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DIENSTAG, 1. SEPTEMBER 2015 NUMMER 200 3 Die Dritte Seite Unter der Bergarbeiterstadt Walbrzych, dem früheren Waldenburg, verlaufen jede Menge unterirdischer Tunnel. Dieser hier ist für Touristen zugänglich. Viele andere sind es nicht. Befindet sich dort der angebliche Nazi-Zug? Foto: Janek Skarzynski, afp wertvolle Gegenstände darin befin- den? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Seit Jahrzehnten wird die Legende befeuert. In den 1970er Jahren etwa spürten polnische Fil- memacher den ehemaligen deut- schen Bankwächter Herbert Klose aus Breslau auf. Er erzählte davon, dass die Nazis gegen Kriegsende Gold aus Banken, aber auch von Ju- welieren und Privatpersonen sam- melten und mit einem Zug weg- schafften. Nach anderen Berichten soll der Zug auch wertvolle Kunst- werke, ja Teile des legendären Bernsteinzimmers an Bord gehabt haben und von der SS in einem un- terirdischen Komplex im Berg So- biesz im Riesengebirge deponiert worden sein. Legenden? Märchen? Oder doch eine Sensation? Sollte tatsächlich ein Zug ent- deckt werden, wäre der Fundort Walbrzych keine Überraschung. Die einstige Bergbaustadt hat etli- che unterirdische Stollen, darunter solche, die von Nazis unter dem Co- denamen „Riese“ gezielt errichtet wurden, um dorthin Teile der Waf- fenproduktion zu verlegen und sie vor Bombardierungen zu schützen. Ein Zug könnte also dort hineinge- steuert und die Zufahrtsstrecke an- schließend gesprengt worden sein. Einige dieser Stollen sind heute für Touristen geöffnet. Viele andere aber eben nicht. Genau diese ziehen nun die Schatzsucher an. Und wie sehen das deutsche For- scher? Ein Anruf bei Thomas Mül- ler. Er ist Historiker im Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt. Also: Könnte solch ein Nazi-Zug noch immer in einem unzugänglichen Tunnel in Polen stehen? Er sagt: „Das wäre denkbar.“ Die Nazis hät- ten wohl bis zum unausweichlichen Ende an einen „Endsieg“ geglaubt. Deswegen habe niemand wissen können, ob das Gebiet nicht doch in deutscher Hand bleibt. „Schlesien galt auch als sicherer Ort.“ Zum an- deren habe das schnelle Vorrücken der Roten Armee die Deutschen überfordert. „Und theoretisch ist ein Tunnel ein guter Ort zur Aufbe- wahrung: Der Zug ist vor Luftan- griffen sicher.“ Vermutlich sei er in den Kriegswirren einfach in Verges- senheit geraten – „sollte er denn existieren“, mit welcher Ladung auch immer. Die Entdecker jedenfalls sollen auf Tauchstation gegangen sein, weil offenbar Angaben zu ihrer Per- son durchgesickert sind. Die beiden hoffen auf einen gesetzlich festge- legten Finderlohn in Höhe von zehn Prozent. Doch sollte der Zug tat- sächlich eines Tages geborgen wer- den, dürfte es schwierig sein, den Wert überhaupt zu taxieren. „Der historische Wert ist sicherlich grö- ßer als der materielle“, sagt Rechts- anwalt Jaroslaw Chmielewski. Er vertritt die beiden Männer. Am Ende räumt der Jurist dann noch et- was ein: dass es sich bei dem Fund durchaus auch um etwas anderes als den legendären Nazi-Zug handeln könnte. (n-ost, mit afp und dpa) Doch gibt es überhaupt etwas zu verteilen? Immer mehr Experten und regionale Politiker zweifeln die Existenz des Zuges an. Vertreter der Historischen Gesellschaft Nieder- schlesiens etwa glauben nicht an die Echtheit der Beweisbilder, die bis- lang auch nicht publik gemacht wurden. Das regionale Parlament hat eine Krisensitzung anberaumt. Fazit des dortigen Regierungsver- treters Tomasz Smolarz: „Auf der Basis der vorgelegten Dokumente kann man nicht feststellen, ob der Fund bestätigt werden kann.“ Stim- men werden laut, die Informations- politik Zuchowskis sei dilettantisch und schaffe nur Probleme. Eigentlich ist die Nachricht von dem geheimnisvollen Fund schon länger in der Welt. Doch die Ge- schichte nimmt erst Fahrt auf, als vergangene Woche der Stadtrat von Walbrzych bestätigt, dass zwei ano- nyme Entdecker über ihren Anwalt den genauen Standort eines 120 bis 150 Meter langen Zuges benannt ha- ben. „Die Stelle befindet sich im Stadtgebiet von Walbrzych, den ge- nauen Ort kann ich Ihnen natürlich nicht nennen“, sagt Vize-Bürger- meister Zygmunt Nowaczyk. Zwei Tage später legt Zuchowski nach. Er warnt die nach Walbrzych strömenden Goldsucher eindring- lich vor Risiken. Sollte der Zug tat- sächlich existieren, könnte er ver- mint sein. Auch deshalb sichert die Polizei das Gebiet so intensiv ab. Bleiben die entscheidenden Fra- gen: Kann es den sagenumwobenen Zug wirklich geben? Und wenn ja, könnten sich Gold oder andere mehr Polizisten in dem betroffenen Waldgebiet patrouillieren. Für das Überqueren der Bahngleise drohen 500 Zloty Strafe, umgerechnet 125 Euro. Gleichzeitig wittern Unter- nehmer das große Geschäft. Auch im stattlichen Schloss Fürstenstein. Es sei „wie ein Loch-Ness-Effekt“, sagt der Chef der Schlossgesell- schaft, Krzysztof Urbanski. „Nie- mand hat das Monster gesehen, aber es zieht die Leute an.“ Ab nächster Woche können Touristen „Gold- zug“-T-Shirts kaufen. Sondertou- ren zum angeblichen Brennpunkt des Geschehens werden schon seit dem Wochenende angeboten. Im Logo, wie könnte es anders sein, prangt ein funkelnder Zug. Die Aufregung ist aber auch an- dernorts spürbar. In russischen Me- dien werden schon Ansprüche auf den Inhalt des Zuges angemeldet. Die Sowjetunion habe zu den Sie- germächten des Zweiten Weltkrie- ges gehört, und mögliche Raubgüter aus ihrem Staatsgebiet gehörten Russland, heißt es. Ähnlich äußert sich der Geschäftsführer des Jüdi- schen Weltkongresses, Robert Sin- ger: „Sollten Gegenstände gefunden werden, die Juden gestohlen wur- den, bevor sie in die Todeslager oder zur Zwangsarbeit deportiert wurden, muss alles unternommen werden, um sie den Opfern bezie- hungsweise ihren Erben zurückzu- geben.“ Denkmalschützer Zu- chowski wiederum macht umge- hend klar, dass der Zug samt Inhalt „dem polnischen Staatsschatz gehö- re“, sofern sich keine rechtmäßigen Besitzer melden sollten. Satz gesagt hat: dass sich in einem Tunnelsystem in Niederschlesien, 70 Meter unter der Erde, „mit 99-prozentiger Sicherheit“ ein ver- schütteter, gepanzerter Zug aus dem Zweiten Weltkrieg befindet. So beginnt die Geschichte bei eben diesem Piotr Zuchowski, der zugleich Staatssekretär im Kultus- ministerium ist. Er sagt, er habe ein Georadarbild eines unterirdisch ste- henden Zuges mit über 100 Meter Länge gesehen. Womöglich befinde sich wertvolle Fracht darin. Das würden zumindest die angeblichen Entdecker des Fundortes behaup- ten, ein Deutscher und ein Pole, die von „Edelmetallen, Wertgegenstän- den und Industriematerialien“ spre- chen. Und noch etwas sagt Zu- chowski: dass ihm ein weiterer Mann auf dem Sterbebett persönlich gebeichtet habe, dass es diesen Zug wirklich gibt. Schon wird speku- liert, dessen Vater oder Großvater könnte zu den Männern gehört ha- ben, die einst den Zug versteckten, und das Geheimnis wurde dann in der Familie weitergegeben. Nun ist die Aufregung groß. Weil die Behörden und die anonymen Entdecker den genauen Fundort in der Bergbauregion geheim halten, macht sich mancher auf eigene Faust auf die Suche. Mittlerweile sind so viele Schatzsucher und Touristen in der Stadt mit ihren 120 000 Einwoh- nern angekommen, dass immer VON JAN OPIELKA, CAROLIN OEFNER UND ANDREAS FREI Walbrzych/Augsburg „Dort ist es“, ruft Andrzej Gaik, und er bemüht sich erst gar nicht, seine Aufregung zu verbergen. „Dort war der Ein- gang zum Tunnel, und dort ist der Zug versteckt.“ Er steht an der Ei- senbahnlinie von Breslau nach Walbrzych, dem früheren Walden- burg in Niederschlesien, wo an einer hohen Böschung eine Stelle etwas eingesunken ist. Nun könnte man sagen, der Mann weiß, wovon er spricht. Gaik ist Touristenführer und hat schon vor 15 Jahren nach dem sagenumwobenen „Nazi-Zug“ voller Gold gesucht, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges hier im Westen Polens verschwunden sein soll. Aber kann man ihm deshalb glauben? In dieser Geschichte wol- len viele Menschen so vieles wissen. Und nichts ist bewiesen. Klar ist nur, dass die Geschichte, so oder so, ziemlich unglaublich ist. An dieser Stelle jedenfalls, da kann Gaik noch so mit dem Finger zeigen, sieht man nichts von einem verschollenen Güterzug und schon gar nichts von Gold oder Juwelen. Man sieht nur unzählige Menschen, die das Goldfieber gepackt hat, hier zwischen den Streckenkilometern 61 und 65. Seit Freitag durchkäm- men immer mehr Polen und inzwi- schen auch ausländische Touristen die Gegend. Hobby-Schatzsucher, die ähnlich aufgeregt sind wie Andrzej Gaik. Und das alles, weil Polens oberster Denkmalschützer an diesem Tag einen entscheidenden Die Jagd nach dem geheimnisvollen Nazi-Zug Militär Im Westen Polens soll ein Panzerzug aus dem Zweiten Weltkrieg geortet worden sein, womöglich beladen mit Gold und Edelsteinen. Seitdem ist in Niederschlesien der Teufel los. Eine Geschichte über ein Geständnis am Totenbett, aufgeregte Schatzsucher und viele Legenden Ein Labyrinth mit etlichen unterirdischen Stollen Unternehmer wittern nun das große Geschäft schen Zaren. Deutsche Soldaten brach- ten den Prunkraum 1942 nach Kö- nigsberg, seit 1945 ist er verschollen. Seitdem kursieren viele, oft abenteu- erliche Theorien über seinen Verbleib. Der Schatz im Toplitzsee Waffen, Munition und Falschgeld wurden aus dem kleinen Gewässer im Salzkammer- gut (Österreich) schon in den 50er Jahren geborgen. Die Nazis hatten dort eine Marineversuchsstation betrie- ben. Ein US-Taucherteam scheiterte im Juli 2000 jedoch bei der Suche nach Kisten, die angeblich Listen mit Milliar- denkonten von Nazibonzen in der Schweiz enthalten sollen. (anf, dpa) sicher, aber eben nicht alles. So ent- stand das Gerücht mit dem Alatsee. Trotz unzähliger Tauchgänge wurde bis heute nichts gefunden. Geheimnisvolle Burg Falkenstein Auch hält sich seit Jahrzehnten hart- näckig das Gerücht um einen vergrabe- nen Nazi-Goldschatz an der geheim- nisumwitterten Burgruine Falkenstein oberhalb von Pfronten im Ostallgäu. Versuche, den Schatz zu finden, blieben aber auch hier bis heute erfolglos. Mythos Bernsteinzimmer Preußen- könig Friedrich Wilhelm I. schenkte die kostbar geschnitzten Wandtäfelun- gen aus Bernstein 1716 dem russi- Der Goldschatz im Alatsee Die Le- gende erzählt von Kisten, die die Na- tionalsozialisten gegen Ende des Zwei- ten Weltkrieges im Alatsee bei Füssen versenkt haben sollen – prall gefüllt mit einem Milliardenschatz der Deut- schen Reichsbank. Sogar die Rothschild- Juwelen, die sich einst Hitlers Luft- waffenchef Hermann Göring unter den Nagel gerissen hat, könnten am Grund des sagenumwobenen Sees schlummern, hieß es. Fakt ist: Die Nazis haben 1945 tatsächlich Unmen- gen an (Raub-)Kunstschätzen auf Schloss Neuschwanstein gehortet. Vieles davon stellten die Amerikaner später Auch um diese angeblichen Schätze aus der NS-Zeit ranken sich Legenden – sogar in unserer Region So könnte das Objekt der Begierde aussehen: ein gepanzerter Zug der deutschen Wehrmacht, fotografiert 1942 in Russland. Foto: akg-images An der Bahnlinie zwischen Waldenburg und Breslau soll sich der Zug befinden.

Die Jagd nach dem geheimnisvollen Nazi-Zug...Die Jagd nach dem geheimnisvollen Nazi-Zug Militär Im Westen Polens soll ein Panzerzug aus dem Zweiten Weltkrieg geortet worden sein,

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  • DIENSTAG, 1. SEPTEMBER 2015 NUMMER 200 3Die Dritte Seite

    Unter der Bergarbeiterstadt Walbrzych, dem früheren Waldenburg, verlaufen jede Menge unterirdischer Tunnel. Dieser hier ist für Touristen zugänglich. Viele andere sind es nicht. Befindet sich dort der angebliche Nazi-Zug? Foto: Janek Skarzynski, afp

    wertvolle Gegenstände darin befin-den? Die Meinungen darüber gehenauseinander. Seit Jahrzehnten wirddie Legende befeuert. In den 1970erJahren etwa spürten polnische Fil-memacher den ehemaligen deut-schen Bankwächter Herbert Kloseaus Breslau auf. Er erzählte davon,dass die Nazis gegen KriegsendeGold aus Banken, aber auch von Ju-welieren und Privatpersonen sam-melten und mit einem Zug weg-schafften. Nach anderen Berichtensoll der Zug auch wertvolle Kunst-werke, ja Teile des legendärenBernsteinzimmers an Bord gehabthaben und von der SS in einem un-terirdischen Komplex im Berg So-

    biesz im Riesengebirge deponiertworden sein. Legenden? Märchen?Oder doch eine Sensation?

    Sollte tatsächlich ein Zug ent-deckt werden, wäre der FundortWalbrzych keine Überraschung.Die einstige Bergbaustadt hat etli-che unterirdische Stollen, daruntersolche, die von Nazis unter dem Co-denamen „Riese“ gezielt errichtetwurden, um dorthin Teile der Waf-fenproduktion zu verlegen und sievor Bombardierungen zu schützen.Ein Zug könnte also dort hineinge-steuert und die Zufahrtsstrecke an-schließend gesprengt worden sein.Einige dieser Stollen sind heute fürTouristen geöffnet. Viele andereaber eben nicht. Genau diese ziehennun die Schatzsucher an.

    Und wie sehen das deutsche For-scher? Ein Anruf bei Thomas Mül-ler. Er ist Historiker im BayerischenArmeemuseum in Ingolstadt. Also:Könnte solch ein Nazi-Zug nochimmer in einem unzugänglichenTunnel in Polen stehen? Er sagt:„Das wäre denkbar.“ Die Nazis hät-ten wohl bis zum unausweichlichenEnde an einen „Endsieg“ geglaubt.Deswegen habe niemand wissenkönnen, ob das Gebiet nicht doch indeutscher Hand bleibt. „Schlesiengalt auch als sicherer Ort.“ Zum an-deren habe das schnelle Vorrückender Roten Armee die Deutschenüberfordert. „Und theoretisch istein Tunnel ein guter Ort zur Aufbe-wahrung: Der Zug ist vor Luftan-griffen sicher.“ Vermutlich sei er inden Kriegswirren einfach in Verges-senheit geraten – „sollte er dennexistieren“, mit welcher Ladungauch immer.

    Die Entdecker jedenfalls sollenauf Tauchstation gegangen sein,weil offenbar Angaben zu ihrer Per-son durchgesickert sind. Die beidenhoffen auf einen gesetzlich festge-legten Finderlohn in Höhe von zehnProzent. Doch sollte der Zug tat-sächlich eines Tages geborgen wer-den, dürfte es schwierig sein, denWert überhaupt zu taxieren. „Derhistorische Wert ist sicherlich grö-ßer als der materielle“, sagt Rechts-anwalt Jaroslaw Chmielewski. Ervertritt die beiden Männer. AmEnde räumt der Jurist dann noch et-was ein: dass es sich bei dem Funddurchaus auch um etwas anderes alsden legendären Nazi-Zug handelnkönnte. (n-ost, mit afp und dpa)

    Doch gibt es überhaupt etwas zuverteilen? Immer mehr Expertenund regionale Politiker zweifeln dieExistenz des Zuges an. Vertreter derHistorischen Gesellschaft Nieder-schlesiens etwa glauben nicht an dieEchtheit der Beweisbilder, die bis-lang auch nicht publik gemachtwurden. Das regionale Parlamenthat eine Krisensitzung anberaumt.Fazit des dortigen Regierungsver-treters Tomasz Smolarz: „Auf derBasis der vorgelegten Dokumentekann man nicht feststellen, ob derFund bestätigt werden kann.“ Stim-men werden laut, die Informations-politik Zuchowskis sei dilettantischund schaffe nur Probleme.

    Eigentlich ist die Nachricht vondem geheimnisvollen Fund schonlänger in der Welt. Doch die Ge-schichte nimmt erst Fahrt auf, alsvergangene Woche der Stadtrat vonWalbrzych bestätigt, dass zwei ano-nyme Entdecker über ihren Anwaltden genauen Standort eines 120 bis150 Meter langen Zuges benannt ha-ben. „Die Stelle befindet sich imStadtgebiet von Walbrzych, den ge-nauen Ort kann ich Ihnen natürlichnicht nennen“, sagt Vize-Bürger-meister Zygmunt Nowaczyk.

    Zwei Tage später legt Zuchowskinach. Er warnt die nach Walbrzychströmenden Goldsucher eindring-lich vor Risiken. Sollte der Zug tat-sächlich existieren, könnte er ver-mint sein. Auch deshalb sichert diePolizei das Gebiet so intensiv ab.

    Bleiben die entscheidenden Fra-gen: Kann es den sagenumwobenenZug wirklich geben? Und wenn ja,könnten sich Gold oder andere

    mehr Polizisten in dem betroffenenWaldgebiet patrouillieren. Für dasÜberqueren der Bahngleise drohen500 Zloty Strafe, umgerechnet 125Euro. Gleichzeitig wittern Unter-nehmer das große Geschäft. Auchim stattlichen Schloss Fürstenstein.Es sei „wie ein Loch-Ness-Effekt“,sagt der Chef der Schlossgesell-schaft, Krzysztof Urbanski. „Nie-mand hat das Monster gesehen, aberes zieht die Leute an.“ Ab nächsterWoche können Touristen „Gold-zug“-T-Shirts kaufen. Sondertou-ren zum angeblichen Brennpunktdes Geschehens werden schon seitdem Wochenende angeboten. ImLogo, wie könnte es anders sein,prangt ein funkelnder Zug.

    Die Aufregung ist aber auch an-dernorts spürbar. In russischen Me-dien werden schon Ansprüche aufden Inhalt des Zuges angemeldet.Die Sowjetunion habe zu den Sie-germächten des Zweiten Weltkrie-ges gehört, und mögliche Raubgüteraus ihrem Staatsgebiet gehörtenRussland, heißt es. Ähnlich äußertsich der Geschäftsführer des Jüdi-schen Weltkongresses, Robert Sin-ger: „Sollten Gegenstände gefundenwerden, die Juden gestohlen wur-den, bevor sie in die Todeslageroder zur Zwangsarbeit deportiertwurden, muss alles unternommenwerden, um sie den Opfern bezie-hungsweise ihren Erben zurückzu-geben.“ Denkmalschützer Zu-chowski wiederum macht umge-hend klar, dass der Zug samt Inhalt„dem polnischen Staatsschatz gehö-re“, sofern sich keine rechtmäßigenBesitzer melden sollten.

    Satz gesagt hat: dass sich in einemTunnelsystem in Niederschlesien,70 Meter unter der Erde, „mit99-prozentiger Sicherheit“ ein ver-schütteter, gepanzerter Zug aus demZweiten Weltkrieg befindet.

    So beginnt die Geschichte beieben diesem Piotr Zuchowski, derzugleich Staatssekretär im Kultus-ministerium ist. Er sagt, er habe einGeoradarbild eines unterirdisch ste-henden Zuges mit über 100 MeterLänge gesehen. Womöglich befindesich wertvolle Fracht darin. Daswürden zumindest die angeblichenEntdecker des Fundortes behaup-ten, ein Deutscher und ein Pole, dievon „Edelmetallen, Wertgegenstän-

    den und Industriematerialien“ spre-chen. Und noch etwas sagt Zu-chowski: dass ihm ein weitererMann auf dem Sterbebett persönlichgebeichtet habe, dass es diesen Zugwirklich gibt. Schon wird speku-liert, dessen Vater oder Großvaterkönnte zu den Männern gehört ha-ben, die einst den Zug versteckten,und das Geheimnis wurde dann inder Familie weitergegeben.

    Nun ist die Aufregung groß. Weildie Behörden und die anonymenEntdecker den genauen Fundort inder Bergbauregion geheim halten,macht sich mancher auf eigene Faustauf die Suche. Mittlerweile sind soviele Schatzsucher und Touristen inder Stadt mit ihren 120000 Einwoh-nern angekommen, dass immer

    VON JAN OPIELKA, CAROLIN OEFNERUND ANDREAS FREI

    Walbrzych/Augsburg „Dort ist es“,ruft Andrzej Gaik, und er bemühtsich erst gar nicht, seine Aufregungzu verbergen. „Dort war der Ein-gang zum Tunnel, und dort ist derZug versteckt.“ Er steht an der Ei-senbahnlinie von Breslau nachWalbrzych, dem früheren Walden-burg in Niederschlesien, wo an einerhohen Böschung eine Stelle etwaseingesunken ist. Nun könnte mansagen, der Mann weiß, wovon erspricht. Gaik ist Touristenführerund hat schon vor 15 Jahren nachdem sagenumwobenen „Nazi-Zug“voller Gold gesucht, der gegen Endedes Zweiten Weltkrieges hier imWesten Polens verschwunden seinsoll. Aber kann man ihm deshalbglauben? In dieser Geschichte wol-len viele Menschen so vieles wissen.Und nichts ist bewiesen. Klar istnur, dass die Geschichte, so oder so,ziemlich unglaublich ist.

    An dieser Stelle jedenfalls, dakann Gaik noch so mit dem Fingerzeigen, sieht man nichts von einemverschollenen Güterzug und schongar nichts von Gold oder Juwelen.Man sieht nur unzählige Menschen,die das Goldfieber gepackt hat, hierzwischen den Streckenkilometern61 und 65. Seit Freitag durchkäm-men immer mehr Polen und inzwi-schen auch ausländische Touristendie Gegend. Hobby-Schatzsucher,die ähnlich aufgeregt sind wieAndrzej Gaik. Und das alles, weilPolens oberster Denkmalschützeran diesem Tag einen entscheidenden

    Die Jagd nach dem geheimnisvollen Nazi-ZugMilitär Im Westen Polens soll ein Panzerzug aus dem Zweiten Weltkrieg geortet worden sein, womöglich beladen mit Gold und Edelsteinen.Seitdem ist in Niederschlesien der Teufel los. Eine Geschichte über ein Geständnis am Totenbett, aufgeregte Schatzsucher und viele Legenden

    Ein Labyrinth mit etlichenunterirdischen Stollen

    Unternehmer witternnun das große Geschäft

    schen Zaren. Deutsche Soldaten brach-ten den Prunkraum 1942 nach Kö-nigsberg, seit 1945 ist er verschollen.Seitdem kursieren viele, oft abenteu-erliche Theorien über seinen Verbleib.● Der Schatz im Toplitzsee Waffen,Munition und Falschgeld wurden ausdem kleinen Gewässer im Salzkammer-gut (Österreich) schon in den 50erJahren geborgen. Die Nazis hatten dorteine Marineversuchsstation betrie-ben. Ein US-Taucherteam scheiterte imJuli 2000 jedoch bei der Suche nachKisten, die angeblich Listen mit Milliar-denkonten von Nazibonzen in derSchweiz enthalten sollen. (anf, dpa)

    sicher, aber eben nicht alles. So ent-stand das Gerücht mit dem Alatsee.Trotz unzähliger Tauchgänge wurde bisheute nichts gefunden.● Geheimnisvolle Burg FalkensteinAuch hält sich seit Jahrzehnten hart-näckig das Gerücht um einen vergrabe-nen Nazi-Goldschatz an der geheim-nisumwitterten Burgruine Falkensteinoberhalb von Pfronten im Ostallgäu.Versuche, den Schatz zu finden, bliebenaber auch hier bis heute erfolglos.● Mythos Bernsteinzimmer Preußen-könig Friedrich Wilhelm I. schenktedie kostbar geschnitzten Wandtäfelun-gen aus Bernstein 1716 dem russi-

    ● Der Goldschatz im Alatsee Die Le-gende erzählt von Kisten, die die Na-tionalsozialisten gegen Ende des Zwei-ten Weltkrieges im Alatsee bei Füssenversenkt haben sollen – prall gefüllt miteinem Milliardenschatz der Deut-schen Reichsbank. Sogar die Rothschild-Juwelen, die sich einst Hitlers Luft-waffenchef Hermann Göring unter denNagel gerissen hat, könnten amGrund des sagenumwobenen Seesschlummern, hieß es. Fakt ist: DieNazis haben 1945 tatsächlich Unmen-gen an (Raub-)Kunstschätzen aufSchloss Neuschwanstein gehortet. Vielesdavon stellten die Amerikaner später

    Auch um diese angeblichen Schätze aus der NS-Zeit ranken sich Legenden – sogar in unserer Region

    So könnte das Objekt der Begierde aussehen: ein gepanzerter Zug der deutschenWehrmacht, fotografiert 1942 in Russland. Foto: akg-images

    An der Bahnlinie zwischen Waldenburgund Breslau soll sich der Zug befinden.