir Bajs Hand klatschend auf seiner Schul-ter landete. Der Con-Treh begann laut zu la-chen.

»Heilige Galaxis, was sind wir für Feig-linge!« prustete der Mann. »Wenn das Zeugwirklich strahlend wäre, müßten hier überallFischleichen herumliegen! Was auch immerdas für ein Mineral ist, radioaktiv ist es je-denfalls nicht!«

»Wenigstens haben wir jetzt Licht!«meinte Ra mit einem Seufzer der Erleichte-rung. »Halte nach rechts!«

Der unterirdische Fluß beschrieb einenleichten Bogen, und an einer Stelle hatte dasstetig spülende Wasser den Berg unterhöhlt,daß massive Felsen in das Bett gestürzt wa-ren. Vor diesem natürlichen Hindernis hattesich im Lauf der Zeit allerlei Schwemmholzaufgehäuft. Und dieses Holz lag jetzt aufdem Trockenen.

Ra sprang als erster aus dem Kanu unduntersuchte das Holz, während Etir Baj dasKanu am Ufer vertäute. »Das Holz ist zwarziemlich feucht«, stellte Ra fest, »aber fürunsere Zwecke zu gebrauchen!«

Er sammelte einige Steine, hockte sichauf den Boden und fing an zu arbeiten. EtirBaj verfolgte mit Staunen, wie Ra mit denResten der Bogensehne, ein paar Steinenund dem morschen Holz ein Feuer zuwegebrachte.

»Ah, das tut gut!« murmelte Ra und hieltdie Hände über die kleinen Flammen desFeuers. Langsam und gründlich rieb er seineHände über der Wärme, bis die frühere Ge-schmeidigkeit zurückgekehrt war.

»Sammle das Holz und bringe es insBoot!« befahl er Etir Baj. »Ich glaube, wirwerden es brauchen!«

Er selbst suchte in dem Geröll lange her-um, bis er gefunden hatte, was ihm vor-schwebte. Es war ein mächtiger BrockenFels, ungefähr so groß wie Ras Rumpf undentsprechend schwer. Ra stöhnte und ächzte,aber nach einer halben Stunde hatte er denFels mühsam bis ans Ufer gewuchtet. Wort-los hockte sich Etir Baj neben den Stein undkopierte genau, was Ra ihm vormachte. DerCon-Treh war geschickt und intelligent, aberihm fehlte die natürliche Begabung dafür,den richtigen Winkel zu finden, um mit ei-nem steinernen Meißel den Fels zu bearbei-ten. Das Material war glasartig, sehr hartund überaus spröde; dies erleichterte Ra dieArbeit. Nach zwei Stunden Arbeit war dasProdukt fertig, eine große, tief gewölbteSchale aus Stein, die gerade in das Kanu

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hineinpaßte. Ra sorgte dafür, daß sich dieSchale nicht bewegen oder verrutschenkonnte, dann füllte er die Glut des Feuers indas Behältnis.

Jetzt erst begriff Etir Baj den Zweck dergesamten Arbeit. Die Männer konnten nichtdarauf hoffen, jedesmal, wenn sie Holzbrauchten, auf eine solche Anhäufung ange-schwemmten Materials zu stoßen. Daherhatte Ra dafür gesorgt, daß sie das Feuer mitsich führen und nach Belieben anfachen undvergrößern konnten.

»Fahren wir weiter oder essen wir erst?«wollte Ra wissen. Er deutete auf die großen,weißen Fische, die sich mit trägem Flossen-schlag in dem Wasser bewegten. »Wir kön-nen allerdings auch während der Fahrt es-sen!«

»Fahren wir!« entschied Etir Baj. »Jeschneller wir diese Höhle verlassen, destobesser für uns!«

Ra nickte und löste die Lederschnur vondem Felsen, an dem Etir Baj das Boot befe-stigt hatte. Neben ihm auf dem Boden lagder Speer mit der steinernen Spitze, der fastbeiläufig bei der Arbeit an der Feuerschaleentstanden war. Langsam und fast geräusch-los glitt das Kanu durch die Höhle. Das blei-che Licht der Mineralien und der rötlicheSchein des Feuers verbanden sich zu einergeheimnisvollen Beleuchtung, die den ge-fährlichen Eindruck der Szenerie noch ver-stärkte.

Ra ließ sich von solchen Überlegungennicht beeindrucken; er hatte sich in den Buggehockt und versuchte mit dem Speer zu fi-schen. Er brauchte erst einige Versuche, biser sich daran gewöhnt hatte, daß die verän-derten optischen Verhältnisse im Wasser ei-ne andere Zieltechnik erforderlich machten.Dann aber durchbohrte seine Waffe nachein-ander fünf große Fische. Kurze Zeit späterbrutzelten die ausgenommen Tiere über demBecken, dessen Glut von Etir Baj mit größ-ter Aufmerksamkeit gehütet wurde.

Die Fische waren nicht sonderlich sätti-gend, aber der größte Hunger konnte raschgestillt werden. Angesichts des Fischreich-

tums dieses unterirdischen Flusses war dieGefahr des Hungertodes wenigstens vorläu-fig gebannt.

»Das Leuchten wird heller!« bemerkteEtir Baj.

Ra grinste mit bläulich verfärbten Zäh-nen; in dieser Beleuchtung wirkte sein Ge-sicht wie eine Teufelsmaske.

Die Höhle wurde breiter, die Decke wölb-te sich in die Höhe; der Raum, den Ra undEtir Baj erreichten, war fast schon als unter-irdischer Dom zu bezeichnen. Ra schätzteden Durchmesser des Gewölbes auf fünf-hundert Meter, die lichte Höhe auf ein Fünf-tel. Der Fluß erweiterte sich zu einem unter-irdischen See, der von einer schmalen Land-zunge fast halbiert wurde.

Das Kanu kam fast zum Stillstand, als derSee erreicht war. Die plötzliche Erweiterungdes Flußbetts war schuld an diesem Effekt.An der Engstelle, dort wo die Landzunge indas Wasser ragte, mußte das Wasser aller-dings seine Fließgeschwindigkeit beträcht-lich erhöhen. Der Engpaß war nicht zu über-sehen, weiß tanzte der Gischt auf dem auf-gewühlten Wasser.

Es war nicht dieser Anblick, der Ras Herzschneller schlagen ließ.

Die Landzunge hatte eine Verlängerungin den massiven Fels hinein, eine geräumige,fast kreisrund geformte Höhle, die ziemlichsteil anzusteigen schien. Auf der gesamtenStrecke der Landzunge lagen gelblicheschimmernde Körper, schmal und gebogen,dazwischen ähnlich gefärbte Halbkugeln.

»Skelette!« flüsterte Ra beklommen.»Hier sind Dutzende von Menschen gestor-ben! Alle, die den Wasserfall unbeschädigtüberstanden haben, sind dem Flußlauf ge-folgt. Und hier sind sie gestorben!«

Ra bemühte sich, etwas mehr von derHöhle erkennen zu können, aber an dieserStelle war der Glanz der Mineralien so starkwie eine elektrische Beleuchtung. Was sichhinter dem grellen Licht verbarg, war nichteinmal zu erahnen. Aber die Männer konn-ten sich ausrechnen, daß es kein Zufall seinkonnte, wenn hier Skelette in solcher Zahl

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zu finden waren.»Wir müssen höllisch aufpassen!« mur-

melte Etir Baj und griff nach seinemSchwert.

Ra hielt seinen Speer bereit, während ermit vorsichtigen Paddelschlägen das Kanulangsam näher an die Landzunge heran-brachte. Einen anderen Weg gab es nach sei-ner Meinung nicht.

Die Falle war hervorragend angelegt.Wenn das Kanu die Engstelle passierte, wa-ren die beiden Männer sicher so intensiv mitder Lenkung des Bootes beschäftigt, daß siezu einer Gegenwehr gegen einen plötzlichenAngriff nicht fähig gewesen wären. Ra hattesich dafür entschieden, dem unbekanntenFeind die Stirn zu bieten. Wenn es ihm undEtir Baj nicht gelang, den Erbauer der Land-zunge auf festem Boden zu stellen und zutöten, dann gab es auch keine Chance, mitdem Kanu die Engstelle zu überwinden.

Es schrammte leicht, als das Kanu amUfer auflief. Jetzt konnte Ra die Skelettedeutlich sehen; es mußten Dutzende vonMenschen gewesen sein, die hier den Todgefunden hatten, von den Hunderten vonTieren ganz abgesehen.

»Wir müssen uns auf allerhand gefaßt ma-chen!« knurrte Ra.

Er war sicher, daß der helle Glanz, dervon der Höhle ausging, kein Zufall war, weiteher das Werk seines Bewohners. Auch dieLandzunge war mit Sicherheit künstlich; einso starkes Hemmnis in seinem Lauf hätteder Fluß in kurzer Zeit abgeschliffen gehabt.

»Versuchen wir, das Kanu auf die andereSeite zu schleppen!« schlug Etir Baj vor.»Oder willst du warten, bis sich unser unbe-kannter Freund zeigt?«

Etir Baj hatte zweifellos recht, schließlichkonnten die beiden Männer nicht an diesemFleck verweilen. Mit vereinten Kräften zerr-ten sie das Boot hinter sich her. Glücklicher-weise war die Landzunge ziemlich flach, da-her ließ sich das Boot verhältnismäßig leichtschleppen. Der Bug des Kanus tauchte aufder anderen Seite schon wieder ins Wasser,als sich der Bewohner der Höhle vorstellte.

Er tat dies mit einem Brüllen, das von denFelswänden zurückgeworfen wurde und dieMänner zusammenzucken ließ. Blitzartigfuhr Ra herum und legte die Hand über dieAugen, um gegen das grelle Licht des Höh-leneingangs etwas erkennen zu können. Nurundeutlich sah er eine Gestalt, die sich lang-sam bewegte.

»Noch haben wir eine Chance!« brüllteEtir Baj. »Hilf mir!«

Er stemmte sich mit der Schulter gegendas Boot, aber allein war er zu schwach, umdas Kanu von der Stelle bewegen zu können.Ra wollte ihm helfen und machte einenSchritt auf das Boot zu.

Das Geschoß schlug eine Handbreit nebenseinem Fuß auf dem Fels und zersprang klir-rend. Ra spürte einen harten Schlag, danneinen schneidenden Schmerz am Fuß. Er sahhinunter und starrte auf den Splitter, derknapp über dem Knöchel aus dem Bein rag-te. Wieder pfiff aus dem Höhleneingang einGeschoß herüber und prallte auf den felsigenBoden der Landzunge; diesmal wurde EtirBaj von dem Splitterhagel eingedeckt. Diebeiden Männer warfen sich auf den Boden,um dem Beschuß nicht so offen ausgesetztzu sein.

Langsam wurde der Schütze sichtbar, eingigantischer, grüngeschuppter Wurm, der ander Spitze mindestens drei Meter Durchmes-ser besaß. Ra konnte zwei irrlichternde Au-gen erkennen, darunter einen kleinen Mund.Aus dieser Öffnung verschoß der Wurm Kri-stallkugeln. So hoch war die Anfangsge-schwindigkeit dieser Projektile, daß Ra nureine winzige Bewegung der Lippen desWurmes sehen konnte, dann krachte das Ge-schoß vor ihm auf den Boden.

Ra hatte noch nie davon gehört, daß TiereSteinkugeln verschossen, aber er wußte, daßTiere, die ihre Beute einmal ins Auge gefaßthatten, selten danebengriffen. Es war un-wahrscheinlich, daß die Bestie mehr alsfünfmal danebengeschossen haben sollte.

»Das Biest ist intelligent!« flüsterte er;Etir Baj lag neben ihm und nickte grimmig.

»Und sadistisch veranlagt!« stellte er fest.

Die Höhlen von Magintor 35

Page 36: Die Höhlen von Magintor

»Es will mit uns spielen!«Inzwischen hatte der Wurm weitere Teile

seines Körpers aus der Höhle geschoben undden Vorderteil des Leibes aufgerichtet.Langsam pendelte der häßliche Kopf hinund her, und immer wieder öffneten sich dieLippen zu einem Schuß. Ra betrachtete dieSplitter, die in seiner Nähe auf den Bodenfielen; sie bestanden aus dem gleichen Mate-rial, aus dem an dieser Stelle das gesamteGewölbe bestand.

Offenbar stellte die Bestie den geheimnis-vollen, glänzenden Stoff selbst her und ver-wandte ihn als Waffe. Ra hörte das heftigePochen seines Herzens, fast übertönt vondem schleifenden Geräusch, mit dem derWurm sich vorwärts bewegte.

»Ein Gloohn!« flüsterte Etir Baj plötzlich.»Wir haben nur ein einziges Mal eine solcheBestie gefunden, und es ist uns nur mitEnergiewaffen gelungen, das Tier zu ver-nichten. Es ernährt sich von Steinen, und esist fähig, seine Körperausscheidungen nachBelieben zu kontrollieren. Es kann jedes ge-wünschte Mineral herstellen. Aber ab und zubraucht es organische Materie, und dafürmuß jedesmal ein Tier oder ein Mensch ster-ben!«

»Energiewaffen haben wir nicht!« knurrteRa. »Aber vielleicht …!«

Er sprach den Satz nicht zu Ende. Mit ei-nem gewaltigen Sprung schnellte er sich ei-nige Meter weit fort, sprang auf die Füßeund begann zu rennen. Dem Gloohn schienseine Flucht Spaß zu machen, sofort wech-selte es das Ziel und beschoß den Bodenrings um Ras Füße. Es war ein grausamesSpiel; die Bestie hätte jederzeit Ra mit ei-nem gezielten Treffer außer Gefecht setzen,wahrscheinlich sogar töten können, aber eshatte mehr Gefallen daran, seine Opfer zuquälen.

Wie präzise die Bestie treffen konnte,zeigte sich bald. Als Etir Baj seinen Standortverändern wollte, wurde er von einem Hagelvon Geschossen in seine Deckung zurückge-zwungen. Das Gloohn brauchte nur Sekun-denbruchteile, um seine Bewegung zu se-

hen, den Kopf zu wenden und Etir Baj zubeschießen.

Die Zeit war nicht lang, die Ra zur Verfü-gung stand, aber in der kurzen Spanne desZielwechsels konnte Ra das Kanu erreichen.Sofort warf er sich hinter dem Boot inDeckung. Wenig später flogen Holzsplitterum sein Gesicht, das Gloohn machte sichdaran, das Boot zu zerschießen.

Ra sah nur eine Chance, den Angreifer zuvertreiben; er griff sich ein brennendesStück Holz aus dem Feuer, wirbelte es überdem Kopf und schleudert den Brand demGloohn entgegen.

»Treffer!« schrie Etir Baj. »Noch einmal,Ra!«

Das Gloohn stieß schrille, trompetenartigeLaute aus und zog sich hastig zurück. Offen-bar fürchtete es das Feuer. Ra schleuderteeinen zweiten Brand, wieder traf er seinZiel. Das Gloohn kümmerte sich jetzt nurnoch um Ra, und Etir Baj nutzte die Zeit,um alles erreichbare Schwemmholz in derNähe des Höhleneingangs aufzuhäufen.

Das Gloohn schrie und zuckte; der Rauchder Fackeln stieg ihm in die Augen undblendete das Tier. Ra konnte die Kristallge-schosse über seinem Kopf pfeifen hören.Hastig richtete sich der Barbar auf, griff sichzwei Fackeln und rannte damit nach vorne,dem Gloohn entgegen. Die Bestie spürte dieNähe des Feuers und wich angsterfüllt zu-rück. Ra achtete darauf, daß der Rauch derFackeln auf das Gloohn zuwehte, als erSchritt um Schritt vorwärts rückte und dieBestie immer weiter in ihre Höhle zurück-trieb. Endlich war der große Kopf desGloohn in der Höhle verschwunden; sofortschob Etir Baj die Holzstöße, die er aufge-türmt hatte, vor den Eingang. Ra zündete dieHolzstapel rasch an, dann rannten die Män-ner zu ihrem Boot zurück.

Es dauerte nicht lang, bis das Kanu wie-der schwamm. Die Gefahr des Gloohn hinterihnen gab ihnen ungeahnte Kräfte, obwohldas schauerliche Heulen und Brüllen der Be-stie verriet, daß Etir Baj und Ra ihr gründ-lich zugesetzt hatten.

36 Peter Terrid

Page 37: Die Höhlen von Magintor

Noch lange hörten sie das Gloohn schrei-en, während sie das Boot mit schnellen, har-ten Paddelschlägen vorwärts trieben.

»Hoffentlich gibt es nicht weitere Exem-plare dieser Art!« wünschte sich Ra.

»Wir Con-Treh haben in unserer ganzenGeschichte nur einmal ein Gloohn gese-hen!« behauptete Bei Etir Baj. »Dieses wardas zweite, und ich vermute auch das einzi-ge auf diesem Planeten!«

Gern hätte Ra gefragt, über welchen Zeit-raum sich die Geschichte der Con-Treh er-streckte, aber da er wußte, daß er nur eineausweichende Antwort bekommen würde,verzichtete er auf die Frage.

Er war sich ziemlich sicher, daß er einesTages auf alle Fragen, die mit den Con-Trehzusammenhingen, eine vernünftige Antwortbekommen würde. Dann nämlich, wenn erseine Aufgabe gelöst hatte und nach Magin-tor zurückkehrte.

Es entsprach der Mentalität des Barbaren,daß er überhaupt nicht an einem Gelingender Mission zweifelte, und sein Optimismuswar stark genug, Etir Baj damit zu infizie-ren. Allerdings hatte der Con-Treh manch-mal das Gefühl, als sei dieser Optimismusangesichts der Möglichkeiten, die die Zu-kunft barg, auch bitter vonnöten.

5.

Ra kniff die Augen zusammen, um vomLicht der Sonne nicht geblendet zu werden.Nach Tagen, in denen die beiden Männernur das schwache Licht ihres Feuers gehabthatten, wirkte das helle Licht der Sonne fastschmerzhaft.

Das Kanu glitt sanft schwankend über dasWasser. Die Ausfahrt aus dem Höhlensy-stem war nicht annähernd so hart gewesenwie die Einfahrt. Das Wasser strömte ruhigaus einem großem Tor im Berg hervor undverband sich einige hundert Meter flußab-wärts wieder mit dem Hauptarm.

»Geschafft!« murmelte Etir Baj undkratzte sich ausgiebig.

Die Männer hatten sich nicht rasieren

können, und waren hungrig. Nach der Land-zunge des Gloohn hatten sie nur noch weni-ge Fische fangen können, und beide hattenetliches Gewicht verloren. Die Gesichterwaren bleich und eingefallen, die Augen la-gen tief in den Höhlen.

»Programmpunkt eins: ein großer, saftigerBraten!« bemerkte Ra. Er brauchte nicht aufeine Antwort Etir Bajs zu warten, denn derCon-Treh war genauso ausgehungert wie erselbst.

Ra schirmte die Augen mit der Handflä-che ab und deutete nach vorne.

»Was ist das dort?« fragte er Etir Baj.»Ein Vulkan?«

Etir Baj faßte den Horizont schärfer insAuge und schüttelte den Kopf.

»Dort gibt es zwar einen Vulkan, aber derist seit Jahrhunderten erloschen!« meinte ernachdenklich. »Es wäre möglich, daß einigevon uns noch immer dort leben!«

Ra zog fragend die Brauen in die Höhe,dann zuckte er die Schultern. Er hatte esendgültig aufgegeben, nach mehr Informa-tionen zu fragen; aus Etir Baj war nichts her-auszuholen. Und wenn die dünne Rauchsäu-len tatsächlich von Con-Treh stammte, dannwürde man diese Menschen ohnehin bald se-hen, denn der voraussichtliche Weg der bei-den Männer führte ziemlich gerade auf denschwärzlichen Faden am Himmel zu.

Ein paar kräftige Paddelschläge genügten,um das Kanu an Land treiben zu lassen.Jetzt war Ra wieder in seinem Element.Zwar war auch Bei Etir Baj naturerfahren,ein geübter Jäger und Waldläufer, aber erwar immer auf ein gewisses Mindestmaß antechnischer Ausrüstung angewiesen. OhneMesser wäre er wahrscheinlich im Wald ver-loren gewesen; ihm fehlte die zum Instinktgewordene Erfahrung, aus Hunderten vonSteinen denjenigen herauszufinden, dereinen brauchbaren Faustkeil ergab oderscharfkantige Splitter für Pfeile liefernkonnte.

Während Ra sich um das Feuer kümmer-te, ging Etir Baj auf die Jagd. Sein Messerwar lang und hervorragend ausbalanciert, so

Die Höhlen von Magintor 37

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dauerte es nicht lange, bis Etir Baj mit ziel-sicherer Hand einen Wurf ansetzte und seineBeute genau an der Stelle traf, an der dasMesser eindringen sollte. Etir Baj brach dasTier auf und schleppte dann die genießbarenTeile zum Ufer, wo Ras Feuer bereits brann-te.

Den ganzen Tag verbrachten die beidenMänner damit, ihre Ausrüstung zu vervoll-ständigen. Ra war es, der das Holz für dieBögen auswählte und die Sehnen aus den er-beuteten Tieren schnitt, während Etir Bajaus kopfgroßen Nußschalen neue Gefäßeherstellte und die Bugplattform erneuerte,auf der des Nachts das Feuer weiterbrennensollte.

Als die Sonne am Horizont verschwand,war die Ausstattung der beiden Männer wie-der halbwegs komplett. Ra stieß das Kanuvom Ufer; die Reise konnte weitergehen.

*

Die Männer wußten nicht, wie viele Tageseit ihrem Aufbruch von Magintor bereitsvergangen waren. Die Fahrt in der Höhlehatte es unmöglich gemacht, die Tage zuzählen, aber Etir Baj hatte das Gefühl, dieReise müßte ziemlich schnell vonstatten ge-gangen sein. Der Strom war inzwischen sobreit geworden, daß vom Kanu aus keinUfer mehr erkennbar war. Das Wasser hattesich verfärbt; der Fluß schleppte gewaltigeMengen lehmiger Erde mit sich. Abgerisse-ne, morsche Baumstämme trieben in demWasser, und der Mann am Steuer hatte vielMühe, den Baumriesen auszuweichen undeine Kollision zu verhindern, bei der dasBoot unfehlbar gekentert wäre.

»Wenn das ein Lagerfeuer ist«, meinte Raspöttisch, »dann bin ich Imperator von Ar-kon! Das ist ein Vulkan!«

»Ich fürchte, daß du recht hast!« pflichte-te ihm Etir Baj bei. »Aber ich kann es mirnicht erklären. Seit die Con-Treh auf dieserWelt leben, ist er als erloschen bekannt!«

»Meinetwegen!« brummte Ra. »Nochsind wir weit von ihm entfernt. Wann

glaubst du, werden wir das Binnenmeer er-reicht haben?«

Etir Baj zuckte mit den Schultern.Das Boot trieb in Sichtweite des rechten

Ufers, knapp fünfhundert Meter von demweißen Sand des Strandes entfernt. Ra fühltesich versucht, dort ein paar Tage lang auszu-ruhen. Soweit er die Landschaft hinter demUfer erkennen konnte, entsprach sie dem,was man gemeinhin als Paradies bezeichne-te. Weite, grasbedeckte Flächen, von kleine-ren Hügelketten durchbrochen, dazwischenflache Seen. Die Jagdgelegenheiten mußtenatemberaubend sein.

»Ich glaube«, sagte Etir Baj plötzlich,»wir haben unser Ziel erreicht!«

Ra zog das Paddel kräftiger durch, bisauch das Heck des Bootes die Biegung um-fahren hatte. Der Augenschein sprach dafür,daß Etir Baj recht hatte. Das Ufer bog fastrechtwinklig ab. Vor dem Bug war nichts alsWasser zu sehen, mit einer leichten Dünung,die durchaus zu einem großen Binnenmeergepaßt hätte.

»Kennst du die Gegend?« wollte Ra wis-sen. Etir Baj verneinte.

»Ich kenne nur Magintor und seine Um-gebung aus eigener Anschauung«, erklärteer. »Aber ich habe Karten dieses Landstrichsgesehen. Danach muß rechts von uns, einpaar Kilometer entfernt, ein altes Fischer-dorf sein. Es wurde vor mehr als zweihun-dert Jahren verlassen!«

Diese zweihundert Jahre waren der einzi-ge Zeitraum, den Ra kannte. Aber die Ge-schichte der Con-Treh mußte viel weiter indie Vergangenheit zurückreichen; in zwei-hundert Jahren konnte sich kein Volk soweitgehend von den Arkoniden wegent-wickeln.

»Wurde das Dorf allmählich geräumt oderfluchtartig verlassen?« wollte Ra wissen.

»Was ist daran so wichtig?« fragte EtirBaj erstaunt zurück.

»Wenn die Bewohner viel Zeit hatten«,erläuterte Ra geduldig, »dann haben sie ver-mutlich alles mitgeschleppt, was sich über-haupt tragen ließ. Bei einer Flucht sind

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Page 39: Die Höhlen von Magintor

wahrscheinlich Werkzeuge zurückgebliebenund andere Sachen, die wir vielleicht brau-chen könnten. Rasiermesser, beispielswei-se!«

Er sah Etir Baj an und grinste. Der Con-Treh bot mit seinem langen, verfilzten Barteinen recht erheiternden Anblick; daß Ranicht besser aussah, verriet das Lächeln, mitdem Etir Baj antwortete.

»Greif zu!« forderte er Ra auf. »Es istnicht mehr weit!«

Bereits nach kurzer Fahrt war ersichtlich,daß mit diesem Kanu eine Überquerung desBinnenmeeres Abdalor ausgeschlossen war.Obwohl die beiden Männer eine recht dickeBordwand hatten stehenlassen, tanzte dasBoot auf den Wellen wie ein Korken. Weiterdraußen im Meer würde es wahrscheinlichnoch stürmischer werden, und Ra hatte einelebhafte Abneigung gegen große Wasser-mengen, vor allem, wenn er kein gutes Bootbesaß.

*

Von der Siedlung der Con-Treh am Uferdes Binnenmeeres war nicht mehr viel ge-blieben. Zwei Jahrhunderte lang hattenWind und Wetter Zeit gehabt, die Gebäudeeinzuebnen, und was die Witterung ver-schont hatte, war von Pflanzen überwuchert.Und die ehemaligen Bewohner hatten offen-bar viel Zeit gehabt, alles mitzunehmen, wasirgendwie von Wert war. Immerhin fandensich noch zwei angebrochene Tuben mitEnthaarungscreme, die erstaunlicherweisetrotz ihres hohen Alters noch wirkte. Außer-dem fanden sich noch genügend Metallteile,aus denen sich mit etwas Geduld und Sach-kenntnis Waffen und andere nützliche Ge-rätschaften fertigen ließen.

Den größten Fund machte Etir Baj.»Du wirst es nicht glauben«, berichtete er,

als er die halbverfallene Hütte erreicht hatte,die den beiden Männern als Unterschlupfdiente. »Ich habe ein Boot gefunden!«

»Aber erst nachdem du den meterhohenSchimmelbewuchs heruntergeschnitten

hast!« vermutete Ra bissig.»Plastikmaterial schimmelt nicht!« meinte

Etir Baj und lächelte selbstzufrieden. »Es istalles vorhanden, sogar Netze habe ich ge-funden. Wir können sofort aufbrechen!«

Ra deutete wortlos auf den Horizont, wosich eine grauschwarze Wolkenwand gebil-det hatte. Angesichts dieser Wetteraussich-ten verzichtete Etir Baj auf eine sofortigeAbreise. Dafür nahmen sich die Männer vielZeit für das Boot.

Etir Baj hatte nicht übertrieben, das Bootwar seetüchtig und praktisch sofort verwen-dungsfähig. Zwar wurde auch Kunststoffma-terial im Lauf der Zeit abgebaut, aber diesesBoot hatte in einem Schuppen gelegen, derdurch Zufall fast vollständig luftdicht ge-worden war, als die Hütte darüber zusam-mengebrochen war.

»Es muß damals in deinem Volk auch einpaar Reiche gegeben haben!« stellte Ra mitleisen Spott fest. »Dieses Boot ist niemalszum Fischen verwendet worden!«

Etir Baj konnte ihm nicht widersprechen,denn es war offenkundig, daß Ra recht hatte.Das Boot war offen, ruhte auf zweiSchwimmkörpern und hatte einen über-großen Mast; es handelte sich um einen aus-gesprochenen Hochgeschwindigkeitskata-maran, wie er von Sport-Seglern verwendetwurde. Das Boot hatte Platz für zwei Perso-nen, nicht mehr. Fische waren darin nichtunterzubringen.

»Damit schaffen wir die Strecke bis zurInsel an einem Tag!« freute sich Etir Baj. Rawar ebenfalls erleichtert, denn Katamaranewaren dank ihrer speziellen Bauart weitest-gehend kentersicher. Der Barbar war wederfeige noch wasserscheu, aber die Vorstel-lung, auf dem offenen Meer tagelangschwimmen zu müssen, bis er völlig entkräf-tet versank, hatte etwas Grauenerregendesan sich.

Von der Insel selbst war nichts zu sehen,nur die unverkennbare Rauchsäule des Vul-kans. Ra war gespannt auf das, was sich hin-ter dem Begriff der Halle der Erinnerungwohl verbergen mochte.

Die Höhlen von Magintor 39

Page 40: Die Höhlen von Magintor

Vor allem eines interessierte die beidenMänner: wie sah die Gefahr aus, der in denletzten zweihundert Jahren alle Männer zumOpfer gefallen waren, die versucht hatten,zur Halle der Erinnerung vorzudringen?

*

Am nächsten Morgen war der Himmelblau und wolkenlos, von der Küste her weh-te ein kräftiger Wind. Besser konnten dieStartbedingungen kaum sein. Ra und EtirBaj brauchten etwas mehr als eine Stunde,dann schwamm das Boot auf dem Wasser.Die beiden Schwimmkörper des Katamaranswaren unbeschädigt, wie Ra erleichtert fest-stellte. Rasch packten die beiden Männer ih-re Habseligkeiten zusammen und verstautensie im Boot. Dann konnte die Fahrt begin-nen.

Das Boot machte flotte Fahrt. Die Männerhatten kein Log, aber nach ihren Schätzun-gen machten sie mindestens dreizehn Kno-ten, und schon nach kurzer Zeit war die Kü-ste außer Sicht.

Zu tun gab es wenig, da der Wind sehrgleichmäßig wehte. Ra unternahm einenletzten Versuch, Etir Baj auszufragen.

»Da ich es bald ohnehin erfahren werde«,begann er entschlossen, »würde ich schonjetzt gern wissen, was diese Halle der Erin-nerung ist!«

Etir Baj lachte bitter auf.»Ich würde es dir gerne sagen«, erklärte

er. »Aber ich weiß es selbst nicht!«Ra schüttelte fassungslos den Kopf. Der

Hang der Con-Treh zur Geheimniskrämereinahm allmählich fast skurrile Formen an.Oder lag eine gewisse Absicht des Con-Treh-Than dahinter, die beiden Männer so-wenig wie möglich zu informieren? Rakonnte sich sehr gut vorstellen, daß der Älte-stenrat der Con-Treh diesen Weg wählte, umihn auf diese Weise doch hinrichten zu kön-nen. Und ein Gericht, das einen Menschennur deshalb zum Tode verurteilte, weil er einFreund Atlans war, war nach Ras Ansichtauch fähig, einen Con-Treh zu opfern, um

den Zweck – nämlich Ras Tod – erreichenzu können.

Mit solchen Gedanken verbrachte Ra dieZeit, in der er nichts zu tun hatte. Er wurdeerst dann wieder abgelenkt, als sich langsamder Gipfel des Vulkans über den Horizont zuschieben schien.

Es gab jetzt keinen Zweifel mehr, derVulkan war wieder tätig. Es war unverkenn-bar, daß der Rauch der Spitze des schwarz-grauen Kegels entströmte, allerdings stiegder Qualm so gleichmäßig hoch, als handlees sich um den Rauch eines kleinen, sorgfäl-tig gehüteten Feuers. Von gefährlicher Akti-vität des Berges war nichts zu erkennen.

Ra spürte, daß sein Herz schneller schlug.Die Gefahr, der die Con-Treh in früherenJahren erlegen waren, mußte zum Greifennahe sein. Wie sah diese Bedrohung aus?Bestand sie in der wieder aufgeflammtenTätigkeit des Vulkans, von dem die Con-Treh angenommen hatten, er sei tot undkalt?

Ra wandte sich zu Etir Baj um. Auch derCon-Treh zeigte Zeichen der Erregung. Rakonnte sehen, wie er nervös die Hand umdie Pinne krallte, dann wieder lockerte undwieder fest zugriff. Er kaute nervös auf denEnden des Schnurrbarts, der der Enthaa-rungscreme nicht zum Opfer gefallen war.Etir Baj hatte sich vorgenommen, den Barterst dann wieder abzuschneiden, wenn dasRätsel um die Halle der Erinnerung gelöstwar.

Die Küste wurde sichtbar, ein flacherSandstrand, der eher anheimelnd als un-heimlich wirkte. Erst als das Boot demStrand immer näher kam, sah Ra die Skelet-te am Ufer, von der Sonne gebleicht, so daßsie in dem hellen Sand kaum zu erkennenwaren.

Ra beugte sich etwas vor, um die Kno-chen besser sehen zu können. Er wäre fastüber Bord gegangen, als Etir Baj ruckartigdas Steuer herumriß.

»Aufgepaßt, Ra!« rief der Con-Treh. »DieInsel wird bewacht!«

Instinktiv zuckte Ras Hand in den Gürtel

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und umklammerte das Heft des Schwertes,während er mit der freien Hand hinter sichgriff, um wieder Halt zu finden. Als er end-lich fähig war, sich umzudrehen, sah er ingeringer Entfernung von sich ein weitaufge-rissenes Maul, mit einer Reihe furchterre-gender Zähne, die vom Blut früherer Opferschwärzlich verfärbt waren.

»Wasserechsen!« rief Etir Baj. »Paß auf,daß du nicht über Bord gehst, ich werde ver-suchen, die Biester auszumanövrieren!«

Ra nickte grimmig. Sein Schwert zuckteauf den Schädel des vordersten Angreifersherab. Wie von einer elastischen Haut prall-te die scharfe Klinge ab, ohne die geringsteVerletzung hervorgerufen zu haben. Ra stießeinen Fluch aus, dann versuchte er, die Spit-ze der Klinge in die Haut zu treiben. Auchdas mißlang.

»Die Biester sind gepanzert!« rief er überdie Schulter hinweg.

Etir Baj hatte sich im Heck des Bootes soklein wie möglich gemacht; solange Radeutlich sichtbar im Bug stand, würden sichdie Angriffe der Wasserechsen auf ihn kon-zentrieren, und nur solange war Etir Baj inder Lage, das Boot zu steuern. Er wußte, daßVerteidigung und Steuerung des Bootes ihnüberfordert hätten.

Ra hatte endlich eine Methode gefunden,die Echsen auf Distanz zu halten. Er hackteund stach nur noch nach den Augen. An die-sen Punkten waren die Angreifer verwund-bar, das bewiesen die Schreie der Echsenund das hervorquellende Blut.

Der Blutgeruch verstärkte die Angriffswutder Echsen, aber Ra merkte erleichtert, daßsie zunächst über ihre verletzten Artgenos-sen herfielen und sie zerfleischten. Die ge-ringste Verletzung wurde jedem Angreiferzum Verhängnis.

»Halte auf den Strand zu!« rief Ra EtirBaj zu. »Wir werden ihnen weglaufen!«

»Und was ist, wenn die Biester ebenfallsschnell rennen können?« fragte Etir Bajgrimmig zurück.

Der Einwand war nicht sehr ernst ge-meint, denn ihm war klar, daß sie sich im

Wasser nur noch kurze Zeit würden haltenkönnen. Es war Ra gerade noch gelungen,eine Echse zu verwunden, bevor sie tauchenund das Boot auf den Rücken nehmen konn-ten, um es umzustürzen.

»Verdammt, sie können laufen!« fauchteRa.

Knirschend war das Boot auf den Strandaufgelaufen, und Ra war schnell an Land ge-sprungen. Doch die Echsen gaben nicht auf,sie krochen den beiden Männern ohne Zö-gern nach. Ra und Etir Baj mußten sich ih-ren Weg erst bahnen, der Strand war vonKnochen übersät. Zum Glück ließen die Be-stien das Boot unbehelligt; ohne den Kata-maran hätte es von der Insel keine Rückkehrgegeben.

Erst als die beiden Männer den Rand desStrandes erreicht hatten und hinter den er-sten Bäumen in Deckung gingen, wichen dieEchsen zurück. Es war, als habe sie schlag-artig eine Panik befallen; wild krochen siezurück, überschlugen sich förmlich, wennsie in ihrem Eifer übereinanderkrochen undstürzten.

Ra holte keuchend Atem.»Ob das die Gefahr war?« ächzte er.

»Allein wäre hier keiner von uns beidendurchgekommen!«

Etir Baj war ebenfalls außer Atem; keu-chend antwortete er:

»Die Echsen sind so gefährlich nicht! Im-merhin sind ein paar hundert davon an die-sem Strand gestorben!«

Er wies auf die Knochen, die den Strandbedeckten. Etir Baj hatte zweifellos recht,mehr als vier Fünftel der Skelette stammtenicht von Con-Treh, sondern von den Was-serechsen. Fraglich war nur, was die großen,kräftigen Tiere mit der starken Panzerunggetötet haben konnte. Eine Seuche? GiftigeGase, die von dem Vulkan ausgingen?

»Ein Glück, daß sie unser Boot in Ruhelassen!« murmelte Etir Baj. »Sollen wir wei-termarschieren?«

»Warten bringt uns nicht weiter!« stellteRa fest.

Er ging langsam voran. Der Bewuchs der

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Insel war dicht, genährt von der Wärme desVulkans und den Wassern des Binnenmee-res Abdalor. Jeden Schritt mußten sich diebeiden Männer erst mühsam freihauen. DerBoden war weich und nachgiebig; oft ver-sanken Ra und Etir Baj bis an die Knöchelin einem grünlich schillernden Morast.

Unter dem dichten Blattwerk des Urwaldsstauten sich die Wärme und die Feuchtig-keit, Ra und Etir Baj fühlten sich bald wie ineinem Dampfbad. Merkwürdig war nur, daßaußer dem schmatzenden Geräusch desSchlamms unter ihren Füßen nichts andereszu hören war. Es gab keine kreischenden Af-fen, keine schrill pfeifenden Vögel, wie sietypisch gewesen waren für den Oberlauf desFlusses Donacona.

»Ich traue diesem Frieden nicht!« knurrteRa.

Er suchte nach Skeletten, aber er fand kei-ne Knochen. Allerdings konnte das daraufzurückzuführen sein, daß die Gebeine indem feuchtwarmen Klima längst verrottetwaren. Vielleicht hatte auch der Morast sielängst verschluckt.

Als das Blattwerk ein wenig aufgelockertwurde, konnte Ra ein Stück nach vorn se-hen. Deutlich erkennbar war der hohe Kegeldes Vulkans, dem eine beständige Rauchfah-ne entstieg. Davor mußte es einen kleinen,grasüberwachsenen Hügel geben, annäherndkreisrund geformt. Vielleicht ein Seitenkra-ter des Vulkans, dachte Ra.

»Wo zum Teufel ist diese Halle der Erin-nerung?« fragte er Etir Baj.

Der Con-Treh zuckte mit den Schultern.»Sie muß irgendwo zwischen dem Strand

und dem Vulkan liegen!« behauptete er.»Früher soll dies alles hier ein Park gewesensein. Siehst du die Ruine dort?«

Ra folgte mit dem Blick der ausgestreck-ten Hand Etir Bajs. Nur mit Mühe war unterdem alles überwuchernden Blattwerk dieSilhouette eines Gebäudes zu erkennen. DasHaus war schon vor langer Zeit unter derLast eines gewaltigen Baumes zusammenge-brochen, der auf dem Dach gewachsen war.Viel war nicht mehr geblieben von dem klei-

nen Bungalow, außer ein paar schwer er-kennbaren Reliefs an der Außenwand, ein-gestürzten Mauern und ein paar hellenFlecken im eintönigen Grün des Urwalds.Ra hätte sich die Reliefs gerne aus der Näheangesehen, aber Etir Baj stieß ihn sanft, abernachdenklich vorwärts.

»Keine Pause!« mahnte er. »Die Halle derErinnerung wartet auf uns!«

Ra spürte am Tonfall seiner Stimme, daßder sonst so beherrschte Con-Treh Mühehatte, seine Fassung nicht zu verlieren. DieHalle schien in der Geschichte der Con-Treheine zentrale Rolle zu spielen, allerdings warverwunderlich, daß sie sich nicht schon we-sentlich früher aufgerafft hatten, mit einerwohlausgerüsteten Expedition den Weg zurHalle wieder freizukämpfen. Was ihm undEtir Baj jetzt vielleicht gelingen konnte, hät-te man wesentlich früher schon erreichenkönnen – allerdings mit dem Einsatz moder-ner Waffen, von denen die Con-Treh nursehr ungern Gebrauch machten.

»Wir sind am Ziel!« flüsterte Etir Baj, dervorangegangen war. »Die Halle der Erinne-rung!«

»Man muß ein verdammt gutes Gedächt-nis haben, um sich an so etwas zu erinnern!«stellte Ra bissig fest.

Was Etir Baj als Halle bezeichnete, warenein paar geborstene Säulen am Fuß des Hü-gels, den Ra schon vorher gesehen hatte.Mehr war nicht zu entdecken.

»Das ist alles?« staunte Ra. »Ein paarStücke morschen Marmors? Ein HaufenPflanzen auf einer Ruine?«

Dafür also hatten sie ihr Leben gewagtund beinahe auch verloren. Für dieses brü-chige Gemäuer waren zweihundert Jahrelang Con-Treh gestorben?

»Die eigentliche Halle liegt dahinter!« er-klärte Etir Baj lächelnd. Er kam Ra vor wieein Rauschgiftsüchtiger beim Anblick einesSpritzbestecks. Ra zuckte mit den Schultern.Vielleicht mußte man tatsächlich ein Con-Treh sein, um bei diesem Anblick eupho-risch zu werden.

»Gehen wir hinein!« schlug Etir Baj vor.

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Unwillkürlich griff Ra das Schwert fester.Bisher waren die beiden Männer auf keineGefahr gestoßen, die die Unsumme vonKnochen am Strand hätte erklären können.Lauerte das Verhängnis jenseits der umge-stürzten Säulen des Eingangs.

Ra hielt seinen Freund zurück. Erst als erein Feuer gemacht und aus harzgetränktenHolzspänen eine stattliche Zahl von Fackelngefertigt hatte, schloß er sich Etir Baj an, dermit dem verklärten Blick eines Schlafwand-lers auf die Öffnung zuschritt.

Hinter den geborstenen Säulen war esdunkel, und diese Schwärze signalisierte Ge-fahr, das spürte Ra ganz genau. Er hatte eineuntrügliche Witterung für solche Dinge. Un-willkürlich sah er auf den Boden des Ein-gangs.

Die marmornen Platten waren gebrochen,und in den Fugen bewegte sich dürres Grasim leichten Wind. Es sah aus, als hätte seitlangen Jahren kein lebendes Wesen mehrdiesen Weg genommen. Ra kam die Szene-rie nicht geheuer vor, aber er schwieg undfolgte Etir Baj.

Die metallene Konstruktion, an der derWeg ins Innere vorbeiführte, war nicht zuverkennen. Ra kannte den Mechanismus unddas Aussehen einer Mannschleuse arkonidi-scher Bauweise ganz genau.

Der Hügel, in dem sich die Halle befand,war nichts weiter als die Außenhaut eineszur Hälfte im Boden versunkenen Arkon-Schiffes. Ra schätzte grob die Höhe des Hü-gels und kam zu dem Schluß, daß das Schiffeinen Durchmesser von achthundert Meterngehabt haben mußte, eine selbst für arkoni-dische Verhältnisse gigantische Größe. NachRas Erinnerungen wurden Schiffe dieser Ka-tegorie nur zu dem einen Zweck gebaut, miteiner Fahrt eine große Schar von Arkon-Kolonisten mitsamt ihrer Ausrüstung auf ei-ne zu erschließende Welt zu befördern.

Das Schiff, das neben dem Vulkan standund vom Gras völlig überwuchert war, muß-te vor vielen Jahren die Con-Treh zu diesemPlaneten gebracht haben. Es gab keinenZweifel mehr, die Con-Treh waren tatsäch-

lich Arkoniden, so unwahrscheinlich dasklingen mochte.

»Verdammt!« entfuhr es Ra. »Vielleichtstrahlt der Kasten!«

Er verwünschte die Angst der Con-Trehvor hochentwickelter Technik. Natürlichhatte man den beiden Männern kein Dosi-meter mitgegeben, und Ra hatte keine Mög-lichkeit festzustellen, ob sein Verdacht sichbestätigte. Allerdings war dies eine sehr guteErklärung für die Skelette am Ufer. Die Ein-dringlinge waren in kurzer Zeit so stark ra-dioaktiv verseucht worden, daß sie geradenoch das Ufer erreichen konnten.

Von Etir Baj war vorläufig keine Hilfe zuerwarten, der Con-Treh war wie benommen.

Ra zuckte mit den Schultern. Wenn seinVerdacht stimmte, dann war er schon jetztunrettbar verseucht. Die nächste Möglich-keit, Strahlenerkrankungen zu heilen, lagmindestens fünftausend Kilometer entfernt,das hieß, wenn die Con-Treh überhaupt übersolche Möglichkeiten verfügten.

»Bist du dir darüber im klaren, wo wirstecken?« fragte Ra seinen Begleiter.

Etir Baj nickte begeistert.»In der Halle der Erinnerung!« sagte er

triumphierend. »Wir haben es tatsächlich ge-schafft!«

»Das wird sich zeigen!« orakelte Ra dü-ster. »Dies hier ist ein Raumschiff, das ein-mal auf diesem Planeten gelandet ist, undzwar in einem Zustand, der einen Start un-möglich machte!«

»Möglich!« meinte Etir Baj geistesabwe-send. »Das interessiert mich im Augenblicknicht. Ich weiß, daß dies eine Raumschiffs-hülle ist, aber ich möchte herausfinden, wa-rum man die Hülle so eigentümlich benennt.Siehst du irgend etwas, was eine Erklärungfür die Halle der Erinnerung sein könnte?«

Ra schüttelte den Kopf. In dem Licht derFackeln war ohnehin nicht allzuviel zu se-hen.

»Wenn wir hier überhaupt etwas findenkönnen, dann höchsten in der Zentrale desSchiffes!« vermutete er. »Ich zeige dir denWeg!«

Die Höhlen von Magintor 43

Page 44: Die Höhlen von Magintor

Ra ging vorneweg und leuchtete die Gän-ge aus. Nach einigen hundert Metern jedochwurde dies überflüssig.

Die Innenbeleuchtung des alten Schiffesfunktionierte!

Ra sah die hellerleuchteten Gänge undschluckte, denn ihm wurde brutal bewußt,was für Folgerungen sich daraus ableiten lie-ßen.

Irgend jemand lebte noch im Schiff, dennnormalerweise wurde auch die Beleuchtungpositronisch kontrolliert. Wenn längere Zeitniemand an Bord war, schaltete der Automatsämtliche Leuchtkörper aus. Auch Raum-schiffe mußten Energie sparen.

Ra wußte nicht, welchen Zeitraum in frü-heren Jahrhunderten der Automat zuließ,aber er war sich sicher, daß keine Positronikdie Lampen länger als ein paar Tage würdebrennen lassen. Wer war das Wesen, das essich in dem Schiff bequem gemacht hatte?

»Damit ist deine Angst, von Strahlungumgebracht zu werden, wohl verschwun-den?« meinte Etir Baj mit leisem Spott.

»Mir ist es egal, wer oder was mich um-bringt!« gab Ra schlagfertig zurück. »Haltan!«

Die beiden Männer wären an einer Kabinevorbeigekommen, der Gravierung an der Türnach mußte es sich um die Privaträume desfrüheren Kommandanten gehandelt haben.

»Mal sehen, was sich hier tut!« meinteRa. »Wenn sich ein Mensch hier einquartierthat, dann steckt er mit Sicherheit in derKommandantenkabine!«

Er grinste Etir Baj an, und der Con-Trehlächelte zurück; offenbar waren die Charak-tere bei Con-Treh und Barbaren ziemlichverwandt. Mit dem Fuß stieß Ra die Tür auf,die Hand umklammerte das Heft desSchwertes.

Er prallte erschrocken zurück, als er sah,was die Kabine füllte.

*

Die Eier waren so groß wie ein menschli-cher Kopf, ihre Schale war weiß, mit rötli-

chen Flecken übersät, die im Licht der Lam-pen leicht glitzerten.

»Heilige Galaxis!« stöhnte Etir Baj auf.»Was ist das?«

Ra zuckte mit den Schultern, er konntesich den Anblick ebenfalls nicht erklären.Die gesamte Kabine des Kommandantenwar mit Eiern vollgestopft. Überall lagen dieEier, teilweise bis an die Decke gestapelt, inden Schubladen der Schränke lagen sie, inder Dusche, auf den Tischen und Stühlen.

»Hier auch!« reif Etir Baj. Er hatte die be-nachbarte Kabine flüchtig durchstöbert.»Sogar in den Toiletten liegen Eier!«

»Ich möchte wissen, was an diesen Eiernso gefährlich sein soll!« rätselte Ra.»Vielleicht das Wesen, das diese, Eier gelegthat!«

Langsam und vorsichtig bewegten sichdie beiden Männer durch das Schiff. Sie hat-ten beträchtliche Schwierigkeiten, sich zu-rechtzufinden. Auch Hypnoschulung, wiesie Ra erhalten hatte, konnte da wenig hel-fen.

Es war auf den ersten Blick zu sehen, daßdieses Schiff nicht so gelandet war, wie essich der Kommandant vorgestellt hatte. DieSpuren der Beschädigung waren zwar nichtallzu offensichtlich, aber in einigen entfern-ten Winkeln lagen noch genügend verboge-ne Streben und geplatzte Geräte herum, uman die Bruchlandung zu erinnern.

Die Männer hatten sich dafür entschieden,das Schiff langsam zu untersuchen. Die Zen-trale wollten sie sich für den Schluß aufhe-ben, denn sie waren sich ziemlich sicher,daß der unbekannte Eierfreund sein Haupt-quartier dort aufgeschlagen hatte.

Im Schiff war es sehr ruhig. Die wenigenReaktoren, die das Schiff mit Energie ver-sorgten, waren klein und machten wenigLärm. Die großen Reaktoren, die beim Fluggebraucht wurden, waren desaktiviert.

Inzwischen hatte auch Etir Baj seine Be-nommenheit verloren. Der Anblick der Eierhatte die weihevolle Stimmung zerstört, dieer beim Betreten der legendenumwobenenHalle empfunden haben mochte.

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Page 45: Die Höhlen von Magintor

»Unser Eierfreund war außerordentlichfleißig!« stellte Etir Baj trocken fest.

Überall lagen die Eier herum. In den Ka-binen, auf den Gängen, sogar in den Hohl-räumen zwischen den Decks, nicht einmaldie Maschinenräume waren eierfrei.

In der Maschinenzentrale machten diebeiden Männer eine weitere, überraschendeEntdeckung. Jemand hatte sich an den Ma-schinen zu schaffen gemacht.

Neugierig beugte sich Ra über die Geräteund Maschinen.

Ein Teil der Beschädigungen, die zweifel-los noch von der Bruchlandung stammten,war vor vielen Jahrhunderten behoben wor-den. Eine zweite Reihe von Reparaturen waroffensichtlich jüngeren Datums und von ei-ner Person ausgeführt worden, die hand-werklich nicht eben geschickt war. Immer-hin verstand dieser Jemand etwas vonRaumschiffstechnik, denn rein fachlich wa-ren die Reparaturen einwandfrei. Ra hatteallerdings seine Zweifel, ob die»Reparaturen« einer stärkeren Belastung ge-wachsen sein würden.

»Also, unser Freund legt Eier und ver-sucht offenbar, das Schiff startklar zu ma-chen!« faßte Etir Baj die Beobachtungen zu-sammen. »Die Art, in der er die Schäden zubeheben versucht hat, läßt darauf schließen,daß er über keine sehr gut ausgebildetenfeinmotorischen Gliedmaßen verfügt!«

»Viel ist das nicht!« meinte Ra seufzend.»Sollen wir jetzt in die Zentrale vordrin-gen?«

Etir Baj preßte die Lippen zusammen undnickte.

Bisher waren sie auf keinen Widerstandgestoßen, nichts war zu sehen, das mit derGefahr identisch sein konnte, die zweihun-dert Jahre lang die Halle der Erinnerungblockiert hatte. War es das unbekannte We-sen in der Zentrale? Oder gab es eine nochgrößere, unbekannte Gefahr?

»Los denn!« knurrte Ra. »Mehr als dasLeben kann es nicht kosten!«

6.

Der Boden, auf dem die Stadt Siret stand,bebte.

Häuserwände rissen auf, die Straßen-decke platzte, und ein tiefes Grollen erschüt-terte die Luft. Die Menschen standen auf derweiten Fläche vor der Stadt und schrien vorEntsetzen. Ohnmächtig mußten die Siretenmitansehen, wie ein Teil ihrer Stadt inSchutt und Asche fiel.

Die Stadt war noch jung, erst vor weni-gen Jahrzehnten waren die Kolonisten aufSiret gelandet und hatten ihre Stadt gebaut.In einigen Jahren sollte der zweite SchubKolonisten landen.

Jetzt versank die Arbeit einiger Jahre inwenigen Augenblicken, verschwand in einergewaltigen Staubwolke.

»Diese Bestie!« flüsterten die Menschen.Sie wagten nicht, laut zu sprechen. Vielleichthätte das Ergothal sie gehört.

*

Etir Baj und Ra bewegten sich sehr lang-sam und vorsichtig, stets gewärtig, zu denWaffen greifen zu müssen. In einer verlasse-nen Kabine hatte Ra tatsächlich ein paarStrahlwaffen mit frischen Magazinen findenkönnen. Etir Baj hatte zwar finster dreinge-blickt, sich dann aber gesagt, daß sich derGegner wohl kaum von ein paar Schwerternwürde beeindrucken lassen, wenn dieserGegner fähig war, ein Raumschiff zu repa-rieren.

Die Piktogramme an den Wänden derGänge zeigten an, daß die Zentrale nichtmehr sehr weit entfernt war, Etir Baj spürte,wie sich sein Puls beschleunigte.

Dann war die Zentrale erreicht. Leiseschwang die schwere Stahltür auf und gabden Blick in den Raum frei.

Das erste, was den beiden Männern auf-fiel, waren die Eier, die auch diesen Raumfüllten. In der riesigen Zahl von kopfgroßenKörpern verschwanden die Geräte und In-strumentenpulte fast völlig. Nur ein Teil desRaumes war noch eierfrei, aber dieser Teilwar leer. Der Besitzer der Eier hielt sich

Die Höhlen von Magintor 45

Page 46: Die Höhlen von Magintor

nicht in der Zentrale auf.Ra unterdrückte eine Verwünschung.»Ich möchte jetzt endlich wissen, wie die-

se Eier von innen aussehen!« murmelte erund hob das Schwert.

Die Klinge prallte hart auf die Schale ei-nes freiliegenden Eies, die klirrend zer-sprang. Eine helle Nährflüssigkeit quoll ausdem Ei, dann wurde der Dotter sichtbar. Ei-ne dünne, elastische Haut umgab einen win-zigen Körper. Ra nahm den Dotter auf; dieMembran war sehr zäh und hielt dem Druckder Finger mühelos stand.

Im Innern des Dotters erkannte Ra einekleine Gestalt. Er sah eine schuppige Haut,von rötlichen Flecken übersät, vier Gliedma-ßen und einen überproportionierten Kopf.

»Das Kleine muß von einem echsenarti-gen Tier stammen!« vermutete Etir Baj,nachdem er sich den Inhalt des Eies betrach-tet hatte. »Aber wo ist das Muttertier. Undvor allem – wo kommt es her?«

*

»Gebt mir ein Raumschiff!« forderte dasErgothal gnadenlos. »Andernfalls vernichteich eure ganze Stadt. Ihr wißt, was dasheißt?«

Die Sireten nickten betroffen. Die kleineAbordnung hatte Mühe, ihre Entsetzen nichtzu zeigen. Mit einem einzigen Biß seines rie-sigen Maules hätte das Ergothal die Männerverschlingen können.

»Wir haben nur das eine Schiff!« stam-melte der Leiter der Delegation. »Ohne dasSchiff sind wir verloren!«

»Mit dem Schiff auch!« lautete die zi-schende Antwort des Ergothal. »Ich werdeauch alle töten, keiner wird mir entgehen,ihr könnt es mir glauben. Also?«

»Wir geben das Schiff her!« sagte derLeiter der Abordnung; er ließ den Kopf hän-gen, und seine Begleiter waren ähnlich nie-dergeschlagen. Aber den Sireten blieb keineandere Wahl. Die ganze Stadt war machtlosgegen das Ergothal.

*

»Ich habe etwas gefunden!« rief Etir Bajfreudig erregt.

»Ein Translator!« stellte Ra fest. »Wermag das Gerät angestellt haben?«

»Ich!« sagte das Ergothal.Die Männer fuhren herum. Aus dem zen-

tralen Antigravschacht, dessen Feld ausge-fallen war, schob sich der gigantische Schä-del eines Tieres, unverkennbar ein stark ver-größertes Abbild des Embryos, den die bei-den Männer in dem Ei gefunden hatten.

Langsam wichen die Männer zurück. Ih-nen war auf den ersten Blick klar, daß siemit ihren Schwertern gegen diesen Gegnerkeine Chancen hatten. Und Energiewaffenzu verwenden, widersprach Etir Bajs tief-stem Empfinden; dies war die Halle der Er-innerung, jeder Schuß konnte Unersetzlicheszerstören. Zudem würde ein Treffer in dieEier die Bestie so wütend machen, daß ihreReaktionen unberechenbar wurden.

»Sieh an!« sagte das Ergothal, und derTranslator vermittelte sogar den höhnischenUnterton, »wieder zwei Con-Treh! Hat eseuch nicht gereicht? Mußtet ihr wiederkom-men, obwohl euch bekannt ist, daß es vonhier keine Rückkehr gibt?«

»Du willst uns töten?« fragte Ra, obwohler die Antwort bereits kannte. Jetzt galt esZeit zu gewinnen.

»Selbstverständlich!« lautete die Antwort.»Spielen wir also unser Spiel. Fast alle, diemich störten, wollten Zeit schinden undfragten mich aus. Fangt also an!«

Wenn das Ergothal menschliche Verhal-tensweisen deuten konnte, mußte es ein sa-distisches Vergnügen bei dem Anblick ha-ben, den die beiden Männer boten. Ra fühltesich, als habe man ihm buchstäblich den Bo-den unter den Füßen weggezogen, und EtirBajs Gesicht ähnelte verblüffend der Farbeder Eier.

»Fragt also!« forderte das Ergothal diebeiden Männer auf. »Ich werde antworten!«

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Page 47: Die Höhlen von Magintor

*

Als das Schiff startete, brachen viele derSireten in die Knie oder wurden ohnmäch-tig. Sie waren jetzt allein auf dem Planeten,ohne technische Ausrüstung. Die großen Re-aktoren des Kolonistenschiffs hatten denStrom für die ganze Stadt geliefert, die Ma-schinen hatten die Werkzeuge hergestellt,die man zum Häuserbau und zur Feldbestel-lung brauchte. An Bord war auch das medi-zinische Labor, und das Ergothal hatte sichgeweigert, auch nur eine Ampulle oder eineDiagnosemaschine herauszugeben. Hilfloswaren die Sireten ihrem ungewissen Schick-sal preisgegeben.

Das Ergothal kümmerte sich nicht dar-um; es verfolgte seinen Plan mit der charak-teristischen Hartnäckigkeit seiner Art. DieErgothals kannten nur sich selbst und sonstnichts. Andere Werte als die eigenen er-kannten sie nicht an. Schon vor der erstenTransition hatte das Ergothal die Siretenvergessen.

Der Sprung brachte das Schiff in einenRaumbezirk, der bisher noch nie von Er-gothals besucht worden war. Zufrieden stell-te das Ergothal fest, daß einer der Planetenfür seine Zwecke geeignet war, und es steu-erte diesen Planeten an.

Die Welt war ausreichend warm, und mitder von ihm speziell für seine Zwecke umge-bauten Ortung konnte das Ergothal feststel-len, daß es dort auch Vulkane gab. Langsamkam das Schiff dem Planeten näher, so ge-steuert, daß sein Kurs an der Welt vorbei-führen mußte und keinen Verdacht erregenkonnte.

Wäre das Ergothal zu einer solchen Ge-fühlsregung fähig gewesen, wäre es vorFreude aufgesprungen, als es auf der Or-tung die gewaltige Metallmasse eines Raum-schiffs entdeckte. Zwar war sich das Ergo-thal nicht sicher, ob es wirklich ein Schiffwar, aber das Metall war auf jeden Fall be-arbeitet. Das ließ auf intelligentes Lebenschließen, und wenn der Körper kein Raum-

schiff war, so mußten eben später die Plane-tenbewohner nach den Angaben des Ergo-thal eines bauen.

Das Schiff des Ergothal hielt seinen Kursbei. Als es dem Planeten am nächsten stand,warf das Ergothal eines seiner Eier überBord. Es wußte, daß die Schale nicht in derAtmosphäre verglühen würde.

Dann verschwand das Schiff in den Wei-ten des Alls.

*

Mit Entsetzen hatten sich die Männer dieGeschichte des Ergothal angehört. Aus demvereinzelten Ei war die Bestie geworden, diedas Raumschiff der Con-Treh für sich bean-spruchte. Jetzt wußten die Männer auch, wasdie vielen Eier und die Reparaturversuche zubedeuten hatten.

Das Ergothal wollte mit diesem Schiffstarten und seine Eier überall Galaxis vertei-len.

Ra wagte sich nicht vorzustellen, was fürKonsequenzen sich daraus ergaben, aber erwußte, daß in diesem Ergothal der Galaxiseine unvorstellbare Gefahr erwachsen war.Wenn es der Bestie gelang, das Schiff in dieLuft zu bekommen, würde das ErgothalHunderte von Planeten überfallen können.

»Ihr wißt jetzt genug!« stellte das Ergo-thal fest.

Die beiden Männer sprangen auseinander.Mit einem gewaltigen Satz brachte sich Rain Deckung, hinter einem Stapel von Eiern.Hier war er vielleicht am sichersten vor demErgothal, denn die Bestie würde zwar seinLeben nicht schonen, aber doch einen ge-wissen Wert auf ihre Eier legen.

Etir Baj hatte sich eine ähnliche Deckunggesucht. Er zog seine Waffe und gab einenSchuß auf das Ergothal ab.

Aus dem Lautsprecher des Translatorskam ein Geräusch, das sich wie die Karika-tur eines Lachens anhörte. Etir Baj sah ent-setzt, daß die Bestie die Strahlenergie seinerWaffe mühelos absorbierte. Auch der kon-zentrierte Beschuß aus beiden Waffen konn-

Die Höhlen von Magintor 47

Page 48: Die Höhlen von Magintor

te die Bestie nicht beeindrucken.»Macht nur weiter so!« höhnte das Ergo-

thal. »Ihr werdet mir nicht entkommen!«Langsam kroch die Bestie auf Etir Baj zu,

der fühlte, wie seine Haut kalt vor Angstwurde. Ununterbrochen feuerte Etir Baj aufdas Ergothal, zielte auf die grünlichen Au-gen, aber er erzielte keine Wirkung. Wäh-rend sich die Bestie Etir Baj immer mehr nä-herte, bewegte sich Ra schnell und ge-räuschlos aus seiner Deckung.

Dann warf er sich nach vorne.Mehrere Meter des langen, geschmeidi-

gen Körpers des Ergothal hatten sich inzwi-schen aus der Öffnung des Antigravschachtsgeschoben. Ohne zu zögern, warf sich Raauf den Körper und hieb mit dem Schwertauf den schuppigen Leib.

Zu seiner Überraschung ließ die Haut dieKlinge durch, und in weniger als einer Mi-nute hatte Ra den Kopf der Bestie abge-trennt. Etir Baj kam rasch aus seinerDeckung und zückte ebenfalls sein Schwert.

»Das Biest ist also nicht unverwundbar!«jubelte der Mann. »Los, hacken wir es inStücke!«

»Pech gehabt!« murmelte Ra entsetzt.Er starrte auf die Öffnung des Antigrav-

schachts, aus der sich ein neuer Kopf in dieHöhe schob. Gleichzeitig löste sich der ersteKopf langsam auf. Immer heller wurde dieHautfarbe des abgetrennten Teiles, schließ-lich leuchtete der Kopf grellweiß, und einekaum erträgliche Hitze breitete sich in derZentrale aus.

»Gib mir Eier!« rief Ra, während er selbstnach einem Ei griff. Sekunden später pralltedem Ergothal sein Nachwuchs ins Gesicht.Sofort zuckte die Echse zurück und fing diekostbaren Eier auf. Ohne Pause setzten Raund Etir Baj das Bombardement fort, bis dersichtbare Teil des Schachtes vollständig mitEiern gefüllt war.

»Es kann sich nur langsam zurückzie-hen!« freute sich Ra. »Sonst würden die Eiernämlich den Schacht hinunterfallen und amBoden zerschellen!«

»Auch das wird uns nicht helfen!« sagte

Etir Baj mit erstickter Stimme. Ras Blickfolgte dem ausgestreckten Arm des Con-Treh.

Aus einer Tür schob sich langsam einweiterer Kopf des Ergothal, und der Transla-tor produzierte dazu ein hämisches Kichern,bis ein gutgezielter Schuß Ras den Kastenexplodieren ließ.

Die Männer warteten keinen Augenblickund gingen sofort zum Angriff vor, aberdiesmal wich das Ergothal schon zurück, be-vor die Männer in seiner Nähe waren. Dafüröffnete sich eine weitere Tür zur Zentrale,und ein neuer Angreifer trat auf den Plan.

Ra kümmerte sich um den ersten, Etir Bajum den zweiten Kopf.

Die Hitze in der Zentrale war kaum nochzu ertragen, von dem weißglühenden, sichauflösenden Ergothal-Kopf ging diese Hitzeaus, und Ra stellte entsetzt fest, daß dieseWärme auch den Stahl des Bodens rot färb-te.

Im stillen dankte Ra dem Einfallsreichtumder Arkoniden, die für solche Fälle vorge-sorgt hatten. Die Spezialstähle leiteten Wär-me nur in bestimmten Umfang, andernfallshätte jeder Strahltreffer den ganzen umlie-genden Raum in einen Schmelzofen verwan-delt, in dem niemand überleben konnte.

»Immer nur kleine Stücke abhacken!«schrie Ra. »Vielleicht gelingt es uns, die Zu-gänge zuzuschweißen!«

Ra kämpfte wie ein Besessener, schwangsein Schwert und trieb das Ergothal zurück.Ihm war klar, daß es sich bei den verschie-denen Köpfen nicht um mehrere Ergothalshandeln konnte – schließlich hatte das Mut-tertier nur ein Ei auf diesem Planeten abge-setzt. Die Regenerationsfähigkeit des Mon-strums war extrem hoch, wie die beidenMänner zu ihrem Leidwesen feststellenmußten. Zu allem Überfluß nahm das Ergo-thal in seiner Angriffswut nur wenig Rück-sicht auf seinen Nachwuchs.

Hunderte von Eiern barsten und ergossendie Nährflüssigkeit in den Raum. Wo dieBrühe auf Überreste des Ergothal traf, ver-dampfte sie zischend und füllte den Raum

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mit einem kaum zu ertragenden Gestank.»Ich will versuchen …«, schrie Ra, aber

er brach ab. Etir Baj war zu beschäftigt, umihn verstehen zu können.

Ra sprang hinüber, dorthin, wo üblicher-weise der Sitz des Piloten sein mußte. Jetztlagen dort Eier. Mit einem Fußtritt schleu-derte Ra die Körper weg, dann schaltete erden ersten großen Hauptreaktor ein.

Ein leichtes Zittern ging durch das Schiff,als die gewaltigen Maschinen im Innern desriesigen Körpers nach jahrhundertelangerPause wieder anliefen. Schnell schaltete Radie Ortung ein, versuchte er sich ein Bildvon der Umgebung zu machen. Zufälligblieb sein Blick auf dem Bildschirm der In-frarotortung hängen.

»Heilige Dunkelwolke!« stöhnte derMann auf.

Deutlich zeigte der Schirm das Bild desVulkans und den Lavastrang, der aus demBoden bis an die Spitze des Kegels führte.Ebenso deutlich aber war der schmale La-vafaden, der von der Seite des Berges unterdem Schiff hindurch führte und irgendwounter dem Schiff ein Ende hatte.

War er dort wirklich zu Ende?Ra ließ die Kameras schwenken. Das Bild

änderte sich, die Fortsetzung des Lavastrei-fens erschien. Es führte aus dem Boden indas Schiff, stellte Ra mit schreckgeweitetenAugen fest, setzte sich dort fort und endete,stark abgekühlt, in der Zentrale.

Auf geheimnisvolle Art und Weise bezogdas Ergothal seine Energie aus dem Vulkan.So war es nicht verwunderlich, daß es nochniemandem gelungen war, dieser Bestie zuentkommen. Jetzt wußte Ra auch, womit dasMutterergothal die unglücklichen BewohnerSirets erpreßt hatte. Wahrscheinlich war eseinem Ergothal möglich, ganz nach BeliebenErdbeben oder Vulkanausbrüche hervorzu-rufen.

Ra hatte keine Zeit, sich lange mit diesenGedanken zu beschäftigen. Er übernahm dieHauptkontrolle für die Waffentürme.

»Ein Glück, daß Etir Baj mich nichtsieht!« murmelte er in einem Anflug von

Galgenhumor.Es dauerte einige Zeit, bis die Waffentür-

me, die seit Jahrhunderten nicht mehr be-wegt worden waren, in der rechten Stellungwaren. Dann feuerte Ra.

Die großen Geschütze brannten einen Ka-nal in den Berg, ließen das Gestein kochenund fraßen sich in kurzer Zeit immer tieferin den Fels. Ra zielte auf den Lava faden.Vielleicht gelang es ihm, dem Ergothal dieseEnergiezufuhr abzudrehen.

»Es weicht zurück!« schrie Etir Baj trium-phierend. »Es verschwindet!«

Ra wußte es besser.Das Ergothal zog zwar einen großen Teil

seines Körpers aus dem Schiff zurück, abernur zu dem Zweck, mit diesem Körper denStrahlbeschuß aufzufangen. Ra hätte nie fürmöglich gehalten, das dergleichen gesche-hen konnte, aber er mußte selbst ansehen,wie das Ergothal die Energieflut, die gegenseinen Körper brandete, scheinbar mühelosabsorbierte.

»Bist du wahnsinnig, Ra!« schrie Etir Bajauf. Er war noch bleicher als beim Auftau-chen des Ergothal. »Schalte die Geschützeab!«

Ra stieß ihn zur Seite und wollte geradedie Kanonen neu richten, als ein gewaltigerStoß die Erde zittern ließ. Der Boden derZentrale hob sich um mehrere Meter, Ra undEtir Baj flogen wie Spielzeugpuppen durchdie Luft und landeten auf Eiern, die kra-chend barsten.

Ra kam als erster wieder auf die Füße undrannte sofort zu seinem Platz zurück. Mit ei-ner Handbewegung schaltete er die Geschüt-ze aus.

»Sinnlos!« knirschte er. »Das Ergothalführt die Energie an den Vulkan ab, der siemit Erdstößen verarbeitet! So kommen wiran das Biest nicht heran!«

Auf den Bildschirmen war zu erkennen,daß die Rauchsäule aus dem Vulkan dickergeworden war. Es bestand kein Zweifel, daßdas Ergothal mit dem Vulkan in Verbindungstand. Ra gestand sich ein, daß es keinenSinn hatte, gegen einen Feind zu kämpfen,

Die Höhlen von Magintor 49

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der über unbegrenzte Kraftreserven verfüg-te. Man konnte den Feind nur hinhalten, nurden Todeskampf verlängern.

Ra schrak aus seinen Gedanken hoch, alser in seiner Nähe eine Bewegung wahrnahm.Es war der Instinkt des Barbaren, der ihmdas Leben rettete; Ra machte einen gewag-ten Satz zur Seite, und das Schwert Etir Bajspfiff neben ihm durch die Luft.

Jetzt war Bei Etir Baj wieder ganz Con-Treh. Ra hatte die Geschütze feuern lassen,und diese Energieausbrüche waren von ei-nem Raumschiff aus leicht anzumessen. Al-lerdings hätte dazu ein Schiff in kurzer Ent-fernung von dem Planeten sein müssen.

Etir Baj dachte nicht an solche Überle-gungen, er schäumte vor Wut und drang miterhobenem Schwert auf Ra ein. Ra parierteden Schlag und setzte seinerseits einenwuchtigen Hieb gegen Etir Bajs Klinge.

Etir Baj war ein entschieden bessererSchwertkämpfer als der junge Thabek. Ramußte höllisch auf der Hut sein.

Die beiden Männer waren so in ihrenKampf vertieft, daß sie gar nicht bemerkten,wie sich ein Kopf des Ergothal aus der Öff-nung des Antigravschachtes schob. Auch dieWorte, die das Wesen sprach, hörten sienicht. Sie hätten sie auch nicht verstanden,da der Translator zerstört war, aber den Sinnhätten sie dennoch nach kurzer Zeit begrif-fen.

Das Ergothal amüsierte sich darüber, daßsich die Zweibeiner gegenseitig umbrachtenund ihm die Arbeit erleichterten.

»Du wolltest uns verraten!« fauchte EtirBaj. »Dafür wirst du sterben!«

»Blödsinn!« keuchte Ra; er hatte alle Mü-he, sich den geschickten Etir Baj vom Leibezu halten. Der Con-Treh schlug eine beäng-stigend gute Klinge.

»Früher oder später wäre der Planet dochverraten worden!« schnaubte Ra. »Dannnämlich, wenn die Bestie mit dem Schiff ge-startet wäre!«

Auch dieser vernünftige Einwand konnteEtir Baj nicht beruhigen. Ra sah keine ande-re Möglichkeit, als die, seine Fähigkeiten

rücksichtslos auszuspielen. Daß er der bes-sere Schwertkämpfer war, darüber gab es fürRa keine Zweifel, und es war diese Selbstsi-cherheit, die schließlich den Ausschlag gab.

Etir Baj war zu erregt, um besonnenkämpfen zu können; Ra trieb ihn langsamim Raum herum, einmal sogar in Reichweitedes Ergothal, aber die Bestie schien sichüber den Zweikampf so zu amüsieren, daßsie auf ein Zugreifen verzichtete.

Dann ließ sich Ra von Etir Baj absichtlichin die Enge treiben. Mit klirrenden Schwer-tern kämpften sich die beiden Männer durchden Raum, bis sie kurz vor dem Instrumen-tenpult waren, an dem der Kampf begonnenhatte. Ra wußte, daß er nicht regelgerechtkämpfte, aber ihm blieb keine andere Wahl.Er fintierte, ließ Etir Baj ins Leere stolpern.Während der Con-Treh nach Halt suchte,griff Ra nach einem Ergothal-Ei und schleu-derte es Etir Baj ins Genick.

Ra hatte keine Zeit, die Wirkung des Ge-schosses abzuwarten. Im Bruchteil einer Se-kunde krachte seine Hand auf den Sammel-schalter, der die Geschütze auslöste. Das Er-gothal schrie auf und zog sich blitzartig zu-rück.

Etir Baj schüttelte den Kopf, er war leichtbenommen.

»Los, hilf mir!« schrie ihn Ra an, und derbarsche Tonfall wirkte. Etir Baj ließ dasSchwert fallen und kam näher.

»Wir müssen versuchen, das Schiff zustarten!« erklärte Ra hastig. »Übernimm dudie Geschütze. Schalte sie ab, und dannwenn das Ergothal ins Schiff zurückgekro-chen kommt, nimmst du das Feuer wiederauf. Wir müssen das Biest beschäftigen!«

Etir Baj nickte kurz und übernahm dieKontrollen, während Ra den Platz wechsel-te. Er suchte nach dem Schalter, mit demman das Schiff auf Ein-Mann-Steuerungumstellen konnte. Er konnte nur hoffen, daßdie Schaltung noch funktionierte, und daßdie Positronik einwandfrei arbeitete. Rabrauchte nicht lange, bis er den Schalter ge-funden hatte, aber ihm schien die Zeit fünf-fach gedehnt.

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Page 51: Die Höhlen von Magintor

»Ischtar!« flüsterte Ra.Es war eine Beschwörung, die ihm Mut

machen sollte. Ra zögerte eine Sekunde,dann ließ er die Kraftwerke hochfahren. Aufden Bildschirmen konnte er erkennen, daßsich noch immer Teile des Ergothal imSchiff befanden, es war sogar der größereTeil der Bestie. Dem Ergothal konnte dasAnlaufen der Maschinen nicht entgehen,aber es erwies sich als zu reaktionsträge.

Das Schiff schüttelte sich, als Ra dieTriebwerke hochfahren ließ. Die Impulsströ-me peitschten aus den Ringwulstdüsen undverwandelten den Boden unter dem Schiff inein Lavameer.

»Feuer einstellen!« schrie Ra.Etir Baj nickte und gehorchte. Ra wartete

nur kurze Zeit, dann sah er, daß neunzigProzent der Ergothalmasse an Bord waren.Sofort schob er den Fahrthebel nach vorn.

Ein Ruck ging durch das Schiff, an denBordwänden flogen die Grasbüschel vorbei,die sich im Laufe der Jahrhunderte dort nie-dergelassen hatten. Das Schiff ächzte undknirschte in den Verbänden, aber es bewegtesich.

»Schneller!« rief Etir Baj.Ras Stirn war mit Schweiß bedeckt. Er

hatte noch nie ein so großes Raumschiff al-lein gesteuert, dazu hätte man einen Kosmo-nauten wie Sprangk gebraucht, und selbstdieser Pilot hätte seine Schwierigkeiten mitdiesem Koloß gehabt.

Ra wußte auch, daß große Teil des Schif-fes, vor allem in jener Hälfte, die im Erdbe-ben verborgen gewesen war, schwere Be-schädigungen aufwiesen. An einen vernünf-tigen Start war nicht zu denken.

Zeitlupenhaft beschleunigte Ra dasSchiff. Allmählich stieg der Körper in dieHöhe. Plötzlich wurde die Fahrt langsamer,kam dann gänzlich zu Stillstand.

»Das Ergothal zerrt uns zurück!« rief EtirBaj.

Erst jetzt begriff er in vollem Umfang,was die Eierladung des Schiffes für die be-wohnte Galaxis bedeutete. Ein Echse, die ih-re Energie aus einem Vulkan bezog und ein

startendes Riesenschiff festhalten konnte,konnte für eine Welt das Ende sein.

Ra grinste zufrieden, als er spürte, wie dasSchiff langsam wieder sank. Unerbittlichzerrte das Ergothal die Riesenkugel wiederauf den Boden herab, von dem sie sich nurwenige Meter entfernt hatte.

»Es dringt in die Zentrale vor!« warnteEtir Baj. »Gib mehr Energie!«

Ra preßte die Kiefer zusammen.Er verringerte die Triebwerksleistung um

einen winzigen Betrag. Sofort wurde derZug des Ergothal stärker, das Schiff sackteab.

Ra wußte, daß er nur einen Sekunden-bruchteil zur Verfügung hatte, um zu han-deln, und diesen Bruchteil mußte er genauerfühlen.

Blitzartig stieß er den Beschleunigungshe-bel nach vorn, das Schiff sprang förmlich indie Höhe. Etir Baj verlor den Halt und stürz-te zu Boden; hilflos glitt er über das Metall,das von zerschlagenen Eiern schlüpfrig ge-worden war.

Das Ergothal war von dieser Aktion völligüberrascht. Es hatte bereits den größten Teilseines Körpers in die Zelle des Schiffes ge-bracht, als es plötzlich mit unwiderstehlicherGewalt in die Höhe gerissen wurde. Ver-zweifelt wehrte sich die Bestie gegen denZug des Schiffes.

Ra sah aus den Augenwinkeln heraus, wiedas Ergothal einen Kopf bildete und in dieZentrale vorstieß. Aber der Angriff warnicht zielgerichtet genug. Der häßliche Kopfprallte weit neben Ra gegen eine Wand.

In diesem Augenblick war das Schicksaldes Ergothal besiegelt. Mit einem letztenRuck zerrte das hinaufstrebende Schiff denLeib des Ergothal aus dem Boden, die Ver-bindung zu dem Lavafaden erlosch schlagar-tig.

Ra konnte die Folgen sehen.In Sekunden verfärbte sich das Ergothal,

schrumpfte und verfiel. Die Haut löste sichab, segelte in großen Fetzen durch die Zen-trale. Nach kurzer Zeit war von der Bestienur noch ein grün schimmerndes Gerippe zu

Die Höhlen von Magintor 51

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sehen.Das Ergothal war tot, es konnte keiner

Welt der Galaxis mehr gefährlich werden.Das Schiff bockte und stieß. Ra hatte ge-

wußt, daß die Triebwerke nicht einwandfreiarbeiteten, aber mit solchen Störungen hatteer nicht gerechnet. Verzweifelt bemühte sichder Mann, den Kurs zu stabilisieren, dasSchiff in der Luft zu halten.

Die Triebwerke begannen zu stottern,setzten dann teilweise ganz aus. Unter sichsah Ra das Loch, daß das Schiff in den Vul-kanhang gerissen hatte. Dieses Loch kammit furchtbarer Geschwindigkeit näher.

Dann war der Boden erreicht.Ra hörte noch das Aufkreischen des Me-

talls der Schiffshülle, den entsetzten Ruf EtirBajs, dann verlor er das Bewußtsein.

Das Schiff prallte auf den Boden, federteein paar Meter in die Höhe und fiel erneut.Zweimal überschlug sich die große, stähler-ne Kugel, dann kam sie langsam zum Still-stand. Aus den Löchern in der Bordwandquoll schwarzer, dichter Rauch.

Nur noch das leise Grollen des Vulkanswar zu hören, sonst herrschte auf der Inseleine tödliche Stille.

ENDE

E N D E

52 Peter Terrid