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12 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 7. Oktober 2009 Kehrseite Die Krise trifft auch die reichsten Deutschen arden auf 285,6 Milliarden Euro, ein Rückgang um 12 Prozent. Noch 99 Einzelpersonen oder Familien verfügten über ein Ver- mögen von mindestens 1 Milli- arde Euro. Das sind 23 weniger als noch vor einem Jahr. Porsche brach ein Zu den grössten Verlierern zäh- len die Familien Porsche und Schaeffler. Das Vermögen des Porsche-Clans sei im Zuge des gescheiterten Angriffs auf die Volkswagen AG um 11 Milliarden Euro oder 71 Prozent zurückge- gangen. Nur noch 99 Milliardäre statt 122 im Vorjahr verzeichnet dieses Jahr die Liste der 300 reichsten Deutschen. Die reichsten Deutschen sind ausgerechnet die Besitzer der Discount-Ketten Aldi und Lidl. Die Aldi-Gründer Karl und Theo- dor Albrecht verfügen jeweils über ein Vermögen von mehr als 16 Milliarden Euro und belegen damit die ersten beiden Plätze in der gestern vom «Manager Maga- zin» veröffentlichten Rangliste Madeleine Schickedanz kippte aus der Liste. Foto: EPA, Keystone Elisabeth Schaeffler verlor ein Ver- mögen. Foto: Keystone Hotmail-Daten Die «Kafka Brigade» rückt aus gegen den Amtsschimmel Wenn sich Bürger in den Niederlanden im bürokratischen Dschungel verirren, kommt ihnen eine kleine Expertengruppe zu Hilfe. gelang es ihrem Partner nicht, es im Gemeindehaus registrieren zu lassen. Zuerst müsse er eine eidesstattliche Erklärung der brasilianischen Behörden vorle- gen, aus der eindeutig hervor- gehe, dass er in Südamerika nicht geheiratet habe, beschied ein Beamter dem verdutzten Va- ter. Auch diese absurde büro- kratische Hürde wurde dank der «Kafka Brigade» abgebaut. In- zwischen reichen die Angaben der (niederländischen) Gemein- deverwaltungen, um ein Kind anzumelden. Freelance-Helfer Die «Kafka Brigade», das ist eine Handvoll junger Verwal- tungswissenschaftler, die sich selbst diesen Namen gaben. Sie hätten nicht einfach in den Chor der Kritiker einstimmen, son- dern konkret etwas gegen die grassierende Regelwut tun wollen, erläutert die 29-Jährige Lobke van der Meulen die Philo- sophie der Truppe. Die Fünfer- bande operiert unabhängig und wird in der Regel von Verwal- tungen auf Freelance-Basis für einzelne Fälle engagiert. Nicht, dass in den Niederlan- den «italienische Zustände» herrschen würden. Aber men- schenfeindliche Bürokratie, wie sie Franz Kafka in seinen Bü- chern beschrieb, gibt es trotz- dem. So regiert unter den ver- schiedenen Verwaltungsebenen (Gemeinde, Provinz, Staat, EU) oft das bürokratische Chaos. Gleichzeitig ist es hinter den Deichen üblich, ein Problem ein- fach zu «lösen», indem neue Re- geln erlassen werden. Mit fata- len Folgen: Meist bedeute dies, dass das ganze System für die grosse Mehrheit noch viel kom- plizierter werde, sagt Lobke van der Meulen. Noch schlimmer findet sie allerdings jene Fälle, wo sinnlose Entscheidungen ge- troffen werde, nur «weil es im Buch steht». Tausch von Visitenkarten Über mangelnde Arbeit kann sich die seit fünf Jahren beste- hende Truppe nicht beklagen. Im Gegenteil. Die Obrigkeit erhält je- des Jahr bis zu 600 Hilferufen von Bürgern, die sich im büro- kratischen Dickicht verirrt ha- ben. Ein Teil davon wird an die «Kafka Brigade» weitergeleitet. Diese sezieren zuerst einen Fall, analysieren ihn bis ins kleinste Detail. Zum Schluss gibts ein Treffen mit allen Betroffenen. Dieser runde Tisch sei für alle sehr lehrreich, berichtet Lobke van der Meulen. Denn dort zeige sich, wie simpel und einfach Hilfe sein könne: «Manchmal reicht bereits das Austauschen von Visitenkarten.» Von Elsbeth Gugger, Amsterdam Wie viele Menschen bisher von den Diensten der «Kafka Bri- gade» profitiert haben, ist kaum auszurechnen. Ganz sicher ge- hört aber jener beinamputierte Mann dazu, der jedes Jahr aufs Neue persönlich vor den Be- hörden erscheinen musste, um zu beweisen, dass er ein Anrecht auf eine Invalidenparkkarte hat. «Die denken wohl, meine Beine würden wieder nachwachsen», empörte er sich. Die «Kafka Bri- gade» nahm sich des Falles an. Seitdem bekommt er die spezielle Parkkarte automatisch zugeschickt. Abstrus ist auch das Beispiel eines jungen, unverheirateten Paares mit Konkubinatsvertrag, das während vier Jahren in Brasilien wohnte. Als die Frau nach der Rückkehr in die Nieder- lande ein Kind zur Welt brachte,

Die «Kafka Brigade» rückt aus gegen den Amtsschimmel · leine Schickedanz, die durch die Arcandor-Insolvenz (Karstadt, Quelle) grosse Teile ihres Ver-mögens einbüsste. Auch sie

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  • So wurde das Turiner Grabtuch gemacht

    einfachen Materialien und gerin-gen Kosten möglich war.» Einähnliches Tuch wurde über ei-nen Mann gehängt und mit ro-tem Ocker eingerieben.

    Die katholische Kirche be-hauptet nicht offiziell, dass dasTuch authentisch sei, betrachtetes aber als wichtiges Symbol desLeidens Christi. Kritiker hattenschon vor Jahrhunderten be-

    hauptet, bei dem Tuchhandle es sich um eineFälschung, deren einzi-ges Ziel es sei, Gläubigendas Geld aus der Taschezu ziehen.

    Heute wird das Tuchnur selten öffentlich ge-zeigt – zuletzt im Jahr2000, als mehr als 1 Mil-lion Pilger kamen. Dienächste Ausstellungwird auf Wunsch vonPapst Benedikt XVI. imApril nächsten Jahresstattfinden. (hbr)

    das in der Kathedrale von Turinaufbewahrt wird, der Leib Christinach der Kreuzigung eingehüllt.

    Viele Menschen behauptetenimmer noch, dass das Bild aufdem Tuch nicht mit Methodendes 14. Jahrhunderts hergestelltwerden könne, sagte Luigi Gar-laschelli, Chemieprofessor ander Universität Padua. «Wir ha-ben jetzt gezeigt, dass das mit

    Italienische Wissen-schaftler wollen dasGrabtuch von Turinreproduziert haben.

    Sie sind von Berufs wegen Skep-tiker und gehören dem italieni-schen «Komitee zur Kontrollevon Behauptungen des Paranor-malen» an. Diese Wis-senschaftler behauptenjetzt, die Methode he-rausgefunden zu haben,mit der das Grabtuchvon Turin im 14. Jahr-hundert hergestelltwurde. Zu dieser Zeitwurde das Tuch erstmalsurkundlich erwähnt.

    Das Leinentuch, dasvielen als heilig gilt, zeigteinen schemenhaftenAbdruck einer männli-chen Figur. Für Gläubigewurde mit diesem Tuch,

    Im Grabtuch sind die Umrisse eines männlichen Ge-

    sichts zu erkennen. Foto: A. Calanni (Keystone)

    12 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 7. Oktober 2009

    Kehrseite

    Foto: Ennio Leanza (Keystone)

    Entzückende Rücken Eine gewellte Landschaft sanfter Kuhrücken wargestern am Viehmarkt im Dorf Appenzell zu bewundern. (hbr)

    Die Krise trifft auchdie reichsten Deutschen

    arden auf 285,6 Milliarden Euro,ein Rückgang um 12 Prozent.Noch 99 Einzelpersonen oderFamilien verfügten über ein Ver-mögen von mindestens 1 Milli-arde Euro. Das sind 23 wenigerals noch vor einem Jahr.

    Porsche brach einZu den grössten Verlierern zäh-len die Familien Porsche undSchaeffler. Das Vermögen desPorsche-Clans sei im Zuge desgescheiterten Angriffs auf dieVolkswagen AG um 11 MilliardenEuro oder 71 Prozent zurückge-gangen.

    Auch für Maria-ElisabethSchaeffler endete die Mehrheits-übernahme der ReifenherstellerContinental AG dem Bericht zu-folge mit einem dicken Minus:Laut «Manager Magazin» verlorsie 92,4 Prozent ihres Vermö-gens und stieg von Rang 15 aufPlatz 260 ab – reich ist sie abernach wie vor.

    Gar nicht mehr in der Listeder reichsten Deutschen vertre-ten ist die Quelle-Erbin Made-leine Schickedanz, die durch dieArcandor-Insolvenz (Karstadt,Quelle) grosse Teile ihres Ver-mögens einbüsste. Auch sie nagtaber nicht am Hungertuch. (AP)

    Nur noch 99 Milliardärestatt 122 im Vorjahrverzeichnet dieses Jahrdie Liste der 300reichsten Deutschen.

    Die reichsten Deutschen sindausgerechnet die Besitzer derDiscount-Ketten Aldi und Lidl.Die Aldi-Gründer Karl und Theo-dor Albrecht verfügen jeweilsüber ein Vermögen von mehr als16 Milliarden Euro und belegendamit die ersten beiden Plätze inder gestern vom «Manager Maga-zin» veröffentlichten Rangliste«Die 300 reichsten Deutschen».Platz drei sicherte sich Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz miteinem Vermögen von 10 Milliar-den Euro. Auf Platz 6 behauptetesich Susanne Klatten, Erbin derFamilie Quandt (BMW), die we-gen eines Erpressungsversuchsdurch den Schweizer Helg Sgarbiin die Schlagzeilen geraten war.

    Die Wirtschafts- und Finanz-krise hat allerdings auch bei denSuperreichen ihre Spuren hin-terlassen. Nahezu alle Vermögenschrumpften, wie das Magazinberichtete. Insgesamt fiel derWert der 100 grössten Vermögenin Deutschland von 324,6 Milli-

    Madeleine Schickedanz kippte aus

    der Liste. Foto: EPA, KeystoneElisabeth Schaeffler verlor ein Ver-

    mögen. Foto: Keystone

    Hotmail-Datengeklaut

    Nach einem Hacker-Angriff ha-ben Tausende Kunden von Hot-mail den Zugang zu ihren E-Mail-Konten verloren. Der US-Soft-wareriese Microsoft sperrte denZugang zu den Konten, weil Ha-cker die Passwörter geknacktund im Internet veröffentlichthatten. Die sensiblen Datenseien den Kunden mithilfe dessogenannten Phishing entlocktworden. Dabei werden Nutzerbeispielsweise mit betrügeri-schen E-Mails zur Preisgabe ge-heimer Daten gebracht. (SDA)

    Kurz notiert

    Kokain in Fingerlingen.Genfer Grenzwächter haben inzwei Fällen über 5 KilogrammKokain sichergestellt. In einemFall hatten vier Autoinsassen280 Fingerlinge mit Kokain ver-schluckt und im Magen über dieGrenze in die Schweiz schmug-geln wollen. Im zweiten Fall wa-ren es bei zwei Autoinsassen132 Fingerlinge. Die beiden Fälleereigneten sich im August diesesJahres. (Ag.)

    Schmuckschmuggler gefasst.Schweizer Grenzwächter habenerneut rumänische Schmugglermit falschem Goldschmuck er-wischt. Im Auto mit vier Män-nern, die über Deutschland in dieSchweiz gekommen waren, ent-deckten die Beamten bei einerKontrolle bei Basel über 15 Kilo-gramm gefälschte Schmuckstü-cke. Die rund 1400 falschen Gold-ringe waren in Hohlräumen desWagens versteckt.

    Jet-Cetera

    Ernstes ge-wesen.» DasnächsteNicht-so-Ernste istauch schongesichtetworden: Inden letztenWochen soll

    Timberlake wiederholt mit Ri-hanna (21) geturtelt haben. Diebeiden arbeiten im Musikstudiozusammen, da kommt man sichnäher. Und mit ihrem Ex, demPrügelknaben Chris Brown,will Rihanna wirklich nichtsmehr zu tun haben. (SDA/hbr)

    Eigentlich ist es noch gar nichtoffiziell, aber gesprochen wirddarüber schon seit Wochen:Justin Timberlake (28) hat sei-ner Freundin Jessica Biel (27)den Laufpass gegeben. Ob be-stätigt oder nicht: Seine Gross-mutter Sadie Bomar rechtfer-tigt bereits das Ende der Bezie-hung. Sie sagte dem Magazin«Closer»: «Jessica freute sich da-rauf zu heiraten, aber Justin istnicht bereit dafür.» Bei Justinsei das schon immer so gewe-sen, er sei ein eingefleischterSingle. «Die Freundinnen kom-men und gehen, aber wir glau-ben, es ist bis jetzt nie etwas

    Welterbe zerstört

    Die zum Unesco-Weltkultur-erbe zählende antike Nabatäer-stadt Awdat in der Negev-Wüste in Israel ist von Unbe-kannten verwüstet worden.Der Minister für innere Sicher-heit sprach gestern von einem«schweren Verbrechen». In derNacht zum Montag waren inder Stätte Hunderte archäolo-gische Ausstellungsstücke zer-stört oder beschädigt worden.Die Polizei verdächtigt Bedui-nen aus den umliegenden Dör-fern, die sich so möglicher-weise für die Zerstörung ihrerWohnstätten durch Israel rä-chen wollten. (SDA)

    Jagd nach Löwin

    Mit zwei Helikoptern sucht eineSondereinheit der Polizei imNordosten Spaniens nach einerLöwin, die mehrere Spaziergän-ger und Jogger in Angst undSchrecken versetzt hat. Sie hat-ten die Löwin in der Gegend süd-lich von Tarragona gesehen. DiePolizei vermutete, dass das Tieraus einem Zirkus entwischt istoder aus dem Besitz eines An-wohners, der die Raubkatze alsHaustier gehalten hatte. (SDA)

    Die «Kafka Brigade» rückt ausgegen den AmtsschimmelWenn sich Bürger in den Niederlanden im bürokratischen Dschungel verirren,

    kommt ihnen eine kleine Expertengruppe zu Hilfe.

    gelang es ihrem Partner nicht, esim Gemeindehaus registrierenzu lassen. Zuerst müsse er eineeidesstattliche Erklärung derbrasilianischen Behörden vorle-gen, aus der eindeutig hervor-gehe, dass er in Südamerikanicht geheiratet habe, beschiedein Beamter dem verdutzten Va-ter. Auch diese absurde büro-kratische Hürde wurde dank der«Kafka Brigade» abgebaut. In-zwischen reichen die Angabender (niederländischen) Gemein-deverwaltungen, um ein Kindanzumelden.

    Freelance-HelferDie «Kafka Brigade», das ist eineHandvoll junger Verwal-tungswissenschaftler, die sichselbst diesen Namen gaben. Siehätten nicht einfach in den Chorder Kritiker einstimmen, son-dern konkret etwas gegen diegrassierende Regelwut tun

    wollen, erläutert die 29-JährigeLobke van der Meulen die Philo-sophie der Truppe. Die Fünfer-bande operiert unabhängig undwird in der Regel von Verwal-tungen auf Freelance-Basis füreinzelne Fälle engagiert.

    Nicht, dass in den Niederlan-den «italienische Zustände»herrschen würden. Aber men-schenfeindliche Bürokratie, wiesie Franz Kafka in seinen Bü-chern beschrieb, gibt es trotz-dem. So regiert unter den ver-schiedenen Verwaltungsebenen(Gemeinde, Provinz, Staat, EU)oft das bürokratische Chaos.

    Gleichzeitig ist es hinter denDeichen üblich, ein Problem ein-fach zu «lösen», indem neue Re-geln erlassen werden. Mit fata-len Folgen: Meist bedeute dies,dass das ganze System für diegrosse Mehrheit noch viel kom-plizierter werde, sagt Lobke vander Meulen. Noch schlimmer

    findet sie allerdings jene Fälle,wo sinnlose Entscheidungen ge-troffen werde, nur «weil es imBuch steht».

    Tausch von VisitenkartenÜber mangelnde Arbeit kannsich die seit fünf Jahren beste-hende Truppe nicht beklagen. ImGegenteil. Die Obrigkeit erhält je-des Jahr bis zu 600 Hilferufenvon Bürgern, die sich im büro-kratischen Dickicht verirrt ha-ben. Ein Teil davon wird an die«Kafka Brigade» weitergeleitet.Diese sezieren zuerst einen Fall,analysieren ihn bis ins kleinsteDetail. Zum Schluss gibts einTreffen mit allen Betroffenen.Dieser runde Tisch sei für allesehr lehrreich, berichtet Lobkevan der Meulen. Denn dort zeigesich, wie simpel und einfachHilfe sein könne: «Manchmalreicht bereits das Austauschenvon Visitenkarten.»

    Von Elsbeth Gugger,AmsterdamWie viele Menschen bisher vonden Diensten der «Kafka Bri-gade» profitiert haben, ist kaumauszurechnen. Ganz sicher ge-hört aber jener beinamputierteMann dazu, der jedes Jahr aufsNeue persönlich vor den Be-hörden erscheinen musste, umzu beweisen, dass er ein Anrechtauf eine Invalidenparkkarte hat.«Die denken wohl, meine Beinewürden wieder nachwachsen»,empörte er sich. Die «Kafka Bri-gade» nahm sich des Falles an.Seitdem bekommt er diespezielle Parkkarte automatischzugeschickt.

    Abstrus ist auch das Beispieleines jungen, unverheiratetenPaares mit Konkubinatsvertrag,das während vier Jahren inBrasilien wohnte. Als die Fraunach der Rückkehr in die Nieder-lande ein Kind zur Welt brachte,