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03/2012 BILANZ 53 52 BILANZ 03/2012 Trends Weiterbildung Schnittstelle IT/Fabrikation: Christiane Fimpel und Philipp Binkert stellen per Druckgerät dreidimensionale Gegenstände her. Die Jobs von morgen ANDREAS GÜNTERT TEXT / MATTHIAS WILLI FOTOS Die Berufsfelder der Zukunft entstehen jetzt. Bei Banking, Pharma, IT und Cleantech vermischen sich Kompetenzen zusehends. Das fordert auch die Weiterbildung heraus. Schnittstelle Banking / Social Media: Crowdfunding-Spezialist Philipp Steinberger bringt über seine Web-Plattform Projekte und Kapitalgeber zusammen.

Die Jobs - schriftzug.ch · Christiane Fimpel und Philipp Binkert stellen per Druckgerät dreidimensionale Gegenstände her. Die Jobs von morgen AndreAs Güntert Tex T / MAtthiAs

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03/2012 BILANZ 5352 BILANZ 03/2012

Trends Weiterbildung

Schnittstelle IT/Fabrikation: Christiane Fimpel und Philipp Binkert stellen per Druckgerät dreidimensionale Gegenstände her.

Die Jobs von morgen AndreAs Güntert TexT / MAtthiAs Willi FoTos

Die Berufsfelder der Zukunft entstehen jetzt. Bei Banking, Pharma, IT und Cleantech vermischen sich Kompetenzen zusehends. Das fordert auch die Weiterbildung heraus.

Schnittstelle Banking / Social Media: Crowdfunding-Spezialist Philipp Steinberger bringt über seine Web-Plattform Projekte und Kapitalgeber zusammen.

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Trends Weiterbildung

Die Zukunft ist nicht leicht zu finden. Sie versteckt sich in einem Keller in Zürich Aussersihl. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit,

beschäftigen sich Christiane Fimpel und Philipp Binkert mit einer Technologie, die das Zeug hat, die nächste industrielle Revolution auszulösen. Fimpel und Bin-kert arbeiten in ihrer Firma 3D-Model.ch mit dreidimensionalen Druckern. Mit dem Verfahren des «Digital Fabricating» – auch «Fabbing» genannt – drucken sie dreidimensional. So wie heute jeder-mann per Tintenstrahldrucker beschrif-tetes Papier printet, stellen ihre drei 3-D-Drucker Gegenstände her. Zum Beispiel

den 35 Zentimeter hohen Pokal aus ABS-Kunststoff, der Roger Federer an den Swiss Indoors in Basel überreicht wurde. Eine Lampe für eine Designerin. Eine Filzmütze für einen Modeschöpfer. Aus einem digitalen Datensatz im PC wird ein greifbares Gut. Man füllt das gewünschte Material in den Drucker ein, und dieser printet den greifbaren Gegenstand. «Wie es in kurzer Zeit normal wurde, Musik am CD-Händler vorbei auf seinen eige-nen Tonträger zu holen», erklärt Binkert, «macht Fabbing jeden zum Hersteller. Es ist das iTunes der Dinge.»

Desktop-Fabrik. Architekturbüros setzen seit längerem auf Fabbing, um damit Baumodelle auszudrucken. Diese Tech-nologie wird für gewisse Teile auch beim

Flugzeugbauer EADS (Airbus) ange-wandt. Mit professionellen Printgeräten, aus deren Druckköpfen fein säuberlich Lage um Lage eines Materials aufge-schichtet wird. Weiterbildungsangebote tauchen jetzt langsam auf, als Architek-tur-Wahlfach an der ETH Zürich oder im Horwer FabLab, einer Hightech-Werkstatt der Hochschule Luzern. Auch Fimpel und Binkert bieten Workshops zu den Themen Fabrikation und Zusammenbau der 3-D-Drucker an, die als Kit in der einfachsten Variante rund 2000 Franken kosten.

FabLab-Leiter Roman Jurt schätzt, dass heute noch «keine 200 Personen» in der Schweiz privat einen 3-D-Drucker besitzen. Doch das Thema werde gross: «Alles, was heute physisch hergestellt werden kann, wird man künftig auch

digital herstellen können.» Denkbare Berufsbilder und Arbeitsplätze: Mate-rialforscher, Fabrikationslabore, 3-D-Copy-Center.

Karin Frick, Trendforscherin am Gott-lieb Duttweiler Institute, sieht die Techno-logie an einem Wendepunkt: «Das Thema 3-D-Drucker geistert seit zehn Jahren herum und ist bei professionellen Anwen-dern – etwa im Prototypenbau – längst an-gekommen. Neu wird es jetzt auch an-wendungsreif für den Privatgebrauch und für Massenmärkte.» Eine mögliche Folge daraus: «Es könnte in den Bereichen Ma-terialforschung und Re-Industrialisierung zu einem Schub führen. Wurden bisher gros se Teile der Fabrikation nach China ausgelagert, können sich die Menschen im Westen dank ihrer ‹Desktop-Fabrik› ihre Gegenstände selber und nach Mass produzieren.» Das US-Marktforschungs-unternehmen Wohlers Associates schätzt das weltweite Fabbing-Geschäft derzeit

auf 1,3 Milliarden Dollar; bis 2020 soll es auf 5,2 Milliarden wachsen.

So wie das Fabbing an der Schnitt-stelle von IT und industrieller Produk-tion Innovation schafft, verhält es sich mit vielen Jobfeldern der Zukunft. Die Berufsbilder, die in den nächsten Jahren neu entstehen, vermischen sich zuse-hends. Informationstechnologie und So-cial Media wirken als Querschnittsbran-chen, die in bestehende Felder integriert werden und damit neues Spezialisten-tum schaffen. Beispiel Banking: Die Aus-sichten der einst so erfolgsverwöhnten Branche verdüstern sich durch Attacken aus den USA, schleppende Wirtschafts-entwicklung und Margenerosion. Als Job-Wachstumsfelder macht Nicole Schmidt Risk Management und Compli-ance aus. Gemäss der Schweiz-Chefin des Finanzrekrutierungsspezialisten Robert Half International übertrifft die Nach-frage in diesen Bereichen das Angebot. Weiterbildungen mit diesem Spezialisie-rungsgrad seien noch nicht lange im Angebot. «Hier müssen zuerst einmal genügend Leute ausgebildet werden.»

Schwarm-Banking. «Die Vermögensver-waltung wird weiterhin wachsen. Aber das Profil des Private Bankers wird sich ändern», sagt Charles Donkor, Partner Human Capital Consulting bei Price-waterhouseCoopers. Die Banker müssten noch mehr wegkommen von der reinen «Wine & Dine»-Betreuung der betuchten Klientel, neue gefragte Skills seien inter-kulturelles Management – zum Beispiel Kenntnisse des Islamic Banking – und der Umgang mit sozialen Medien. Als neues Berufsbild macht Donkor dasje-nige des «Digital Bankers» aus. Dieser vertreibt Finanzprodukte über elektroni-sche Kanäle.

Geldbeschaffung bekommt durch die neuen Medien eine ganz andere Dimen-sion. Das hat auch Philipp Steinberger er-kannt und im April 2011 zusammen mit seinem Partner die Plattform C-crowd.com lanciert. Hier bringt der ehemalige Investment Banker Projekte und Kapital-geber zusammen. Jungunternehmer mit guten Ideen, die heutzutage kaum von den Banken unterstützt werden, können über C-crowd effizient an interessierte Investoren gelangen, um so ihren Busi-nessplan zu finanzieren. Crowdfunding, wie die aufkommende Finanzierungsart genannt wird, mobilisiert sozusagen •

Die Berufsbilder, die in den nächsten Jahren neu entstehen, vermischen sich zusehends.

Schnittstelle Gebäudetechnik/ Systemintegration: Profis wie Werner Roth von der Luzerner ProBus Technik AG machen Häuser intelligent.

das Portemonnaie der breiten Masse. Sie kann schon mit geringen Beträgen von 500 bis 1000 Franken in zukunfts-trächtige Geschäfte investieren und so zu Aktionären und Business Angels werden. Philipp Steinberger ist überzeugt, dass Crowdfunding in der Finanzbranche eine wachsende Bedeutung haben wird. «Das Vertrauen in Banken und traditio-nelle Investitionsinstrumente hat gelit-ten. Die Leute suchen nach neuen greif-baren Anlagemöglichkeiten.» Dies hat sich bereits bestätigt, indem zwei Pro-jekte mit einer Gesamtsumme von knapp 650 000 Franken finanziert wurden.

Die Nachfrage nach solchen alterna-tiven Anlagemöglichkeiten wird sich gemäss dem Firmengründer in Zukunft noch stärker entwickeln, insbesondere

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ANZeIGe

wenn die Hemmschwelle, via Internet zu investieren, weiter schwindet: «Für unter-nehmerisch denkende Menschen mit einer Ausbildung im Finanzbereich öff-nen sich mit Crowdfunding zweifellos neue Joboptionen», glaubt Steinberger. Bezüglich Weiterbildung in diesem neuen Gebiet – ein weiteres Stichwort ist das Peer-to-Peer Lending, die Vergabe von Krediten unter Privatpersonen ohne Einbezug von Banken – könnte der Schub von der Social-Media-Szene kommen. «Wir arbeiten momentan an einem Schu-lungsangebot», sagt Anders Bally, Mana-ging Partner der Zürcher Social-Media-Akademie Somexcloud.

Wenn sich in neuen Jobfeldern IT mit industrieller Produktion mischt, wenn Finanz-Know-how mit Kenntnissen der

Schwarmintelligenz von virtuellen Grup-pen verschmilzt, wird klar: Generell gute Chancen hat künftig, wer die Kunst der Schnittstellenbesetzung beherrscht.

Dieses Thema ist auch in der Weiter-bildung angekommen: «Interdisziplina-rität wird immer wichtiger. Die Arbeit-nehmer von morgen müssen noch mehr fähig sein, an den Rändern ihres Gebiets zu forschen und den Austausch mit Spe-zialisten anderer Bereiche zu pflegen», sagt Andreas Poplutz, Stabsstellenleiter Weiterbildung an der ZHAW (siehe Inter-view auf Seite 60). So sieht man es auch an der Hochschule Luzern (HSLU). In den Bereichen Technik und Architektur seien auf dem Arbeitsmarkt «nicht mehr reine Techniker gefragt, sondern spe-zialisierte Generalisten. Energie und Nachhaltigkeit sind Querschnittsthe-men, die den Ingenieur ebenso betreffen wie den Architekten.»

Pharma 3.0. George Sheldon, Professor für Arbeitsmarkt- und Industrieökono-mie an der Universität Basel, stösst ins gleiche Horn: «Wer Wirtschaft studiert, war früher Generalist. Heute geht der Trend klar in Richtung Spezialisierung.» Überlappungen in Spezialgebieten schaf-fen neue Berufsbilder. Das weiss man auch bei OdASanté, der nationalen Dach-organisation der Arbeitswelt Gesundheit: «Durch neue Technologien und Thera-pien steigen die Ansprüche an das Fach-wissen des Personals», sagt Präsident Bernhard Wegmüller. Derzeit werden beispielsweise in den Bereichen der Onkologie- und der Palliativpflege als Vertiefungsrichtung spezialisierte Berufs-bilder entwickelt. Generell gute

Chancen hat,wer künftig die Kunst der Schnittstellen-besetzung beherrscht.

Berufe 2030

Rock die ZukunftWeltallmüll-Recycler, Pizzakurierdienst per Drohne: Was Futurologen online an neuen Berufen vorschlagen, tönt schräg. Aber es ist ein Hinsurfen wert.

Für die Trendforscherin Karin Frick vom Gottlieb Duttweiler Institute ist der Fall klar. Könnte sie morgen eine Weiterbildung beginnen, wäre es in Game Design: «Wenn der Bildschirm zu unserem wichtigsten Interface wird, hilft es, den Mechanismus von Spielwelten besser zu ver stehen, denn das wird zur nächsten Ebene unserer Realität.» FDP- Nationalrat Ruedi Noser würde in die Ferne schweifen: «Mit der ganzen Familie nach Taiwan ziehen und dort Man-darin lernen.»

Planer für digitale Identitäten. Was Frick und Noser anstreben, liegt im Bereich des heute Lernbaren. Wer den Blick aber weiten und nach neuen Jobfeldern suchen möchte, wird bei Zukunftsforschern fündig. Weit- voraus-Denker wie The Futu-rist (www.wfs.org) oder die Website Futuristspeaker.com präsentieren den Stellenanzeiger von 2030, und die Karriere-Site Getdegrees.com schlägt die «Top 60 Jobs» vor, «die die Zukunft rocken». Vieles davon ist schräg. Der Spezialist etwa, der unbemannte Flugzeuge fernlenkt, damit diese Pizzas zur Kundschaft bringen (und den Abfall an den richtigen Ort zurückfliegen). Der

Space Junk Recycler, der aus dem Müll im Weltall Neues formt. Oder der Alternativ-Währungsbanker, der konventionelle Währungen in Tau-sende neue lokale Bezahl systeme umrechnet, die noch erschaffen wer-den. Auch um das Facebook der Zukunft herum entstehen Jobs: der Planer für digitale Identitäten etwa, der seine Kunden über die Vielfalt von Auftrittsmöglichkeiten berät, oder Spezialisten, die virtuelle Begleitung durch die besten Web- Seminare anbieten (und einem beim Abschreiben helfen).

Eines haben Futurologen mit heutigen Berufsberatern gemeinsam: Der Bereich Gesundheit/Schönheit steht weit oben auf ihren Listen. So könnte man sich bei weiteren Fort-schritten der Gentechnologie einen «Genetic Counselor» denken, der Eltern beim Planen der Kinder berät. Der Lippendesigner verhilft mittels modernster Implantations-technologie je nach Materialwunsch zu einem neuen Mundwerk, der Ge-dächtnis-Chirurg radiert schlimme Erinnerungen aus. Alles getreu der Beratung Bain, die als grossen ren-tablen Zukunftstrend festhält: «Keep the wealthy healthy» – die Reichen gesund (und bei Kauflaune) halten. • •

56 BILANZ 03/2012

Schnittstelle Pharma/Elektronik: Berufsleute wie Isabelle Arnet machen mittels Sensoren den Weg von Pillen nachverfolgbar und schaffen so medizinische Compliance.

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ANZeIGeANZeIGe

Mehr Spezialisierung plus Verschmel-zung von Kompetenzen – das ist eine Aufgabe, die sich auch Weiterbildungs-profis selber zunehmend auferlegen. Für den neuen Masterlehrgang Alter und Gesellschaft, der im Herbst an der HSLU erstmals beginnt, werden sämtliche Re-gister der Interdisziplinarität gezogen. «Da sich die Alterung auf ganz unter-schiedliche Lebensbereiche auswirkt, haben wir bei der Entwicklung des Studi-engangs gleich von Beginn weg alle De-partemente der Hochschule einbezo-gen», sagt Co-Studienleiter Matthias von Bergen, «also neben den federführenden Abteilungen Wirtschaft und soziale Ar-beit auch Technik & Architektur, Design & Kunst und Musik.» «Die unaufhalt-same Kraft der Demografie dürfte noch ungeahnte neue Berufsbilder schaffen», glaubt von Bergen.

Mit der stürmischen IT-Entwicklung kommt die Elektronik auch in den Life Sciences zu ihrem Auftritt. «Pharma 3.0» nennt Ernst & Young diesen Trend in einer Studie. Mittels Smartphone-Apps und der Verknüpfung per drahtlose Geräte liessen sich neue Geschäfts-modelle schaffen. Bekannt sind die Pläne von Novartis, Chip-bestückte Tabletten (Smart Pills) zu lancieren, die nach der Einnahme dem behandelnden Arzt Sig-nale aus dem Inneren des Patienten sen-den können. Jürg Huwyler, Ordinarius an der Abteilung für pharmazeutische Tech-nologie an der Uni Basel, macht Markt-chancen aus an der Schnittstelle von Pharma und Elektronik: «Im Bereich der medizinischen Compliance sehen wir ein Zukunftspotenzial. Es geht darum, den Patienten – etwa bei Herzerkrankun-gen oder Transplantationen – die teuren

Medikamente zum genau richtigen Zeit-punkt in der genau richtigen Menge zu verabreichen.» Dient eine Pille als Träger für einen Mikrochip, macht das die Tab-lette nachverfolgbar, was für den behan-delnden Arzt von hoher Wichtigkeit wäre. Solche verfolgbaren Tabletten seien zudem fälschungssicher.

Smarte Gebäude. Bereits heute an der Schnittstelle von Pharma und Elektronik arbeitet Isabelle Arnet, Oberassistentin Pharmaceutical Care Research Group an der Uni Basel. Auch bei ihr geht es um das «elektronische Monitoring» der Patienten mittels Sensoren auf den sogenannten Medikamentenblistern, den Tabletten-verpackungen. Drückt der Patient eine Tablette aus dem Blister heraus, werden Datum, Zeit sowie Angaben zum entleer-ten Hohlraum mittels eines elektroni-

schen Sensors registriert. «Diese Daten können in der Apotheke erfasst und dem Arzt übermittelt werden» erklärt Arnet. «In naher Zukunft werden auch Handys hierfür eingesetzt werden und einen Datentransfer direkt vom Patienten aus ermöglichen.» Das sei keine Science Fic-tion: «Die persönliche Verblisterung wird heute schon von rund 60 Schweizer Apo-theken angeboten.» Der Nutzen: Mit elek-tronischen Tools kann eine optimale The-rapietreue bewerkstelligt werden.

Oft genug sind berufliche Entwicklun-gen so neu, dass das Wissen nicht an einer Hochschule, sondern erst bei der beruflichen Anwendung entsteht. Wie bei der Luzerner ProBus Technik AG. Die zehnköpfige Firma versteht sich als Kom-petenzzentrum für Gebäudeautomation und Multimedia-Lösungen. «Was wir tun, gibt es eigentlich in dieser Form noch gar nicht. Es ist eine Verschmel-zung diverser Fachgebiete», sagt Co- Geschäftsführer Andreas Büttiker. «Wir machen quasi Gebäude intelligent. Unsere Gebäudesystemintegratoren er-bringen Beratung und implementieren Heizungs-, Kühlungs-, Beschattungs-, Beleuchtungs- und Mediensysteme. Dabei wird auch das Thema Energieeffi-enz zunehmend aktueller.»

Büttikers Geschäftspartner Werner Roth, gelernter Elektromonteur und eid-genössisch diplomierter Elektroinstalla-teur, holte sich zwar in diversen Kursen und Weiterbildungen zusätzliches Wis-sen bezüglich Klimatechnik, Heizungs- und Lüftungssystemen. Doch das reicht nicht: «Aus- und Weiterbildung ist in die-sem Bereich das eine. Aber das Wich-tigste sind die Erfahrung und das Know-

how, die man sich on the job angeeignet hat.» Es gehe darum, die zunehmende Komplexität aller Komponenten auf die Kundenbedürfnisse abzustimmen und anzuwenden: «Jedes der Systeme für sich kann alles. Aber sie müssen mittels Bera-tung richtig gesteuert und zusammenge-führt werden.»

Exakte Wissenschaften im Aufwind. Sol-chen neuen Entwicklungen hinkt die Aus- und Weiterbildung oft hinterher. Viele Technologien entstehen auf priva-ter Basis. «Vor allem in neuen Fachgebie-ten stehen zu Beginn die informelle Bil-dung und die nicht formale Bildung im Vordergrund», sagt Dani Duttweiler, Lei-ter Ressort Grundsatzfragen + Politik sowie stellvertretender Leiter Leistungs-bereich Bildung im Bundesamt für Be-rufsbildung und Technologie (BBT). Das BBT ist zuständig für den Erlass und die

Genehmigung von Abschlüssen der be-ruflichen Grundbildung und Angeboten der höheren Berufsbildung.

Die Karriere eines anerkannten Abschlusses spielt sich in der Regel auf drei Ebenen ab. Im Beispiel Solarenergie etwa könnte das heissen: Freaks lesen zunächst Bücher über die Montage von Solarpanels und tauschen sich mit Gleich-gesinnten aus – die Stufe der informellen Bildung. Besucht man dann einen Kurs bei einem Hersteller oder einem Liefe-ranten, wird von nicht formaler Bildung gesprochen. Entwickelt ein Thema Drive, werden erste Verbände gegründet. Diese machen in der Regel ihr Thema «olym-pisch»: «Welche neuen Bildungsangebote auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, be-stimmen die Berufsverbände», sagt Dutt-weiler. «Sie sind mit den Gegebenheiten in ihren Branchen am besten vertraut.»

Weiterbildung ist Big Business in der Schweiz. Die Schweizerische Koordinati-onsstelle für Bildungsforschung (SKBF) hat jährliche Aufwendungen von mehr als 5,3 Milliarden Franken ermittelt, rund ein Prozent des BIP. Die Hälfte davon wird von den Lernenden selber bezahlt. Auf eidgenössischer Ebene ist das Ange-bot überblickbar. 400 Berufsprüfungen und 400 höhere Fachprüfungen sind im Angebot, dazu 230 berufliche Grundaus-bildungen, «wobei die 20 meistgewählten von zwei Dritteln aller Lernenden abge-deckt werden», so Duttweiler. Aufgrund der hohen Nachfrage nach IT-Fachkräf-ten – bis 2017 fehlen gemäss Berechnun-gen des Verbandes ICT Berufsbildung 32 000 Spezialisten – setzt man beim BBT den Fokus auf die sogenannten MINT-Be-rufe (Mathematik, Informatik, Natur-

Bis 2017 fehlen gemäss des Verbandes ICT Berufsbildung über 32 000 IT-Spezialisten.

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BilAnZ: Aufgrund welcher Parameter entstehen an Ihrer Fachhochschule neue Weiterbildungsangebote?Andreas Poplutz: Zwei Aspekte stehen für uns immer am Anfang: Was will der Markt? Und was braucht die Gesell-schaft? Als Fachhochschule ist uns die Praxisorientierung sehr wichtig; durch Forschungsaufträge, Rückmeldungen von Arbeitgebern und Studenten ent-wickeln wir ein Sensorium für Markt-bedürfnisse. Daneben gehen wir mit neuen Lehrgängen auf gesellschaftliche Entwicklungen ein, beispielsweise zum Thema Demografie.

Wie schneidet die Schweiz ab im Vergleich mit dem internationalen Weiterbildungsbereich?Sie steht grundsätzlich gut da. Einen Unterschied sehe ich darin, dass in der Schweiz noch stark auf formale Vorbil-dung geachtet wird, bevor Studierende zugelassen werden. In anderen Ländern geht der Trend dahin, Hochschulen für weitere Gruppen zu öffnen.

Die politische Schweiz forciert in der Weiterbildung die Themen IT, Gesund-

heit und Cleantech. Sind das die richti-gen Branchen für die Jobs von morgen?In diesen Bereichen besteht ein zusätzli-cher Bedarf an qualifizierten Mitarbei-tenden. Wobei es in der Weiterbildung nicht nur darum geht, Wissen für neue Berufsbilder zu fördern. Ein wichtiger Aspekt ist auch, sich in bestehenden Berufen mit der allgemeinen Entwick-lung auseinanderzusetzen. Weil sich das kollektive Wissen auf der Welt alle vier bis fünf Jahre verdoppelt, sind alle Berufsleute gut beraten, sich weiterzu-bilden.

China und Indien bringen jährlich Zigtausende von blitzgescheiten und hungrigen Ingenieuren auf den Markt, die für einen Bruchteil unserer Kosten arbeiten. Lohnt es sich da noch, hierzu-lande Ingenieure auszubilden?

Auf jeden Fall. Die Ingenieurskunst hat bei uns Tradition und ist Motor vieler Innovationen in der Wirtschaft. Das Wissen muss unbedingt hier bleiben und auch hier genutzt werden. Nebst der Vermittlung fachlicher Qualifikatio-nen beinhaltet dies auch die Förderung der Persönlichkeitsbildung.

Gemäss dem US-Futurologen Thomas Frey existieren 60 Prozent der Jobs, die in zehn Jahren aktuell sein werden, heute noch gar nicht. Stimmen Sie dem zu?Mit dieser Grössenordnung tue ich mich schwer. Solch absolute Aussagen erin-nern mich an den damaligen IBM-Chef Thomas Watson, der vor über 60 Jahren den weltweiten Bedarf an Computern «auf vielleicht fünf Stück» schätzte. Natürlich wird es laufend neue Berufs-bilder geben. Aber Ärzte, Lehrer und Gastronomen etwa gab es schon immer – und es wird sie auch weiterhin geben.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-schaften (ZHAW) ist mit 28 Instituten in acht Departementen, 9700 Studierenden und über 4200 Weiterbildungsteilnehmenden eine der grössten Fachhochschulen der Schweiz.

«Bei der Weiter-bildung steht die Schweiz grund-sätzlich gut da»: Andreas Poplutz.

standortanalyse

«Das Wissen muss hier bleiben»Andreas Poplutz leitet die Stabsstelle Weiterbildung an der ZHAW. Der Ökonom und ehemalige Telekommunikations-Manager plädiert für Weiterbildung in angestammten und künftigen Berufsbildern.

Der Portfolio-Worker der Zukunft muss das Wissen auf informeller Stufe selber sammeln.

wissenschaften, Technik), zudem auf die Branchen Gesundheit und Cleantech.

Die globalen Treiber dahinter: der Hunger nach immer mehr Energie und damit das Bedürfnis nach Energieeffizi-enz. Die demografische Entwicklung, das Ergrauen des Planeten. Und das Manage-ment der Informationsströme, ohne die sich ein Leben heute kaum mehr denken lässt. «Die exakten Wissenschaften werden an Bedeutung gewinnen», glaubt auch Arbeitsmarktprofessor George Shel-don von der Uni Basel. Damit verbunden ist für den Portfolio-Worker der Zukunft der Imperativ, selber Wissen auf der in-formellen Stufe zu sammeln.

Auf Gates Spuren. Auch die Fabbing-Vor-reiter Christiane Fimpel und Philipp Binkert – sie ist diplomierte Kommunika-tionsmanagerin, er hat einen Architektur-abschluss vom New Yorker Pratt Institute – haben sich ihr Wissen on the job ange-eignet. «Wir waren an Veranstaltungen, sind in Kontakt mit Herstellern, bewegen uns in Online und Offline Communities und haben so ein Netzwerk aufgebaut», zeigt Fimpel, die ihren Job «Ideenbe-schleunigerin» nennt, die Lernkurve auf. Materialisiert sich der Siegeszug des Fab-bing, will man beim BBT mitziehen: «Sollte auf dem Arbeitsmarkt ein Bedürf-nis bestehen nach Fachpersonen im Be-reich Digital Fabricating», sagt Duttweiler, «dann wird es eines Tages auch eidgenös-sisch geregelte Berufslehren und Ange-bote der höheren Berufsbildung geben.»

Bis dahin wird noch viel Kunststoff aus den 3-D-Druckern von Fimpel und Binkert rieseln. Vom Erfolg jedenfalls ist das Duo in Zürich Aussersihl überzeugt: «Wir sind Bill Gates im Keller unten.»Mitarbeit: Karin Kofler