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Die Meisterdiebin von Paris

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Helen Perkins Band 2

Die Meisterdiebin von Paris von Helen Perkins

... bis Sir Cyrus Miss Baxter auf die Schliche kam.

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»Miss Baxter, sorgen Sie bitte dafür, dass die Kinder heute pünktlich ihr Diner einnehmen. Sie wissen, wir sind heute Abend eingeladen.« Lady Kimberly Southwood, eine schlanke, elegante Dame in den Drei­ßigern, nickte der jungen Gouvernante knapp zu und maß Lilli-Ann Baxter noch mit einem abwägenden Blick, ehe sie das Kinderzimmer verließ. Diese atmete auf, als sie wieder allein war, denn die Lady hat­te eine Art sie zu verunsichern, die Lilli-Ann als unangenehm empfand. Schließlich tat sie stets ihre Pflicht, kümmerte sich um Miss Georgina und Master Jonathan, als seien die beiden ihre eigenen Kinder und hatte sich nie ein Pflichtversäumnis zuschulden kommen lassen. Trotz­dem schien die Ehefrau des hohen Diplomaten Lord Harold Southwood ein stetes Misstrauen gegen sie zu hegen, für das die junge Frau ihr ganz offensichtlich nie einen Grund geliefert hatte.

Miss Lilli-Ann, wie die Kinder sie nannten, war nun Mitte der Zwanzig, eine voll erblühte Schönheit, nach der sich die Männer die Köpfe verdrehten. Ihre schmale, beinahe knabenhafte Figur gab ihr etwas Graziles, das ein Verehrer einmal als ›feenhaft‹ bezeichnet hat­te. Ihr hübsches Gesicht wurde von dunklem Haar umrahmt, das, dem Zeitgeschmack entsprechend, hochgesteckt war und in einzelnen Löckchen um Stirn und Schläfen rieselte. Ihre Züge waren weich und doch klassisch, die klare Stirn, die großen tiefblauen Augen mit den langen schwarzen Wimpern, die kecke Stupsnase und die sinnlichen, aber nicht zu vollen Lippen vervollständigten das Bild einer klassischen Schönheit. Und doch hatte Lilli-Ann sich selbst nie so gesehen. Sie gab sich stets bescheiden und unauffällig, trug einfache Kleider und ver­zichtete bewusst auf Schmuck und Zierrat. Sie wusste, dass die Damen der gehobenen Gesellschaft des ausgehenden neunzehnten Jahrhun­derts es nicht schätzten, wenn ihre Angestellten sich zu sehr schmück­ten. Lady Southwood bildete da keine Ausnahme; im Gegenteil. Lilli-Ann hatte bereits manch prüfenden Blick ihrer Brotherrin aufgefangen, wenn sie an einem freien Nachmittag in ihrem guten Kleid das Haus verließ, um ein wenig spazieren zu gehen. Und sie wollte diese Stel­lung nicht verlieren.

Die Southwoods zählten zu den hervorragenden Familien Eng­lands, der Lord hatte nicht nur einen Sitz im Oberhaus inne, er reiste

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als Diplomat auch viel und hatte Kontakte in aller Herren Länder. Dass Lord Harold ein Familienmensch war und auch unterwegs nicht auf die Gesellschaft von Frau und Kindern verzichten wollte, war für Lilli-Ann einer der Gründe, in seinem Haushalt zu arbeiten. Im Gefolge dieser erlesenen Reisegesellschaft öffneten sich ihr Türen, die sie sonst nicht einmal von außen gesehen hätte. Und das war für die junge Frau in mehr als einer Beziehung lebensnotwendig...

Lilli-Ann war von einfacher Herkunft. Ihre Mutter war ein Stu­benmädchen gewesen, die Identität ihres Vaters hatte sie nie wirklich erfahren. Es hieß aber, dass es ein englischer Hochadliger sei, in des­sen Haus Mable Baxter seinerzeit angestellt gewesen war. Als sie schwanger geworden war, hatte dieser sie mit einer größeren Summe abgefunden und nach Paris geschickt, in den Haushalt eines Be­kannten. Dort war Lilli-Ann auch zur Welt gekommen; in einem kleinen dunklen Zimmer im Dienstbotentrakt der Villa eines französischen Tuchhändlers. Von klein auf hatte sie sich nach Reichtum und Ansehen gesehnt, danach, am oberen Ende der Treppe zu leben und nicht im­mer nur ganz unten. Ihre Mutter hatte diese Wünsche und Ideen noch gefördert. Und da Lilli-Ann ein besonders hübsches Mädchen gewesen war, hatte sie die Kleine im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten verwöhnt und gefördert. Mit fünfzehn hatte Lilli-Ann bereits alle jungen Männer in Reichweite um den kleinen Finger winkeln können. Sogar der Sohn des Tuchhändlers war in sie verliebt gewesen. Aber dann war etwas geschehen, das ihr Leben von einem Moment zum anderen völ­lig verändert hatte...

»Miss Lilli-Ann, kommen Sie und sehen sich meine Hausaufgaben an? Ich bin schon mit allem fertig!« Die kleine Miss Georgina hatte die Gouvernante mit ihrer Frage aus tiefem Sinnen gerissen. Und als Lilli-Ann nun in das fragende hübsche Gesicht der Zehnjährigen blickte, wurde ihr bewusst, wie wenig sinnvoll es war, sich in Erinnerungen zu verlieren, wenn hier und jetzt zwei Kinder ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung verdienten.

»Ich komme sofort«, versprach sie und folgte dem Mädchen ins nebenan gelegene Schulzimmer. Hier wurde die Tochter von Lord Southwood von einer strengen Privatlehrerin unterrichtet, Miss Pringle.

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Georgina hatte großen Respekt vor der dürren, blassen Person, deren scharfe, helle Augen auch hinter einer dicken Brille nichts von ihrer aufmerksamen Strenge einbüßten. Das kleine Mädchen gab sich stets alle Mühe, die Hausaufgaben korrekt zu erledigen, denn Miss Pringle konnte sehr böse werden, wenn etwas nicht stimmte. Lob verteilte sie dagegen praktisch nie. Master Jonathan, der gerade erst fünf Jahre alt geworden war, saß an einem der niedrigen Schreibpulte und übte flei­ßig Buchstaben mit Kreide auf eine Schiefertafel zu schreiben. Dabei stellte der Junge sich klug und geschickt an, während seine Schwester nie viel Lust zum Lernen hatte. Sie schaute lieber zu, wenn Lilli-Ann sich frisierte oder zum Ausgehen zurecht machte. Sie verehrte die Gouvernante sehr und sagte nun nicht zum ersten Mal, als diese sie nachsichtig auf einen Schreibfehler aufmerksam machte: »Ach, ich wünschte, Sie wären meine Lehrerin, Miss Lilli-Ann. Sie schimpfen mich nie so aus wie Miss Pringle.«

»Sie mag streng sein, aber sie meint es gewiss nicht böse«, versi­cherte die Gouvernante versöhnlich.

»O doch, sie ist gemein!«, mischte sich nun Master Jonathan ein. »Sie hat Georgina mit dem Rohrstock geschlagen!«

»Hat sie das tatsächlich?« Lilli-Ann erschrak. »Aber das sollte sie wirklich nicht tun. Es ist falsch und... brutal.«

Das Mädchen senkte den Blick. »Ich habe einen dummen Schreib­fehler gemacht«, bekannte sie mit leiser Stimme. »Und Miss Pringle sagt, ich hätte es verdient.«

»Das ist Unsinn. Ich werde morgen mit ihr reden. Sie darf dich nicht schlagen, das erlaube ich nicht. Und ich bin sicher, deine Mutter steht in diesem Punkt auf meiner Seite.«

»Ach, liebe Miss Lilli-Ann, bitte tun Sie das nicht«, bat das Mäd­chen da aber ängstlich. »Sonst wird Miss Pringle ganz sicher noch bö­ser auf mich...«

»Wie soll denn das gehen?« Master Jonathan lachte seine Schwe­ster aus. »Der alte Drache kann gar nicht böser werden!«

»Nun ist aber Schluss«, bestimmte die Gouvernante streng. »Ich werde morgen mit Miss Pringle reden. Und du brauchst keine Angst zu haben, Georgina, dir kann das gewiss nicht schaden.«

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Das Mädchen wirkte noch ein wenig unsicher, doch bisher hatten Georgina und Jonathan stets alles akzeptiert, was die Erzieherin ihnen erlaubt oder verboten hatte. Lilli-Ann besaß eine natürliche Autorität bei den Kindern, die auf Zuneigung basierte.

»Und nun machen wir für heute Schluss. Ihr müsst noch baden und zu Abend essen. Und dies hat heute sehr pünktlich zu geschehen, denn ihr wisst ja, dass eure Eltern heute Abend nicht daheim sind.« Sie hatte freundlich gesprochen und hörte keine Widerworte. Nur Mas­ter Jonathan wollte wissen: »Wenn wir in Paris sind, müssen wir dann auch so früh schlafen gehen?«

Lord Southwood reiste in der kommenden Woche mit seiner Fa­milie nach Frankreich. Jetzt im Herbst hatte nicht nur die Ballsaison begonnen, es war auch die Zeit im Jahr, zu der die meisten di­plomatischen Empfänge gegeben wurden. Kurz schweiften die Ge­danken der jungen Frau ab, ihr hübsches Gesicht wurde seltsam aus­druckslos. Doch noch ehe die Kinder sich darüber wundern konnten, lächelte sie ein wenig und versprach: »Das werden wir dann schon sehen...«

*

»Um Himmels willen, das darf doch nicht wahr sein! Wie ist denn so etwas nur möglich? Sir Cyrus, hätten Sie vielleicht die Güte, mir zu erklären, wie das geschehen konnte? Wie ist innerhalb nur weniger Stunden aus einem ordentlichen Zimmer dieses - unglaubliche Chaos entstanden?«

»Meine liebe Mrs. Halton, ich versichere Ihnen, dass dies nur mei­nen Ermittlungen diente. Ich suchte sehr dringend eine Akte, konnte sie aber leider nicht schnell genug finden...«

»Und da haben Sie einfach alles auf den Boden geworfen!« Die et­was rundliche Haushälterin mit den gutmütigen Gesichtszügen muster­te ihren Brotherren aufgebracht. »Sie haben nur leider übersehen, dass ich zufällig gerade gestern dieses Zimmer gründlich geputzt und aufgeräumt habe. Und Sie glauben hoffentlich nicht, Sir, dass ich dies heute schon wieder tue!«

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Sir Cyrus Hawkesworth, Londons berühmtester zeitgenössischer Privatdetektiv, bester Schütze und Reiter und bekennender Exzentri­ker, lächelte seiner Hausperle so gewinnend zu, wie man es bei ihm selten erlebte. »Selbstverständlich räume ich diese Unordnung höchst­persönlich wieder auf...« Er sah das fröhliche Aufblitzen in ihren Augen und fügte noch hinzu: »Sobald ich aus Paris zurück sein werde, wohin mich und Pearse ein dringender Fall leider schon heute Abend abbe­ruft.« Er drehte sich auf dem Absatz herum und verschwand im Ne­benzimmer. Mrs. Halton, die nun bereits seit mehr als fünf Jahren den Haushalt des schwierigen, aber genialen Privatdetektivs führte, wollte sich diese Behandlung nicht gefallen lassen. Zu erbost war sie über die gänzliche Missachtung ihrer hausfraulichen Leistungen. Entschlossen folgte sie Sir Cyrus in sein ›Allerheiligstes‹, wie er scherzhaft sein Schlafzimmer zu nennen pflegte und beobachtete mit stumm ankla­gendem Blick, wie der hoch gewachsene Mann eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten für wenige Tage Abwesenheit bestückte.

Sir Cyrus mahnte schelmisch: »Denken Sie bitte an Ihren Ruf, Mrs. Halton. Sie befinden sich ganz allein im Schlafzimmer eines Gentleman.«

Die Hausperle, die bereits Enkelkinder hatte, erwiderte spitz: »Da mein Ruf als Hausfrau hier so sehr missachtet wird, kann ich auch auf den Rest verzichten.«

»Ach, meine liebe Mrs. Halton!« Sir Cyrus ließ sich im Schneider­sitz auf seinem Bett nieder, was bei seinen langen Beinen gar nicht so einfach war und musterte sein Gegenüber mit einem schwer zu deu­tenden Blick seiner tiefbraunen Augen. Leichtes Amüsement schien sich darin widerzuspiegeln, aber auch Sympathie und nicht zuletzt Un­geduld. Der Ermittler war ein schneller Denker und handelte im glei­chen Tempo. Er konnte keine unnötigen Aufenthalte gebrauchen. Schon gar nicht, wenn er einen Fall hatte. »Nun kennen Sie mich doch schon recht gut und werfen mir noch immer solche Kleinigkeiten vor, ich bitte Sie!« Er bemerkte, dass sie widersprechen wollte und hob leicht eine Hand. »Natürlich will ich Ihre Arbeit mit meinem Worten nicht herabsetzen. Aber sie wissen doch, wie schwer es mir manchmal fällt, noch an Äußerlichkeiten zu denken, wenn mein Kopf...« Er schlug

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sich gegen die hohe Stirn. »... sein Recht verlangt und quasi eigene Wege geht. Können Sie mir denn noch einmal verzeihen?«

»Ich hätte gar kein Wort darüber verloren, wäre es nicht ausge­rechnet einen Tag nach meinem Großputz geschehen«, stellte sie rich­tig. »Und dann auch noch mit solcher Gedankenlosigkeit. Nein, das hat mich wirklich gekränkt.« Sie lächelte ein wenig versöhnlich. Lange konnte sie ihrem Brotherren doch nicht böse sein. Er war eben ein besonderer Mensch, den man so nehmen musste, wie er sich gab. »Vergessen wir die Sache. Wenn Sie fort fahren, habe ich ja ein wenig Zeit, um wieder Ordnung zu schaffen.«

»Ach, meine Gute, Sie sind ein Engel!«, rief er erfreut aus und es schien kurz so, als wolle er sie umarmen, nachdem er wieder auf die Füße gesprungen war.

»Darf ich fragen, was das für ein Auftrag ist, der...« »Oh, nein, leider nicht! Es handelt sich um eine sehr delikate An­

gelegenheit, über die zu schweigen ich verpflichtet wurde.« Er warf Haarbrüste und Rasierpinsel in seine Reisetasche und ließ diese zu­schnappen. Kurz blitzte ein schelmisches Lächeln in seinen ausdrucks­vollen Augen auf und er deutete an: »Es geht um eine Entführung, eine schöne junge Frau und sehr viel Geld. Und, das sollen Sie noch wissen, es fällt ein königliches Honorar für den Haushalt ab.«

»Ach, Sir Cyrus, Sie machen sich über mich lustig...« »Keineswegs, meine Liebe, keineswegs!« Er verließ mit raschem

Schritt den Raum, stellte die Reisetasche in der Diele ab, wo er in sei­nen Überrock schlüpfte und nach dem Zylinder griff. Der Detektiv hat­te die Handschuhe noch nicht übergestreift, als an der Tür geläutet wurde. Er warf einen knappen Blick auf seine Taschenuhr. »Das ist Pearse, pünktlich auf die Minute. Bitte, öffnen Sie ihm, Mrs. Halton. Vor der Abreise haben wir noch etwas zu besprechen.«

Die Hausperle nickte. »Möchten Sie noch Tee...« »Nein, dafür reicht die Zeit nicht aus.« Sir Cyrus kehrte in seinen

sonst sehr gemütlichen Wohnraum mit dem behaglich prasselnden Kaminfeuer und den beiden Chesterfieldsofas zurück, dessen feine Perser nun allerdings unter einer wahren Flut von Aktenmappen und

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losem Papier begraben lagen. Die beiden Schränke, in denen er seine Ermittlungsakten sammelte, waren gähnend leer.

In der vorigen Nacht hatte ihn ein Fall sehr beschäftigt, der bereits einige Jahre zurücklag. Er war sicher gewesen, durch das erneute Stu­dium der Akte ein aktuelleres Problem lösen zu können. Doch leider hatte ihm dieser ›Papierkrieg‹ nichts weiter eingebracht als eine sehr verärgerte Haushälterin...

Der Detektiv zündete einen Span am Kaminfeuer an und setzte damit eine Pfeife in Brand. Er hatte erst einen Zug genommen, als Anthony Pearse, sein treuer Mitarbeiter, den Raum betrat. Der kräfti­ge, junge Mann irischer Abstammung war früher Polizist gewesen, doch das ewige Streife gehen wurde ihm bald langweilig. Sehr viel aufregender fand er es, für einen genialen Ermittler wie Sir Cyrus tätig zu werden. Pearse, blond gelockt mit Sommersprossen und einem deutlichen Hang zu den einfachen Genüssen des Lebens, bewunderte seinen Chef, auch wenn er ihm geistig nicht immer folgen konnte. Sein praktischer Verstand hatte dem Detektiv im Gegenzug schon manches Mal geholfen, wenn er sich an einem Fall auf zu hochtrabende Weise fest gebissen hatte. Die beiden sehr verschiedenen Männer ergänzten sich hervorragend und es war nicht übertrieben zu behaupten, dass eine Art Freundschaft sie verband. Auch wenn sie tatsächlich aus zwei Welten stammten. Während Pearse, der Sohn einfacher Bauern aus dem Südwesten Irlands, es nicht leicht gehabt hatte, sich im Leben durchzuboxen und nicht unterzugehen, war Sir Cyrus von hoher Ge­burt und stets mit den nötigen Mitteln ausgestattet, um ein angeneh­mes Leben zu führen. Sein Vater war der fünfzehnte Duke of Bar­mouth, er entstammte einer direkten Seitenlinie des Hauses Tudor und residierte auf einem Stammsitz im County Northumberland. Allerdings war es Sir Cyrus nie in den Sinn gekommen, es seinen Vorfahren und Verwandten gleichzutun und sein Leben mit kultiviertem Nichtstun zu vergeuden. Er hatte sich ausprobiert, war wie ein neugieriges Kind durchs Leben getollt und auch mehr als einmal auf der Nase gelandet. Doch als er sein Talent zum Lösen von Geheimnissen und verzwickten Kriminalfällen entdeckte, waren die Würfel gefallen. Er hatte sich ent­

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schieden, als Detektiv tätig zu werden und sich innerhalb weniger Jah­re einen exzellenten Ruf erworben.

Die Verwünschungen und Drohungen, die ob dieses Traditions­bruches aus Northumberland gekommen waren, hatte er lässig igno­riert und es zudem auch noch geschafft, sich dank seines Talents eine eigene finanzielle Basis zu schaffen, die ihn völlig unabhängig machte. Nie renommierte er mit seiner Herkunft, was er war, basierte für ihn ganz selbstverständlich auf dem, was er tat und schaffte. Und diese Einstellung, die Adelsstolz und hohle Arroganz völlig ausschloss, mach­te ihn Pearse so sympathisch.

»Ist alles vorbereitet?«, fragte er den ehemaligen Polizisten, der daraufhin zustimmend nickte.

»Draußen wartet eine Kutsche, die Billets für die Reise habe ich hier. Nur eines ist mir nicht ganz klar...«

Sir Cyrus klopfte seine Pfeife am Kamin aus und lächelte freund­lich. »Was immer es ist, es kann warten. Wir müssen uns beeilen, denn unser Eingreifen duldet keinen Aufschub.« Er fegte aus dem Raum, griff im Hinausgehen seine kleine Reisetasche und schlug vor: »Im Zug nach Dover können Sie alle Fragen stellen, die Sie bewegen, Pearse. Dann haben wir Zeit. In Ordnung?«

Der junge Mann hatte Schwierigkeiten, mit seinem Chef Schritt zu halten. Er kam sich, wie so oft, überrumpelt vor, murmelte aber nur: »Ja, sicher.« Wenn Sir Cyrus es sagte, war es für ihn selbstver­ständlich in Ordnung...

*

Paris war ihre Heimatstadt. Und doch empfand Lilli-Ann kein heimeli­ges Behagen, als sie vom Fenster ihres Hotelzimmers auf das Lichter­meer zu Füßen des Eiffelturms blickte. Ihr Herz war seltsam leer, ihre Gedanken irrten wie ein Blinder durch die verschachtelten Gassen der Erinnerung, ohne Sinn und Ziel...

Ein Klopfen an der Zimmertür beendete diesen unwirklichen Zu­stand. Es war Lady Kimberly, die mit der Gouvernante sprechen wollte. Sie trug bereits ein hochelegantes Abendkleid aus mauvefarbener Sei­

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de, das mit passender, hauchfeiner Spitze unterlegt war. Der dezente, sündhaft teure Brillantschmuck funkelte matt im Licht der wenigen Gaslampen, die das Zimmer erhellten.

»Miss Baxter, ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass wir jetzt zum Empfang in der indischen Botschaft fahren. Schlafen die Kinder?«

»Ja, sie sind schon vor Stunden zu Bett gegangen. Sie waren von der Reise erschöpft, Mylady.«

»Gut. Es wird sicher nach Mitternacht werden, bis wir zurück sind. Ich möchte Sie bitten, noch eine Weile aufzubleiben und über den Schlaf der Kinder zu wachen. Hier ist doch alles fremd für sie.« Die Gouvernante versprach es, woraufhin Lady Kimberly sich verabschie­dete. Als Lilli-Ann wieder allein war, überfiel sie erneut jene seltsame Gemütsverfassung, die sie bereits vor dem Erscheinen ihrer Herrin gequält hatte. Und dieses Mal konnte sie nicht verhindern, dass die Erinnerungen kamen, die sie doch lieber verdrängt hätte...

Sie kehrte in Gedanken noch einmal in das Haus des Tuchhändlers zurück, in dem sie ihre Kindheit und einen Teil ihrer Jugend verbracht hatte. Dort, wo ihre Mutter als Stubenmädchen den Herrschaften hin­terher geräumt und ihren Dreck beseitigt hatte. Dort, wo es immer nur hohe Fenster ohne viel Licht gegeben hatte und eine Zukunft, die ihr selbst nichts anderes verhieß, als das Schicksal der eigenen Mutter zu wiederholen.

Aber dann, Lilli-Ann war gerade sechzehn geworden, war doch etwas geschehen, das die Dinge nachhaltig änderte. Zumindest für sie... Ihre Mutter hatte einen Mann kennen gelernt, der sie heiraten wollte. Sein Name war Percy Fletcher gewesen und er hatte als Kut­scher beim britischen Botschafter in Paris gearbeitet. Er war ein ein­facher, aber ehrlicher Mann gewesen. Wohl genau das, wonach Mable sich im stillen gesehnt hatte. Er bot ihr eine eigene kleine Wohnung im Kutscherhaus und eine gesicherte Zukunft.

»Wenn ich jetzt noch Dreck wegmache, dann nur unseren eige­nen«, hatte sie zu Lilli-Ann gesagt und dabei zufrieden gelächelt. Und zugleich hatte sie das Mädchen wissen lassen, dass in diesem neuen Leben kein Platz für sie sei. Percy wollte nicht mit einer Halbwüchsigen unter einem Dach leben, die allen Männern den Kopf verdrehte. Er

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machte es zur Bedingung, dass fortan zwischen Mutter und Tochter kein Kontakt mehr bestand. Und Mable war darauf eingegangen, da hatte Lilli-Ann noch so viel bitten, betteln und weinen können.

»Das ist vielleicht meine letzte Chance, endlich frei zu sein«, hatte sie behauptet. »Die darfst du mir nicht nehmen!«

Sie hatte sich gefügt, war allein zurückgeblieben in dem kleinen Zimmer im Dienstbotentrakt, auf sich gestellt und ohne den Schutz einer Mutter, die sie zumindest vor den schlimmsten Schattenseiten des Lebens behütet hatte...

Lilli-Ann stöhnte gequält auf. Sie wollte nicht mehr an diese Zeit zurückdenken, doch die Erinnerungen quälten sie erbarmungslos und sie ahnte, dass es besser gewesen wäre, nicht nach Paris zurück­zukehren. Aber nun war sie hier, es gab kein Entrinnen. Ein Ruck ging durch ihren schlanken Leib, sie straffte sich. Und zugleich schien eine seltsame Veränderung über sie zu kommen. Ihr Blick wurde entschlos­sen, beinahe kalt, ein spöttisches Lächeln legte sich um ihren schön geschwungenen Mund. Und als sie sich vom Fenster fort drehte, lag eine katzengleiche Eleganz in ihren Bewegungen. Sie wusste nun, was sie zu tun hatte, um ihrer Seele wieder Frieden zu schenken. Es war ganz leicht, alles lag quasi direkt vor ihren Füßen ausgebreitet. Sie musste nur zugreifen. Und das würde sie auch tun. Es war die Nacht...

Nur wenige Straßenzüge entfernt, ganz in der Nähe der Champs-Élysées, lag die indische Botschaft. An diesem Abend war der prächti­ge Bau im Stil der Renaissance hell erleuchtet, im Hof, hinter den ho­hen schmiedeeisernen Toren, hielt ein gutes Dutzend Kutschen. Neben den noblen Karossen, von denen viele mit einem eigenen hochherr­schaftlichen Familienwappen geschmückt waren, schnaubten leise die Kutschpferde, die Fahrer lehnten an den Gefährten oder standen rau­chend beisammen. Die Nacht war frisch, es nieselte leicht und ein küh­ler Wind fegte die schwarzen Wolken über das Firmament, wo eine bleiche Mondsichel kaum Licht spendete. Drinnen im Haus spürte man davon nichts. Alle Räume waren hell erleuchtet, Musik, Gläserklirren, angeregte Gespräche und Lachen erfüllten die Botschaft mit der Hei­terkeit eines lichten Frühlingstages. Niemand ahnte, was sich ganz in

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der Nähe abspielte, quasi unter den Nasen der erlesenen Gesellschaft, die sich an diesem Abend auf sehr kultivierte Weise amüsierte...

Ein schmaler Schatten, der mit der Nachtdunkelheit zu ver­schmelzen schien, huschte aus einer Seitenstraße heran und überwand dann mit spielerischer Leichtigkeit eine Mauer, die hintere Abgrenzung des Grundstücks. Im Schatten der Mauer verharrte die Gestalt, blickte sich sichernd nach allen Seiten um. Niemand war zu sehen. Nichts als Dunkelheit und Stille umgab den heimlichen Eindringling. Nur das leise Wehen des Windes unterbrach diese Ruhe, die doch nichts Beruhi­gendes hatte. Zumindest nicht für die Gestalt, die sich nun wieder auf­richtete und ihren Weg fortsetzte. Ein bleicher Streifen Mondlicht fiel auf eine schmale Frauenhand, als diese sich auf die Klinke der niedri­gen Kellertür legte, die nicht abgeschlossen war. Noch einmal warf sie einen Blick in die Runde, bevor sie im undurchdringlichen Dunkel des fremden Kellers verschwand.

Für eine Weile schien es, als sei sie von der Welt getrennt, abge­schnitten von allen anderen Menschen, wie gefangen in diesem lichtlo­sen Raum, dessen feuchte Steinwände nur das Huschen ihrer eigenen Schritte wiedergab. Ihr Herz pochte zum Zerspringen, Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn und den Handinnenflächen. Für ein paar Sekunden zögerte sie. Aber dann überkam sie erneut die kalte Entschlossenheit. Und nur einen Atemzug später hatte sie den Keller verlassen, befand sich auf leisen Sohlen auf dem Weg in das obere Stockwerk der Villa.

Vom Erdgeschoß her klangen die Geräusche des Empfangs an ihr Ohr, die fröhliche Stimmung derjenigen, die nicht einmal ahnten, was noch in dieser Nacht in der Botschaft geschehen würde. Sie lächelte kalt. Keiner von ihnen wusste, wie es in ihrem Herzen aussah, wie schrecklich der Schmerz darin wütete, den die Erinnerung wieder ein­mal wachgerufen hatte. Der Schmerz, den einer der ihren ihr vor so langer Zeit zugefügt hatte. Und den sie ihnen nun immer und immer wieder vergelten würde...

Ein leises Geräusch ließ sie zusammenzucken. Ein Diener näherte sich ihr über den Gang und verschwand dann in einem der Zimmer. Sie hatte sich in eine Nische geduckt, mit wild pochendem Herzen. Doch die Gefahr war ebenso schnell wieder verschwunden, wie sie

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erschienen war. Trotzdem brauchte sie eine Weile, um wieder ruhig zu werden. Eine seltsame Anspannung hatte von ihr Besitz ergriffen. Es mochte daran liegen, dass sie hier in Paris war, der Stadt, in der ihr Leben begonnen und zugleich geendet hatte. Sie war einfach nicht in der Lage, so kaltblütig wie sonst vorzugehen. Und doch musste sie es, wollte sie nicht Gefahr laufen, erwischt zu werden...

Endlich löste die heimliche Besucherin der indischen Botschaft sich von dem Fleck, auf dem sie wie erstarrt gekauert hatte. Sie war ihrem Ziel ganz nah. Nur noch wenige Schritte und eine Tür trennten sie von der inneren Ruhe und Ausgeglichenheit, die sie so dringend wieder finden musste.

Sie blickte sich vorsichtig um; niemand war zu sehen. Nur sehr gedämpft drangen die Geräusche des Empfangs zu ihr hinauf in den ersten Stock. Sie kannte dieses Haus, hatte es schon einmal ganz offi­ziell besucht, in Begleitung ihrer Brotherrin. Niemand hatte bei dieser Gelegenheit auf sie geachtet, so war es ihr möglich gewesen, sich alles Wichtige einzuprägen. Alle Informationen, die sie für diesen ›Besuch‹ benötigte, hatte sie sich geschickt und mit eiskalter, krimineller Ener­gie verschafft. Und nun stand sie kurz vor der Erfüllung ihres Plans, der sich als weiterer Mosaikstein in das Bild ihrer Rache einfügen soll­te. Auf Zehenspitzen schlich sie zu der Tür, hinter der sie das Ziel all ihrer momentanen Wünsche wusste. Ihre Hand zitterte leicht, als sie die Klinke berührte. Ein wenig Druck - sie gab nach, doch die Tür öff­nete sich nicht.

Siedend heiß schoss es ihr durch den Sinn, was sie gerade eben gehört hatte: Der Diener, der in einem anderen Zimmer verschwunden war, hatte mit einem Schlüssel hantiert...

Sie stieß einen leisen Fluch aus, dann verschwand ihre Hand kurz in einer Tasche ihrer dunklen Kleidung und erschien gleich darauf wie­der mit einem kurzen gebogenen Eisenhaken; ein Dietrich. Damit ver­schaffte sie sich innerhalb weniger Augenblicke Zutritt zu dem bis da­hin verschlossenen Raum. Gedankenschnell huschte sie hinein und schloss die Tür wieder hinter sich. Erneut umgab sie Stille und Dunkel­heit. Ein lieblicher Duft stieg ihr in die Nase. Als ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse im Zimmer gewöhnt hatten, erkannte sie im schwa­

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chen Schein des Mondlichts die Umrisse eines prächtigen Bettes mit Baldachin, daneben ein Schminktisch, eine Kommode und ein langer Schrank. Es war das Schlafzimmer der Frau des Botschafters.

Sie huschte auf die Kommode zu, öffnete eine Lade. Darin befand sich kostbare Seidenwäsche. Der verschwenderische Strauß Damasze­nerrosen, der auf der Kommode in einer chinesischen Vase stand, ver­strömte einen beinahe narkotischen Duft. Gerne hätte sie ein Fenster geöffnet, um wieder klar denken zu können. Doch dazu war keine Zeit. Mit ein paar raschen Griffen hatten sie die Wäsche beiseite geräumt. Darunter kam eine große Kassette aus scharlachrotem Leder zum Vor­schein, die mit Gold geprägt das Wappen der indischen Kronkolonie trug. Die heimliche Besucherin atmete hörbar aus. Das Herz schlug ihr im Hals, als sie die Kassette öffnete. Im matten Silberschein des Mond­lichts glänzte und funkelte ein schwarzer Diamant von der Größe eines Taubeneis. Sein geheimnisvolles Feuer nahm ihre gesamte Aufmerk­samkeit für ein paar Augenblicke höchsten Glücks in Anspruch. Dabei murmelte sie andächtig: »Der Stern von Rajastan...«

Ein Geräusch vor der Tür brachte die heimliche Besucherin ins Hier und Jetzt zurück. Mit einer raschen Bewegung ließ sie den un­ermesslich kostbaren Stein in ihrem Ärmel verschwinden, deponierte die Kassette wieder an ihrem Platz und schloss die Lade.

Kaum fünf Minuten später hatte Lilli-Ann Baxter die indische Bot­schaft wieder unbemerkt verlassen. Für eine Weile würde ihr Herz nun wieder Frieden finden...

*

Sir Cyrus Hawkesworth schmunzelte still vergnügt in sich hinein wie eine zufriedene Katze, die gerade im Begriff ist, eine enorm große und wohlschmeckende Maus zu verdauen. Dabei zog er von Zeit zu Zeit an seiner Pfeife und entließ kleine, fast exakt kreisrunde Rauchringe in die Luft des Speisewagens. Anthony Pearse ließ sich währenddessen sein Steak schmecken.

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»Sie sehen so zufrieden aus, Sir«, merkte er an, nachdem er einen Schluck Bier getrunken hatte. »Das Lob des Polizeipräfekten hat Ihnen gut getan, nicht wahr?«

Sir Cyrus paffte eine enorme Rauchwolke in Richtung des Nach­bartisches, von wo aus ihn daraufhin einige giftige Blicke trafen und nickte dann zustimmend. »Ja, ich kann es nicht leugnen, mein lieber Pearse. Ich fühlte mich geschmeichelt, als dieser Letruc sich im höchs­ten Lob über meine Arbeit erging. Und dennoch; die eigentliche Be­friedigung für mich liegt weder in offiziellen Ehren, noch in dem - zu­gegeben - beträchtlichen Honorar. Es war dieses reizende Kind, das sich mir so voller Dankbarkeit und naiver Heldenverehrung an die Brust warf, als wir in dieser Räuberhöhle auftauchten und den Entfüh­rer dingfest machten.«

Pearse musterte sein Gegenüber mit einem ungläubigen Blick. »Sie nehmen mich auf den Arm, nicht wahr?«

»Das käme mir nie in den Sinn«, versicherte Sir Cyrus, wobei er es allerdings vorzog, seine Miene in Rauch zu hüllen.

»Aber ich weiß doch, dass Sie ein eingefleischter Junggeselle sind. Nichts für ungut, Sir, doch die schönsten Damen der Londoner Gesell­schaft haben es nicht geschafft, Sie für ihre Reize zu interessieren. Und dieses unscheinbare Mädchen...«

Der Detektiv lachte amüsiert. Dann deutete er zunächst auf seinen Teller, wo sich noch die Reste von köstlichen Amuse Geulles fanden und auf den seines Gegenübers. »So verschieden sind die Geschmä­cker, Pearse. Sie sind für das Handfeste, das Sichtbare. Ich bevorzuge dagegen den flüchtigen, außergewöhnlichen Moment. Dem alltäglichen Leben mit all seinen Niederungen vermochte ich noch nie viel abzuge­winnen. Gleichwohl bedeutet dies ganz sicher nicht, dass nicht irgend-wo auf diesem Erdball die Frau wandelt, die mein Herz bezwingen könnte. Geduld...«

»Aber das müsste dann schon eine ganz außergewöhnliche Frau sein«, mutmaßte der ehemalige Polizist mit Nachdruck.

Sir Cyrus konnte dem nicht widersprechen. »Während meiner Tä­tigkeit als Ermittler sind mir viele ungewöhnliche Menschen begegnet, viele von ihnen verfügten über außerordentliche Fähigkeiten und Be­

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gabungen. Leider nutzten sie diese auf unredliche Weise, sonst wären sie nicht mit mir, respektive dem Gesetz, in Konflikt geraten. Unter diesen Charakteren waren auch einige Frauen, die mir, wenn auch nicht Achtung, so doch Respekt abverlangten. Dennoch hat keine von ihnen mein Herz berührt...«

»Vielleicht waren sie nur nicht außergewöhnlich genug«, warf Pearse ein, bemerkte aber, dass Sir Cyrus' Aufmerksamkeit sich etwas anderem zuwandte als ihrem Gesprächsthema. Seine dunklen klugen Augen fixierten einen Punkt hinter dem Rücken des jungen Mannes, den dieser naturgemäß nicht sehen konnte. Und noch ehe er in der Lage war, eine Frage zu stellen, traten zwei Bahnbedienstete an ihren Tisch; der Fahrkartenkontrolleur und der Schlafwagenschaffner. Letz­terer verneigte sich angedeutet vor Sir Cyrus und bat ihn: »Bitte ver­zeihen Sie die Störung, Sir, aber wir benötigen Ihre Hilfe in einer et­was... delikaten Angelegenheit. Würden Sie uns die Ehre erweisen und uns begleiten?«

Anthony Pearse wollte sofort etwas einwenden, doch der Detektiv fragte: »Hängt es damit zusammen, dass an der letzten Station Polizei in den Zug gestiegen ist?«

Die beiden Bahnbeamten tauschten einen pikierten Blick, was dem Fragenden bereits Antwort genug war. Er wies Pearse an, im Speise­wagen auf ihn zu warten und zwar in einem Ton, der keinen Wider­spruch duldete. Dann folgte er den beiden Männern ohne zu zögern. Der ehemalige Polizist blieb verdutzt zurück.

Sir Cyrus zeigte sich nicht im Mindesten überrascht, als er wenig später mehreren unauffällig gekleideten Herren gegenüberstand, die sowohl sein Scharfsinn als auch seine Erfahrung sofort als Angehörige des französischen Geheimdienstes einstuften. Zwei Polizisten hielten sich im Hintergrund. Der älteste der Herren, schmal und hoch gewach­sen, in Größe und Habitus dem Engländer nicht unähnlich, stellte sich als Francois Delarge vor und ließ sein Gegenüber einen kurzen Blick auf seinen Ausweis tun. Sir Cyrus hob nur eine Augenbraue leicht an. »Securité nationale? Mir scheint, es handelt sich hier um etwas mehr als nur eine delikate Angelegenheit, nicht wahr?«

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»Ihnen eilt ein gewisser Ruf voraus, Monsieur«, erwiderte Delarge ausweichend. »Wie es aussieht, ist dieser nicht ungerechtfertigt. Sie ahnen wohl, dass wir uns in einer schwierigen Lage befinden, sonst hätten wir nicht erwogen, einen Außenstehenden ins Vertrauen zu ziehen. Doch da das Schicksal uns gerade Sie über den Weg geschickt hat, der Welt größten Detektiv und schärfsten Verstand...«

»Ah, keine Vorschußlorbeeren, bitte!« Er winkte ab. »Worum geht es, meine Herren? Bitte klar, kurz und präzise. Sonst kehre ich um­gehend auf meinen Platz zurück. Ich habe mein Dessert noch nicht angerührt...«

»Nun, es handelt sich um eine Affäre, die durchaus zu internatio­nalen Verstrickungen führen könnte, wenn sie nicht schnell und diskret aufgeklärt wird. Ein unersetzbares Juwel ist aus dem Haus einer hoch­rangigen Persönlichkeit verschwunden. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, auf welche Weise dies geschehen ist. Doch wir haben berechtigen Grund zu der Annahme, dass ausländische Personen ihre Finger im Spiel haben. Deshalb wird seit zwei Tagen jeder Zug, der Paris ver­lässt, sowohl nach dem Kontinent wie auch Richtung Kanal gründlich durchsucht. Leider ohne jedes Ergebnis.«

»Wem wurde das Juwel gestohlen?« »Es tut mir leid, das kann ich Ihnen nicht sagen. Nur soviel: Es

handelt sich um eine Person, die Immunität genießt.« »Hm. Ein Diplomat also. Aus welchem Land?« »Sir Cyrus, Sie bringen mich in Verlegenheit, ich...« »Um welchen Stein handelt es sich? Ist er bekannt?« Der Franzose verzog das Gesicht, als ob ihn heftige Zahn­

schmerzen plagten. Sir Cyrus nahm dieses Verhalten zum Anlass, et­was klar zu stellen: »Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie nicht abso­lut offen und ehrlich zu mir sind, Monsieur Delarge. Ohne alle Fakten zu kennen, bin ich nicht in der Lage, eine Theorie aufzustellen oder einen Verdacht zu äußern.« Er fixierte den Franzosen mit ernstem Blick. »Also?«

»Was Sie verlangen, ist leider unmöglich, Monsieur!«, beteuerte dieser gequält. »Es ist mir strengstens verboten, Dritten gegenüber Namen zu nennen. Ich wollte Sie lediglich grob informieren und Sie

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dann bitten, mit uns den Zug zu kontrollieren. Ich hatte gehofft, dass Ihrem geschulten Auge...«

»Es tut mir leid, das ist unmöglich!« Sir Cyrus wandte sich zum Gehen. »Völlige Offenheit ist der Schlüssel zu meiner Hilfe. Ich ge­währe sie Ihnen gerne und ohne Zögern, wenn Sie mir alle Fakten nennen.« Er verließ, ohne sich noch einmal umzusehen, das Abteil. Im Hinausgehen hörte er die Beamten bereits heftig auf Französisch dis­kutieren. Ein feines Schmunzeln legte sich um seine schmalen Lippen. Wie es schien, rechnete niemand damit, dass er ihren Disput verstand, sonst hätte Delarge sicher nicht von ihm als ›eingebildetem Engländer‹ gesprochen...

Es dauerte kaum zehn Minuten, Sir Cyrus hatte eben erst einen Mokka bestellt, als der Franzose im Speisewagen auftauchte und den Detektiv wissen ließ: »Es handelt sich um einen hochrangigen, auslän­dischen Diplomaten, der aus einer Ihrer Kronkolonien stammt. Und das Juwel ist ebenfalls von dort. Genügt Ihnen das?«

Pearse machte kein sehr intelligentes Gesicht, während Sir Cyrus lächelnd nickte. »Fürs Erste gewiss, Sie bekunden damit Ihren guten Willen. Ich werde Ihnen helfen. Kommen Sie, Pearse, wir unter­nehmen einen Spaziergang durch den Zug.« Er nickte seinem Assi­stenten zu. »Halten Sie die Augen offen!«

*

Francois Delarge folgte Sir Cyrus wie ein Schatten. Er wagte kaum, etwas anzumerken oder einzuwenden, während der Detektiv an diver­sen Abteilen einfach vorbei eilte. Nur einmal wandte er sich an Pearse. »Wie kann er denn wissen, dass sich der Dieb nicht ausgerechnet hier aufhält? Ich meine, bei allem Respekt, doch er ist gewiss kein Hellse­her!«

Noch ehe der junge Mann antworten konnte, wandte Sir Cyrus sich ganz elegant um, lächelte schmal und versicherte: »Ich weiß es!«

Delarge schwieg, er hielt es für das Beste, den Detektiv schalten und walten zu lassen, wie er wollte. Denn das tat er ja sowieso...

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Als sie den Zug beinahe durchquert hatten, verhielt Sir Cyrus so abrupt den Schritt, dass der Franzose beinahe aufgelaufen wäre. Im letzten Moment konnte er ausweichen und hüstelte konsterniert. Der Engländer warf einen langen Blick in ein Coupe erster Klasse. Dort saßen mehrere Personen; ein sehr eleganter Gentleman samt Gattin, zwei hübsche, noch kleine Kinder und eine junge Frau, die den Detek­tiv scheinbar sehr interessierte. Seine dunklen Augen fixierten die Per­son für die Länge eines Herzschlages intensiv, dann fragte er seinen Begleiter: »Wer ist das?«

Delarge blätterte in der Liste der Fahrgäste, die der Zugbegleiter ihm überlassen hatte und erklärte dann: »Lord Harold Southwood, Lady Kimberly Southwood sowie ihre beiden Kinder und die Gouver­nante.«

»Ich möchte mit ihnen sprechen.« Der Franzose hielt dies ganz offensichtlich nicht für eine gute I­

dee, denn er merkte an: »Lord Southwood ist ein hochrangiger Diplo­mat. Ich weiß nicht...«

»Aber ich. Sie sagten, das Juwel ist aus dem Haus eines Diploma­ten verschwunden. Möglich, dass Lord Southwood etwas darüber weiß, dass er, vielleicht ganz unbewusst, Zeuge gewisser Vorgänge wurde, die er nicht einzuordnen weiß, da nichts über diesen Diebstahl an die Öffentlichkeit gelangt ist.« Sir Cyrus bedachte den Franzosen mit ei­nem ungeduldigen Blick. »Denken Sie, dass Ihre Lage es erlaubt, so großzügig mit möglichen neuen Erkenntnissen umzugehen?«

Francois Delarge knirschte mit den Zähnen. Schon als sein Vorge­setzter ihn angewiesen hatte, die Hilfe dieses englischen Detektivs in Anspruch zu nehmen, hatte ihm das ganz und gar nicht geschmeckt. Und nun erwies er sich nicht nur als überheblich und ziemlich exzent­risch, er schien auch nicht einmal vor einem Skandal zurückzuschre­cken. »Also schön«, gab Delarge unwillig nach. »Aber ich muss Sie dringend ersuchen, sehr diskret vorzugehen. Sehr diskret, Monsieur!«

Sir Cyrus hörte schon nicht mehr, um was der Franzose ihn bat. Er hatte die Abteiltür geöffnet und stellte sich nun formvollendet Lord Southwood vor. Dieser gab sich zunächst nicht unfreundlich. Er kannte

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den Herzog von Barmouth persönlich und erkundigte sich sogleich nach dessen Befinden.

Sir Cyrus lächelte schmal. »Leider pflege ich kaum noch Kontakt zu meinem Vater. Doch bedenkt man die Rossnatur, die man ihm von frühester Jugend an nachsagte, wird es ihm gewiss gut gehen.«

Der Diplomat schien nicht recht zu wissen, was er darauf antwor­ten sollte, sein Gegenüber erklärte: »Ich bin nicht hier, um mich Ihnen aufzudrängen oder Ihre Zeit zu stehlen, Sir. Es geht um eine sehr deli­kate Angelegenheit, die ich zudem gerne mit Ihnen unter vier Augen besprechen würde. Wäre es Ihnen recht, wenn wir das Abteil kurz verlassen?«

Der Lord zögerte, seine Frau musterte den Eindringling mit kühler Abschätzigkeit, während die Gouvernante sich schlafend stellte. Sir Cyrus hatte das deutliche Empfinden, dass diese junge Frau etwas verbarg, dass sie mehr wusste als ihr Brotherr oder eine andere Per­son in diesem Coupé. Allerdings konnte er nicht sagen, woher diese Ahnung rührte. Lag es an seiner Intuition, die ihn eigentlich nie im Stich ließ? Oder war es nur der Blick aus tiefblauen Augen in einem schmalen blassen Mädchengesicht, der eine Saite in seinem Innern zum Klingen gebracht hatte?

Lord Southwood verlangte nun, zunächst zu erfahren, worum es sich drehte. »Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Frau«, un­terstrich er kühl. »Was immer Ihr Begehr ist, Sir, bringen Sie es hier und jetzt vor oder gehen Sie.«

»Wie Sie wünschen.« Sir Cyrus musterte sein Gegenüber streng. »Sir, ich gehe wohl nicht falsch in der Annahme, dass Sie in Paris auch gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen sind, die Ihre Auf­gaben im diplomatischen Dienst einschließen.«

»Das ist korrekt. Wir haben mehrere Empfänge besucht.« »Darf ich fragen, in welchen diplomatischen Vertretungen?« Der Lord wechselte einen knappen Blick mit seiner Frau und ant­

wortete dann: »Beim Botschafter des deutschen Kaiserreichs, in der Vertretung von Spanien und beim Botschafter der indischen Kronko­lonie.«

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»So.« Sir Cyrus kluger Blick streifte über die scheinbar schlafende Gouvernante hinweg, deren schlanke Hände sich wie im Krampf um ihr Handtäschchen schlossen. Dann kehrte er zu seinem Gegenüber zu­rück, das mittlerweile verärgert wirkte.

»Sir, haben Sie vielleicht die Güte, mir zu erklären...« »Es handelt sich um eine sehr delikate Angelegenheit, Mylord.

Draußen wartet die Securité Nationale auf den Ausgang unseres klei­nen Gesprächs. Sie sehen, ich belästige Sie nicht mit Kleinigkeiten. Darf ich Sie daher bitten, mir noch ein paar kurze Fragen zu be­antworten und zwar so präzise wie möglich. Dann werde ich Sie auch nicht länger behelligen.«

»Also schön. Stellen Sie Ihre Fragen, Sir.« »Der Empfang in der indischen Botschaft: Ist dort alles nach Plan

verlaufen? Gab es einen Zwischenfall? Ist Ihnen vielleicht etwas Un­gewöhnliches zu Augen oder zu Ohren gekommen?«

Lord Southwood dachte kurz nach und schüttelte dann angedeutet den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Der Empfang unterschied sich in keiner Weise von den anderen, die wir besucht haben.«

»Waren viele geladene Gäste dort?« »An die zwanzig, schätze ich.« »Wäre es möglich, dass sich jemand eingeschlichen hat? Eine Per­

son oder Personen, die sich auffällig benahmen?« »Davon ist mir nichts bekannt.« »Als Sie den Empfang verließen, geschah etwas Ungewöhn­

liches?« »Nein, alles verlief völlig normal.« Der Lord furchte ungeduldig die

Stirn. »Hätten Sie jetzt vielleicht die Güte, mir zu erklären, wozu all diese Fragen dienen?«

»Es tut mir leid, das kann ich nicht. Nur soviel: Es steht zu vermu­ten, dass während des Empfangs ein Diebstahl begangen wurde. Ein... ungewöhnliches Verbrechen von hoher Brisanz.«

»Sie erheben doch nicht etwa Verdächtigungen gegen meine Per­son oder die meiner Frau?«

Sir Cyrus lachte charmant. »Um Himmels willen, das käme mir nie in den Sinn! Seien Sie versichert, dass meine Fragen lediglich der Su­

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che nach Hinweisen dienen.« Er verneigte sich angedeutet. »Bitte ver­zeihen Sie die Störung, Sir. Lady Southwood.« Damit verließ er das Coupe, allerdings nicht, ohne vorher noch einen Blick auf die scheinbar schlafende Gouvernante zu werfen. Ihre Miene blieb unbewegt und entspannt und doch hätte der Detektiv wetten mögen, dass sie seinen Blick nicht nur spürte, sondern auch in gewisser Weise fürchtete...

Francois Delarge erwartete Sir Cyrus in zitternder Ungeduld. Er schien Höllenqualen gelitten zu haben bei der Vorstellung, dass der exzentrische Detektiv einen Eklat verursachen könnte. Doch dieser beruhigte den Franzosen mit den Worten: »Lord Southwood hat ge­wiss nicht das Geringste mit dieser Angelegenheit zu tun. Indes hat er mir etwas auf die Sprünge geholfen und meine Vermutung bestätigt, dass es sich um den indischen Botschafter handelt.« Er lächelte lie­benswürdig, als Delarges Miene sich verfinsterte und fuhr im gleichen Ton fort: »Und wenn dem so ist, liegt der Schluss nahe, dass das ge­stohlene Juwel nichts anderes als der berühmte Stern von Rajastan ist, der schwarze Diamant, für den schon so viel gestorben und getötet wurde.«

Der Franzose wahrte sein Pokerface. »Mag sein, dass Ihre Schlussfolgerungen logisch sind, Monsieur, doch das bedeutet noch nicht, dass sie auch der Wahrheit entsprechen. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, doch ich denke, diese ist nun nicht mehr von Nöten. Leben Sie wohl, Monsieur Hawkesworth und nochmals Danke für Ihre be­reitwillige Unterstützung.« Delarge wandte sich ab und ging mit ra­schen Schritten davon.

Anthony Pearse warf seinem Chef einen fragenden Blick zu. »Was hatte das denn nun zu bedeuten? Ich dachte, er wollte etwas heraus­finden. Und jetzt ist er gar nicht mehr daran interessiert?«

»Nun, es sieht so aus, als ob unser französischer Freund in sehr engen Bahnen zu denken pflegt. Er ist ein Bürokrat. Und von solchen Menschen sind keine bahnbrechenden Erkenntnisse zu erwarten. Kommen Sie, Pearse, ich habe meinen Mokka noch nicht ausgetrun­ken.« Der Detektiv kehrte zum Speisewagen zurück, sein Assistent wollte verunsichert wissen: »Werden Sie die Angelegenheit denn nun einfach auf sich beruhen lassen? Wie es scheint, handelt es sich hier

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doch wohl um ein hochkarätiges Verbrechen, das nicht leicht aufzuklä­ren ist.«

Sir Cyrus wiegte den Kopf leicht hin und her und versicherte: »Es wird nicht lange dauern, bis wir diesen Fall wiederaufnehmen. Doch bis dahin sollten wir uns mit Geduld wappnen.«

*

Die Prophezeiung von Sir Cyrus sollte sich schon wenige Tage später erfüllen. Nach seiner Rückkehr in die Stadt an der Themse verbrachte der Detektiv einige Zeit mit dem ausführlichen Studium gewisser Ak­ten, die ihm ein Bote gebracht hatte. Anthony Pearse hätte viel darum gegeben, zu erfahren, um was für Unterlagen es sich dabei handelte, doch Sir Cyrus hatte ihn bislang nicht ins Vertrauen gezogen. Und der junge Mann wusste, dass sein Chef Neugierde um ihrer selbst willen gar nicht schätzte.

»Er brütet wieder an einem neuen Fall, da macht mir keiner was vor«, behauptete Mrs. Halton und schenkte Pearse noch einmal Tee nach. Der ehemalige Polizist hatte es sich angewöhnt, seine Mahlzeiten in der Küche einzunehmen, denn Sir Cyrus hielt sich selten an geregel­te Essenszeiten und ließ des öfteren eine Mahlzeit einfach ausfallen, wenn er zu beschäftigt war.

Pearse schob sich den Rest eines Brötchens in den Mund und spülte ihn mit einem Schluck Tee herunter. Dann ließ er die Haushälte­rin in vertraulichem Ton wissen: »Auf der Rückreise von Paris ist es zu einem etwas seltsamen Zwischenfall gekommen.« Er berichtete von der Bitte des französischen Geheimdienstmannes, Sir Cyrus möge die Mitreisenden unter die Lupe nehmen. »Es scheint so, als sei ein sehr wertvolles Juwel gestohlen worden. Ein Fall von internationalem Ge­wicht.«

Mrs. Halton lächelte stolz. »Hab ich es nicht gesagt? Er brütet wie­der an einem neuen Fall. Ich kenne Sir Cyrus mittlerweile beinahe bes­ser als er sich selbst kennt. Wenn er keinen Appetit verspürt und sich in seinem Zimmer verschanzt, ist immer was im Busch. Wissen Sie denn nichts Näheres, mein lieber Junge?«

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»Tut mir sehr leid, nein. Er hat mich bisher nicht ins Vertrauen ge­zogen. Aber der Bote, der die vielen Aktenbündel brachte, kam doch direkt vom Innenministerium.«

»Hm, seltsam... Ich dachte, wenn dieser Diebstahl sich auf dem Kontinent zugetragen hat, dann müsste eigentlich das Außen­ministerium dafür zuständig sein.«

Pearse warf der Haushälterin einen verblüfften Blick zu. »Das stimmt, Sie haben recht...«

Ein leises Bimmeln über der Tür zog die Aufmerksamkeit auf sich. Sir Cyrus hatte geläutet.

»Vermutlich will er jetzt sein Frühstück«, meinte Mrs. Halton und machte Anstalten, die Küche zu verlassen. Anthony Pearse kam ihr zuvor.

»Lassen Sie nur, ich gehe schon. Irgendwie habe ich nämlich den Verdacht, dass es nicht das Frühstück ist, um das es hier geht.« Er beeilte sich, ins Wohnzimmer zu gelangen und fand den Hausherren über einen großen Stapel Akten gebeugt. Der Raum war so voller Pfei­fenqualm, dass es auf den ersten Blick fast wie Nebel wirkte.

Pearse öffnete ein Fenster und ließ etwas Frischluft herein, die auch die Sicht klärte. Nun erst fiel ihm auf, dass die Tafel in einer Ecke des Zimmers wieder mit Zeitungsausschnitten, Notizen und Fotos voll gesteckt war. Sir Cyrus hatte die Angewohnheit, alles Material, das er zu einem Fall finden konnte, so anzuordnen, dass es auf einen Blick zu überschauen war. Der junge Mann bemerkte, dass die Fotografien aus dem Archiv von Scotland Yard stammten, was ihn stutzig machte. Sie zeigten vielfach vorbestrafte Diebe und Einbrecher, Hehler und Ban­denchefs. Ein nicht unerheblicher Teil der Londoner Unterwelt hatte hier auf recht geringem Raum Platz gefunden.

»Ah, Pearse, da sind Sie ja«, stellte der Hausherr fest und winkte seinen Mitarbeiter zu sich. »Sehen Sie sich das an. Was halten Sie da­von?«

Der junge Ire überflog ein Protokoll, das von Francois Delarge un­terschrieben war. »Nicht sehr aussagekräftig, finde ich.«

Sir Cyrus bog sich vor Lachen. »Und das ist eine absolute Schmei­chelei.« Er ließ sich im Schneidersitz auf dem kleinen Sofa nahe dem

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Kamin nieder, entzündete aufs Neue seine Pfeife und wies seinem As­sistenten gegenüber in einem Sessel Platz an. »Die Franzosen tappen im Dunkeln, was diesen Juwelenraub angeht. Deshalb hat mich ges­tern Abend recht spät Sir James Hamilton besucht und mir sein Leid geklagt.«

»Der Leiter von Scotland Yard?«, warf Pearse gespannt ein. Sir Cyrus nickte. »So ist es, mein Lieber. Die Spur führt nach Lon­

don, das scheint zumindest klar. Aber die Franzosen erklären sich als völlig unfähig, sie weiter zu verfolgen.« Er krauste die Stirn. »Und hier ist sie natürlich längst kalt.«

»Hat Scotland Yard denn schon einen Verdächtigen?« »Einen?« Der Detektiv sprang auf, tippte mit seiner Pfeife gegen

die Tafel und wiederholte: »Einen? Dutzende! Aber es ist keiner dabei, dem ein solches Verbrechen zuzutrauen ist.« Die Pfeife sprang von Foto zu Foto. »Hemmings, zu alt für eine Kletterpartie. Cater, zu dumm für einen solch ausgereiften Plan. Bruce Maddox, viel zu fett!«

Pearse musste schmunzeln, was seinen Chef zu der Bitte veran­lasste: »Machen Sie einen Vorschlag, bitte! Ich bin für jede Hilfe, die ich kriegen kann, dankbar. Sir James wird uns heute Abend wieder aufsuchen. Und ich fürchte, ich kann ihm nichts bieten, nicht das Ge­ringste!«

»Aber Scotland Yard hat doch sicher die üblichen Verdächtigen be­reits verhört. Ist dabei denn nichts herausgekommen?«

»Mein lieber Pearse, was glauben Sie, warum all diese Akten hier sind? Hamilton und seine stumpfsinnige Bande war so erfolgreich wie ein Tauber, der zwei Symphonien voneinander unterscheiden soll...« Sir Cyrus blies eine enorme Rauchwolke gegen die getäfelte Decke. »Nein, nein, da stimmt etwas ganz und gar nicht. Der Schlüssel liegt weder in dieser Ansammlung finsterer Gestalten und nichts sagender Protokolle, noch in der dilettantischen Suche nach Verdächtigen in Zü­gen. Ich spüre es in allen Knochen, dass dieser Diebstahl aus dem Rahmen fällt. Und...« Er warf seinem Mitarbeiter einen schwer zu deu­tenden Blick zu. »... dass er, in seiner Art zwar einzigartig, doch nicht einmalig bleiben wird.«

»Sie denken, der Täter schlägt wieder zu? Aber wo?«

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»Sicher nicht in Paris. Dort ist das Risiko zu hoch, alle außerge­wöhnlichen Pretiosen werden scharf bewacht.«

»Dann hier in London, vielleicht im Tower...« »Ach, Pearse, keine Scherze! Die Kronjuwelen sind selbst für un­

seren Ausnahmetäter unerreichbar.« Er klopfte seine Pfeife aus und schüttelte unwillig den Kopf. »Es ist zu ärgerlich, dass man mich nicht früher mit diesem Fall betraut hat. Im Zug von Paris war die Spur noch warm, das habe ich deutlich gefühlt.« Er kniff die Augen wie in Erinne­rungen versunken zusammen, als wolle er ein ganz bestimmtes Bild in seinem Geiste auferstehen lassen. Pearse schwieg gespannt. Doch nach wenigen Sekunden unterbrach ein Läuten an der Haustür die gedankenvolle Stille.

Sir Cyrus wirkte ratlos, als Mrs. Halton ihm den Besuch von Sir Ja­mes Hamilton ankündigte. »Jetzt schon? Er wollte doch erst heute Abend herkommen.« Er seufzte leise. »Na schön, ich lasse bitten.«

Der Chef von Scotland Yard, ein kleiner, schmaler Mann mit Stirn­glatze und eisgrauem Schnauz, musterte den Detektiv missgelaunt. »Ich hoffe, Sie sind ein wenig weitergekommen, denn ich muss Ihnen gestehen, dass wir auf der Stelle treten, Sir Cyrus«, erklärte er unge­wöhnlich offen.

Der Detektiv wirkte bekümmert. »Sie erwarten Wunder von mir, mein lieber Hamilton. Aber dafür bin ich die falsche Adresse.«

»Keine Wunder, nur eine Spur. Sie wissen, welche Brisanz dieser Fall hat, nicht nur für Frankreich. Der indische Botschafter hat das Land mittlerweile verlassen. Wollen wir einen internationalen Skandal vermeiden, dann...«

»Aber, aber, das alles ist doch bereits bekannt!«, unterbrach Sir Cyrus seinen Gast. »Fakt ist nun einmal, dass die Spur, die der Täter hinterlassen hat, längst kalt ist.«

»Und was sollen wir tun? Was?« »Sie tun einfach das, was Sie in solchen Fällen stets zu tun pfle­

gen: Erledigen Sie die Routinearbeit. Hoffen Sie, auf diesem Weg an Informationen zu gelangen, die Ihnen weiterhelfen. Leisten Sie Amts­hilfe.«

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Sir James schien mit dieser Antwort alles andere als zufrieden zu sein. Noch weniger gefiel ihm allerdings, was der Detektiv erwiderte, als er ihn nach seiner Betätigung fragte: »Ich werde warten. Warten, bis ein weiterer Diebstahl verübt worden ist.«

»Aber, Sir Cyrus, das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein!«, rief der Yardchef empört und griff nach seinem Hut. »Ich bin gewiss nicht hierher gekommen, um mich von Ihnen auf den Arm nehmen zu las­sen!« Er wollte den Raum verlassen, als der Detektiv ihm noch riet: »Sie sollten mir vertrauen. Es gibt momentan leider keine andere Mög­lichkeit, um den Täter dingfest zu machen.«

»Sie genießen einen gewissen Ruf, sind als Ermittler sicher nicht zu unterschätzen. Aber eines steht wohl fest: Ein Mann des Rechts wartet nicht auf ein weiteres Verbrechen. Er tut alles, um es zu ver­hindern!«, ereiferte der Yardbeamte sich.

Der so Gescholtene lächelte schmal. »Das unterscheidet uns beide wohl voneinander. Leben Sie wohl, Sir James.«

*

»Miss Lilli-Ann, kommen Sie und spielen Sie mit uns, bitte!« Die Stim­me der kleinen Georgina riss die Gouvernante aus ihren trüben Gedan­ken. Sie wandte sich vom Fenster ab, durch das sie mit ausdrucksloser Miene nach draußen gestarrt hatte, straffte sich und lächelte, als sie gleich darauf das Kinderzimmer betrat. »Nun, was wollen wir spielen?«

»Schach!«, bat Miss Georgina, die dieses anspruchsvolle Strate­giespiel gerade erst erlernt hatte und nun gerne fleißig üben wollte. Die Erzieherin war einverstanden. Sie nahm eine Holzkassette aus dem Schrank mit den Spielsachen und begann, alles aufzubauen. Master Jonathan langweilte sich sichtlich. Er deutete auf eine kleine Brosche, die am Kragen von Lilli-Anns Kleid funkelte. »Was ist das?«

»Pfui, Jonathan, schäme dich. Man zeigt nicht mit Fingern auf Leute«, rügte die große Schwester ihn empört. »Du hast ja gar keine Manieren!«

»Habe ich doch. Aber ich möchte die Brosche sehen!«

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»Also schön, nun gebt Ruhe.« Die Gouvernante löste das Schmuckstück und schloss gewissenhaft die Nadel, ehe sie es ihrem kleinen Schützling in die Hand gab. »Du darfst es dir genau ansehen, Master Jonathan«, erlaubte sie. »Aber gib acht, dass es nicht entzwei geht.« Sie hatte die Schachfiguren positioniert und wandte sich an Miss Georgina, deren Aufmerksamkeit allerdings nun ebenfalls von den funkelnden Steinen in ihren Bann gezogen wurde.

»Was für ein kostbarer Schmuck«, erkannte das Mädchen ver­ständig. »Sagen Sie, Miss Lilli-Ann, haben sie den geerbt? Oder hat ein Verehrer ihn Ihnen geschenkt?«

»Nun ist es aber gut«, rügte die junge Frau nervös. »Das ist nicht im geringsten kostbar. Es ist Talmi, eine gute Nachbildung. Deshalb habe ich Master Jonathan ja auch gebeten, es nicht kaputt zu machen. Echter Schmuck ist nicht so zerbrechlich.«

»Ach so.« Das Mädchen schien enttäuscht, wandte sich wieder dem Schachbrett zu. »Dann wollen wir spielen?«

Eine Weile verging, in der Miss Georgina sich wacker schlug. Lilli-Ann konnte feststellen, dass ihr Schützling einen wachen Verstand besaß. Und auch wenn die Kleine den schulischen Pflichten nicht viel abgewinnen konnte, so besaß sie doch Phantasie und vermochte lo­gisch zu denken.

»Miss Baxter, ich muss Sie sprechen!« Lady Kimberly Southwood war unbemerkt eingetreten. Sie winkte die Kinder mit einer knappen Bewegung aus dem Raum, schaute dann streng auf die Erzieherin, die sich von ihrem Stuhl erhoben hatte. »Mir ist etwas zu Ohren gekom­men, das ich zunächst nicht glauben wollte. Leider scheint es aber der Wahrheit zu entsprechen. Bevor ich daraus die Konsequenzen ziehe und Sie entlasse, wollte ich Ihnen allerdings noch die Möglichkeit ge­ben, sich zu rechtfertigen.«

Lilli-Ann wurde blass. Ihr Blick irrte unruhig im Raum herum, als suche sie eine Fluchtmöglichkeit. Mit flacher Stimme erwiderte sie: »Ich verstehe gar nicht...« Die Lady schnitt ihr einfach das Wort ab. »Entspricht es der Wahrheit, dass Sie die Kinder während unseres Pa­risaufenthaltes des Nachts allein und ohne Aufsicht gelassen haben? Dass Sie einfach gedankenlos ausgegangen sind, um sich zu amüsie­

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ren, anstatt Ihren Pflichten nachzukommen? Ich verlange eine offene Antwort, ein Geständnis!« Die Lady musterte ihr Gegenüber unerbitt­lich. Sie bemerkte, dass die Gouvernante sich ein wenig entspannte, was ihr recht seltsam erschien und drohte: »Denken Sie nicht, ich scherze...«

»Das würde mir nie in den Sinn kommen«, beteuerte die junge Frau erschrocken. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich die Kinder nie­mals und zu keiner Zeit, weder hier in London, noch auf einer der Rei­sen unbeaufsichtigt gelassen habe. Schon gar nicht des Nachts!«

»So? Und wie passt das zu der Beobachtung meiner Zofe, die Sie vor wenigen Tagen in Paris mitten in der Nacht das Hotel verlassen sah?« Lady Kimberly trat noch einen Schritt näher und schaute der jungen Frau erbost in die Augen. »Versuchen Sie erst gar nicht, es abzustreiten. Sie wissen so gut wie ich, dass Mrs. Johnson absolut glaubwürdig und über jeden Zweifel erhaben ist.«

»Das... will ich ja auch nicht«, entgegnete Lilli-Ann mit bebenden Lippen. »Ich habe das Hotel durchaus verlassen. Mir war nicht gut, eine zähe Übelkeit plagte mich. Und ich erhoffte mir von einem Gang durch die frische Luft Linderung. Sicher hat Mrs. Johnson nicht gese­hen, dass ich bereits fünf Minuten später zurückgekehrt bin. Und ich fand die Kinder friedlich schlummernd. Sie haben von meiner kurzen Abwesenheit nichts bemerkt.«

»Nun, das tut nichts zur Sache.« Die Lady wirkte enttäuscht, sie drehte sich um, spazierte ein wenig im Spielzimmer auf und ab. Als sie den Schritt verhielt, fiel ihr Blick auf die Brosche, mit der Master Jona­than sich bis eben beschäftigt hatte und die noch auf dem Tisch lag. Die Gouvernante machte Anstalten, das Schmuckstück an sich zu nehmen, doch ihre Brotherrin war schneller. Sie hob die Brosche auf, betrachtete sie eine Weile misstrauisch und wollte schließlich wissen: »Gehört dieser Schmuck Ihnen, Miss Baxter?«

»Ja, das ist ein Erbstück von meiner Mutter. Das einzige, was Sie mir geben konnte...«

»Ist Ihre Mutter denn tot?« »Das nicht, Mylady. Aber sie hat mir die Brosche zum Andenken

geschenkt, als ich von Daheim fort ging.«

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»Mir scheint das keine sehr alte Arbeit zu sein. Und die Brillanten sind lupenrein.« Lady Kimberly lächelte spöttisch. »Ich will hoffen, dass Sie diesen Schmuck nicht gestohlen haben. Vielleicht wäre es besser, ich nehme ihn in Verwahrung, falls danach gefragt werden sollte...«

»Mylady!« Lilli-Ann wurde noch eine Spur blasser. »Wie können Sie mir unterstellen...«

»Ach, schon gut. Ich war verärgert, als ich von Mrs. Johnson er­fuhr, dass Sie pflichtvergessen gewesen sind. Mag sein, mein Urteil war ungerecht, das lasse ich dahingestellt sein.« Sie legte die Brosche wieder zurück auf den Tisch. Mit strenger Miene fuhr sie fort: »In An­betracht der Tatsache, dass die Kinder an Ihnen hängen, werde ich es bei einer Verwarnung belassen. Sollte mir aber noch einmal zu Ohren kommen, dass Sie Ihren Pflichten nicht so nachkommen, wie es sich gehört, werde ich Sie entlassen. Haben wir uns verstanden?«

Die Erzieherin schlug den Blick nieder und nickte. Nachdem ihre Brotherrin den Raum verlassen hatte, griff sie rasch nach der Brosche und steckte sie zurück an den Kragen ihres Kleides. Das Herz schlug ihr im Halse und sie fühlte sich zum ersten Mal im Leben einer Ohn­macht nahe. Krampfhaft versuchte sie, wieder ruhig zu werden. Es gelang ihr nur mit äußerster Willenskraft.

Als die Kinder den Raum wieder betraten, lächelte die Gouver­nante schmal und bat: »Beschäftigt euch ein wenig allein. Ich komme bald zurück und sehe nach euch.«

»Ist Ihnen nicht wohl, Miss Lilli-Ann?«, fragte die kleine Georgina daraufhin sofort. »Mama hat doch nicht mit Ihnen geschimpft, oder?«

»Habt ihr an der Tür gelauscht?« Sie musterte die beiden schuld­bewussten Kindergesichter sehr streng. »Was eure Mutter und ich zu besprechen hatten, war aber nicht für eure Ohren bestimmt. Deshalb werdet ihr alles, was ihr vielleicht gehört, aber sicher nicht richtig ver­standen habt, sofort wieder vergessen. Versprochen?«

»Ja, natürlich!« Master Jonathan umfing Lilli-Ann mit seinen klei­nen Ärmchen. »Bitte, seien Sie uns nicht böse!«

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»Aber nein, das bin ich nicht. Und jetzt spielt ein bisschen, wozu ihr Lust habt.« Sie lächelte nervös und verließ dann rasch das Zimmer, bevor sie ganz die Beherrschung verlor.

*

In dieser Nacht fand Lilli-Ann lange keinen Schlaf. Sie wälzte sich un­ruhig von einer Seite auf die andere, starrte mit weit geöffneten Augen an die Zimmerdecke und lauschte auf das Pulsieren des Blutes in ihren Adern. Unruhe überkam sie, der Wunsch, wegzulaufen. Sie versuchte, sich zu beherrschen, doch das erwies sich als schwierig. Sie kannte diese Gefühle nur zu gut, die ihr verrieten, dass sie bald wieder los musste, hinaus in die Nacht, um Beute zu machen... Dieser Gedanke erschreckte sie und doch wusste sie nur zu gut, dass es wahr war. Wenn sie der Notwendigkeit nicht nachgab, würde sie irgendwann den Verstand verlieren. Lilli-Ann fürchtete sich davor, dass dies tatsächlich geschehen könnte. Sie sehnte sich nach Normalität, nach Ruhe und Geborgenheit. Vielleicht sogar nach ein wenig Glück. So wie ihre Mut­ter, als sie Percy Fletchers Frau geworden war und ihre Tochter ganz einfach zurückgelassen hatte. Allein im Haus des Tuchhändlers...

Lilli-Ann stöhnte gequält auf. Sie wollte nicht schon wieder an frü­her denken, doch die Erinnerungen ließen sich nicht abschütteln wie Regentropfen auf einer feuchten Jacke. Sie kehrten zurück. Immer und immer wieder. Unerbittlich und nicht aufzuhalten. Und wenn die junge Frau sich auch noch so sehr gegen sie wehrte: Im Traum war und blieb sie machtlos gegen die Bilder, die aus dem großen dunklen Kes­sel der Erinnerungen immer wieder aufstiegen...

Als Lilli-Ann in einen leichten, unruhigen Schlaf fiel, sah sie sich wieder im Haus des Tuchhändlers in Paris. Ein Jahr war vergangen, seit die Mutter sie im Stich gelassen hatte. Mable kümmerte sich nicht mehr um ihre Tochter, sie führte nun ein anderes Leben. Und darin hatte die Vergangenheit keinen Platz mehr. Einmal noch war sie kurz aufgetaucht, hatte für eine Stunde bei Lilli-Ann gesessen und ihr er­zählt, wie und wo sie nun lebte. Es schien ihr gut zu gehen, sie wirkte

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zufrieden. Und doch hatte sie für den Kummer des jungen Mädchens weder Verständnis noch Interesse.

»Du musst dich anpassen«, hatte sie ihr beim Abschied geraten. »Sei nett und freundlich und halte die Augen offen. Vielleicht bietet sich dir dann auch solch eine Chance wie mir und du kannst dein Le­ben ändern.« Lilli-Ann hatte die Worte der Mutter als reinen Hohn be­trachtet. Doch sie hatte geschwiegen, denn es schien klar, dass sie von dieser Frau nichts mehr zu erwarten hatte. Sie war zufrieden mit ihrem eigenen Dasein und kümmerte sich nicht um andere. Nicht mal um ihre eigene Tochter. Dass Lilli-Ann sich mehr als unwohl fühlte, weil der Hausherr ihr seit geraumer Zeit in schamloser Weise nach­stellte, dass es im Haus niemanden gab, der ihr half, sie schützte oder dem sie auch nur ihr Leid klagen konnte, das alles interessierte Mable Fletcher nicht. Nachdem sie gegangen war, hatte Lilli-Ann sich einsa­mer denn je gefühlt.

Und dann, wenige Tage nach ihrem sechzehnten Geburtstag war das geschehen, was ihre Seele so tief verletzt hatte, dass sie noch heute, beinahe zehn Jahre später, daran zu tragen hatte. Es war ein Sonntag gewesen, die Familie fuhr aufs Land. Ein Teil des Personals begleitete sie, während der Rest frei hatte. Allein Lilli-Ann musste in dem großen Haus bleiben und nach dem Rechten sehen. Das erste Hausmädchen hatte ihr eine lange Liste unerledigter Dinge gegeben, damit sie ›nicht auf dumme Gedanken komme‹. Lilli-Ann war gerade damit beschäftigt gewesen, den Kronleuchter im Speisezimmer abzu­stauben, als der Hausherr plötzlich vor ihr stand. Sie wusste bis heute nicht, wie er es geschafft hatte, so völlig unbemerkt zum Haus zurück­zukehren und ohne einen Laut in ihre Nähe zu gelangen. Doch er war da gewesen. Und sie hatte nur in seine gierigen Augen sehen müssen, um zu wissen, was er wollte. Angsterfüllt war sie davon gerannt, aber er hatte sie erbarmungslos gejagt und wie ein waidwundes Reh zur Strecke gebracht. Brutal und hemmungslos hatte er sich an ihr ver­gangen und sie danach einfach auf die Straße geworfen, ihr noch ge­droht, er werde sie umbringen, wenn sie zur Polizei ging. Lilli-Ann stöhnte gequält im Schlaf, als diese schlimmen Erinnerungen über­mächtig wurden. Sie sah sich durch die Straßen irren, sie spürte wie­

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der die Schmerzen, die der gemeine Mann ihr zugefügt hatte und sie empfand die Verzweiflung, die ihr Herz umklammert hielt. Irgendwann war diese Verzweiflung zu kaltem Hass geworden. Und mit diesem Gefühl war die Entschlossenheit gekommen. Sie wollte sich nicht un­terkriegen lassen, sie würde ihr Leben in beide Hände nehmen und es aus eigener Kraft scharfen!

Monate voller Hunger und Entbehrungen waren gefolgt. Lilli-Ann hatte jede Arbeit angenommen, um sich durchzuschlagen. Als sie in den Haushalt von Lady Prudence Holloway gekommen war, hatte das Blatt sich gewendet. Die Lady war sozial sehr engagiert und besaß ein goldenes Herz. Sie hatte schnell erkannt, dass Lilli-Ann klug und ver­ständig war. Durch ihre Unterstützung hatte das Mädchen eine umfas­sende Ausbildung genossen und war schließlich in der Lage gewesen, sich als Gouvernante zu verdingen. Lady Prudence war der einzige Mensch auf Erden, dem Lilli-Ann Dankbarkeit und Vertrauen entge­gengebracht hatte. Doch sie war früh verstorben und mit ihr der einzi­ge Halt, den das Mädchen im Leben gehabt hatte...

Lilli-Ann sank langsam, kaum merklich in einen tieferen, ruhigeren Schlaf. Die Traumbilder verblassten allmählich, doch ihr Herz fand kei­ne Ruhe. Die Erinnerungen würden wiederkehren, immer und immer wieder. Und sie ließen sich nur für eine Weile zum Schweigen bringen, wenn die junge Frau verbotene Wege ging...

*

Die Mietkutsche hielt in einer schmalen Seitenstraße nahe den Docks. Es war später Abend, ein kalter Wind fegte um die Hausecken, wirbel­te welke Blätter und Unrat auf. Irgendwo lief Wasser an einer Mauer entlang und plätscherte in eine Pfütze. Ein Geruch nach brackigem Wasser, Moder und Verfall lag in der Luft. Ganz in der Nähe kreischte eine Katze, schwere Schritte klangen auf, eine Tür wurde geöffnet. Kurz drangen raue Stimmen, Gelächter und der Gestank nach billigem Fusel aus einer der Hafenspelunken hervor.

Dann fiel die Tür knarrend ins Schloss, es blieb wieder ruhig.

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Sir Cyrus sprang mit einem elastischen Satz aus der Kutsche, An­thony Pearse folgte ihm, bezahlte den Kutscher und schlug dann den Kragen seines derben Mantels hoch, denn der Wind ließ ihn frösteln. Unsicher blickte er sich um.

»Sind wir hier auch richtig?« Sir Cyrus nickte. »Kommen Sie, Pearse, bringen wir es hinter

uns.« Der Detektiv steuerte mit raschen Schritten sein Ziel an. Sein Gehstock klackte auf dem unebenen Pflaster eine eigene Melodie zu dem Geräusch ihrer Schritte. Vor einer schmalen, verrosteten Eisentür blieb er stehen. Auf der rauen Backsteinwand hing ein kaum noch les­bares Schild mit der Aufschrift ›Tennison, Barber & Finch, Im- und Export‹.

Sir Cyrus klopfte mit dem Silberknauf seines Stocks gegen das Me­tall, was ein hohles Echo auslöste. Es klang so, als sei hinter der Tür lediglich eine große, leere Halle. Dass dem nicht so war, zeigte sich im nächsten Moment. Schritte näherten sich. Dann wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet und das Gesicht eines alten Mannes erschien. Zwi­schen unzähligen Runzeln und schlohweißen Bartstoppeln blickte ein Paar heller, verschlagen wirkender Augen misstrauisch auf die Besu­cher. »Ja?«

»Wir wollen zu Harry Jerome. In einer wichtigen Angelegenheit«, erklärte Sir Cyrus und erwiderte dabei den Blick des Alten starr. »Und wir haben wenig Zeit...«

»Warten Sie.« Die Tür wurde zugeschlagen, eine Weile herrschte Stille. Pearse merkte an: »Ich glaube, es wäre sinnvoller gewesen, Sir James in unsere Ermittlungen einzubeziehen. Ich meine, er hätte uns zwei Beamte mitgeben können...«

»Das wäre ganz und gar nicht sinnvoll gewesen«, widersprach Sir Cyrus seinem Mitarbeiter langmütig. »Oder glauben Sie, der Alte hätte uns geöffnet, wenn zwei Uniformierte hinter uns gestanden hätten?«

Noch ehe Anthony antworten konnte, wurde die Eisentüre erneut quietschend aufgezogen, dieses Mal aber ganz. Der Alte winkte die Besucher herein. »Mr. Jerome erwartet Sie, Sir.«

Pearse stellte fest, dass der Alte wohl ein ehemaliger Seemann war, denn er trug verschlissene Schlaghosen und eine Teerjacke, die

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sicher schon viele Stürme gesehen hatte. Er schlurfte in schrägen Holzpantinen vor den Besuchern her und führte sie durch einen dunk­len, muffigen Gang in einen Raum, der tatsächlich die Ausmaße einer Halle hatte. Allerdings wurde dieser Eindruck durch die unzähligen Fässer und Holzkisten aus aller Herren Länder, die sich teilweise bis zur Decke stapelten, relativiert.

An einem schmalen Holztisch saß ein Mann und betrachtete durch eine Lupe Edelsteine. Der ehemalige Polizist stutzte.

»Aber das ist...« »John Hemmings, alias Harry Jerome, alias Vic Vandenroy, alias

Comte de Valois.« Sir Cyrus lächelte schmal, als er an den Tisch trat. Der Mann blickte auf und erwiderte sein Lächeln angedeutet. Er hatte graues Haar, ein scharf geschnittenes Gesicht, auf dessen linker Wan­ge eine lange, breite Narbe rötlich schimmerte und tiefblaue Augen, die von einem wachen Verstand sprachen. Dass er diesen nicht eben für einen redlichen Broterwerb nutzte, zeigte seine Umgebung nur zu deutlich. Auch wenn John Hemmings in Gebaren und Kleidung einem Gentleman glich, so war er doch kein ehrenwertes Mitglied der Ge­sellschaft.

»Sir Cyrus Hawkesworth. Welche Ehre, Sie hier begrüßen zu dür­fen. Bitte, nehmen Sie Platz.« Er wies auf einen Stuhl, den der alte Seemann bereit gestellt hatte. Mit kultivierter und freundlicher Stimme fragte er: »Was kann ich für Sie tun, Sir?«

Pearse stellte überrascht fest, dass die Atmosphäre, die der stadt­bekannte Dieb, Einbrecher und Hehler verbreitete, eher der eines ex­klusiven Herrenschneiders glich, der bemüht war, seine vornehmen Kunden zufrieden zu stellen. Man konnte leicht vergessen, dass dies nichts weiter als der Unterschlupf eines Kriminellen nahe den Docks war.

Sir Cyrus setzte sich und behielt sein Gegenüber dabei genau im Auge. Er kannte Hemmings schon eine ganze Weile, hatte bereits zweimal geholfen, ihn hinter Gitter zu bringen. Seltsamerweise schien dieser ihm das nicht übel zu nehmen. Er hatte im Laufe der Jahre so­gar eine gewisse Hochachtung vor den Fähigkeiten des Detektivs ent­wickelt. »Ich brauche Ihre Hilfe«, bekannte der Ermittler nun offen.

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»Es geht um wertvolle Edelsteine, Schmuck und Pretiosen von hohem Wert.«

»Und wie kommen Sie auf den Gedanken, sich deshalb an mich zu wenden?«, fragte der Gentlemangangster im Plauderton.

Sir Cyrus wies mit einem schmalen Lächeln auf den Schmuck, der ausgebreitet vor ihnen lag. »Vielleicht weil Sie in dieser Stadt das Gras wachsen hören und stets auf dem Laufenden sind, wenn neue ›Ware‹ in Umlauf kommt.«

Hemmings lachte geschmeichelt. Er bot seinem Gast eine Zigarre an und als dieser ablehnte, stellte er den Kasten wieder fort. »Ich weiß nicht wirklich, was Sie meinen«, behauptete er mit bühnenreifer Un­schuldsmiene. »Aber nehmen wir mal an, rein theoretisch natürlich, ich hätte eine gewisse Ahnung, dann würde die Frage nahe liegen, in wel­cher Richtung Ihr Interesse geht...«

Der Detektiv legte den Kopf leicht schief, er schien seine Worte genau abzuwägen. »Es geht mir um ungewöhnliche, aufsehen erre­gende Juwelen, das Feinste vom Feinen. Ausgefallene Stücke, die praktisch nicht zu verkaufen sind, wenn Sie verstehen, was ich mei­ne.«

»Ja, ich denke, ich kann folgen.« Hemmings lehnte sich in seinem Stuhl ein wenig zurück, legte die Fingerspitzen gegeneinander und schmunzelte, als habe er eben eine überaus amüsante Anekdote aus dem Königshaus erfahren. »Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Nichts dergleichen ist im Umlauf. Wenn es der Fall wäre, wüsste ich gewiss davon. Ich kann aber gerne die Augen für Sie offen halten, Sir Cyrus.«

Der Detektiv musterte sein Gegenüber kühl. »Die Vorstellung, dass ich in meinen Ermittlungen auf der Stelle trete, mag Ihnen Ver­gnügen bereiten, Hemmings, aber ich warne Sie. Sollte ich erfahren, dass Sie mir Informationen vorenthalten haben, werde ich sicher kaum Schwierigkeiten haben, Sie ein drittes Mal hinter Gitter zu bringen. Das sollten Sie nicht vergessen!«

Es zuckte verdächtig um den Mund des Hehlers, seine Rechte krampfte sich um den Knauf eines schweren Stocks. Pearse trat neben seinen Arbeitgeber und musterte Hemmings abwägend. Da entspannte

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dieser sich wieder, lächelte charmant und versicherte: »Es käme mir nie in den Sinn, Ihnen Schwierigkeiten zu machen, Sir Cyrus und sei es auch nur, indem ich Ihnen eine Information vorenthalte. Dafür habe ich viel zu großen Respekt vor Ihnen.«

Der Detektiv zog es vor, sich dazu nicht weiter zu äußern. Er wandte sich zum Gehen, Pearse folgte ihm. Als sie den Ausgang fast erreicht hatten, warnte Sir Cyrus seinen Mitarbeiter: »Halten Sie die Augen offen, wenn wir nach draußen kommen. Ich habe das unange­nehme Gefühl, dass dies nicht alles war...«

Der junge Ire zog daraufhin einen kurzen Schlagstock aus seiner Manteltasche. Er bezeichnete diesen als seine Lebensversicherung, wenn die Ermittlungen seines Chefs sie wieder einmal in eine finstere Gegend verschlugen. Und er sollte seine Lebensversicherung bereits im nächsten Moment dringend benötigen...

Sir Cyrus hatte das Gebäude noch nicht ganz verlassen, als drei finstere Gestalten auf ihn zukamen. Auf den ersten Blick wirkten sie wie Seeleute, doch ihre abgerissene Kleidung und die Messer, die in ihren groben Fäusten blitzten, wiesen sie als Handlanger des Hehlers aus, dem der Detektiv schon des öfteren auf die Zehen getreten war.

Pearse trat neben seinen Chef, dieser zischte: »Zuerst den in der Mitte.« Der junge Mann nickte. Und im nächsten Augenblick stürzten die beiden Ermittler sich bereits in den Kampf mit ihren Gegnern. Sir Cyrus war geübt im Faustkampf, doch er beherrschte auch einige asia­tische Kampftechniken, die ihm hier einen deutlichen Vorteil verschaff­ten. Pearse schlug dem mittleren der drei Kerle das Messer aus der Hand und ließ sich dann auf einen Faustkampf ein, während Sir Cyrus den zweiten Schläger mittels eines gezielten Fußtritts ins Reich der Träume schickte, um sich danach dem Dritten zu widmen. Dieser war recht schmächtig, er schien bereits an einen Rückzug zu denken, als ihm klar wurde, dass diese ›feinen Pinkel‹ doch nicht so leicht aufs Kreuz zu legen waren, wie der Boss ihnen versprochen hatte. Sir Cyrus bemerkte es und packte den Hänfling mit einem festen Griff hinter Hals und Nacken. Der Kerl schrie, denn er konnte sich nicht wehren, hatte keine Möglichkeit, zu entkommen. Ein paar Minuten lang ließ der Detektiv ihn zappeln. Mittlerweile hatte Pearse seinen Gegner ebenfalls

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per Faustschlag k.o. gesetzt. Nun ließ Sir Cyrus den Schmächtigen los, der flink wie ein Wiesel davonrannte. Ironisch merkte er an: »Wenn Hemmings sich keine besseren Männer mehr leisten kann, dann ist sein Stern tatsächlich im Sinken begriffen.«

Pearse warf seinem Chef einen fragenden Blick zu. »Was denken Sie? Hat er etwas zu verbergen? Wusste er vielleicht genau über das Bescheid, was wir suchen?«

Der Ermittler schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Diese Schläger hier, das war eine kleine Revanche, nichts weiter. Hemmings kann uns in diesem Fall nicht wei­terhelfen.« Er zupfte seine Kleidung zurecht. »Eines wissen wir nun allerdings mit Sicherheit: Die Juwelen sind nicht verkauft worden. Wer immer sie gestohlen hat, tat dies entweder in direktem Auftrag oder wollte sie für sich behalten. Letzteres halte ich allerdings für eher un­wahrscheinlich.« Er winkte einer Droschke, die sich näherte.

Pearse fragte: »Aber warum denn? Sie haben mir doch beige­bracht, dass Verbrecher die seltsamsten Dinge tun.«

Sir Cyrus lachte. »Verbrecher, ja. Aber ein Dieb und sei er auch noch so gerissen und ausgekocht, hat nie das Format, solche Pretiosen zu sammeln. Und ein Exzentriker, der Raum und Zeit hätte, eine sol­che Sammlung anzulegen, besäße vermutlich nicht die nötige kriminel­le Energie, um die Diebstähle durchzuführen. Nein, mein lieber Pearse, hier passt nichts zusammen.«

»Und was werden Sie nun tun?« Während sie zurück ins Westend fuhren, sinnierte der Detektiv:

»Wir haben nur sehr wenige Anhaltspunkte. Zum einen sind da gewis­se Parallelen, die gut ein Dutzend Diebstähle in den letzten drei Jahren miteinander verbinden. Gehen wir davon aus, dass es sich stets um denselben Täter handelt, liegt der Schluss nahe, dass dieser sich in diplomatischen Diensten befindet. Die Juwelen wurden meist aus Bot­schaften entwendet. Und oft vor oder nach einem Empfang. Allerdings ist die Auswahl willkürlich. Und einige der Diebstähle wurden nicht zur Anzeige gebracht. Scotland Yard hat sie erst im Nachhinein ermitteln können. Das alles erschwert natürlich unsere Arbeit enorm.«

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»Gibt es denn eine Verbindungslinie zwischen den Diebstählen? Ich meine, wissen wir, wer sich stets am Tatort aufhielt? Immerhin haben wir eine ganze Menge Diplomaten in unserem Land. Ohne wei­tere Anhaltspunkte wäre das wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen«, gab Pearse zu bedenken.

Sir Cyrus überlegte eine Weile, dann beschloss er: »Wir sollten uns alle Akten noch einmal gründlich vornehmen und sie mit den Rei­serouten unserer hochrangigsten Diplomaten vergleichen. Vielleicht haben wir ja Glück und finden die Stecknadel...«

»Und wenn nicht?« Pearse sah nicht sehr begeistert aus. »Nun, dann gibt es ja noch immer einen gewissen Trumpf, den

wir ausspielen können. Meinen lieben Bruder Richard zum Beispiel. Wie Sie wissen, steht er seit seinem zwanzigsten Lebensjahr im diplo­matischen Dienst unserer Königin.«

»Und Sie denken, er wird uns helfen? Ich meine, nach dem Polo­match in Doncaster...«

Sir Cyrus lachte amüsiert auf. »Richard ist ein miserabler Polo­spieler, trotzdem war es recht amüsant, ihn zu besiegen. Aber eines können Sie mir glauben: Er ist nicht nachtragend. Er wird uns ganz sicher helfen.«

Der junge Ire lächelte schmal. »Hoffentlich.« »Was ist denn los mit Ihnen, Pearse? So pessimistisch kenne ich

Sie gar nicht«, wunderte der Detektiv sich. »Na ja, ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass dieser Fall un­

lösbar ist. Zuerst glaubten wir noch, es handele sich um einen einzel­nen Diebstahl. Und nun ist bereits eine ganze Serie daraus geworden. Juwelen, die man nicht verkaufen kann, werden gestohlen. Das ist schon ungewöhnlich. Aber dass sie nicht wieder aufgetaucht sind, fin­de ich äußerst mysteriös.«

Sir Cyrus wirkte überaus vergnügt. »Ich auch. Endlich mal wieder ein Fall, der mich richtig fordert!«

*

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»Was ist denn los mit Ihnen, Kindchen? Sie sehen aus wie der Tod, ganz bleich und übermüdet. Da stimmt doch etwas nicht!« Mrs. Chapman, die beleibte Köchin im Hause Southwood, war eine Seele von einem Menschen. Sie hatte die junge Gouvernante in ihr mütter­lich schlagendes Herz geschlossen, seit diese sich um die Kinder im Hause kümmerte. Dass Lilli-Ann sehr zurückhaltend und verschlossen war, führte sie auf die Zeit zurück, in der diese sich ganz allein hatte durchschlagen müssen. Ein wenig hatte Lilli-Ann ihr schon von sich erzählt, aber natürlich nicht alles. Die junge Erzieherin kam manchmal nach unten in die Küche, um eine Weile zu plaudern. Es tat ihr einfach gut, mit der lebenserfahrenen und einfühlsamen Köchin zu reden. Doch an diesem Tag war Lilli-Ann verschlossen und abweisend wie lange nicht.

»Es ist nichts, ich habe nur schlecht geschlafen«, behauptete sie wenig glaubhaft. »Bitte geben Sie mir eine Tasse Kaffee, Mrs. Chap­man. Vielleicht weckt die ja meine Lebensgeister.«

»Ich glaube zwar nicht, dass ein Kaffee allein helfen kann, aber wenn Sie möchten...« Mrs. Chapman genehmigte sich selbst ebenfalls eine Tasse und setzte sich dann zu der jungen Frau, die mit beküm­merter Miene vor sich hin starrte. Sie legte ihre abgearbeitete Rechte auf die schmale Hand der Gouvernante und riet ihr: »Sprechen Sie sich nur aus, das tut meist gut.«

»Ach, Mrs. Chapman, Sie sind immer so nett zu mir. Warum ei­gentlich? Im Grunde geht es Sie doch gar nichts an, wie ich mich füh­le.«

»Ich mag Sie eben, Kindchen«, erwiderte die Köchin freundlich. »Sie wirken immer ein bisschen verloren und einsam auf mich. Dabei haben Sie ein gutes Herz, das spüre ich.«

Die junge Frau lächelte traurig, sagte aber nichts. In diesem Mo­ment erschien der Butler und ließ Miss Lilli-Ann wissen, dass man sie im Kinderzimmer erwarte. Sie erhob sich gleich, sagte aber noch zu der Köchin, ehe sie ging: »Danke für den Kaffee. Ich bin gerne hier bei Ihnen.«

»Und ich freue mich, wenn Sie kommen«, gab Mrs. Chapman ganz herzlich zurück. »Jederzeit...«

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Die Gouvernante nickte knapp und verließ dann die Küche. Sie fühlte sich tatsächlich schrecklich. In der vergangenen Nacht hatte Lilli-Ann keinen Schlaf finden können. Unruhig hatte sie sich von einer Seite auf die andere gedreht; und ihr Herz hatte wie wild gepocht. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und nur ein Gedanke beherrschte sie: Es musste wieder passieren, sie musste auf Beutezug gehen, sonst war es bald um ihre Fassung geschehen. Sie wehrte sich dagegen, doch mit schwindendem Erfolg. Es gelang ihr einfach nicht, diese drängenden Wünsche zu unterdrücken. Zugleich fürchtete sie sich vor einem weiteren Einbruch. Die Vorstellung, erwischt zu werden, war ihr unerträglich. Wenn man ihr hässliches Geheimnis an das Licht der Öf­fentlichkeit zerrte, wenn alle erfuhren, was sie heimlich des Nachts trieb, dann wollte sie lieber vor Scham sterben, als mit dieser Schmach weiter zu leben. Ehe sie das Kinderzimmer betrat, lief sie rasch in ihre eigenen Räume. Ein Geheimfach im Sekretär barg einen Teil ihrer heimlichen Beute. Sie hoffte, dass ihr Anblick sie ein wenig beruhigen konnte, doch das war nicht der Fall. Nicht einmal der schwarze Dia­mant, ihre bislang kostbarste Errungenschaft, übte noch einen gewis­sen Reiz auf sie aus. Lilli-Ann stöhnte gequält auf. Was war es nur, das sie immer wieder dazu trieb, in fremde Häuser zu schleichen und Din­ge zu stehlen, die ihr im Grunde genommen einerlei waren? Hatte sie denn den Verstand verloren? Sie dachte kurz daran, sich Mrs. Chap­man anzuvertrauen. Die gute Alte hatte ein Herz aus Gold und würde sie ganz sicher verstehen und trösten. Aber war das nicht nur Wunschdenken? Konnte es überhaupt jemanden geben, der ihr Verhal­ten zu begreifen vermochte, wenn nicht einmal sie selbst dazu in der Lage war?

Lilli-Ann straffte sich. Selbstmitleid war sinnlos. Sie musste tun, was nötig war, um ihrer Seele wie der Frieden zu verschaffen. Einen anderen Weg gab es nicht. Leider.

*

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Mrs. Halton krauste unwillig die Stirn. »Es ist schon nach eins. Lange kann ich das Essen nicht mehr warm halten. Nun sagen Sie mir, was ich tun soll: Servieren oder nicht?«

Anthony Pearse hob nur die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber es sieht nicht so aus...«

»PEARSE!« Sir Cyrus' Stimme ließ den jungen Iren kurz zusam­menzucken, dann verließ er rasch die Küche, die Haushälterin blieb verärgert zurück. Der Assistent des Detektivs fand seinen Chef noch über die Aufstellung gebeugt, die sie am Vortag angelegt hatten. Es war eine wahre Fleißarbeit gewesen, alle Diebstähle im Zusam­menhang mit diplomatischen Empfängen, besonderen Feiertagen oder Krönungszeremonien zu bringen. Und alle diplomatischen Vertreter Englands, die jeweils anwesend waren, nicht zu vergessen. Zunächst hatte sich ihnen dadurch jedoch kein klares Bild geboten. Nun empfing Sir Cyrus seinen Mitarbeiter mit den Worten: »Ich denke, Southwood hat etwas damit zu tun.«

Pearse konnte nicht so schnell folgen, irritiert fragte er nach: »Lord Southwood? Aber er stammt aus einer der vornehmsten Famili­en des Landes. Wollen Sie ihn allen Ernstes des Diebstahls bezichti­gen?«

Der Detektiv hob nur leicht eine Augenbraue, das Zeichen höchs­ten Unmuts bei ihm und belehrte den jungen Mann dann kühl: »Selbstverständlich nicht. Der Lord ist gewiss nicht der Dieb. Doch jemand, der mit ihm zu tun hat, jemand in seiner Nähe...« Sir Cyrus verstummte und schien kurz in tiefe Gedanken zu versinken. Er sah wieder diese junge Frau vor sich, die ihm im Zug von Paris bereits auf­gefallen war. Schon damals hatte sein Instinkt ihm gesagt, dass sie nicht nur eine gewöhnliche Kinderfrau war. Etwas an ihr war außerge­wöhnlich. War es denn vielleicht sogar möglich, dass sie der Schlüssel zu dieser seltsamen Affäre war? Wusste sie, wer diese Diebstähle be­ging und schwieg? Aus Sympathie, vielleicht aus Liebe? Oder aus Angst...

»... Sie denn?« Pearse schaute sein Gegenüber abwartend an, dann wiederholte er seine Frage, da Sir Cyrus ihm offensichtlich nicht

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zugehört hatte: »Was denken Sie denn? Ich habe den Eindruck, als ob Sie bereits einen Verdacht hätten...«

»Wir werden noch einmal mit Lord Southwood reden. Aber vorher möchte ich ein paar Worte mit meinem Bruder wechseln. Vielleicht möglich, dass er uns noch einen Hinweis liefern kann. Kommen Sie, Pearse, Richard hält sich um diese Zeit meist in seinem Club auf...«

»Aber...«, setzte dieser an, doch der Detektiv hatte bereits den Raum verlassen. In der Diele wartete Mrs. Halton mit strenger Miene. Sir Cyrus lächelte ihr ganz verbindlich zu. »Kein Lunch heute, meine Liebe, keine Zeit zum Essen!«

»Das ist doch...« Die Haushälterin stemmte die Hände in die Hüf­ten und hatte eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch der De­tektiv war bereits durch die Haustür nach draußen entschwunden. An­thony Pearse machte eine entschuldigende Geste und folgte seinem Chef dann rasch. Er wollte nicht wieder die Schelte abbekommen, die doch eigentlich gar nicht für ihn bestimmt war...

Sir Cyrus suchte zunächst seinen Bruder in dessen Club auf. »Es ist eine sehr exklusive Vereinigung, deshalb warten Sie lieber hier auf mich, Pearse«, bat er. »Seien Sie nicht beleidigt, es dauert auch nicht lange.«

Der junge Mann hob die Schultern. »Ich bin nicht beleidigt.« Sir Cyrus musterte ihn kurz, dann lächelte er schmal. »Gut.« Es dauerte kaum eine halbe Stunde, bis der Detektiv wieder er­

schien. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, ob sein Gespräch mit dem Bruder ihn weitergebracht hatte. Anthony winkte eine Mietkut­sche herbei und gab als Ziel das Haus von Lord Harold Southwood nahe Kensington Garden an.

»Ich stehe mehr und mehr vor einem Rätsel«, sinnierte Sir Cyrus, als sie die weiße Villa des Diplomaten erreicht hatten. »Richard erzähl­te mir, dass vor wenigen Tagen ein Paar goldene Manschettenknöpfe aus dem Besitz eines befreundeten Diplomaten verschwunden sind. Man verdächtigte den Butler, ein Hausmädchen wurde entlassen. Doch wie es aussieht, war auch dieses bedauernswerte Geschöpf nicht die wirklich Schuldige.«

»Sie denken, es ist unser Täter?«

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»Möglich wäre es, bedenkt man, dass die Abstände zwischen den Diebstählen immer kürzer werden. Doch goldene Manschettenknöpfe? Die passen nicht recht in die illustre Reihe kostbarer Steine und Pretio­sen. Denken Sie nur an den Stern von Rajastan. Ein Dieb, der es fertig bringt, ein solch unersetzliches Juwel ohne Spur und Hinweis zu steh­len, gibt sich gewiss nicht mit goldenen Manschettenknöpfen ab. Nein, nein, hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Wenn ich nur wüsste, was es ist...«

Lord Southwood war nicht zuhause, doch seine Frau empfing den Detektiv und seinen Mitarbeiter mit distanzierter Freundlichkeit. Sir Cyrus stellte nur Routinefragen. Schließlich bat er: »Wäre es möglich, mit den Angestellten zu sprechen, die Sie auf Ihren Reisen begleiten, Mylady? Möglich, dass jemand etwas beobachtet hat, uns einen Hin­weis geben kann...«

Lady Kimberly war nicht sonderlich erfreut über die Bitte des De­tektivs, gab aber schließlich doch nach. »Mrs. Johnson, meine Kam­merzofe, begleitet uns auf allen Reisen. Außerdem Ethan, unser Butler und natürlich Miss Baxter, die Gouvernante.«

Sir Cyrus lächelte schmal. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die drei für eine kurze Befragung herbitten könnten.«

»Wenn Sie es für nötig halten, bitte.« Mrs. Johnson, eine ältere Dame mit strenger Frisur und bitterer

Miene, erzählte sofort unaufgefordert: »Miss Baxter ist eine überaus unzuverlässige Person. Sie tut der Herrschaft gegenüber so, als erle­dige sie gewissenhaft ihre Arbeit. Und da sie die Kinder auf ihrer Seite hat, kann man ihr nichts beweisen. Doch ich weiß es besser.« Sie lä­chelte verächtlich. »Besonders auf Reisen schleicht das junge Ding sich nachts aus dem Hotel und treibt sich mit Männern herum. Na ja, bei der Herkunft ist das ja auch nicht erstaunlich. Lady Kimberly hat ein viel zu weiches Herz, sonst hätte sie die Person nicht eingestellt. Schon gar nicht als Erzieherin für die Kinder, das ist doch eine Schande! Miss Baxter, falls das überhaupt ihr richtiger Name ist, kann nur als schlech­tes Vorbild für Miss Georgina und Master Jonathan bezeichnet werden. Ich wusste, dass es irgendwann soweit kommen würde. Sie schleppt die Kerle an, ganz egal, woher sie stammen. Das kümmert sie nicht,

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Hauptsache, es ist ein Mann. Und dann wundert man sich, wenn ge­stohlen wird. Ich habe da keine Zweifel, wer die Schuld an diesen Verbrechen trägt!«

»Und auf welches Verbrechen beziehen Sie sich, wenn ich fragen darf?«, warf Sir Cyrus liebenswürdig ein.

Die Zofe stockte kurz, dann erwiderte sie ärgerlich: »Na, es wird doch wohl etwas vorgefallen sein, als Miss Baxter sich eine Nacht lang in Paris herumtrieb, nicht wahr? Man hört so allerlei. Natürlich beteilige ich mich nicht am Dienstbotenklatsch, Gott bewahre! Doch es geht, soviel ich gehört habe, um einen Diebstahl. Oder irre ich mich da?« Sie starrte den Detektiv mit einer Mischung aus Neugierde und Gehässig­keit an, die schwer zu beschreiben war. Wie es schien, konnte Mrs. Johnson die Gouvernante nicht ausstehen.

»Sie sagten, Miss Baxter sei von keiner guten Herkunft. Können Sie da etwas genauer werden?«, forschte Sir Cyrus, ohne etwas von seiner nonchalanten Freundlichkeit einzubüßen. Pearse bewunderte die untadelige Haltung seines Chefs dieser wenig sympathischen Person gegenüber.

»Na ja, Mrs. Chapman, unsere Köchin, hat hier und da etwas ver­lauten lassen. Wissen Sie, was die Alte sagt, ist mit Vorsicht zu ge­nießen, sie ist ja so nachsichtig. Vor allem, was Miss Baxter betrifft. Sie hat mir erzählt, dass diese Person unehelich geboren wurde, dass sie in Frankreich zur Welt kam, als Tochter eines Dienstmädchens. Nie­mand weiß, wer ihr Vater ist. Und sie hat sich jahrelang nicht eben auf ehrenwerte Weise durchgeschlagen. Wissen Sie, Männer verrückt zu machen, dafür hat sie ein Talent.« Die Zofe lachte verächtlich auf. »Wenn es auch das einzige Talent ist, über das sie verfügt...«

»Ich danke Ihnen für Ihre Auskünfte.« Sir Cyrus winkte die Frau mit einer raschen Bewegung aus dem Raum. Erst nachdem sie ge­gangen war, merkte Pearse an: »Eine unsympathische Frau.«

Der Detektiv lächelte schmal. »Das Leben ist bunt, mein Lieber. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Miss Baxter die ei­gentlich interessante Person in diesem Spiel ist.«

»Spiel?« Der junge Mann machte ein verständnisloses Gesicht, doch sein Chef lächelte nur wie eine Sphinx.

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Als gleich darauf der Butler erschien, überließ Sir Cyrus seinem Assistenten die Befragung. Er musste geahnt haben, dass dabei nicht viel herauskommen würde. Ethan schien sich in der Tat weder für Klatschgeschichten noch für die Gouvernante zu interessieren. Er un­terstrich lediglich, dass im Hause Southwood noch nie kriminelle Vor­gänge auch nur Erwähnung gefunden hätten und sah die ganze Befra­gung offensichtlich als Zumutung an.

Pearse hob die Schultern. »Nichts.« »Die Gouvernante...« Sir Cyrus sprang von dem Stuhl auf, wo er

während der Anwesenheit des Butlers leicht gelangweilt geweilt hatte und eilte Miss Lilli-Ann entgegen, die nun zögernd den Raum betrat. Sie war blass und gab sich große Mühe, gefasst zu wirken, obwohl ganz offensichtlich das Gegenteil der Fall war.

»Miss Baxter, Sie müssen sich nicht fürchten«, versicherte Sir Cy­rus, während er sie zu einem Sessel rührte und bat, Platz zu nehmen. »Wir führen hier lediglich eine Routinebefragung durch. Gestatten Sie mir, mich Ihnen zunächst vorzustellen: Mein Name ist Cyrus Hawkes­worth. Und dies ist mein geschätzter Mitarbeiter Anthony Pearse. Sie sehen, es besteht kein Grund, vor uns Angst zu haben. Entspannen Sie sich bitte.«

Sie lächelte nervös. »Ich habe keine Angst. Nur verstehe ich nicht, was man von mir will.«

»Nun, das ist schnell gesagt. Es geht um das Verschwinden eini­ger sehr wertvoller Edelsteine. Juwelen von unschätzbarem Wert, wundervolle, einzigartige Pretiosen, deren kaltes Feuer in seiner Faszi­nation von nichts zu übertreffen ist. Diamanten in den ausgefallensten Farben, tiefe, reine Spiegel, härter und kälter als alles andere auf die­ser Erde und so schön, dass unablässig dafür gemordet und gestorben wird!« Während er eindringlich zu ihr gesprochen hatte, ließ Sir Cyrus die schöne junge Frau nicht aus den Augen. Doch zu seiner Enttäu­schung schienen seine Worte keine Saite in ihrem Innern zum Klingen zu bringen. Ihr Blick blieb ängstlich, abwehrend.

»Ich verstehe immer noch nicht...« »Mrs. Johnson sagte uns, dass Sie in Paris eigene Wege gegangen

sind.« Sir Cyrus beugte sich über die Sitzende und starrte sie intensiv

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an. »Möglich, dass Sie dabei Dinge mit angesehen haben, die nicht für Ihre Augen bestimmt waren...«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen!« Lilli-Ann erhob sich hektisch und wich dem forschenden Blick des Detektivs aus. »Das, worauf Mrs. Johnson ganz offensichtlich anspielt, war nur ein Spaziergang von fünf Minuten. Und er führte mich nicht weiter als hundert Meter fort vom Hotel Ambassadeur. Was soll ich dabei wohl gesehen haben?«

»Nun, Zeit und Ort spielen hierbei womöglich nur eine unterge­ordnete Rolle«, parierte Sir Cyrus. »Sie haben Zugang zu den höchsten diplomatischen Kreisen. Und es wäre durchaus denkbar, Ihr Wissen und Ihre Verbindungen an Dritte weiterzugehen...«

»Sir, ich muss doch sehr bitten!« Miss Lilli-Ann funkelte den De­tektiv empört an. »Ich kann es nicht verhindern, dass schlecht über mich gesprochen wird, auch wenn ich mir nichts habe zu Schulden kommen lassen. Doch ich muss es mir verbitten, mich mit diesem böswilligen Klatsch und diesen gemeinen Lügen zu belästigen. Wenn Sie Fragen stellen wollen, bitte tun Sie das. Aber nicht auf diese eh­renrührige Weise!«

»Miss Baxter!« Der Detektiv musterte sie kühl. »Ich stellte Ihnen Fragen, die Sie allerdings nur durch Empörung und einen sehr affek­tierten Appell an mein Ehrgefühl beantwortet haben. Ich denke, diese Reaktion spricht für sich. Sie können gehen.«

Einen Moment lang schien sie sehr überrascht. Und dann be­dachte sie Sir Cyrus mit einem Blick, aus dem ebensoviel Verachtung wie Hochmut sprachen. Für ein paar Sekunden war er verblüfft. Und der Hauch einer Ahnung vom wahren Wesen dieser außergewöhnli­chen Frau streifte ihn wie eine kühle Brise an einem freundlichen Sommertag. Dann hatte sie das Zimmer bereits verlassen und zwei Besucher blieben ratlos zurück.

»Sie hat sich seltsam benommen«, raffte Pearse sich schließlich auf, festzustellen.

»Sie weiß viel mehr, als sie zugibt. Ihr ängstliches Zögern war e­benso eine Larve wie ihr frauenhafter Stolz. Ha, dahinter verbirgt sich eine Welt!« Er machte eine weit ausholende Bewegung, als wolle er den Raum umarmen. »Miss Lilli-Ann Baxter ist der Schlüssel zu diesem

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Fall. Öffne sie wie einen Banktresor und du wirst den Stern von Ra­jastan in deinen Händen halten...«

»Aber wie wollen Sie das anstellen?«, fragte Anthony verwirrt. »Wir, mein Lieber, wir. Ich werde mich zunächst einmal im Hin­

tergrund halten, nur beobachten und nachdenken. Sie behalten dieses Haus im Auge. Ich muss wissen, wer hier ein und aus geht, welchen Umgang Hausherren und Personal pflegen.«

»Sie denken an das, was die Zofe gesagt hat?« »Nur am Rande. Ich möchte mir ein Bild von den Menschen ma­

chen können, die hier leben. Denn ich bin nun mehr denn je davon überzeugt, dass wir hier genau das finden werden, was wir suchen.« Er lächelte schmal, als Pearse ihn erstaunt anblickte. »Vielleicht wer­den uns die schönen Augen von Miss Lilli-Ann Baxter tatsächlich direkt zum Stern von Rajastan führen...«

*

»Aber Sir, ich bitte Sie, es ist ja erst sieben Uhr morgens! Ich kann ihn jetzt noch nicht Stören. Nicht, nachdem er erst gegen drei Uhr letzte Nacht heimgekommen ist...« Mrs. Halton hatte ihre liebe Not, den hoch gewachsenen grauhaarigen Gentleman mit der finster entschlos­senen Miene zurückzuhalten.

Sir Cyrus, von dem Tumult in der Diele bereits aus seinem kurzen Schlummer gerissen, erschien in Nachthemd und Morgenmantel und winkte seinen Bruder herein.

»Bitte Frühstück, Mrs. Halton. Und einen starken Tee!« Die Haushälterin nahm Mantel und Hut des Besuchers und ver­

schwand dann mit einem Seufzer in der Küche. Sir Richard Hawkesworth erklärte: »Es tut mir leid, wenn ich dich

geweckt habe. Aber ich bin wirklich sehr verärgert.« Der Detektiv ließ sich auf einem der Sofas im Wohnraum nieder,

das mit einem Tigerfell bedeckt war - ein Andenken an eine frühe In­dienreise - und gähnte verhalten. Dann forderte er: »Nur heraus mit der Sprache, Richard. Ich höre dir zu.«

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Der Diplomat, den eine nicht zu übersehende Familienähnlichkeit mit Sir Cyrus verband, nahm in einem Sessel Platz und berichtete auf­gebracht: »Das kann doch kein Zufall sein! Gestern warst du bei mir und hast mich über diese seltsame Serie von Diebstählen befragt. Und heute stelle ich fest, dass man auch mich beraubt hat. Und zwar auf ein Art und Weise, die schon beinahe als absurd zu bezeichnen ist!«

Sir Cyrus wurde aufmerksam und auf einen Schlag hellwach. Er zündete seine Pfeife an, paffte dicke Rauchwolken und hakte sofort nach: »Wie meinst du das? Bitte Details!«

»Nun, das ist rasch erzählt. Mein Butler machte mich heute mor­gen darauf aufmerksam, dass mein Siegelring verschwunden sei. Der Ring mit unserem Familienwappen.« Er warf einen fragenden Blick auf die Hand seines Bruders. »Du hast doch auch einen!«

»Sicher, aber ich trage ihn nicht.« Sir Richard musterte sein Gegenüber mit leisem Vorwurf.

»Manchmal habe ich den Verdacht, dass das, was unser lieber Vater dir anlastet, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Du scheinst tatsäch­lich nicht stolz auf unsere Familientradition zu sein.«

Der Detektiv warf einen Blick gen Himmel und produzierte zu­gleich so dicken Pfeifenrauch, dass sein Kopf kurz dahinter verschwand wie hinter Nebel. Mrs. Halton, die gerade mit dem Frühstückstablett den Raum betrat, schimpfte: »Sir Cyrus! Sie hatten mir doch verspro­chen, nicht schon vor dem Essen zu rauchen. Sie wissen selbst, wie schädlich das ist.« Sie öffnete demonstrativ ein Fenster und fuhr mah­nend fort: »Nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für die Möbel und Vorhänge!«

»Und die feuchte Herbstluft ist schädlich für mein Wohlbefinden«, parierte er unleidlich. »Bitte schließen Sie das Fenster und lassen Sie uns allein, Mrs. Halton!«

»Schön, wie Sie wollen!« Beleidigt zog sie sich zurück. »Also, was sagst du zu meinem Verlust, Cyrus?«, wollte Sir Ri­

chard wissen, als sie wieder allein waren. »Ist es nicht absurd, aus ei­nem Haus, in dem sich kostbare Antiquitäten, teures Porzellan, Silber und Münzen befinden, nur diesen Ring zu stehlen?«

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Der Detektiv schien seinem Bruder gar nicht zugehört zu haben, er zog gedankenverloren an seiner Pfeife, während sein Blick ins Leere ging. Sir Richard fühlte sich missachtet. Ärgerlich erhob er sich und stellte fest: »Ich hatte mir wenigstens ein bisschen Verständnis und Anteilnahme von dir erhofft. Aber anscheinend ist es dir ganz einerlei, was ich zu erzählen habe.«

Da Sir Cyrus noch immer nicht reagierte, verließ sein Bruder, nun völlig missgestimmt, den Raum und gleich darauf auch das Haus. Da­bei murmelte er: »Den Weg hätte ich mir sparen können.«

Als Anthony Pearse eine Stunde später eintraf, fand er seinen Chef noch in der gleichen Haltung im Nachtgewand auf dem Tigerfell, wäh­rend das Frühstück längst kalt geworden war.

»Der Speck ist gut, er wäre warm aber noch besser, genau wie der Tee«, urteilte der junge Mann unbekümmert. Er kannte diesen Zustand weit abgewandten Brütens bei Sir Cyrus mittlerweile nur zu genau. Jedes Mal, wenn der Detektiv sich intensiv mit einem schwieri­gen Fall beschäftigte, benahm er sich so. Pearse wusste aber auch, dass dies immer wieder vorbeiging. Als er seine Mahlzeit fast beendet hatte, sprang Sir Cyrus auf die Füße und fragte ihn: »Wer war gestern bei den Southwoods? Bericht!«

Pearse zog sein kleines Notizheft heraus und referierte: »Der Lord verließ gegen acht Uhr morgens das Haus und kehrte erst nach sechs zurück. Seine Frau war am Vormittag bei der Schneiderin, erhielt nachmittags Besuch von zwei Freundinnen. Lady Prudence Fairfax und Dame Petula Hopkins...«

»Die ehemalige Primaballerina?« »Genau die. Beide blieben zum Tee. Danach dinierte das Ehepaar

zusammen, niemand verließ mehr das Haus. Einige Lieferanten kamen und gingen. Ach ja... und dann noch etwas Seltsames. Kurz nach drei Uhr in der Nacht, Sie waren gerade gegangen, schlich ein Schatten um das Haus. Ich habe versucht, festzustellen, was es damit auf sich hat­te, aber ich verlor ihn sofort wieder aus den Augen. Deshalb dachte ich mir, es wäre vielleicht... na ja, ein Gespenst oder so was gewesen. Das Haus der Southwoods ist schließlich schon zweihundert Jahre alt und...«

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»Pearse, ich bitte Sie!« Sir Cyrus wirkte ungehalten. »Versuchen Sie nicht, eine kleine Unaufmerksamkeit mit übersinnlichem Brimbori­um zu entschuldigen.« Er rieb sich kurz die Nasenwurzel. »Wo war dieser Schatten? Woher kam er? Wohin ging er? Zumindest die un­gefähre Richtung werden Sie doch verfolgt haben!«

»Er kam aus Richtung des Hauses, ich glaube, aus dem Garten. Und er bewegte sich rasch vom Haus weg. Danach war er plötzlich spurlos verschwunden.«

»Und wie sah er aus?« »Wie ein Schatten, ich weiß nicht...« »Mein Gott, Junge, Sie haben doch geschulte Augen. Groß, klein,

dick, dünn, behäbig, schnell? Was denken Sie, alt oder jung?« »Recht schmal und wieselflink. Wenn Sie mich fragen, er sah aus

wie ein Kind.« Der Detektiv schmunzelte, doch seine dunklen Augen funkelten

ernst. »Oder eine Frau...« Er verschwand mit wehendem Morgen­mantel in seinem Schlafzimmer und ließ seinen Assistenten in einiger Verwirrung zurück.

»Kommen Sie, wir fahren zu den Southwoods«, verkündete er wenig später, nachdem er Toilette gemacht hatte.

»Aber wollen Sie denn nichts frühstücken?« »Keine Zeit.« Sein Blick streifte kurz das Tablett. »Sie haben das

meiste gegessen, Pearse.« »Ich hatte Hunger...« »Schon gut.« Der Detektiv griff nach Hut und Mantel. Ein knappes

Lächeln huschte über sein markantes Gesicht. »Mrs. Halton wird zu­frieden sein.« Mit diesen Worten verließ er im Eiltempo das Haus, der junge Ire musste sich sehr beeilen und konnte trotzdem nur im letzten Moment auf die Mietkutsche springen, die Sir Cyrus bereits bestiegen hatte.

»Warum so eilig? Ich habe vielleicht nicht alles richtig verstanden. Aber dieser Schatten kann doch nicht der Grund für Ihre Hast sein, oder?«

Der Detektiv klopfte seinem Mitarbeiter jovial die Schulter. »Sie kennen nicht alle Fakten, mein Guter. Mein Bruder Richard war heute

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morgen bereits bei mir und hat mir berichtet, dass jemand in der Nacht seinen Siegelring gestohlen hat. Den Ring mit dem Fa­milienwappen der Barmouth.«

Pearse machte kein sehr intelligentes Gesicht, weshalb sein Chef sich genötigt sah, auszuführen: »Die Spur, die ich gestern aufge­nommen habe, war noch warm. Ich sagte Ihnen, dass wir im Haus von Southwood den Schlüssel finden würden.« Er lächelte maliziös. »Ich habe mich mit Absicht Miss Baxter mit vollem Namen vorgestellt. Und wie es scheint, wurde dieses Kompliment in der letzten Nacht erwi­dert.«

»Sie meinen... Aber wer? Wen könnte sie so rasch informiert ha­ben? Es war keine verdächtige Person im Haus. Mal abgesehen von dem Schatten, der sich scheinbar in Luft aufgelöst hat, habe ich alles im Blick gehabt.«

»Ach, Pearse, vergessen Sie Ihre Unzulänglichkeit, was diesen Schatten betrifft. Niemand macht Ihnen einen Vorwurf. Ich denke, allein seine Existenz hat mich der Lösung dieses Rätsels ein gutes Stück näher gebracht.«

»Sie werden Miss Baxter verhören?« »Sicher. Aber ich hüte mich, mein ganzes Wissen sofort zu of­

fenbaren.« Er überlegte eine Weile. »Ich denke, das Beste wird sein, ihr eine kleine Falle zu stellen. Etwas, das zu plump und primitiv ist, das ihre Intelligenz beleidigt. An ihrer Reaktion kann ich dann er­messen, ob ich richtig liege.«

»Und an was für eine Falle denken Sie dabei?« Der Meisterdetektiv hob angedeutet und zugleich mit unbeküm­

merter Miene die breiten Schultern. »Das werde ich wissen, wenn es soweit ist...«

*

Lord Southwood war alles andere als begeistert von dem erneuten Auftauchen der Ermittler. Er bat die beiden Gentlemen in sein Arbeits­zimmer und verlangte dann zu erfahren: »Was versprechen Sie sich von diesen dauernden Besuchen, Sir Cyrus? Ich begreife durchaus Ihre

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Lage, doch leider ist mir nicht ganz klar, inwiefern Sie in meinem Haus nach einer Lösung des Problems suchen wollen. Oder hegen Sie einen bestimmten Verdacht gegen eine Person, die diesem Haushalt an­gehört?«

Der Detektiv bedachte seine Worte genau. »Bis gestern hätte ich diese Frage nicht eindeutig bejahen können, Sir Harold...«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie nun eine Spur haben?«

»In gewisser Weise ja. Doch sie ist viel zu vage, um schon dar­über zu sprechen. Ich würde mich gerne noch einmal mit ihrer Kinder­frau, Miss Baxter unterhalten.«

Diese Bitte irritierte den Lord nun völlig. »Miss Baxter? Was hat sie mit all dem zu tun? Mein lieber Sir Cyrus, ich muss Sie bitten, ein we­nig konkreter zu werden. Soweit ich informiert bin, geht es um den Diebstahl eines unersetzlichen Juwels aus der indischen Botschaft in Paris. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, in welcher Weise Miss Baxter Ihnen da weiterhelfen soll. Oder stellt Ihre Bitte nur eine Finte dar?«

Der Detektiv schmunzelte angedeutet und versicherte: »Ganz ge­wiss nicht. Sie scheinen mir viel zuzutrauen, Sir Harold und nicht eben das Beste. Trotzdem dürfen Sie mir glauben, dass ich nichts im Schilde führe außer der Suche nach der Wahrheit. Und gewisse Schlüsse, die ich ziehen konnte, verbinden sich für mich mit der Notwendigkeit, Ihre Kinderfrau noch einmal zu befragen.«

Der Hausherr musterte sein Gegenüber noch immer unwillig, gab dann aber doch nach. Als Miss Lilli-Ann wenig später erschien, ließ er sie wissen: »Diese beiden Gentlemen haben noch einige Fragen an Sie, Miss Baxter. Ich möchte Sie aber zunächst darauf hinweisen, dass Sie nicht gezwungen sind, mit ihnen zu sprechen. Wenn Sie Auskünfte geben wollen, dann auf rein freiwilliger Basis.. Sir Cyrus ist kein Mit­glied der Polizei, wie Sie wissen.«

Es zuckte leicht verächtlich um den schmalen Mund des Detektivs, doch er enthielt sich eines Kommentars, während Pearse ärgerlich das Gesicht verzog.

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Die Gouvernante nickte und erklärte: »Ich habe nichts zu verber­gen. Aber ich fürchte, ich werde den Gentlemen auch nicht weiter­helfen können.«

»Das zu beurteilen überlassen Sie doch bitte uns!«, warf Sir Cyrus knapp ein und bedachte den Hausherren mit einem ungeduldigen Blick. Dieser verließ daraufhin mit abweisender Miene den Raum, der Detektiv bot der jungen Frau Platz an und umrundete sie einige Male wie ein Raubtier seine Beute. Seinem scharfen Blick entging nicht, dass Lilli-Ann an diesem Morgen sehr viel gelassener und selbstsi­cherer wirkte als am Vortag. In ihren tiefblauen Augen lag ein Aus­druck von abschätziger Ironie, der nicht zu ihrem Wesen zu passen schien. Etwas hatte sich verändert in der vergangenen Nacht. Und Sir Cyrus glaubte zu wissen, was es war. Er stellte der jungen Frau zu­nächst nur einige Routinefragen, um sie unvorsichtig werden zu las­sen. Dabei spürte er, wie ihre Aufmerksamkeit nachließ, sie kaum noch nachdachte, während sie ihm antwortete. Pearse stand in einer Zim­merecke und sein verständnisloses Gesicht zeigte deutlich, dass auch er sich auf das Verhalten des Ermittlers keinen Reim machen konnte.

Unvermittelt zog Sir Cyrus den Siegelring aus seiner Westentasche und ließ ihn wie beiläufig auf den Schreibtisch von Lord Southwood fallen. Dabei behielt er Lilli-Ann genau im Auge und fragte unver­mittelt: »Kennen Sie diesen Ring? Haben Sie ihn schon einmal ir­gendwo gesehen?«

Die junge Frau wurde blass, ihr Blick flackerte und für den Bruch­teil einer Sekunde sah es so aus, als wolle sie ein Geständnis ablegen. Doch wie es schien, hatte Sir Cyrus ihre Willensstärke und Klugheit unterschätzt. Denn der Augenblick der Unsicherheit verflog wie Rauch. Lilli-Ann fand zu ihrer kühlen Beherrschung zurück und erwiderte: »Nicht, dass ich wüsste.«

Der Detektiv verspürte eine gewisse Enttäuschung. Er hatte sich mehr von diesem Trick versprochen und es ärgerte ihn, dass er die Gouvernante zudem unterschätzt hatte.

»Nun, dann will ich Ihrem Erinnerungsvermögen gerne auf die Sprünge helfen.« Er musterte sie eindringlich. »Ein solcher Ring ist in der letzten Nacht aus dem Haus meines Bruders entwendet worden.

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Sir Richard Hawkesworth, ebenfalls Diplomat, wie Ihr Arbeitgeber. Sagt Ihnen das etwas?«

Sie zuckte nicht mit der Wimper, als sie erwiderte: »Ich begreife nicht, worauf Sie hinauswollen, Sir. Ich kenne weder Ihren Bruder, noch weiß ich etwas über diesen Ring.«

Er lächelte schmal. »Darauf würde ich keine Wette abschließen. Sie waren letzte Nacht unterwegs, nicht wahr? Wieder ein Unwohlsein, das Sie durch einen nächtlichen Spaziergang zu kurieren hofften?« Er ließ sie nicht aus den Augen, während er fortfuhr: »Seien Sie offen und ehrlich, Miss Baxter, ich biete Ihnen die Chance, sich rein zu wa­schen. Arbeiten Sie mit mir zusammen, nennen Sie mir Ihre Hinter­männer und Sie werden nichts zu befürchten haben. Schweigen Sie allerdings oder lügen mich an, wird es arg für Sie werden. Sie haben die Wahl!«

Sie wollte aufstehen, doch er stützte die Hände auf die Lehnen ih­res Sessels und forderte: »Versuchen Sie nicht, auszuweichen. Ich weiß, dass Sie in diese Diebstähle verwickelt sind!«

»Lassen Sie mich in Ruhe, Sie sind impertinent!«, rief sie in höch­ster Erregung.

»Miss Baxter, ich bitte Sie. Die Wahrheit!« »Ich sage überhaupt nichts mehr.« Sie entwand sich ihm ge­

schickt und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Ihre kühle Selbstbe­herrschung war dahin, mit flammendem Blick drohte sie ihm: »Wagen Sie es ja nicht, mir noch einmal so nah zu kommen, Sir! Ich verbitte mir das. Und ich werde mich bei Lord Southwood über Ihre unver­schämte Art beschweren!« Damit rauschte sie aus dem Zimmer, Sir Cyrus blickte ihr mit einer Mischung aus Verärgerung und Faszination hinterher.

»Ich würde sagen, das war ein Schuss in den Ofen«, kommentier­te Pearse, der sich die ganze Zeit dezent im Hintergrund gehalten hat­te. »Entweder ist sie unschuldig oder eine begnadete Schauspielerin. Was denken Sie?«

Der Detektiv krauste nachdenklich die Stirn. »Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sie der Schlüssel zu diesem Fall ist. Leider ist sie ein sehr anspruchsvoller Gegner. Ich muss gestehen, dass ich sie unter­

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schätzt habe. Aber das soll mir nicht noch einmal passieren.« Er wand­te sich an seinen Mitarbeiter. »Pearse, Sie behalten Miss Baxter im Auge, rund um die Uhr. Ich will über jeden ihrer Schritte genauestens informiert werden. Sie wird einen Fehler machen, sich verraten. Und dann kann sie mir nicht mehr ausweichen.« Er lächelte angedeutet. »Dann wird Sie gestehen müssen...«

*

»Hallo, Mister, was suchen Sie denn den ganzen Tag hier? Wollen Sie nicht mal was Sinnvolles tun und meinen Einkaufskorb tragen?« Die niedliche Brünette bedachte Anthony Pearse mit einem kecken Lä­cheln, das ihm auf Anhieb gefiel.

»Gehörst du zum Haus?«, fragte er. »Klar, ich bin Betty, das Küchenmädchen. Und Sie?« »Tony Pearse.« Er nahm ihr den Korb mit dem frischen Gemüse

vom Markt ab und begleitete sie über die Straße. »Sie arbeiten für diesen Detektiv, stimmt's?« Sie grinste ver­

schmitzt. »Meint der denn im Ernst, dass einer von uns ein Juwe­lendieb ist?«

»Du bist gut informiert«, stellte Pearse fest. »Und ob. Ich sag immer, die Küche ist das Herz eines Hauses. Da

wird nicht nur dafür gesorgt, dass alle was zu essen kriegen, man er­fährt auch alles, was wichtig ist.«

»Und du glaubst nicht, dass jemand aus dem Haus an den Dieb­stählen beteiligt ist?«

»Nie und nimmer! Was soll man denn mit solchen Sachen, die man nicht verkaufen kann? Wenn einer was klaut, dann verschwindet er damit, macht sich das Leben leichter.«

»Oder schwerer.« »Na ja, wenn man erwischt wird, klar. Aber in dem Haus hier ist

noch nie was weggekommen. Wir sind alle ehrlich. Und deshalb auch so arm.« Sie waren beim Dienstboteneingang angekommen, Betty nahm ihren Korb wieder in Empfang und stellte fest: »Sie sind nett,

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Mr. Pearse. Morgen hab ich meinen freien Tag. Vielleicht gehen wir mal zusammen spazieren?«

Der junge Mann lächelte angetan und gestand: »Würde ich gerne. Aber ich kann hier nicht weg. Nicht mal für eine Stunde.«

Betty machte sich nichts daraus. Unbekümmert schlug sie vor: »Dann setzen wir uns eben drüben auf die Bank. Von da aus sieht man das Haus auch. Einverstanden?«

»Du gehst aber ganz schön ran«, stellte er schmunzelnd fest. »Das gefällt mir. Also bis morgen.«

Sie lächelte ihm noch einmal strahlend zu und verschwand dann rasch im Haus. Pearse kehrte auf seinen Beobachtungsposten zurück. Als er wenig später Miss Baxter bemerkte, die auf das Haus zu­steuerte, schluckte er einen Fluch herunter. Diese Betty hatte ihn ge­rade in dem Moment abgelenkt, als die Gouvernante ganz offen­sichtlich fort gegangen war. Wenn das Sir Cyrus erfuhr...

Der junge Ire ärgerte sich über sich selbst. Immerhin war ihm be­reits dieser mysteriöse Schatten entwischt. Und auch wenn sein Chef so tat, als nehme er ihm dies nicht übel, fühlte Pearse sich doch unzu­länglich. Ein Zustand, der ihm gar nicht gefallen wollte...

Um die Mittagszeit erschien Miss Baxter dann zusammen mit den Kindern. Sie steuerte den nahen Park an, Pearse folgte ihr so unauffäl­lig wie möglich. Allerdings hatte er ständig das Gefühl, dass sie ihn aus dem Augenwinkel heraus beobachtete. Sie verhielt sich jedoch ganz normal, spazierte in gemächlichem Tempo mit den Kindern der Southwoods durch den Park und setzte sich schließlich auf eine Bank, während Miss Georgina und Master Jonathan die Enten im nahen Teich fütterten. Pearse kaufte sich ein Eis, denn der Magen knurrte ihm. Doch er hatte sich fest vorgenommen, Miss Baxter nicht noch einmal aus den Augen zu verlieren. Schlimm genug, dass er einmal unauf­merksam gewesen war...

Nach etwa einer Stunde rief die Gouvernante die Kinder und nahm sie an die Hand. »Wir müssen heim, es gibt bald Lunch«, mahnte sie, denn Master Jonathan wollte viel lieber noch eine Weile die munteren Wasservögel beobachten.

»Können wir morgen wieder in den Park gehen?«, fragte er.

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»Mal sehen. Wenn das Wetter mitspielt, sicher«, versprach Lilli-Ann freundlich. Pearse hatte sich an einem Zeitungsstand postiert und las angestrengt die Schlagzeilen. Er tat so, als kenne er die Angestellte der Southwoods gar nicht. Diese musterte ihn abfällig und erklärte im Vorbeigehen: »Sagen Sie Ihrem Chef, dass ich jetzt zu Mittag essen werde. Vielleicht interessiert ihn ja auch die Menüfolge...«

Der junge Mann bekam einen roten Kopf und wusste nicht, was er sagen sollte. Er kam sich ziemlich dämlich vor.

Der Rest des Tages verlief ohne weitere Zwischenfälle. Miss Baxter verließ das Haus nicht mehr, Pearse machte sich gegen acht Uhr a­bends auf den Weg zu Sir Cyrus, um ihm Bericht zu erstatten. Er hatte den ganzen Tag überlegt, ob er seinen Patzer gleich offen eingestehen oder vielleicht besser für sich behalten sollte. Als er dann das Haus des Detektivs erreichte, erübrigte sich dieser Gewissenskonflikt allerdings...

Mrs. Halton schien auf ihn gewartet zu haben. Kaum erklangen seine Schritte im Flur, da erschien sie auch schon und erklärte: »Ich begreife nicht, was mit ihm los ist! Heute Mittag verlangte er Lunch, angeblich hatte er großen Hunger. Und als ich servieren wollte, war er verschwunden.«

»Ist er noch...« »Nein, er ist seit etwa einer Stunde wieder hier.« Pearse wollte den Wohnraum betreten, aber Mrs. Halton hielt ihn

am Arm fest. »Mein lieber Junge, ich kann Sie nur warnen. Sir Cyrus befindet sich in einem Zustand, den ich nur seltsam nennen kann. Viel­leicht gelingt es Ihnen ja, zu ihm vorzudringen. Mich hat er jedenfalls einfach ignoriert!« Blanke Empörung sprach aus ihren Worten, wes­halb der junge Mann bat: »Regen Sie sich nicht auf, Mrs. Halton. Sie kennen ihn doch. Es ist jedes Mal so, wenn er einen wichtigen Fall hat. Aber nach Abschluss der Ermittlungen ist er dann wieder die Liebens­würdigkeit in Person. Sie müssen nur ein bisschen Geduld mit ihm ha­ben.«

Die Haushälterin schien von diesem Vorschlag nicht gerade be­geistert zu sein. Mit einem resignierten Seufzer verschwand sie wieder in der Küche.

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Anthony betrat nun endlich den Wohnraum und fand Sir Cyrus in einem Sessel vor der Kamin. Er saß im Schneidersitz, hatte die Augen geschlossen und meditierte ganz offensichtlich. Der junge Mann hielt es für das Beste, ihn nicht zu stören. Allerdings schien der Zustand seiner Versenkung nicht so tief zu sein, dass er seine Umgebung nicht mehr wahrnahm, denn er bat mit freundlicher Stimme: »Setzen Sie sich, Pearse. Ich habe höchst bemerkenswerte Neuigkeiten.«

Er tat, wie ihm geheißen. Nun öffnete Sir Cyrus die Augen und fi­xierte sein Gegenüber streng. Die nun folgende Frage legte für den Iren kurz den Gedanken nah, dass sein Chef Hellseher sei.

»Wann hat Miss Baxter das Haus verlassen? Am Vormittag, meine ich.« Es zuckte in leisem Amüsement um seinen Mund, als er die Be­stürzung des ehemaligen Polizisten bemerkte. »Nun, Pearse?«

»Ich... muss sagen, Mrs. Halton hat eben nicht übertrieben, als Sie mich warnte, diesen Raum zu betreten. Sir, Sie werden langsam auch mir unheimlich.«

Sir Cyrus lachte erheitert. »Führen Sie meine Bemerkung bitte nicht auf die Meditationsübung zurück, die ich eben praktiziert habe«, bat er. »Die Schlüsse, die Sie ziehen würden, wären hundertprozentig falsch.«

»Miss Baxter hat tatsächlich am Vormittag das Haus verlassen«, entgegnete Pearse. »Aber ich... nun, ich habe mich zu diesem Zeit­punkt mit jemandem unterhalten und war deshalb abgelenkt.«

»Wann kam sie zurück?«, fragte der Detektiv sachlich, ohne auf die Worte seines Assistenten einzugehen.

»Nun, ich schätze, sie war nicht länger fort als eine Viertelstunde, höchstens.«

»Was auch völlig genügte.« Er sprang auf die Füße und ging hin­über zu seinem Sekretär. Dort lag ein Eilbrief, den er aufnahm und fortfuhr: »Genug Zeit, um diesen Brief aufzugeben, der mich am Nachmittag erreichte. Bitte.«

Pearse nahm den Umschlag, schaute hinein und entdeckte einen kleinen Gegenstand, der in etwas Stoff eingewickelt war. »Kein Schrei­ben?«, wunderte er sich.

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»Worte sind unnötig. Ich denke, dies dort drinnen Spricht für sich«, erwiderte Sir Cyrus ernst.

Der junge Mann holte den Gegenstand aus dem Briefumschlag, entfernte den Stoff - und hielt den Siegelring mit dem Wappen der Fa­milie Barmouth in der Hand. Er stutzte kurz, fragte dann: »Haben Sie den Ring etwa im Arbeitszimmer von Lord Southwood vergessen?«

Sir Cyrus schmunzelte, doch dieses Schmunzeln erreichte seine dunklen Augen nicht. Sie blieben ernst und zugleich zeigte sich in ih­nen jener Schimmer, der Pearse sagte, er hatte Witterung aufge­nommen, wie ein Jagdhund seine Beute aufgestöbert. Und er würde die nun beginnende Hatz nicht eher beenden, bis das Wild zur Strecke gebracht worden war... Mit einer eleganten Handbewegung zauberte er seinen Siegelring aus seiner Westentasche und ließ ihn in Anthonys Handfläche fallen. Es entstand ein leiser, metallischer Ton, als die bei­den, beinahe identischen Ringe, zusammentrafen. »Sie wissen, was das bedeutet.«

»Sie meinen, Miss Baxter hat den Ring von dem Dieb zurück er­beten und Ihnen geschickt? Aber das ergibt gar keinen Sinn. Damit gibt sie ja indirekt zu, dass sie den Dieb kennt und vielleicht sogar mit ihm unter einer Decke steckt.«

»Das tut sie ganz bestimmt«, behauptete Sir Cyrus vieldeutig. »Weil sie selbst nämlich der Dieb ist...«

*

»Ich begreife das nicht, ich meine, es ergibt doch gar keinen Sinn. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich einer jungen Frau wie Miss Baxter keine solchen Verbrechen zutraue, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, aus welchem Grund sie so etwas tun sollte.« Anthony Pearse musterte seinen Arbeitgeber unwillig. Er konnte nicht behaupten, mit dem Gang der Dinge zufrieden zu sein. Dass diese hübsche und kluge Person eine Verbrecherin sein sollte, erschien ihm absurd.

Sir Cyrus erwiderte den Blick seines Assistenten gelassen. »Sie sollten sich nicht von ihrem Gefühl leiten lassen, Pearse. Jedenfalls

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nicht beruflich. Miss Baxter hatte die Gelegenheit, all diese Diebstähle zu begehen. Ich habe es nachgeprüft, es besteht kein Zweifel: Sie war stets am Ort des Geschehens, sie hat keine eindeutigen Alibis. Sie ist unser Dieb.«

»Und wie sieht es mit dem Motiv aus?«, legte der junge Mann den Finger auf die einzige Schwachstelle im Konstrukt seines Chefs. »Aus welchem Grund hat sie zum Beispiel den Stern von Rajastan gestoh­len? Glauben Sie, sie wollte den schwarzen Diamanten an ihrem freien Tag zum guten Kleid tragen?«

»Pearse, bitte! Sie lassen sich schon wieder von Ihren Gefühlen leiten. Bloß weil Miss Baxter ein schweres Schicksal hinter sich hat, bedeutet das nicht automatisch, dass sie gut und ehrlich sein muss.«

»Es bedeutet aber auch nicht, dass Sie eine Verbrecherin ist!«, parierte der Ire ärgerlich. »Diese ganze Sache schmeckt mir nicht.«

Sir Cyrus sparte sich eine weitere Erwiderung, denn sie hatten ihr Ziel erreicht. Als sie zum Haus gingen, versprach er: »Sie werden sehr bald erkennen, dass ich recht habe. Eine hübsche Larve ist noch kein Garant für einen guten Charakter.«

»Es tut mir leid, Miss Baxter ist nicht im Haus«, ließ der Butler die beiden Besucher wissen. »Sie hat heute ihren freien Tag und ist be­reits am frühen Morgen ausgegangen.«

»Haben Sie eine Ahnung, wohin sie wollte?«, fragte Pearse. »Nein, leider nicht. Miss Baxter pflegt mir nicht mitzuteilen, wie sie

ihre Freizeit verbringt.« Sir Cyrus wirkte sehr ungehalten. »Wir hätten noch gestern Abend

herkommen sollen«, murmelte er, als sie wieder auf die Straße traten. »Vermutlich ist der Vogel ausgeflogen...«

»Einen Moment bitte, ich glaube, ich habe eine Idee.« Pearse um­rundete das Haus und klopfte wenig später an den Dienstbo­teneingang. Er hatte Glück, denn Betty öffnete ihm. Als sie ihn er­kannte, lächelte sie strahlend.

»Hallo. Ich hoffe, Sie kommen endlich, um mich abzuholen. Ich muss nur noch meinen Hut aufsetzen.«

Anthony war ein wenig verlegen. »Tut mir leid, ich bin noch im Dienst. Aber du kannst mir vielleicht weiterhelfen.«

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Sie zog einen Flunsch. »Kein Verlass auf euch Iren. Na schön, was willste wissen?«

»Mein Chef würde gerne mit Miss Baxter reden, aber sie ist nicht daheim. Weißt du zufällig, wie sie ihre freien Tage verbringt? Hat sie schon mal mit dir darüber geredet?«

»Nee, mit mir bestimmt nicht. Ich bin ihr nämlich nicht fein genug. Sie guckt doch auf alle herab. Nur mit der ollen Chapman kommt sie leidlich aus. Soll ich die mal fragen? Unsere Köchin, mein ich.«

»Das wäre nett.« Pearse wartete ungeduldig, nachdem Betty ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie wiederauftauchte. Und dann meinte sie nur: »Die Chapman sagt, Miss Baxter wollte spazieren gehen. Mehr weiß sie auch nicht.«

»Na ja, kann man nichts machen. Danke trotzdem.« Er wandte sich zum Gehen, da rief sie: »He, nicht so schnell! Wann sehen wir uns denn nun?«

»Ich komme wieder vorbei.« Er drückte ihr einen Kuss auf die blühenden Lippen, woraufhin sie verzückte seufzte und forderte: »Ver­giss mich bloß nicht, du... untreuer Ire.«

Sir Cyrus spazierte derweil durch den nahe gelegenen Park. Als sein Assistent auftauchte, stellte er fest: »Es bleibt uns nichts weiter übrig, als abzuwarten. Ich denke, sie wird wieder auftauchen. Sonst hätte sie den Ring nicht geschickt.«

»Aber wenn sie heute Abend hierher zurückkehrt...« »Nun, das wird sie gewiss nicht tun.« Er schnalzte mit der Zunge.

»Wir waren zu langsam. Ich könnte mich ohrfeigen.« »Ich werde mich ein bisschen umhören, vielleicht finde ich sie ja«,

schlug Pearse vor. »Das Küchenmädchen sagte, sie wolle Spazieren­gehen.«

»Ja, gehen Sie nur.« Sir Cyrus schmunzelte. »Und grüßen Sie mir das Küchenmädchen.«

Der junge Mann bekam einen roten Kopf, machte sich dann aber rasch aus dem Staub, ehe sein Chef es sich doch noch anders überle­gen konnte...

Sir Cyrus spazierte noch eine Weile in Kensington Garden herum, bis er mit einer Mietkutsche zurück nach Hause fuhr. Es war hoher

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Nachmittag, die Dämmerung legte sich bereits wie ein staubgraues Tuch über die Stadt. Jetzt, Mitte September, wurde es schon spürbar früher dunkel. Nebel stieg vom Kanal auf und bildete helle Schlieren, die sich um Laternen und Häuserecken wanden wie geheimnisvolle Geisterschlangen.

Der Detektiv erstand in einem kleinen Laden an der Ecke noch ei­ne Dose Pfeifentabak und die Times, bevor er die wenigen Schritte bis zu seinem Haus zurücklegte.

»Mrs. Halton, ich bin wieder da!« Er schaute sich ein wenig über­rascht um, als niemand auf seine Worte reagierte. Da bemerkte er den Zettel auf dem Garderobentisch. »Musste dringend weg, meine Schwester ist gestürzt. Das Essen steht auf dem Herd. Morgen bin ich wieder zur gewohnten Zeit da!«

Sir Cyrus zog die Stirn in nachdenkliche Falten. Mochte es ein Zu­fall sein, dass seine Hausperle ausgerechnet an diesem Abend nicht daheim war? Er wollte den Wohnraum betreten, als er etwas wahr­nahm. Sehr unterschwellig, kaum vorhanden. Und doch existent. Der Detektiv verhielt seinen Schritt, schloss die Augen und atmete den überaus schwachen Duft nach Verbenen ein, den er mit einer ganz bestimmten Person verband. Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine markanten Züge. In aller Ruhe legte er Hut und Mantel ab, öffnete die Tür zum Wohnraum und bat vernehmlich: »Sie können sich aus Ihrem Versteck wagen, Miss Baxter. Mrs. Halton ist fort, wir sind allein.« Er wunderte sich nicht, dass zunächst keine Reaktion erfolgte. Ohne Eile zündete er die Lampen an und steckte dann seine Pfeife in Brand. Als der aromatische Duft begann, den Raum zu erfüllen, trat eine schmale Gestalt hinter der Tür zum Schlafzimmer hervor und näherte sich zö­gernd dem Kamin.

Sir Cyrus betrachtete den heimlichen Besucher ohne sichtliche Re­gung. Er merkte lediglich ironisch an: »Für eine Lady, der man nicht zu nah kommen darf, wagen Sie sich weit vor. Eigentlich bin ich es sonst, der eine Dame in mein Schlafzimmer bittet...«

Miss Lilli-Ann blieb mitten im Raum stehen, deutlich Abstand zu dem Mann am Kamin wahrend und erwiderte kalt: »Bilden Sie sich nur

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nichts ein. Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier. Und der liegt sicher nicht darin, dass ich Sie mag.«

Der Detektiv lachte schallend. »Sie haben Format, meine Liebe, das gefällt mir. Setzen Sie sich.« Er bemerkte, dass sie schmale schwarze Herrenreithosen und ein ebenfalls schwarzes Wams trug.

Kein Wunder, dass Pearse ihren Schatten für den eines Kindes hielt, dachte er mit einem Anflug von eigener Faszination.

»Sie kennen also mein Geheimnis. Gott allein weiß, wie Ihnen das gelungen ist«, sagte sie mit einer Stimme, die leicht vibrierte. Sie woll­te stark sein, hatte ihr Herz in beide Hände genommen und sich ent­schieden, ihr weiteres Schicksal der Gnade und Nachsicht dieses Man­nes anzuvertrauen. Denn sie ahnte, dass sie keine andere Möglichkeit mehr hatte. Und doch schnürte ihr die Furcht die Kehle zu und sie wä­re am liebsten einfach davon gerannt. Ganz egal, wohin... »Ich denke, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.« Sie senkte die Lider, denn sie konnte es nicht ertragen, wie er sie musterte. »Sie, Sir Cyrus, sind ein Gentleman. Ich weiß oder hoffe, Ihnen vertrauen zu können. Deshalb bin ich hergekommen. Sie hätten mich ebenso gut in die Enge treiben und verhaften lassen können. Dass Sie dies nicht getan haben, sagt mir, Sie haben Verständnis. Und vielleicht... auch Nachsicht.«

Er hatte ihr aufmerksam zugehört, nun unterbrach er sie al­lerdings barsch: »Appellieren Sie nicht an meine Ritterlichkeit, Miss Baxter! Ich hätte mehr von Ihnen erwartet als das.«

»Aber ich... bin doch nur eine schwache Frau.« Ihre Stimme schwankte, Tränen schwangen darin mit.

Sir Cyrus erhob sich mit einem Ruck, schleuderte die erloschene Pfeife von sich und fuhr ärgerlich auf: »So nicht, Miss Baxter, so nicht! Halten Sie mich für einen vertrottelten Sammler abstruser Geschich­ten, der nichts auf seinen Ruf oder den Lauf der Gerechtigkeit gibt?«

»Ich bitte Sie...« »Hören Sie auf zu jammern!« Er packte sie bei den Schultern,

schüttelte sie leicht. »Sie haben Einbrüche geplant und durchgeführt, die einige der führenden Unterweltbosse dieser Stadt wie Schuljungen aussehen lassen! Also zeigen Sie auch jetzt Format. Ich will hier keine jammernde Gouvernante sehen, die von ihrer schweren Kindheit er­

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zählt. Seien Sie die Frau, die es geschafft hat, den Stern von Rajastan aus der indischen Botschaft in Paris zu stehlen, während das Haus voller Gäste war!«

»Sie wissen... Woher?« Ihre Miene verhärtete sich, ein kaltes La­chen, das Sir Cyrus irritierte, entrang sich ihrer Brust. »Sie spielen nur mit mir, Sie sind eben ein Mann. Ich hätte es wissen sollen. Aber des­halb bin ich nicht hier. Ich brauche Hilfe!« Das letzte Worte war nur mehr ein Hauch gewesen, dann sackte Miss Lilli-Ann unvermittelt in sich zusammen, verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte: »Sagen Sie mir, warum ich dies tue. Warum ich es immer wieder tue? Ich wünsche mir so sehr, ein normales Leben führen zu können. End­lich frei zu sein von diesem Feuer, das in meinem Innern brennt und ständig droht, mich zu verschlingen, wenn ich es nicht besänftige...«

Sir Cyrus war neben den Kamin getreten und betrachtete seinen Gast nachdenklich. »Das sollten eigentlich Sie mir sagen.«

»Aber ich weiß es nicht!« Sie stöhnte gequält auf. »Ich wünschte, ich könnte verstehen, was mich dazu treibt. Es gibt keine Erklärung, es ist ein innerer Zwang...« Sie hob den Blick und schaute ihn auf eine Weise an, die sein Herz berührte. Zutiefst verletzlich und voller Angst. »Ich fürchte, es ist... Wahnsinn, der mich immer wieder befällt.«

Der Detektiv schwieg, denn zum ersten Mal im Leben war ihm ab­solut nicht klar, was er tun, wie er sich verhalten sollte. Er hatte Miss Baxter entlarvt, sie saß vor ihm und schien willig, alles zu gestehen. Ein weiterer Triumph in seiner Laufbahn als Meisterdetektiv kündigte sich damit an. Und doch empfand er keinen Funken Genugtuung, kei­ne Freude über den Erfolg. Und dieser Umstand irritierte Sir Cyrus ganz ungeheuer.

»Ich werde mich wohl der Polizei stellen müssen«, hörte er die junge Frau gepeinigt murmeln. »Wenn man Gnade an mir übt, mich in ein Irrenhaus steckt...«

»Reden Sie nicht so«, bat er unwillig. »Sie sind nicht wahnsinnig.« »Aber was ich tue, ist doch nicht normal!«, hielt sie ihm verzwei­

felt entgegen. »Ich fürchte mich vor mir selbst...« »Was haben Sie mit der Beute gemacht?«, wollte Sir Cyrus, um

einen sachlichen Ton bemüht, wissen.

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»Es ist alles noch da. Ich habe daran gedacht, es zurückzugeben, aber dann hat mich immer wieder der Mut verlassen. Hier, damit Sie sehen, dass ich nicht lüge...« Sie nahm einen kleinen Stoffbeutel aus ihrer Hosentasche, stand auf und hielt ihn Sir Cyrus hin. »Bitte, neh­men Sie. Und tun Sie damit, was Sie wollen. Ich begebe mich in Ihre Hand, Sir. Mein Schicksal, mein Leben...«

»Sie wollen mir diese Entscheidung überlassen?« Er nahm den Beutel, öffnete ihn. Zum Vorschein kam der schwarze Diamant. Für ein paar Sekunden betrachtete Sir Cyrus den kostbaren Stein nach­denklich, dann lächelte er schmal. »So einfach ist es gewiss nicht, Miss Baxter. Sie haben sich einer Menge Vergehen schuldig gemacht. Glau­ben Sie, es ist damit getan, wenn Sie nun ein Juwel zurückgeben?«

»Sicher nicht. Ich bin hergekommen, weil ich auf Ihre Hilfe hoffte. Ersparen Sie mir die Schmach, mich selbst stellen zu müssen. Wenn Sie sich an die Polizei wenden...«

Er lachte unfroh auf. »Sie spielen ein Spiel, Mylady! Glauben Sie, ich durchschaue das nicht? Zuerst schicken Sie mir den Ring, den Sie meinem Bruder gestohlen haben. Und nun dieser Auftritt. Was bezwe­cken Sie damit? Sagen Sie mir die Wahrheit! Nur dann kann ich Ihnen helfen!«

»Aber, Sir Cyrus, ich...« Er packte sie bei den Armen, starrte sie eindringlich an. »Miss

Baxter, ich habe Sie schon einmal davor gewarnt, mich zu belügen oder mir etwas vorzumachen. Soll ich diese Warnung wiederholen, oder geben Sie Ihr Spiel freiwillig auf?«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Sie machte sich mit einem Ruck von ihm los, ging ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. Ihre Stimme klang verändert, als sie dann wieder sprach. »Ich will Sie nicht mit Geschichten aus meiner freudlosen Kindheit langweilen, das haben Sie sich ja bereits verbeten. Nur soviel: Ich hatte es nicht leicht. Als ich endlich, durch die Freundlichkeit einer Lady, die mich bei sich aufnahm und es mir ermöglichte, etwas Schulbildung nachzuholen, meinen Platz im Leben fand, begannen diese quälenden Träume und Gedanken. Etwas tief in meinem Innern zehrt an mir, scheint bemüht, mich aus­zulöschen, meine gesamte Existenz zu zerstören. Ich habe immer wie­

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der versucht, es zu bekämpfen, mich dagegen zu wehren. Doch es gelang mir nie. Jedes Mal, wenn ich ein kostbares Juwel gestohlen hatte, schwieg dieser andere Teil in mir und ich konnte für eine Weile ganz normal leben. Aber die Qual kehrte zurück, immer schneller und heftiger, je mehr ich mich dagegen wehrte. Ich fürchte, es ist Wahn­sinn, keine andere Erklärung kommt mir in den Sinn. Und ich bin ei­gentlich erleichtert, dass Sie nun alles wissen, dass es vorbei ist...«

Sir Cyrus zündete seine erloschene Pfeife wieder an und rauchte eine Weile schweigend. Viele Gedanken zogen an seinem geistigen Auge vorbei, doch er war nicht fähig, sie zu ordnen oder einen von ihnen festzuhalten.

Schließlich fragte Lilli-Ann leise: »Werden Sie mich zur Polizei be­gleiten, Sir Cyrus?«

Er musterte sie mit einem schwer zu deutenden Ausdruck in den dunklen Augen, fragte: »Wo befindet sich der Rest der Beute?«

»Ich habe alles bei einer Bank deponiert. Hier ist der Schlüssel. Ich hoffe, Sie sehen, dass ich Ihnen offen und ehrlich entgegentrete. Ich habe nichts zu verbergen.«

»Wollen Sie sich nicht Ihren Arbeitgebern gegenüber offenbaren? Oder haben Sie vor, sich einfach davonzustehlen?«

Sie senkte den Blick. »Ich möchte nicht direkt mit Lady Southwood sprechen, sie mag mich nicht. Und wenn sie alles aus der Zeitung erfährt, soll mir das auch einerlei sein...«

Der Detektiv erhob sich, umrundete die junge Frau schweigend und musterte sie dabei auf eine Weise, die ihr zugleich fremd und bei­nahe unheimlich war. »Also schön, ich will Ihnen glauben«, sagte er langsam. »Und da Sie offen zu mir waren, werde ich tun, was ich kann, um Ihre Strafe zu mildem. Sie können nicht zurück zu den Southwoods, deshalb werden Sie heute Nacht im Gästezimmer schla­fen. Morgen gehen wir zusammen zur Bank, holen den Schmuck und legen alles Scotland Yard vor. Sind Sie damit einverstanden?«

Er musste nicht lange auf ihre Antwort warten, spontan versi­cherte sie: »Ja, natürlich! Ich bin Ihnen sehr dankbar...«

»Geschenkt. Sind Sie hungrig?« »Nein, ich will Ihnen auch keine Umstände machen.«

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Der Detektiv lächelte ironisch. »Zufällig ist meine Haushälterin heute verhindert. Doch ein paar Sandwiches...«

»Die mache ich.« Lilli-Ann atmete tief durch, es schien, als sei ei­ne schwere Last von ihren Schultern genommen. Und wenig später erschien sie mit einem Tablett im Wohnraum, auf dem ein komplettes, kaltes Diner zu finden war. »Ihre Haushälterin hat bereits vor­gearbeitet, ich habe nur die Sandwiches gemacht«, erklärte sie und lächelte ihm ein wenig zu. Sir Cyrus schaute zu, wie sie geschickt den Tisch deckte und dabei zum ersten Mal, seit er sie kannte, entspannt wirkte. Sein Herz blieb nicht stumm, was ihn in einen nicht zu unter­schätzenden Gewissenskonflikt brachte. Er unterdrückte seine Gefühle und doch konnte er nicht leugnen, dass diese junge Frau einen ganz eigenen Reiz auf ihn ausübte, wie er es bislang nicht erlebt hatte.

Nach dem Diner zog Miss Lilli-Ann sich bald ins Gästezimmer zu­rück. Sir Cyrus aber wanderte noch bis in die späten Nachtstunden hinein durch das Wohnzimmer, rauchend und in tiefe Gedanken versunken. Nie zuvor hatte ihn ein Fall nach seiner Aufklärung noch dermaßen intensiv beschäftigt. Und je länger er darüber nachdachte, desto unsicherer wurde er.

Miss Lilli-Ann war eine Diebin, das stand außer Zweifel. Sie war geständig und gewillt, ihm alles Diebesgut auszuhändigen. Der Fall lag eigentlich vollkommen klar auf der Hand. Und doch... Etwas sträubte sich in seinem Inneren dagegen, die Dinge so abzuwickeln, wie es üblich war. Lag es daran, dass sie ihm nicht mehr gleichgültig war? Dass er vielleicht sogar ein wenig ihrem Liebreiz erlegen war?

Sir Cyrus, für den das Spiel mit Frauenherzen bislang eher Sport denn Passion gewesen war, fühlte sich in zunehmendem Maße irritiert, verunsichert. Und er ahnte, dass der kommende Morgen für ihn die schwerste Entscheidung seines Lebens barg...

*

Anthony Pearse erschien pünktlich am nächsten Morgen zum Dienst und wurde von einer ärgerlichen Mrs. Halton wenig freundlich begrüßt. »Ich weiß, dass Sir Cyrus ein exzentrischer Mensch ist, aber das geht

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allmählich zu weit«, schimpfte sie. »Als ich heute morgen hergekom­men bin, war meine Küche in Unordnung, das Gästezimmer benutzt und er selbst lag schlafend auf dem Sofa im Wohnraum. Ich bitte Sie, was soll ich davon halten?«

»Haben Sie ihn nicht gefragt?« »Wie denn? Er war ja nicht wach zu kriegen. Also ich finde, das

geht wirklich zu weit, das...« Sie verstummte, als an der Haustür ge­klingelt wurde. »Sir Hamilton? Zu dieser frühen Stunde? Was hat denn das zu bedeuten?«

Der Leiter von Scotland Yard nickte der Haushälterin knapp zu und fragte: »Ist Sir Cyrus da? Er hat mich hergebeten.«

»Ich verstehe nicht...« Mrs. Halton warf Pearse einen unsicheren Blick zu und murmelte: »Was ist nur letzte Nacht hier vorgefallen?«

Allerdings konnte auch der junge Mann ihr darauf keine Antwort geben. Er bat Sir James, kurz zu warten und betrat dann leise den Wohnraum, um seinen Chef im wecken. Doch das Sofa war leer. Pear­se schaute sich um, da erschien Sir Cyrus in seiner Schlafzimmertür, bereits angekleidet und, wie es schien, bester Laune. »Ah, Pearse, gut, dass Sie hier sind. Ich habe Ihnen etwas zu berichten. Setzen Sie sich.«

»Draußen wartet Sir James von Scotland Yard und...« Er winkte ab. »Der kann kurz warten. Hier, sehen Sie sich das

an!« Er reichte seinem Assistenten den schwarzen Diamanten, den dieser ebenso fasziniert wie ungläubig anstarrte.

»Aber das ist doch... Wie sind Sie in seinen Besitz gelangt?« Der Detektiv machte eine geheimnisvolle Miene. »Ich denke, das

sollten Sie die junge Dame fragen, die ihn mir gestern Abend höchst­persönlich gebracht hat.«

»Miss Baxter?« Pearse war von den Socken. »Dann hatten Sie also doch recht, in jeder Beziehung... Ich muss sagen, das hätte ich nicht erwartet. Nicht so schnell.«

Sir Cyrus hüllte sich in ein sphinxhaftes Lächeln, sein Assistent fragte: »Ist sie noch hier? Bei den Southwoods ist sie jedenfalls nicht mehr aufgetaucht.«

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»Sie schläft oben im Gästezimmer. Nachdem sie mir alles ge­beichtet hatte und einverstanden war, heute mit der Beute zur Polizei zu gehen, habe ich ihr das angeboten.«

»Und Sir James...« »Nun, ich möchte ihm vorab den Fall schildern und hoffe, dass er

Milde und Verständnis beweisen wird. Immerhin ist Miss Baxter mir sehr weit entgegengekommen. Ich denke, sie hat Probleme, etwas, das früher geschehen ist, lässt sie nicht los und zwingt sie, Dinge zu stehlen, die sie eigentlich nicht benötigt. Das hört sich ein bisschen seltsam an, ich weiß.«

Der junge Ire hob die Schultern und behauptete: »Finde ich nicht. Es würde erklären, dass so eine sympathische Person in Häuser ein­bricht. Ich konnte mir bislang nämlich nicht vorstellen, aus welchem Grund sie so etwas tun sollte.«

Sir Cyrus lächelte schmal. »So haben Sie am Ende doch auch ein wenig recht behalten, mein lieber Pearse. Ihre hohe Meinung von Miss Baxter scheint sich zu bestätigen.«

»Ich hatte den Eindruck, dass Sie auch auf Sie nicht ohne Wirkung geblieben ist«, merkte Anthony vieldeutig an. »Oder irre ich mich da?«

»Gewiss nicht. Miss Baxter ist eine ganz besondere Frau. Ich muss sagen, ich bedauere es, sie der Polizei übergeben zu müssen. Doch ich denke, Sir James wird sich kooperativ zeigen, wenn er dies hier erst sieht.« Er nahm den schwarzen Diamanten zwischen Daumen und Zeigefinger und fing damit geschickt einen Strahl der Morgensonne ein, der sich augenblicklich in einer Farbkaskade aus Braun, Violett und Orange brach. »Sagen Sie bitte Mrs. Halton, Sie möge unseren Gast wecken. Ich werde in der Zwischenzeit mit Sir James sprechen.«

Pearse verließ das Zimmer, bat den Besucher herein und schaute dann in die Küche, wo die Haushälterin damit beschäftigt war, Ord­nung zu schaffen. »Würden Sie Miss Baxter bitte wecken? Sagen Sie ihr, dass wir sie im Wohnzimmer erwarten.«

Mrs. Halton machte ein verständnisloses Gesicht. »Wen soll ich wecken?«

»Miss Baxter!«

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»Sie müssen nicht schreien, ich bin nicht schwerhörig. Allerdings gibt es in diesem Haus wirklich niemanden, der auf den Namen Baxter hört. Jedenfalls nicht, soweit ich unterrichtet bin«, entgegnete sie kühl.

»Die junge Dame im Gästezimmer«, beharrte Pearse, nun schon leicht ungehalten. »Ich bitte Sie, Mrs. Halton, stellen Sie sich doch nicht so stur.«

»Im Gästezimmer ist niemand«, erklärte sie ungerührt. »Als ich heute morgen hierher kam, war zwar das Bett benutzt, doch ich dach­te, Sir Cyrus...« Sie schaute Pearse, der auf dem Absatz kehrt machte und im Sturmschritt davon eilte, irritiert nach.

»Bitte verzeihen Sie die Störung«, bat dieser wenige Augenblicke später, nachdem er in den Wohnraum gestürzt war. »Aber sie ist weg!«

Für ein paar Sekunden herrschte betretenes Schweigen, Sir James erkundigte sich: »Was hat denn das zu bedeuten?«

»Das ist... nicht möglich«, murmelte Sir Cyrus. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, sah Anthony Pearse seinen Chef wahrhaft be­stürzt. Er sprang auf und rannte wie von Furien gehetzt aus dem Zim­mer. Der Yardleiter warf dem jungen Iren einen strengen Blick zu und verlangte zu erfahren: »Was geht hier eigentlich vor? Ich fordere auf der Stelle eine Erklärung!«

Pearse grinste schief. »Wenn ich das wüsste...« Sir Cyrus durchforschte jeden Winkel des Gästezimmers. Nichts,

kein Detail, keine Kleinigkeit entging seinem scharfen Blick. Doch er musste feststellen, dass Lilli-Ann ihn erneut aufs Glatteis geführt hatte. Sie hatte keine Spur hinterlassen, die ihm auch nur den kleinsten Hin­weis hätte geben können. Sie war spurlos verschwunden. Und er stand mit leeren Händen da...

»Also, Sir Cyrus, ich bitte auf der Stelle um eine Erklärung! Was geht hier vor?« Sir James war überaus ungehalten. »Ich gewinne langsam den Eindruck, dass Sie sich hier einen Spaß auf meine Kosten erlauben. Und ich kann nicht behaupten, dass ich das sonderlich lustig finde.«

Der Detektiv war mit versteinerter Miene in den Wohnraum zu­rückgekehrt. Er ließ sich Zeit mit einer Antwort. Mit gemessenen Be­

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wegungen nahm er den schwarzen Diamanten aus einer Lade seines Sekretärs und übergab ihn dem Beamten.

Diesem blieb beim Anblick des unersetzlichen Juwels einen Mo­ment lang sogar der Mund offen stehen. Dann räusperte er sich verle­gen und stellte fest: »Sir Cyrus, Sie sind ein Genie! Vergessen Sie al­les, was ich eben gesagt habe. Seien Sie meiner ehrlichen Be­wunderung wie meiner Hochachtung versichert!«

»Ich bin ein Idiot«, murmelte der Detektiv da mit zusammenge­bissenen Zählen und finsterer Miene. »Ein Idiot, an den Sie Ihr Lob nicht verschwenden sollten, Sir.«

»Aber wie...« »Trotzdem denke ich, dass noch nicht alles verloren ist. Ich werde

Ihnen den Dieb bringen. Nehmen Sie es als Versprechen, aber sehen Sie es als Schwur!«

Nachdem der Yardmann gegangen war, fragte Pearse seinen Chef: »Und wie wollen wir vorgehen? Ich meine, sie könnte überall sein, nicht wahr?«

Sir Cyrus war in dumpfes Brüten verfallen. Es war für ihn nicht leicht, mit dieser Niederlage umzugehen. Zumal in diesem Fall nicht nur sein Verstand, sondern auch sein Herz betroffen waren... Es dau­erte eine Weile, bis er seinem Assistenten antwortete. Da aber schien er seine Fassung bereits wiedererlangt zu haben, denn seine Anwei­sungen waren präzise und kühl kalkuliert wie stets. »Sie werden ihre neue Flamme besuchen. Sehen Sie zu, dass Sie auch mit der Köchin reden. Ich fürchte, mir würden diese Leute nichts anvertrauen. Viel­leicht gelingt es Ihnen ja, etwas über ihre Pläne und ihren möglichen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Hören Sie sich auch noch ein­mal in einschlägigen Kreisen um. Ich denke, sie wird nun doch einiges verkaufen müssen, um ihre Flucht zu finanzieren. Ich fahre zur Bank. Obwohl ich sicher bin, dass sie ihr Schließfach bereits geleert hat.« Er lächelte unfroh. »Vermutlich hat sie das schon getan, als ich noch schlief...«

*

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Betty war zugleich erfreut und enttäuscht, als Pearse wenig später an ihre Tür klopfte. »Immer hast du nur deine Arbeit im Kopf. Wann kommt denn mal das Vergnügen dran?«, beschwerte sie sich, wor­aufhin er sie erinnerte: »Gestern Abend, war das vielleicht kein Ver­gnügen?«

Sie kicherte. »Auch wieder wahr. Komm eben rein. Aber Mrs. Chapman wird bestimmt nicht begeistert sein.«

»Ich muss auch mit ihr reden. Es geht um Miss Baxter.« Das Küchenmädchen verdrehte die Augen. »Immer noch die! Ich

dachte, die wäre längst passé. Schließlich ist sie doch abgehauen. Ein­fach so, ohne Kündigung. Die Gnädige hat sich vielleicht gefreut! Jetzt muss sie sich selbst um ihre Plagen kümmern.«

»Hat sie auch gesagt, wohin sie wollte? Bitte, denk genau nach, Betty, es ist wirklich wichtig.« Er steckte ihr eine Münze zu. »Hier, für deinen Sparstrumpf.«

Sie machte große Augen. »Scheint dir ja tatsächlich wichtig zu sein. Lass mich mal überlegen, hm... Also mir hat sie nix gesagt. Aber wenn jemand was weiß, dann die olle Chapman.«

»Kann ich mit ihr reden?« »Sie bereitet das Mittagessen vor...« Betty deutete hinter sich, wo

die Köchin bereits zum wiederholten Male ihren Namen rief. »Eigent­lich sollte ich ihr zur Hand gehen. Ich glaube nicht, dass sie mit einem redet, der mich von der Arbeit abhält.«

»Versuchen können wir es aber, oder?« Er drückte ihr einen Kuss auf den Mund und grinste keck. »Tu mir eben auch mal einen Ge­fallen, meine Süße.«

»Frech bist du gar nicht, was? Na schön, komm rein.« Die Köchin machte große Augen, als Betty einen jungen Mann in

ihre Küche schleppte. Ihr gutmütiges Gesicht wurde ärgerlich und sie forderte: »Gehen Sie, aber schnell! Sie können Betty von mir aus an ihrem freien Tag sehen. Aber jetzt hat sie zuarbeiten!«

Anthony Pearse stellte sich artig vor und schob der Küchenfee un­auffällig eine größere Banknote zu. Diese stutzte und als sie bereits zu einer empörten Schimpfkanonade ansetzte, erklärte er: »Sie haben sicher schon gehört, dass Miss Baxter verschwunden ist, Mam? Ich

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arbeite für Sir Cyrus Hawkesworth, den berühmten Detektiv, der damit beauftragt ist, sie zu finden. Wenn Sie etwas wissen, sollten Sie es sagen. Glauben Sie mir, es ist nur zum Besten von Miss Baxter.« Er schlug einen etwas vertraulicheren Ton an und versicherte mit treu­herzigem Blick: »Wenn Sir Cyrus sie findet, bevor die Polizei es tut, bleibt auch diesem Haus hier ein Skandal größeren Ausmaßes er­spart...«

Mrs. Chapman murrte: »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass das gute Mädchen ein so schlimmes Geheimnis hat. So sehr habe ich mich noch nie in einem Menschen getäuscht.«

»Hat Sie Ihnen gegenüber erwähnt, wohin sie gehen würde, wenn sie einmal fort müsste?«

Die Köchin dachte kurz nach, dann warf sie Betty einen strengen Blick zu, die nur dastand und lauschte. »Putz das Gemüse, aber ein bisschen dalli!«, wies sie das Küchenmädchen an. »Kommen Sie, Mr. Pearse, trinken wir einen Tee zusammen.«

Betty streckte der Köchin hinter deren Rücken die Zunge heraus, denn es ärgerte sie, dass sie nun nichts mehr mitbekam. Schließlich hörte man nicht jeden Tag etwas, worüber zu klatschen sich lohnte...

Mrs. Chapman zog sich mit dem jungen Mann ins Nebenzimmer zurück, wo das Personal seine gemeinsamen Mahlzeiten einnahm. Als sie sich an dem großen, lackierten Holztisch gegenüber saßen, erzählte sie: »Lilli-Ann hatte es nicht leicht im Leben. Sie ist in Paris geboren, ihre Mutter war ein Dienstmädchen und der Vater, na, ein hoher Herr, der nichts mit dem armen Wurm zu tun haben wollte. Sie hat mir mal erzählt, dass ihre Mutter wieder geheiratet hat, vor gut zehn Jahren. Damals war Lilli-Ann noch nicht erwachsen. Sie musste allein in einem Haushalt arbeiten und der Hausherr... Na ja, er hat sich wohl an ihr vergangen. Ein schlimmer Schock für so ein junges Mädchen, das kön­nen Sie sich vielleicht vorstellen.«

»Sicher, ich war früher Polizist. Nichts Menschliches ist mir fremd«, erwiderte Pearse ernst.

»Tja, wie dem auch sei. Ich glaube, wenn Lilli-Ann tatsächlich schuldig ist, wenn sie diese Diebstähle begangen hat und auf der

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Flucht ist, das arme Ding, dann gibt es nur einen Menschen, an den sie sich noch wenden kann: Ihre Mutter.«

»Aber wenn die sie im Stich gelassen hat...« »Lady Holloway, die Dame, die ihr seinerzeit half, wieder auf die

Füße zu kommen, ist verstorben. Und ich glaube nicht, dass sie einen jungen Mann hat. Davon wollte sie nichts mehr wissen seit der Sache in dem Haushalt in Paris, Sie verstehen?«

Pearse nickte langsam, seine Miene war nachdenklich. »Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie dann nach Paris reisen. Das wäre die einzig logische Reaktion.«

Mrs. Chapman stimmte zu. Sie legte ihre abgearbeitete Hand auf den Arm des jungen Mannes und bat: »Seien Sie nicht zu streng mit ihr. Ich kenne Ihren Arbeitgeber nicht, Mr. Pearse, deshalb bitte ich Sie darum. Das arme Ding hat viel mitgemacht in seinem jungen Le­ben. Ganz sicher ist Lilli-Ann nicht schlecht. Wenn sie etwas Falsches getan hat, dann gibt es dafür wohl einen Grund.«

Anthony lächelte der Köchin angedeutet zu. »Der Meinung bin ich auch, Mrs. Chapman. Und ich glaube, mein Chef denkt ebenso. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«

Nachdem Pearse das Haus von Lord Southwood verlassen hatte, suchte er noch einige stadtbekannte Hehler auf und erkundigte sich nach hastig unter Preis verkauften Pretiosen. Bei einem alten Chinesen in Soho wurde er fündig. Der Mann überließ ihm das kostbare Sma­ragdcollier allerdings nur unter Protest und nach einer kräftigen Dro­hung mit der Polizei. Mit allerlei Ergebnissen kehrte der junge Mann am frühen Abend ins Haus von Sir Cyrus zurück. Dieser war allerdings nicht zu Hause, was Pearse die Gelegenheit verschaffte, mal wieder in aller Ruhe und ohne unvorhergesehene Unterbrechungen sein Diner einzunehmen.

»Sie haben sich mal wieder selbst übertroffen, Mrs. Halton«, lobte er und trank einen kräftigen Schluck dunkles Bier, als die Haustür klappte.

Die Haushälterin deutete nach oben. »Sie sollten lieber gehen, er hat schon heute Nachmittag nach Ihnen gefragt.«

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Sir Cyrus hielt sich in seinem Schlafzimmer auf, wo er mit Packen beschäftigt war. Als er seinem Assistenten wortlos eine Passage nach Paris aushändigte, war dieser einen Moment lang völlig perplex. »Aber wie...« Der Detektiv warf ihm einen knappen Blick zu und erklärte: »Miss Baxter ist in Paris geboren. Dort hat sie ihren größten Coup ge­landet. Und ich verwette meine Pfeife, dass sie dorthin zurückkehrt, um sich den schwarzen Diamanten noch einmal anzueignen.« Er ver­zog spöttisch den Mund. »Aber dieses Mal werden wir sie in der Bot­schaft empfangen.«

»Ich fasse es nicht. Wozu rede ich denn stundenlang mit dem Per­sonal von Lord Southwood, wenn Sie auch so auf alles kommen?«

»Nicht auf alles, mein Guter. Haben Sie einen Hehler aufgetan, der meine These untermauert?« Er ließ die Schlösser seiner Reiseta­sche zuschnappen, Pearse zog das Smaragdcollier aus der Tasche. »Aha!« Sir Cyrus lachte hart auf. »Wir haben sie schon fast. Und die­ses Mal wird sie mir nicht wieder entkommen.«

»Mrs. Chapman hat angedeutet, dass Miss Baxter in ihrer Jugend­zeit missbraucht wurde«, erzählte der junge Ire seinem Chef, während sie mit einer Mietkutsche zur Victoria-Station fuhren. »Sie sagte, dass sie schwer daran zu tragen habe, auch heute noch.«

Sir Cyrus schien in tiefe Gedanken versunken, er reagierte nicht auf die Worte seines Assistenten, schien sie nicht einmal bewusst ge­hört zu haben. Kurz bevor sie allerdings ihr Ziel erreichten, sagte er unvermittelt: »Ich habe befürchtet, dass mein Herz in diesem Fall vor dem Verstand die Führung übernommen und mich parteiisch gemacht hat. Doch nun scheint es so, als hätten wir in Miss Lilli-Ann weniger eine raffinierte Kriminelle vor uns, denn ein Opfer, das tatsächlich nach Hilfe schreit.«

»Und... werden Sie ihr helfen?« Der Detektiv lächelte geheim­nisvoll. »Wenn ich kann...«

*

Miss Lilli-Ann wanderte unruhig in dem kleinen Raum auf und ab. Im­mer wieder blieb sie stehen, starrte hinaus auf die düstere, schmale

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Gasse. Niemand wusste in diesem schäbigen Viertel etwas vom Glanz der französischen Hauptstadt. Hier, in einem vergessenen Teil des Cartiers Montmartre fühlte sie sich zumindest fürs erste sicher. Ihre Flucht aus London war kopflos gewesen. Und sie hatte diese bereits bereut, als sie im Zug nach Dover gesessen hatte. Doch da war es zu spät gewesen.

Im Nachhinein wünschte Lilli-Ann sich, nicht weggelaufen zu sein. In der Nähe von Sir Cyrus hatte ihre geschundene Seele zum alle­rersten Mal etwas wie die Ahnung von Frieden gespürt. Es war nur ein Anflug dieses Gefühls gewesen und doch hätte sie alles dafür gege­ben, bleiben zu können. Dieser außergewöhnliche Mann hätte ihr hel­fen können, das hatte sie ganz instinktiv gespürt. Aber es war ja un­möglich gewesen. Zwischen seiner Hilfe und ihr standen ihre Taten, standen Gefängnis, Schmach und Schande.

Die junge Frau stöhnte gequält auf. Nein, es gab keinen anderen Weg als den, den sie eingeschlagen hatte, als sie das erste Schmuck­stück gestohlen hatte. Sie musste diesen bitteren Weg bis zum Ende gehen. Aber sie fürchtete sich davor, fürchtete, dass dieses schäbige Zimmer das Ende sein könnte...

Ihr Blick fiel auf die dunkle Kleidung, die auf dem Bett bereit lag. Lilli-Ann war nach Paris zurückgekehrt, um sich den schwarzen Dia­manten, den Stern von Rajastan, wiederzuholen. Sie wusste, dass ihr Plan an Wahnsinn grenzte. Und sie ahnte, dass Sir Cyrus ihre Schritte nachvollziehen und ihr folgen würde. Vielleicht wünschte sie sich dies sogar im Innersten. Auch wenn die Angst, die sie antrieb, ihr bestän­dig das Bild von Gefängnis, Elend und Tod vorhielt. Doch die vage Hoffnung, dass dieser Mann, von dem sie eigentlich nichts mehr er­warten durfte, ihr trotz allem und wider alle Vernunft helfen würde, trieb sie an, sich noch einmal in Gefahr zu begeben. Geschickt schlüpf­te sie in die schmalen Hosen und das dunkle Wams. Wenig später ver­ließ sie das kleine, schäbige Hotel und machte sich auf den Weg zur indischen Botschaft. Das Herz pochte ihr im Hals, die Aufregung ließ sie fast ohnmächtig werden. Und dieses Mal war es anders als sonst. Sie wünschte sich nur, es wäre bereits alles vorbei...

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Währenddessen bereitete Sir Cyrus sich in der indischen Botschaft darauf vor, Miss Lilli-Ann zu fassen. Er hatte sich durch Sir James von Scotland Yard alle nötigen Türen öffnen lassen und präparierte nun eine Falle, die einfach zuschnappen musste. Der Detektiv war es sich selbst schuldig, die Meisterdiebin von Paris wieder dingfest zu machen, nachdem sie ihm durch eigene Nachsicht entflohen war.

Anthony Pearse hatte sich auf dem Grundstück der Botschaft, na­he dem Hintereingang postiert, durch den Lilli-Ann schon einmal heim­lich in das Gebäude eingedrungen war. Der junge Mann kämpfte noch immer mit seinen zwiespältigen Gefühlen. Auf der einen Seite wusste er natürlich, dass sie die Gesuchte dingfest machen mussten, schon um sie vor sich selbst und ihren unkontrollierten Handlungsweisen zu schützen. Doch zugleich fürchtete er, dass Lilli-Ann für eine lange Zeit ins Gefängnis wandern könnte. Und dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht, dachte er an das, was Mrs. Chapman ihm erzählt hatte...

Auch Sir Cyrus war nicht frei von Skrupeln. Während er sich im Schlafzimmer der Gattin des Botschafters verbarg, kehrte kurz die Er­innerung an das gemeinsame Abendessen mit Lilli-Ann in seinem Haus zurück. Er musste wieder daran denken, wie gelöst, beinahe heiter sie gewesen war. Und er erinnerte sich auch daran, dass er überzeugt gewesen war, ihr helfen zu können. Doch ihre Flucht schien diese vage Hoffnung zerstört zu haben...

Die Zeit verrann zähflüssig, Minuten wurden zu Stunden. Gegen halb vier in der Nacht war Sir Cyrus überzeugt, sich geirrt zu haben. Sicher würde der Botschafter, der diese Nacht in einem Hotel verbrin­gen musste, nicht sehr erfreut sein, wenn er von der Erfolglosigkeit der Aktion erfuhr. Dabei war der Detektiv so sicher gewesen...

Er trat aus seinem Versteck hinter den Portieren und warf im Licht des zunehmenden Mondes einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr. Es war sehr spät, das Beste würde sein, sie brachen diesen Versuch ab. Als er das Zimmer verlassen wollte, nahm Sir Cyrus allerdings aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Und zwar nicht im Raum, sondern unten im Garten. Er trat rasch hinter die Balkontüre und blick­te nach draußen. Eine Weile tat sich nichts, doch dann sah er einen huschenden Schatten, der sich behände dem Haus näherte. Ein erreg­

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tes Funkeln trat in seine Augen und er murmelte: »Also doch... Passen Sie jetzt gut auf, Pearse...« Hastig nahm er wieder seinen Posten ein und verhielt sich vollkommen ruhig. Es dauerte lange, bis leise Geräu­sche darauf hinwiesen, dass der heimliche Besucher im Haus war. Sir Cyrus bewunderte das Geschick und die Vorsicht, mit der Lilli-Ann vor­ging. Sie war tatsächlich eine Meisterin ihres Faches. Endlich wurde die Türklinke behutsam nach unten gedrückt. Durch einen schmalen Spalt zwischen den Portieren erkannte der Detektiv die dunkle Gestalt, die nun den Raum betrat. Beinahe lautlos und doch zielsicher ging sie auf die Kommode zu, in der sich der schwarze Diamant nun wieder be­fand. Sie streckte die Hand nach dem Griff der obersten Schublade aus - und erstarrte.

Etwas war anders als beim ersten Mal. Lilli-Ann konnte nicht sa­gen, was es war, doch sie spürte es überdeutlich. All ihre Sinne waren geschärft, ihre Nerven bis zum Äußersten gespannt. Und sie nahm unterbewusst die Anwesenheit eines anderen Menschen wahr. Sie ahnte, wer dies war, doch wieder war es die Angst, die ihr Verhalten bestimmte. Ohne nachzudenken machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte wieder aus dem Zimmer. Sir Cyrus schluckte einen Fluch her­unter, während er seine Deckung verließ und ihr eiligst folgte. Auf der Freitreppe rief er: »Bleiben Sie stehen, Miss Baxter! Das hat doch wirk­lich keinen Sinn...«

Sie reagierte nicht auf seine Worte, schlüpfte durch eine schmale Tür und war im nächsten Moment verschwunden. Sir Cyrus rannte hinter ihr her, er hatte sich mit dem Plan des Hauses vertraut gemacht und wusste, dass sie durch den Keller zurück in den Garten gelangen wollte. Nun konnte er nur noch hoffen, dass Pearse aufmerksamer reagierte, als er es eben getan hatte...

Als er gleich darauf das Haus verließ, rannte er seinem Assistenten in die Arme, der ihn ebenso überrascht wie verständnislos an sah und wissen wollte: »Wo ist sie?«

Sir Cyrus fluchte saftig. »Ich begreife nicht, wie sie uns entkom­men konnte. Schon wieder! Kommen Sie, rasch!« Sein Ziel war die Polizeipräfektur ganz in der Nähe. Sir James hatte die französischen Kollegen in Kenntnis gesetzt und der Detektiv würde hier alle nötige

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Unterstützung finden. Nun ärgerte er sich darüber, dass er die Bot­schaft nicht hatte umstellen lassen. Die neuerliche Niederlage zehrte an seinem Selbstbewusstsein.

»Wir werden alle Bahnhöfe überprüfen«, entschied der Polizeichef wenig später, recht ungehalten ob der späten Stunde und dem Um­stand, dass er von dem englischen Detektiv aus dem Bett geholt wor­den war. »Wenn sie versucht, Paris zu verlassen, wird sie uns ins Netz gehen.«

Diese Einschätzung sollte sich allerdings im Laufe der Nacht als zu optimistisch erweisen. Kurz nach sechs Uhr erhielt der Polizeichef eine Meldung, die ihn alles andere als fröhlich stimmte. Mit zerknirschter Miene ließ er Sir Cyrus wissen: »Die gesuchte Person hat die Stadt bereits verlassen. Ich weiß nicht, wie es ihr gelungen ist, doch leider scheint unser Überwachungsnetz Lücken gehabt zu haben. Ein Bahn­bediensteter hat ihr noch in der Nacht eine Fahrkarte verkauft.«

»Wie konnte denn das passieren?«, regte Pearse sich auf. »Sie hatten schließlich genug Zeit, um...«

Sir Cyrus winkte ab. »Geschenkt. Wissen Sie wenigstens, wohin sie wollte?«

Der Polizeichef nickte. »Vermutlich nach Izmir. Sie hat eine Karte für den Orientexpress gelöst.«

*

»Was mag sie dort wollen? Hat ihre Flucht in den Orient denn über­haupt noch irgendeinen Sinn?«, sinnierte Anthony Pearse, als er am späten Vormittag mit seinem Chef einen Zug in die gleiche Richtung bestieg. »Was halten Sie davon, Sir Cyrus?«

Der Angesprochene deutete auf eine kleinere Überschrift auf der Titelseite der aktuellen Times. ›Sultan von Izmir öffnet seine Schatz­truhe‹, stand dort zu lesen.

»Das ist die größte Ausstellung von Schmuck und Edelsteinen, die die Welt je gesehen hat«, wusste der Detektiv. »Die wird sie sich nicht entgehen lassen.«

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Der junge Ire nickte langsam, seine Miene drückte Enttäuschung aus. »Ich weiß, es klingt naiv, aber ich hatte gehofft, dass sie nun endlich zur Vernunft kommen und sich stellen würde.«

Sir Cyrus lächelte angedeutet. »Die gleiche Hoffnung hatte auch ich. Doch ich fürchte, so einfach wird es nicht werden.«

»Sie denken, sie führt uns an der Nase herum?« »Was sie tut, ist schwer nachzuvollziehen. Nachdem Sie mir er­

zählt hatten, was diese Köchin wusste, glaubte ich, sie verstehen zu können. Sie bat mich schließlich um Hilfe, ganz direkt. Ich glaube aber, sie fürchtet sich zugleich vor dieser Hilfe, läuft lieber weg, anstatt sich dem zu stellen, was sie so offensichtlich noch immer quält und dazu bringt, Dinge zu tun, die in den totalen Untergang für sie führen.«

»Selbstzerstörung?« »Nicht genau. Ich vermute, dass sie durchaus leben will, sich so­

gar nach Normalität, nach Glück sehnt. Aber das, was sie erlebt hat, was ihr angetan wurde, ist einfach stärker. Es macht ihr das Leben zur Hölle und verhindert, dass sie sich von der Vergangenheit lösen und neu anfangen kann.«

»Und wie ist ihr da zu helfen? Ich meine...« Der Detektiv seufzte leise. »Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ha­

ben Sie davon gehört, dass einige Mediziner in der Schweiz und in Frankreich von einem Zusammenhang zwischen seelischen Leiden und körperlichen Krankheiten sprechen. Möglich, dass es in unserem Fall ähnlich ist. Miss Baxters Seele wurde verletzt und sie reagiert nun viel­leicht auf ihre Weise, indem sie stiehlt, sich selbst in Gefahr begibt, aber auch eine etwas verquere Rache an ihrem früheren Peiniger nimmt...«

»Das ist eine gewagte Theorie«, urteilte der junge Mann. »Sicher. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass sie auch falsch

sein kann«, gestand Sir Cyrus. »Doch ich werde einfach den Eindruck nicht los, dass wir es hier nicht nur mit einer einfachen Einbrecherin zu tun haben.«

»Wie wollen Sie in Izmir vorgehen? Gewiss wird es nicht leicht werden, sie dort zu finden.«

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»Der Polizeipräfekt hat einige Spitzel dort unten sitzen. Einer wird uns kontaktieren, sobald wir ankommen. Ich hoffe sehr, dass er uns weiterhelfen kann.« Er blickte versunken vor sich hin. »Es ist Jahre her, seit ich im Orient war...«

Die Fahrt zog sich dahin, ging über die Schweiz und Italien bis ins türkische Reich. Am Bosporus herrschte schlechtes Wetter, Stürme und beinahe tropischer Regen hinderten die beiden unterschiedlichen Männer zwei Tage lang an der Weiterfahrt. Als sie ihr Ziel schließlich erreichten, war die große Ausstellung mit kostbaren Edelsteinen und atemberaubenden Pretiosen bereits eröffnet worden. Sir Cyrus mietete zwei Zimmer im Hotel Imperial, der ersten Adresse am Platze. Da der Kontaktmann sich nicht bei ihnen meldete, suchte er den englischen Botschafter auf und schilderte ihm offen seine Situation. Dieser gab sich sehr freundlich - er war ein persönlicher Freund von Sir Richard, dem Bruder des Detektivs - und versprach, sich umzuhören.

Am dritten Tag ihres Aufenthaltes in Izmir erschien dann ein un­tersetzter, wenig vertrauenerweckender Mann mit Ziegenbärtchen und einem Tropenhut im Hotel und stellte sich als Atama Suleiman vor. »Sie suchen eine junge englische Lady, nicht wahr?«, fragte er mit einer Mischung aus öliger Neugierde und Unterwürfigkeit, die weder Sir Cyrus noch Pearse schmecken wollte. Allerdings war dieser Sulei­man ihre einzige Verbindung zum Leben in einer ihnen völlig fremden Stadt, weshalb ihnen nichts weiter übrig blieb, als sein Verhalten ein­fach hinzunehmen.

»Können Sie uns einen Tipp geben?«, fragte Pearse und knisterte dabei mit einem Geldschein.

Der Türke bekam gierige Augen. »Gewiss. Ich kann Ihnen sogar ganz genau sagen, wo die englische Miss sich aufhält...«

»Sie werden bezahlt, wenn wir Miss Baxter haben«, entschied Sir Cyrus hart. »Und sollten Sie versuchen, uns aufs Kreuz zu legen...«

»Aber nein, nie und nimmer!«, versicherte der untersetzte Mann daraufhin sofort unterwürfig. »Ich führe Sie selbstverständlich ohne Bezahlung zu ihr. Sie sind Gast in meinem Land und ich respektiere die Gastfreundschaft.«

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Der englische Detektiv lächelte spöttisch. »Ja, das glaube ich Ih­nen aufs Wort. Wo hält sich Miss Baxter auf?«

»In der Medina - der Altstadt -gibt es einen Kaufmann mit Namen Eregi. Er hat einen kleinen Laden, aber davon lebt er nicht. Wissen Sie, er handelt mit Schmuck. Vor ein paar Tagen ist eine junge Lady zu ihm in den Laden gekommen. Ich glaube, Sie hatte etwas zu verkaufen. Und bis jetzt ist sie nicht wieder aufgetaucht. Machen Sie sich Ihren ei­genen Reim darauf...«

Sir Cyrus verlor an Farbe. »Wollen Sie sagen, er hat ihr etwas an­getan?«

»Nun, Eregi ist kein Mörder, er ist Geschäftsmann. Ich vermute, er hält Miss Baxter fest, um sich auf diese Weise einen geschäftlichen Vorteil zu verschaffen, wenn Sie verstehen, was ich meine...«

Pearse warf ein: »Wir sollten Polizei mitnehmen, wenn wir den La­den stürmen.«

»Oh, nein, nein, das ist keine gute Idee«, versicherte ihr Berater daraufhin. »Sehen Sie, Eregi hat natürlich seine Leute. Und wenn er einen Tipp bekommt, was ziemlich sicher ist, werden Sie Miss Baxter ganz gewiss nicht finden.«

»Also, was schlagen Sie vor?« Sir Cyrus wurde allmählich unge­duldig. »Wie sollen wir uns verhalten?«

»Nun, das beste wäre, Sie gehen nur zu zweit. Ich könnte Sie be­gleiten, aber Eregi wird nicht mit mir reden. Und wenn bekannt wird, dass ich als Spitzel arbeite, ist mein Leben nicht mehr viel wert, Sie verstehen?«

Pearse verzog verächtlich den Mund, während sein Chef vor­schlug: »Führen Sie uns zu Eregis Laden. Alles andere tun wir.«

»Eine weise Entscheidung!«, freute der Türke sich. Wenig später verließen sie zu dritt das Hotel. Suleiman nahm eine

Menge Umwege und Schleichpfade, er näherte sich der Medina wie ein Spurenleser einem scheuen Wild. Obwohl Pearse versuchte, sich die engen Straßen und Gassen zu merken, wurde ihm doch rasch bewusst, dass er völlig die Orientierung verloren hatte. Und er wunderte sich sehr, als sie fast unvermittelt ein Minarett vor sich aufragen sahen, das nicht sehr weit von ihrem Hotel entfernt war.

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»Sie haben uns in die Irre geführt«, beschwerte er sich bei dem Türken, der aber beschwichtigend die Hände hob und versicherte: »Ich habe nur sichergestellt, dass uns niemand folgt. Wenn Sie diese Gasse hier weitergehen, kommen Sie nach wenigen Minuten zurück auf die Hauptstraße, die zum Hotel führt.«

»Wo ist der Laden?«, fragte Sir Cyrus ungeduldig. Er wurde den Eindruck nicht los, dass Miss Lilli-Ann dringend ihre Hilfe benötigte und wollte keine weitere Zeit verschwenden.

»Dort vorne.« Suleiman wies auf ein schmales hohes Haus, hinter dessen kleinen Fenstern sich Waren stapelten. Ein verwittertes Schild zeigte einen Namen, den niemand mehr lesen konnte.

»Ich warte im Hotel auf Sie«, schlug der Kontaktmann vor. »Viel Glück!« Weg war er.

Pearse schüttelte verächtlich den Kopf und stellte fest: »So ein Feigling. Der würde wohl seine eigene Großmutter verkaufen, wenn das Geschäft einträglich und ohne Risiko für ihn ist.«

»Aber er hat uns hierher geführt, das ist die Hauptsache«, er­innerte Sir Cyrus seinen Begleiter. Er griff in seine Rocktasche und zückte einen Armeerevolver. »Ich hoffe, wir brauchen ihn nicht. Doch ich werde dieses Haus nicht ohne Miss Baxter wieder verlassen«, un­terstrich er entschieden.

Pearse langte nach seinem handlichen Schlagstock und ließ ihn hinter dem Rücken in der hohlen Hand baumeln. So betraten sie den kleinen Laden. Der Raum war niedrig und so sehr mit Waren aller Art voll gestopft, dass kein Tageslicht nach drinnen drang. Nur eine orien­talische Glaslampe hing unter der Decke, doch sie war völlig verrußt und gab kaum Licht. Ein seltsames Gemisch aus allerlei Gerüchen lag in der abgestandenen Luft; fremdländische Gewürze, Räucherwerk und Pflanzenteile, die zu medizinischen Zwecken verwendet wurden, ro­chen teils sehr süßlich, teils streng oder muffig. Bunte Stoffballen, Gebrauchsgegenstände aus Kupfer und Messing, geflochtene Obstkör­be und Unmengen von Krimskrams füllten den Raum. Im hinteren Teil stand ein niedriger Verkaufstisch mit einer schmierigen Glasplatte. Darunter funkelte matt kostbarer Schmuck, wie man ihn hier gewiss

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nicht vermutet hätte. Pearse warf seinem Brotherren einen irritierten Blick zu. »Für einen Hehler sehr unvorsichtig, nicht wahr?«

Sir Cyrus nickte. »Vermutlich verirrt sich selten ein Fremder hier­her. Und was die Behörden angeht...«

»Diese sind nur als freundlich zu bezeichnen«, sagte eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. Ein kleiner, alter Mann trat nun hinter den Verkaufstisch. Seine Miene war unbeweglich, ein ge­schäftsmäßiges Lächeln klebte darin wie eine tote Fliege. Sein Gesicht war schmal und von ungezählten Falten durchzogen. Er trug einen roten Fez, ein besticktes Hemd und weite Hosen, was ihn aussehen ließ wie eine Touristenattraktion.

»Vielleicht irren Sie sich ja, Mr. Eregi«, warf Sir Cyrus mit scharfer Stimme ein. »Zumindest in diesem Fall. Menschenraub ist auch in die­sem Land ein ernst zu nehmendes Verbrechen.«

Der Muselmane blieb ruhig, mit keinem Wimpernschlag verriet er, ob die Worte seines Besuchers ihn berührt hatten. Freundlich erwider­te er: »Wie mir scheint, sind Sie auf der Suche nach etwas Beson­derem, Gentlemen. Und wie der Zufall so spielt, kann ich es Ihnen anbieten. Selbstverständlich nur zu einem angemessenen Preis.«

»Und wenn wir nicht gewillt sind, zu zahlen?« Sir Cyrus behielt sein Gegenüber streng im Auge. »Was dann?«

»Oh, ich glaube nicht, dass Sie so töricht sein werden. Denn se­hen Sie, ich bin ein ehrenwerter Geschäftsmann, der nichts zu ver­schenken hat. Ich muss meinen Lebensunterhalt erwirtschaften. Und ich bin sicher, dass die englischen Gentlemen dafür Verständnis ha­ben.« Bei den letzten Worten hatte er die Stimme leicht gehoben. Sir Cyrus ahnte, was dies zu bedeuten hatte, noch ehe die beiden breit­schultrigen Schläger erschienen, um ihnen den Rückzug zu verwehren.

Mit einer gedankenschnellen Bewegung zog er seinen Revolver und griff den alten Mann am Kragen. Dieser gab einen erschrockenen Laut von sich, ehe er den Engländer mit einem wahren Schwall von türkischen Schimpfwörtern überhäufte. Sir Cyrus kümmerte sich nicht darum, er forderte: »Pfeifen Sie Ihre Hunde zurück und geben Sie Miss Baxter heraus, dann werde ich es erwägen, Ihnen nichts zu tun!«

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Der Türke zögerte kurz, sein Stolz rang sichtlich mit seinem Verstand. Schließlich gab er den beiden Schlägern eine kurze An­weisung und knirschte dann: »Das werden Sie noch bereuen, Sir.«

»Aus welchem Grund haben Sie Miss Baxter gefangen gehalten?« »Es ging um ein Geschäft. Sie hat mir kostbaren Schmuck ver­

sprochen, sich einen Vorschuss erbeten und ist dann nicht mehr wie­dergekommen«, beschwerte der Hehler sich aufgebracht. »Das konnte ich mir schließlich nicht gefallen lassen!« Er verstummte, als Miss Lilli-Ann erschien. Ihr hübsches Gesicht war blass, man sah, dass sie ge­weint hatte. Das Haar hing ihr wirr um den Kopf, ihr Kleid war ver­schmutzt. Sir Cyrus musste dem Drang, diesem skrupellosen Hehler eine Lektion zu erteilen, gewaltsam widerstehen. Er fragte die junge Frau: »Sind Sie in Ordnung?«

Und als sie wortlos nickte, zogen sie den Rückzug an. Eregi schick­te ihnen noch eine Menge Flüche hinterher, seine Stimme brach sich in der engen Gasse zu unendlich vielen Echos. Sir Cyrus achtete nicht darauf. Nie zuvor war er so erleichtert gewesen wie in dem Moment, als Lilli-Ann unversehrt vor ihm gestanden hatte. Da war es ihm sogar einerlei gewesen, dass sie ihn bereits zweimal an der Nase herumge­führt hatte. Er ahnte, dass sein Herz für sie schlug. Und er wusste ab­solut nicht, was er davon halten sollte...

*

Die Sonne erhob sich langsam und majestätisch über dem tiefen Nachtblau des ägäischen Meeres, vertrieb den Dunst der Nacht und erfüllte bald die ganze Bucht mit einem warmen, goldenen Strahlen. Miss Lilli-Ann stand wie gebannt hinter dem Fenster ihres Hotelzim­mers und betrachtete die Schönheit, die dieser Sonnenaufgang ihr so freimütig schenkte. Sie hatte keinen Schlaf mehr finden können, war schließlich unruhig auf und ab gewandert, bis das wattige Grau der späten Nacht dem Zwielicht des kommenden Tages gewichen war. Die junge Frau war erfüllt von einem Zwiespalt, der ihr Innerstes aus der Mitte gerissen hatte und es verhinderte, dass sie zur Ruhe kam.

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Nachdem Sir Cyrus und Pearse sie am Vortag aus den Händen des verbrecherischen Hehlers gerettet hatten, war nicht viel zwischen ih­nen gesprochen worden. Und doch hatten die Blicke, mit denen der Detektiv sie immer wieder gestreift hatte, ihr mehr gesagt, als Worte das konnten. Lilli-Ann war auf Vorwürfe gefasst gewesen, auf eine kühle, sachliche Behandlung. Und vor allem auch darauf, umgehend den Behörden überstellt zu werden. Doch worauf war sie gestoßen? Sie wusste es nicht, ahnte es aber mit dem zitternden Hauch einer Hoffnung, die beinahe schon in ihr gestorben war.

Würde Sir Cyrus ihr noch einmal helfen? Diese Frage hatte sie fast die ganze Nacht wach gehalten. Konnte es denn möglich sein, dass er sie trotz allem noch nicht aufgegeben hatte, dass er bereit war, ihr noch einmal sein Vertrauen zu schenken, das sie doch bereits zweimal ganz schamlos missbraucht hatte?

Die Ungewissheit und Anspannung trieben Lilli-Ann schließlich nach draußen. Sir Cyrus hatte ihr zugesichert, dass sie sich innerhalb des Hotels frei bewegen konnte. Sie war fest entschlossen, diesen neuerlichen Vertrauensbeweis nicht auszunutzen. Sie wollte nur ein wenig frische Luft schnappen, ihre Gedanken ordnen. Ehe sie das Ho­tel verließ, legte sie mit pochendem Herzen eine kleine Schachtel vor dem Zimmer des Detektivs ab.

Und dann lief sie, lange und ohne auf Ziel oder Richtung zu ach­ten, durch die Stadt. Es war warm, die Sonne hatte hier auch im Herbst noch eine erstaunliche Kraft. Überall begegneten ihr fremdarti­ge Menschen. Verschleierte Frauen, Männer mit Fez und Krummdolch am Gürtel. Händler standen vor ihren winzigen Geschäften und boten lautstark ihre Waren feil. Lilli-Ann achtete auf nichts. Sie genoss einzig die Freiheit, hinzugehen, wohin sie wollte, denn sie ahnte, dass dieser Spaziergang auf absehbare Zeit der letzte für sie sein würde.

Irgendwann fand sie ein Taxi und ließ sich zurück zum Hotel fah­ren. Ihr Herz aber hatte Ruhe gefunden. Sie war gefasst und konnte Sir Cyrus nun entgegentreten.

Der Detektiv saß mit seinem Assistenten noch beim Frühstück, als die junge Frau erschien. Er erhob sich, begrüßte sie freundlich und lud

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sie dann ein, mit ihnen zu essen. Sie sagte nicht nein. Eine Weile spra­chen sie nur über Belangloses.

Schließlich fragte Sir Cyrus: »Das kleine ›Geschenk‹, das ich heute morgen vor meiner Zimmertür gefunden habe, es ist die gesamte Beu­te?« Er behielt sie streng im Auge und konnte kein Falsch entdecken, als sie versicherte: »Außer dem Smaragdcollier, das ich...« Sie ver­stummte erschrocken, als er den Schmuck vor sie auf den Tisch legte.

»Mr. Chung in Soho hat es nicht gerne herausgegeben«, warf Pearse mit einem schmalen Lächeln ein und erhob sich. »Ich werde mich jetzt um die Fahrkarten kümmern.«

Nachdem er gegangen war, fragte Miss Lilli-Ann den Detektiv ängstlich: »Und was wird nun werden? Sie liefern mich aus?«

Sir Cyrus ließ sich Zeit mit einer Antwort. Schließlich wollte er wis­sen: »Was denken Sie, werde ich tun?«

»Sie... können mich nicht schonen. Ich habe zu viele schlimme Dinge getan.« Sie senkte den Blick. »Und ich habe Sie enttäuscht, bin fortgelaufen. Das... verzeihe ich mir selbst nicht.« Impulsiv griff sie nach seiner Hand, hielt sie fest und bat: »Hassen Sie mich nicht für das, was ich getan habe, Sir Cyrus. Diesen Gedanken könnte ich nicht ertragen...«

Er beugte sich ein wenig vor, umfing ihre schmale Hand fester und versicherte: »Ich möchte Ihnen helfen, Lilli-Ann. Daran hat sich nichts geändert. Allerdings hätten Sie es uns leichter machen können, das wissen Sie...«

»Oh ja.« Sie errötete und senkte den Blick. »Was dieser Mann Ihnen einst angetan hat, dürfen Sie nun nicht

länger verschweigen«, fuhr er da zu ihrer Bestürzung fort. »Ich biete Ihnen meine Hilfe, meine Unterstützung. Doch Sie müssen ganz und gar offen und ehrlich sein. Nicht nur zu mir, auch zu sich selbst. Was Sie getan haben, war ein Hilferuf der eigenen Art. Vielleicht verstehen Sie selbst es nicht. Und es mag sein, dass auch ich nicht ganz begrei­fe, wie in diesem Fall die Zusammenhänge sind. Die Seele eines Men­schen ist ein weites Feld. Aber ich spüre, dass Sie Hilfe brauchen, Lilli-Ann. Und die können Ihnen weder Gefängnis noch Irrenhaus geben.«

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Während er gesprochen hatte, entspannte sie sich ein wenig. Und als sie nun zu ihm aufblickte, flog sogar ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht und machte es ungeheuer schön. Doch ihre Stimme klang noch immer traurig. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen glauben, Sir Cy­rus. Mein Herz sehnt sich nach Frieden. Aber ich fürchte, ich darf mir selbst nicht trauen. Ich weiß nicht, woher Sie mein Geheimnis kennen. Doch diese Sache, sie hat meine Seele verletzt, schwerer als ich bis­lang wusste. Und ich fürchte mich mehr davor, dies noch einmal anzu­rühren, als ich mich vor dem Tod fürchte.«

»So dürfen Sie nicht sprechen«, mahnte er sie eindringlich. »Ich will Sie beschützen, Lilli-Ann. Auch vor sich selbst. Erlauben Sie es mir. Haben Sie noch einmal den Mut, der Ihr Herz erfüllte, als Sie den Stern von Rajastan stahlen. Strecken Sie dem Leben die Hand hin. Sie wer­den es nicht bereuen!«

»Aber wie...« »Wir reisen heute Abend mit dem Orientexpress zurück nach Pa­

ris. Ich werde die vollständige Beute der Securité Nationale überge­ben, die dafür sorgen kann, dass alle Stücke wieder ihren rechtmäßi­gen Eigentümern zurückgegeben werden. Ich will versuchen, eine Am­nestie für Sie zu erlangen. Sollte mir das nicht gelingen, müssen Sie Frankreich in Zukunft meiden.« Er schaute ihr fest in die Augen, bevor er ernst fortfuhr: »Ich biete Ihnen an, hier zu bleiben und auf meine Rückkehr zu warten. Ich werde die volle Verantwortung übernehmen, das heißt, nicht nur den Strafbehörden gegenüber, sondern auch vor meinem Gewissen. Und nicht zuletzt vor Pearse, der mich kaum ver­stehen oder unterstützen wird. Doch ich tue es. Wenn Sie mir schwö­ren, dieses Mal zu bleiben.«

Sie erwiderte seinen Blick mit wild klopfendem Herzen, flüsterte: »Warum wollen Sie das tun? Ich habe Sie doch nur enttäuscht. Und ich bin ein so unglücklicher Mensch...«

»Weil ich Sie liebe, Lilli-Ann«, erwiderte er schlicht. »Spüren Sie es nicht?«

»Oh doch.« Sie senkte befangen die Lider. »Ich habe es nicht ein­mal zu hoffen gewagt, aber wenn Sie es jetzt aussprechen...«

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»Sie sind ein ganz besonderer Mensch, Lilli-Ann. Ich möchte, dass Sie erfahren, wie schön das Leben sein kann. Sie sollen wieder lachen können und frei sein.«

»Das werde ich nie.« Ein warmes Strahlen lag in ihren Augen, als sie murmelte: »Und jetzt möchte ich es auch gar nicht mehr.«

*

Entgegen aller Befürchtungen zeigten sich sowohl Anthony Pearse als auch Francois Delarge von der Securité Nationale verständnisvoll. Wie es schien, war der Franzose überaus erleichtert, die für ihn peinliche Serie von ungeklärten Diebstählen endlich zu den Akten legen zu kön­nen.

»Sie wissen wohl, Monsieur, dass es überaus ungewöhnlich ist, den Dieb laufen zu lassen, nur unter der Zusicherung, dass es keine Diebstähle mehr geben wird. Und ich bin mir durchaus nicht im klaren darüber, wie der Innenminister oder Scotland Yard darauf reagieren werden. Da sind noch einige Personen, deren Urteil in diesem Fall ge­fragt ist.«

»Dessen bin ich mir voll bewusst«, versicherte der Engländer lie­benswürdig. »Allerdings ist dieser Fall auch anders als alle anderen. Miss Baxter steht unter meinem Schutz, meiner Obhut. Sie hat noch einen langen Weg zur Normalität vor sich. Und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Gentleman, dass dieser Weg nie mehr auf verbotene Pfade führen wird.«

Damit zeigte Delarge sich zufrieden. Und als Sir Cyrus wenige Ta­ge später wieder gen Izmir aufbrach, fiel der Abschied von seinem Assistenten ungewohnt herzlich aus. Pearse fuhr zurück nach London, wo er auf seinen Chef warten wollte.

»Sie sollten allerdings nicht mit meiner baldigen Rückkehr rech­nen«, unterstrich der Detektiv. »Es kann lange dauern, bis ich Zugang zu Lilli-Anns Seele erhalte. Wenn überhaupt.«

»Nun, ich denke, ihr Herz gehört Ihnen bereits. Da wird der nächste Schritt vielleicht nicht so schwer, wie Sie glauben.«

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»Pearse, Sie waren mir stets ein treuer Freund und Weggefährte, das werde ich nie vergessen. Sobald ich nach London zurückkehren kann, möchte ich Sie wieder an meiner Seite wissen, wenn es auf Ver­brecherjagd geht. Bis dahin achten Sie mir gut auf das Haus und Mrs. Halton.«

Der junge Ire versprach es. Und bevor er den Zug nach London bestieg, tauschte er einen herzlichen Händedruck mit Sir Cyrus. Dieser fuhr mit unruhigem Herzen gen Izmir. Er wusste im tiefsten Innern, dass er Lilli-Ann vertrauen konnte. Doch er hatte nicht bedacht, dass die Frau seines Herzens in der Fremde durchaus auch von äußeren Gefahren bedroht war. Als er seinen Fuß wieder über die Schwelle des Hotel Imperial in Izmir setzte, war das ein wenig wie Heimkommen. Der Portier begrüßte den englischen Gentleman freundlich und erwi­derte auf die Frage nach Miss Baxter: »Sie ist auf ihrem Zimmer. Ein Stubenmädchen sagte mir, dass sie sich seit gestern ein wenig unwohl fühle. Deshalb hat sie ihre Räumlichkeiten nicht verlassen und auch keine Mahlzeit eingenommen. Soll ich Sie vielleicht besser anmelden, Sir?«

Der Detektiv hörte nicht mehr auf. das, was der Empfangschef sagte. Er war bereits im Sturmschritt auf dem Weg zum Lift.. Ein un­gutes Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob es tatsächlich klug gewesen war, Lilli-Ann ganz allein in Izmir zurückzulassen, wenn auch nur für wenige Tage...

Der Fahrstuhl schien sich überhaupt nicht fortzubewegen, Sir Cy­rus war es zumute, als stehe er auf heißen Kohlen. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Die Zimmertür der jungen Frau war nicht ver­schlossen. Hastig trat er ein - und fand den Raum leer. Für ein paar Sekunden schien sich alles um ihn herum zu drehen, dann aber atmete der Detektiv tief durch und ging entschlossen auf die Suche nach Hin­weisen. Er konnte nicht glauben, dass Lilli-Ann ihn noch einmal verra­ten hatte. Nicht nach allem, was zwischen ihnen gesagt worden war. Das war schlicht unmöglich!

Es dauerte nicht lange, bis er fündig wurde. Auf dem verspielten Sekretär am Fenster lag ein schmales, in blauen Samt gebundenes Buch. Auf der ersten Blick wirkte es wie ein Tagebuch, doch die Worte,

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mit denen es begann, trafen Sir Cyrus mitten ins Herz: »Für den Men­schen, der mir mein Leben wieder geschenkt hat! In Liebe, Lilli-Ann.« Er überflog einige Seiten und begriff rasch, was er da in Händen hielt: Es war der größte Vertrauensbeweis, den er sich nur hätte wünschen können. Lilli-Ann hatte alle schlimmen Erinnerungen, alles, was ihr Herz und ihre Seele so zerschunden hatte, dass sie kaum noch sie selbst sein konnte, offen und minutiös aufgeschrieben. Sie hatte damit den großen Mut bewiesen, sich dem allen noch einmal zu stellen. Und sie hatte ihm zugleich gezeigt, dass sie ihm grenzenlos vertraute.

Der Detektiv atmete heftig, eine fast rauschhafte Freude überfiel ihn. Er spürte, dass seine Unsicherheit, seine Skrupel unbegründet gewesen waren. Er würde Lilli-Ann helfen können! Und er würde sie irgendwann wieder lachen sehen, dessen war er nun sicher. Doch wo war sie?

In diesem Moment wurde gegen die Zimmertür geklopft. Ein Page brachte einen Brief. Sir Cyrus öffnete ihn hastig, glaubte er doch an eine Nachricht der geliebten Frau. Doch die wenigen Worte, die in kra­keliger Schrift und schlechtem Englisch auf dem Blatt standen, ließen ihm buchstäblich die Haare zu Berge stehen. »Wollen Sie Miss Baxter lebend wieder sehen? Dann kommen Sie in meinen Laden. Und brin­gen Sie mit, was mir gehört. Eregi.«

Sir Cyrus starrte einige Sekunden lang fassungslos auf den Brief. Er hatte das Gefühl, als greife eine eiskalte Hand nach seinem Herzen. Und zugleich machte er sich selbst die größten Vorwürfe. Wie hatte er nur so sorglos sein können? Hätte ihm nicht bewusst sein müssen, dass Lilli-Ann hier in Izmir vielerlei Gefahren ausgesetzt war, deren sie sich allein nicht erwehren konnte? Er fluchte und zerriss den Brief mit einer heftigen Bewegung in tausend Fetzen. Dann verließ er mit schnellem Schritt den Raum. Nun galt es für Sir Cyrus nur, das Leben der geliebten Frau zu retten. Er wusste, dass er ohne sie keinen glück­lichen Tag, keine frohe Stunde mehr erleben würde. Sein scharfer Verstand arbeitete auf Hochtouren, während er das Hotel Imperial verließ, sich in eine Mietkutsche warf und zum Polizeichef eilte. Es galt für ihn, eine Höchstleistung an Geschick, Hinterlist und Wagemut zu vollbringen. Alles musste klappen, stimmig sein. Nur dann konnte er

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Lilli-Ann aus den Händen des skrupellosen Hehlers befreien. Und er war fest entschlossen, dies zu tun!

*

Eregi grinste kalt. Sein Bote hatte ihm eben die Nachricht überbracht, dass der englische Gentleman im Hotel Imperial angekommen war. Das bedeutete zugleich den Startschuss für seine Rache. Der kleine Türke hatte es bis jetzt nicht verwunden, dass Sir Cyrus ihn vor seinen Schlägern lächerlich gemacht hatte. Diese Scharte musste er unter allen Umständen auswetzen, wollte er auf Dauer nicht seine Autorität verlieren. Und das durfte nicht geschehen, denn dann war er erledigt. In seinen Kreisen galten eiserne Regeln. Wer nicht mehr die Zügel fest im Griff hatte, wurde gnadenlos vernichtet. Nun allerdings besaß er wieder einen Trumpf, der dieses Verlustgeschäft für ihn doch noch zu einem Gewinn machen sollte.

Eregi verließ den Laden und betrat wenig später einen dunklen muffigen Kellerraum. Hier saß Lilli-Ann, an ein Bett gefesselt und starr­te den Türken ängstlich an. Der lachte verächtlich. »Jetzt tut es dir wohl leid, dass du mich betrügen wolltest, was? Aber nun ist es zu spät. Dein Beschützer wird mich auszahlen. Und danach werdet ihr beide verschwinden.« Er lachte meckernd.

»Sir Cyrus ist aber nicht mehr im Besitz der Edelsteine«, versuchte sie zu erklären. »Er kann Ihnen nichts geben...«

»So? Nun, dann ist das eben Pech.« Er musterte sie abfällig. »Mich betrügt man nicht, diese Lektion werdet ihr beide lernen.«

»Aber er ist gar nicht mehr in Izmir«, gab sie zu bedenken. »Und ich glaube nicht, dass er sich noch einmal bemühen wird, mich zu ret­ten. Sie machen sich ganz falsche Vorstellungen und Hoffnungen...«

»Sei still!«, herrschte der Hehler sie grob an. »Ich weiß, was ich weiß. Du bist eine Diebin. Und denen schlägt man hier bei uns die Hände ab. Wenn dieser Engländer nicht in dich verliebt wäre, dann hätte er dich der Polizei ausgeliefert.« Er grinste verschlagen. »Und Liebe ist immer ein gutes Argument, wenn es ums Bezahlen geht...«

»Sie sind gemein und widerlich, ich...«

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»Seht!« Eregi lauschte angestrengt, dann verließ er rasch den Kel­ler und schloss die Tür wieder sorgfältig hinter sich ab. Lilli-Ann war allein, der Dunkelheit und ihren Ängsten preisgegeben. Sie versuchte, diese zu unterdrücken, doch es war sehr schwer. Nachdem zwei Män­ner sie am späten Abend aus dem Hotel entführt hatten, war sie wie im Schock gewesen. Sie hatte zuerst gar nicht begreifen können, was die Männer von ihr wollten. Endlich hatte sie gewagt zu hoffen, dass ihr Leben nun die richtige Richtung nahm, dass ihr wundes Herz Frie­den fand. Und nun umgab sie erneut nur wieder Dunkelheit, Einsam­keit und große Angst.

Als sie Eregi gegenüber gestanden hatte, war ihr allmählich klar geworden, was es bedeutete, von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Und dass sie vielleicht niemals wieder ein normales Leben führen konnte, weil überall ein Eregi auf sie wartete. Allein der Gedan­ke, dass Sir Cyrus hier auftauchen und sie noch einmal befreien konn­te, hatte es verhindert, dass sie völlig verzweifelte.

Aber dieses Mal war alles anders. Der Engländer stand allein ge­gen eine Übermacht. Und die Vorstellung, dass ihm ihretwegen etwas zustieß, ließ sie gepeinigt aufstöhnen. Während seiner Abwesenheit hatte sie ihr Herz in beide Hände genommen und sich zum ersten Mal im Leben den schrecklichen Erinnerungen gestellt, die auch heute noch dafür sorgten, dass sie am ganzen Leib zu zittern begann, Wein­krämpfe sie schüttelten und sie das Gefühl hatte, vor Angst, Zorn und Scham den Verstand zu verlieren. Es hatte sie sehr viel Willenskraft gekostet, sich nicht nur diesen schlimmen Erinnerungen zu stellen, sondern sie auch in Worte zu fassen und zu Papier zu bringen. Doch sie hatte es geschafft. Sir Cyrus zuliebe. Und sie war sehr stolz auf sich gewesen, hatte zugleich eine innere Befreiung verspürt, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Doch nun schien das alles müßig. Sie saß in diesem dunklen Loch, einem gewissenlosen Verbrecher ausgeliefert, der jederzeit nach Gutdünken mit ihr verfahren konnte. Und sie würde Sir Cyrus vielleicht nie wieder sehen...

Während Lilli-Ann verzweifelt und am Ende ihrer Kraft in dem dunklen Kellerloch saß, standen sich oben im Laden zwei unerbittliche Gegner gegenüber. Sir Cyrus hatte auf seinen Revolver verzichtet.

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Unbewaffnet stellte er sich Eregi, doch nicht unvorbereitet. Der kleine Türke grinste. Er glaubte bereits, der Sieger zu sein. Schließlich hielt er alle Trümpfe in der Hand. Und er drohte: »Ich will hoffen, dass Sie mitgebracht haben, was ich verlange. Andernfalls...«

Sir Cyrus lächelte schmal. »Sie bekommen, was Sie verdienen, E­regi, seien Sie dessen versichert. Und nun übergeben Sie mir Miss Bax­ter. Ich will in Ihrem Interesse hoffen, dass ihr nichts zugestoßen ist!«

Der Hehler lachte spöttisch. »Sie haben nichts zu verlangen. Ich bin hier derjenige, der die Forderungen stellt! Die Juwelen, die Miss Baxter mir schuldet!«

Da der Detektiv keine Anstalten machte, dem Verlangen seines Gegenüber nachzukommen, rief dieser nach seinen Schlägern. Aller­dings wunderte er sich sehr, als keine Reaktion erfolgte. Sir Cyrus ließ ihn gelassen wissen: »Ihre Männer sind bereits in Gewahrsam. Und es mag Sie zudem interessieren, dass die Polizei das Haus umstellt hat. Sie haben ausgespielt, Eregi. Geben Sie Miss Baxter heraus, bevor ich die Geduld verliere...«

Als dem Hehler bewusst wurde, dass er sich in einer ausweglosen Lage befand, zückte er mit einer schnellen Bewegung den Krumm­dolch, den er in einer silbernen Scheide an seinem Gürtel trug und ging ohne Vorwarnung auf Sir Cyrus los. Der Detektiv wich elastisch zurück, doch er war nicht schnell genug. Die schmale scharfe Klinge hinterließ einen langen Schnitt auf seiner Hand, der augenblicklich zu bluten begann. Eregi stieß einen triumphierenden Ruf aus und griff wie ein Berserker an. Mit einer Kraft und Geschwindigkeit, die man dem kleinen, alten Mann niemals zugetraut hätte, drang er auf den Englän­der ein, der selbst ohne Waffe war. Eine Weile konnte Sir Cyrus ihm ausweichen. Doch Eregi trieb ihn immer weiter in die Enge.

Endlich konnte Sir Cyrus einen gezielten Hieb anbringen, der sei­nen Gegner aufschreien ließ und dafür sorgte, dass der Krummdolch im hohen Bogen seiner Hand entglitt und polternd zu Boden fiel. Mit einigen eleganten Griffen aus dem reichen Fundus fernöstlicher Kampftechniken, die der Detektiv beherrschte, setzte er den Hehler endgültig schachmatt. Dann stürmte er nach hinten, durchsuchte ein Zimmer nach dem anderen und fand Lilli-Ann endlich in dem dunklen

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Kellerraum, als die Polizei oben bereits Eregi verhaftet hatte und alle gestohlenen Waren konfiszierte. Wie es schien, war dem gefährlichen Verbrecher endlich das Handwerk gelegt. Und der Polizeichef war er­leichtert, seine Männer nicht ›nur‹ zur Rettung einer Ausländerin ein­gesetzt zu haben, deren Schicksal ihn doch eigentlich gar nichts an­ging... Sir Cyrus löste derweil Lilli-Anns Fesseln und lächelte beglückt, als sie ihm um den Hals fiel und flüsterte: »Ich habe gefürchtet, du würdest nie mehr kommen. Und ich konnte den Gedanken nicht ertra­gen, dass dir meinetwegen etwas zustößt...«

»Nun ist ja alles gut.« Er hob sie auf den Arm und trug sie aus dem schmalen Haus, in dem Lilli-Ann bereits so viel Schlimmes hatte erfahren müssen. In rascher Fahrt ging es dann zum Hotel Imperial zurück. Sir Cyrus bestand darauf, einen Arzt zu konsultieren, der die junge Frau untersuchte. Er konnte den besorgten Mann aber beruhi­gen. »Sie hat nur einen Schock erlitten, körperlich fehlt ihr nichts. Ein paar Tage Ruhe und alles ist vergessen«, versicherte der Mediziner beruhigend. »Gehen Sie nur zu ihr, Sir, sie hat bereits nach Ihnen ge­fragt.«

Sir Cyrus bedankte sich und betrat gleich darauf Lilli-Anns Zimmer. Sie lächelte ihm schwach zu und streckte eine Hand nach ihm aus. Er zog sich einen Stuhl heran und nahm ihre Rechte behutsam in seine. Eine Weile schauten sie einander nur in die Augen, dann berichtete er von dem, was er in Frankreich erreicht hatte. Lilli-Ann konnte nicht verhindern, dass Tränen der Erleichterung und des Glücks aus ihren Augen strömten.

»Du musst dich ein paar Tage schonen, dann reisen wir zurück nach London«, ließ er sie schließlich wissen. »Pearse und Mrs. Halton warten bereits auf uns.«

»Auf... uns? Glaubst du denn wirklich...« »Ich werde dich nicht drängen, Lilli-Ann. Ich möchte nur für dich

da sein, dir helfen. Weißt du nicht mehr, was ich dir vor meiner Ab­reise sagte? Ich möchte dich glücklich sehen. Du sollst unbeschwert sein und von Herzen lachen können.«

Sie schaute ihn verwundert an. »Du hast dir viel vorgenommen.«

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»Für dich ist mir nichts zuviel. Und nun schlaf, du brauchst Ruhe, musst wieder zu Kräften kommen.« Er küsste behutsam ihre Stirn. »Und ich habe noch etwas zu lesen...«

Sie spürte, dass die Tränen schon wieder in ihr aufstiegen, doch dieses Mal waren es Tränen des Glücks. Mit bewegter Stimme murmel­te sie: »Ich danke dir, Cyrus, für alles.«

Er lächelte ihr liebevoll zu und dann wachte er über ihren Schlaf, der seit langer Zeit wieder ruhig und tief war. Ihr Herz hatte Frieden gefunden in seiner Liebe. Und Sir Cyrus wusste, es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Liebe die Erfüllung fand. Anthony Pearse hatte am Ende doch nicht recht behalten: Es gab die Frau, die das Herz des Meisterdetektivs bezwingen konnte. Und er wollte von diesem Tag an nie mehr von ihrer Seite weichen...

Ende

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