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1 DORNRÖSCHEN – DIE LETZTE ZARENTOCHTER Ballett von Youri Vámos Bruna Andrade als Anastasia & Admill Kuyler als der Unbekannte Musik Peter I. Tschaikowski Musikalische Leitung Christoph Gedschold / Steven Moore Inszenierung & Choreografie Youri Vámos Einstudierung Joyce Cuoco & Filip Veverka Bühne & Kostüme Michael Scott Licht Klaus Gärditz Premiere 16.11.13 GROSSES HAUS STAATSTHEATER KARLSRUHE Baumeisterstr. 11 76137 Karlsruhe

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DORNRÖSCHEN – DIE LETZTE ZARENTOCHTER Ballett von Youri Vámos

Bruna Andrade als Anastasia & Admill Kuyler als der Unbekannte Musik Peter I. Tschaikowski Musikalische Leitung Christoph Gedschold / Steven Moore Inszenierung & Choreografie Youri Vámos Einstudierung Joyce Cuoco & Filip Veverka Bühne & Kostüme Michael Scott Licht Klaus Gärditz

Premiere 16.11.13 GROSSES HAUS STAATSTHEATER KARLSRUHE Baumeisterstr. 11 76137 Karlsruhe

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LIEBE LEHRERINNEN UND LEHRER, mit dieser Materialmappe zu unserem neuen Ballett Dornröschen – Die letzte Zarentochter für Jugendliche ab 12 Jahren möchte ich Ihnen theaterpädagogische Begleitmaterialien für einen Ballettbesuch mit Ihrer Klasse anbieten. Neben allgemeinen Informationen zu Stück und künstlerischem Team, finden Sie Hintergrundinformationen zum Fall Anastasia, welcher Youri Vámos maßgeblich bei seiner Bearbeitung des Dornröschen-Balletts inspiriert hat. Darüber hinaus enthält die Mappe Ideen zur Vor- und Nachbereitung, die Ihnen Anregungen zur Einbindung des Theaterbesuchs geben und einen praktischen Zugang zur Thematik eröffnen sollen. Mit Dornröschen – Die letzte Zarentochter setzt das BADISCHE STAATSBALLETT seine Reihe der großen Handlungsballette des 19. Jahrhunderts fort. Wie bei Der Nussknacker – eine Weihnachtsgeschichte zeichnet auch hier Youri Vámos für die Choreografie verantwortlich, welcher seit Jahrzehnten das Publikum immer wieder als großes choreografisches Erzähltalent überzeugt. Seine Interpretation des Dornröschen-Balletts entführt uns in die glanzvolle Welt des Zarenhofes zu Beginn des 20. Jahrhunderts: fantasievolle Kostüme, eindrucksvolle Darbietungen des corps de ballets und diffizile Kabinettstückchen der Solisten prägen die Szenen der Märchenwelt. Diese werden ästhetisch wie darstellerisch mit den Szenen der flüchtenden Frau gebrochen, welche anhand sehnsuchtsvoller pas de deux- und Soloparts die psychologische Situation der Protagonistin verdeutlichen. Dornröschen – Die letzte Zarentochter zeigt jedoch nicht nur das technische Können der Tänzer*innen des BADISCHEN STAATSBALLETTS, sondern gibt diesen auch Raum, vielschichtige Figuren auf der Bühne zu präsentieren. Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie sich gerne jederzeit bei mir melden. Ich wünsche Ihnen einen anregenden Theaterbesuch und viel Vergnügen bei der Lektüre! Herzlich, Magdalena Falkenhahn JUNGES STAATSTHEATER KARLSRUHE Theaterpädagogin Oper, Ballett KONTAKT T 0721 725 809 23 E-Mail [email protected]

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INHALT Stück 4 Sehnsucht & Erinnerung 6 Team 9 Presse 12 Materialien 13 Ideen zur Vor- & Nachbereitung 20

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STÜCK

Hintergründe

Das Märchen Dornröschen ist den meisten Kindern und Jugendlichen aus der Märchensammlung der Gebrüder Grimm bekannt. Das berühmte Ballett von Peter I. Tschaikowski beruht jedoch auf der französischen Version des Dichters Charles Perrault La belle au bois dormant aus dem Jahr 1697, dessen Handlung sich leicht von der in Deutschland bekannten Fassung unterscheidet. Das Märchen erzählt die Geschichte einer Prinzessin, die bei ihrer Taufe von einer bösen Fee verflucht und damit dem Tode geweiht wird. Durch das Einwirken einer guten Fee kann die Strafe abgemildert werden und anstatt an ihrem 16. Geburtstag zu sterben, verfällt Prinzessin Aurora mitsamt ihres Hofstaates lediglich in einen hundertjährigen Schlaf. Schließlich wird sie von einem vorbeiziehenden Prinzen durch einen Kuss erweckt und der Fluch damit gebrochen. Iwan A. Wsewoloschski, Ballettdirektor des Marinski-Theaters in St. Petersburg, wurde in den 1880er Jahren auf das Märchen aufmerksam und sah darin einen geeigneten Stoff für ein neues Handlungsballett. Er selbst verfasste dafür das Libretto, die Musik gab er bei Peter I. Tschaikowski in Auftrag. Als Choreografen engagierte er Marius Petipa – einen der größten Meister seiner Kunst, dessen Handlungsballette bis heute immer wieder mit großem Erfolg zur Aufführung gebracht werden. Youri Vámos widmet sich dem Dornröschen-Ballett Anfang der 1990er Jahre und setzt dieses mit dem Fall Anastasia in einen neuen Kontext. Protagonistin der Handlung ist nun nicht mehr eine Märchenprinzessin, sondern eine junge Frau, die sich für eine „wahre“ Prinzessin – die Zarentochter Anastasia – hält. Mit dieser Rahmenhandlung gibt Vámos dem Ballett eine weitere Dimension, die den agierenden Figuren auf der Bühne eine psychologische Tiefe verleiht. Detaillierte Informationen zu Inspiration und Konzept hinter Dornröschen – Die letzte Zarentochter sowie eine anschauliche Analyse der Schlüsselszenen finden Sie anbei unter Sehnsucht & Erinnerung – Gedanken zum Stück von Dr. Christoph Gaiser.

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Inhalt und Struktur ERSTER AKT I. Tobolsk, Sibirien Die Zarenfamilie Romanow wird während ihrer Gefangenschaft von Soldaten bedrängt. Anastasia läuft zu ihrem Vater und erinnert sich in seinen Armen an sorglose Zeiten. II. Alexanderpalast, Zarskoje Selo Anastasia bewundert ein Gemälde, es stellt ihren Vater, den Zaren, dar. Ihre Familie (Vater, Mutter, drei Schwestern und Bruder) überraschen sie zu ihrem zehnten Geburtstag mit einem Fest. Sie wird vom Vater zur Königin des Festes gekrönt; sie bekommt eine Geburtstagstorte, und die Schwestern überreichen ihr selbstgefertigte Geschenke. Tänzer des eingeladenen Zarenballetts schenken ihr eine Katze, Rasputin, der Freund der Familie, eine russische Puppe. Von ihrem von Krankheit geschwächten Bruder Alexei bekommt sie einen blauen Vogel im Käfig. Als er dabei in Ohnmacht fällt, bittet die besorgte Familie Rasputin um Hilfe. Bewundernd beobachtet Anastasia, wie Rasputin Alexei wieder zu sich bringt und ihn auf seine Weise aufzumuntern versucht. Glücklich kehrt die Familie in den Saal zurück: der Zar steckt Anastasia ein Blume ans Kleid. III. Jekaterinburg, 16.7.1918 Rückblende zu I. Die Soldaten werden immer bedrohlicher. Die Familie wird exekutiert. Die Körper sinken leblos nieder... IV. Auf der Flucht, über Jasey nach Rumänien bis Bukarest Eine zur Flucht verurteilte Frau ist von den Erinnerungen Anastasias besessen. In ihrer Fantasie sieht sie das zerstörte Bild des Zaren Nikolaus. An die Stelle seines Abbildes tritt der „Unbekannte“ (der Tod). Dieser bringt ihr ihre Erinnerungen nahe, als ob sie sich wieder glücklich im Hofgarten des Zarenpalastes befänden. Alleingelassen findet sie sich in der Realität – auf der Flucht – wieder. ZWEITER AKT V. Brücke in Berlin Unter den Passanten und Straßenverkäufern entdeckt sie einen Vogelkäfig und erinnert sich an den Tag, an dem sie auf einer Jagd ihren blauen Vogel freigelassen hatte. Erstaunt wird ihr ungewöhnliches Verhalten von Passanten beobachtet. In Verzweiflung stürzt sie sich von der Brücke. Gerettet von „ihm“, dem Unbekannten, fühlt sie sich geborgen und geliebt – zurück in der Realität sucht sie mit ihrer ganzen Kraft nach „ihm“, um durch seine Hilfe zu sich selbst zu finden. VI. Winterpalast, Petersburg Durch „ihn“ sieht sie sich selbst, umgeben von der verlorenen Familie, welche die beiden prunkvoll empfängt. Epilog Die gebrochene alte Frau findet Erlösung in den Armen des Unbekannten.

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Sehnsucht & Erinnerung Gedanken zum Stück von Dr. Christoph Gaiser (Dramaturg)

Anfang der 1990er Jahre, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, war die Zeit herangekommen, sich auf das Schicksal der im Juli 1918 erschossenen Zarenfamilie zu besinnen. In einer Nacht- und Nebel-Aktion hatte man seinerzeit die Leichen der Ermordeten in einer Tongrube verscharrt und den Schleier des Schweigens darüber gesenkt, um den Ort nicht zum Wallfahrtsziel für Monarchisten werden zu lassen. Die genaue Grabstelle war zwar seit 1979 bekannt, doch erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden die Leichen exhumiert und wissenschaftlicher Untersuchung zugeführt. Im Zuge dessen kam die Rede wieder vermehrt auf den „Fall Anastasia“, der Medien und Gerichte jahrzehntelang immer wieder beschäftigt hatte. Eine junge Frau hatte Anfang der 1920er Jahre behauptet, die jüngste Zarentochter Anastasia zu sein und das Massaker von Jekaterinburg überlebt zu haben. Die Boulevardpresse stürzte sich auf diese Geschichte, die zusätzlich Brisanz dadurch gewann, dass die Frau jahrelang in einer Nervenklinik zugebracht hatte. Der europäische Hochadel und die russische Emigranten-Community entzweiten sich über der Frage, ob hier ein Fall von Hochstapelei oder ein Wunder vorliege. Und obwohl eigentlich alles für die Hochstapelei sprach und wir heute durch DNA-Analysen wissen, dass die Frau nicht mit der Zarenfamilie verwandt gewesen sein kann, schlug sie, die der jüngsten Zarentochter mehr oder weniger ähnlich sah und eine geradezu magische Ausstrahlung gehabt haben muss, die Öffentlichkeit nicht nur über Jahre, sondern über Jahrzehnte in ihren Bann. Als hätte sie wie ein Brennglas die Sehnsüchte und Hoffnungen gebündelt, die aus dem Zusammenbruch der „alten Ordnung“ freigesetzt worden waren. Man ging sogar soweit, sich ihre Ausstrahlung durch Seelenwanderung zu erklären: die echte Anastasia habe gleichsam vom Körper der angeblichen Anastasia Besitz ergriffen und durch diesen geredet und gehandelt. Als Youri Vámos sich Anfang der 1990er Jahre dazu entschloss, ein Dornröschen- Ballett zu schaffen, gab ihm die Berichterstattung über die Geschehnisse um die Leichen der Familie Romanow entscheidende Impulse für die inhaltliche Gestaltung. Seit er sich 1981 mit Coppélia am Montmartre dem Genre des Handlungsballetts auf klassischer Grundlage zugewandt hatte, versuchte Youri Vámos in seinen Stücken die Triebfeder menschlichen Handelns herauszuarbeiten und psychologisch schlüssige Deutungen von Persönlichkeiten und Situationen zu liefern. Bei der Märchenhandlung von Dornröschen biss sich Vámos mit seinem auf Erklärung und Erhellung abzielenden Ansatz verständlicherweise zunächst die Zähne aus. „Ich suche die Menschen in diesen Stücken und finde sie nicht“, so brachte Vámos im Jahre 1993 sein Unbehagen an den Balletten des 19. Jahrhunderts und ganz konkret an Dornröschen in einem Zeitungsinterview auf den Punkt. Wsewoloschski hatte in seinem Libretto die Erzählung von der Belle au bois dormant zu einer Balletthandlung ausgestaltet, die nicht nur die Rolle der im Märchen recht sparsam beschriebenen Feen stark akzentuierte, sondern die sattsam bekannte Handlung auch auf die ersten beiden Akte eines dreiaktig angelegten Stückes beschränkte. Anders ausgedrückt: das Happy End in Gestalt der Auferweckung der Prinzessin Aurora durch den Prinzen Désiré erfolgt bereits in der Mitte des Stückes, am Ende des Zweiten Akts. In den Dritten Akt setzte Wsewoloschski, stets auf Situationen für glanzvolle Ausstattung und choreografische Kabinettstückchen bedacht, eine ausgiebige Schilderung des Hochzeitsfestes, bei welchem die vormaligen Protagonisten weitgehend zu Zuschauern degradiert sind. Im Vordergrund steht das Défilé von Figuren aus anderen Märchen, zumeist aus der Sammlung von Perrault. Blaubart, der gestiefelte Kater, Aschenputtel, der kleine Däumling und Rotkäppchen sind nur einige Protagonisten dieser Märchen-Revue. Durch den Auftritt vierer bislang nicht eingeführter Feen sowie durch eine von Türken, Äthiopiern, Afrikanern und Amerikanern getanzte Quadrille nimmt der Dritte Akt noch zusätzlich Züge eines bloßen Anhängsels an. Doch Tschaikowski hat hierzu schlichtweg

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hinreißende Musik komponiert und Petipa schuf etwa mit der Variation des Blauen Vogels und der Prinzessin Florine eine der schillerndsten Perlen choreografischer Kunst im 19. Jahrhundert. Es war klar, dass Youri Vámos für seine Neudeutung vorrangig an das Geschehen der ersten beiden Akte anknüpfen musste, aus der Einsicht heraus, dass der Kern der Dornröschen-Geschichte uns auch heute noch sehr viel zu sagen hat. Und es waren Beobachtungen sowohl am Originallibretto als auch an Tschaikowskis Partitur, die Vámos die nötigen Anknüpfungspunkte gaben, um ein Handlungsgefüge zu erstellen, das er auf authentische Weise ausgestalten konnte. Aus dem Märchen und seiner erweiterten Gestaltung durch Wsewoloschskis Libretto schälte Vámos den Aspekt der Familie und des durch Feste und Feierlichkeiten geprägten Familienlebens heraus. Vámos entschloss sich, die Haupthandlung an den Zarenhof des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu verlegen. Dass in diesen Kontext weder Feen noch Fleisch und Blut gewordene Märchenfiguren mehr integrierbar waren, liegt auf der Hand. Um die Szenen unbeschwerten Familienlebens im Hause Romanow und um die glanzvollen Feste und Bälle ließ sich indes eine Rahmenhandlung bauen, welche ins 20. Jahrhundert und den „Fall Anastasia“ verwies. Entscheidend für das Verständnis von Vámos‘ Konzeption ist nun, dass er kein Interesse an einer Antwort auf die Frage hatte, ob die angebliche Anastasia nun wirklich die letzte Zarentochter sei oder nicht. Was ihn interessierte, war die psychologische Situation einer Frau, die aus einer traumatischen Erfahrung heraus zu behaupten beginnt, dass sie jemand ganz anderes sei. Die sich aus einer als belastend empfundenen Welt in all ihrem Reden und Tun in eine andere Welt begibt, die Züge eines Märchens trägt. Eine unbeschwerte Welt, ohne Krieg und ohne Sorgen und mit einem intakten Familienleben. Und so wird zu Beginn von Youri Vámos‘ Stück, das folgerichtig den Titel Dornröschen – Die letzte Zarentochter erhalten hat, eine Frau auf der Flucht gezeigt, die sich angesichts des unmittelbar erlebten Schreckens in eine andere Welt hinüberträumt. Vor unseren Augen ersteht das Bild vom Zarenhof vor dem Ersten Weltkrieg, wo sich Anastasia im Kreise ihrer drei Schwestern, ihres kleinen Bruders Alexei und ihrer Eltern befindet und ihr zehnter Geburtstag gefeiert wird. Ihre Geschwister überreichen ihr Geschenke, und gerade an diesem verhältnismäßig unbedeutend erscheinenden Handlungselement lässt sich die Überlegtheit von Youri Vámos‘ Eingreifen in den originalen Werktext und sein Respekt vor dem Charakter der Musik Tschaikowskis aufzeigen. Ebenso übrigens sein Bestreben, den problematischen Dritten Akt von Dornröschen nicht gänzlich mit Verachtung zu strafen. Wenn in der Geburtstagsszene von Dornröschen – Die letzte Zarentochter Anastasias Geschwister ihre Geschenke überreichen, erklingt dazu größtenteils die Musik, die im Originallibretto den im Prolog auftretenden guten Feen zugewiesen war. Die leichtfüßige Musik der Brosamen-Fee (Miettes qui tombent) illustriert beispielsweise das Spiel mit Seifenblasen, die zwitschernde Musik für die Kanarienvogel-Fee (Canari qui chante) ist der Überreichung einer Flöte als Geschenk unterlegt, die hin und her schwingende Musik der Fee Violente schließlich mit kindlichem Seilspringen in Verbindung gebracht. Katze und Kater, im Originallibretto Teil der Revue des Dritten Akts, sind von Vámos in den Ersten Akt vorgezogen worden und fügen sich in die Geschenkeüberreichung bestens ein. Auch der blaue Vogel wird bei Vámos zum Geschenk umgedeutet, allerdings nimmt er eine strukturierende Funktion ein, welche über die Geburtstagsszene im Zweiten Bild weit hinausgeht. Die Würdigung des Geschenks von Anastasias Bruder Alexei wird durch dessen Schwächeanfall unterbrochen, doch in der Straßenszenerie des Fünften Bildes taucht plötzlich ein Vogelkäfig auf, der wiederum in der Frau auf der Flucht die Erinnerung an einen Jagdauslug hervorruft. Zurück auf der Straße in Berlin löst der Käfig letztlich den Sprung der Geflohenen von der Brücke ins Wasser aus, und erst im Sechsten Bild, als erneut vor unser aller Augen ein Fest am Zarenhof ersteht, werden der blaue Vogel und Prinzessin Florine körperlich gegenwärtig.

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Im Dornröschen-Märchen ging es nicht nur um gute und böse Feen, sondern auch um das Erwachsenwerden und das Erblühen einer jungen Frau. Doch der Prinz, der die schlafende Schöne wachküsst, hat keinen Platz mehr in Youri Vámos‘ Erzählung, er kann dort gar keinen Platz mehr haben. Denn ein Mensch, der sich aus der Not heraus ganz an die Erinnerung klammert, ist nicht empfänglich für die Zuwendung eines anderen Menschen, er ist ganz auf sich bezogen und ganz in seiner Ersatzwelt gefangen. Gerade dieser Aspekt von Youri Vámos‘ Gestaltung des Stoffes ist brennend aktuell: Wir alle dürften Menschen kennen, deren vornehmliches Lebensprinzip das Klammern an die Erinnerung ist, die mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart leben und die für andere kaum mehr erreichbar sind, geschweige denn, dass sie sich auf eine neue zwischenmenschliche Bindung einlassen könnten. Youri Vámos hat daraus für sein Stück sichtbare Konsequenzen gezogen: hier wird aus dem arglos an der schlafenden Schönen vorüberziehenden Prinzen ein geheimnisvoller Fremder, der aus dem Bildnis von Anastasias Vater heraustritt, und der in den Szenen, welche sich in ihrem Kopf abspielen, eine immer prominentere Rolle einnimmt. Die Identität dieses Fremden hat Youri Vámos bewusst im Ungefähren belassen. Er ist eine Allegorie der Zukunft, aus der freilich Züge eines Todesboten herausgelesen werden können. Seine Aufgabe ist es, uns bewusst zu machen, wie wichtig und bestimmend die Sehnsucht nach Geborgenheit ist – für die im Stück gezeigte Hauptfigur und für uns alle.

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TEAM Choreografie Youri Vámos

Youri Vámos wurde in Budapest geboren und absolvierte seine Tanzausbildung an der Staatlichen Ballettschule seiner Heimatstadt. Nach einem ersten Engagement als Solist der Ungarischen Staatsoper wurde er 1972 als Erster Solist an die Bayerische Staatsoper München verpflichtet. 1978 gab er in München mit Paganini (auf Musik von Sergei Rachmaninow) sein Debüt als Choreograf und erschloss schließlich im Jahre 1981 am selben Ort mit dem Handlungsballett Coppélia am Montmartre jenes Genre, das sein weiteres choreografisches Schaffen entscheidend prägen sollte. 1985 wurde er als Ballettdirektor an das Theater Dortmund berufen, wo sich die Reihe der Handlungsballette mit lucidor (nach der Novelle von Hugo von Hofmannsthal auf Musik von Alexander Glasunow, 1985), Schwanensee (1986) und Julien Sorel (nach dem Roman von Stendhal auf Musik von Edward Elgar, 1988) fortsetzte.1988 wechselte Vámos ans Theater Bonn und schuf dort unter anderem die auf E.T.A. Hofmann und Charles Dickens zurückgehende Klassiker-Adaption Der Nussknacker – eine Weihnachtsgeschichte, die seit der Spielzeit 10/11 auch ihren Platz im Repertoire des STAATSBALLETTS KARLSRUHE hat. 1991 erfolgte dann die Berufung zum Ballettdirektor am Theater Basel, wo neben Dornröschen – die letzte Zarentochter (das im Februar 1993 Premiere feierte) auch die Stücke Vathek (nach dem Roman von William Beckford auf Musik von Dmitri Schostakowitsch, 1991) und Ein Sommernachtstraum (auf Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy, 1995) entstanden. Letzteres wurde in der Spielzeit 2008/09 auch beim Karlsruher Ballettensemble einstudiert. Von 1996 bis 2009 lenkte Vámos schließlich die Geschicke der Ballettsparte an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, wo er mit Der Fall Othello (auf Musik von Leoš Janáček, 2000), Cinderella (2001), Erda (auf Musik von Pēteris Vasks, 2005), Giselle (2007) oder la Fermosa – die Jüdin von Toledo (auf Musik von Irmin Schmidt und Hans Pitzner, 2008) gleichermaßen bekannte wie etwas weiter abseits liegende Stoffe aufgriff. Engagements als Gastchoreograf führten ihn beispielsweise an die Deutsche Staatsoper in Berlin (Carmina Burana, 1985), an die Deutsche Oper Berlin (Romeo und Julia, 1999) sowie zum Bayerischen Staatsballett, wo er 1996 auf Musik von Jean Sibelius das Ballett Shannon Rose – Eine Liebe in Irland kreierte. Seit 2009 ist Youri Vámos freischaffend tätig und hat seine Arbeiten unter anderem am Nationaltheater in Brünn, an der Staatsoper und am Nationaltheater in Prag, an der Nationaloper in Riga sowie beim West Australian Ballet in Perth zur Aufführung gebracht. Vámos‘ umfangreiches Oeuvre wurde von Publikum und Kritik gleichermaßen gefeiert; der Tanzkritiker Jochen Schmidt bezeichnete ihn im Jahre 2002 in einem Buchbeitrag als wohl „besten choreografischen Geschichtenerzähler der Gegenwart.“ Im Jahre 2001 wurde Youri Vámos zum Ehrenprofessor der Tanzkunst-Hochschule Budapest ernannt, im August 2007 wurde er für sein Werk von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mit dem Landesverdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.

Einstudierung Joyce Cuoco Joyce Cuoco wurde an der Balanchine School of American Ballet in New York ausgebildet. Bereits mit 13 Jahren wurde sie dank ihrer außerordentlichen Begabung in US-Fernsehshows als Wunderkind bekannt. John Cranko holte sie 1970 als Solistin zum Stuttgarter Ballett. Nach dem Tod Crankos wechselte sie als Erste Solistin an die Bayerische Staatsoper München, wo sie an der Seite von Youri Vámos zum Publikumsliebling avancierte. Als sich Youri Vámos‘ Wirkungskreis in den Bereich der Choreografie verlegte, avancierte Joyce Cuoco zur Protagonistin vieler seiner Kreationen, etwa Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte (Clara), Dornröschen – Die letzte Zarentochter (Anastasia / Anna) und Ein Sommernachtstraum (Helena). Aus dieser profunden Kenntnis seines Werkes heraus ist sie heute im In- und Ausland als choreografische Assistentin für Youri Vámos tätig.

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Einstudierung Filip Veverka Filip Veverka erhielt seine Ausbildung am Konservatorium seiner Heimatstadt Brünn. Sein erstes Engagement erhielt er am Nationaltheater Prag, wo er sieben Jahre lang als Solist tanzte. Im Jahre 2003 wechselte Filip Veverka dann für zwei Spielzeiten ans Tulsa Ballet, bis er einem Ruf als Solist an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf / Duisburg folgte, wo er in zahlreichen Balletten von Youri Vámos wichtige Partien übernahm, u. a. Romeo in Romeo und Julia, die Partie des Unbekannten in Dornröschen – Die letzte Zarentochter (die er später als Gast auch am Nationaltheater Prag verkörperte), sowie die Titelpartien in Spartakus und Julien Sorel. Mit Beginn der Spielzeit 09/10 wurde Filip Veverka Solist des Königlichen Balletts Stockholm. Seit 2011 ist er freischaffend tätig. Am STAATSTHEATER KARLSRUHE tanzte er bereits als Gast die Partie des Nussknackergeistes in Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte.

Bühne & Kostüm Michael Scott Michael Scott stammt aus den USA. Nach einem Volontariat bei Walter Perdacher studierte er in München bei Rudolf Heinrich, ehe er Jürgen Rose bei Arbeiten in München, Hamburg und London assistierte. Mit dem Regisseur Giancarlo del Monaco verband ihn bald eine enge Zusammenarbeit bei über 25 Produktionen, u. a. in Stuttgart, Berlin, Hamburg sowie an der Metropolitan Opera New York. Die Zusammenarbeit mit Youri Vámos begann mit dem biografischen Ballett Tschaikowski und setzte sich mit über zwanzig Produktionen fort, darunter Ein Sommernachtstraum und Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte, die beide auch ins Repertoire des STAATSBALLETTS KARLSRUHE übernommen wurden. Eigens für das STAATSTHEATER KARLSRUHE entstanden die Ausstattungen für Die Entführung aus dem Serail (2004), Giselle (2004) sowie Anna Karenina (2006).

Lichtdesign Klaus Gärditz Fasziniert von den Möglichkeiten des Lichtes wandte sich Klaus Gärditz nach seiner Ausbildung zum Elektromechaniker dem Beruf des Beleuchters zu. Er begann am Landestheater Neuss und kam 1963 an die Deutsche Oper am Rhein. Hier stieg er über die Position des Beleuchtungsmeisters zum Beleuchtungsoberinspektor auf, bis er 1991 die Leitung des Beleuchtungswesens und damit die Aufgaben eines Lichtdesigners übernahm. Während der folgenden Jahre arbeitete er eng mit den Produktionsteams zusammen und betreute Inszenierungen von Regisseuren wie Michael Hampe, Kurt Horres, Günther Krämer, August Everding, Adolf Dresen, Werner Schröter und Tobias Richter. Mit dem Ballett verband ihn eine besondere Zusammenarbeit: Er kreierte das Licht für Erich Walter, Heinz Spoerli und Youri Vámos und betreute dessen Produktionen u. a. in Berlin, Nizza, Istanbul, Lissabon, Riga und Perth.

Dirigent Christoph Gedschold Christoph Gedschold studierte Klavier und Dirigieren in Leipzig und bei Christof Prick in Hamburg. Erste Engagements führten ihn im Jahre 2001 an das Internationale Opernstudio in Zürich und im Jahre 2002 an das Theater Luzern. Während dieser Zeit arbeitete er beim Lucerne Festival für Claudio Abbado, Mariss Jansons sowie Pierre Boulez. Zur Spielzeit 2005/06 wurde Christoph Gedschold als Kapellmeister an das Staatstheater Nürnberg engagiert. Gastdirigate führten ihn u. a. zum Nationaltheater-Orchester Mannheim sowie zum New Japan Philharmonic Orchestra. Seit der Spielzeit 2009/10 ist Christoph Gedschold koordinierter Erster Kapellmeister am STAATSTHEATER KARLSRUHE. In der Spielzeit 2012/13 war er Musikalischer Leiter von Giselle, in der aktuellen Saison übernimmt er dieselbe Funktion beider Kinderoper Wo die wilden Kerle wohnen sowie bei dem Doppelabend Das Kind und Die Zauberdinge / Die Nachtigall.

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Dirigent Steven Moore Steven Moore stammt aus Australien und studierte zunächst Orgel, Korrepetition und Gesang an der University of Southern Queensland sowie am Queensland Conservatorium of Music, später dann an der Guildhall School of Music and Drama in London, wo er einen Mastergrad in Korrepetition erwarb. Weiteren Kursen am National Opera Studio folgte die Aufnahme in das Jette Parker Young Artists Programme am Royal Opera House Covent Garden, wo er als Repetitor und Dirigent wirkte. Es folgten Dirigate u. a. beim Orchester des Royal Opera House und beim San Francisco Opera Orchestra sowie Assistenzen u. a. bei Thomas Hengelbrock. Steven Moore ist seit November 2011 Solorepetitor mit Dirigierverplichtung am STAATSTHEATER KARLSRUHE. In der aktuellen Saison dirigiert er u. a. Vorstellungen von Die Hochzeit des Figaro, Die Fledermaus und Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte.

Erste Solistin Bruna Andrade* In Brasilien geboren, studierte sie an der Akademie des Tanzes Mannheim und ist seit 2006 im Karlsruher Ensemble. Sie tanzte seither u. a. Gamzatti in Die Tempeltänzerin, Titania in Ein Sommernachtstraum, Odette/Odile in Schwanensee, Myrtha und die Titelrolle in Giselle. Peter Breuer kreierte für sie die Partie der Kriemhild in Siegfried. In Dornröschen – Die letzte Zarentochter tanzt sie die Titelrolle der Anastasia.

Erster Solist Admill Kuyler Aus Südafrika stammend, kam er nach einem ersten Engagement in Johannesburg zur Spielzeit 2007/08 nach Karlsruhe. Hier tanzte er u. a. Oberon in Ein Sommernachtstraum, Wronski in Anna Karenina sowie Tybalt und Graf Paris in Romeo und Julia. Peter Breuer kreierte für ihn die Titelpartie in Siegfried, Tim Plegge diejenige des Hora-Mannes in Momo. In Dornröschen – Die letzte Zarentochter übernimmt er die Rolle des Unbekannten.

Solistin Harriet Mills Geboren in England, studierte sie u. a. an der Royal Ballet School in London. 2010 wurde sie Ensemblemitglied in Karlsruhe, wo sie in Schwanensee, Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte sowie in Momo tanzte und die Partien der Brünhilde in Siegfried sowie der Myrtha in Giselle übernahm. In Dornröschen – Die letzte Zarentochter tanz sie die Rolle der Anastasia.

Erster Solist Kt. Flavio Salamanka* In Brasilien geboren, vollendete er sein Studium an der Akademie des Tanzes Mannheim. Seit 2003 Ensemblemitglied in Karlsruhe, tanzte er hier u. a. Albrecht in Giselle, Solor in Die Tempeltänzerin, Don José in Carmen und Beppo in Momo. Im Februar 2013 wurde ihm der Titel eines Kammertänzers am STAATSTHEATER KARLSRUHE verliehen. In Dornröschen – Die letzte Zarentochter ist er in den Rollen des Alexej und des Unbekannten zu sehen. Die Biografien des gesamten Ensembles finden Sie im Programmheft zu Dornröschen – Die letzte Zarentochter, welches Sie auf der Homepage des BADISCHEN STAATSTHEATERS KARLSRUHE kostenfrei herunterladen können: http://www.staatstheater.karlsruhe.de/media/programmheft/BAST_Programmheft_Dornroeschen_Web.pdf * Ehemalige Stipendiaten der Tanzstiftung Birgit Keil

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PRESSE aus: Badisches Tagblatt, 18.11.13

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MATERIALIEN

In diesem Kapitel finden Sie Hinweise zu den historischen Hintergründen des Falls Anastasia, Internetlinks für eine weiterführende Recherche sowie Materialien, welche Ihnen als Anregung für eigene Unterrichtsideen oder zur Anwendung der Übungen unter Ideen zur Vor- & Nachbereitung dienen können. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren!

Chronologie des Falls Anastasia 18. Juni 1901 Anastasia Nikolajewna Romanow wird als fünftes Kind von Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra (vormals Alix von Hessen-Darmstadt) geboren. 15. März 1917 Zar Nikolaus II. lässt infolge der Februarrevolution seine Abdankung verkünden. Er und seine Familie werden zunächst im Alexanderpalast in Zarskoje Selo unter Hausarrest gestellt, dann in die Gouverneursresidenz nach Tobolsk verbracht und schließlich Ende April 1918 im Ipatiew-Haus in Jekaterinburg einquartiert. 16. Juli 1918 Aus Angst davor, dass die vorrückenden Truppen der antibolschewistischen Weißen Armee die gefangenen gehaltene Zarenfamilie befreien könnten, werden in der Nacht zum 17. Juli Nikolaus, Alexandra, ihre fünf Kinder sowie vier Mitglieder ihres Hofstaates im Keller des Ipatiew-Hauses in Jekaterinburg durch ein elfköpfiges Schützenkommando ermordet. Die Leichen werden in einer Torfgrube nördlich von Jekaterinburg vergraben, über den genauen Ort wird von offizieller Seite Stillschweigen bewahrt. Die Zarenfamilie im Jahre

17. Februar 1920 In Berlin versucht eine junge Frau, sich mit einem Sprung von der Bendlerbrücke in den Landwehrkanal das Leben zu nehmen. Das Vorhaben scheitert. Da die Polizei die Identität der Frau nicht feststellen kann, wird sie in die „Irren-Anstalt der Stadt Berlin zu Dalldorf“ (heute Karl-Bonhoefer-Nervenklinik) eingewiesen. Während der Rekonvaleszenz behauptet die Frau, die Zarentochter Anastasia zu sein. Sie habe das Massaker schwer verletzt überlebt, sei von einem polnischen Mann namens Alexander Tschaikowski gerettet und gesund gepflegt worden, sei mit ihm nach Bukarest geflohen und habe dort infolge einer Vergewaltigung ein Kind zur Welt gebracht. Das Kind sei weggegeben worden, Tschaikowski sei bei Straßenkämpfen umgekommen. Sie selbst habe sich nach Berlin durchschlagen können, aber aus Angst davor, von ihren Verwandten nicht mehr erkannt zu werden, sich schließlich das Leben nehmen wollen. Zahlreiche russische Emigranten statten ihr Besuche am Krankenbett ab. 1922 Anna Tschaikowski verlässt die Anstalt in Dalldorf und lebt in den folgenden Jahren bei Verwandten sowie Freunden der Zarenfamilie, aber auch in Krankenhäusern und Sanatorien, unter anderem in Berlin, Lugano, Oberstdorf und Seeon. 1927 Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, Bruder von Zarin Alexandra, engagiert einen Privatdetektiv, der zum Schluss kommt, dass es sich bei der angeblichen Anastasia um die Fabrikarbeiterin Franziska Schanzkowska handele, die seit dem Beginn des Jahres 1920 als vermisst gemeldet worden und zuvor in Nervenheilanstalten behandelt worden war. 1928 Anna Tschaikowski übersiedelt in die USA. Sie lebt zunächst in Oyster Bay, später ermöglicht ihr der Komponist Sergei Rachmaninow den Aufenthalt im Garden City Hotel in Hempstead, wo sie sich als

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Anna Anderson anmeldet. Diesen Namen behält sie bis 1968 bei. 1930 muss sie sich erneut in psychiatrische Behandlung begeben.

1932 Anna Anderson kehrt nach Deutschland zurück. Die folgenden Jahre verbringt sie an wechselnden Orten, unter anderem in Hannover, schließlich auf einem Schloss in Ostdeutschland. 1949 Fürst Friedrich von Sachsen-Altenburg verhilft Anna Anderson zur Flucht aus der russischen Besatzungszone in die französische Zone. Sie kommt in einer ehemaligen Militärbaracke in Unterlengenfeld bei Calw unter, wo sie die kommenden 19 Jahre verbringt. 1968 Anna Anderson, die infolge zunehmender Verwahrlosung zuletzt wieder in Krankenhäusern und Heimen gelebt hatte, übersiedelt erneut in die USA. In Charlottesville, Virginia, heiratet sie den Historiker und Genealogen John Manahan. Ihr Gesundheitszustand macht immer wieder Aufenthalte in Sanatorien und Nervenheilanstalten erforderlich. 17. Februar 1970 Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe bekräftigt in letzter Instanz ein Urteil des Landgerichts Hamburgs aus dem Jahre 1961, demzufolge sich Anna Anderson nicht als überlebende Zarentochter bezeichnen darf. Damit wird ein seit den 1930er Jahren geführter Rechtsstreit um den Anspruch auf Vermögenswerte beendet. Mai 1979 Dem Geologen Alexander Awdonin und dem Filmemacher Geli Rjabow gelingt es, die Grabstätte der Romanows zu finden. Sie kommen jedoch überein, bis zur Änderung der politischen Verhältnisse Stillschweigen zu bewahren. 12. Februar 1984 Anna Manahan stirbt im Alter von 87 Jahren in Charlottesville an Lungenentzündung. 20. April 1989 Geli Rjabow informiert in einem Zeitungsinterview die Öffentlichkeit über den bereits zehn Jahre zuvor gemachten Fund der Grabstätte. 12. Juli 1991 Die Leichen aus der vermeintlichen Romanow-Grabstätte werden exhumiert. Es stellt sich heraus, dass nur die Gebeine von fünf der sieben erschossenen Mitglieder der Zarenfamilie geborgen werden konnten. 5. Oktober 1994 In einer Pressekonferenz erklären die Molekularbiologen Peter Gill und Pavel Iwanow, dass aufgrund der vorgenommenen DNA-Analysen mit einer Wahrscheinlichkeit von 98,5% davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei den aus der Grabstätte geborgenen sterblichen Überresten um die ermordete Zarenfamilie handele, und zwar um Zar und Zarin sowie die Prinzessinnen Olga, Tatjana und Anastasia. Für den Nachweis hatte unter anderem Prinz Philip, Gemahl Königin Elisabeths II. von England, eine Blutprobe zur Verfügung gestellt. Weiterhin bekräftigten die Wissenschaftler die bereits 1927 geäußerte Vermutung, es handele sich bei Anna Anderson um die 1920 verschollene Franziska Schanzkowska.

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17. Juli 1998 In der Peter- und Pauls-Kathedrale zu St. Petersburg werden die sterblichen Überreste der Zarenfamilie beigesetzt. 14. August 2000 Zar Nikolaus II. und seine Familie werden von der Russisch-Orthodoxen Kirche heilig gesprochen. April 2007 In der Nähe der 1979 entdeckten Grabstätte in den russische Archäologen die Leichenteile zweier weiterer Personen. 30. April 2008 Auf einer Pressekonferenz wird bekannt gegeben, dass es sich bei den im Vorjahr aufgefundenen Leichenteilen um die sterblichen Überreste von Zarewitsch Alexei und seiner Schwester Maria handele.

Internetlinks zur weiterführenden Recherche zum Fall Anastasia Die angeführten Links stellen eine Sammlung verschiedenster Medienberichte zum Fall Anastasia und der Familie Romanow dar. Sie bilden einen Querschnitt der Medienlandschaft von Boulevardpresse bis wissenschaftlichen Fachmagazinen.

http://www.lto.de/recht/feuilleton/f/40-jahre-lehrbuchfall-anastasia-die-russische-prinzessin-die-keine-war/ http://www.zeit.de/1956/02/anastasia-und-kein-ende http://www.zeit.de/1958/15/anastasia-sein-oder-nicht-sein http://www.zeit.de/1964/18/ich-bin-anastasia http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46409520.html http://www.zeit.de/1960/50/des-herzogs-raetselvolle-reise http://www.youtube.com/watch?v=M0J5CnkdyVY http://www.zeit.de/1955/52/der-fall-anastasia http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.bad-liebenzell-das-geheimnis-der-anna-anderson.52c0e579-c082-494e-8b97-f051bd16bd22.html http://kunstbloggerin.blogspot.de/2012/01/anna-andersons-zarenreich.html http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/sankt-petersburg-forscher-entdecken-hingerichtete-zarenfamilie-a-767348.html http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-58302595.html http://www.stern.de/politik/geschichte/erschiessung-der-romanows-das-massaker-am-zarenreich-631456.html

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ZAR NIKOLAUS II Geburtstag: 6. Mai 1868 - Regierungszeit: 1894 – 1917

- er ist von der Gesellschaft isoliert im

Palast aufgewachsen

- er war von seiner Alleinherrschaft

überzeugt und lies keine Reformen zu

- er ging brutal gegen Kritiker vor

- er hatte ein überaltertes Weltbild

- sein Vater hielt ihn für einen „Dummkopf“

- er heiratete seiner Jugendliebe; eine Liebesheirat war damals sehr

ungewöhnlich

- ein enger Familienzusammenhalt und Bescheidenheit waren ihm

sehr wichtig

ZARIN ALEXANDRA FJODOROWNA

Geburtstag: 6.Juni 1872

- sie war sehr scheu und zurückhaltend

- sie biss sich bei Zeremonien immer auf die

Lippen aus Furcht, Fehler zu machen

- sie war durch frühen Tod der Mutter sehr

religiös geprägt

- sie war unbeliebt, weil sie keine sozialen

Kontakte einging

- sie ihr engster Vertrauter war der

zwielichtige mystische Wanderprediger Rasputin

- sie liebte ihre Kinder sehr und hat sich selbst um deren Erziehung

gekümmert, was für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich war

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OLGA NIKOLAJEWNA ROMANOWA

Geburtstag: 15. November 1895

- älteste Tochter des Zaren

- großes musikalisches Talent am Klavier

- sie malte gern und schrieb Gedichte

- sie hatte ein außerordentlich gutes

Gedächtnis

- sie war bekannt für ihr

Einfühlungsvermögen und ihre

Hilfsbereitschaft

- sie galt als sehr direkt und temperamentvoll

TATJANA NIKOLAJEWNA ROMANOWA

Geburtstag: 10. Juni 1897

- sie war eine gute Schülerin, liebte

Poesie und Handarbeiten

- sie war sehr zierlich und zerbrechlich

- sie ähnelte aufgrund ihrer

Reserviertheit ihrer Mutter

- sie war sehr interessiert an Mode,

Schmuck und materiellen Dingen

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MARIJA NIKOLAJEWNA ROMANOWA

Geburtstag: 26. Juni 1899

- sie wurde als fröhliches und offenes Mädchen

beschrieben, das gerne flirtete

- sie war äußerst brav und geriet nie in

Schwierigkeiten bei den Eltern

- sie fühlte sich in ihrer Kindheit unsicher und

ungeliebt

- sie wurde wegen ihrer Schönheit verehrt

- sie hatte ein besonders enges Verhältnis zu Anastasia und kümmerte

sich um vermehrt um ihren kranken Bruder

- hat gern Kontakt zum einfachen Volk aufgenommen

ANASTASIA NIKOLAJEWNA ROMANOWA

Geburtstag: 18. Juni 1901

- sie war die jüngste Zarentochter

- sie war keine gute Schülerin, aber ein

Sprachtalent

- sie litt an chronischen

Rückenschmerzen und hatte einen

Spreizfuß

- ihr Spitzname war „Kobold“, weil sie

gerne Streiche spielte

- sie war furchtlos und hatte ein großes schauspielerisches Talent

- sie hatte ein inniges Verhältnis zu ihrem jüngeren Bruder Alexei und

ihrer Schwester Maria

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ALEXEI NIKOLAJEWITSCH ROMANOW Geburtstag: 12. August 1904

- er war einziger Sohn des Zaren

- er hatte die Bluterkrankheit und musste

daher oft das Bett hüten und jede kleine

Verletzung vermeiden

- er hatte oft starke Schmerzen

- er war das Zentrum der Familie und alle

haben sich sehr um ihn gekümmert

- er war sehr verwöhnt und spielte gerne Streiche

- er fiel oft durch ungezogenes Verhalten auf

GRIGORI JEFIMOWITSCH RASPUTIN

Geburtstag: 22. Januar 1869

- er war der Sohn eines Bauern

- er wurde als geistlicher Wunderheiler

berühmt

- er hatte großen Einfluss auf Alexeis

Krankheit

- die Zarin hielt ihn für einen Heiligen, der

von Gott zur Zarenfamilie geschickt wurde

- er hatte eine unheimliche Ausstrahlung, wodurch er oft auch als das

leibhaftige Böse bezeichnet wurde

- er galt als sehr aufdringlich und neugierig

-seine Gegner warfen ihm vor, sich in politische Belange

einzumischen und die Zarenfamilie zu manipulieren

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IDEEN ZUR VOR- & NACHBEREITUNG Die folgenden Übungen und Spielideen sind darauf ausgerichtet, Ihnen kreative Anregungen zur Einbettung des Vorstellungsbesuchs in den Unterricht zu geben. Alle vorgestellten Spielkonzepte sind im Klassenraum zu realisieren, Tische und Stühle sollten dafür möglichst platzsparend an die Wände geschoben werden, damit eine große freie Fläche in der Mitte entsteht.

Der Fall Anastasia Nachrichtenbeiträge szenisch darstellen Vorbereitung: kleine Zettel mit jeweils einem Sendungsformat , z. B. Tagesschau, RTL-Nachrichten, Klatsch & Tratsch, Dokumentation; Digitalkamera (optional) Schritt 1 Die Schüler*innen bekommen den Auftrag – als Hausaufgabe oder während des Unterrichts – im Internet zu den Hintergründen des Falls Anastasia, der Familie Romanow und der Person Anna Anderson zu recherchieren. Als erste Anlaufstellen können hierfür die Internetlinks aus dem Materialteil dienen. Um eine möglichst große Bandbreite an Medienberichten und Quellen zu erhalten, werden die Schüler*innen in Kleingruppen eingeteilt, die sich jeweils einem bestimmten Aspekt der Thematik widmen, z. B. Die Russische Revolution von 1917, Zar Nikolaus II. und seine Familie, Prinzessin Anastasia Romanowa, Anna Anderson. Für die Recherche sollte es zunächst keine Beschränkung der Quellen geben – Beiträge aus der Boulevardpresse können ebenso gesammelt werden, wie wissenschaftliche Artikel. Nach der Recherche werden die Kleingruppen so durchmischt, dass sich in jeder Gruppe Expert*innen zu allen Aspekten befinden. Die Schüler*innen präsentieren sich gegenseitig ihre Rechercheergebnisse und gehen dabei auf die unterschiedliche Qualität ihrer Quellen ein: Woran unterscheiden sich Artikel einer Illustrierten mit der einer Fachzeitschrift (Sprache, Layout, Angabe von Quellen etc.)? Schritt 2 Im Anschluss erhalten die Schüler*innen die Aufgabe, einen Fernsehbericht zum Fall Anastasia zu gestalten und diesen szenisch darzustellen. Als Grundlage dienen ihnen dazu die Ergebnisse ihrer Recherche. Jede Gruppe zieht einen von der Spielleitung vorbereiteten Zettel, auf welchem jeweils ein Sendungsformat steht. Nun haben die Schüler*innen 15-20 Minuten Zeit, einen Fernsehbeitrag im jeweilig gezogenen Stil zu kreieren. Ob fiktive Interviews mit Zeitzeug*innen, Tatortbesuche mit beteiligten Wissenschaftler*innen oder Live-Berichterstattung aus dem Gerichtssaal – der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Hat jede Gruppe eine Szene erarbeitet, werden diese vor der Klasse präsentiert und ggf. mit einer Digitalkamera festgehalten. Nach jeder Gruppe hat die Klasse die Möglichkeit, Feedback zu geben: War das Sendungsformat zu erkennen? Wenn ja, durch was? Wie ist die Gruppe mit den Fakten umgegangen? Hat sie diese möglichst präzise widergegeben oder stark interpretiert und eventuell sogar Tatsachen vertauscht oder dazu erfunden? Variation Sollte die szenische Erarbeitung der Fernsehbeiträge zu viel Zeit in Anspruch nehmen, bekommen die Schüler*innen den Auftrag – während des Unterrichts oder als Hausaufgabe – Zeitungsartikel zum Fall Anastasia zu verfassen. Diese sollen einmal im Stil der BILD-Zeitung, einmal im Stil der FAZ verfasst werden. In der nächsten Stunde können einige Ergebnisse in der Klasse präsentiert und gemeinsam mit der Klasse reflektiert werden, wodurch sich die Artikel im BILD-Zeitungs- bzw. FAZ-Stil unterscheiden.

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Auf der Flucht… Fluchtszene tänzerisch darstellen Vorbereitung: CD-Player; Musik, welche sich zur Untermalung einer Fluchtszene eignet, z. B. Filmmusik In Dornröschen – Die letzte Zarentochter wird das Schicksal einer Frau auf der Flucht erzählt, die sich in ihrer Not immer wieder in eine Märchenwelt träumt, um die traumatischen Erlebnisse der Realität zu verdrängen. Die Fluchtszenen stellen einen wichtigen Part innerhalb der Choreografie Youri Vámos‘ dar und bringen dem Publikum die psychische Verfassung der Protagonistin näher. Ausgehend von der Flucht als Ausgangssituation der Inszenierung erhalten die Schüler*innen den Auftrag, eigene Szenen der Flucht zu entwerfen und diese im weitesten Sinne tänzerisch zu gestalten. Schritt 1 Die Schüler*innen haben zunächst 10 Minuten Zeit, sich in de Situation Anastasias auf der Flucht zu versetzen und deren Gedanken, Ängste, Pläne etc. in der Ich-Form aufzuschreiben. Beispiel: „Jetzt bin ich schon drei Tage auf der Flucht, ich habe solchen Hunger doch ich wage es nicht, mich in eine Ortschaft zu wagen. Ich muss weiter, solange es noch geht. Ich vermisse meine Familie – sind sie wirklich alle tot? Hab ich das alles nur geträumt – ich bin so verwirrt…“ Schritt 2 Die Klasse wird in Zweier Gruppen eingeteilt, bei einer ungeraden Zahl kann auch eine Dreiergruppe gebildet werden. Die Paare verteilen sich im Klassenzimmer und lesen sich gegenseitig ihre Texte vor. Die Schüler*innen erhalten nun die Aufgabe, den Text ihre*r jeweiligen Partner*in lediglich durch den Ausdruck und Bewegungen ihres Körpers in einer Art Choreografie zu interpretieren. Gemeinsam überlegen Paare, welche Bewegungen, Gesten, Mimik, Körperhaltungen den Inhalt des Textes und die Emotionen der Protagonistin verdeutlichen und üben diese ein. Um den Schüler*innen während der Probenphase weitere Inspiration zukommen zu lassen, wird Musik eingespielt, die den Charakter einer Fluchtszene unterstützt. Tipp Sollte es von Seiten der Schüler*innen große Unsicherheiten geben, sich mittels ihres Körpers auszudrücken, kann ihnen durch eine pantomimische Darstellungsweise der Zugang erleichtert werden, da die klaren und bekannten Gesten und Körperhaltungen Sicherheit bei der Darstellung bieten. Wünschenswert wäre es jedoch, dass die Schüler*innen abstraktere Bewegungsabfolgen abseits der 1:1 Bebilderung findet. Schritt 3 Haben alle Paare jeweils eine kleine Choreografie zum Text des*der Partner*in entwickelt, werden diese vor der Klasse präsentiert. Hierfür wird die Musik leise im Hintergrund abgespielt. Ein*e Schüler*in liest ihren Text laut vor der Klasse vor, während sein*e / ihr*e Partner*in diesen zeitgleich tänzerisch interpretiert. Der Vorgang wird so lange wiederholt, bis alle Schüler*innen an der Reihe waren. Nach jeder Präsentation sollte den Schüler*innen die Möglichkeit gegeben werden, ein kurzes Feedback zu geben. Abschließend wird in der Klasse diskutiert, was die Schüler*innen bei der Aufgabenstellung als besonders schwierig bzw. herausfordernd empfunden haben und wie es ihnen mit der Übung ergangen ist. Variation Die Schüler*innen werden nicht in Paare, sondern Kleingruppen eingeteilt. Die Gruppe entscheidet sich für einen Text eines Gruppenmitglieds, welchen sie gemeinsam als Gruppe tänzerisch interpretieren. Die Schüler*innen verkörpern dabei alle die Figur der Anastasia und arbeiten als Chor zusammen. Das bedeutet, dass alle die verschiedenen Bewegungen möglichst synchron ausführen und als eine Einheit agieren. Die Präsentation läuft wie oben beschrieben ab. Ein*e Schüler*in liest den Text laut vor, während die restlichen Gruppenmitglieder ihre Choreografie darbieten.

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Die Rolle des Unbekannten Anregung zur Interpretation Vorbereitung: mehrere DIN A3 Blatt Papier; dicke Faserstifte Youri Vámos ersetzt in seiner Interpretation des Dornröschen-Balletts den Part des Prinzen mit dem Unbekannten, dessen Identität er bewusst im Unklaren lässt. Schritt 1 Die Klasse versucht sich zunächst gemeinsam an möglichst alle Szenen zu erinnern, in denen der Unbekannte zu Anastasia Kontakt aufnimmt bzw. er im Hintergrund das Geschehen beeinflusst. Als Gedächtnisstütze gibt die Klasse jeder gefundenen Szene eine Überschrift und schreibt diese jeweils auf ein großes Blatt Papier, z. B. „Der Unbekannte erscheint im zerstörten Bild des Zaren“. Anschließend können die Überschriften an der Tafel oder einer Pinnwand gut sichtbar angebracht werden. Schritt 2 Die Klasse diskutiert nun, welche Rolle bzw. Funktion der Unbekannte in den einzelnen Szenen für sie hatte – z.B. überhöhte Vaterfigur, Tod oder Liebhaber. Die einzelnen Funktionen des Unbekannten werden von der Klasse auf dem Plakat der jeweiligen Szene ergänzt. Hierbei ist wichtig, dass jede Interpretation des Unbekannten ihre Berechtigung hat und daher mehrere Deutungen der Figur für ein und dieselbe Szene möglich sind. Die Schüler*innen sollten bei der Interpretation des Unbekannten stets darauf eingehen, warum sie diesem innerhalb einer Szene eine bestimmte Rolle zuschreiben und welche Aspekte der Darstellung sie zu dieser Interpretation bewegt – z. B. Gestik, Mimik, Bewegung des Tänzers, Position zum Bühnenbild, Art und Weise der Interaktion mit Anastasia. Sollte es Szenen geben, bei der den Schüler*innen keine eindeutige Rollenzuschreibung des Unbekannten möglich ist, sollte dem im Gespräch mit der Klasse nachgegangen werden: Warum fällt es in dieser Szene schwer, dem Unbekannten eine Rolle zuzuweisen? Was fehlt – im Gegensatz zu anderen Szenen – für eine eindeutige Zuschreibung? Gibt es an dieser Stelle Unklarheiten bezüglich der Gesamthandlung des Balletts?

Es war einmal… Szenen pantomimisch darstellen Vorbereitung: mehrere DIN A3 Blatt Papier; dicke Faserstifte Schritt 1 Die Klasse sitzt im Sitzkreis zusammen und versucht gemeinsam, die Handlung von Dornröschen – Die letzte Zarentochter zu rekapitulieren und die wichtigsten Szenen auf Plakate zu schreiben, die in der Mitte des Stuhlkreises auf dem Boden liegen. Die Spielleitung bestimmt dazu eine*n Schüler*in, welche*r Geschichte mit dem Satz „Es war einmal…“ beginnt. Nach ein paar Sätzen oder wenn der*die Schüler*in nicht mehr weiter weiß, wird auf Zeichen der Spielleitung ein*e neue*r Erzähler*in benannt. Gibt es in der Geschichte einen markanten Orts- oder Szenenwechsel, wird das Erzählen kurz unterbrochen und die bisherige Handlung in kurzen Stichpunkten auf die Plakate geschrieben. Als Orientierungshilfe und zum Überprüfen, ob keine wichtige Stelle vergessen wurde, kann die Klasse im Nachhinein ihre Liste mit der Handlungsstruktur vergleichen, die Sie in dieser Materialmappe unter Informationen zum Stück finden. Schritt 2 Die Klasse wird nun in Kleingruppen eingeteilt. Die Spielleitung weist jeder Gruppe eine Szene zu, die diese pantomimisch darstellen soll. Die anderen Gruppen sollen dabei nicht erfahren, welche Szene welcher Gruppe zugeteilt wurde. Die Schüler*innen haben nun 10 Minuten Zeit, ihre Szene zu proben. Im Anschluss werden die Ergebnisse vor der Klasse präsentiert, welche dabei erraten sollen, um welche Szene des Balletts es sich handelt.

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Die Familie Romanow Eine Familienaufstellung Vorbereitung: die Steckbriefe der Familienmitglieder aus dem Materialteil an den Wänden des Klassenzimmers verteilt aufhängen. Ein Stuhl oder Hocker, auf dem man sicher stehen kann. In Dornröschen – Die letzte Zarentochter spielt die Familie eine wichtige Rolle. Neben Anastasia lernen wir im Laufe des Balletts auch ihre Eltern und Geschwister sowie Rasputin, den engsten Vertrauten des Zaren kennen. Schritt 1 Die Klasse bewegt sich durch den Raum und achtet dabei darauf, diesen möglichst gleichmäßig auszufüllen. Auf ein Zeichen der Spielleitung gehen die Schüler*innen zu einem beliebigen Steckbrief und lesen sich diesen durch. Sobald sie mit Lesen fertig sind, gehen sie wieder durch den Raum und stellen die jeweilige Figur durch Gangart und Körperhaltung dar. Wie begegnet die Figur ihrer Umwelt? Ist sie stolz oder schüchtern? Freundlich oder durchtrieben? Die Schüler*innen sollen bei der Darstellung die einzelnen Charaktereigenschaften bewusst übertreiben, um deutliche Unterschiede zwischen den Figuren erkennen zu lassen. Auf ein weiteres Zeichen der Spielleitung lesen sich die Schüler*innen einen der anderen Steckbriefe durch und verkörpern diese im Anschluss wieder, während sie durch den Raum gehen. Der Vorgang wird so lange wiederholt, bis alle Schüler*innen alle Steckbriefe durchgelesen und die jeweiligen Figuren verkörpert haben. Schritt 2 Nun können sie sich für eine Figur entscheiden, welche sie bis zum Ende der Übung verkörpern. Die Spielleitung sollte bei der Einteilung darauf achten, dass eine möglichst ausgeglichene Anzahl aller Figuren gibt. Hierfür kann die Anzahl der maximalen Vertreter*innen pro Figur beispielsweise von Beginn an beschränkt werden. Sollten sich zu viele Kinder für ein und dieselbe Figur interessieren, kann per Losverfahren entschieden werden, wer die Figur verkörpern darf. Haben sich alle Schüler*innen für eine Figur entschieden, bewegen sie sich wieder als diese durch den Raum. Die Schüler*innen sollen sich nun tiefer in die Figur einfühlen: Was denkt diese? Wie fühlt sie sich? Die Schüler*innen überlegen sich nun einen Satz, den die Figur sagen könnte. Der Satz soll mit den Worten „Ich bin xy und ich…“ beginnen, z. B. „Ich bin der Zar und ich liebe es, der mächtigste Mensch des Landes zu sein!“ Die Schüler*innen beginnen nun den ausgedachten Satz erst leise, dann immer lauter für sich zu sagen und dabei unterschiedliche Betonungen und Emotionen auszuprobieren. Auf ein Zeichen der Spielleitung – z. B. „Stopp“ – versteinern alle Schüler*innen indem sie eine Pose einnehmen, die zu ihrer Figur passt. Als Beispiel für den Zaren: Stolzer Blick, Arme in die Hüften gestützt und breitbeinig hinstellen. Schritt 3 Ein Stuhl wird in die Mitte des Raumes gestellt, die Klasse bewegt sich wieder kreuz und quer als ihre jeweilige Figur durch den Raum. Ein*e beliebige*r Spieler*in stellt sich nun auf den Stuhl und nimmt seine eingeübte Pose ein. Auch der Rest der Klasse bleibt versteinert – mit Blick zur Person auf dem Stuhl – stehen. Der*Die Auf-dem-Stuhl-Stehende*r sagt nun laut den Satz zu ihrer Figur. Daraufhin reagieren alle anderen Schüler*innen ihrerseits mit einer Pose als Reaktion auf den Satz, z. B. durch Abwenden und Armekreuzen als Ablehnung oder durch Vorbeugen als Zeichen der Untergebenheit. Auf Zeichen der Spielleitung bewegt sich die Klasse wieder durch den Raum, bis der*die nächste auf den Stuhl steigt, seine Pose und seinen Satz präsentiert. Der Ablauf wiederholt sich solange, bis alle Schüler*innen an der Reihe waren. Im Anschluss wird gemeinsam besprochen, welches Verhältnis die einzelnen Familienmitglieder der Romanows zueinander haben und durch welche Eigenschaften sich die einzelnen Personen auszeichnen.