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DIE KONVERSION VON DEUTSCHEN FRAUEN ZUM ISLAM Festgestellt werden kann, dass die Beziehung der Religion zu den Wissenschaftsdisziplinen, die die Gesellschaft erforschen, derzeit an Bedeutung gewinnt. Sowohl die religii:is-kulturellen als auch soziologisch-psychologischen Untersuchungen fokussieren auf die folgende Frage, wie die Religion das Verhalten des Individiuums tmd der Gesellschaft beeinflusst. Die Konversion in Deutschland besonders die der Frauen bietet interdiszipliniire Untersuchungssperspektiven von den Themenbereichen "Migration"/"Integration" bis hin zur "Identitiit"/"Politik". Eine der am meisten diskutierten Aspekte dabei sind die Beseitigung frauenrechtlicher Hindemisse und das Verhalten von deutschen Konvertitinnen beziiglich der Kopftuchftage. In diesem Artikel wird dieses Thema dargelegt. Schliisselwiirter: Religionen, Islam, Konversion, Integration, Deutsche Frauen und Muslime ALMAN KADINLARININ iSLAMA GECiSi DiNi-KOLTUREL BiR ARASTIRMA Fark edilmektedir ki, din ile toplumu bilim disiplinleri arasmdaki ili§ki giini.imiizde onem kazarrmaktadtr. Hem dini-kiiltiirel hem de sosyolojik-psikolojik 9ah§malar, "Din, bireyin ve toplrrmun davram§mt nas1l etkilemektedir?" sorusuna Bu baglamda Almanya'da din degi§tirme -i:izellikle kadmlarda- ve gi:i9/entegrasyondan kimliklsiyasete kadar disiplinleraras1 ara§ttrma perspektifleri surrmaktadrr. Burada en hususlardan biri Ahnan kadmlarmm din degi§tirme eyleminde kadm haklanna ili§kin engelleri nastl a§ttgt ve ba§i:irtiisii hakkmda nas1l davrandtgtdtr. Makalede, bu konu tartt:;alacaktJr. Anahtar Kelimeler: Din, islam, Din Degi§tirme, Entegrasyon, Ahnan Kadmlar ve Miisliimanlar Das Verhaltnis der Religionen zur Modeme, zum sakularen Staat und zur pluralistischen Gesellschaft ist eines der wichtigsten Untersuchungsgebiete der heutigen Wissenschaft geworden. Die Situation lasst sich mit dem Ausdruck ,Wiederkehr der Religionen" beschreiben. 1 Im Endeffekt spielen die Disziplinen der sich mit religiosen Fragen befassenden Wissenschaften (Religionsphilosophie, -soziologie, -psychologie, - geschichte) eine wichtigere Rolle. Ahnlich gewinnt Religion auch in den westlichen Gesellschaften und Politik an Bedeutung. Dabei werden neben dem Christentum auBereuropaische Religionen wie Islam, Buddhismus oder Hinduismus offentlich immer mehr interessie1i. Es lasst sich feststellen, dass der Islam in Europa nicht mehr allein von Migranten, sondem auch von der Einheimischen- als Folge der Konversion- vertreten wird? Gegen diese Religion bestehen sowohl positive als auch negative W ahmehrnungen. Dies wird auch im Rahmen der Mobilisierung von Religionen in Europa disk:utiert? * Yrd. Do9., istanbul Medeniyet Universitesi, Siyasal Bilgiler Fakiiltesi, Uluslararast Bi:iliimi.i, [email protected]. 1 Vgl. Malik, Jamal/Manemann, Jiirgen: Religionsproduktivitiit in Europa, 2009. 2 V gl. Hervieu-Leger, Daniele: Pilger und Konvertiten. Religion in Bewegung. 2004. 3 Vgl. Malik, Jamal: Mobilisienmg von Religionen in Europa, 2010.

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DIE KONVERSION VON DEUTSCHEN FRAUEN ZUM ISLAM

Festgestellt werden kann, dass die Beziehung der Religion zu den Wissenschaftsdisziplinen, die die Gesellschaft erforschen, derzeit an Bedeutung gewinnt. Sowohl die religii:is-kulturellen als auch soziologisch-psychologischen Untersuchungen fokussieren auf die folgende Frage, wie die Religion das Verhalten des Individiuums tmd der Gesellschaft beeinflusst. Die Konversion in Deutschland ~ besonders die der Frauen ~ bietet interdiszipliniire Untersuchungssperspektiven von den Themenbereichen "Migration"/"Integration" bis hin zur "Identitiit"/"Politik". Eine der am meisten diskutierten Aspekte dabei sind die Beseitigung frauenrechtlicher Hindemisse und das Verhalten von deutschen Konvertitinnen beziiglich der Kopftuchftage. In diesem Artikel wird dieses Thema dargelegt.

Schliisselwiirter: Religionen, Islam, Konversion, Integration, Deutsche Frauen und Muslime

ALMAN KADINLARININ iSLAMA GECiSi ~ DiNi-KOLTUREL BiR ARASTIRMA

Fark edilmektedir ki, din ile toplumu ara~trran bilim disiplinleri arasmdaki ili§ki giini.imiizde onem kazarrmaktadtr. Hem dini-kiiltiirel hem de sosyolojik-psikolojik 9ah§malar, "Din, bireyin ve toplrrmun davram§mt nas1l etkilemektedir?" sorusuna yogunla~maktad1r. Bu baglamda Almanya'da din degi§tirme -i:izellikle kadmlarda- ve gi:i9/entegrasyondan kimliklsiyasete kadar disiplinleraras1 ara§ttrma perspektifleri surrmaktadrr. Burada en tart1~mah hususlardan biri Ahnan kadmlarmm din degi§tirme eyleminde kadm haklanna ili§kin engelleri nastl a§ttgt ve ba§i:irtiisii hakkmda nas1l davrandtgtdtr. Makalede, bu konu tartt:;alacaktJr.

Anahtar Kelimeler: Din, islam, Din Degi§tirme, Entegrasyon, Ahnan Kadmlar ve Miisliimanlar

Das V erhaltnis der Religionen zur Modeme, zum sakularen Staat und zur pluralistischen Gesellschaft ist eines der wichtigsten Untersuchungsgebiete der heutigen Wissenschaft geworden. Die Situation lasst sich mit dem Ausdruck ,Wiederkehr der Religionen" beschreiben. 1 Im Endeffekt spielen die Disziplinen der sich mit religiosen Fragen befassenden Wissenschaften (Religionsphilosophie, -soziologie, -psychologie, -geschichte) eine wichtigere Rolle.

Ahnlich gewinnt Religion auch in den westlichen Gesellschaften und Politik an Bedeutung. Dabei werden neben dem Christentum auBereuropaische Religionen wie Islam, Buddhismus oder Hinduismus offentlich immer mehr interessie1i. Es lasst sich feststellen, dass der Islam in Europa nicht mehr allein von Migranten, sondem auch von der Einheimischen- als Folge der Konversion- vertreten wird? Gegen diese Religion bestehen sowohl positive als auch negative W ahmehrnungen. Dies wird auch im Rahmen der Mobilisierung von Religionen in Europa disk:utiert?

* Yrd. Do9., istanbul Medeniyet Universitesi, Siyasal Bilgiler Fakiiltesi, Uluslararast ili~ki.ler Bi:iliimi.i, [email protected]. 1 Vgl. Malik, Jamal/Manemann, Jiirgen: Religionsproduktivitiit in Europa, 2009. 2 V gl. Hervieu-Leger, Daniele: Pilger und Konvertiten. Religion in Bewegung. 2004. 3 Vgl. Malik, Jamal: Mobilisienmg von Religionen in Europa, 2010.

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Das Thema der Konversion umfasst unterschiedliche Aspekte u.a. religios­theologische, soziologische und politische, womit man sich auch im wissenschaftlichen Bereich beschiiftigt. Obwohl viele Aspekte dieses Phiinomens inzwischen sowohl theoretisch als auch empirisch untersucht werden, lassen sich bei der Lektiire des gegenwiirtigen F orschungs- und Literaturstandes bislang wenig erforschte Themen uber v.a. deutsche Konvertitinnen konstatieren.4 Hierzu wird die Rolle der Frau im Islam auf Grund folgender Diskussionspunkte - Kopftuch, dem Mann Untergeordnet sein, Schwimmunterricht etc. - besonders diskutiert. Aus diesen Grunden kann man davon ausgehen, dass eine Konversion der Frau eine groBere Herausforderung als eine Konversion des Mannes ist. Uberdies steht der Islam spiitestens seit dem 11. September 2001 und den dadurch ausgelosten Diskussionen in vielerlei Hinsicht fur das ,Fremde" und ,Andere" hiesiger Gesellschaften.5

In diesem Artikel wird argumentiert, class ein ,negatives" Bild des Islam (z.B. beziiglich der Jihad bzw. Terrorismusfrage ), das es sich in der eigenen Gesellschaft/Umgebung befindet, in einem ,Konstruktion - Dekonstruktion"-Prozess einen ,positiven" wandeln soll, damit die Konversion entstehen kann. Ferner wird spezifisch behauptet, dass die Frage der Konversion von deutschen Frauen zum Islam bestimmte Hindemisse hat, die vor der Konversion beseitigt werden sollen. Hierbei ist die Untersuchung der folgenden Frage unerliisslich, wie deutsche Konvertitinnen frauemechtliche Konversionshindernisse uberwiiltigen und wie sie hinsichtlich der Kopftuchfrage agieren.

Im ersten Forschungsschritt werden zahlenmiiBige Daten der Konversion in Deutschland erkliirt. Im Anschluss kommt ein Uberblick iiber die Konversion und die Konversionsforschung. Im niichten Schritt werden die Griinde der Konversion von deutschen Frauen zum Islam und der Mechanismus der Beseitigung von Konversionshindemissen geschildert. Schliesslich werden die Kopftuchfrage und die Reaktionen von deutschen K.onvertitinnen dargestellt.

Zahlenmiifiige Daten der Konversion

In Deutschland leben durchschnittlich 4 Millionen Muslime, was 5 Prozent der Gesamtbevolkerung ausmacht.6 Der Islam ist somit hier die zweitgroBte Glaubensgemeinschaft Deutschlands nach den zwei groBen christlichen Glaubensgemeinschaften der Protestanten und K.atholiken. Zwischen 2004 und 2007 sei die Zahl der jiihrlichen Konversionen von 350 auf etwa 4000 gestiegen? Diese Zahlen

4 Vgl. Filter Cornelia, Mein Gott istjetzt Allah und ich befolge seine Gesetze gem, 2008, S. 198ff. 5 Vgl. Hafez, Kail Richter, Carola, Das Islambild von ARD und ZDF, in: APuZ, (2007) 26-27, S. 40-46. 6 V gl. Bundesamt fiir Fluchtlinge und Migration, Islam und muslimisches Leben in Deutschland, in: http://www.integration-in-deutschland.de/lm _ 282926/SubSites/Integration/DE/0 1_ U eberblick!ThemenUnd­Perspektiven/Islam/Deutschland/deutschland-node.html? nnn=true (05.02.2011). 7 Vgl. Spiewak, Martin, Meinungsstark, aber ahnungslos, in: http://www.zeit.de/2007/17/B­Islam?page=all (27.01.2011); Stem, Islam Andrang bei den Outsidem, in: http:/ /www.stem.de/politikldeutschlandlislam-andrang-bei-den-outsidem-551414.html (27.0 1.2011 ).

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ismail ERMAGAN

und ihre Generierung gelten meist wissenschaftlich nicht als nachvollziehbar. Sie wurden auch von den verbreitenden Medien als nicht plausibel bewertet. ,Konversionen zum Islam konnen statistisch nicht erfasst werden, weil die religiose Angehorigkeit bei Volksziihlungen in Deutschland nicht erfasst wird, bei Erhebungen fur die (Kirchen­)Steuer der Islam als ,andere Religionen' angegeben wird und Konversionen zum Islam nicht registriert werden. "8

Diesbeziiglich schiitzt Michael Muhammad Abduh Pfaff, Vorsitzender der Deutschen Muslim Liga, Folgendes: ,Deutsche Konvertiten, ihre Kinder und Kindeskinder gibt es etwa 80.000. ,Ethnisch' Deutsche diirften daher ungefahr 2,5 Prozent aller Muslime in Deutschland sein. Deutsche Konvertiten im eigentlichen Sinne sind circa 36.000."9 Er denkt, dass etwa zwei Drittel der Konvertiten durch Heirat zum Islam gekommen sind. Es seien iiberwiegend Frauen, die, obwohl keine Notwendigkeit der Konversion fur die Eheschlie13ung mit einem Muslim besteht, durch den familiiiren Kontakt die Religion fur sich entdeckt haben.

Die Konversion und die Konversionsforsclmng: Ein Uberblick

Der Begriff ,Konversion" hat eine lateinische Abstammung, niimlich ,conversio", was ,umwenden, umkehren" bedeutet. 10 Im Allgemeinen kann man die Konversion als die Ubemahme von neuen, anderen Religion bzw. ihrer Glaubensnonnen, Traditionen und Gewohnheiten definieren. Eine Person, die den Prozess der Konversion durchlaufen hat, nennt sich ,Konvertit" (griechisch ,Hinzugekommener'').

Die religionssozilogische Konversionsforschung beleuchtet unterschiedliche Aspekte der Konversion. So kann die Konversion ,sich einmal darauf beziehen, class eine Person von einer religiosen Organisation oder Gruppierung in eine andere wechselt. Sie kann iiberdies die damit verbundene Neuorientierung bezeichnen, also die Ubemahme des Sinnsystems der betreffenden Organisation oder Gruppierung. Konversion bezieht sich aber auch auf V eriinderungen der Handlungs- und Kommunikationsmuster, die mit dem Wechsel verbunden sind. Und schliel3lich kann sich die Konversion auf eine besondere Erfahrung beziehen."11

Laut Thurn ist ,[ d]as wichtigste Ereignis hier ein Frieden oder Heilsgewissheit schenkendes Erlebnis"12

. Mohr beschreibt Konversion als den Abschied von einem bisher giiltigen, gestalteten W eltbild und das Finden eines anderen. 13 Mit dem religiosen Wechsel erfahre man die Veriinderung sozialer Zugehorigkeiten sowie seines

8 Vgl. Sternbach, Uta: 2009, S. 30. 9 Vgl. Zinoun, Katrin, Glaubenswechsel (Konversion). Religion als Therapie?, in: http://www.kandil.de/kandiVrnore.php?id=-glaubenswechsel-konversion _ 0 _ 8 _ 0 _ M157 (30.0 1.2011 ). 10 Vgl. Thurn, B., Artike1 ,Bekehrungserlebnis", in: Re1igionswissenschaft1iches Wi.irterbuch, 1956, S. 112. 11 Vgl. Sternbach, Uta, a.a.O., S. 30. 12 Vgl. Thurn, B. a.a.O. 13 Vgl. Mohr, Hubert. 1993, S. 124ff.

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Weltbildes. In dieser Hinsicht sieht Sprondel die Konversion als ,die Neustmkturierung von alten und neuen Inhalten"14

Nach Bauman ist bei der Untersuchung von. Konversion zweifach zu unterscheiden: ,zwischen der Definition eines passiven Erlebens und eines aktiven Strebens nach einer neuen Glaubenshaltung sowie zwischen dem personlichen Wandel und den sozial-stmkturellen V eranderungen. "15

Als Beginn der Konversionsforschung kann man auf das religionspsychologische Werk von William James (1842-1910) - ,The Varieties of Religious Experience" - hinweisen. 16 Bier wurden vor allem innerpsychologische Prozesse von positiv wahrgenommenen Bekehmngserfahmngen expliziert. Demgegeniiber bewertete die psychoanalytische Forschung die Konversion als pathologische Regression17

. Spater werden durch die sozialpsychologische und soziologische Untersuchung auch mogliche integrative und heilende Effekte der Konversion bestatigt. 18 Eine religionssoziologische Untersuchung wird ab den 1960er Jahren verwirklicht. Hierdurch und besonders im angelsachsischen Raum fokussierte die Forschung auf die Ursachen der Konversion, wo die Sozialisation und soziale Einbindung in Bezugsgmppen im Mittelpunkt standen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden mehrheitlich soziale, kulturelle und religiose Kontexte der Konversion untersucht.

Ein Paradigmenwechsel in der Konversionsforschung entstand in der 1980er Jahre durch die Etabliemng der kommunikativen Dimensionen, namlich ,Rhetorische Muster"19 von Konversion wie die Rekonstmktion der Biographie oder die Annahme der Konvertitenrolle. Folglich wurde eine ,Selbsttransformation durch Kommunikation" bzw. die Konversionserzahlung als Quelle gegenwartiger Orientierungen angenommen. Die Konversionserzahlung wird von Ulmer als eine rekonstmktive Gattung betrachtet.20 Nach ihm ist beziiglich der Konversionsursache die religiose Erfahmng von besonderer Bedeutung. Ferner hebt er die ,dreigliedrige Stmkturiemng" der Konversionserzahlung hervor: Wendepunkt, die Zeit vor der Konversion und die Zeit nach der Konversion. In der Konversionsforschung ist die Konversionserzahlung eine zentrale Methodik und derzeit hat die funktionalistische Analyse eine starke Stimme.

Die Kulturwissenschaftlerin Wohlrab-Sahr betrachtet die Konversion als einen radikalen Bmch, wobei das Leben neuinterpretiert und -organisiert wird. Die Religionswissenschaftlerin Baumann sieht die Konversion als eine Art religiose W eiterentwicklung. N ach ihr interpretieren die Konvertiten ihre Entscheidung zum

14 Vgl. Sprondel, Walter M., Subjektives Erlebnis und das Institut der Konversion. 1985, S. 552. 15 V gL Bauman, Maria Elisabeth: Frauenwege zum Islam. 2003, S. 55. 16 James, William, The Varieties of Religious Experience: A Study in Human Nature, 1902. 17 Lotz-Heumann, Ute I Pohlig, Matthias I Missfelder, Jan-Friedrich (Hgg.), Konversion und Konfession in der Friihen Neuzeit. 2007. 18 Heidrich, Christian, Die Konvertiten. Uber religiose und politische Bekehrungen. 2002. 19 Vgl. Sternbach, Uta, a.a.O., S. 33. 20 Ebd.

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ismail ERMAGAN

(Jbergang zum Islam auch als ,Update des Christentums". ,Wie sehr sich die Forschungsansatze auch unterscheiden mi:igen, alle sind sich weitgehend darin einig, class durch die Konversion keine vi:illig neue Person entsteht, sondem alte und neue Inhalte neu geordnet und gewertet werden. Die Art und Weise, wie man Erfahrungen macht und interpretiert, wie man sich in einem gesellschaftlichen Rahmen verhalt, verandert sich durch die Annahme einer anderen Religion."21

In der Forschung wird femer gefragt, ob die Personen bei ihrer Konversion eine passive oder aktive Rolle spielen. Heutzutage wird von den meisten Forschem verweigert, dass eine Bekehrung durch eine Art ,Gehimwasche" stattfindet. Wahrend der englische Popsanger Cat Stevens bei seiner Konversion zum Islam - durch eine Krisenerfahrung bzw. Selbstuntersuchung - aktiv war, spielte Anna Maria Lagerblom (Sarah Connors Sch~ester und Ex-Freundin tiirkischstammiger deutscher NationalfuBballer Mesut Ozil)- durch eine Liebebeziehung- eher eine passive Rolle.

Die Griinde der Konversion von deutschen Frauen zum Islam

In der Konversionsforschung liegt ein besonderes Interesse an den Motiven und Ursachen der Konversion. In erster Linie kann behauptet werden, dass ein starkes personen-, gruppen- oder diskursbezogenes Interesse am Islam existieren muss, damit es zu einer Konversion kommt. Grob gesagt, ki:innen eine Liebesbeziehung, die Neugier durch die soziale Umgebung bzw. einen ,muslimisch-freundlich- und zuverlassigen" Schul- oder Arbeitsfreund, die Bewunderung fur die engen Bande einer muslimischen Familie, die Kontakte wahrend eines Aufenthaltes in einem islamischen Land die ersten Schritte auf dem W eg zur Konversion sein.

In der Konversionsforschung gibt es mittlerweile viele rationale Erklarungsansatze. Jedoch lasst sich fur alle Konvertiten nicht von einem gemeinsamen Konversionsmotiv ausgehen. Zudem ist die positive Macht der Religion als eine moralische Therapie fur die Gesellschaft/Individuum bzw. eine wahrhaftige religiose Suche nicht zu ignorieren. Dabei erscheint ,das Zusammenspiel von einer Krisenerfahrung und einer intensiven Beziehungserfahrung" dennoch als der resiimierende Befund vieler wissenschaftlicher Studien. Zum Beispiel unterstreicht der Religionspsychologe Sebastian Murken die Bedeutung der Beziehungserfahrungen. Nach ihm kommt oft der erste Kontakt zu einer neuen Religion uber Beziehungen ZllStande. ,Die Ausstrahlung, Glaubensgewissheit und !deale dieser Personen wecke das Interesse fur den Glauben und ziehe haufig auch eine intensive Gruppenerfahrung, ein Gefuhl von ,Zuhause' nach sich.'m

Dariiber hinaus betrachten John Lofland und Norman Skonovd die Konversion ,weitgefasst als die Aufgabe einer weltordnenden Perspektive zugunsten einer anderen und unterscheiden zwischen sechs idealtypischen Motivmustem, die zu einem

21 V gl. Zinoun, Katrin: a.a.O., http://www.kandil.de/kandil/more.php?id=-glaubenswechsel-konversion 0 8 0 Ml57. 22 Ebd. ~ ~ ~ ~

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Glaubenswechsel fuhren konnen: der intellektuellen, mystischen, experimentellen, affektiven, erweckenden und zwangsweisen Konversion. Demnach finden intellektuelle Konversionen meist ohne sozialen Druck und mit einem hohen MaB an intellektueller Auseinandersetzung mit der Religion statt. ,m

Nach Leuenberger sehen viele Konvertiten ,den Islam als eine alternative Lebensweise und suchen nach in westlichen Gesellschaften verloren geglaubten Werten und Vorstellungen. Die Befragten nennen die Logik und Einfachheit der islamischen Religion, den strengen Monotheismus, den direkten Bezug zu Gott, die SpiritualiUit, sowie die den gesamten Alltag umfassende Lebensweise als Beweggriinde, den islamischen Glauben anzunehmen. Im Islam wichtige Werte wie Gemeinschaft, Gastfreundlichkeit sowie Familienorientierung sind Punkte, die von den Konvertiten ebenso hervorgehoben werden."24

Ein weiteres Modell formuliert Rambo. Hiemach durchHiuft der Konvertierende im Veriinderungsprozess idealiter sieben thematische Stufen: kultureller, gesellschaftlicher, personlicher und religioser Kontext der betroffenen Person, die Krise als Ausloser fur den Wandel, die Suche nach Erfullung und ihre Motive, die Begegnung mit dem Fiirsprecher der neuen Religion, die Interaktion und das Auflcommen von Ritualen, Rhetorik sowie die Ubemahme neuer Rollen durch den Konvertierten, Bindungen und Verpflichtungen, die ein Konvertierter nach seiner Konversion eingeht sowie Effekte und Konsequenzen, die mit der Konversion einhergehen?5

Wie viele andere Konversionsforscher vertritt W ohlrab-Sahr die Ansicht, class die Konversion als eine Strategie zur Bewiiltigung von Lebenskrisen zu betrachten ist. Sie fragt danach, warum die Konversion biografisch Sinn macht oder welche Funktion sie im Lebenslauf der Person erfullt. W ohlrab-Sahr betont hierzu drei Erfahrungstypen26

:

(1) Implementation von Geschlechtsehre: Die hauptsiichlichen Motive sind hierbei die Erfahrungen personlicher Entwertung im Bereich der Sexualitat und des Geschlechterverhiiltnisses sowie die Erlebnisse der V erunsicherung beziigl~ch der Auflosung bestehender Geschlechterordnungen. Die Konversion zum Islam wird als ,Religion der Moral" bewertet. AuBerdem werden die Erfahrungen durch die islamische Symbolik (z.B. Schleier) symbolisiert. Hinsichtlich des Geschlechterverhiiltnisses wird dadurch eine neue Ordnung aufgebaut bzw. eine Geschlechtsehre eingefuhrt.

(2) Methodisierung der Lebensfuhrung: Dabei spielen Erfahrungen des Scheitems der als entscheidend gehaltenen Aufstiegsversuche eine bestimrnende Rolle. Die Konversion zum Islam wird als ,Religion der Disziplin" wahrgenomrnen. Damit

23 Vgl. Lofland, John/ Skonovd, Norman, Conversion Motifs, in: Journal for the Scientific Study of Religion, 20 (1981) 4, S. 373-385. 24 V gl. Leuenberger, Susanne, VieWiltige Beweggriinde. Konversion zum Islam in Europa. In: http://www. schattenblick.net/infopool/religion/islam/risbe084.html ( 13 .5 .20 12). 25 Vgl. Rambo, R. Lewis, Understanding Religious Conversion, 1993. 26 Vgl. Wohlrab-Sahr, Monika: Konversion zum Islam in Deutschland nnd den USA, 1999.

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wird die Stabilisierung bzw. die Umstrukturierung des Aufstiegswunsches gezielt. Im Endeffekt konne man durch den Islam seine Lebensfuhrung methodisieren.

(3) Symbolische Emigration/symbolischer Kampf: Hier stehen Erfahrungen unsicherer ZugehOrigkeit im nationalen/ethnischen Kontext im Mittelpunk:t. Der Islam diene als symbolische Emigration oder als symbolischer Kampf. Die Konversion zum Islam wird als ,Ideologie" betrachtet. Dber die Identitiit als Muslim oder Muslima wird eine neue Form globaler Zugehorigkeit gebildet und die moglichen Probleme werden somit neu formuliert.

Ferner ist laut Pfaff in einigen Fallen die Ursache der Konversion zum Islam die SolidariHit mit den ,Unterdriickten". Zu dieser Gruppe gehorten Globalisierungsgegner und Kritiker eines westlichen Imperialismus.

Der Mechanismus der Beseitigung von Konversionshindernissen

Im Hinblick auf die Konversion von Frauen zurn Islam kann beobachtet werden, dass die Interessierten vor der Entscheidung auf die Konversion in einem bestimmten Zeitraum vorbereiten. Damit werden Informationen oder Erfahrungen tiber die Religion (weiter) gesammelt. Es wird versucht, die moglichen Konversionshindemisse durch bestimmte Prozesse bzw. Faktoren iiberwunden zu werden. Diese sind folgende27

:

1) Selektive Aufnahme von Informationen: Dies erfolgt durch, dass a) aktiv nach Dissonanz verringemder Informationen gesucht, b) von Dissonanz vermehrenden Informationen femgehalten oder c) die subjektive Wichtigkeit eines dissonanten Elements reduziert wird. Femgebliebene Informationen haben einen islamkritischen sowie fundamentalistisch-islamischen Charakter. Hierfur werden z. B. die religiosen Bucher von Muslimen gelesen, da westliche Orientalisten ihre Bucher aus eurozentrischer Sicht und mit arrogantem Unterton verfassen konnten. AuBerdem werden von zu strengen Lektiiren muslimischer Autoren distanziert, weil sie als abschreckend auswirken konnten.

2) Soziale Unterstiitzung: Westlich sozializierte, dann konvertierte Frauen wiirden in ihrer Gesellschaft als ,die Andere" distanziert. Hierbei fungiert die Existenz der Muslime in der Umgebung als einen unterstiitzenden Faktor. Also wird der Islam nicht nur als Religion, sondem auch als Gemeinschaft betrachtet. ,In ihr wollen die Frauen ihre Werte leben, ohne dabei allein zu stehen. Uber die gleichen Ziele hinaus beschreiben sie eine emotionale Verbundenheit mit der sie jeweils integrierenden Gruppe der Muslime. [ ... ] Gliiubige werden damit nicht nur in ihren religiosen Uberzeugungen bestiirkt, sondem auch sozial bestiitigt. "28

3) Eine Differenzierung von Tradition und Religion: Von den meisten muslimischen Gelehrten werden hervorgehoben, dass es in manchen sensiblen

27 Sternbach, Uta: 2009, S. 37-44. 28 Vgl. Bauman, Maria Elisabeth: a. a .0., S. 216.

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Themen des Islam (wie die Position der Frau) eine Verfalschung gabe. Das heiBt, Tradition und Religion werden gemischt bewertet bzw. wahrgenommen. Patriarchale Gewohnheiten wiirden nicht aus der Religion selbst, sondem der Tradition der jeweiligen Islam-Lander stammen.

Hinsichtlich der Differenzierung von Tradition und Religion bzw. der Stellung der Frau in den muslimischen Gesellschaften bzw. im Islam erweist sich eine einheitliche Darstellung als problematisch: Die Rechte und die Wahmehmung der Frau variieren von Land zu Land sehr, obwohl es sich urn islamisch gepragte Lander handelt. Beispielsweise ist es im Saudi-Arabien der Wahhabiten den Muslimas untersagt, Auto zu fahren, weil der Schleier sie hindere, das Fahrzeug sicher im Verkehr zu lenlcen. Hingegen gibt es keine solche Beschrankung in der Tfukei. Nach Falaturi haben die von den Kritikem betonte niedrige Einstufung, Diskriminierung und Benachteiligung der Frauen in den islamischen Landem ihre Wurzeln mehr in den ethnisch bedingten Sitten und Gesellschaftsstrukturen der Volker, die den Islam angenommen haben, und weniger im Islam selbst.29

Im V ergleich zum vorislamischen Arabertum brachte der muslimische Prophet Mohammed mit bedeutenden Reformen beinahe als feministisch einzuschatzende Grundrechte fur die Frauen. Zu konstatieren ist, dass die Frau in den Nomadengemeinschaften dem Mann nicht gleichgestellt war, sondem als ein verfugbares Wesen betrachtet wurde. Sogar Madchen konnten in Notzeiten bei der Geburt getotet werden, urn die Nahrungsration des Bruders zu steigem, was wiederum vom Islam verbietet wurde. 30 Allerdings erklart Murad Hofmann, dass die frauenfreundliche Politik des Propheten bald nach dem Tod Mohamrneds durch das Wiedereindringen vorislamischer, frauenfeindlicher Position in ihrer Idee stark herabgewiirdigt wurde. Er behauptet, dass ahnliche Neigungen in den Selbstverstandnissen muslimischer Manner bis heute als ,arabischer Eifersuchts- und Macho-Kult lebendig geblieben" sind.31

In der westlichen Welt wird zum groBten Teil geglaubt, dass die Frauen in den muslimischen Gesellschaften in den sozialen sowie rechtlichen Bereichen iiberwiegend eingeengt sind, und ihr Status ist meistens unter die Autoritat des Mannes unterordnet ist.32 Einstweilen lassen sich auch muslimische Frauenorganisationen bemerken, die sich fur ihre Rechte gegen mannliche Autoritat positionieren. Unter anderem forderte die Muslim Women's League USA Folgendes: ,Die Herrschaft iiber und Unterdriickung von Frauen war die Folge von Einschrankungen sozialer Beziehungen, die es der Fiihrung von Regierungen ermoglichten, Frauen grundlegende

29 V gL Falaturi, Abdoldjavad, Die Stellung der Frau im Islam, in: http://www.islamische­akademie.de/falaturi /stellungderfrau.htm (08.6.2012). 30 In Sme 17, Vers 31 wurde es lclar deklariert: ,Und totet nicht Eure Kinder aus Fmcht vor Verannung ( ... )". Weitere Belege Sure 16, Vers 58 und Sure 43:17. 31 Vgl. Hofmann, Murad, 1992, S. 164ff. 32 Vgl. Akashe-Biihme, Farideh, Die islamische Frau ist anders, in: http://www.arte-tv.com/ de/geschichtegesellschaft/islam/775880.html (08.11.20 1 0).

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Ismail ERMAGAN

Menschenrechte zu verweigem und den Islam zu benutzen, urn deren Position zu . ,a3

fest1gen.

Die Kopftuchfrage und die Reaktion.en von deutschen. Kon.vertitin.n.en

Frauenrechtliche Aspekte des Islam bzw. diesbeziigliche Tendenzen in den muslimischen Gesellschaften werden durch die Konvertitinnen naher untersucht, bevor die Konversion geschehen ist. In diesem Prozess werden besonders rationale ErkUirungen fiir die folgenden Fragen gesucht: Ist das wirklich so, dass 1) die Frauen im Islam keine Rechte haben, 2) dass die Frauen gepriigelt werden di.irfen und 3) dass die Frauen unbedingt Kopftuch tragen mi.issen?

Im letztgenannten Punkt kann man verschiedene Reaktionen von deutschen Konvertitinnen erkennen: Erste Gruppe tragt Kopftuch, weil sie es als ein bedeutendes Religionsgebot betrachtet. Hier gibt es auch andere Griinde: der Wunsch ihrer Manner, die Zwang der Familie ihrer Manner oder die Zugehorigkeit zu einer strengen Religionsgemeinschaft/Umgebung. Zweite Gruppe triigt kein Kopftuch, indem sie auf verschiedene Interpretationen bzw. Anwendungen in den muslimischen Migranten in Deutschland hinweist. Das Kopftuchtragen wird von manchen islamischen Gelehrten als keine Notwendigkeit, sondem eine Empfehlung eingeschiitzt. Uberdies nehmen gebildete, selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen mit Migrationshintergrund eine positive V orbildrolle ein.

Hierzu unterstreicht Leuenberger Folgendes: ,Wiihrend das Ablegen des Glaubensbekenntnisses sowie die Aneignung ritueller Pflichten wie das Beten oder Fasten von den befragten Konvertiten als kontinuierlicher Ubergang beschrieben wird, markiert das Anlegen islamischer Kleidung, insbesondere das weibliche Kopftuch, p.ach auBen einen sichtbaren Bruch mit der Vergangenheit und dem nichtrnuslimischen Umfeld. Viele konvertierte Musliminnen zogem lange, bis sie diesen Schritt wagen. [ ... ] Andere konvertierte Musliminnen tragen nie ein Kopftuch, aul3er zum Gebet."34

Sternbach iiul3ert, dass ,eine Urn- oder Neuinterpretierung westlicher Vorstellungen weiblicher Identitat nur von wenigen und in geringem MaB vorgenommen [ wird]. "35 Dagegen merkt Baumann das emanzipatorische Selbstverstiindnis der Konvertitinnen bzw. ihren Anspruch auf Gleichberechtigung in Bildung, Beruf, Kultur und anderen gesellschaftlichen Bereichen: ,Sie emanzipieren sich im Glauben, bewegen sich weg von einer patriarchal verfassten Religion und lassen sich inspirieren von einer Frauen-Spiritualitat als ganzheitlichen Zugang zu Gott. '.3

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,[Sie] suchen nach neuen Dimensionen in der Vielfalt der Religion und des Lebens. Islam ist damit nicht mehr begrenzt auf die Auslegung, die der Koran in Geschichte, Kultur und mannerdominierten Gesellschaften erfahren hat. ,.J? ,Mit der Argumentation

33 Zit. zach Falaturi, Abdoldjavad, a.a.O.

34 Leuenberger, Susanne, a.a.O.

35 Ebd. 36

Vgl. Bauman, Maria Elisabeth, a. a .0., S. 224. 37

a. a. 0., S. 225.

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fUr eine befreite Frau stehen die deutschen Muslimas aber nicht nur im Widerstreit mit den konservativen Exegeten, sondem oft auch mit ihren Ehemiinnem, die als gebiirtige Muslime in Tradition und Kultur im Islam sozialisiert sind."38

Schlussfolgerungen

Nach Vardar ist das religiose Leben von Muslimen in Deutschland gepriigt ,von der Vielfalt unterschiedlicher islamischer Glaubensrichtungen, Zuwanderergenerationen und Herkunftsregionen. Auch die Gruppe der zum Islam Konvertierten triigt zu dieser Vielfalt bei. Allerdings ist iiber letztere vergleichsweise wenig bekannt. "39 Obwohl in den Medien behauptet werden, dass immer mehr Deutsche zum Islam konvertieren, konnen die Zahlen der Konvertierten meist nicht genau nachvollzogen werden.

In einer solchen Konjunktur wird konstatiert, dass in Bezug auf die Frage der Konversion von deutschen Frauen zum Islam eine der widerstandsfahigsten die Vorstellung der Position der Frauen im Islam ist. Hinsichtlich der frauenrechtlichen Konversionshindemisse (z.B. Kopftuchfrage) kommen deutsche Konvertitinnen nach der Untersuchung meistens zum Schluss, dass die Frau im Islam iiber eine angesehene Stellung und eine besondere Rolle verfiige und ihre Entscheidung fur den Islam auch eine bewusste Entscheidung fur eine neue Gemeinschaft sei.40 ,Der Islam verstiirkt als grundlegende Befriedigungs- und Sinnmoglichkeit die innere Einheit und liisst die GHiubigen in ihrem Selbstwertstreben Wiirde erfahren und die neue Orientierung als Bewiiltigungsstrategie und innere Ressource."41

In diesem Prozess werden besonders die folgenden Beseitigungsfaktoren von Konversionshindernissen - niimlich selektive Aufnalnne von Informationen, soziale Unterstiitzung und eine Differenzierung von Tradition und Religion - verwendet.

AuJ3erdem wird die Frage des Kopftuchtragens nicht von allen deutschen Konvertitinnen als religiose V erpflichtung gesehen. Ob die Konvertitinnen nach der Konversion religios orthodox oder liberal agieren, hiingen von zwei Faktoren ab: die Art/Ursache der Konversion und die gesammelten Erfahrungen nach der Konversion. W enn die Art der Konversion Selbstentscheidung/Religionssuche ist, tendieren die Konvertitinnen als orthodox zu leben. Wenn es sich dabei von einer Beziehung (i.e.L. Liebebeziehung) handelt, neigen die Konvertitinnen durch Selbstinterpretation eher liberal zu verhalten.

SchlieJ3lich kann behauptet werden, dass die Konvertitinnen beziiglich der Aktivitiiten der muslimischen Migrantinnen in Deutschland urn die Gleichstellung einen Beitrag verwirldichen konnen- da sie letztlich in einem emanzipierten Rollenverhalten sozialisiert sind. Dadurch konnen sie eine wichtige Briickenfunktion zwischen den

38 a. a. 0., S. 226. 39 Vgl. Vardar, Nilden, Zur Rolle von muslimischen Konvertierten im Gemeindeleben, in: http://www.bpb.de/apuz/33393/zur-rolle-von-muslimischen-konvertierten-im-gemeindeleben?p=all (15.5.2012) 40 Vgl. Sternbach, Uta, a.a.O., S. 41. 41 Vgl. Bauman, Maria Elisabeth, a. a .0., S. 221.

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