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OP-JOURNAL 2000; 16: 164–168 Ó Georg Thieme Verlag Stuttgart New York Geschichte In den 40er Jahren gab es erste Ansa ¨ tze, Kirschner-Dra ¨ hte und Pins auch zum Teil intramedulla ¨ r einzubringen. Als Wegbereiter ist Gerhard Ku ¨ ntscher (Abb.1) zu nennen, welcher 1939 die er- ste Marknagelung einer Oberschenkel- fraktur durchfu ¨ hrte [1]. Auf dem Deut- Die Marknagelung des Femurs: eine Standortbestimmung D. Ho ¨ntzsch, S. Weller, K. Weise Zusammenfassung Der große Vorteil der Marknagelung ist, dass der vom Osteosynthesemate- rial u ¨ bernommene Kraftfluss in der natu ¨ rlichen Achse des Knochens liegt. Es ist somit die Osteosynthese, welche den physiologischen Umsta ¨nden am na ¨chsten kommt. Als Wegbereiter ist Gerhard Ku ¨ ntscher zu nennen, wel- cher 1939 die erste Marknagelung einer Oberschenkelschaftfraktur durchfu ¨ hrte. In den Anfangsjahren wurde die Marknagelung in unaufge- bohrter Technik durchgefu ¨ hrt. Somit wurde mit ihr keine neue Osteosyn- these eingefu ¨ hrt, sondern mit besse- rer Technik und besseren Materialien kehrt die Marknagelung zu ihren Wur- zeln zuru ¨ ck. Durch die Marknagelung kommt es dank physiologischer Frag- mentbewegungen zu einer gewollten und positiv zu beurteilenden indirek- ten Frakturheilung. Die Marknagelung kann als minimal-invasive Osteosyn- thesemethode bezeichnet werden. Durch die Verriegelung und die unauf- gebohrte Marknageltechnik konnte das Indikationsspektrum gegenu ¨ ber der klassischen Marknagelung we- sentlich erweitert werden. Heute ist es mo ¨ glich, alle Frakturen, welche zwischen den Verriegelungslo ¨ chern liegen, mit der Marknagelung zu ver- sorgen. Die proximale Verriegelung ist einfach u ¨ ber Bu ¨ gelsysteme mo ¨g- lich, die distale Verriegelung erfordert spezielle Techniken. Unaufgebohrte und aufgebohrte Marknagelungen du ¨ rfen nicht als Gegensatz gesehen werden, beide haben ihre Vor- und Nachteile sowie Regeln, die beachtet werden mu ¨ ssen. Beim Beachten dieser Regeln sollte es gelingen, die Aspekte der Biologie und Stabilita ¨t mit aufge- bohrten und unaufgebohrten Markna- gelungen in Balance zu bringen. Die Marknagelung erfordert eine sorgfa ¨ lti- ge Lagerung, welche vom Operateur oder einem qualifizierten Vertreter zu- sammen mit dem gesamten Opera- tionsteam durchgefu ¨ hrt werden muss. Die U ¨ bersicht der Marknage- lung zeigt, dass heute alle langen Ro ¨h- renknochen Femur, Tibia, Humerus und der Unterarm bis in Gelenkna ¨he erfolgreich mit den verschiedenen Techniken stabilisiert werden ko ¨ nnen. schen Chirurgenkongress 1940 berichtete er u ¨ ber seine ersten Fa ¨ lle. Damals und in den folgenden Jahren er- hob sich vehementer Widerstand, wel- cher lange angehalten hat. Die Kriegszei- ten haben eine Weiterentwicklung ver- hindert. In den 50er Jahren war der Erfolg der Marknagelung aber schon so verbreitet, dass auch Bo ¨ hler diese als eine der geeig- netsten Osteosynthesen angesehen hat. Wichtig zu wissen ist, dass die Marknage- lung bis 1955 unaufgebohrt durchgefu ¨ hrt wurde. Probleme zur damaligen Zeit war, dass nach der Nagelung eine Instabilita ¨t verblieben ist, oder dass, wenn der Nagel zu dick gewa ¨hlt wurde, es zu einem Ver- klemmen desselben kommen konnte. Dies fu ¨hrte dann ab 1954/55 zur ersten Aufbohrung mit starren Bohrern und spa ¨- ter mit den heute noch bekannten Boh- rern mit flexiblen Wellen. & In den Anfangsjahren wurde die Mark- nagelung in unaufgebohrter Technik durchgefu ¨hrt. Somit wurde mit der Marknagelung ohne Aufbohrung keine neue Technik eingefu ¨hrt, sondern mit besserer Tech- nik und besseren Materialien kehrt die Marknagelung zu ihren natu ¨rlichen Wur- zeln zuru ¨ck! In den folgenden Jahren wurden ver- schiedene Nagelprofile ausprobiert. Alle großen Hersteller endeten mit ihrem De- sign bei geschlitzten Rohrna ¨geln mit nur leicht differierendem Querschnittdesign [2]. Abb.1 Gerhard Ku ¨ntscher – Der Pionier der Marknagelung in seinem OP. Intramedulla ¨re stabilisierende Verfahren: „State of the Art“ 164 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

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OP-JOURNAL 2000; 16: 164–168� Georg Thieme Verlag Stuttgart � New York

Geschichte

In den 40er Jahren gab es erste Ansatze,Kirschner-Drahte und Pins auch zumTeil intramedullar einzubringen.

Als Wegbereiter ist Gerhard Kuntscher(Abb.1) zu nennen, welcher 1939 die er-ste Marknagelung einer Oberschenkel-fraktur durchfuhrte [1]. Auf dem Deut-

Die Marknagelung des Femurs: eine Standortbestimmung

D. Hontzsch, S. Weller, K. Weise

Zusammenfassung

Der große Vorteil der Marknagelungist, dass der vom Osteosynthesemate-rial ubernommene Kraftfluss in dernaturlichen Achse des Knochens liegt.Es ist somit die Osteosynthese, welcheden physiologischen Umstanden amnachsten kommt. Als Wegbereiter istGerhard Kuntscher zu nennen, wel-cher 1939 die erste Marknagelungeiner Oberschenkelschaftfrakturdurchfuhrte. In den Anfangsjahrenwurde die Marknagelung in unaufge-bohrter Technik durchgefuhrt. Somitwurde mit ihr keine neue Osteosyn-these eingefuhrt, sondern mit besse-rer Technik und besseren Materialienkehrt die Marknagelung zu ihren Wur-zeln zuruck. Durch die Marknagelungkommt es dank physiologischer Frag-mentbewegungen zu einer gewolltenund positiv zu beurteilenden indirek-ten Frakturheilung. Die Marknagelungkann als minimal-invasive Osteosyn-thesemethode bezeichnet werden.Durch die Verriegelung und die unauf-gebohrte Marknageltechnik konntedas Indikationsspektrum gegenuber

der klassischen Marknagelung we-sentlich erweitert werden. Heute istes moglich, alle Frakturen, welchezwischen den Verriegelungslochernliegen, mit der Marknagelung zu ver-sorgen. Die proximale Verriegelungist einfach uber Bugelsysteme mog-lich, die distale Verriegelung erfordertspezielle Techniken. Unaufgebohrteund aufgebohrte Marknagelungendurfen nicht als Gegensatz gesehenwerden, beide haben ihre Vor- undNachteile sowie Regeln, die beachtetwerden mussen. Beim Beachten dieserRegeln sollte es gelingen, die Aspekteder Biologie und Stabilitat mit aufge-bohrten und unaufgebohrten Markna-gelungen in Balance zu bringen. DieMarknagelung erfordert eine sorgfalti-ge Lagerung, welche vom Operateuroder einem qualifizierten Vertreter zu-sammen mit dem gesamten Opera-tionsteam durchgefuhrt werdenmuss. Die Ubersicht der Marknage-lung zeigt, dass heute alle langen Roh-renknochen Femur, Tibia, Humerusund der Unterarm bis in Gelenknaheerfolgreich mit den verschiedenenTechniken stabilisiert werden konnen.

schen Chirurgenkongress 1940 berichteteer uber seine ersten Falle.

Damals und in den folgenden Jahren er-hob sich vehementer Widerstand, wel-cher lange angehalten hat. Die Kriegszei-ten haben eine Weiterentwicklung ver-hindert.

In den 50er Jahren war der Erfolg derMarknagelung aber schon so verbreitet,dass auch Bohler diese als eine der geeig-netsten Osteosynthesen angesehen hat.

Wichtig zu wissen ist, dass die Marknage-lung bis 1955 unaufgebohrt durchgefuhrtwurde. Probleme zur damaligen Zeit war,

dass nach der Nagelung eine Instabilitatverblieben ist, oder dass, wenn der Nagelzu dick gewahlt wurde, es zu einem Ver-klemmen desselben kommen konnte.Dies fuhrte dann ab 1954/55 zur erstenAufbohrung mit starren Bohrern und spa-ter mit den heute noch bekannten Boh-rern mit flexiblen Wellen.

& In den Anfangsjahren wurde die Mark-nagelung in unaufgebohrter Technikdurchgefuhrt.Somit wurde mit der Marknagelungohne Aufbohrung keine neue Technikeingefuhrt, sondern mit besserer Tech-nik und besseren Materialien kehrt dieMarknagelung zu ihren naturlichen Wur-zeln zuruck!

In den folgenden Jahren wurden ver-schiedene Nagelprofile ausprobiert. Allegroßen Hersteller endeten mit ihrem De-sign bei geschlitzten Rohrnageln mit nurleicht differierendem Querschnittdesign[2].

Abb.1 Gerhard Kuntscher – Der Pionier derMarknagelung in seinem OP.

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& Bereits Kuntscher und seine SchulerMaatz und Herzog haben wesentlicheSchritte der Weiterentwicklung beschrie-ben [1]:

Gammanagel als Vorlaufer allerproximalen Femurnagel,Detensornagel als Vorlaufer derVerriegelungsmarknagelung u. a.

Beginnend mit den 70er und 80er Jahrenkam es dann zu einer raschen Fortent-wicklung der Verriegelungsmarknage-lung in unaufgebohrter und aufgebohrterTechnik bis zum heutigen Status.

Biomechanik und Frakturheilung [2]

Zur Marknagelung werden alle im Mark-kanal (intramedullar) gelegenen Krafttra-ger gerechnet. Der große Vorteil derMarknagelung ist, dass der vom Osteo-synthesematerial ubernommene Kraft-fluss in der naturlichen Achse des verletz-ten Knochens (namlich im Zentrum)liegt. Es ist somit die Osteosynthese, wel-che den physiologischen Umstanden amnachsten kommt. Hierdurch wird mit ge-ringstmoglichem Material die hochst-mogliche Stabilitat fur eine funktionelleNachbehandlung und zumindest Teil-und in vielen Fallen rasche Vollbelastungerreicht.

Frakturheilung

Nur ausnahmsweise kann und wird mitder Marknagelung auch eine interfrag-mentare Kompression mit Kompressi-onsnageln erreicht. Die Regel ist, dassphysiologische Bewegungen im Fraktur-bereich moglich sind. Dadurch und durchdas minimal-invasive Vorgehen mit imRegelfall „No-touch“-Technik (geschlos-senes Verfahren) findet eine sekundare,d. h. indirekte Frakturheilung mit mehroder wenig großer spindelformiger Kal-lusbildung statt (Abb. 2 u. 3).

Wenn das Wort nicht durch eine spatereEntwicklung in der Viszeralchirurgie be-setzt ware, konnte man sagen, dass dieMarknagelung die erste „minimal-invasi-ve Osteosynthesemethode“ gewesen ist.

Ein mehr oder weniger großes Verlet-zungsgebiet am Knochen und im Bereichder Weichteile wird nicht direkt ange-gangen, vielmehr wird weit weg vomOrt des Geschehens mit einer kleinen In-zision ein zentraler Krafttrager einge-bracht. Wenn eine zusatzliche Stabilisie-rung notwendig ist, wird diese an den je-weiligen Enden, namlich am Eintritts-

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Abb. 2a – c Spindelformige sekundare bzw.indirekte Kallusheilung einer Oberschenkel-trummerfraktur.

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Abb. 3 Oberschenkelschaft-Querfraktur,versorgt mit aufgebohrtem, unverriegeltemMarknagel – mit spindelformiger Kallus.

Abb. 4 Korpernahe und korperferne Verrie-gelung einer Oberschenkeltrummerfrakturwie bei Abb. 2.

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und am Endpunkt, durch die Verriege-lung vorgenommen.

& Die Marknagelung kann als minimal-invasive Osteosynthesemethodebezeichnet werden.Mit der Marknagelung findet imRegelfall eine naturliche sekundareKallusheilung statt.Die Marknagelung fuhrt zu einerfunktions- und zumindest teilbe-lastungsstabilen Osteosynthese.

Klassische Marknagelung

Von klassischer Marknagelung aus den50er und 60er Jahren spricht man,wenn eine Marknagelung eine Schaft-fraktur im mittleren Drittel stabilisiert.Vor der Marknagelung mit einem unver-riegelten geschlitzten Rohrnagel wird soweit aufgebohrt, dass der enge klem-mende Kontakt des Marknagels im Rohrdes Rohrenknochens die Fraktur stabili-siert (Abb. 3).

Die Indikation war auf das mittlereSchaftdrittel und quere oder kurzeSchrag- und Spiralfrakturen beschrankt.Der endgultige Durchbruch und die Er-weiterung der Marknagelung auf einsehr breites Indikationsspektrum wurdedurch die Verriegelung erreicht.

Verriegelung

Mit der Verriegelung wird ein Marknagelim korpernahen und korperfernen Frag-ment am Eintrittspunkt bzw. am End-punkt zusatzlich quer oder schrag stabili-siert. Dies geschieht im Regelfall mitSchrauben oder schraubenahnlichen Bol-zen.

Als weitere Elemente der Stabilisierungsind die diagonalen Schrauben, gewun-dene Klingen (Twisted Blade oder Spiral-klinge) und andere Varianten moglich.

Die Verriegelungselemente werdendurch im Nagel vorgegebene Locherund Aussparungen eingebracht. Durchsinnreiche Techniken sind auch winkel-stabile Blockierungen moglich (z.B. Spi-ralklinge des UFN, proximale diagonaleSchraube des UTN).

Durch die Verriegelung von Marknagelnwird das Stabilisierungsprinzip wesent-lich erweitert. Zusatzlich zur axialenkommt die Rotationsstabilitat!

Bei der klassischen Marknagelung han-delt es sich um einen offenen oder ge-schlitzten Rohrnagel, welcher sich im

Markkanal verklemmt (deshalb dasWort Nagelung).

Die Verriegelungsnagelung ermoglichteine Mehrpunktabstutzung mit oderohne innere Verklemmung (Abb. 5).

Mit verriegelten Marknageln konnenheute alle Frakturformen behandelt wer-den, welche zwischen den Verriegelungs-lochern liegen oder im Einzelfall, z.B.beim distalen Femurnagel und beim pro-ximalen Femurnagel hineinreichen.

Proximale (insertionsnahe)Verriegelung

Die proximale Verriegelung kann im Re-gelfall durch Zielbugel bewerkstelligtwerden. Diese Zielbugel werden mitdem insertionsnahen Ende des Nagelsverschraubt und konnen gleichzeitig alsEinschlaginstrumentarium verwendetwerden.

& Anmerkung: Proximale und distale Ver-riegelung erhalten mit der Einfuhrungdes unaufgebohrten Humerusnagels(UHN), welcher vom Oberarmkopf undvom Ellenbogen her eingebracht werdenkann und mit dem distalen Femurnagel,welcher vom Knie her eingebracht wird,

eine neue Begriffsbestimmung, auf wel-che zu achten ist:Bei diesen Nageln, welche von korper-fern eingebracht werden, ist die distaleVerriegelung die insertionsnahe unddie proximale Verriegelung die entferntgelegene. Insofern sollte hier von „inser-tionsnaher“ und „insertionsferner“ Verrie-gelung gesprochen werden.

Distale (insertionsferne) Verriegelung

Das insertionsferne Ende des Nagels ver-windet und verbiegt sich bei langen Na-geln so, dass die fur die Verriegelung vor-gesehenen Locher und Aussparungennicht uber einfache Bugelsysteme getrof-fen werden konnen. Bei kurzen Nageln,wie z.B. den normal langen proximalenFemurnageln (PFN) und bei kurzen dista-len Femurnageln (DFN), ist dies moglich.

Bei allen anderen Nageln mussen fur diedistale Verriegelung sinnreiche Hilfsmit-tel (Ziel-Techniken) gefunden werden.

& Wir unterscheiden heute vor allem:Verfahren auf rontgenoptischer Basismit dem BV,Bugelsysteme, welche uber Hilfs-bohrungen an das Nagelende ange-passt werden,in Zukunft rechnergestutzte Navigation.

Die BV-gestutzte Verriegelung arbeitet je-weils nach dem gleichen Prinzip, unab-hangig, welches Bohrverfahren oder Sy-stem verwendet wird.

& Prinzipien der BV-gestutzten distalenVerriegelung (Abb. 6):

Einstellen des zu treffenden Verrie-gelungsloches im Bildwandler ortho-grad, d. h. moglichst rund und imZentrum des Bildwandlers (ansonstenVerzerrungsfehler).Einstellen des Monitorbildes seiten-gleich zum OP-Feld!Aufsetzen mit dem Bohrer und sonsti-gem Instrument auf den Eintritts-punkt.Durchbohren orthograd entlang dem„Zentralstrahl“ durch das vorgege-bene Verriegelungsloch. Dies kanndann mehr oder weniger kontrolliertwerden. Mit dem rontgendurchlassi-gen Winkelgetriebe der AO/Synthesfunktionieren diese Schritte sehr ein-fach und wirkungsvoll.

Aufgebohrte und unaufgebohrteMarknagelung

Beide Methoden haben ihre Vor- undNachteile sowie sich weit uberlappendeIndikationsspektren. Es handelt sich

Abb. 5 Der aufgebohrte Abschnitt im Be-reich des Schaftes (III) ist haufig mehrere Zen-timeter von der Frakturzone entfernt. Somitmuss vorsichtiges Aufbohren im Schaftbe-reich Nichtaufbohren in der Frakturzone be-deuten. Die Stabilitat wird durch einen engenKontakt im engen Schaftbereich erhoht (dar-gestellt am Beispiel der Tibia).

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aber nicht um ein Schwarz-Weiss-Bild,sondern um ein Bild mit Ubergangszo-nen.

Aufgebohrt ist nicht gleich aufgebohrt,sondern es kommt darauf an, in welcherArt und wie intensiv das Aufbohren vor-genommen wird. Auf der anderen Seitesind bei der unaufgebohrten Marknage-lung zum Erreichen einer ausreichendenStabilitat gewisse Regeln und Tricks ein-zuhalten.

Einigkeit besteht daruber, dass das Auf-bohren eine Belastung des biologischenSystems „Markraum“ darstellt. Je intensi-ver und weniger schonend aufgebohrt

wird, desto mehr wird die intramedullareBlutzufuhr gestort und eventuell mehroder weniger weitreichende Nekrosenim Bereich der Innenwand der Kortikalisgesetzt. Neben der Storung der Blutzu-fuhr wird durch das Aufbohren derDruckanstieg und ein venoses Embolie-geschehen gefurchtet. Dies ist vor allemam Femur ein Gesichtspunkt, welcherstreng zu beachten ist. Durch viele Unter-suchungen ist gezeigt worden, dass ins-besondere mehrfachverletzte und poly-traumatisierte Patienten sowie Patientenmit begleitendem Thoraxtrauma vor al-lem bei Femurfrakturen betroffen bzw.gefahrdet sind. Insofern sind folgende Re-geln einzuhalten:

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Abb. 6a – c Grundprinzip der distalen Verriegelung mit dem rontgenoptischen Verfahren. (a)Darstellen des Verriegelungsloches rund im Bildwandler seitengleich mit dem Operationsfeldund Bestimmen des Eintrittspunktes. (b) Nach einer Stichinzision wird das Instrument in den„Zentralstrahl“ geschwenkt. Dieses Instrument kann eine Bohrbuchse, ein Bohrer in Freihand-technik, ein rontgendurchlassiges Winkelgetriebe (von AO/ Synthes), ein Pfriem oder andere ge-eignete Instrumente sein. (c) Nach erfolgreicher Bohrung wird die Verriegelungsschraube oderder Verriegelungsbolzen eingebracht. Die muss in beiden Ebenen rontgenologisch kontrolliertwerden.

& Regeln beim Aufbohren fur die Markna-gelung:

Verwendung von scharfen Bohrern,schrittweises Aufbohren mit1 1/2 -mm-Abstanden,Langsame Vorschubgeschwindigkeitmit eventuellen Pausen,nur so weit aufbohren wie not-wendig,Zwischenfragmente und Segment-fragmente moglichst nicht bohrenduberqueren.

Fur die Beurteilung, wie schadlich dasAufbohren ist oder nicht ist, ist auch zubeachten, in welchem Bereich die Frakturliegt und in welchem Verhaltnis zur auf-gebohrten Strecke. Bei den so haufigendistalen Femur- und Tibiafrakturen liegtder Bohrvorgang in Schaftmitte mehrereZentimeter abgelegen vom „Epizentrum“der Fraktur (Abb. 7).

Die unaufgebohrte Marknagelung leidetunter dem Nachteil einer moglichen In-stabilitat. Diesem kann durch folgendeRegeln entgegengewirkt werden:

& Regeln zur Erhohung der Stabilitat beider unaufgebohrten Marknagelung:

richtiges Kaliber verwenden,richtigen Eintrittspunkt wahlen(besonders am Femur),die Lange proximal korrekt wahlen,die Lange distal moglichst lang wah-len (d. h. die distale Spongiosa alsLager und abstutzenden Fußpunktverwenden),gute und sorgfaltig ausgefuhrte pro-ximale und distale Verriegelung,in der Nachbehandlung je nach Frak-turform und verwendetem Implantatetwas mehr Vorsicht walten lassen alsbei der aufgebohrten Marknagelung.

Beim Beachten dieser Regeln sollte es ge-lingen, die Aspekte der Biologie und Sta-bilitat mit aufgebohrten und unaufge-bohrten Nagelungen in Balance zu brin-gen.

Solide Marknagel – geschlitzteRohrnagel

Die klassische Marknagelung wurde mitgeschlitzten Rohrnageln durchgefuhrt.Der Rohrnagel war geschlitzt, um die Ver-windungs- und Torsionsstabilitat zu er-niedrigen, den Durchgang durch denMarkraum zu verbessern und um durcheine leichte Kompression des Nagelseinen stabilisierenden Klemmeffekt zuerzielen.

Solide Marknagel werden vor allem furdie unaufgebohrte Technik verwendet,

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welche im Regelfall dunner sind. Durchdie solide Ausfuhrung werden gleicheStabilitatswerte erreicht wie mit den di-ckeren geschlitzten Rohrnageln. Da un-aufgebohrte Marknagelungen nicht ver-klemmen sollen, konnte auf den Klemm-effekt verzichtet werden. Solide Markna-gel haben den positiven Nebeneffekt,dass sie keinen Totraum haben. DieserTotraum kann im Falle einer Infektiondiese durch das Vorhandensein minder-vaskularisierten Gewebes begunstigen.Durch die Rohrform stellt der Rohrnagelzusatzlich ein Drainagesystem von„oben bis unten“ dar. Es gibt erste Anzei-chen, dass solide Marknagel fur eine In-fektion weniger anfallig sind und beieiner Infektion diese sich nicht im gesam-ten Markraum ausbreitet (diese Fragewird unabhangig von dem Merkmal auf-gebohrt oder unaufgebohrt untersucht).

Regelhaft werden geschlitzte Marknagelfur die aufgebohrte und solide Marknagelfur die unaufgebohrte Technik verwen-det.

Auch hier gibt es Ausnahmen von der Re-gel. So konnen (und wurden in der An-fangsphase) geschlitzte Rohrnagel in un-aufgebohrter Technik eingeschoben. InEinzelfallen konnen solide Marknagelauch nach Aufbohren verwendet werden.

Fur einzelne Spezialnagel wie z.B. denproximalen Femurmarknagel – welcherein solider Nagel ist – oder auch beisehr enger Markhohle, kann es notwen-dig sein, aufzubohren. Daraus zeigt sich,dass die Einzelaspekte der Marknagelungnicht als Schwarz-Weiss-Bild zu sehensind.

Lagerung

Die Lagerungen wurden in einer fruherenAusgabe des OP-Journals ausfuhrlich be-schrieben [3].

Die Lagerung ist abhangig von den Ge-wohnheiten der Schule und den Moglich-keiten (OP-Tisch/Extensionstisch) des je-weiligen Hauses.

Als Lagerung bei der Femurmarknagelungsind moglich:

– Extensionstisch in Ruckenlage,– Extensionstisch in Seitenlage,– Normaltisch in Ruckenlage,– Normaltisch in Ruckenlage mit

abgespreiztem gesunden Bein.

Proximale Femurmarknagel:

– Extensionstisch in Ruckenlage,– Normaltisch.

Distale Femurmarknagel:

Normaltisch mit Moglichkeit der Beu-gung im Knie und Absenkung des Unter-schenkels.

& Fur die Lagerung bei allen Marknagelun-gen ist ganz zu beachten:

Die Lagerung und Uberwachung istAufgabe des Operateurs oder einesqualifizierten Vertreters.Es ist auf eine gute Abdeckung zuachten.Intraoperativ muss die Rontgenkon-trolle im Bereich der proximalen Ein-trittsstelle, der Fraktur und am kor-perfernen Ende moglich sein.Lagerung und Abdeckung sollten ineinem Haus immer in gleicher Weisedurchgefuhrt werden. Sie kann undsollte durch das Operationsteam, d. h.Operateure und OP-Pflegepersonal,geubt und festgelegt werden.

Ubersicht der Marknagelung langerRohrenknochen

Femur:

– Fur die aufgebohrte Marknagelung ge-schlitzte Rohrnagel z. B. von der AO/Synthes Universalmarknagel.

– Fur die unaufgebohrte Technik solideMarknagel (z.B. von AO/SynthesUFN) mit den verschiedenen proxima-len Verriegelungen.

Proximaler Femur:

– Proximale Femurmarknagel mit dyna-mischer Huftschraube wie Gammana-gel, Classic Nail und von AO/SynthesPFN in normaler und langer Version.

Distaler Femur:

– Distale Femurmarknagel aller Herstel-ler.

– Von AO/Synthes mit der besonderenVerriegelungsmoglichkeit einer Spiral-klinge.

Literatur

1 Kuntscher G. Praxis der Marknagelung.Schattauer, Stuttgart 1962

2 Muller ME, Allgower M, Schneider R, et al.Manual der Osteosynthese. 3. Aufl., SpringerVerlag, Heidelberg 1990

3 OP-Journal, Sonderausgabe: OP-Tisch Lage-rungen, Instrumenten-Tische. Thieme Ver-lag, Stuttgart 1995

Prof. Dr. med. D. HontzschLeitender Arzt Abteilung Medizin-technische Entwicklungen

BG Unfallklinik TubingenSchnarrenbergstr. 9572076 Tubingen

Prof. Dr. med. Dr. med. h.c mult. S.Weller

Engelfriedshalde 4772676 Tubingen

Prof.-Dr. med. K. WeiseArztl. Direktor

BG-Unfallklinik TubingenSchnarrenbergstr. 9572076 Tubingen

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