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Die Lage der Ziegelarbeit er 11 I ' Cf . ''' t 'flj Die Lage der Ziegelarbeiter. lm Dezemb er 1. 888 hall e sich Adler in die Ziegelwerke der Wi ene r- berger Gese ll schaH eingeschlichen. Was er dorl sah und erfuhr, legle er in fo lgenden Ar tik eln ni ede r: I. Jl . A. D i e W i e n e b e r g e r Z i ·e g e I f ab r i k- u IL d B a u g e s e ll s c h a f t zahlt ihren Aktiünär en r echt f ett e Dividenden. Ihre Aßdien, d'ie mit 120 fl'. eingezahlt sind, 11 a-ben · im letzt en J ahl'e nicht eniger nJs 14 fl., d as sind 11·7 Pro z ent getragen. Bei 35.000 Aktien ma cht · da s di e ] 1 übsche Summe von 490.000 fl., welche ins Verdi e1 1en o·e bucht wurde. Der Reing ewi!lln kommt bekanntlich d' ur ch "" das " harm oni sche Zu sammenwil' ken von Kapi tal un-d Arbeit " zu st ande . Die des Kapital s ha,ben wir ge schiJ!dlert, es hat sich di e Mühe genommen, die Coupons a.bzuschne,id'en und f.i_ur diese schwere Arb eit je 14 fl. einzuka ssieren. So ist das Kapital doch "Entb ehrungslohn" ; g ewiß, das Ka;pital bildet sich aus jenem Lohn, wel'chen die Arb eit er entbehr en! Hör en wir nun, wie ·d'er andere Teil, wie die Arb ei te r dieser reichen, glänzenden Aktieuge sellschaft leben. Nuill denn , diese• armen ZiegelatbeiteT sind die ärmst e11 S kla ven, welch e die Sonne bescheint. Die bluti ge A usbeutun g dieser el end'esten aller Proletari er wird d'urch da s yer- brecheri sc h e, vom Gesetz au sdrücklich verbotene T r u c k- s y s t e m, die Bl e chwirt s chaf t, in unbedingt e Ab- hängigk eit verwa nd elt . Der Hung er und' das El 0nd, zu dem sie verdammt sind, ·wird noch ent setzlicher durch die \V o h- n u n g e n, in welche sie von der Fabrik oder ihr en Beamte n z ·w a n g s w e i s e eingepfercht werden. Von den Verhältnis sen der Ziegelschläger · werJden wir nächstens ausführl k h : bericht en, heute \V Ollen wiT von den " Arb eit e rpartien" Slll' echen, die aus ledig en Männ ern b es t eh en. Solche gibt es am Wi ener' berg jetzt im Winter drei, jede z11 I'

Die Lage der Ziegelarbeiter

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Adler, Victor: Die Lage der Ziegelarbeiter. In: "Gleichheit", Nr. 51 vom 22. Dezember 1888

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Die Lage der Ziegelarbeiter 11

I ' Cf . ' '' t 'flj

Die Lage der Ziegelarbeiter. lm Dezember 1.888 halle sich Adler in die Ziegelwerke der Wiene r­

berger Gesell schaH eingeschlichen. Was er dorl sah und erfuhr, legle er in fo lgenden Ar tik eln ni ede r:

I. Jl. A. D i e W i e n e 1· b e r g e r Z i ·e g e I f ab r i k­

u IL d B a u g e s e ll s c h a f t zahlt ihren Aktiünären r echt fette Dividenden. Ihre Aßdien, d'ie mit 120 fl '. eingezahlt sind, 11 a-ben · im letzten J ahl'e nicht w·eniger nJs 14 fl., das sind 11 ·7 Pro z ent getragen. Bei 35.000 Aktien macht ·das di e ] 1übsche Summe von 490.000 fl., welche d ~t ins Verdie11en o·ebucht wurde. Der Reingewi!lln kommt bekanntlich d'urch "" das "harmoni sche Zusammenwil'ken von Kapital un-d Arbeit" zustande . Die Tätig~teit des Kapitals ha,ben wir geschiJ!dler t, es hat sich di e Mühe genomm en, die Coupons a.bzuschne,id'en und f.i_ur diese schwere Arbeit je 14 fl. einzukassieren . So ist das Kapital doch "Entbehrungslohn" ; g ewiß, das Ka;pital bildet sich aus jenem Lohn, wel'chen die Arbeiter entbehren!

Hören wir nun, wie ·d'er andere Teil, wie die Arbeiter dieser reichen, glänzend en Aktieugesellschaft leben.

Nuill denn, diese• armen ZiegelatbeiteT sind die ärmste11 Sklaven, welche die Sonne bescheint. Die blutige Ausbeutung dieser elend'esten aller Proletarier wird d'urch das yer­brecherische, vom Gesetz ausdrücklich verbotene T r u c k­s y s t e m, die Bl e chwirt s chaf t, in unbedingte Ab­hängigkeit verwandelt. D er Hunger und' das El0nd, zu dem sie verdammt sind, ·wird noch entsetzlicher durch die \V o h­n u n g e n, in welche sie von der Fabrik oder ihren B eamten z ·w a n g s w e i s e eingepfercht werden.

Von den Verhältnissen der Ziegelschläger · werJden wir nächstens ausführlk h :berichten, heute \VOllen wiT von den "Arbeiterpartien" Slll'echen, die aus ledigen Männern bestehen. Solche gibt es am Wiener'berg jetzt im Winter drei, jede z11

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12 Die Lage cle1: Ziegelarbeiter

70 bis 100 JI.Iann *), welche je unter einem Partieführer stehen. Der A1'beitslohn beträgt im So-mmer 6 bis 7 fl. wöchentlich ; im Winter sinkt er rbis 4 fl. 20 kr. Man bedenke, schwere Arbeit in frei,er Luft und' zehn Minuten vor d·en Toren W iens.

Aiber wenn dieser elende Hungerrlohn a.uch nur wirklich ausbezahlt werden wÜT·de ! Diese armen T·eufeJ. sehen a1ber monatelang kein "gutesr Geld", der dort übliche Ausdruck für das seltene Bargeld.

So·ndern zwei- bis dreimal täglich erfolgt . die Aus­zahlung in "BI e c h", ohn·e -daß auch nur gefr.agt wird, ob ·der Arbeiter .es will unJd' braucht. Noch mehr, wer \kein Blech nimmt, wird sofort entlassen. Dieses "Blech" wirdr nur in den den einzelnen Partien zugewiesenen Kantinen ·.ngenommen, so daß der Arbeiter nicht nur aus dem W er'k nicht herauskann, weil er kein "gutes Geld" hat, sondern auch irmerhalb ·des Werkes ist jeder einem besonderen Kantinenwirt aJs -Bewuche­runo·so!bjekt zugewiesen. Die Preise in ·d'iresen Kantinen sind bedeutend höher a~·s in dem Orte Inzersdorf. Ein Brot, das in In zer sdorf 4 ikr. kostet, muß der Ziegelaribeiter mit 5 lkr. Blech bezahlen. Ebenso sind Bier, Schnaps, Speok, Wurst und Zigarren in ·der Kantine entsprechend teurer die Qualität der .J alnung ist natJi.irhch die d:enkbar elendeste. Im Gefühl seiner :Macht sag.te ein Wirt einem Ar'beiter, d:e11· sich .beklagte: "Und wenn ich in die Schüssel sch . . . , müßt ihr's arnch fressen. <t U nd der )rJ:ann hat recht, sie m ü s s e n! ! /

Aber nicht nur Nahrungsmittel, sondern die elenden Annseligkeiten, die sich ·der Z:iJegelarbeiter von seinen 'bilutigen Kreuzern kaufen kaJln, alles erhält er gegen Blech. D er Partieführer selbst vel'kauft ihm Fußsocken, Fausthandschuhe, Holzscbuhe, Schürzen, ja selbst alte Hosen und Stiefel (welche freilich nur sehr wenige sich };:auf.en 1cönnen), ail'les um mindestens ein Drittel teurer als der Krämer im Orte. A·ber in den Ort hina,usgehen, um einzukaufen, darf ~der Arbeirt;er nicht. Er kann ohnehin selten, weil er Urein "gutes Geld" hat. und verschaffte er sich es zufällig, so ·da.rf er es nicht hinaus-

") Die G.esellSiChaft besitzt noch die Ziegelfabriken: Hiedermannsdorf. Guntramsdorf, Hennersdorf, Vösimdorl, Hernals, Oberlaa, Laaerberg, Laaer­wald sowie die Tonwarenfabrik zu Inzersclorf. In all en diesen Fabrikerr geht es ähnlich zu; einen ausführh eben Bericht bringen wir he11te aber nu1 ,·om Wienerbef!1;.

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l Die Lage der Ziege.larbeiter 13

tragen. Der Kantineur zählt seine Leute und hält strenge Ordnung, auf seinem Tisch liegt der Ochsenziemer auf und wird gar häufig angewendet. "Wollt ihr euch antrinken, so tut es hier" , heißt es. Wer auswärts einkauft, wird sofort entlassen.

Be1 dieser Blechwirtschaft weiß natürlich ikein Arbeiter, wie eigentlich seine R echnung ibeim Partieführer steht; er erfährt nur, daß er immer noch "Rest", d·as heißt schuldig ist, so daß er sich aus den Klauen der Wucherer nie frei­machen kann.

Kaufen also können und dürfen die Arbeiter nicht aus­wärts. A'ber zu b ette ln ist ihnen erlau.bt. Da laufen• sie zur K 0 n s e r v e n f a b r i k in Inzersdo-rf, welche gegen Ahe.ncl vOOl den arme•n: Teufeln umla.gert ist, und' wo sie um "Go1'lasch­saft ", eine unappetitliche Brühe, bitten gehen. Und kann sich einer freimachen, so läuft er anderthalb Stunden weit nach Neu ·d o r f zum Scharfrichter von Wien, Herrn von S e y f r i e d', der, wie wir hören, täglich 80 Portionen Suppe nnd Gemüse, n:ebst einigen Brocken Flei>Sch .au steilt. Beim Henker .i st mehr MitlJeid' als !bei 'der A~diengesel'l scbaft und den von ihr 'besoldeten Antre~bern.

Die Partieführer würden a:ber ihre S1da.ven nicht ganz i:n der Hand halben, wenn diese aberuds auswärts schlafen gingen. Darum müssen alle Arbeiter im Wer ik e schlafen. Für die Ziegels-chlager gibt es elende "Arbeti.terhäuser". In jedem einzelnen Raum, sogenanntem "Zimmer" dieser Hütten .. chl afen je drei, vier bis zehn Familien, Männer, 1{.,7 eLber, l(in>der, al'le durcheina.nder, untere·inander, übereinander. Für d'i.ese Schlafhöhlen scheint die Gesellschaft sich noch

,, W obnungsmiete" zahle.n zu lassen, denn der Bericht des Gewerbeinspektors meld·ert 1884 von einem ·Mietzins von 56 bis 96 fl., der auf ·dem Wienerlberg vorkommt.

hber di e verheirateteill Ziege-lschläger und Han-dwerker .sind noch die Aristo1o:aten unter den Ar·beitelill! Nicht "'O

glänzend geht es den ledigen Arbeitern, den Brennern, Heizern, Einscheibern, Ausscheibern, den P1a.rtiear-beiterru. Auch diese müs se n auf dem Werke wohnen. Die GeseHschaft stellt ihnen Wohnungen zur Verfügung; sie hat die W ohnnngsfl·age wunderbar gelöst.

Seit einiger Zeit "wohnen" die Ledig·elll in eigenen SchlaLf­räumen. Ein ni-cht mehr 'benützter Ringof.en, eine alte Baracke,

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14 Die Lage der Ziegelarbeiter

wird dazu ·benützt. Da liegen denn in einem einzigen Raum 40, 50 bis 70 Personen. Holzpritschen, elendes altes Stroh, darauf liegen sie Körper an Körper himg.eschlichtet. In ein em solchen Raum, der etwa 10 M.eter la•ng, 8 Meter breit und höchstens 2·2 Meter ho·ch ist, ~iegen ülbe.r 40 Personen, für deren jede also kaum 4 Kubikmeter Luft ,bleiiben, wo 15 Kubikmeter ein 'bei der sehrechten Lüftung des Raumes kaum genügerrdes Minimum wäre. AJber freiiich, dann dürften in ·dieser Schlafhöhle nur zehn Personen schlafen; und das ·kann die arme Wien er.berg.ea.- Gesellschaft nicht leisten. -Da liegen sie denn, diese armeiJ.l Menschen, ohne Bettuch, ohne Decke. Alte Fetzen bilden die Unterlage, ihre schmutzigen Kleider d·i.enen zum Z1vdecken. ,Ma'D.che ziehen ihr einziges Hemd au s, um es zu schonen und liegen naCJkt da. Daß Wanzen und Läuse die steteiJ.l Bett'begleiter sind, ist natürlich. Von W a ·chen, von Reinigung der Kleider kann ja keine Rede sei.n.~

Aber noch mehr. In einem rdieser Schlafsäle, wo 50 Uenschen ".schlafen, liegt in einer Ec·ke ein Ehepaar. Die Frau hat ~i· zwei rW ochen i'll demselben Raun(, in Gegenwart der 50 ha'!bnadkten, schmutzigen Männer, · 1l"diesem stinkenden Dunst { n t b u n d' e n!

Sprechen wir nicht von d.ßT Schamhaftigkeirt, sie ist ein Lux11s, den sich nur die Besitzenden gest•atten können. Das Leben der Mutter. ist ·d6;;e~ eine G:eburt U)Jtt-e; soJ..chen Um­ständen bedroht. Abe.f'was hegt an ·emem a-fmen W e1be!

Diese "Schlafsäle" sind eine iJ.leue Errungenschaft. Bis vor kurzer Zeit schliefen aJile il'edigen Ar'beüter, und heute schläft no·ch eine Männea:p.a.rtie am W i e n er b e r g, der größte Teil am L a a e r b ·e r g uiJJd auf den anderen W er1~en - i111 und auf dem R i n g o f e IJ1. Schlafen sie d·a im Heizraum, so haben sie eine unerträgliche ·Hitze auszustehen; schlafen sie oben, so überweht sie oben die kalte N achtluft, unten werden sie halb gebraten von den heißen Abzügen des Feuers. Von Aus­klei·d:en ist na.türlich ke~ne Red:e. Unte:r dem Kopfe ei:nen Hauf.en Kohlen, deoken sie sich mi·t dem schmutzigen Rook notdürftig zu. W e.r sich Bretter 01der Ziege\]' als Kopfpolster nirmnt, ist in Gefahr, geprügelt zu werden, wenn er erwis·cht wiTd. Die Sträflinge i'll Si:birien sind ·besser versorgt als diese Leute, die dlas V er'brechen ~egehen, die fetten Dividenden für clie Aktionäre der Gesellschaft zu erzeugen.

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Oie Lage rler Ziegelarbeitel' 15

Abel' diese Schlafstätten, .so schändlich uru~ ~?hä~dend sie · d . . d eh ein vielbeneJ.odeter Unterstand: fur d:te annen

SlD: , SJ:e SliJI no . . O

n..d hl E1·n Schandm al unser·e•r Zelt 1st es, das wahre u' ac osen.

Kainszeichen der brüdermordenden Gesellschaft, daJ3 es "'" h ·'bt für d:ie die "Ringe" am Wiener.berg ein .:.n.ensc en g1· , . . Zufluchtsort sind aus dem Sl'e gewaltsam vertneben werden müssen. Da ko~rnt die Streifung! Genrdarmen, die Partie­führer, Wächter mit Stöclken und Hunden kommen

. ·d· . " Wehe (lern Ung•1:üc.klichen, der dies Obdach "r ev1 1e1 e<n . . .. . benützt hat, ohne (Iurch Frondienst fur d1e .Gesellschaft dafür bezahlt zu ha'ben. Dreimal wehe d'em Ar.beiter, der entlassen wurde und sich noch dort findet. Unt·er grausamen Prügeln, Peits·chenhi

1e'ben und Beschimpfungen werd·en s1e hinans-

g"eitri eben. N un. könnte man fragen: W.a.rum wohnen die Arbeiter

nicht in den urnlieg·enden Orten? Erstens .bekommen sie für "h. B~·ech" [teinen Unterstand. Dann a•ber, ·das ist l r " . w· d P . das ·wichtigste, führen d1e ute un artlefübrer strenge Kontrolle. Wer auswärts wohnt, wud entlasse-n. Der Wirt zählt die Häupter sei•ner Li.e,ben. Wer fehlt, kann darauf rechnen,

d'a.ß seine Zeit abgelaufen ist. Man sagt, daß die Partieführer von den: Wirten 10 bi s

15 p r 0

z e n t des Gewinnes erhalten, d'a.ß sogar di e Werksleiter freien Trunk bei ihn·en ha.ben\ Wi-e dem auch sei, jedenfalls ist die Wi,enerberger Ziegel:f.abrikgesell'schaft selbst JYI,its·chu~ ·dige und Veranlasserin d'ieser Veribrechoo an ihren I"ohnlkn echten. Sie bezieht vou den Wirten eiuen gauz enormen P a c h t z i n s, sie muß also ganz genau wissen, daß und' wie er gewonnen wird. Sie teilt den Raub m i t d en W i r t e n.

Die Zi:egelar.beiter d:er Wienerberger Gesellschaft werden doppelt ausgelbeutet Als Produzenten ·durch die erbärmliche Niedrig'keit des Lohn es; als Konsumenten durch ·die Wohnung _ beistellung und d~tuch d'as Blechwesen. Die erste Art ·der Aus­beutung ist ganz gesetzlich . Unsere Gesetze sind eben so . Die zweite Art d·er Ausbeutung ruber ist nicht nm unmenschlich ' sonelern v o m Ge s e t z v e r b o t e n. Es ist ein V erbrechen nicht nur vom Standpunkt des Menschen, sondern auch YOm

Standpunkt d'es Gesetzes, daß sich d1er Fabribmt von 'dem sauer erworbenen Hungerlohn des Arbeiters ein.en Teil durch Truc~~­oder Blechsystem zurüc[csti ehlt. Und dieses Verbrechen wird

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16 Die Lage der Ziegelarbeiter

.begangen·. vor 'den . TM·en ·W,iens, ·u·nter 'd'en Augen der Ge­w ,e r .1.b e·b te.h ö r den und' dte·r -Ge ·we r b ei -ns p e~r t ·o· r e n. Wenn das InspeiktoTat zu s·chwacP, ist, ·um gegen d'i,e mächtige :Gesellschaft . 'a-ufzu]<JQmmen, wir · werqen seine Bemühung·en unterstützen . .. Wir we-rden nicht · ruhen, <bis dieäe Schandwirt­schaft a~fgehö~t hat . .AJher Behör•d·en und! Öffentlichkeit .könil)._en .ni:cht· alles machen. Die. Hauptsache ist d'ie Tätigkeit der :Aribejrt;e:r seLb-st. Sie müssen sich e,ndliich aufraffen urud· ruhig a.ber energisch erklär:oo, · 'daß sie· sich d'iese Berau.bung . nicht mehr gefallen 1a.sse;n· wer·den.

("G l eic h h e i t" · Nr. 48 vorn l. Dezember -iSSS.)

II.

v. a. Unser letzter Artikel ist nicht ganz olhne -Wirku.ng ge'bliebim; . das Blatt ging . seit Samstag ·am W i e n. e r b e r g v'oh Handi zu Hand und Vterursachte zunächs't bei den Beamten lind Wirten die größte Wut, welche sich nocli m·elir steigerte, a:Is- .am Sonnta-g, was seit langem nicht vorgekommen, · eine garize· Anzahl' von . Arbeitern die 'Annahme . d~s "Blechs" vel~­;weigerte. 'Die Braven· ha'tten so gespart, daß sie · für den Sonn­tag si'ch einige .Kreuzer erübrig.t hatten. Freilich zwang sie der Hunger schon ilm Montag .. wiedtß.r ,unter ,dflS W.uc,4erj()ch. 'Aber d~r Versuch des Widersta·ndes · genügte, wn -die Rache rege zu ~a~IJ:Jen: Aus. den Pa-rtien Kadletz und Homolats!Cl1 wurden zusammen zwölf. Mann - ·natürlich o· h n e· K ü n :d, i g u n g --=... ~~tJassen. Die Frau~ von der wir erzählten, .sie habe in dem "Zimmer". in Gegenwart von 50 Männern entbU'nden, wurde ·amt ihrem Mann davongejagt. Das K~rpusdelikti ~nußte

entfer!!.t werden. Überall in den Hütten d·er ZiegelscMäger sowie unter den zerlumpten "Kleidern" der Ledigen SlJchteo Partieführer .. und . Werkleiter nach der· "Gleichheit"*). . Weh dlerp, · bei dem man sie g.efunden hätte; abe~~ ·merk­_würdig, gelesen hatten sie alle, gefunde;n wurde sie bei keinem~ Dfe ~a.rtieführe~' fluchten um die Wette mit den W.!rten geg·e~ die "verdammt,en So,zialisten", ·woruntJer sie die Leute . ver­stehen, . die sie~ von ilhne;n nicht bewuchern lass(m wollen und die . ffnde~, da,ß auch Ziegelarbeiter M~nsche~ ~ind und A~~

* ) Man berichtet uns, daß auch Gendar rn e n sich an diesem Untersuchungsverfahren beteiligten. Wir konl!l>len wber die Tatsache nicht absolut sricher feststellen und teilen sie unter aller Reserve mit.

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Die Lage der Ziegelarbeiter 17

spruch auf ein besseres Obdach haben als einen Ziegelofen, dier zu schlecht a]s Pf•e,rdestall wäre. Der Werkführer Krenn ­höfler verkündete ein besonderes Ausnahmegesetz fü.r den W,ie:ne1~berg;e-r Kniippelbezirk: "Wer Zeitungen liest, etwa an Vie1tsammlungcu od 1' Vor in n teilnimmt, wird sofo<l't ent­lass,en. Die Bartien werden wir auflösen und andeTe I.1eute nehmen." Der Man n 'verdi ente eigentlich Statthalter vo•n Böhmen zu wercl en !

A b e r a u c h d i e B e h ö r d e n g r i f f e n e i n . Die Tatsachen, die wit zur Kenntnis braclbten, der Bl hwucher, die Schlafstätten, kannte die Bezirkshauptmannschaft seit Jahren. Sie mußte sie kennen, denn täglich und nächtlich streifen dort ihre G e •n d a r m e n und unzähligemal wurden vom Ringo:fen Lento nnch Tnz rsclorf ins GemeindOFnnt oder

nach Hietzing ins Bezirksgericht gebracht. Die Behörde \.var langmütig, si e sah d m Verbrechen, las da an Hunde1·te11 von fUlll n M nFm·lt 11 v·C·I·ii.bt Vll l'd , 11fH·lu;icill1;ig :t. IL Al s1 abe r di e Djnge in :dli.e Öffentlichkeit k.a.rn n, als die Möglichkeit einet· Abh ilfe i.n Aussicht war, da konnte die G nilar.merie nicht

Hingc1' zÖg'J'l l. S.ic grif:f ciu, on rg•isch u:ncl pl'ompt, wie lmt11 es von ihr gewo.hnt ist. Die Gendarmeri·e machte der Sache ein End e - nh ' I' nicht etwa 1 •n'l! Bl chwucber ! N .in, sond - 1'11.

in Gemeinschaft mit den Blechwucherern, den I artieführern und Wüten s11 ßtten G ndarmen nach mehr rcn Arbeitern, die im V·erdacht stehen, das Materi,al für unsere Auf ätze geliefert zu hal en. Ai e suchten T.a1g tmd Nacht, .bis sie den Verbrecher Jan den. Und Di nstug nachts tlllt J2 Oln jagt n s·i r·icl tl;ip; d n früher bei der Wienerberger Gesellschaft beschäftigten

Oono FJR cn R,~t n h) uns AOillrr Sehla{stcllo in TnzorFHlod auf. Man hielt ihm vor, er habe mell1Nl1l'e ExempJ.are der letzteu Nmnm e t· d 1· "Gleiehhi it" verschenkt und der Verbrecher wurde sofort - ·nacltts - wegen Übet·trel;11.ng des § 23 d :-; Preßges1etzes verhaftet und an ·d!as Bezirk ·gericht Hietzing ahgelic:f rt, wo '!'li' h •ute no. h sitzt, g wärtig seiner Abstrafung.

V er gleichen wir einmal: Der § 133 des Gewerbegesetzes bedroht die Blechwirtschaft mit einer Geldstrafe von 10 bis 200 fl.; der § 23 des Preßgesetzes die unbefugte Verbreitung "Von nicht verbotenen Druckschriften ebenso mit einer Geld ­

strafe von 5 bis . 200 fl. Die Blechwuclberer und ihre Mit­schu ldigen, die Partieführer, die W erkleiter, die Insrpektor·eln,

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18 Die Lage der Ziegelarbeiter

Direktoren und Verw.altungsräte der Gesellschaft, !dltnch deren Gesetzesverl<e.tzungen Hunderte und aber Hunderte von Ar­beitern jahQ·elang fortgesetzt um ihren Lohn betrogen und in sklavischer Abhängigkeit gehalten wurden - sie alle haben Dienstag nachts ruhig in ihren Betten geschlafen oder in .Kneipen höherer und hödhster Gattung. ruhig gezecht. Und ihr V erbrechen ist den Behörden längst bekannt und ist € r w 1 e s· e n .

Der Mann aber, der hungernd und frieren:d1 bei jedem W•etter, in steter Gefahr, erwischt und geprihgelt zu werden

. ' nach Wien kam, um uns zu berichten; dem ehe Ar'heiter am Wienerberg es verdanken, wenn einiges sich cfür sie bessert; dem die Behörden es danken .so 11 t e n, daß eine himmel­schreiende Ungesetzlichl{eit ab'gestell't wird : der wird '8/US den~ Bett gerissen und inSJ Loch gesteckt, weil er den Arbeitern am Wienerberg ein Blatt geg•e.ben haben soll, das sich mit ihren Interessen besc!häftigt. Er wird seiner Freiheit beraubt wegen einer leichten Übertretung, d .i e ihm üb e r di es 1 n k e i n er W e i s e e r w i e s e n i s t.

Diese G 1 eich h e i t v o r dem Gesetze ,'3p.richt Bände über unsere Zustände.

* * Zu unserer lebhaften Befriedigung können wir aber

auch etwas Gutes berichten. Man erzählt uns : Mittwoch früh erschien Gewerbeinspektor 111: u h 1 am Wienerberg. Er wo.hnte dem Frühstück der Arbeiter in einer der Kantinen bei un1U/ konstatierte, daß alle ausnahmslos mit "Blech" be­zahlten. Sof<01t mußten Werkleiter und Direktor geholt werden und in ithrer Begleitung besuchte der Gewerbeinspektor mehrere Wohnräume. Wa·s verhandelt würde, konnten wir natürlich nicht erfahren. Aber die Folge des Besuches war die

' daß heute Donnerstag früh seit Jahren zum erstenmal die Arbeiter mit b a r e m G e 1 d a u s g e z a h l t w u r d e n.

Dank dem energischen Eingreifen des Inspektors, das wir freU'dlig begrüßen und von dem wir nur bedauern, daß es nicht schon längst geschehen, ist das ärg.ste Zuchtmittel

' wodurch die Ziegelarbeiter Leibeigene der Wirte werden. ihnen aus den Händen gesclhlagen. E s wird aber notwendi~ sein, daß cl·ie Arbeiter selbst mit aller Energie das Errungene behaupiie.n, wenn nicht de rselbe Mißbrauch in irgendeiner

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Die Lage der Zieg·elarbeiter lH

seiner Verkleidungen wieder einreißen soll. Vor al'lem werden h ä u f i g e B e s u c h e des Ins,pektor.s notwendig sein, schon darum, weil sonst die Wohnverhältnisse nicht besser werden. In dieser Beziehung ist seine Kompetenz . leider sehr beschränkt; die B e z i r k s hau p t m a n n s c h a f t müßte eingTeifen und die ist werit, und ihre Gendarmen' haben, wie wir gesehen, Wichtigeres zu tun.

So viel können wir als a b s o 1 u t s i c h e r e T a t s a c h e berichten: auch heut€ naiCht n a c h dem Besuch des Gewerbe-

' inspektors haben ganz wie sonst an 5 0 L e u t e a u f dem Ii, i n g o f e n g e s c h 1 a f e n. Möglich, 1d1aß die GeseJ.lschaft vorläufig Leute entlassen wiro, wenn man sie zwingt, ~hnen hal1bwegs ausr eichendie Wohnung zu geben. Sie wird: .a1ber von Jä.nner ab, wo es mehr Arbeit gibt, entweder zum Bau von Wohnungen oder zur Loihnerhöhung gezwung•en sein, und wir bedauern die armen Aktionäre schon jetzt herzlich, deren Dividende so schauderhaft geschmälert werden >vird.

Wenn d·er Gewerbei.nspektor wioo·erkommt, sollte er auch die E r a n k e n k a s s e unJcll das S p i t a 1 einer genauetll Untersuchung unterziehen. Wir werden nächstens darüber be­richten. -

Jedenfalls mag die Wiene1·berger Gesellschaft wissen, daß sci.e durch Entlassungen nicht wird hindern können, daß wir unsere Priv.a,tinspektio·n g.etreulich fo rtsetzen und stets wissen und erzählen werden, wi•e' sie ihre Leute beihandelt.

("GI eich h e i t " , r. 49 Yom 5. Dezember 1888.)

Von den Wienerberger Ziegelwerken. Der gesetzlose Zustand, in welchem Wirte und Partie­

führer 1dlie einzige~( Autorität bilden dauert fort . Wer nicht in -t ' ' die Kantine gehtP' der er als Ausbeutungsobjekt zugewiesen

ist, wird mit, ab'er auch ohne Krundigung entla•ssen. So wurde Eduard Webnofsky Montag ohne Kündigung davongejagt. Er gehört zu einer G1:\:Lppe von fünf Arbeitern, die über Auftrag der Kantinßwirtin M .a x entlassen wurden, weil sie erfuhr, sie hätten Soltlltag. nachmittags in der Kantine Wimmer auf dem dritten w,e,r'k und nicht bei ihr gegessen!

Von unserem Gewährsmaam erfahren wir, daß am ver­gangeneu Sonntag anläßlich einer neuerlichen Razzia nacih -arbeitslosen, armen Teufeln im Rayon 1dles Wienerberger Zi ()'elwerk.es fi.inf Personen arretiert und hernach mit emem

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20 Die Lage der Ziegelarbeite~

Ochsenziemer von einem der Renen Werkleiter geschlagen wurden.

Ein solcher· Kerl namens Paul bediente sich gegenüber den .Arbeitern der Worte: "Ihr Hunde, wenn man :eiUch noch einmal wo antrifft" (diese Bande verlangt nä'tn lich, daß die Leute nach der Arbeit außer in die Kantine nur noch in die "Schlafhöhlen" sich begeben soll en), "so werdet ihr gesd1lagen wie die Hunde, rdlamit ihr in das Spital gehen müßt." So wirt­schaften die Oberknechte der Aktiengesellschaft mit cJc,n elenden Menschen von Arbeitern herum.

Ein Mann wurde gefesselt nach Hietzing überführt, nämlich ein Arbeiter, nicht etwa einer der Pa r t i e­f ü h r e r oder W i r t e !

Samstag soll der Herr Gewerbeinspektor Muhl wieder draußen gewesen sein; was er ausgerichtet hat, haben wir nicht erfahren können. Tat. acbe ist, daß auch noch nach seinem Be s u c h e 30 Arbeiter im Ringofen gesch lafen haben.

Die Genossen R a ab und H a a d e r, die bekanntlich zu je zehn Gulden Geldstr,afe, eventuell zwei Tagen Arrest, wegen unbefugter Verbreitung der "Gleichheit" verurteilt ·wurden, sind zugleich von der Anklage nach dem Vagabundengesetz freigesprochen. wm-den. Obwoihl sie als-o der Wien.erberger Ziegelfabriksgesellschaft unbequem waren, konnten sie nicht kurzweg abgeschoben werden. Aber sie konnten, wie jeder Mensch, ohne Begri.iJndung aus g e wies e n werden, und' das geschah mithin.

Die Bourgeoisprcsse, die natürlich, wo Aktiengesellschaft und Arbeiter ~egeneinander stehen, zugunsten der Aktien­gesellschaft schweigt wie ein toter Hund ist nunmehr ge-

' zwungen, von folgender In t e r p e 11 a t i 0 n, welche am 18. Dezember im Abgeordnetenbaus eingebracht wurde, wenig­stens einige N o.tiz zu nehmen:

"Anfrage der A:tlgeordnetcn Peruerst 0 r f er, Krona­w e t t er und Genoss:en an den Herrn Ministerpräsidenten als Leiter des Ministeriums des Innern, dien Herrn HandeL-­minister und den Herrn Landesverteidigungsminister.

Vor einigen Wadben wurden in dem W ochenhlatt "Gleichheit" die Verhältnisse der Arbeiter der Wienerberger Ziegelfabriks- und Baugesellschaft ausführli ch geschildert. Es kam dabei. zutage, d.aß die niedrigen Löhne, welche 'dti.e Partie-

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Uie Lage der Ziegelarbeiter 21

arbeitor der Gesellschaft beziehen, durch ein systematisch durchg,ecführtes Trucksystem in Form der Blechwirtschaft noch ·weiter veningert werden, daß die Wirte als Pächter der Gosellscfuaft, die Partieführer als die unmitte·lbaren An­gestellten derselben zum Zwecke der Bewucherung der Arbeiter E-inen Terrorismus ausüben, ;cller nicht nur jedem menschlichw Gefühl, so,ndern auch dem § 78 der Gewerbeordnung hohn­spricht. Bei Strafe sofortiger Ent1a.ssung mußten die Arbeiter ihr Blechgeld in bestimmten Kantinen verausg,aben.

Durch Eingreifen des Gewerbeinspektorats wurde die Blechwirtschaft abgestellt und wird s'either in Bargeld aus­bezahlt. Der "Truck" wird aber fortgesetzt, indem auch jetzt die n A rbeitern das V erl assen des w,mkes verboten ist und sie bei Strafe der EntLassung gezwungen sind, ~n den Kantinen der Gesellschaft ilhren Lohn von 60 bis 80 Kreuzer täglich zu verzehren .

Die Wienerbarger Akti,~ngcsellschaft gibt ihren Ar­beitern auch Wohnung, ja sie verbietet ihnen, auswärts zu schla fen. Die Wohnungsverhältnisse sind aber die denkbar schlechtesten. Insbesondere sind die Partiearbeiter gezwUJngen, in unventilierten, iibe,rfüllten Räumen auf altem Stroh, Körper an Körper 'llebeneinander geschlichtet, zu schlafen. Früher 70, heute noch etwa 30 Arbeiter aber sdhla·fen auf und in einem in Betrieb stehende111. Ringofen ohne Unterlage und ohne Deck .

Dies alles geschieht u n t e r c1 e n A u g e n d e r k. k. Gendarmerie, we,lche als Organ der k. k. Bezirks­hauptTnannschaft als der Gewerbebehörde erster Instanz dafür zu sorgen hätte, daß die k. k . Bezirkshauptmannschaft Sech ··­haus ihre Pflicht naclh § 141 der Gewerbeordnung tUJn kann. Diese Pflicht aber be-steht in der "Untersuchung und Be­strafung der Übertretungen" des Gewerbegesetzes. Von Seite der Gewerb ebehörde erster Instanz, der Bezirkshauptmann­schaft Sechshaus, sowie ihrer Organe, der Gendarmerie, ist, obwohl sie d~e hier angedeuteten unmenschlichen und gesetz­widrigen Zustände seit J ,ahrcn k annten und der Sachlag nach kennen mußten, niclht das geringste g,e,tan worden, um sie Zll

b seitigen und ihre Urheber, die Direktoren der \V i c n e r b e r g e r G e e 1 l c h a :f t u n cl i h r e A n g e­s t e ] 1 t e n, z u b es t r a f e 11.

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22 Die Lage der Ziegelarbeiter

Als jedoch die erwähnten Artik·eJ in dem Wochenblatt "Gleichheit" erschienen und die k. k. Gendarmerie, Ulnd d11.uch sie die k. k. Bezirkshauptmannschaft zur Kenntnis gelangten; die entsetzlichen Tatsachen seien insbes•ondere durch die .A.us­sagen zweier Arbeiter, Jo.ha1m R a -a·b und Ludwig Ha a rl er, in die Öffentlichkeit gekommen, die beiiden hätten aucih zur Verbreitung der nicht konfiszierten Artikel unter den ,ciJabei am meisten interessierten Ziegelarbeitern beig'eib"agen, da ent­wickelte diese Be h ö r d e und ihre 0 r g an e so f o r t e in e f i e b e r h a f t e T ä t i g lk e i t. Dberall wurde nach der betreffenden Zeitung gesucht, und J ohann Raab wurde in der Nacht des 3. Dezember von der Gendarmerie aus dem Bette geholt und sofort 1dlem Bezirksgericht Hietzing übergeben; nachdem auch Ludwig Raader am 8. Dezember von der Gen­darmerie verhaftet war, wurden am 13 . Dezember beide vom Bezirksgericht Alsergrund wegen Übertretung des § 23 des Preßgesetzes zu zehn Gulden Geldstrafe eventuell 48 Stunden Haft verurteilt, nachdem der eine zehn, der an1dle.re fünf Tage in Untersudhungshaft gewesen war. Beide konnten nach·weisen, daß sie bis vor kurzem in Arbeit gestanden, daß sie Arbeit gesucht, Ullld daß sie Arbeit in sicherer Aussicht hätten, &owie daß sie im Besitz •ffiniger Geldmittel seien. Sie wurden deshalb beide von der Anklage nach § 1 des Vagabundengesetzes frei­gesprochen. Bei1dle wurden aber über V erlangen der Polizei­direktion Wien nach Abbüßung ihrer Strafe an die Polizei zurückgestellt und sofort auf Grund der Ausnahmev·e.r­fügungen, der Verordnung des Gesamtmimisteriums Yom 30. Jänner 1884 aus den Geltungsbezirken Wien, Km·neu burg und Wiener-N eustadt aus gewiesen. Es liegt hier ein Fall vor, wo es klar wird, wie der angeblich ausschließlich geg,en die anarchistische Bewegung gerichtete, an sich schon so odiose A u s n a lh m e z u s t a n d m i ß b r a u c h t wird, um mißl~ebige Arbeiter zu maßregeln mwll zu entfemen. D a s aus d rü c k­li che Versprechen Seine r Exzellenz cl ·es M i n i s t e r p r ä s i cl e n t e n G r a f e n T a a f f e, cl i e v e r­a n t wo r tun g s vo ll en Be :f u g n 'i s s e nur im No t­f a ll und n u r z u r II in t a n h a 1 t u n g a n a r c h i s t i­s c h e r V e r b r e c h e n z u g e ,b r a u c h e n, w i r d v o n d e n iln;1 u n t c r s t c ll t c n P o 1 i z e i o r g a n e n b e k a n n t e r-

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Die Lage der Ziegelarbeiter 23

m a ß e n i n k e i n e r B e z i c h u n g r e s p e k t i e r t. Dafür sind die vorgeführten Tats,achen ein eklatanter Beleg.

Der Zusammenhang der e1rzählten Fakten muß bei der B e v ö 1 k e r u n g cl e n d r i 11 g e n cl e n V e r d a c b t e r­w e c k e n, a l s o b G e n d a r 111 e r i e G e w e 1· b e b e h ö r-

' den und Polizei organisch zusammenwirken w ü r d, e n, um Gesetzesübertr•e,tungen von Seite der Wiener­berger Aktiengesellsclhaft u n o· e 8 t ö r t u n d s t r a f l o s

b

fortbestehen zu lassen, während alle Bemühungen von Seite der Arbeiter sich des unerträglichen Druckes zu erwehr n mit Verhaftung, Ver ur t •e i l u n g und Aus w e i SI u n g beantwortet werden.

Die Unterzeichneten fragen deshalb 1. Den Herrn Hand e 1 s mini s t er: ob er geneigt ist, die bereits begonnene .Aufdecku.ng

dieser s c h r e i e 'n d e n Mi ß s t ä n d e durch kräft1ge Unterstützung des betreffenden Gewerbeinsp<ektors W'Citer zu fördern~

2. Den Herrn La n d e s v e r t e i tlii g u n g s-minister:

ob er von der oben g•eiSchilderten Verwendung der k. k. Gendarmer i e zugunsten ver-werf l ichier Privatinteressen einer Aktiengese ll sc haft Kenntnis hat, und was er dagegen zu tun gedenkt?

3. Den Herrn Ministerpräsidenten als M in i s t e r des Innern:

ob ihm di•e g•eschilde1'ten Vorgänge bekannt sind; ob er gen·eigt ist, ·der k . lli:. Bezirkshauptmannschatft Sechshaus sofort den Auftrag .vu geben, die Bestimmungen de~ Ge­werbeges,etzes auch gegenüber 1d1er \ iVienerberger Ziegel­fabriks- und Haugesellschaft dmchzuführen, und ob er der im obigen, wie in so vielen anderen Fällen gehandhabten, m i ß b r ä u c h l ich e n, gegen seine eigenen Erklärungen~ verstoßenden P r a k t i z i e r u. n g d es .A u. s nahm e­z u sta nd es durch die Wiener Polizeibehörden endli ch energisch entgegentreten wird~

P.ernerstoder, Dr. Kronawetter R'ichter Kaiser, Fürnkranz, . ' '

Türk, rsin, Dr. Eng>eJ, Dr. Gregr, Dr. Exner, Dr. Stein-wender, Kreuzig, Reicher, . Dr. W enzlitzke, Dr. Bareuther,

Dr. H. Fuß, Prade, Lazanski, Dr. Roser, Posch."

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24 Die Lag-e der Ziegelal'beiter

luf die A.ntwort sind wu se hr n e u g i e r i g. Aber wir werdien warten müssen! In jedem anderen Parlament wären alle drei Minister entrüstet aufgesprungen und hätten sofortige Abhilfe zugesagt. Bei uns bleiben eh e. Minister ruhig sitzen und denken: zum:ächst kommen die W eihnachtsferien, dann die Neujahrsferien und dann wird ehe Geschichte eingeschlafen sein. Nun, wir geben sämtlichen Exzellenzen die feie rliche V ers.icherung, daß wir wissen wBJrden dafür zu :orgen, cl a ß diese Geschichte nicht e in sc hlaf e.

* * * Einem Privatbrief 1clles Genossen R a ,ab entnehmen wir

folgenden Bericht, welcher zeigt, wie bei uns Leute belhandelt werden, die es wagen, ei.ner Kapitalsmacht, wie es die Wiener­berger Ge,sellschaft ist , unangenehm zu werd en, indem sie ihr gegenüber die Menschlichkeit und das in Öst en ei.ch zu Recht bestehende Ges·etz vertreten. Genosse R a ab schreibt:

" .. . EndJich komme ich in die rungenehme Lage, em f reies Wort über unser·e Quale1; zu schreiben und meine Er­lebnisse zu schrildern. Montag, am 3. D ezembe1·, um 12 Uhr nachts, wurde ich in Inzersdod ausgeih oben. Ich wurde dlurch Pochen g.eweckt, gleichzeitig er<>choll der Ruf: "Aufmachen". Die Ti.i r wurde geöffnet, der Postenführer trat ein, fr·agte nach mir, ich sagte ihm, daß ich der Gesuchte sei, worauf er mich fi:ir verhaftet erklärte. Sofo.rt wurde ich durchsucht, zu­erst die Kleider, dann die Strohsäcke, Decken und Betten nach der "Gleichlheit" durchsucht, aber nichts gefunden. Dann schr.ic der Postenführer mit voller Kraft d'er Kehle: So ein Ge­sindel, V.agabunden, Rebellen unterstehts ihr euch über Nacht zu halten~ Ihr seid gerade so schlecht wie d e r Vagabund. Die Frau weinte, d~e Kinder des Hausherrn schrien laut a:uf und er selbst suchte sich zu verteidigen, wurde jedoch von dem Schreien der Kinder und dem Weinen ,d,er Gattin übertönt und gar nicht gehört. E n.dliclb. wurde ich vom Post enführer erfaßt und zur Tür hinausgestoßen.

E s war 12 Uhr nachts, als man mich verhaftet hatte, trotzdem war ein Auflauf gewesen. Beim Hausto r erwarteten mich noch drei Gendarmen und drei Wächter*) . E in Gen1da rm vor mir, einer rechts, einer links, einer hinter mir mit auf·

*) Diese Wächter sind Angestellte der W i e n ~' r b e r g e r Aklir.ngese ll schaf l.

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gepflanztem Bajonett, wurde ich wie der größte Ve1·brecher geführt. Ich wurde nachts im Gemeindearrest eingesperrt. Am nüchsten T.ag., Dienstag, e1rhielt icih zwei Semmeln und wm1d.e von e:illlem Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett nach Hietzing geführt. In Hietzing wurde ich durchsucht, ob ich 1·ein vom Ungeziefer sei, was der Fall ·war und in eine Zelle gesteckt, die fünf Schritte l ang, drei Schritte breit und eb.enso hoch war. In der Zelle waren wir sechs Personen. Ungeziefer, ·wie Läus•e, F löhe, Wanzen war s•eb.r viel zu finden. Trotzdem, daß wir uns bescruwertcn weo-en Überfüllung denn vvir mußten

. b '

v;olle 18 Stunden li egen oder sitzen, herumzugehen war un-möglich; größere Zellen hatten zwei höchstens vi•er Personen;

' wir sechs waren daher gezwungen, auf dem Fußbo1d,en zu liegen, denn auf den Strohsäcken war für alle kein Platz. Die Kost bestand aus Einbrennsuppe, Zuspeis und Brot. Femer vvar das Nachtgeschirr samt Urin und Exkrementen fort­während im Zrrnmer, es w.ar mit einem zerbr ochenen D eckel versehen. Der Gestank war ein unbeschreiblicher. Sonntag den 9. Dezember wurde ich durch einen Sicherh itswachmann nach Penzing aufs Kommissariat o·eführt und mußte vier

b

Stunden dort zubringen. Mit mir waren noch zwei andere dort eingespen·t, welclhe sich Essen anschafften, und es wur'de ihnen g.e,bracht, was sie wollten, natürlich ums Geld. Als ich höflich ersuchte, mir ein Brot zu bringen, wurde ich b.a rsch abgewiesen, man habe keine Zeit, war die Antwort, und so geschah es uns überall ·bei der Polizei. Sträflingskleid·er bekam ich desh-alb, weil man mich zu Hausarbeiten, wie Zimmer­waschen, Gangkehl'e•n, N achtgeschirraustragen, Eßgeschirr w.asclhen usw., verwendete.

In der Zelle an1 Al. ergrund befand sich eine Hausord­nung von Gla ·er unterfertigt, welche besagte, daß zum Reini­gen und zu Hausarbeiten nur Sträflinge zu verwenden sind. Untersuchungshäftlinge siwd1 von Hausarbeiten befreit. Haus­arbeitea.· erhalten doppelte Portio•n Brot, Suppe u ·w. Ich wurde mit dem Genossen Ludwig Hader aber zu HausaQ'beiten ver­wendet, weil wir nicht 60 Kreuzer dem Zimmervat er zahlen wollten, welche dieser von uns verlangt hatte. Ich und Ludwig H acler wollten uns beim Hausdirektor beklagen, aber der Aufseher hat mich nicht vorgelassen, er sagte, wenn's mir nicht recht sei, so bekomme ich 48 Stunden Konektionshaft. W n:-;

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blieb mir übrig, .als -diese Arbeiten zu verrichten. Das war die Ursaclhe, daß ich Sträflingskleider tragen mußte. Samstag, nach Abbi.ißung (!,er 48 Stunden, glaubten wir auf freien Fuß ge­setzt zu werden.

Wir wurden aber zur Polizeidirektion, dann in die Theobaldgasse gebracht, wo es hieß, es werde über uns Sitzung gehalten; dara·uf wurden wir getren'llt. Ich wwrde nach Sechs­haus hinausgeschickt, von dort I 1e.tour und so bekam ich .Sams­tag den ganzen Tag nichts zu essen, als in der Früh eine Suppe; im Bezirksgericht wurde ic'h jedoch ,bis abe.nds 9 Uhr fort­während spazieren geführt. Sonntag nachmittags 1 Ulhr wtll1de mir die Ausweisung vorgelesen; ich wurde um den letzten Wunsch gefragt, wo ich bei 20 Wünsche vorbrachte, aber keiner wurde •e.rfüllt.

Sonntag hatten sie uns beide p h o t o g r a p h i e r t, Größenmaß lJJlld Personsbeschrei'bung aufgeschrieben.

Montag 12 Uhr wurden wit aufgefordert, uns reisefertig zu machen, um halb 2 Uhr brachen wir auf. Am N ordbahnlho.f wurden wir von zwei Zivilwachllllännern, von einem Inspektor, einem Wachmann im Dienst und vom Kommissär empfangen. Von einem Zivilwachmann begleitet, fuhren wir bis nach Lund·enburg. Hier bekamen wir unsere Dokumente. Beim Ab­steigen fragte er uns, wohin wir reisen werden und plötzlich verschwand der Begleiter samt •den Fahrkarten, so· daß ·wir uns herumstreiten mwßten, man w.ollte uns nachweisen, daß wir ohne Fahrkarten gefahren seien. In der Nälhe des Bahnhofes begegneten wir unserem Begleiter, wie er sich mit den Gen­dannen (drei Mann) besprach. Hierauf wurden wir verfolgt auf Schritt und Tritt und setzten unsere Fahrt fort ... "

Wir glauben, jedes Wort ist überflüssig! Aber eines mi.issen wir ausdrücklich erklären. Wir kennen Genossen R a ab nunmehr durch lange Zeit, wir haben ihn nie auf einer Übertreibung betroffen; s.eine Angaben über di•e Lage der Ziegel,arbeiter waren so vorsichtig, daß uns 1d1er persönliche Auge,nschein lehrte, daß sie weit hinter der WirklichJc.e~t zurückblieben. Er ist wahrlheitsliebend, bescheiden und jeder Aufschneiderei unfähig. W a.s er hier erzählt, is t also buch­stäblich wahr. - Und nun mache man sich ein Bild von unseren sozial,e,n und politischen Zuständen ! Wird man es uns glauben, daß sie r e i f sind! !

("G l e. ich h e i t" Nr. 51 vom 22. Dezember 1888.)