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Gerrit Faust Telefon: 089/2179- 281 oder -475 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit E-Mail: [email protected] „Das provoziert. Aber das machen wir extra“ Die beiden Kuratorinnen Sabine Gerber und Sarah Kellberg sprechen im Interview über ihre Ausstellung „energie.wenden“ Die Ausstellung heißt „energie.wenden“. Warum steht denn da ein Punkt? Sarah Kellberg: Weil wir damit nicht nur den Plural der Energiewende meinen, sondern auch eine Aufforderung mit dem Ausstellungstitel verbinden wollen. Der Titel sagt beides: Es gibt nicht nur die eine Energiewende, sondern viele Energiewenden, und außerdem möchten wir die Besucher dazu auffordern, die Energie zu wenden. Uns geht es auch um das Aktivieren der Besucher, darum, dass wir hier gemeinsam etwas in die Wege leiten wollen. Wer hatte eigentlich ursprünglich die Idee für die Ausstellung? Sabine Gerber: Das war tatsächlich unser Generaldirektor Wolfgang Heckl. Es ist eine Ausstellung, die gut zum Deutschen Museum passt. Wir fanden das Thema konkret genug für uns – und auch politisch genug. Ist es eigentlich gewollt, dass sich das Deutsche Museum immer mehr politischen Themen zuwendet? Schon die Anthropozän-Ausstellung konnte man ja auch als Ausstellung über die Umweltzerstörung lesen. Kellberg: Das ist eine bewusste Entscheidung, die auch mit der Modernisierung des Hauses zusammenhängt. Wir wollen die Besucher über Themen informieren, die in der Gesellschaft diskutiert werden, damit sich die Bürger in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen können. Das ist für das Die Kuratorinnen Sabine Gerber (links) und Sarah Kellberg vor einem Kleinstwasserkraftwerk. Foto: DM

Die Kuratorinnen Sabine Gerber (links) und Sarah Kellberg ... · Wir bitten Besucher, uns das unnützeste Objekt zu geben, was sie haben. Und dieser Flamingo ist tatsächlich sehr

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Gerrit Faust Telefon: 089/2179- 281 oder -475 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit E-Mail: [email protected]

„Das provoziert. Aber das machen wir extra“ Die beiden Kuratorinnen Sabine Gerber und Sarah Kellberg sprechen im Interview über ihre Ausstellung „energie.wenden“ Die Ausstellung heißt „energie.wenden“. Warum steht denn da ein Punkt? Sarah Kellberg: Weil wir damit nicht nur den Plural der Energiewende meinen, sondern auch eine Aufforderung mit dem Ausstellungstitel verbinden wollen. Der Titel sagt beides: Es gibt nicht nur die eine Energiewende, sondern viele Energiewenden, und außerdem möchten wir die Besucher dazu auffordern, die Energie zu wenden. Uns geht es auch um das Aktivieren der Besucher, darum, dass wir hier gemeinsam etwas in die Wege leiten wollen. Wer hatte eigentlich ursprünglich die Idee für die Ausstellung? Sabine Gerber: Das war tatsächlich unser Generaldirektor Wolfgang Heckl. Es ist eine Ausstellung, die gut zum Deutschen Museum passt. Wir fanden das Thema konkret genug für uns – und auch politisch genug. Ist es eigentlich gewollt, dass sich das Deutsche Museum immer mehr politischen Themen zuwendet? Schon die Anthropozän-Ausstellung konnte man ja auch als Ausstellung über die Umweltzerstörung lesen. Kellberg: Das ist eine bewusste Entscheidung, die auch mit der Modernisierung des Hauses zusammenhängt. Wir wollen die Besucher über Themen informieren, die in der Gesellschaft diskutiert werden, damit sich die Bürger in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen können. Das ist für das

Die Kuratorinnen Sabine Gerber (links) und Sarah Kellberg vor einem Kleinstwasserkraftwerk. Foto: DM

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Museum nichts Neues – auch das Zentrum Neue Technologien ist so gedacht. Aber wir setzen mit dem Spiel und dem sehr offenen Rahmen der Ausstellung noch einmal einen drauf. Gerber: Auch bei den Dauerausstellungen, die wir 2019 eröffnen wollen, werden wir politischer als bisher. Aber die sehr politischen Dinge werden wahrscheinlich den Sonderausstellungen vorbehalten bleiben, weil die Themen, die sich im politischen Diskurs befinden, sehr schnelllebig sind. Wir haben bei den Sonderausstellungen die Möglichkeit, auf aktuelle Themen reagieren zu können. Das Museum will jedenfalls in der Mitte der Gesellschaft sein und die Themen diskutieren, die die Gesellschaft bewegen. Wenn man sich explizit politischen Themen widmet, läuft man natürlich auch Gefahr, Widerspruch zu provozieren, weil irgendetwas irgendjemandem nicht passt. Gerber: Wir wollen uns natürlich auch mit Kritikern auseinandersetzen. Aber grundsätzlich gilt: Wir stellen Fakten dar und geben Argumente, aber wir sagen den Besuchern nicht, was sie denken sollen. Eine Meinung müssen sich die Besucher schon selber bilden. Wir informieren, wir animieren, aber wir indoktrinieren nicht. Energiewenden ist ja eine sehr große, sehr umfassende Ausstellung – mit sehr vielen Fakten und Ideen, die darin stecken. Wie lange hat die Arbeit an der Sonderausstellung eigentlich gedauert? Kellberg: Wir haben im Februar 2014 angefangen, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen – also vor fast drei Jahren. Da haben wir erste Ideen gesammelt. Vor zweieinhalb Jahren haben wir das Konzept für die Ausstellung vorgelegt, und seit zwei Jahren steht unser Ausstellungsteam, mit dem wir intensiv an der Ausstellung gearbeitet haben. Wie viel Leute sind das insgesamt? Kellberg: Fünf Kuratoren, die aber nicht die ganze Zeit über zur Verfügung standen. Dazu kommen aber viele andere: Architekten, Innenarchitekten, Grafiker, Modellbauer, Spieleentwickler, Theaterleute. Insgesamt haben sehr viele Leute an der Ausstellung mitgearbeitet. Aber nicht alle gleichzeitig und nicht alle zwei Jahre lang. Man muss dabei natürlich auch bedenken: Jedes interaktive Modell in der Ausstellung, auch das Spiel – das sind alles Einzelanfertigungen, alles wurde vollkommen neu erdacht und entwickelt. Gerber: Wir haben uns zum Beispiel auch mit Politikern getroffen und uns informiert, wie das im Bundestag so abläuft und wie Lobbyarbeit funktioniert, weil wir diesen Prozess ja im Rollenspiel simulieren wollten. Wenn wir schon beim Rollenspiel sind: So etwas hat es im Deutschen Museum ja noch nie gegeben. Gab es eigentlich zuerst die Idee der Ausstellung oder zuerst die Idee des Rollenspiels? Gerber: Am Anfang war das Thema. Bei einer Klausur im winterlichen Österreich haben wir uns zuerst darauf geeinigt, dass wir keine Energietechnik-Ausstellung oder eine Ausstellung zur Energiegeschichte machen wollen. Die Idee, dass wir in der Ausstellung mit Schauspielern arbeiten wollen, die mit den Besuchern diskutieren, war tatsächlich von Anfang an da. Kellberg: Wir waren uns alle einig, dass man eine spielerische Form finden muss, die aber trotzdem die Komplexität des Themas transportiert. Für die Energiewende gibt es ja keine Blaupause, sondern das ist ein Entscheidungsprozess, der ausgehandelt werden muss. Und das transportiert das Spiel sehr gut. Unsere Charaktere sind zwar ein bisschen überzeichnet, aber das soll natürlich auch provozieren – wir machen das extra (lacht). Es ist ein komplexes Thema und eine komplexe Art der Ansprache. Das kann man wahrscheinlich einem 14-Jährigen zumuten - aber einem Neunjährigen nicht, oder?

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Kellberg: Grundschulkinder mit dem Rollenspiel zu erreichen, haben wir auch gar nicht versucht. Wir wenden uns schwerpunktmäßig an Jugendliche und junge Erwachsene – aber natürlich genauso an die ältere Generation. Gerber: Wenn wir uns hier entscheiden, eine politische Ausstellung zu machen, ist auch von vorneherein klar, dass das keine Ausstellung für Fünfjährige wird. Aber das Deutsche Museum ist so groß, dass wir uns erlauben können, Angebote für verschiedene Altersklassen zu machen. Was wir jedoch auch machen werden, ist ein eigenes Kindergarten-Programm. Da spielt dann aber nicht das Spiel die Hauptrolle, sondern eher einzelne Exponate. Stichwort Exponate: Haben Sie ein Objekt in der Ausstellung, mit dem Sie besonders viel verbinden? Kellberg: Ich habe tatsächlich ein Lieblingsexponat – das ist die Raupe Immersatt. Schon der Name ist toll. Das ist ein kleiner Stoffschlauch mit elektronischem Innenleben, den man zwischen einen Stromverbraucher (also zum Beispiel ein Fernseher) und die Steckdose setzen kann, und die Raupe windet sich, wenn der Fernseher auf Stand-by geschaltet wird – sie leidet richtig, und man kann sie von dem Leiden nur erlösen, wenn man den Fernseher ganz ausschaltet. Das ist sozusagen „smart home“ mit Empathie. Gerber: Oder unser rosa Flamingo, der jodeln kann. Wir bitten Besucher, uns das unnützeste Objekt zu geben, was sie haben. Und dieser Flamingo ist tatsächlich sehr unnütz, weil niemand einen jodelnden Flamingo braucht, aber auf der anderen Seite ist er ein außerordentlicher Sympathieträger. Und das transportiert sehr schön die Idee: Was kaufe ich, weil es sinnvoll ist, und was kaufe ich aus völlig anderen Beweggründen. Daneben haben wir aber auch einen Stellarator aus einem Fusionsreaktor, und wir versuchen zu zeigen, wie die Energiewende mit Innovation bewältigt werden kann. Es ist eine Ausstellung des Deutschen Museums – und deshalb zeigen wir auch die Faszination der Technik, die nicht notwendigerweise umweltschädlich sein muss. Wie zum Beispiel ein Elektroauto, das um die Welt gefahren ist. Haben Sie das Rollenspiel eigentlich auch selbst einmal ausprobiert? Und was kommt bei Ihnen dabei heraus? Kellberg: Bei mir kommt raus: Ich bin ein Globalisierungsfan, mehr so der internationale Typ (lacht). Gerber: Ich bin Typ 1 „marktwirtschaftlich“ und Geld-orientiert. Merkwürdig, dass ich ausgerechnet im Deutschen Museum arbeite (großes Gelächter).