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Aus dem AO-Forschungsinstitut Davos Arbeit unter der Leitung von Jacques Cordey Die menschliche Tibia im Torsionsversuch Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde der gesamten Heilkunde vorgelegt der medizinischen Fakultät der Universität Basel von Rémy Grütter (Dipl. El. Ing. ETH) Seeberg BE

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Aus dem AO-Forschungsinstitut Davos

Arbeit unter der Leitung von Jacques Cordey

Die menschliche Tibia im Torsionsversuch

Inauguraldissertationzur Erlangung der Doktorwürde der gesamten Heilkunde vorgelegt der

medizinischen Fakultät der Universität Basel

von Rémy Grütter (Dipl. El. Ing. ETH) Seeberg BE

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Von der Medizinischen Fakultät der Universität Basel genehmigt auf Antrag vonProf. Dr. P. Regazzoni

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1. ZUSAMMENFASSUNG 5

2. EINLEITUNG 6

2.1 Problem 6

2.2 Bisherige Kenntnisse 62.2.1 Frakturmechanismus 62.2.2 Häufigkeit der Frakturen durch Torsionsbelastung 82.2.3 Mechanik der Tibia, Tests der mechanischen Resistenz 162.2.4 Morphologie der Tibia 172.2.5 Osteoporose 21

2.3 Fragestellungen 24

2.4 Ziele dieser Arbeit 24

2.5 Arbeitshypothese 24

2.6 Begriffe 25

3. MATERIAL UND METHODIK 26

3.1 Material 263.1.1 Die Knochen 263.1.2 Tomodensitometrie 263.1.3 Torsionsmaschine 27

3.2 Experimentelle Methoden 343.2.1 Vorbereitung der Knochen 343.2.2 Tomodensitometrie 343.2.3 Konventionelle Röntgenbilder 353.2.4 Mechanische Messungen 35

4. RESULTATE 42

4.1 Densitometrie 424.1.1 Knochendokumentation 424.1.2 high resolution Tomogramme 444.1.3 Wahl der Knochen 46

4.2 Mechanische Resultate 474.2.1 Frakturen 474.2.2 Torsionssteifigkeit 494.2.3 Torsionsfestigkeit 494.2.4 DMS Signale 51

5. DISKUSSION 53

5.1 Torsionsmaschine 535.1.1 Verbesserungsvorschläge 535.1.2 Aktuelle Maschine 53

5.2 Densitometrie 555.2.1 Patientenmessungen 555.2.2 Densitometrie und Osteoporose 56

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5.3 Mechanik 585.3.1 Zusammenhang Densitometrie - Mechanik 585.3.2 Mechanische Überlegungen 615.3.3 Torsionssteifigkeit 645.3.4 Festigkeit 665.3.5 DMS und Oberflächenspannungen 685.3.6 Deformation 70

6. SCHLUSSFOLGERUNGEN 71

7. DANKSAGUNG 72

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1. Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der menschlichenTibia und deren Torsionsbelastung, welche in vivo zu denTorsionsfrakturen in Spiralform führt. Insbesondereinteressiert der Einfluß der Osteoporose in Hinblick aufTorsionsfrakturen.

Anhand eines einfachen mechanischen Modells werdendie Vorgänge, welche zu einer Torsionsfraktur führen,dargestellt und berechnet. Zudem wurde mit Hilfe derDaten der AO-Dokumentationsstelle die Epidemiologieder Tibiafrakturen der letzten Jahre analysiert.

Im experimentellen Teil wurden 20 menschliche Tibiae(zehn Paare) mittels Computertomographie (CT)bezüglich ihren geometrischen Eigenschaften undKnochendichte untersucht und dokumentiert.Anschließend sind diese 20 Tibiae unter standardisiertenBedingungen mittels einer speziell entwickeltenTorsionsmaschine bis zur Fraktur auf Torsion belastetworden. Gleichzeitig wurden verschiedene mechanischeParameter mit diversen Sensoren kontinuierlich erfaßt.Die Bruchstellen wurden vermessen, und die erhaltenMeßwerte (Geometrie, Knochendichte und mechanischeParameter) miteinander verglichen und statistisch erfaßt.

Die Resultate zeigen unter anderem, daß besonders dieGeometrie einer Tibia für die Torsionstabilitätverantwortlich ist, und die Knochendichte eineuntergeordnete Rolle spielt

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2. Einleitung

2.1 ProblemTorsionsfrakturen im Bereich der Diaphyse der Tibia sindhäufig, insbesondere im distalen Drittel. Sie betreffen alleAltersklassen. Abgesehen von Skiunfällen stammen dieFrakturen oft von banalen niederenergetischen Traumata,z.B. als Folge eines Ausrutschers auf nassem odervereistem Boden. Die typischen Frakturformen, welche beiTorsionsbrüchen entstehen sind die Spiralfraktur oder die"Butterfly"-Fraktur (Drehkeilfraktur).

Anhand klinischer Erfahrung vermuten wir, daß das Alterdie Häufigkeit dieser Frakturen nicht beeinflußt, daß alsoein osteoporotischer Knochen ähnlich reagiert wie einnicht osteoporotischer Knochen.

Um diesen Frakturtyp zu untersuchen, zu reproduzieren,und um Osteosynthesemethoden bezüglichTorsionsbelastung zu testen, braucht es eine Vorrichtung,welche es erlaubt, Knochen und andere Materialien untergleichbleibenden Bedingungen auf Torsion zu belasten.Gleichzeitig soll das Verhalten der Probe objektiviertwerden. Es braucht also eine Torsionsmaschine.

2.2 Bisherige Kenntnisse2.2.1 Frakturmechanismus

Die mechanischen Vorgänge einer solchen Fraktur sindgut bekannt, und man weiß vonHochgeschwindigkeitsaufnahmen1, daß der gesamteVorgang nur wenige Tausendstelsekunden dauert.

Fig. 1 Die Graphik zeigt die Effekte einer Torsionsbelastung.

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Die Torsion produziert Zug und Kompression in 45° zurKnochenachse. Wie jedes spröde Material ist dieKortikalis gegenüber Kompression resistenter alsgegenüber Zug. Deshalb beginnt die Fraktur durch Zugund verläuft als Spirale entlang der Knochenachse. Nacheiner gesamten Umdrehung klappt der Knochen auf wieein Buch.

Fig. 2 Mechanismus und Morphologie der Torsionsfrakturen.

Dieser Frakturvorgang läßt sich sehr einfach mit einerKreide nachvollziehen. Die Form der Frakturflächen mitder 45° Neigung gegenüber der Torsionsachse ist gutsichtbar.

Mit steigender Torsionsgeschwindigkeit, also mit größererEnergieeinwirkung, wird die Fraktur komplizierter. Eskönnen Drehkeilfrakturen (Butterfly) oder Frakturen mitmehreren Fragmenten auftreten.

Fig. 3 Drehkeilfraktur.

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Da Torsionsfrakturen relativ häufig sind, wäre eswünschenswert, über ein standardisiertes Versuchsmodellzu verfügen, um die mechanischen Eigenschaften derKnochen nach erfolgter Osteosynthese zu testen. BeiPlastikknochen* ist es ziemlich einfach, Spiral- oderDrehkeilfrakturen zu erzeugen, was aber beimenschlichen Knochen nicht der Fall ist. Vor einigenJahren mußten Knochen angesägt werden2, dennbesonders bei osteoporotischen Knochen erfolgte derBruch weit distal in der Metaphyse oder in der Halterung.

2.2.2 Häufigkeit der Frakturen durch Torsionsbelastung

Uns haben, im Rahmen dieser Arbeit, einige Fragenbeschäftigt:

• Wie häufig sind Tibiatorsionsfrakturen im Vergleich zuden anderen Tibiaschaftfrakturen?

• Wie sieht die Altersverteilung aus?

• Welche Ursachen führen zu welchen Tibiafrakturen?

Mit diesen Fragen haben wir uns an die AO-DOKgewendet und als Antwort eine riesige Datenmengeerhalten.

2.2.2.1 AO-Klassifikation der Tibiaschaftfrakturen

Gemäß der AO-Klassifikation von Tibiaschaftfrakturenlassen sich folgende Klassen unterscheiden:

A: Frakturen ohne drittes FragmentB: Frakturen mit KeilC: komplexe Frakturen

Diese Klassen können jeweils in folgende Untergruppenunterteilt werden :

1: Torsionsfraktur2: Fraktur durch Biegung3: andere Frakturmechanismen

Fig. 4 AO-Klassifikation

Uns interessieren demzufolge vor allem die Gruppen A1und B1 (Torsionsbelastung), als Vergleich die GruppenA2, A3 sowie B2, B3 (Biegebelastung). Der Gruppe C

* Synbone, Filisur, CH

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läßt sich kein bestimmter Frakturmechanismus mehrzuordnen, so daß diese Gruppe für uns nicht speziell vonInteresse ist.

2.2.2.2 Epidemiologie der Tibiafraktur nach AO-Dokumentation

Die Daten stammen aus einer Gruppe von Kliniken,welche ihre Informationen an die AO-DOK* weitergeleitethaben. Die Daten wurden in aus den Jahren 1980 bis1989 erhoben.

Insgesamt wurden in dieser Zeitspanne 5076Tibiaschaftfrakturen dokumentiert (30% Frauen und 70%Männer).

0 20 40 60 80 1000

100

200

300

400

500

600

700

Alter [Jahre]

Anz

ahl F

rakt

ure

n

Männer

Frauen

Fig. 5 Verteilung aller Tibiaschaftfrakturen über das Lebensalter.

Es fällt auf, daß junge Männer im Alter von 15-20 Jahrendie meisten Tibiaschaftfrakturen erleiden (75%). Dannnimmt die Häufigkeit etwa exponentiell ab. Inwiefern dieAltersverteilung (Anzahl Personen pro Altersgruppe) eineRolle spielt, ist aus unseren Daten leider nicht ersichtlich.

Bei den Frauen ist im Gegensatz dazu die Verteilunghomogener. Nach dem 15 Lebensjahr bleibt die Zahl derTibiaschaftfrakturen etwa konstant, um dann nach dem 40Lebensjahr gleichmässig abzunehmen.

Man beachte, daß die Häufigkeit von Frakturen zwischen60-und 80-jährigen nicht relevant zunimmt! Nur bei denFrauen im Alter von ca. 75 Jahren ist ein kleinesMaximum ersichtlich. Dies könnte ein Effekt derOsteoporose sein, oder auch durch die höhereLebenserwartung der Frauen erklärt werden.

* AO-Dok, Davos, M. Bühler

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0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1000

200

400

600

800

1'000

Alter [Jahre]

Anz

ahl T

orsi

onsf

rakt

ure

n

AndereMännerAndereFrauenTorsion MännerTorsionFrauen

Fig. 6 Verhältnis aller Frakturtypen zueinander.

In Fig. 6 sind die verschiedenen Frakturtypen imVerhältnis zueinander dargestellt. Ab dem dreißigstenLebensjahr sind Torsionsfrakturen (A1, B1, schraffiert)etwa gleich häufig wie alle anderen Frakturen zusammen(A2, B2, A3, B3, C, ausgefüllt). Bei 15-bis 25-jährigen sindTorsionsfrakturen im Verhältnis zu den anderen Frakturenetwas weniger häufig.

Fig. 7 zeigt das Verhältnis der einfachenTorsionsfrakturen (AO-Klassifikation A1) zu denTorsionsfrakturen mit Drehkeil (B1).

0 20 40 60 80 1000

20

40

60

80

100

120

140

Alter [Jahre]

Anz

ahl F

rakt

ure

n

A1

B1

Fig. 7 Torsionsfrakturen ohne Drehkeil (A1) im Vergleich zuTorsionsfrakturen mit Drehkeil (B1). (Männer und Frauen)

Die Verteilung der verschiedenen Torsionsfrakturen, A1(niederenergetisch) B1 (hochenergetisch, Drehkeil) zeigtdeutlich, daß vor allem junge Menschen (20-40-jährig)Traumata mit höherer Energie erleiden, ab 40-jährighalten sich dann A1- und B1-Frakturen die Waage. Diesläßt sich durch vermehrte Aktivitäten (Sport und Verkehr)bei Jugendlichen erklären. Daß vor allem Männer von

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höherenergetischen Frakturen betroffen sind, läßt sichvermuten. Die Zahlen der AO-DOK bestätigen dies.

0 20 40 60 80 1000

20

40

60

80

100

120

140

160

Alter [Jahre]

Anz

ahl T

orsi

onsf

rakt

ure

n

Männer

Frauen

Fig. 8 Torsionsfrakturen der Tibia. Vergleich Frauen zu Männer.

In Fig. 8 zeigt sich, daß Männer im Vergleich zu Fraueneine höhere Frakturhäufigkeit aufweisen. Auch hier sindvor allem junge Männer betroffen (um die zwanzig-jährig).Es ist wiederum eine leicht Zunahme der Frakturen beiden ca. 80-jährigen Frauen festzustellen. Und wieder stelltsich die Frage, ob dies durch Osteoporose bedingt ist,oder eine Erscheinung der höheren Lebenserwartung derFrauen ist.

Interessanterweise verläuft die Verteilung der A1-Frakturen, also Torsionsfrakturen ohne Drehkeil, fürFrauen und Männer ziemlich ähnlich, wenn auch dieMänner auch hier wiederum öfters betroffen sind.

0 20 40 60 80 1000

20

40

60

80

Alter [Jahre]

Anz

ahl A

1-F

rakt

ure

n

Männer

Frauen

Fig. 9 A1-Frakturen, Vergleich zwischen Mann und Frau.

Ein Unterschied fällt hingegen bei den B1-Frakturen auf:

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0 20 40 60 80 1000

20

40

60

80

100

Alter [Jahre]

Anz

ahl B

1-F

rakt

ure

n

Männer

Frauen

Fig. 10 B1-Frakturen, Vergleich zwischen Mann und Frau.

Sind Männer soviel aktiver, oder sind ihre Aktivitätengefährlicher? Sind Männer risikofreudiger oder sind ihreKnochen weniger stabil?

2.2.2.3 Ursachen, die zu Tibiafrakturen führen

Anhand der Daten der AO-DOK ist es möglich die Datennach Unfallursache aufzuschlüsseln. Fig. 11 zeigt alle von1980 bis 1989 erfaßten Tibiaschaftfrakturen mitprozentualer Zuweisung der Ursachen.

Arbeitsplatz

MotorradVerkehr sonst

Ski

andere SportartenHaushalt

Anderes

8%

15%24%

24%

13%7%

9%

Fig. 11 Alle Tibiaschaftfrakturen (AO-Klassifikation A, B und C)zwischen 1980 und 1989, aufgeteilt nach Ursache.

Es zeigt sich, daß vor allem Verkehr (39%) und Sport(37%) für Tibiaschaftfrakturen verantwortlich sind. Dierestlichen Frakturen entstehen durch Unfälle amArbeitsplatz, im Haushalt, durch Suizidversuche oder sindpathologische Frakturen.

Da uns im Rahmen dieser Arbeit die Torsionsfrakturen imspeziellen interessieren, haben wir uns auf die Fraktur-

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typen A1 und B1 konzentriert. Fig. 12 stellt analog zur Fig.11 die prozentuale Verteilung der Ursachen vonTorsionsfrakturen der Tibia dar. Auch bei denTorsionsfrakturen sind Verkehr (25%) und Sport (42%) dieHauptursachen. Auffällig ist der große Anteil vonTorsionsfrakturen durch Skiunfälle (28%).

Arbeitsplatz

Motorrad

weiterer Verkehr

Ski

andere Sportarten Haushalt

Anderes

7%

9%

16%

28%

14% 12%

14%

Fig. 12 Ursachen von Torsionsfrakturen (A1 und B1) der Tibia

Eine interessante Frage ist, wie sich diese Verteilungen imLaufe der letzten Jahre verändert haben. Die Daten,welche wir von der AO-DOK erhalten haben, sind in zweiPerioden aufgeteilt: von 1980 bis 1984 und von 1985 bis1989. So lassen sich gewisse Trends analysieren. Leidersind aktuellere Daten ab 1990 nicht erhältlich.

A1-Frakturen

Die zwei Graphiken (Fig. 13 und Fig. 14 ) zeigen deutlich,daß der Anteil der durch Skiunfälle erzeugtenTibiafrakturen des Typ A1 deutlich (von 26 auf 15%)zurückgegangen ist. Hingegen sind die Tibiafrakturen,hervorgerufen durch Verkehrsunfälle, häufiger geworden(Zunahme von 18 auf 23%).

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Arbeitsplatz

Motorradweiterer Verkehr

Ski

Sportarten

Haushalt

Anderes

9%

5%13%

26%

15%

15%

17%andere

Fig. 13 A1-Frakturen und ihre Ursachen von 1980 bis 1984

Arbeitsplatz

Motorrad

weiterer Verkehr

Ski

Sportarten

Haushalt

Anderes

8%

6%

17%

15%

17%

17%

20%

andere

Fig. 14 A1-Frakturen und ihre Ursachen von 1985 bis 1989

B1-Frakturen (Butterfly)

Wie schon erwähnt entstehen B1-Frakturen durch höhereEnergieeinwirkung. Es läßt sich also vermuten, daßAktivitäten mit mittleren bis größeren Geschwindigkeitenzu diesem Frakturtyp führen. Tatsächlich ist der Anteil derFrakturen, welche durch Verkehrs- und Skiunfälleentstanden sind größer (67% gegenüber 44% bei A1-Frakturen in der gleichen Periode).

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Arbeitsplatz

Motorrad

weiterer Verkehr

Ski

andere SportartenHaushalt

Anderes

6%

10%

13%

44%

11%6%

10%

Fig. 15 B1-Frakturen in der Periode von 1980 bis 1984

Arbeitsplatz

Motorradweiterer Verkehr

Ski

andere SportartenHaushalt

Anderes

7%

14%20%

30%

12%8%

10%

Fig. 16 B1-Frakturen in der Periode von 1985 bis 1989

Auch hier zeigt sich ein deutlicher Rückgang derTorsionsfrakturen durch Skiunfälle(von 44 auf 30%).Dieser Rückgang wird jedoch durch eine Zunahme dieserFrakturen durch Verkehrsunfälle (von 23 auf 34%)kompensiert.

C1-Frakturen

Diese Frakturen sind Trümmerfrakturen. Sie entstehen beinoch höherer Energieeinwirkung (also größerenGeschwindigkeiten) als bei B-Frakturen. DerFrakturmechanismus (Biegung oder Torsion) läßt sichnicht mehr unterscheiden. Fig. 17 zeigt, wie zu erwarten,daß vor allem Verkehrsunfälle (64%) für diesenkomplexen Frakturtyp verantwortlich sind. AndereSportarten spielen mit 19% eine untergeordnete Rolle.

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Arbeitsplatz

Motorrad

Verkehr

Ski

Sport sonstHaushalt

Anderes

8%

26%

38%

14%

5%3%6%

Fig. 17 C-Frakturen und ihre Ursachen (Erfaßt von 1980 bis 1989)

2.2.3 Mechanik der Tibia, Tests der mechanischen Resistenz

Über Torsionsversuche und mechanische Eigenschaftender menschlichen Tibia sind schon verschiedeneUntersuchungen publiziert worden.

Hauser und Asang3 beispielsweise haben die Stoß- undSchlagbelastung der Tibia im Drehversuch untersucht unddie Auswirkung der verschiedenerTorsionsgeschwindigkeiten analysiert. Sie habenfestgestellt, daß mit steigender Torsionsgeschwindigkeitdas maximale Moment größer und der Bruchdrehwinkelkleiner werden, aber die Form der Fraktur nicht großvariiert. Hauser und Asang haben die Torsionskraft,welche eine Fraktur provoziert, mit dem frontalenDurchmesser des Tibiaplateaus in Zusammenhanggebracht und gezeigt, daß sich diese Größe zurEinschätzung der Stabilität einer Tibia gut gebrauchenläßt.

Auch Martens et al4 haben sich mit der Torsionsbelastungvon langen Röhrenknochen befaßt. Die Resultate lassensich mit denjenigen von Hauser und Asang vergleichen:

Das durchschnittliche maximale Torsionsmoment beträgtbei Martens 101 Nm, bei Hauser und Asang mitlangsamer Drehgeschwindigkeit (6°/s) 92 Nm. DerBruchdrehwinkel beträgt durchschnittlich 24 resp. 22 °.

Weitere Arbeiten stammen von Frankel und Burstein5. Siehaben den Einfluß von Strukturveränderungen an derTibia in Form von Bohrungen und Ansägen untersucht.Als Vergleichswerte haben sie auch unveränderte Tibiaebis zur Fraktur belastet. Um möglichst realistischeBedingungen zu schaffen, haben sie ihre Knochen axialvorbelastet. Die Durchschnittswerte liegen bei 69 Nm für

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das maximale Torsionsmoment und bei 18° für denBruchdrehwinkel.

2.2.4 Morphologie der Tibia

Da die Struktur der Tibia sehr komplex ist, ist dieGeometrie der Tibia nicht einfach zu erfassen. Die langenRöhrenknochen der Extremitäten sind im technischenSinn als schlanke Bauelemente aufzufassen, die einerKnickbeanspruchung unterliegen würden, wenn sieausschließlich von den Gelenken her auf Druckbeansprucht würden. Die ansetzenden Muskeln wirkennach Pauwels6 als Zuggurtungen, und schützen somit denKnochen vor Knicken.

Pauwels hat dargelegt, daß ein Extremitätenknochengrundsätzlich auf Biegung belastet wird und die grobeRichtung der Biegebeanspruchung bei den verschiedenenBewegungen und Körperstellungen weitgehendgleichbleibt. Nach Pauwels liegt das Maximum derBiegespannung etwa in Höhe der Tuberositas tibiae(Ansatz des M. quadriceps) und fällt von dort gegen dasSprunggelenk auf einen kleinen Wert ab, so daß dieMomentenfläche die Form eines Dreiecks hat, dessenSpitze am Sprunggelenk liegt.

Entsprechend der von proximal nach distal abnehmendenBiegebelastung verringert sich Weise die Biegefestigkeitdes Tibiaschaftes von oben nach unten. Er hat sowohlgegenüber Biegung7 und Rotation8 dort seine schwächsteStelle, wo die Diaphyse allmählich in die Epiphyseübergeht und der äußere Umfang am kleinsten ist,während die Markhöhle ihre engste Stelle weiterproximalwärts hat9. Dieser Bereich stellt gegenüberäußeren Belastungen einen Locus minor resistentiae dar,was die häufige Lokalisation von Frakturen an dieserStelle erklärt.

Insgesamt entspricht die Tibia aber einem Körper gleicherFestigkeit, bei dem in jeder Höhe die jeweilige örtlicheFestigkeit zu den physiologischen Beanspruchungenkorrespondiert und der, was die Querschnittsform und dieMassenverteilung im Querschnitt betrifft, mit größterMaterialersparnis gebaut ist6.

Die Festigkeit, insbesondere den Widerstand gegen dieeinseitig gerichtete Biegung, findet die Tibia v.a. in sichselbst. Sie wird unterstützt durch die mit kräftigenBandverbindungen an sie gefesselte Fibula. DieGrundgestalt des Tibiaschafts ist dreieckig, mit nachventral gerichteter Spitze und dorsal liegender Basis. Die

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Erklärung der Dreiecksform des Schienbeinquerschnittsund der proximalwärts erfolgenden Zunahme desTiefendurchmessers muß daher in der gegebenenBiegebeanspruchung gesucht werden7.

Im distalen Drittel handelt es sich um eine fastgleichschenkelige Dreiecksform mit abgerundetenWinkeln. Sagittaler und ventraler Durchmesser sindnahezu gleich. Die Kortikalis ist verhältnismäßig dünn undin ganzer Zirkumferenz annähernd gleich. Gestaltung undMaterialverteilung zeigen an, daß in diesem Bereich einezentrisch axiale Belastung vorherrscht und die Tibia dortkeine besondere Festigkeit gegenüber einseitiggerichteter Biegung haben muß.

Fig. 18 Querschnitt einer Tibia im distalen Drittel.

Weiter proximal ist der dreieckige Tibiaquerschnittausgesprochen an eine Biegebeanspruchung in sagittalerEbene mit dorsal liegender Biegekraft angepaßt. Dersagittale Durchmesser übertrifft den frontalen. Es kommtdeutlich zum Ausdruck, daß die Natur die Tibia in dembiegebeanspruchten Bereich nach Art eines Winkeleisensgeformt hat10, dessen besondere Festigkeit aus derTechnik allgemein bekannt ist. Das mittlere Schaftdrittelerhält seine Biegefestigkeit außer durch die spezifischeQuerschnittsform durch eine Verdickung allerWandschichten und eine massive, oftmals 1/3 dergesamten Querschnittsfläche einnehmende

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Kompaktansammlung im vorderen, zu einem kräftigenSporn ausgebildeten Winkel.

Fig. 19 Querschnitt einer Tibia im mittleren Drittel.

Das proximale Drittel ist wiederum dünnwandiger, hatdafür aber eine wesentlich größere Querschnittsflächeund insbesondere einen größeren sagittalen, derBiegungsebene entsprechenden Tiefendurchmesser, derzum Quadrat in die Biegefestigkeit eingeht.

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Fig. 20 Querschnitt einer Tibia im proximalen Drittel.

Insgesamt ergibt sich über die Länge des Tibiaschafts einstetiger Wechsel in der Form, der Materialansammlungund in den Materialeigenschaften des Knochens. Für dasproximale und mittlere Drittel existiert eine definierteventrale Zugseite und dorsale Druckseite, während sichdistal die Zugseite entsprechend dem zum Innenknöchelgerichteten Verlauf der Crista anterior mehr nach medialverlagert11.

Die biomechanische Bedeutung der Fibula für denUnterschenkel ist weniger an mechanischenEigenschaften des isolierten Knochens abzulesen, alsvielmehr in ihrem natürlichen Verbund mit der Tibia zuinterpretieren. Die Hauptmasse der Muskulatur ist imhinteren und äußeren Gliedmaßenbereich um Fibula undMembrana interossea gruppiert12, so daß aus dieserGegend hohe Beanspruchungen an dasTibiofibularsystem herantreten. Wenn die Fibula auch indem gewölbeartigen Skelettrahmen die wesentlichschwächere Strebe (ca. 1/15-1/30 der Festigkeit der Tibia)darstellt und nach Untersuchungen anAmputationspräparaten nur zu 15%13 bzw. 6%14 an deraxialen Lastübertragung vom Knie auf den Fuß beteiligtist, so ist sie jedoch aufgrund ihrer dorsolateralen Lageund der festen, über die ganze Knochenlänge sicherstreckenden Bandverbindungen zur Tibia hin in die

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Stützfunktion des Unterschenkels integriert15. Sievergrößert gleichsam den sagittalen und frontalenTibiadurchmesser und trägt wesentlich zur Reduzierungder auf die Tibia wirkenden muskulärenBiegebeanspruchung bei 6,10.

Die stabilisierende Wirkung der Fibula für denUnterschenkel zeigt sich deutlicher, wenn die Tibia alslastaufnehmendes Element nicht mehr oder nur nocheingeschränkt zur Verfügung steht. Das Wadenbeinbeeinflußt maßgeblich die Biomechanik am Ort dertibialen Knochenläsion und zeigt großeAnpassungsfähigkeit an veränderte mechanischeBeanspruchung.

Bei frischen Tibiafrakturen ist die Fibula mitbestimmendfür das therapeutische Vorgehen sowohl bei derkonservativ-funktionellen wie auch operativenBehandlung, und bei rekonstruktiven Eingriffen amUnterschenkelskelett läßt sie sich vielfältig nutzen.

2.2.5 Osteoporose

Osteoporose bedeutet den Verlust an Knochenmasse proVolumen, speziell mit fortschreitendem Alter. DieMikroarchitektur des Gewebes wird nach und nachzerstört. Der Knochen verliert an Substanz, wird porösund verliert an Stabilität. Schlecht verheilende Brüchewerden zum alltäglichen Risiko. Typisch sind schmerzvolleKompressionen und Frakturen der Wirbelkörper, desOberschenkelhalses und des Vorderarmes.

Definition der Osteoporose nach Consensus developmentconference 1991, Prophylaxis and treatment of Osteopo-rosis, Am. J. Med. 90:107:

Osteoporosis is “a disease characterized by low bonemass and mikroarchitectural deterioration of bonetissue, leading to enhanced bone fragility and a con-sequent increase in fracture risk .”

Die Osteoporose ist die häufigste Skeletterkrankung. DieZahl der Osteoporosepatienten wird in Zukunft wegen derÜberalterung der Bevölkerung noch weiter zunehmen.16

Siegelmann17 charakterisiert die Eigenschaften derOsteoporose folgendermaßen:

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dynamisch: Knochenresorbtion gegenüberKnochenaufbau erhöht

physikalisch: weniger mineralisierter Knochen proVolumen.

histologisch: Abnahme der Trabekeldichte

chemisch: normale Mineralisation

mechanisch: geringere Kompressions- undZugfestigkeit

klinisch: erhöhtes Risiko für Frakturen

a b c d e

Fig. 21 Verschiedene Formen des Knochenverlustes (radiologischeOsteoporose). a Normaler Knochen, b Osteoporose, cOsteomalazie, d makroskopisch sichtbare Knochendefektewie Metastasen, e mikroskopisch kleine Knochendefekte(z.B. bei Leukämie). Graphik nach W. Siegenthaler, Lehrbuchder inneren Medizin.

In Fig. 21 sind die verschiedenen Formen desKnochensubstanzverlustes schematisch dargestellt. Dasgesamte Rechteck entspricht der Gesamtknochenmasse,der schwarze Anteil dem mineralisierten Knochen. Wirbeschränken uns im folgenden auf die Osteoporose(Darstellung b), also auf die Reduktion der Knochenmas-se bei normaler Verteilung der Grundsubstanz undMineral. Die anderen Formen desKnochensubstanzverlustes entstehen im Rahmen andererPathologien, welche für diese Arbeit nicht von Interessesind.

2.2.5.1 Formen der Osteoporose

• Postmenopausale Osteoporose (Typ I nach Melton18)

Diese Form betrifft nur Frauen. Die ersten Symptomeerscheinen Mitte sechzig. Bei 60 bis 70% dieserPatientinnen findet man reduzierte Serumspiegel anParathormon. Ferner weisen sie einen Mangel anCalzitriol auf.

• Senile Osteoporose (Typ II)

Der überwiegende Teil dieser Patienten ist überachtzig Jahre alt. 30% davon sind Männer. Häufigerleiden sie Femurhalsfrakturen. Der Serumspiegel an

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Parathormon ist bei dieser Gruppe höher als beiPatienten mit Osteoporose Typ I.

• Sekundäre Osteoporose

Bei der sekundären Osteoporose sind die möglichenUrsachen bekannt: Steroidtherapie, Immobilisation,rheumatische Erkrankungen (Kombination vonSteroiden und Immobilisation), Lactoseintoleranz(calciumarme Kost), Hyperthyreose, Diabetes mellitus,Malabsorbtion (meist Osteoporose und zusätzlichOsteomalazie).

2.2.5.2 Messung der Osteoporose

Es gibt verschiedene radiologische Methoden, um dieOsteoporose quantitativ zu bestimmen. H. K. Genant etal19 haben Vor- und Nachteile der verschiedenenSysteme zusammengestellt. Um möglichst vieleInformationen über die in unseren Versuchenverwendeten Knochen zu erhalten, haben wir dieperiphere quantitative Computertomographie (pQCT)eingesetzt.

Die periphere quantitative Computertomographie wird seitihrer Entwicklung in den 70er Jahren (IBT-ETH Zürich,Gruppe Rüegsegger20) zur Messung und Quanifizierungder Osteoporose benutzt. Gemessen wird am Radius undan der Tibia. Die pQCT bietet die Vorteile einer hohenPräzision und Reproduzierbarkeit (0.3%), niedrigerStrahlenbelastung (0.1µS) und der Strukturerkennung derTrabekel.

Cordey21 hat verifiziert, daß die Absorption linear zurKnochendichte verläuft. Aus den Meßwerten kann somitdirekt die Dichte des Knochens (in mg/cm3) bestimmtwerden.

Definiert man nun einen Schwellenwert, welcher dieGrenze zwischen Compacta und Spongiosa darstellt, sokann der Anteil der Compacta vom Anteil der Spongiosaunterschieden werden.

Da die Osteoporose in langen Röhrenknochen besondersdurch einen endostalen Abbau der Kortikalis auftritt, kannder kortikale Index CI zur Quantifizierung der Osteoporosebenutzt werden. Der CI wird als

CI = 1 - r/R

Dabei ist R der äußere Radius der Kortikalis und r derinnere. Osteoporotische Knochen haben somit kleine CI,“gesunde” hingegen große.

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CI=1 CI=0CI=0.8 CI=0.6 CI=0.4 CI=0.2

Fig. 22 Darstellung der kortikalen Indizes CI.

Eine weitere Möglichkeit die Osteoporose zuquantifizieren ist der Mittelwert der Knochendichte. Dabeiwird die Knochendichte über den gesamten Querschnittermittelt (Spongiosa und Kortikalis) und einDurchschnittswert gebildet. Damit wird die Knochenmassepro Flächeneinheit bestimmt.

Die pQCT liefert somit Informationen über die Geometriedes Knochens, sowie die totale Querschnittsfläche, dieQuerschnittsfläche der Kortikalis und diejenige derSpongiosa. Zudem lassen sich weitere Größenberechnen, welche zur Bestimmung der Festigkeit wichtigsind. Es handelt sich um die Flächenträgheitsmomenteder verschiedenen Achsen, und um das polareFlächenträgheitsmoment.

2.3 FragestellungenWieso treten Tibiaschaftfrakturen im Gegensatz zuproximalen Femurfrakturen im Alter nicht häufiger auf?

Ist es möglich, aus densitometrischen Werten auf diemechanischen Torsionseigenschaften eines Knochens zuschließen?

2.4 Ziele dieser Arbeit

• Erzeugen von standardisierten Spiralfrakturen anmenschlichen Tibiae mittels einer zu konstruierendenTorsionsmaschine.

• Messung der tomodensitometrischen Werte vonLeichentibias wie beim Patienten.

• Messen der geometrischen und densitometrischenEigenschaften entlang des gesamten Knochens mitHilfe der pQCT (periphere QuantitativeComputertomographie).

• Messen des Widerstandes der Tibia auf Torsion.

2.5 ArbeitshypotheseZwei Größen lassen sich zur Einteilung der Tibiaverwenden: Knochendichte und Knochenquerschnitt.

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Der Widerstand des Knochens auf Torsionsbelastung isteine Funktion dieser Größen.

Man kann erwarten, daß die Dichte der Kortikalis in derDiaphyse beim "normalen" Knochen gleich ist wie beimosteoporotischen Knochen22.

Daraus folgen unsere Hypothesen:

1. Die Knochendichte beeinflußt den Widerstand des Knochens auf Torsion kaum,

2. aber die Geometrie des Knochens spielt eine Rolle.

2.6 BegriffeHier noch die Definitionen einiger mechanische Begriffe:

Torsionsfestigkeit: Maximal möglicher Wert einesTorsionsmomentes. Überschreiten dieses Momentes führtzu einer Fraktur.

Torsionssteifigkeit: Deformation einer Probe unterTorsionsbelastung mit einem bestimmten Moment.

Spannung: Kraft pro Fläche (unter Zug)

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3. Material und Methodik

3.1 Material3.1.1 Die Knochen

Die benutzten menschlichen Tibiae (Paare) stammen auseinem Institut für Pathologie. Die persönlichen Daten unddie Todesursache der Patienten sind nur teilweisebekannt. Knochen mit pathologischen Veränderungenwurden eliminiert, mit Ausnahme osteoporotischerKnochen.

Knochenpaar Nr. Registraturnummer Alter Sex

1 Ari 36 77 m2 Ari 597 - -3 Ari 600 - -4 Ari 69 56 m5 Ari 73 - m6 Ari 74 76 m7 Ari 75 90 w8 Ari 76 80 w9 Ari 77 - w10 Ari 78 80 w

Tabelle 1 Informationen über benutzte Knochen.

3.1.2 Tomodensitometrie

Zur Tomodensitometrie wurde ein DENSISCAN-1000eingesetzt. DENSISCAN ist ein axialer Computertomographvon SANCO MEDICAL, Zürich, entwickelt am Institut fürbiomedizinische Technik der ETH Zürich (Rüegegger20).Der Tomograph ist speziell konzipiert fürKnochendichtemessungen an Radius und Tibia.

Fig. 23 DENSISCAN.

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Die Auflösung eines normalen Schnittes beträgt 300 µmund mit hoher Auflösung (high resolution Modus) 200 µm.

3.1.3 Torsionsmaschine

Um die gewünschten Spiralfrakturen zu erzeugen, mußteeine Maschine gebaut werden, welche das benötigteDrehmoment auf die Knochen übertragen kann.

Die Anforderungen waren einfach:

• Eine menschliche Tibia muß in Torsion zum Bruchgebracht werden, wobei auch kleinere Proben tordiertwerden sollen.

• Die Maschine muß möglichst einfach gebaut undwartungsfrei sein.

• Die Bedienung sollte einfach und sicher sein.

• Die Maschine muß anpassungsfähig und ausbaubarsein.

• Die Kosten sollten möglichst niedrig bleiben.

Besonders in der Anfangsphase wurde versucht,bestehende Elemente einzusetzen. Die erste Versionwurde auf eine bestehende mechanische Testmaschine(Mikroton, RUMUL) montiert. Damit stand ein stabilerRahmen zur Verfügung. Als Antrieb wählten wir einenbestehenden Elektromotor, zu welchem ein dazupassendes Reduktionsgetriebe hergestellt werden mußte.

Weiter mußte ein System gefunden werden, um dieKnochen einzuspannen. Es sollte so konzipiert sein, daßdas Auswechseln der Knochen rasch und einfach erfolgenkann.

Bei jeder Meßeinrichtung ist die Qualität und Präzision derMeßsensoren entscheidend, denn sie bestimmen imwesentlichen die Qualität der Messungen. Die erstenVersuche fanden mit Eigenbausensoren statt, doch baldzeigte sich, daß sie den Anforderungen nach Stabilitätund Präzision nicht gewachsen waren und erheblicheNichtlinearitäten aufwiesen.

Nach mehreren Probeläufen mit der Torsionsmaschineder ersten Generation stellte sich heraus, daß die meistenmechanischen Verbindungsteile unterdimensioniertwaren. Die mechanischen Verbindungsteile brachen etwagleich oft wie die zu testenden Knochen. Also wurde dieTorsionsmaschine neu dimensioniert, und nach einigenentscheidenden Modifikationen traten keine weiterenmechanischen Probleme mehr auf.

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Fig. 24 Torsionsmaschine wie sie für die Versuche eingesetzt wurde.

3.1.3.1 Mechanik

Das Moment wird durch einen stufenlos einstellbarenElektroantrieb erzeugt und durch ein Reduktionsgetriebeauf den Knochen übertragen. Die hohe Untersetzungerlaubt eine konstante Torsionsgeschwindigkeit und dieBelastung des Knochens bis zum Bruch.

Die Drehgeschwindigkeit läßt sich von 0.4°/s bis 6°/svariieren.

3.1.3.2 Fixation des Knochens

Um ein Torsionsmoment auf einen Knochen zuübertragen, braucht es eine Einrichtung welche es erlaubtden Knochen fest einzuspannen. In unserem Fall wird derKnochen in zwei rechteckigen Metallbechern eingebettet.Zwei Möglichkeiten sind vorgesehen:

• Der Knochen kann mit selbsthärtendem Acrylat-Kunststoff (Beracryl) eingegossen werden,

• oder, als neuere Variante, in CERROLOW 47 fixiertwerden.

CERROLOW (auch Woodmetall genannt) ist eineMetallegierung (Sn-Bi-Pb-Cd-In), welche von CERRO M.PUSA hergestellt wird. Der Schmelzpunkt beträgt 47°C.

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Dies bedeutet, daß sich dieses Metall ohne weiteres in nurwenigen Minuten im Wasserbad schmelzen läßt. Ingeschmolzenem Zustand hat das CERROLOW ähnlicheEigenschaften wie Quecksilber.

Fig. 25 Originalbarren CERROLOW.

Der Knochen wird ins geschmolzene, flüssige Metalleingetaucht, und nach kurzer Wartezeit (einige Minutenmit Wasserkühlung) ist er fest eingegossen. Vorteil dieserVariante gegenüber dem Beracryl ist dieWiederverwendbarkeit des Metalls und des Knochens.Denn CERROLOW läßt sich durch erneutes Erwärmenproblemlos wieder vom Knochen lösen und kann sofortwiederverwendet werden.

Falls histologische Untersuchungen gemacht werdensollen, ist darauf zu achten, daß die Temperatur desMetalls nicht zu hoch steigt, da dies Veränderungen amGewebe verursachen könnte.

Eine stabile Fixation läßt sich nur erreichen, wenn alleWeichteilreste vom Knochen entfernt werden. Dennverbleibende Weichteile verhindern die Adaptation desflüssigen Metalls an den Knochen, und es entsteht einkleiner Spalt. Da kleine Tibiae distal einen nahezukreisförmigen Querschnitt haben, genügt dieser Spalt, umdie Knochen in der Halterung durchdrehen zu lassen. Der

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Malleollus wird dabei abgeschert. Um dieses Durchdrehenzu vermeiden, wurde jedem Knochen distal und proximalzwei Schrauben eingedreht (von lateral und medial) undso die Angriffsfläche vergrößert. Diese Vergehensweisehat sich bewährt.

Fig. 26 In die Torsionsmaschine eingespannter Knochen.

Um Biegemomente möglichst zu verhindern, muß derKnochen möglichst genau in Richtung des Drehmomenteseingegossen werden. Da das Erhärten des CERROLOWimmerhin einige Minuten dauert und Beracryl mindestenszwanzig Minuten dafür braucht, ist eine Haltevorrichtung

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erforderlich welche den Knochen in der richtigen Positionfixiert.

3.1.3.3 Momentmessung

Zur Torsionsmessung wurde eine Torsionsmeßzelle für100 Nm der Firma MESSRING MÜNCHEN eingesetzt.Weitere Meßringe mit Nennlasten von 10, 25 und 400 Nmstehen zur Verfügung und können je nach Bedarf leichtausgewechselt werden.

Fig. 27 montierte Torsionsmeßzelle.

Die Torsionsmeßzellen wurden auf einem spezielleingerichteten Meßtisch ausgemessen und aufverschiedene Meßgeräte geeicht.

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3 53 73 93 ;3 433 4533

433

533

633

733

833

933

7RUVLRQVPRPHQW##0#>1P@

6SDQQXQJ#8#>P

9@

8î0ý ýèïéP9î1P

Fig. 28 Eichprotokoll der verwendeten 100 Nm Meßzelle mit demBrückenverstärker HBM DMD 20ADie Quadrate stellen die Meßpunkte dar, die ausgezogenenGerade ist deren lineare Regression.

Als Verstärker benutzten wir schließlich den digitalenBrückenverstärker DMD 20A der Firma HBM, welcher sichdurch hohe Präzision und exzellente Langzeitstabilitätauszeichnet.

3.1.3.4 Winkelmessung

Der Winkel wurde bei der eingesetzten Torsionsmaschineaus technischen Gründen unterhalb der Kupplung zumKnochen gemessen, also nicht am Knochen selber. Damitwird auch das Spiel der Kupplung mitgemeßen, was dieGenauigkeit der Messung in Bezug auf den Nullpunktvermindert.

Als Winkelaufnehmer diente ein induktiver Goniometer(RVDT) SCHAEVITZ. Der Nachteil dieses Systems ist einnur beschränkter linearer Bereich! Das Signal entsprichtnämlich einer Sinusfunktion.

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-180 -135 -90 -45 0 45 90 135 180

-1

-0.5

0

0.5

1

Grad [°]

Sig

nal

Signal

Linearisation

-180 0 180

-1

-0.5

0

0.5

1

Grad [°]

Sig

nal

Signal

Linearisation

-180 0 180

-1

-0.5

0

0.5

1

Grad [°]

Sig

nal

Signal

Linearisation

-60 60 120-120

Fig. 29 Ausgangssignal des Winkelgebers.

Fig. 30 Konstruktion zur Winkelmessung.

Um eine befriedigende Linerität zu garantieren, konntedeshalb nur der Winkel von -30 bis +30 Grad benutztwerden. Unmittelbar vor jeder Messung mußte kontrolliertwerden, ob sich der Winkelgeber im linearen Meßbereichbefand.

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3.2 Experimentelle Methoden3.2.1 Vorbereitung der Knochen

Die vorübergehend tiefgekühlten, in Plastik versiegeltenTibiae wurden zu Versuchsbeginn in ihren Abmessungendokumentiert: Länge, Länge und Breite des Tibiaplateauswurden festgehalten und die densitometrische Messungengemacht.

Vor Beginn der Torsionsversuche wurden sie aufgetautund mit feuchten Gazebänder eingewickelt, so daß ihrnormaler Feuchtigkeitsgehalt etwa erhalten blieb.

3.2.2 Tomodensitometrie

3.2.2.1 Messung "Typ Patient"

Jeder Knochen wurde auf dieselbe Art densitometrischvermessen, wie es auch bei den Patienten mitOsteoporose gemacht wird: Zehn Messungen inultradistaler Position und sechs Messungen etwas weiterproximal an der Diaphyse (nach SANCO MEDICAL,DENSISCAN user's manual). Um reproduzierbareMessungen zu erhalten wurde mittels Scout View(Übersichtsaufnahme) der Gelenkspalt des oberenSprunggelenkes als Referenz gewählt.

Fig. 31 Tomogramme Typ Patient.

3.2.2.2 Messung über ganze Länge

Zusätzlich zur "Patientenmessung" wurde der gesamteKnochen densitometrisch vermessen. Alle 10 mm wurdeein Tomogramm gemacht, über die gesamte Länge desKnochens hinweg, um z.B. die Stelle mit der kleinstenQuerschnittsfläche zu finden und Defekte auszuschließen.

Fig. 32 Serie der Tomogramme entlang des ganzen Knochens.

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3.2.2.3 Messung zur Trägheitsmomentenberechnung

Um von jedem Knochen vergleichbare Schnitte zuerhalten, wurden am Übergang vom mittleren zumdistalen Drittel einige high resolution Scans gemacht,natürlich alle mit denselben Scan-Parameter. Aus diesenSchnitten wurden die Trägheitsmomente errechnet.

Diesen Tomogrammen wurden ebenfalls dieInformationen über Dichte der Kortikalis, Dichte derSpongiosa, Querschnittsfläche des gesamten Knochensund Querschnittsfläche der Kortikalis alleine entnommen.

3.2.3 Konventionelle Röntgenbilder

Von allen Knochen wurden zudem konventionelleRöntgenbilder gemacht, um sie mit älteren ähnlichenArbeiten vergleichen zu können. Der distale Abschnitteines Knochenpaares wurde einmal AP und einmal MLabgebildet. Auf den Aufnahmen durfte natürlich derAlukeil als Vergleichswert nicht fehlen.

3.2.4 Mechanische Messungen

3.2.4.1 Dehnungsmeßstreifen

Dehnungsmeßstreifen, kurz DMS, sind Folien mitintegrierten Widerständen. Diese Widerstände verändernihren Wert, wenn sie in die Länge gezogen oder gestauchtwerden.

Werden die DMS nun fest mit einer Oberflächeverbunden, so machen die DMS die alle Bewegungen derOberfläche mit. Anhand der Widerstandsänderung kannnun auf die Deformation der betreffenden Oberflächegeschlossen werden.

Dehnungsmeßstreifen sind so aufgebaut, daß nurDeformationen in einer Richtung registriert werden. Mitmehreren DMS, auch übereinandergeklebt, könnenDeformationen nach jeder beliebigen Richtungaufgeschlüsselt und gemessen werden.

Da die Spannungen, welche uns interessierten etwa ineinem 45° Winkel zur Knochenachse liegen sollten, habenwir die Lage der DMS entsprechend gewählt (siehe Fig.33)

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Fig. 33 Ausrichtung der DMS nach den zu erwartenden Spannungen.

Da uns die Vorgänge der Fraktur speziell interessierte,haben wir die DMS auf die vermuteten Bruchstellengeklebt, also im Bereich des Isthmus.

Die gemessenen Widerstandsänderungen sind sehr klein.Daher sind spezielle Brückenverstärker notwendig, umdiese kleinen Meßwerte in brauchbare Signaleumzuwandeln.

3.2.4.2 Anbringen der DMS

Zuerst sind die DMS vorbereitet worden: lange Kabel (miteinem Querschnitt von 0.05 mm2) wurden angelötet unddie Lötstellen mit Rosin solvent (M-Line, MEASUREMENTSGROUP, INC) gereinigt. Die Klebestelle am Knochen ist mitdem Skalpell vom Periost befreit und mit Chloroformentfettet worden. Als Klebstoff für die DMS verwendetenwir CYANOSET Type E . Die geklebten DMS sind mit M-Coat B rubber coating (M-Line) als elektrische Isolationüberzogen worden, um meßwertfälschendenKriechströmen entgegenzuwirken.

Je ein DMS-Paar (in 90º -Stellung, vom Typ CEA-06-62WT-120 von MEASUREMENTS GROUP, INC USA) wurdelateral und medial an der Tibia befestigt möglichst genauam Übergang des distalen zum mittleren Drittel.

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Fig. 34 Schematische Darstellung der Position der DMS. Die DMSsind zur besseren Übersicht getrennt dargestellt.

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Fig. 35 DMS auf Kunststoffknochen geklebt.

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Fig. 36 Kontrolle der Lage der DMS mittels CT.

3.2.4.3 Versuchsanordnung

Die gesamte Versuchsanordnung (Fig. 37 ) besteht ausTorsionsmaschine, Verstärker und derAufzeichnungsgeräte (PC und xy-Schreiber).

Gemessen wurde das Torsionsmoment und derTorsionswinkel, zusätzlich wurde ein DMS-Signal desKnochens auf einem xy-Schreiber aufgezeichnet.Gleichzeitig wurden drei Knochen-DMS, der Winkel unddie Torsion über eine A/D-Karte (Typ DAS-16F) auf einemComputer (PC-AT286) festgehalten.

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Fig. 37 Gesamte Versuchsanordnung.

Fig. 38 Schematische Darstellung der Versuchsanordnung.

Legende zur Fig. 38 :1. Torsionsmoment-Messung (Messring)2. Winkelgeber3. DMS 14. DMS 25. DMS 36. DMS 47. Brückenverstärker8. xy-Schreiber9. PC (286)

Zur Datenerfassung auf dem Computer benutzten wirEASYEST von Asyst Software Technologies Inc. DieSamplerate haben wir für alle Kanäle auf 10 Hzeingestellt, die Verstärkung auf eins. Die DMS-Signale

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wurden durch ein Strain Gage Conditioner and AmplifierSystem von INSTRUMENTS DIVISION abgeglichen undverstärkt.

Fig. 39 Graphische Darstellung der Meßwerte .

Zur weiteren Datenverarbeitung benutzten wir MicrosoftsExcel V5.0 und statistische Berechnungen wurden mitRS1 (BBN Software Products Corporation) durchgeführt.

Alle Knochen wurden mit derselben Drehgeschwindigkeitvon 1.2°/s belastet. Da die benutzte Torsionsmeßzelle nurin einer Drehrichtung belastbar ist, wurden alle Knochen indieselbe Richtung tordiert. Also rechte Tibiae inInnenrotation, linke in Außenrotation.

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4. Resultate

Abgesehen von einigen kleinen anfänglichen Problemenhat alles sehr gut geklappt. Die ersten Versuchescheiterten an einer zu schwachen Torsionsmaschine,und die Daten einiger Knochen gingen verloren. Dochnach einigen Modifikationen sind die restlichen Testsproblemlos verlaufen.

Für die folgenden Graphiken gelten folgendeKonventionen: Volle oder leere Quadrate stellen dieMeßpunkte dar. Sie sind, soweit relevant, mit derKnochennummer gekennzeichnet. Ausgezogene Liniensind lineare Regressionen.

� linke Tibiae

♦ rechte Tibiae

Auf Ausnahmen wird in der Legende aufmerksamgemacht.

4.1 Densitometrie4.1.1 Knochendokumentation

Die tomodensitometrischen Messungen über die gesamteKnochenlänge haben uns Informationen über dieGeometrie, die Querschnittsverteilung, die Dichte und dieVerteilung des polaren Flächenträgheitsmoment über diegesamte Längsachse gegeben.

0 5 10 15 20 25 300

5

10

15

20

25

30

Position [cm]

Que

rsch

nittf

läch

e [c

m²]

distalproximal

Isthmus

Fig. 40 Querschnittsverteilung bei einer typischen Tibia (2L).

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0 5 10 15 20 25 300.2

0.4

0.6

0.8

1

1.2

1.4

1.6

Position [cm]

mitt

lere

Dic

hte

[g/c

m³]

distalproximal

Isthmus

Fig. 41 Mittlere Dichte über gesamten Knochen.

0 5 10 15 20 25 300

10

20

30

40

50

60

Position [cm]

kort

ikal

er In

dex

[%]

distalproximal

Isthmus

Fig. 42 Kortikaler Index.

Fig. 43 Rekonstruktion aus den einzelnen Tomogrammen.

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Fig. 44 Typische Tomogramme einer Tibia.

4.1.2 high resolution Tomogramme

Aus den high resolution Tomogrammen haben wir dieInformationen gewonnen, welche mit der Geometrie undder Stabilität der Knochens im Bereich des Isthmuszusammenhängen. Dazu gehören die mittlere Dichte derKortikalis resp. die Dichte gemittelt über den gesamtenKnochenquerschnitt, die Querschnittsfläche und daspolare Flächenträgheitsmoment.

Hier die Ergebnisse aller Knochen im Vergleich:

2.5 3 3.5 4 4.52.5

3

3.5

4

4.5

Querschnittsfläche rechte Tibiae [cm²]

Que

rsch

nitts

fläch

e lin

ke T

ibia

e [c

m²]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 45 Querschnittsflächen, rechte und linke Tibiae im Vergleich.(r = 0.947)

Die Querschnittsflächen variieren zwischen 2.73 und4.42cm², der Durchschnittswert beträgt 3.67cm².

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1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.71.1

1.2

1.3

1.4

1.5

1.6

1.7

Knochendichte rechte Tibiae [g/cm³]

Kno

chen

dich

te li

nke

Tib

iae

[g/c

m³]

1

2

3

4

5

67

8

9

10

Fig. 46 Mittlere Dichte des gesamten Querschnittes (r = 0.953).

Der Knochen Nummer 9 hat die kleinste gemesseneDichte unseres Versuchkollektives. Sie beträgt 1.15g/cm3.Der dichteste Knochen (Nummer 3) hingegen hat eineDichte von 1.64g/cm3. Der Durchschnittswert liegt bei1.41g/cm3.

1.6 1.7 1.8 1.9 2 2.1 2.21.6

1.7

1.8

1.9

2

2.1

2.2

Knochendichte der Kortikalis, rechte Tibiae [g/cm³]

Kno

chen

dich

te d

er K

ortik

alis

, lin

ke T

ibia

e [g

/cm

³]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 47 Knochendichte der Kortikalis (r = 0.970).

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6HLWH#79

Auch die Knochendichte der Kortikalis schwankt vonKnochen zu Knochen. Die Werte liegen zwischen 1.67und 2.13g/cm3 mit einem Durchschnitt von 1.95g/cm3.

55 60 65 70 7555

60

65

70

75

kortikaler Index rechte Tibiae

kort

ikal

er In

dex

linke

Tib

iae

1

2

3

4

5

6

78

9

10

Fig. 48 Kortikaler Index in % (r = 0.959).

Der Mittelwert für den kortikalen Index liegt bei 0.66. Derminimale Index beträgt 0.56, der maximale 0.72.

4.1.3 Wahl der Knochen

0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.82

2.5

3

3.5

4

4.5

5

5.5

Knochendichte [g/cm³]

Que

rsch

nitts

fläch

e

Kollektiv

linke

rechte

1

2

345

67

8

910

Fig. 49 Benutzte Knochen im Vergleich zum Kollektiv derverfügbaren Knochen.

In Fig. 49 sind die Knochen nach Dichte undQuerschnittsfläche aufgeteilt. Knochen Nummer 9 zum

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6HLWH#7:

Beispiel ist osteoporotisch (geringe Knochendichte),Knochen 3 hingegen weist eine hohe Knochendichte auf.

Wir haben versucht, Knochen aus allen Kategorien für dieVersuche zu nutzen. Leider sind einige eigentlich idealeKnochen durch die Versuche mit der erstenTorsionsmaschine verlorengegangen.

4.2 Mechanische Resultate4.2.1 Frakturen

Bis auf eine Ausnahme sind alle erfolgreich gebrochenworden. Ein Knochen ist vorzeitig gebrochen, ohne daßdie Meßdaten auf dem Computer aufgezeichnet werdenkonnten.

Wie erwartet sind ausnahmslos Spiralbrüche entstanden.Der Ort der Fraktur variiert von Knochen zu Knochenstark. In einem Fall hat sich die Fraktur bis in die distaleEpiphyse fortgesetzt; ein bekanntes Problem bei starkosteoporotischen Knochen.

Fig. 50 Typische entstandene Fraktur.

Der Anfangspunkt der Fraktur, also die Lage der 45°-Fläche, war bei jedem Knochen unterschiedlich. EinKnochen ist nicht im erwarteten distalen Drittel gebrochen,sondern ziemlich genau in der Schaftmitte.

Hier ein typisches Beispiel der aufgezeichneten Datenwährend des Torsionsversuches:

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6HLWH#7;

0 10 20 30 40-20

0

20

40

60

80

Zeit [s]

Tors

ions

mom

ent [

Nm

]

Fig. 51 Typisches Verhalten des Momentes während einer Messung.Die kleine Zacke entsteht durch das Spannen derHaltevorrichtung und Festklemmen der Teile mit Spiel.

0 10 20 30 40-5

0

5

10

15

20

25

30

Zeit [s]

Win

kel [

Gra

d]

Fig. 52 Messung des Winkels.

0 5 10 15 20 25-20

0

20

40

60

80

Winkel [Grad]

Tors

ions

mom

ent [

Nm

]

Fig. 53 Typische Meßkurve (Torsionsmoment versus Winkel) wie sievom xy-Schreiber aufgezeichnet wird.

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6HLWH#7<

4.2.2 Torsionssteifigkeit

Um die Torsionssteifigkeit zu bestimmen, haben wir ausden Meßdaten das Verhältnis von Moment zu Winkel∆M/∆ϕ im linearen Bereich (entspricht der elastischenVerformung) bestimmt, was der Steigung der Kurve in Fig.53 entspricht.

0 20 40 60 80 100 120 1400

20

40

60

80

100

120

140

Torsionssteifigkeit rechte Tibiae [Nm²]

Tors

ions

ste

ifigk

eit l

inke

Tib

iae

[Nm

²]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 54 Gemessene Torsionssteifigkeiten, rechts zu links (r = 0.947).

4.2.3 Torsionsfestigkeit

Die Torsionsfestigkeit wird in unserem Fall durch dasMoment bestimmt, bei welchem die Fraktur auftritt.Charakteristisch dafür sind das maximaleTorsionsmoment und der dazugehörende maximaleWinkel.

4.2.3.1 Das maximale Moment

Damit ist dasjenige Moment bezeichnet, bei welchem derKnochen bricht (Bruchmoment). Also die Meßgröße,welche für die Torsionsfestigkeit der Tibiae aussagekräftigist.

Wir haben für unsere Tibiae Werte von 29 bis 99 Nmerhalten, mit einem Mittelwert von 65 Nm.

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6HLWH#83

0 20 40 60 80 1000

20

40

60

80

100

Bruchmoment rechte Tibiae [Nm]

Bru

chm

ome

nt li

nke

Tib

iae

[Nm

]1

2

34

5

6

7

8

9

10

Fig. 55 Maximales Torsionsmoment, Vergleich zwischen rechten undlinken Knochen (r = 0.97).

Es läßt sich feststellen, daß sich die Knochen in Bezugauf das maximale Moment paarweise sehr ähnlichverhalten. Dies trotz unterschiedlicher Drehrichtung(rechts Innenrotation, links Außenrotation).

Dies bedeutet einerseits, daß die Festigkeit einer Tibianicht oder kaum von der Drehrichtung abhängig ist, undandererseits, daß die Maschine reproduzierbare Werteproduziert.

Erstaunlich ist, daß die Korrelation mit 0.97 besser ist alsdiejenigen der densitometrischen Meßwerte(Knochendichte und Querschnittsfläche: 0.95 resp. 0.947).Wir vermuten, daß ein Kompensationsmechanismus zumtragen kommt. Ein Knochen mit geringerer Dichte könntekompensatorisch eine größere Querschnittsflächeentwickeln. Umgekehrt könnte eine großeQuerschnittsfläche durch kleinere lokale Beanspruchungzu einer kleineren Knochendichte führen.

4.2.3.2 Maximaler Drehwinkel

Auch die maximalen Drehwinkel, bei welchen die Frakturbeginnt, ist pro Paar sehr ähnlich. Der Winkel variiertzwischen 13 bis 26°, der Mittelwert beträgt 18.3°.

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6HLWH#84

0 5 10 15 20 25 300

5

10

15

20

25

30

Bruchwinkel rechte Tibiae [Grad]

Bru

chw

inke

l lin

ke T

ibia

e [G

rad]

1

2

345

6

7

8

9

10

Fig. 56 Drehwinkel bei Fraktur. Vergleich zwischen rechten undlinken Tibiae (r = 0.863).

4.2.4 DMS Signale

In Fig. 57 ist ein typischer Verlauf der Signale zweierrechtwinklig zueinander stehenden Dehnungsmeßstreifenzu sehen. Die Kurven verlaufen logischerweisesymmetrisch. Beide Kurven zusammen addiert ergebeneine Gerade, da durch die rechtwinklige Anordnung derZug in die eine Richtung der Kompression in der anderenentspricht.

0 5 10 15 20 25 30 35-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

Zeit [s]

DM

S-S

igna

le [V

olt] 1

2 3

Fig. 57 Typisches DMS-Signal.

Die meisten Frakturlinien sind sehr nahe an, oder genaudurch die Dehnungsmeßstreifen verlaufen.

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6HLWH#85

Anhand der DMS-Signale lassen sich die verschiedenenPhasen der Torsionsbelastung erkennen (Fig. 57 ):

1. elastische Verformung2. plastische Verformung3. Fraktur

Die erste Phase entspricht der elastischen Verformung.Alle Deformationen sind in dieser Phase noch reversibel.Im Gegensatz dazu die zweite Phase, die der plastischenVerformung entspricht. Einmal plastisch verformt, wird derKnochen nicht mehr seine ursprüngliche Form annehmen.Eine gewisse Deformation bleibt bestehen.

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6HLWH#86

5. Diskussion

5.1 TorsionsmaschineDie Torsionsmaschine in dieser Form hat sich bewährt.Mit den eher niedrigen Drehzahlen (maximal 6° proSekunde) lassen sich nur einfache Spiralfrakturenerzeugen, die Energieeinwirkung ist relativ klein.

Das Fixieren des Knochens mit CERROLOW hat einenNachteil: Das hohe Gewicht des flüssigen Metalls,welches den Knochen axial vorbelastet, und beiungenauer Zentrierung des Knochens im Haltebeckenauch ein wahrscheinlich geringes Biegemomenthervorruft.

Inwiefern diese Faktoren auf die Torsionsbelastung einenEinfluß haben, läßt sich anhand unserer Messungen nichtbeurteilen.

5.1.1 Verbesserungsvorschläge

Um nur eine reine Torsion auf den Knochen zu bringen,müssen axiale Vorbelastungen und Biegemomentemöglichst verhindert oder mindestens kontrolliert werden.Um Biegemomente zu vermeiden sollte deshalb einKardangelenk eingebaut werden. Auch fehlt noch eineGleitkupplung, durch welche die axiale Vorbelastungbesser kontrolliert werden könnte.

5.1.2 Aktuelle Maschine

In der Zwischenzeit ist eine neue Version derTorsionsmaschine hergestellt worden. Das Kardangelenkwurde eingesetzt, der Elektromotor wurde durch einenhydraulischen Antrieb (Flugzeugbestandteil) ersetzt.Damit sind nun höhere Drehgeschwindigkeiten möglich(bis maximal 100°/s), und die maximale Torsionskraftsollte bei weitem ausreichend sein.

Gleichzeitig ist die Torsionsmaschine als eigenständigeMaschine aufgebaut worden, auf einer getrenntenWerkbank. Die Meßeinrichtungen und die Elektronik sindaktualisiert und geschützt montiert worden. Zudem ist diegesamte Torsionsmaschine computergesteuert. Einespezielle Software steuert den hydraulischen Antrieb undzeichnet die Meßwerte auf. Diese Meßwerte lassen sichdann problemlos mit den üblichen Programmenweiterverarbeiten und darstellen.

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6HLWH#87

Fig. 58 Torsionsmaschine der dritten Generation.

Fig. 59 Detailansicht der Torsionsmaschine dritter Generation.

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6HLWH#88

Der induktive Winkelgeber wurde durch eine digitaleVersion ersetzt. Der dazu gehörende Decoder wurdespeziell für die Torsionsmaschine entwickelt.

5.2 Densitometrie5.2.1 Patientenmessungen

Im AO-Forschungsinstitut werden QCT-Bilder vonPatienten gemacht, um die Osteoporose quantifizieren zukönnen. Wir haben unsere Tibia-Daten mit diesenPatientendaten verglichen, um einen Eindruck davon zubekommen, ob sich die in vitro Messungen mit in vivoMessungen vergleichen lassen.

Die Meßmethode bestimmt, unter anderem, dieKnochendichte der Spongiosa, gemittelt über mehrereMessungen an diversen Punkten (D50%) sowie dieKnochendichte gemittelt über die gesamteQuerschnittsfläche, also Spongiosa und Kortikaliszusammen (D100%).

In Fig. 60 und Fig. 61 fällt auf, daß die Messungen an denLeichenknochen in Schnitt etwas tiefere Werte ergebenals bei den in vivo Messungen. Man kann annehmen, daßLeichenknochen ein höheres biologisches Alter haben alslebende Knochen, und daß sie deshalb eine geringereKnochendichte aufweisen.

Aber auch unsere in vivo Messungen sind nichtrepräsentativ für eine Durchschnittsbevölkerung. Dennwer wird schon eine Abklärung bezüglich Osteoporosemachen: Ältere Menschen und Menschen mitRisikofaktoren (bsw. Asthmatiker mit langjährigerSteroidtherapie). Nur wenige junge Leute, z.B. Mitarbeiterdes AO-Institutes, lassen sich mittels QCT vermessen.

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6HLWH#89

0

100

200

300

400

500

600

Patienten in vivo Leichentibiae

D50

% [m

g/cm

³]

Fig. 60 Vergleich der Patientenmessungen für Patienten undLeichenknochen. Dichte gemittelt über die inneren 50% derQuerschnittsfläche.

0

200

400

600

800

1'000

Patienten in vivo Leichentibiae

D10

0% [m

g/cm

³]

Fig. 61 Vergleich der Patientenmessungen für Patienten undLeichenknochen. Dichte gemittelt über die gesamteQuerschnittsfläche.

Unsere vermessenen Tibia befinden sich also innerhalbdes Bereiches der in vivo Messungen, können jedochnicht als repräsentativ für eine Durchschnittsbevölkerungangesehen werden.

5.2.2 Densitometrie und Osteoporose

Es stehen uns drei Methoden zur Verfügung, um dieOsteoporose zu beurteilen:

• der kortikale Index CI

• die mittlere Knochendichte

• die Darstellungen der Tomogramme

Lassen sich die Ergebnisse vergleichen? In denGraphiken Fig. 46 , Fig. 47 und Fig. 48 lassen sichUnterschiede zueinander feststellen, besonders was dieKnochenpaare 1 und 9 betrifft.

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6HLWH#8:

55 60 65 70 751.1

1.2

1.3

1.4

1.5

1.6

1.7

kortikaler Index

Kno

chen

dich

te [g

/cm

³]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 62 Vergleich des kortikalen Indizes mit der mittlerenKnochendichte (r = 0.860).

Es zeigt sich aber, daß die kortikalen Indizes gut mit derKnochendichte korrelieren. Nur der Knochen Nummer 9läßt sich nicht einordnen.

55 60 65 70 751.6

1.7

1.8

1.9

2

2.1

2.2

kortikaler Index

Kno

chen

dich

te d

er K

ortik

alis

[g/c

m³]

1

2 3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 63 Vergleich des kortikalen Indexes mit der mittlerenKortikalisdichte (r = 0.315).

Fig. 63 zeigt deutlich, daß die Dichte der Kortikalis alleinekeine Aussagekraft betreffend Osteoporose hat, was dieErgebnisse von Rüegsegger22 bestätigen.

Mit der optischen Bildanalyse ist im Gegensatz zu denanderen Methoden keine quantitative Aussage möglich.Die Ergebnisse sind viel weniger genau und sind von derErfahrung des Betrachters abhängig. Somit ist auch dieReproduzierbarkeit nicht gewährleistet.

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6HLWH#8;

Fig. 64 Links: Tomogramm eines nicht osteoporotischen Knochens(Knochen Nummer 3 rechts, CI = 72%)Rechts: Tomogramm eines osteoporotischen Knochens(Knochen Nummer 10 rechts, CI = 56%).

5.3 Mechanik5.3.1 Zusammenhang Densitometrie - Mechanik

Welche Faktoren beeinflussen die Festigkeit desKnochens in Bezug auf Torsion?

Schon in Abschnitt 4.2.1 lassen sich gewisseZusammenhänge erkennen. Das Knochenpaar Nummer 2beispielsweise weist eine relativ hohe Dichte bei kleinerQuerschnittsfläche auf. Trotzdem brechen diese Knochenam einfachsten. Das Knochenpaar Nummer 1 hingegenist trotz der geringen Dichte eine höhere Festigkeit.Welche Rolle spielen Dichte und Querschnittsflächebezüglich Torsionsfestigkeit?

Es ist anzunehmen, daß vor allem die Dichte der Kortikalisentscheidend ist, und diejenige der Spongiosa Kortikalisund Spongiosa) nur einen kleinen Einfluß hat.

1.6 1.7 1.8 1.9 2 2.1 2.20

20

40

60

80

100

Knochendichte der Kortrikalis [g/cm³]

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

3

4

56

7

8

9

10

Fig. 65 Maximales Moment in Abhängigkeit der Knochendichte derKortikalis (r = 0.505).

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6HLWH#8<

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.70

20

40

60

80

100

totale Knochendichte [g/cm³]

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

34

56

7

8

9

10

Fig. 66 Maximales Moment zur totalen Knochendichte (r = 0.568).

Fig. 65 zeigt den Einfluß der Kortikalisdichte und Fig. 66den Einfluß von Kortikalis- und Spongiosadichtezusammen. Wie erwartet ist der Unterschied nichtrelevant. Die Spongiosadichte leistet somit keinen Beitragzur Torsionsfestigkeit der Tibia.

Offensichtlich ist, daß die Querschnittsfläche einenentscheidenden Faktor zur Festigkeit darstellen muß:

2 2.5 3 3.5 4 4.50

20

40

60

80

100

Querschnittsfläche total [cm²]

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 67 Moment in Abhängigkeit der totalen Querschnittsfläche (r =0.836).

Schon hier läßt sich anhand der Korrelationen feststellen,daß die Querschnittsfläche eine wesentlichere Rolle alsdie Knochendichte spielt.

Das polare Flächenträgheitsmoment verbindet dieGeometrie mit der Querschnittsfläche. Daher sollte daspolare Trägheitsmoment gut mit dem maximalen Momentkorrelieren:

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0 10'000 20'000 30'0000

20

40

60

80

100

polares Trägheitsmoment

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 68 Maximales Moment zum polaren Flächenträgheitsmomentder gesamten Querschnittsfläche (r = 0.817).

Dieselben Überlegungen gelten natürlich auch in Bezugauf die Torsionssteifigkeit:

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.70

20

40

60

80

100

120

140

Knochendichte [g/cm³]

Tors

ions

stei

figke

it [N

m²]

1

2

3

4

56

7

8

9

10

Fig. 69 Torsionssteifigkeit versus mittlere Knochendichte (r = 0.548).

2 2.5 3 3.5 4 4.50

20

40

60

80

100

120

140

Querschnittsfläche total [cm²]

Tors

ions

stei

figke

it [N

m²]

1

2

3 45

6

7

8

9

10

Fig. 70 Torsionssteifigkeit zur Querschnittsfläche (r = 0.904)

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6HLWH#94

5'000 10'000 15'000 20'000 25'000 30'000 35'0000

20

40

60

80

100

120

140

totales pol. Trägheitsmoment

Tors

ions

stei

figke

it [N

m²]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 71 Torsionssteifigkeit zum polaren Flächenträgheitsmoment(r = 0.890).

5.3.2 Mechanische Überlegungen

Zur Erfassung der Kräfte und Spannungen, welche aufeine Tibia einwirken, wurden verschiedene Modellebenutzt, Vom einfachen Zylindermodell, über mehrstufigeZylinder23, bis zum Modell aus finiten Elementen24.

Als Grundlage für die weiteren theoretischenBetrachtungen soll uns das einfache Modell einesHohlzylinders genügen.

Der Hohlzylinder werde mit einem Moment M belastet.Dadurch resultiert eine Deformation, welche sich mit demWinkel ϕ erfassen läßt.

ϕγMr

R

Fig. 72 Zylindermodell unter Torsionsbelastung.

Wenn man sich ein kleines Quadrat auf der Oberflächedes Zylinders vorstellt, so kann man die wirkendenSpannungen folgendermaßen beschreiben:

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6HLWH#95

τ

τ τ

τ

σ1

σ1

σ2

σ2

Fig. 73 Anordnung der Zug- und Schubspannungen an derOberfläche eines tordierten Zylinders. σ: Zugspannung, τ:Schubspannung

Fig. 74 Das Modell eines Gummischlauches mit einer Markierungzeigt die Verformungen unter einer Torsionsbelstung. (Rechtsmit, links ohne Torsion). Vergleiche auch Fig. 1 .

Dabei ist τ die Schubspannung, σ die entsprechendeZugspannung. Bei einem spröden Werkstoff sind alleSchubspannungen τ gleich groß. Die resultierendeSpannung erscheint also in 45° zur Zylinderachse.

τ±$

τ±$

σ±√2±$

Fig. 75 Berechnung der Zugspannung.

Die Summe aller Kräfte muß Null geben, also gilt:

212

2 2⋅ ⋅ ⋅ = ⋅ ⋅τ σ A

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Damit wird die Zugspannung τ zu:

τ σ= (1)

Entscheidend für die Fraktur ist diese Zugspannung. DieFraktur wird also wie schon erwähnt in ca. 45° erscheinen.(Kann mit einer Kreide nachvollzogen werden.) Natürlichist ein Knochen kein homogener spröder Körper, so daßAbweichungen von diesen 45° zu erwarten sind.

Ganz allgemein gilt:

M =∫AdM =∫Ar dAτ

Dabei bedeuten: A die Fläche, r der Radius, τ dieSchubspannung.

Mit der Schubmodul G (einer Materialkonstanten) gilt

τ γ= ⋅G

τ ϕ= ⋅ ⋅G

rl

Daraus folgt

MG

l= ⋅ ϕ ∫Ar dA2

Da das polare Flächenträgheitsmoment Ip definiert ist als

Ip = ∫Ar dA2

folgt:

MG

lIp= ⋅ ⋅ϕ

Damit steht der Zusammenhang zwischen dem Moment Mund dem Winkel ϕ fest:

ϕ =⋅

⋅lG Ip

M

Für einen Hohlzylinder läßt sich das polareFlächenträgheitsmoment wie folgt berechnen:

Ip = ∫RR r dr R R

1

2 324

14

2= −π

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6HLWH#97

Und damit läßt sich die Torsionssteifigkeit wie folgtbeschreiben:

G IpM

l⋅ = ⋅ϕ

(2)

Die Schubspannung an der Oberfläche des Hohlzylindersläßt sich bestimmen:

τ = ⋅r MIp

Damit wird die Deformation γ zu:

γ = ⋅rMIp

G

W.C. Hayes25 hat folgende Werte bestimmt:

E = 130 MPa

G für Torsion = 4 GPa

ν = 0.3

5.3.3 Torsionssteifigkeit

Nun zurück zum mathematischen Hohlzylindermodell.Nach (2) verhalten sich Moment zu Winkel wie folgt:

M Ip Glϕ

= ⋅

Die Länge l ist bekannt, Ip, das polareFlächenträgheitsmoment, läßt sich aus den CT-Messungen berechnen. Das einzige noch unbekannteElement, um die Torsionssteifigkeit verifizieren zu können,ist das Schubmodul G.

Nach W.C Hayes25 in Current Conceps of Bone Fragilityist das Elastizitätsmodul mit der Knochendichte derKortikalis in folgendem Zusammenhang:

E = ⋅3790 3ρ

Mit E G= ⋅ ⋅2 (1+ µ), wobei µ die Querdehnungszahl ist,läßt sich G berechnen. Für Knochen kann µ = 3.33angenommen werden. (Poissonsche Zahl ν = 1/µ = 0.3)

Zur Kontrolle kann, wie in 5.3.1 beschrieben, dasSchubmodul auch aus unseren Meßwerten bestimmtwerden.

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6HLWH#98

GM l

Ip= ⋅

⋅ϕ

In der folgende Graphik lassen sich die nach Hayesberechneten und die aus Meßwerten bestimmtenSchubmodule vergleichen.

1.6 1.7 1.8 1.9 2 2.1 2.21.5

2

2.5

3

3.5

4

4.5

Knochendichte

Sch

ubm

odul

G [G

Pa]

gemessenlinks

gemessenrechts

errechnetlinks

errechnetrechts

Fig. 76 Vergleich gemessener und aus der Knochendichteerrechneter Schubmodule.

Mit dem nach Hayes berechneten Schubmodul läßt sichnun die Torsionssteifigkeit berechnen und mit dengemessenen Werten vergleichen:

0 20 40 60 80 100 120 1400

20

40

60

80

100

120

140

Torsionssteifigkeit errechnet [Nm²]

Tors

ions

stei

figke

it ge

mes

sen

[Nm

²]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 77 Vergleich gemessener und berechneter Torsionssteifigkeiten.

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6HLWH#99

Anhand der Fig. 77 zeigt sich, daß sich das zylindrischeModell zusammen mit den gemessenen Werten G und Ipgut zur Einschätzung der Torsionssteifigkeit der Tibiaverwenden läßt.

Die Torsionssteifigkeit G*Ip ist also abhängig von derDichte des Knochens und vom polarenFlächenträgheitsmoment, wobei die Dichte mit der drittenPotenz, und der Radius des Knochens mit der viertenPotenz zu tragen kommt. Da die Variationen der Dichteder Kortikalis im Vergleich zum Radius (oder Fläche) kleinsind (siehe 4.1.2), wird, wie vermutet, die Dichte desKnochens gegenüber der Geometrie eine untergeordneteRolle spielen.

5.3.4 Festigkeit

Wie im mathematischen Modell gezeigt wird, kann mitHilfe des polaren Flächenträgheitsmoment dieQuerschnittsfläche mit dem Abstand zum Schwerpunktgewichtet werden. Damit werden auch die geometrischenEigenschaften berücksichtigt.

Wie beschrieben, erwarten wir einen quadratischenZusammenhang zwischen der Querschnittsfläche unddem polaren Flächenträgheitsmoment. Die Fig. 78 zeigt,daß die gemessenen Werte tatsächlich durch einequadratische Funktion angenähert werden können.

0 1 2 3 4 50

10'000

20'000

30'000

40'000

Querschnittsfläche [cm²]

pola

res

Trä

ghei

tsm

omen

t

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 78 Das polare Trägheitsmoment als Funktion derQuerschnittsfläche (ausgezogene Linie: quadratischeRegression).

In dem uns interessierenden Teil läßt sich die Kurve durcheine Gerade annähern, so daß das sich max. Momentetwa linear zum polaren Trägheitsmoment verhaltensollte:

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6HLWH#9:

0 10'000 20'000 30'0000

20

40

60

80

100

polares Trägheitsmoment

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Fig. 79 Maximales Moment in Abhängigkeit des polarenTrägheitsmomentes (r = 0.817).

Wie erwartet korreliert das maximale Torsionsmomentsehr gut mit dem polaren Trägheitsmoment.

Besteht nun ein Zusammenhang zwischen derTorsionssteifigkeit und der Festigkeit?

Fig. 80 zeigt, daß die Torsionssteifigkeit gut mit derFestigkeit korreliert. Offenbar sind diejenigen Strukturen,welche die Torsionssteifigkeit bedingen, auch für dieFestigkeit verantwortlich. Das bedeutet, daß dieelastischen Fasern auf Zug belastet werden, bis sieschliesslich zerreissen. Damit wird bestätigt, daß dieFraktur durch Zug hervorgerufen wird, wie in Abschnitt2.2.1 beschrieben.

0 20 40 60 80 100 120 1400

20

40

60

80

100

120

Torsionssteifigkeit [Nm²]

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

34

56

7

8

9

10

Fig. 80 Maximales Moment in Abhängigkeit der Torsionssteifigkeit(r = 0.930).

Mit der Darstellung vom max. Moment in Funktion desTibiaplateaus, läßt sich die Feststellung von Asangbelegen:

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6HLWH#9;

Die Breite des Tibiaplateaus kann zur grobenAbschätzung der Festigkeit der Tibia beigezogen werden.

60 65 70 75 80 85 900

20

40

60

80

100

Tibiaplateau Breite [mm]

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

1

2

3

4

56

7

8

10

9

Fig. 81 Das max. Moment im Vergleich mit dem Tibiaplateau(r = 0.590).

5.3.5 DMS und Oberflächenspannungen

In 5.3.1 (1) wurde gezeigt, daß die maximaleZugspannung σ = τ ist. Also:

σ τ γ= = ⋅ = ⋅GMIp

r

Der Radius r läßt sich aus dem mit dem CT gemessenenDurchmesser annähern. Mit der Annahme allerdings, daßdie Querschnittsfläche einem Kreis entspricht, was abernicht der Realität entspricht.

Dehnungsmeßstreifen erfassenOberflächendeformationen und -spannungen. Wir habenversucht, die DMS-Daten mit den anderen Meßwerten undunserem mathematischen Modell in Verbindung zubringen, aber es ist uns nicht gelungen, irgend eineKorrelation zu finden.

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-2 -1.5 -1 -0.5 0 0.5 1 1.5 220

40

60

80

100

120

DMS [V]

max

. Tor

sion

smom

ent [

Nm

]

MV links

MV Rechts

Fig. 82 Maximales Torsionsmoment verglichen mit dendazugehörenden DMS-Signalen. MV links ist derDehnungsmeßstreifen medioventral an der linken Tibia. MVrechts ist an der rechten Tibia.

Es hat uns sehr erstaunt, so schlecht Korrelationenvorzufinden. Wir hatten erwartet, daß dieOberflächenspanungen etwa dem maximalen Momententsprechen könnten.

Zuerst stellte sich die Frage, ob die Klebetechnikungenügend war. Schließlich läßt sich die Adhäsion derDMS an die Knochenoberfläche nicht kontrollieren.Dagegen spricht jedoch die Kontinuität der Signale,welche in keiner Weise auf ein Abkleben hinwiesen.Zudem haben früher stattgefundene Versuche(Vierpunktebiegung) mit derselben Klebetechnik unddemselben Material gute Ergebnisse gezeigt.

Auch ein Meßfehler aufgrund defekter Meßgeräte odergeänderter Einstellung kann anhand der Protokolleausgeschlossen werden.

Schließlich sind wir zum Schluß gekommen, daß dieGeometrie des Knochens für diese schlechte Korrelationverantwortlich ist. Es ist bekannt, daßOberflächenspannungen stark von der Geometrieabhängig sind und daß die Geometrie von Knochen zuKnochen verschieden ist. Schon kleine Abweichungen derDMS-Lokalisation haben deshalb stark unterschiedlicheMeßwerte zur Folge. Wir gehen davon aus, daß die DMSin einer nichtidealen Position angebracht waren, und daßsich die Ungenauigkeit der Plazierung in den Meßwertenausgewirkt hat. Ob eine bessere Plazierung der DMS sichüberhaupt realisieren läßt, ist noch offen.

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Die Momente über den gesamten Knochen sindMittelwerte über den gesamten Knochen, und die lokalenEffekte mitteln sich aus.

5.3.6 Deformation

Mit Hilfe der Torsionssteifigkeit läßt sich berechnen,welcher Winkel beim maximalen Torsionsmoment erreichtwerden würde, falls der Knochen sich rein elastischverhalten würde. Aus der Differenz der Winkel (errechnetund gemessen) läßt sich errechnen, wie groß dieplastische Deformation etwa war.

-2 -1 0 1 2 3 4 5 620

40

60

80

100

120

Deformation [Grad]

max

. Mom

ent [

Nm

]

Fig. 83 Darstellung der plastischen Deformation.

Die plastische Deformation läßt sich aber mit keineranderen gemessenen Größe in Verbindung bringen.Mögliche Erklärungen sind das Befestigen der Knochenmit einer Vorspannung (der negative Deformationswertdeutet darauf hin), oder die relativ ungenaueWinkelmessung.

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6. Schlußfolgerungen

Wir hatten uns am Anfang die Frage gestellt, weshalbTibiatorsionsfrakturen im Alter, also bei osteoporotischenKnochen, nicht häufiger auftreten als bei Jugendlichen.

Schon anhand der mechanischen Überlegungen fällt auf,daß die Dichte der Querschnittsfläche gegenüber wenigerins Gewicht fällt.

Auch die mechanischen Tests bestätigen dies: DieQuerschnittsfläche an der engsten Stelle der Tibia ist fürdie Torsionsfestigkeit entscheidend und nicht dieKnochendichte.

Wir haben zudem gezeigt, daß es möglich ist, miteinfachen Mitteln eine Torsionsmaschine herzustellen,welche genaue und reproduzierbare Messungen erlaubt.

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7. Danksagung

Ich möchte allen beteiligten Mitarbeitern des AO-Zentrumin Davos meinen Dank aussprechen. Speziell Hr. Perren,damals Leiter des Forschungsinstitutes, welcher michohne Zögern als Praktikant aufgenommen hat. Auchmeinem Supervisor Jacques Cordey bin ich für seineUnterstützung und seine statistischen Kenntnisse sehrdankbar. Weiter sei auch M. Bühler von der AO-DOK,René Senn (CT) sowie Emir Schluep (Photographien)gedankt. Nicht zuletzt hat auch mein Freund Dieter Wahlviel Dank verdient. Ohne seine grenzenlose Hilfe wäre dieTorsionsmaschine nie realisiert worden.

1 Moor K, Tepic S Hochgeschwindigkeits-Film-Analyse des Knochenbruchs. Z.

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2 Barraud GE De la stabilité des osteotomies spiroides in vitro fixées pardifférents vissages avec ou sans plaques de protection. AO-Zentrum.

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6 Pauwels F Gesammelte Abhandlungen zur funktionellen Anatomie desBewegungsapparates. Springer, Berlin Heidelberg New York 1978

7 Hirsch HH Die mechanische Bedeutung der Schienbeinform. Springer, Berlin;1985

8 Sonoda T Studies on the strength for torsion of the human extremity longbones. J Kyoto Pref Med Univ 71: 710; 1962

9 Mechanik N Die Verteilung des kompakten Knochengewebes und dieDimension der Markhöhle der Tibia des Menschen und derHaustiere. Z Anat Entwickl Gesch 93: 198; 1930

10 Grunewald J Die Beziehungen zwischen Form und Funktion der Tibia und Fibulades Menschen und einiger Menschenaffen. Z Orthop Chir 35: 675,1916

11 Kummer B Biomechanik der Frakturen der langen Röhrenknochen. HefteUnfallheilkd 164 : 39; 1984

12 Mechanik N Untersuchung der kompakten Schicht und der Markhöhle derFibula des Menschen. Z Ges Anat 97: 22; 1932

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13 Lambert KL The weight-bearing function of the fibula. J Bone Joint Surg [Am]

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15 Mathes SJ, Nahai F Classification of the vascular anatomy of muscles: Experimentaland clinical correlation. Plast Reconstr Surg 67: 177; 1981

16 Melton LJ, Riggs BL Epidemiology of age related fractures. The osteoporotic syndrome,Grune and Stratton 1983

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20 Rüegsegger P et al Quantification of bone mineralization using computer tomography.Radiology 121:93-97, 1976

21 Cordey J Quantitative computed tomography: From linear absorbtion coeffi-cients to bone mass. Injury Vol. 23, Sup 2; 1992

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