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Die neue Staffel 2004

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Die neue Staffel 2004

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BabushkaBuch und Regie: Adnan Hadzi

Großmutter Nina und Michael Hadzi,Bruder des AutorsDas Foto entstand in Novi Sad (Serbien) während derDreharbeiten zu dem Dokumentarfilm »Babushka«.

TitelbildIm Rhythmus der StilleBuch und Regie: Joachim Bihrer und Claus Hanischdörfer

Sarah Neef tanzt

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4 Das Unsichtbare sichtbar gemachtNeue Staffel »Junger Dokumentarfilm«

ab 26. Februar im SÜDWEST Fernsehen

7 Sendetermine

8 Im Rhythmus der Stille

11 »Ein Drehtagebuch«

15 »Kreative Gestalter der Wirklichkeit«

16 Biografie I Filmografie Joachim Bihrer

17 Biografie I Filmografie Claus Hanischdörfer

18 Wir sind zusammen – ein Film über die Liebe

20 »Vier Frauen, vier Leben«

23 Biografie I Filmografie Lilly Engel

24 Babushka – Großmutter

26 »Wir alle vergessen«

27 Biografie I Filmografie Adnan Hadzi

28 10 Tage – ein ganzes Leben

29 »Die Begegnung mit dem Unbekannten«

31 Biografie I Filmografie Tanja Hamilton

32 Maison de France

35 »Der Film, der einfach nicht gemacht werden wollte«

37 Biografie I Filmografie Stefan Suchalla

38 Out of EDEKA40 Was ist »Out of EDEKA«?

41 Biografie I Filmografie Konstantin Faigle

42 Der Madendoktor44 »Der Herr der Fliegen«

45 Biografie I Filmografie Sandra Hacker

Inhalt

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26. Februar die Lebenswelt einer tauben jungen Frau,

die mit viel Energie ihr Abitur an einem öffentlichen

Gymnasium besteht, mehrere Sprachen spricht

und Ballett tanzt. Durch die feinfühlige Umset-

zung, in wunderschönen poetischen Bildern und

durch die Nähe zur Protagonistin vermittelt der

Film aber mehr von diesem Menschen Sarah Neef,

von ihren Träumen und Gefühlen. Die Zuschauer

erhalten einen berührenden Einblick in eine ihnen

eigentlich fremde, tonlose Welt.

Lilly Engel verwebt in ihrem Film »Wir

sind zusammen« am 4. März die »Liebesgeschich-

ten« ganz unterschiedlicher Paare, die eigentlich

nichts miteinander zu tun haben, kunstvoll zu einem

amüsanten Bild über die Träume und Sehnsüchte

von Frauen verschiedensten Alters und unterschied-

lichster Herkunft.

Adnan Hadzi versucht durch eine gemein-

same Reise mit seiner an Demenz erkrankten Groß-

mutter, deren Leben und Vergangenheit zu erkun-

den. Es gelingt ihm in seinem Film »Babushka« am

11. März ebenso, die Grauen von Krieg und Vertrei-

bung zu zeigen, als auch in großartigen Bildern die

Weite des zurückgelegten Weges und das Vergessen

anschaulich zu machen, ihm ein Gesicht zu geben.

»Das Unsichtbare sichtbar gemacht«Neue Staffel »Junger Dokumentarfilm« ab 26. Februar im SÜDWEST Fernsehen

Mit dem Film »Im Rhythmus der Stille«

beginnt am Donnerstag, 26. Februar 2004, die neue

Staffel der Nachwuchsreihe »Junger Dokumentar-

film« des Südwestrundfunks (SWR). An den folgen-

den Donnerstagen laufen jeweils um 23.15 Uhr

sechs weitere Dokumentarfilme junger Filmema-

cher im SÜDWEST Fernsehen. Auch in diesem Jahr

sind wieder völlig unterschiedliche Filme mit ganz

eigenen Handschriften zu sehen. Vielfältig in Form

und Ausdrucksweise, wie es das dokumentarische

Genre eben zulässt, zeigen die Autoren auch in der

neuen Staffel, dass sie es verstehen, den Blick für

Dinge zu öffnen, die sich nicht nur auf der Ober-

fläche abspielen. »Allen ist gemeinsam, dass sie

nicht nur die reine Realität abbilden, sondern sich

auf die Suche nach weiteren Ebenen machen und

versuchen, diese einfühlsam zu erspüren und vor

allem erlebbar zu machen. Das eigentlich Unsicht-

bare, wie Gefühle, Erinnerungen, Wünsche und

Sehnsüchte wird quasi sichtbar gemacht«, erklärt

die Redakteurin Stefanie von Ehrenstein vom SWR

in Baden-Baden, die gemeinsam mit Ebbo Demant

die Reihe verantwortet.

So zeigt der Film »Im Rhythmus der Stille«

von Joachim Bihrer und Claus Hanischdörfer am

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dem Film»Der Madendoktor« von Sandra Hacker.

Man könnte fragen, ob es ein Film über einen Krimi-

nalbiologen oder über die Stubenfliege ist. Heraus-

gekommen ist ein Film über den Kreislauf des Le-

bens, humor- und phantasievoll umgesetzt.

Die Reihe »Junger Dokumentarfilm«

wurde 1999 vom Südwestrundfunk, zusammen mit

der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Würt-

temberg und der Filmakademie in Ludwigsburg

ins Leben gerufen. Damit wird jungen Filmema-

chern die Finanzierung und Ausstrahlung ihres

Debütfilms ermöglicht. Pro Jahr werden durch die-

se Kooperation vier Filme von Hochschülern bezie-

hungsweise Absolventen der Akademie produ-

ziert. Grundsätzlich unterliegt die Themenwahl

keinen Einschränkungen und Vorgaben. Die Stoffe

sollen aber einen nachvollziehbaren Bezug zur

Realität haben. In ihren 60- bis 90-minütigen Fil-

men haben die jungen Autoren also weitgehend

eine freie Spielfläche, ohne inhaltliche und formale

Zwänge. Die Form darf sich hier noch völlig aus dem

Inhalt entwickeln. Für die Autoren gibt es hier-

durch die Möglichkeit, mit professioneller Hilfe-

stellung eine eigene dokumentarische Handschrift

zu entwickeln. Darüber hinaus produziert der SWR

für diesen Sendeplatz, häufig auch in Koproduk-

tion mit anderen Sendeanstalten der ARD oder mit

ARTE, weitere Filme mit Nachwuchsautoren und

Absolventen der unterschiedlichsten Hochschulen.

»10 Tage – ein ganzes Leben«, dass dieser

Filmtitel die Situation von Antonio Coloma deutlich

beschreibt, zeigt Tanja Hamilton am 18. März. Auf

ihrer Spurensuche mit dem chilenischen Exilanten

deckt die Autorin menschliche Gefühle und Ab-

gründe auf. Die Zuschauer erfahren mehr als nur,

was es bedeutet unter einem totalitären Regime

zu leben. Zwangsläufig stellt sich die Frage nach Ver-

antwortung und Moral.

In »Maison de France« am 25. März zeich-

net Stefan Suchalla auf spannende Weise zwei

Lebenswege nach, den des Terroristen Johannes

Weinrich und den von Michael Haritz, einem relativ

unpolitischen jungen Mann. Zwei Menschen, die

eigentlich nichts miteinander zu tun haben, aber

deren Weg sich einmal auf tragische Weise kreuzt,

wobei Michael Haritz sein Leben verliert. Der Film

spürt detektivisch menschlichen Entwicklungen

nach und ruft einen Teil deutscher Geschichte in

Erinnerung.

Am 1. April läuft der Film »Out of EDEKA«

von Konstantin Faigle. Ihm ist eine bunte, unter-

haltsame, skurrile und liebevolle Filmreise in seine

Kindheit und Jugend gelungen. Faigle wuchs in

einem EDEKA-Laden in der schwäbischen Provinz

auf. Ein Film, der vor Ideen sprüht, und ein Film über

das »Loslassen«.

Abgeschlossen wird die diesjährige Staf-

fel des »Jungen Dokumentarfilms« am 8. April mit

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S e n d e t e r m i n e

01.04. | 23.15 Uhr

Out of EDEKABuch und Regie: Konstantin Faigle

90 Min.

08.04.| 23.15 Uhr

Der MadendoktorBuch und Regie: Sandra Hacker

60 Min.

26.02. | 23.15 Uhr

Im Rhythmus der StilleBuch und Regie: Joachim Bihrer,

Claus Hanischdörfer

60 Min.

04.03. | 23.15 Uhr

Wir sind zusammen – ein Film über die LiebeBuch und Regie: Lilly Engel

60 Min.

Erstausstrahlung

11.03. | 23.15 Uhr

Babushka Buch und Regie: Adnan Hadzi

90 Min.

Erstausstrahlung

18.03. | 23.15 Uhr

10 Tage – ein ganzes LebenBuch und Regie: Tanja Hamilton

90 Min.

Erstausstrahlung

25.03. | 23.15 Uhr

Maison de FranceBuch und Regie: Stefan Suchalla

90 Min.

Erstausstrahlung

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Endlich ist die Schulzeit vorbei, das Abi-

tur geschafft. Sarah Neef will sich jetzt ganz auf ihre

künstlerische Karriere konzentrieren. Musik und

Tanz waren schon immer ihre Leidenschaft. Sarah

ist Balletttänzerin, sie spielt Klavier und Flöte. Seit

ihrer Geburt ist Sarah taub.

Sarah beginnt mit den Proben zu »Die

Liebe zum Mond«, einem musikalischen Tanzthea-

ter mit Stücken von Mendelssohn, Chopin und

Debussy. Harte Arbeit liegt vor ihr: Zusammen mit

zwei Musikern will sie auf eine Tournee quer durch

Deutschland gehen. Der Film begleitet die 20-Jäh-

rige vom Ende der Schulzeit bis zu der mit Span-

nung erwarteten großen Premiere.

Die beiden Filmemacher Joachim Bihrer

und Claus Hanischdörfer haben Sarah Neef sechs

Monate lang in ihrem Alltag und bei den Tanzpro-

ben beobachtet. Ihr Film gewährt Einblicke in eine

fremde, tonlose Welt, die doch voller Rhythmus

ist, und zeigt eine junge Frau, die mit eisernem

Willen ihren Traum von Selbstverwirklichung in die

Tat umsetzt.

Sarah Neef entdeckte trotz ihrer Gehör-

losigkeit schon sehr früh ihre Liebe zum Tanz.

Nachdem sie im Alter von knapp drei Jahren die

»Im Rhythmus der Stille«Ein Film von Joachim Bihrer und Claus Hanischdörfer

sendetermin SÜDWEST Fernsehen 26.02.2004, 23.15 Uhr1

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Jahr 2000 zum ersten Mal zusammen mit Sarah

Neef auf.

Über diesen Auftritt las Claus Hanisch-

dörfer einen Zeitungsartikel, und so entstand die

Idee für den Dokumentarfilm. Die Kontaktaufnah-

me mit Sarah erfolgte per Fax. Beim ersten per-

sönlichen Treffen wollten die Filmautoren einen

Gebärdendolmetscher mitbringen, aber Sarah Neef

beherrscht die Gebärdensprache überhaupt nicht,

sie kommuniziert lautsprachlich und liest von den

Lippen. Bei den Dreharbeiten kam es selten zu

Kommunikationsproblemen, außer der Sichtkon-

takt brach ab, beispielsweise bei Nacht oder wenn

auf der Bühne nur mit spärlichem Licht gearbeitet

wurde.

Sarah ersetzt den fehlenden Gehörsinn

und meistert ihr Leben mit den verbleibenden vier

Sinnen. Aber schafft sie das wirklich? Wo stößt sie

an ihre Grenzen? Bekommt sie die Anerkennung,

die sie sich wünscht?

»Im Rhythmus der Stille« – ein sinnlicher

Film über eine starke Frau.

Ballettaufführung »Dornröschen« im Großen Haus

in Stuttgart gesehen hatte, imitierte sie mit Be-

geisterung die gesehenen Tänze. Ihre Mutter

erkannte das Talent und schickte sie zum Ballett-

unterricht. 1989 führte Sarah im Alter von acht

Jahren zum ersten Mal einen Tanz nach eigener

Choreographie auf.

Ihr Abitur, das mit zwei Preisen ausge-

zeichnet wurde, hat Sarah an einer Schule für

Hörende gemacht. Sie spricht Deutsch, Englisch,

Französisch, Russisch und Latein, obwohl sie noch

nie eine dieser Sprachen gehört hat. Verstehen

kann sie nur durch das Lesen der Lippen. Ihre Sprach-

fähigkeit hat sie durch jahrelanges intensives Trai-

ning mit ihren Eltern erlangt. Geschult wurden

Sarah und ihre Mutter von der in der Schweiz

lebenden Sprachtherapeutin Susanna Schmid-

Giovannini, die auch heute noch mit gehörlosen

und hörgeschädigten Kindern Kurse durchführt.

Das »Hören« von Musik bewältigt Sarah

auf ihre eigene Weise: »Ich höre Musik mit meinem

ganzen Körper. Tiefe Töne mit dem Bauch, hohe

mit dem Gesicht, mit der Haut.« Sarah Neef arbei-

tet mit zwei preisgekrönten Musikern zusammen:

Ekkehard Hessenbruch am Violoncello und Tobias

Rückert am Klavier. Die beiden Musiker traten im

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StabBuch und regieJoachim BihrerClaus Hanischdörfer

Kamera:Claudia Rauch

2. Kamera:Roland MönchJürgen Arne KleinHubert Märkl

Ton:Martin Hertel

Schnitt:Sabine Hackenberg

Ausführender Produzent:Gerhard Stahl

Produktion:Jochen Dickbertel (SWR)

Beratung:Thomas Schadt

Redaktion:Ebbo DemantFrank Hertweck

Eine Produktion von SWR, FILM + TV-POOL Medienproduktion, FachhochschuleStuttgart – Hochschule der Medien. Gefördert von MFG Filmförderung Baden-Württemberg und vom Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheitender Kultur und der Medien.

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»Im Rhythmus der Stille«

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Sarah sei per Fax oder E-Mail zu erreichen, aller-

dings stecke sie gerade im Schulstress. Das Abi

steht vor der Tür. Keine Zeit also, sich mit einem

unbekannten Dokumentarfilmer zu beschäftigen.

Januar 2001

Joachim Bihrer ist auf der Suche nach

einem Thema für die SWR-Sendereihe »Junger

Dokumentarfilm«, Hanischdörfer erzählt ihm von

der tauben Tänzerin. Die beiden haben sich schon

oft bei ihren Projekten gegenseitig unterstützt,

endlich wollen sie gemeinsam einen Film drehen.

Hanischdörfer überzeugt Sarah von einem Treffen:

»Ich wollte einen Gebärdendolmetscher mitneh-

men, aber Sarah lehnte ab, da sie gar keine Gebär-

densprache beherrscht.« Sarah kann sprechen, ob-

wohl sie seit Geburt taub ist. Gelernt hat sie es mit

Hilfe einer Schweizer Sprachtherapeutin und der

aufopferungsvollen Arbeit ihrer Eltern. Sarah be-

herrscht vier Fremdsprachen und liest von den Lip-

pen. Am Ende des Gesprächs willigt sie ein, dass

nach dem Abitur ein Film über sie gemacht wird, im

Herbst will sie mit den Musikern Ekkehard Hessen-

Wilkie Collins, der Vater des klassischen

Kriminalromans, sagte einmal den berühmten Satz,

als er nach seinen dramaturgischen Kniffs gefragt

wurde: »Make them laugh, make them cry – but

make them wait!« Sie zum Lachen und Weinen zu

bringen, aber sie warten lassen – diese dramaturgische

Raffinesse wollten die beiden Nachwuchsdokumen-

tarfilmer Joachim Bihrer (28) und Claus Hanisch-

dörfer (35) nicht nur für ihren ersten gemeinsamen

Film anwenden. Sie sollten ihn auch am eigenen

Leibe erleben. Bihrer: »Warten wurde zum wichtig-

sten Element der Produktionsgeschichte unseres

Films.«

Herbst 2000

Claus Hanischdörfer entdeckt beim Zei-

tunglesen eine faszinierende Geschichte: Sarah

Neef ist gehörlos und tanzt Ballett. Vorsichtige,

erste Kontaktaufnahme, über die Auskunft findet

er Sarahs Telefonnummer. Er greift sofort zum

Hörer und wählt, bis ihm plötzlich klar wird, »dass

mit einer Gehörlosen diese Art von Kommunika-

tion nicht funktionieren kann«. Sein Anruf wird

dennoch entgegengenommen: von Sarahs Mutter.

Wie viel Ambition braucht es, um einen Film zu drehen, bei der die Hauptperson gehörlos ist?

Wie viel Hartnäckigkeit, um den gordischen Knoten aus Kalkulation, Förderanträgen und

Zeit zu zerschlagen, damit am Ende ein Sendetermin steht? Das Kardiogramm des (jungen)

Dokumentarfilms »Im Rhythmus der Stille« — ein Drehtagebuch.

Von Joachim Bihrer und Claus Hanischdörfer

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machen, dann wird es eben ein ›Low-Budget-Ding‹.«

Gemeinsam mit Kamerafrau Claudia Rauch be-

ginnen die Dreharbeiten auf MiniDV (semiprofes-

sionelles Videoformat), die Firma »Film + TV-Pool«

schießt das notwendige Geld vor. Zu diesem Zeit-

punkt weiß keiner, ob daraus jemals ein Film wer-

den wird.

Juli 2001

Endlich die Zusage. Fördergeld fließt.

Erster, aufwändiger Dreh in der Schweiz: Sarah zu-

sammen mit ihren Eltern bei der Sprachtherapeu-

tin, bei der sie sprechen gelernt hat. Hier erfahren

Bihrer und Hanischdörfer viel über die Welt von

Gehörlosen, die die lautsprachliche Kommunika-

tion der Gebärdensprache vorziehen. Auch hier

dreht das Team auf MiniDV, denn laut Konzept ist

Sarahs Welt in zwei Bereiche geteilt: Alltag und

Tanzwelt. Alle Alltagsszenen werden auf Video ge-

dreht, ihr Tanz auf Super 16-Filmmaterial festge-

halten. Zurück aus der Schweiz. Weil man später

auf einen erklärenden Sprecherkommentar ver-

zichten will, suchen Bihrer und Hanischdörfer nach

einer Szene, die Sarahs Taubheit deutlich zeigt.

bruch und Tobias Rückert auf Tournee gehen. Bihrer

und Hanischdörfer haben damit ihre Geschichte:

»Wir wollen Sarah von den ersten Proben bis zur

großen Premiere begleiten«. Jetzt fehlt nur noch

Geld.

April 2001

Erste Hürde genommen: Der SWR hat

sieben Themenvorschläge für die Reihe »Junger

Dokumentarfilm« ausgewählt, darunter die Idee

über die gehörlose Balletttänzerin. Noch ist nichts

entschieden, da nur vier Filme Filmförderung von

der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württem-

berg (MFG) erhalten. Und nur diese vier können

realisiert werden. Gerhard Stahls »Film + TV-Pool

Medienproduktion« will den Film produzieren.

Gemeinsam mit ihm erstellen Bihrer und Hanisch-

dörfer Konzept, Kalkulation und Förderanträge,

dann heißt es warten. Ein Monat vergeht, zwei

Monate vergehen ...

Juni 2001

Sarahs Abiturprüfung rückt näher und

damit der erste Drehtag. Noch immer keine Nach-

richt von der MFG. Zudem gibt es Gerüchte, dass

andere Projekte bereits eine Förderzusage erhalten

haben. Was nur bedeuten kann, dass Bihrer und

Hanischdörfers Film keine Förderung erhält.

Hanischdörfer: »Wir wollen den Film aber trotzdem

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Herbst 2001

Drehalltag. Mit Sarah zu kommunizieren,

ist für die Filmer nie ein Problem, solange Sicht-

kontakt besteht. Also muss bei nächtlichen Auto-

fahrten im Wageninneren immer das Licht einge-

schaltet werden. Kopfzerbrechen bereiten andere

Punkte: Extremer Ehrgeiz und bewundernswerte

Ausdauer kennzeichnen Sarah Neefs Lebensweg.

Doch die junge Tänzerin ist derart perfektionis-

tisch, dass sie sich scheut, am Anfang der Proben

von der Kamera beobachtet zu werden. Sie probt

heimlich – sehr zum Bedauern der Regisseure, die

ja den Gesamtprozess dokumentieren wollen. Das

führt auf beiden Seiten zu leichtem Misstrauen.

Die nächsten Drehtage bei den Neefs verfestigen

dieses Gefühl. Sarahs Mutter will nicht, dass Sarah

und sie bei ihren Sprechübungen gefilmt werden.

Begründung: Sarah sei, was das Sprechen anbe-

lange, sehr sensibel, da sie als Kind wegen ihrer

Aussprache gehänselt worden sei. Sarah selbst

will darüber in Interviews nichts erzählen. Die Pre-

miere am Theater Heilbronn am 24. November

2001 wird ein voller Erfolg – für Sarah Neef wie

für die Filmemacher. Eine enorme Material-

schlacht begleitet die Aufführung: Mehrere Film-

und Videokameras sind simultan im Einsatz, die

Koordination ist aufwendig. All dies führt dazu,

dass das Filmteam nervöser ist als die auftreten-

den Protagonisten. Am Ende aber sind alle wichtigen

Szenen im Kasten.

Gar nicht so einfach für Dokumentarfilmer, die

nicht inszenieren wollen. Fast drei Tage müssen die

beiden warten, bis endlich die Idealszene im Kasten

ist: Sarah bestellt ein Buch und erklärt der Verkäu-

ferin: »Sie können mich nicht anrufen, weil ich

taub bin!« Die Frau an der Kasse blickt sie verdutzt

an, erinnert sich an die bisherige Unterhaltung

und fragt erstaunt: »Aber Sie hören mich doch!?«

August 2001

Schock! Noch ist keine einzige Tanzsze-

ne im Kasten, als Sarah mitteilt, dass sie ihre Tour-

nee auf Herbst 2002 verschoben hat. Der Film droht

zu platzen, denn im Herbst 2002 ist Sendetermin.

Lange Diskussionen. Schließlich erklärt sie sich

bereit, schon dieses Jahr aufzutreten. Auch die

Musiker sind einverstanden, wollen aber Gage.

Also versucht Produzent Stahl, Geld aufzutreiben.

Derweil suchen Bihrer und Hanischdörfer die ge-

eignete Premierenbühne – eine Rolle, die sie ungern

haben, da die beiden Dokumentarfilmer nur das

festhalten wollen, was einfach passiert. Nach

quälenden Wochen schließlich ist alles in trocke-

nen Tüchern: Im November 2001 soll in Heilbronn

Tanzpremiere sein. Die Proben können also begin-

nen – und damit die menschlichen Probleme.

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Dezember 2001

Extra anberaumter Studiodreh, bei dem

Sarahs Tanz im Mittelpunkt steht. Mit einem für

Dokumentarfilme sehr hohen technischen Auf-

wand: Steadycam, Kran und Slowmotion-Kameras.

Der Dreh gestaltet sich problematischer als erwar-

tet, die Strapazen führen zum ersten, aber auch ein-

zigen Disput zwischen Bihrer und Hanischdörfer.

Bihrer: »Manchmal haben wir uns um minimale

Kamerabewegungen gestritten – letztendlich auch

um viele Einstellungen, die wir im fertigen Film

nicht verwendet haben.«

Weihnachten 2001

Ende der Dreharbeiten. Über die Feierta-

ge wird das Material gesichtet, rund 50 Stunden Roh-

film. Dabei werden alle wichtigen Szeneninhalte

schriftlich festgehalten und das Geschehen kurz

beschrieben. Zwecks besserer Übersicht beim

(späteren) Schnitt müssen sämtliche Dialoge schrift-

lich fixiert werden, am Ende steht ein Transkript von

über 500 Seiten.

Frühjahr 2002

Sechs Wochen lang wird der Film

geschnitten, die Produktionsfirma stellt die tech-

nischen Geräte. Die »Dreierbande«, bestehend aus

Bihrer, Hanischdörfer und der Cutterin Sabine

Hackenberg, klärt ihre Streitfragen, so Bihrer, nach

dem Motto: »Die einfache Mehrheit entscheidet,

doch meistens waren wir uns einig.« Um Sarah

Neefs »stille Welt« dem Zuschauer nahe zu brin-

gen, legen die Filmemacher großen Wert auf ein

ausgefeiltes Sounddesign – es folgen zwei weite-

re Wochen im Tonstudio.

Mai 2002

Der Film ist fertig, alle sind stolz. Sarah

Neef allerdings äußert Bedenken. Glaubt, dass die

gezeigten, oftmals schwierigen Proben nur das

Vorurteil bestätigen, Gehörlosigkeit und Tanzen

passten nicht zusammen. Bedenken, die ihr bei

der ersten öffentlichen Vorführung genommen

werden. Beim SWR-Kulturfest »von vier bis vier«

im Juni 2002 feiert »Im Rhythmus der Stille« Pre-

miere. Das Publikum ist vom Film, vor allem von

Sarah Neefs Leistungen, tief beeindruckt. Inzwi-

schen steht der 24. Oktober 2002 als SWR-Sende-

termin fest. Doch es kommt anders: Der Kultur-

sender ARTE zeigt Interesse am Film, will aber das

Erstsenderecht. Also wird der SWR-Termin ver-

schoben. Allerdings steht der ARTE-Sendetermin

noch nicht fest. Wieder müssen Bihrer und

Hanischdörfer warten.

Sommer 2003

Warterei vorbei. Über zwei Jahre nach

der ersten Klappe läuft »Im Rhythmus der Stille«

mit guten Kritiken auf ARTE, der SWR-Sendeter-

min steht endlich fest. Und Wilkie Collins hat

Recht: Warten ist einfach spannend.

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Kreative Gestalter der Wirklichkeit

Statement von Claus Hanischdörferund Joachim Bihrer zu ihrer Arbeit alsDokumentarfilmer

Wir als Filmemacher interessieren uns

für Menschen, die an einem Scheideweg in ihrem

Leben angekommen sind. Dabei wollen wir vor

allem innere und äußere Konflikte sichtbar machen

und jeweils individuelle Lösungen beobachten. Es

geht uns nicht um Oberflächenreize, die jede

Nachrichtenkamera bereits eingefangen hat. Wir

wollen den Blick ins Detail wagen, Spalten und

Risse beleuchten, die sonst im Verborgenen liegen

und uns und den Zuschauern einen anderen Blick

auf unsere Welt zeigen und vielleicht sogar neue

Perspektiven eröffnen können. Dokumentarisches

Arbeiten ist für uns in erster Linie, wenn sich die

Autoren hinter ihren Protagonisten zu-

rücknehmen und sich mit ganzem Herzen auf ein

anderes Leben einlassen, ohne dabei ihren kriti-

schen Verstand auszuschalten. Dokumentarfilm

sollte kreativ gestaltete Wirklichkeit sein – eine

Wirklichkeit, die nicht inszeniert ist, aber dennoch

wie ein Spielfilm gesehen wird.

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Joachim BihrerAutor und Regisseur von

»Im Rhythmus der Stille«

Preise

2. Preis beim Hennessy Cup 1999;

ADC Nachwuchspreis

Werbefilme (Auswahl)

Fielmann – »Baggersee«, 1999

McDonald’s Kinonews »Slurp I-III«, 1999

Trailer Filmfest Ludwigsburg, 1999

Biografie

Geboren 1973 in Heilbronn. Von 1992 bis 1996 Tätig-

keit als Kameraassistent, Kameramann, Cutter,

Bildmischer für verschiedene Produktionsfirmen

und Fernsehanstalten. Studium an der Filmakade-

mie Baden-Württemberg in Ludwigsburg von 1996

bis 2001. Diplom 2002.

Filmografie (Auswahl)

1996 date

(Kurzfilm, 5 Min.)

1996 Metamorphosen

(Kurzfilm, 5 Min.)

1997 Die Königin ist tot,

es lebe die Königin

(Kurzfilm)

1998 gefühlsecht

(Kurzfilm, 15 Min.)

2001 Yuri

(Dokumentarfilm, 90 Min.)

2002 Im Rhythmus der Stille

(Dokumentarfilm, SWR, 60 Min.)

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Claus HanischdörferAutor und Regisseur von

»Im Rhythmus der Stille«

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Filmografie (Auswahl)

1993 Vergebens wartet Julia

(Kurzfilm, 9 Min.)

1995 Bitte mit Bild

(Dokumentarfilm, 45 Min.)

1996 An Afternoon With The Steben

Twins

(Dokumentarfilm, 30 Min.)

1997 Langer Samstag

(Essay, 15 Min.)

1999 Reisefieber

(Kurzfilm, 8 Min.)

2001 Frauenmucke

(Dokumentarfilm, 90 Min.)

2002 Im Rhythmus der Stille

(Dokumentarfilm, SWR,

60 Min. mit Joachim Bihrer)

2003 Das IKEA-Syndrom –

von Menschen und Möbeln

(Reportage, SWR, 30 Min.)

2003 Im Garten der Gelüste

(Dokumentation, ZDF, 30 Min.

mit Klaus Kafitz)

in Arbeit

Straße nach Nirgendwo

(Dokumentarfilm, SWR, 45 Min.)

in Arbeit

Freie Geier

(Reportage, SWR, 30 Min.)

Biografie

Geboren 1966 in Albstadt. Nach dem Zivildienst

von 1988 bis 1991 Zeitungsjournalist für die Süd-

westpresse. Von 1990 bis 1995 Studium »Audio-

Visuelle Medien« an der Hochschule für Druck und

Medien, Stuttgart. 1996 bis 2000 freier TV-Journa-

list und festangestellter Redakteur bei SAT.1. Seit

2001 als freier Autor und Regisseur für verschiedene

Produktionsfirmen und Sendeanstalten tätig.

Claus Hanischdörfer lebt in Altdorf bei Böblingen.

Preise

2. Preis für »Bitte mit Bild« in der Kategorie

»Dokumentarfilm« beim 1. Forum Hochschulfilm

Baden-Württemberg 1995

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18

sendetermin SÜDWEST Fernsehen 04.03.2004, 23.15 Uhr2

»Wir sind zusammen – ein Film über die Liebe«

Von Lilly Engel

Der Dokumentarfilm »Wir sind zusam-

men« beschreibt exakt und einfühlsam vier Paare

zwischen 13 und 60 Jahren und ihre Geschichten.

Im Mittelpunkt stehen vier Frauen. »Wir sind zu-

sammen« bedeutet für sie Alltag, Ängste, Freude,

Hass, Träume, Erwartungen und Langeweile – kurz,

das Leben mit einem Anderen teilen. Ob mit 13 oder

Mitte 50, es bleibt immer aktuell, mit welchem Part-

ner man die Lebenszeit verbringt.

Wenn zwei ein Paar werden, kommt oft

die Frage: »Seid ihr zusammen?« Sobald man das

mit Ja beantwortet, sinkt das Interesse. »Es wird

nach einem Happy End im Film jewöhnlich abje-

blendt«, schrieb schon Tucholsky und genau da setzt

der Film an. Man kommt zusammen, ist verliebt und

dann? Wie geht es dann weiter? Diese Frage stellt

der Film und begleitet die vier Paare mit 13 Jahren

(Lucie und Matze), Mitte 20 (Nadine und Younes),

Anfang 40 (Silke und Dirk) und Ende 50 (Isolde und

Andre) dabei, wie sie Alltag und Leben miteinander

verbringen wollen oder es gar nicht mehr anders

können.

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Die 13-jährige Lucie aus Marzahn sam-

melt ihre ersten Erfahrungen in Sachen Männer

und bekennt, dass sie schon eine Abtreibung hin-

ter sich hat. Trotzdem ist sie ein »Jungfrauenkna-

cker«, wie sie von sich behauptet, und verweist auf

ihren Freund Matze, der auch noch »Jungfrau« sei.

Lucie hätte am liebsten sechs Kinder.

Nadine entbrennt in Marokko in Liebe für

einen marokkanischen Surflehrer und heiratet ihn

in der schwäbischen Provinz. Obwohl sie sich kaum

verstehen, weil sie die Sprache des anderen nicht

können, träumen beide von großen Abenteuern.

Für Silke ist ein Leben ohne Kinder mit

Anfang 40 sinnlos. Sie sieht keine andere Möglich-

keit, ihr Glück zu finden. Der sie über alles liebende

Freund Dirk heiratet sie unromantisch, um endlich die

ersehnte künstliche Befruchtung durchführen zu kön-

nen. Doch dafür muss Silke das Rauchen aufgeben.

Isolde kennt schon alle Höhen und Tie-

fen im Liebesleben und liest nur noch Liebesge-

dichte von Erich Fried. So sagt Isolde, dass ein guter

Mann wie ein Sechser im Lotto sei, und sie weiß

wovon sie redet. Dank ihrer Lebenserfahrung ist

Isolde die übergeordnete Instanz in dem Film und

begleitet durch die Geschichten der anderen Paare.

StabBuch und RegieLilly Engel

KameraFrank Amann

TonSteffen JauernigOliver GrafeMarcus VetterNic Nagel

SchnittNikola Gehrke

Ausführende ProduzentinMonika Kintner

ProduktionJochen Dickbertel (SWR)Alexander Nicolodi

RedaktionEbbo DemantStefanie von Ehrenstein

Eine Produktion des Südwestrundfunks mitMonika Kintner. Gefördert durch die MFG Film-förderung Baden-Württemberg.

ProtagonistenNadine und Younes BaqqiouiSilke und Dirk BohmIsolde und Andre Di NoviLucie Wajser und Matze Peplan

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zwischen den Wochenend-Besuchen in der Disco

»Kontrast« und dem »Hof« ab. Lucie hat schon eine

Abtreibung hinter sich und wollte sich deshalb um-

bringen. Trotzdem verhütet sie nicht: »Die Kondome

platzen immer... bei der Pille muss ich immer kotzen.

Passiert – passiert!« Ihren jetzigen Freund Matze

kennt sie erst eine Woche. Sie möchte Matze heira-

ten und sechs Kinder von ihm. Matze ist irritiert, aber

er ist ja auch noch »Jungfrau«. Lucie behauptet von

sich, ein »Jungfrauenknacker« zu sein, und Matze

könnte der Nächste sein!

LucieLucie ist 13 Jahre alt und kommt aus Ber-

lin-Marzahn. Sie ist die Tochter immigrierter Russland-

Deutscher. Dafür schämt sie sich sehr. Wenn ihre

Mutter vor anderen Jugendlichen mit ihr russisch

spricht, könnte sie in den Boden versinken. Denn

Lucie möchte so sein wie die anderen Jugendlichen:

»hip und cool«. Das gelingt ihr auch. Sie wird von

allen bewundert, vor allem die Jungs stehen auf

Lucie. Jeden Tag verbringt sie mit ihren Freunden auf

dem »Hof« – einem Innenhof zwischen den Hoch-

häusern in Berlin-Marzahn. Ihre Welt spielt sich

»Wir sind zusammen«Vier Frauen, vier Leben

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NadineNadine ist 28 Jahre alt. Sie kommt aus

Schwieberdingen, einer schwäbischen Kleinstadt.

Nadine lebt ihren Traum: Sie hat in Marokko ihren

Traummann »Sweet Younes« getroffen und heira-

tete ihn drei Monate später in Schwieberdingen.

Ihr Mann ist 21 Jahre alt und Surflehrer. Nadine ist

gelernte Medienfachfrau. Sie hat mit ihrem bürger-

lichen Leben abgeschlossen und möchte mit You-

nes ein Aussteiger-Motel in Marokko eröffnen. Ihre

gesamte Familie ist nicht begeistert von Nadines

Plänen. Nadines Stiefmutter: »Liebe, was ist Liebe?

Ich glaube nicht daran. Früher habe ich auch daran

geglaubt... Wir trauen ihm nicht. Was will er über-

haupt hier? Bei allem, was in der Welt gerade pas-

siert. Ein Ausländer und dann noch Marokkaner.«

Doch mit der Zeit lernt sie ihn auch lieben

und unterstützt das junge Paar mit allen Kräften:

»Nadine war schon immer ein Paradiesvogel«. Und

sie weiß, dass es schwierig werden kann. Aber für

Nadine ist »ein Mann aus einer anderen Kultur

einfach genial«. Die »Kinder-Frage« wollen Nadine

und Younes etwas verschieben. Deshalb gehen sie

zusammen zum Gynäkologen, und Nadine lässt

sich unter Schmerzen eine Spirale einsetzen. Das

»junge Glück« wählt den Weg des Abenteuers und

reist mit dem eigenen Wohnmobil nach Marokko in

sein neues Leben.

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IsoldeIsolde ist 55 Jahre alt. Sie lebt in Ludwigs-

burg und kann sich gar nicht mehr erinnern, wann

sie geheiratet hat. Sie hat zwei erwachsene Kinder.

Nach einer schwierigen Hormonbehandlung, der

Geburt ihres Sohnes und mehreren Fehlgeburten,

entschloss sich das Ehepaar, ein peruanisches

Mädchen zu adoptieren. Isoldes Leben ist voller Akti-

vität und Stress. Ihre Tochter beschwert sich, dass

sie die Mutter kaum noch zu Gesicht bekommt. Ein

Leben zwischen ihrer Arbeit in der Frauenarzt-Pra-

xis am Vormittag und dem eigenen Lokal bis tief in

die Nacht. Es ist ein Nebeneinanderherleben zwi-

schen den Eheleuten. Ihr Mann und sie wissen gar

nicht mehr wie es war, als sie sich kennen gelernt

haben. Das Einzige, was Isolde an ihre Junge-Mäd-

chen-Zeit erinnert, sind Liebesgedichte von Erich

Fried und ihre guten Single-Freundinnen.

SilkeSilke ist 41 Jahre alt. Ursprünglich kommt

sie aus Dresden. Seitdem sie 30 ist, fühlt sie sich

großartig. Sie lebt ihr Leben, wie sie schon immer

wollte. Doch dann kam der Kinderwunsch. Ein gro-

ßes Problem, denn ihre Eileiter sind nicht durch-

lässig. Hier kommt nur eine künstliche Befruchtung

in Frage, die allerdings sehr kostspielig ist. Silke

und ihr Freund Dirk können sich das nicht leisten.

Das Land Berlin kann in dieser schwierigen Situa-

tion helfen, der einzige Haken: Man muss verhei-

ratet sein. Deshalb beißt Silke zum dritten Mal in

ihrem Leben in den sauren Apfel und heiratet ihren

derzeitigen Freund – denn Silke war schon zwei-

mal verheiratet. Silke: »Aller guten Dinge sind drei,

hat meine Mutter schon immer gesagt.«

Kurz nach der Arbeit, extrem unroman-

tisch und ohne große Zeremonie, heiraten die beiden

im Standesamt Berlin-Pankow. Silke: »Dann lass uns

doch gleich heiraten, dann haben wir den ganzen

Stress hier hinter uns...« Doch mit dem Kinder-

wunsch klappt es nicht so einfach. Und so träumen

die beiden von ihrem eigenen Haus in Spanien mit

Hunden, Katzen und Pferden.

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Filmografie (Auswahl)

1992 Erinnern

(Dokumentarfilm, 90 Min.)

Grillhähnchen

(30 Min.)

1996 Scheinehe

(Kurzfilm, 6 Min.)

1998 Luci

(Kurzfilm, 10 Min. / Filmakademie

Baden-Württemberg)

1999 Zirkus Piccolo

(Kurzfilm, 15 Min. / Filmakademie

Baden-Württemberg)

2000 Verknallt

(Kurzfilm, 8 Min.)

2000 Fredl und sein Trupp

(Dokumentarfilm, 30 Min. / Film-

akademie Baden-Württemberg

2001 Dran Drauf Drüber

(Dokumentarfilm, 90 Min. / Film-

akademie Baden-Württemberg /

ZDF)

2003 Wir sind zusammen

(Dokumentarfilm, 60 Min. / SWR)

in Arbeit

Gierig nach Europa

(Dokumentarfilm in

Zusammenarbeit mit Villa Aurora,

Los Angeles)

Lilly EngelAutorin und Regisseurin von »Wir sind zusammen –ein Film über die Liebe«

Biografie

Geboren 1974 in Berlin.

1992 Abitur am Georg Friedrich Händel-

Gymnasium in Berlin

(Gesang und Klavier)

1992-1996 Jurastudium an der Freien

Universität Berlin mit Vordiplom

1994-1997 Dramaturgie-Studium an der

Hochschule für Film und

Fernsehen »Konrad Wolf«

in Potsdam Babelsberg

1997-2002 Studium an der Filmakademie

Baden-Württemberg

(Diplom Regie Dokumentarfilm)

seit 1999 Lektorate und

Drehbuchbearbeitungen

Drehbücher (Auswahl)

1994 Off-Text für »Es kommen härtere Tage«

(dffb-Abschlussfilm)

1995 »Hard Head«

(Drehbuchbearbeitung für

Thomas Wilkening-Filmproduktion)

1997 Co-Autorin bei »Sonnenallee«

und »Helden wie wir«

von Thomas Bussig (Senatorfilm)

2001 »Mehmet«

von Philipp Fleischmann

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sendetermin SÜDWEST Fernsehen 11.03.2004, 23.15 Uhr3

24

Geboren wird Nina Hadziselimovic 1913,

als Kind großbürgerlicher Eltern im zaristischen

Russland. 1920, als Siebenjährige, erlebt Nina die

erste Flucht in ihrem Leben. Die Revolution zwingt

die Familie die Heimat zu verlassen. Sie flieht von

Wladiwostok über Japan nach London. Als Ninas

Vater den Auftrag erhält, die Leitung eines Berg-

werks in Jugoslawien zu übernehmen, zieht die

Familie nach Belgrad. Nina ist mittlerweile 16 Jahre

alt. In Belgrad verbringt sie eine prägende Zeit ihrer

Jugend und studiert schließlich Medizin. 1939

schließt sie ihr Studium ab und heiratet im darauf

folgenden Jahr.

Im Zweiten Weltkrieg wieder eine Flucht.

Vor der Bombardierung Belgrads durch die deut-

sche Armee flüchten Nina und ihr Mann Hairudin

in den Belgrader Vorort Kovin.

Nach der Machtübernahme durch Tito

und die kommunistische Partei 1945 wird Ninas

Mann zwangsweise nach Sarajevo beordert, um

dort am Aufbau des anatomischen Instituts der

Universität Sarajevo mitzuarbeiten. Als Russin lei-

det Nina unter dem Konflikt zwischen dem nach

Unabhängigkeit von Moskau strebenden Tito und

dem Machtanspruch Stalins auf Jugoslawien. Vie-

le Russen werden zu dieser Zeit in Jugoslawien

inhaftiert.

Nina ist 90 Jahre alt. Sie lebt in Basel bei

ihrem Sohn und der Schwiegertochter. Ninas Enkel

Adnan ist Dokumentarfilmstudent. Bei seinen Besu-

chen im Elternhaus fällt ihm auf, dass die geliebte

Großmutter zunehmend an Demenz leidet. Mehr

und mehr fällt ihre Lebensgeschichte dem Vergessen

anheim. Dabei wollte Adnan doch noch so vieles er-

fahren, über ihr Leben, ihre Gefühle und Erfahrungen.

»Babushka« – GroßmutterEin Film von Adnan Hadzi

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Nachbarn und Verwandte, Schule, Arbeitsstätte

und die Stelle, an der Ninas Geburtshaus stand. Aber

Nina bleibt seltsam verschlossen. Mit geduldiger

und liebevoller Beobachtung Ninas, ihres Verhal-

tens und ihrer Begegnungen, gelingt es dem Enkel

dennoch, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Gleich-

zeitig macht er dabei einen Film über die kriegeri-

schen Auseinandersetzungen im Europa des 20.

Jahrhunderts.

»Babushka« ist ein Dokumentarfilm über

das Thema Flucht – Flucht vor Krieg und Gewalt und

Flucht vor schmerzhaften Erinnerungen.

Dr. med. Nina Hadziselimovic versucht

mit dieser Situation umzugehen, indem sie sie igno-

riert. Sie flüchtet sich in ihre Arbeit. Als Kinderärz-

tin kümmert sie sich aufopfernd um die Kinder

Sarajevos, sie erlangt höchstes Ansehen und erhält

Mitte der 60er Jahre die Auszeichnung »Mutter

Sarajevos«.

Nach 30 Jahren Ruhe wird Nina erneut

zur Flucht gezwungen. In den jugoslawischen Teil-

republiken Serbien und Kroatien wütet zu diesem

Zeitpunkt ein Bürgerkrieg. Und obwohl sogar im

Parlament von Bosnien und Herzegowina die Mütter

gegen die Rekrutierung ihrer Söhne demonstrieren,

bricht der Bürgerkrieg auch dort aus.

Nina packt ihre Koffer und flieht erneut.

Sie flüchtet sich zu ihrem Sohn und dessen Fami-

lie nach Basel, wo sie noch heute lebt. Immer mehr

zieht sie sich zurück in eine eigene stille Welt des

Vergessens. Der Schmerz über den Verlust ihrer

geliebten, langjährigen Heimat Sarajevo und der

Freunde dort ist für ihre Familie deutlich spürbar.

Ihr Enkel Adnan beschließt, einen Film

über Ninas aufregendes und schweres Leben zu

machen, er möchte Ninas Erinnerungen wecken,

Licht in ihr Dunkel bringen. Gemeinsam mit sei-

nem Bruder Michael will er die Großmutter an die

Stationen ihres Lebens begleiten und diese Reise

dokumentieren. Sarajevo, Belgrad und Ninas Ge-

burtsort Ulen in Sibirien werden besucht, Freunde,

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Plötzlich wurden Menschen, die friedlich mitein-

ander gelebt hatten, zu Feinden, fingen an sich zu

hassen, wurden zu Fundamentalisten. Heute stelle

ich fest, dass der Krieg so gut wie totgeschwiegen

wird. Es wird lieber vergessen, als darüber geredet.

Wir alle beginnen zu vergessen, dass wir in einer

Epoche leben, die sich seit dem Ausbruch des

Ersten Weltkrieges auf dem Balkan zu einem Zeit-

alter der Zerstörung entwickelt hat.

Ich wuchs als Sohn eines bosnischen Vaters

und einer norwegischen Mutter in der Schweiz auf.

Ich spreche seit meinem fünften Lebensjahr nur noch

Deutsch und habe den Bezug zu den beiden Kulturen

meiner Eltern verloren. Der Krieg in Bosnien und

Herzegowina hat mich dennoch stark getroffen und

verwirrt. Die Familie meines Vaters floh in die

Schweiz. Meine Großmutter Nina, ihre Tochter Emina,

Eminas Mann Zlatko und ihre beiden Söhne Mirza

und Harris ersuchten in der Schweiz Asyl.

BeratungThomas Schadt

Redaktion Ebbo Demant

Stefanie von Ehrenstein

Eine Produktion von Südwestrundfunk, Filmakademie Baden-Württemberg und Quinte Film.Gefördert von MFG Filmförderung Baden-Württemberg und vom Fachausschuss Film Basel-Land, Basel-Stadt.

»Babushka« – Großmutter

»Wir alle vergessen«Von Adnan Hadzi

StabBuch und RegieAdnan Hadzi

Co-AutorEdin Hinrichs-Hadzimahovic

KameraAndrea Gatzke

TonUlrike Vetter

MusikMarcus Vetter

SchnittAnna Weber

Ausführende ProduzentinMirjam Quinte

ProduktionJochen Dickbertel (SWR)

Studentischer ProducerUrs Heilig

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Filmografie (Auswahl)

1994/1995 Don’t believe the Hype

(Dokumentarfilm, 45 Min.)

1995 Agents don’t have fun

(Kurzfilm, 17 Min.)

1996 Round

(Kurzfilm, 12 Min.)

1998 auf und ab

(Kurzfilm, 15 Min.)

1998/1999 Abriss einer Erinnerung

(Kurzfilm, 15 Min.)

2000/2001 facing origin

(Dokumentarfilm, 70 Min.)

2003 Babushka

(Dokumentarfilm, 90 Min. / Film-

akademie Baden-Württemberg /

SWR)

Künstlerische Arbeiten /Projekte (Auswahl)

seit 1995 http://www.i-love-u.ch

http://www.i-love-u.tv

seit 2001 http://www.copyleft.cc

Biografie

Geboren 1973 in der Schweiz.

1992-1996 Regieassistenz bei Henning Köhler,

Theater Münchenstein (Schweiz)

1993-1996 Studium der Medienwissenschaften

an der Universität Basel

1994 Gründungsmitglied des

Künstlerkollektivs »I love U«

1997-2003 Studium an der Filmakademie

Baden-Württemberg

(Regie Dokumentarfilm)

2001 Gründungsmitglied des Vereins

»copyleft.cc« und Aufbau einer

Internet-Plattform für Künstler

2003/2004 Master Course in Dokumentarfilm

am Goldsmiths College, University

of London

Einladungen zum Videolissboa Festival Lissabon,

zum Medienkunstfestival Medi@terra Athens,

zum Festival für Film, Video und Neue Medien –

Viper in Basel u.a.

Adnan HadziAutor und Regisseur von »Babushka«

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Antonio Coloma ist Abgeordneter der

Kommunistischen Partei im Parlament der chileni-

schen Kleinstadt Temuco, als am 11. September 1973

der Militärputsch gegen Salvador Allende ausbricht.

Nach zehn Tagen Haft und Folter gelingt ihm mit

großem Glück die Flucht nach Deutschland. 30 Jahre

später fährt er in seine Heimat zurück. Er besucht

seine alte Partei, die den Exilanten frostig empfängt,

und trifft den Soldaten, der ihm bei seiner Flucht

geholfen hat.

Antonios Fluchtgeschichte wird mit Hil-

fe von Super 8-Aufnahmen rekonstruiert. Der Film

aber bleibt nicht in der Vergangenheit haften, son-

dern thematisiert immer wieder in den Begeg-

nungen Antonios auf seiner Reise die Nachwehen

einer brutalen Diktatur, die 17 Jahre andauerte und

4

die den Chilenen heute noch in den Knochen steckt.

Eine Diktatur, die Beziehungen von Menschen,

die einst auf derselben Seite standen, für immer

zerstört hat. Die sie in Extremsituationen gewor-

fen hat, in denen ihre Vorstellungen von Richtig

und Falsch auf den Kopf gestellt und sie in Ratlo-

sigkeit zurückgelassen wurden. Die Reise, die eine

Suche nach den politischen Wurzeln des Protago-

nisten werden soll, wird zu einer Konfrontation

mit der Frage nach der Wahrheit, dem Sterben des

Kommunismus sowie der Möglichkeit, in einer Dik-

tatur den eigenen Idealen und Werten treu bleiben

zu können.

sendetermin SÜDWEST Fernsehen 18.03.2004, 23.15 Uhr

»10 Tage – ein ganzes Leben«Ein Film von Tanja Hamilton

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wenn unter Befehl ausgeführt, stellt sich zwingend.

Vielleicht hat mich deshalb für meinen Film be-

sonders interessiert, wie man in Chile mit der Frage

nach der Schuld umgeht.

Die sehr ambivalente Figur »Landa«, ein

Genosse Antonios in der Kommunistischen Partei,

verkörperte für mich genau diesen menschlichen

und moralischen Konflikt, der in einer Diktatur ent-

steht. Nach dem Putsch führte »Landa« als Unter-

offizier eine Militärkontrolle an und entscheidet

sich dabei, Antonio laufen zu lassen. Nach dieser Be-

gegnung im Zug konnte Antonio nicht sagen, auf

welcher Seite sein »Lebensretter« stand. Für mich

stellten sich viele Fragen:Wie bleibt man in so einem

System seinen Überzeugungen treu, wenn man

überleben will? Ist es moralisch legitim, das eigene

Überleben an erste Stelle zu setzen und mit einem

Ich kenne Antonio Coloma schon seit

etwa 15 Jahren. Ich bin mit seiner Tochter Malena

- die in einer kurzen Szene zu Anfang des Films

auch zu sehen ist – zur Schule gegangen. Schon

immer war ich fasziniert von der Geschichte, wie

die Familie 1973 nach Deutschland gekommen war.

Als ich mich entschloss, einen Film über Antonios

Flucht aus Chile zu machen, war sofort klar, dass

ich keine bloße Rekonstruktion der damaligen

Ereignisse anstrebte. Chile ist seit über zehn Jahren

wieder ein demokratisches Land und nach jahr-

zehntelangem Schweigen drängt das Thema der

Menschenrechtsverletzungen während der Dikta-

tur immer mehr in die öffentliche Diskussion.

Wenn man in Deutschland aufgewachsen ist, be-

gegnet einem in der Auseinandersetzung mit der

deutschen Geschichte immer wieder das Thema

der Rolle des Einzelnen in einem Unrechtssystem.

Die Frage der Verantwortung für Gräueltaten, auch

Die Begegnung mit dem UnbekanntenVon Tanja Hamilton

StabBuch und RegieTanja Hamilton

KameraClaudia Rauch

TonKramer O’Neill

SchnittBettina Blickwede

Melanie Werwie

Ausführender ProduzentChristian Drewing

ProduktionJochen Dickbertel (SWR)

BeratungThomas Schadt

RedaktionEbbo Demant

Stefanie von Ehrenstein

Eine Gemeinschaftsproduktion des Südwestrund-funks mit der Filmakademie Baden-Württembergund Filmareal – Christian Drewing. Gefördert vonder MFG Filmförderung Baden-Württemberg.

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Schulden hatte kommen lassen und dass die Ereig-

nisse von damals sein Gewissen schwer belaste-

ten. Sie kontaktierten ihn für mich und erzählten

ihm von meinem Filmprojekt. Er lehnte sofort jeg-

liche Beteiligung ab. Auf einige weitere Versuche

mit Anrufen und Briefen, in denen ich mein Anliegen

erklärte, folgten weitere Absagen. Ich wusste, dass

ihn nur noch einer überzeugen konnte: Antonio.

Als wir im November in Chile drehten,

suchten wir die Familie auf und riefen Landa an.

Dieses Gespräch filmten wir, denn wäre eine Absa-

ge gekommen, dann hätte die »Begegnung« zwi-

schen den beiden wenigstens am Telefon stattge-

funden. Und siehe da: Auf einmal sagte er zu! Alle

waren wahnsinnig aufgeregt, Antonio, die Familie,

das Team, ich. Antonio war hin- und hergerissen

zwischen dem Bedürfnis, dem Mann, der vielleicht

eine der wichtigsten Rollen in seinem Leben ge-

spielt hat, in aller Herzlichkeit und Offenheit zu

danken, und der Gewissheit, dass vieles, sehr vieles

sogar, dafür sprach, dass dieser Mann eine sehr un-

rühmliche und brutale Rolle beim Militär gespielt

hatte. Die sympathische Familie und das rührende

Telefongespräch zwischen ihm und Antonio über-

zeugten uns aber, dass dieser Mann kam, um eine

Beichte abzulegen. Ein Mann, der auf tragische

Art Opfer der Umstände geworden war und der

sich jetzt von der Last seiner Schuld befreien wollte.

Unrechtsregime einen Kompromiss einzugehen?

Und vor allem:Wie leben Leute damit, die genau

das getan haben?

Alles, was wir am Anfang über »Landa«

wussten, war sein ungefähres Alter und dass er in

der Sicherheitsgruppe der Kommunistischen Partei

gewesen war. Im Juli 2002 fuhr ich allein nach Temuco,

um Antonios alte Freunde aufzusuchen und den Sol-

daten zu finden. Dabei stellte sich heraus, dass es

mehrere jüngere Mitglieder der Kommunistischen

Partei gegeben hatte, die zur Zeit des Putsches

zufällig gerade ihren Militärdienst ableisteten. Nur

einer davon war allerdings in ganz kurzer Zeit zum

Unteroffizier aufgestiegen: »Landa«. Demzufolge

konnte es auch nur er sein, der damals den Such-

trupp angeleitet hatte. Bald stellte sich heraus, dass

sich Landa in Temuco kaum noch blicken lassen

konnte. Er galt bei seinen Ex-Genossen als Verräter.

Über seinen ehemaligen Freund, den

Rechtsanwalt Rubén Gajardo, bekam ich Kontakt zu

seiner Familie, die ihn jahrzehntelang für tot gehal-

ten hatte. Ein paar Monate zuvor hatte er sie – nach

fast 20 Jahren – in Temuco aufgesucht. Seine Toch-

ter hatte ihren Vater bei dieser Gelegenheit das erste

Mal in ihrem Leben gesehen. Er lebte mittlerweile

mit neuer Frau und Kindern in Paraguay. Paradoxer-

weise hielt die Familie zu ihm, trotz aller Gerüchte,

er sei Militärspion gewesen, und trotz der Tatsache,

dass er sie Hals über Kopf im Stich gelassen hatte.

Sie waren fest überzeugt, dass er sich nichts zu

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deutlich: »Die Anderen.« Und Antonio hatte er, nach

eigenen Aussagen, damals ganz einfach übersehen.

Völlig deprimiert und desillusioniert fuh-

ren wir wieder ins Hotel zurück. Das allertraurigste

an der Begegnung war die Ungewissheit darüber,

wie man sich selbst in Landas Situation verhalten

hätte. Kann ein Mensch wirklich sicher von sich sa-

gen, dass er im Angesicht des Todes seine morali-

schen Prinzipien und Glaubenssätze nicht verrät?

Diese Frage kann keiner mit hundertprozentiger Ge-

wissheit beantworten.

Biografie

Geboren 1972 in Wiesbaden, aufgewachsen in USA

und Deutschland. Von 1992 bis 1997 Studium an

der FU Berlin (Nordamerikastudien, Lateinameri-

kanistik und Politikwissenschaft). Von 1994 bis

1995 Ausbildung zur Redakteurin an der Berliner

Journalistenschule. Arbeitete als Journalistin für

die »tageszeitung« (taz) sowie als Autorin und

Moderatorin für Deutsche Welle TV.

Seit Oktober 1997 Studium an der Filmakademie

Baden-Württemberg, Studienrichtung Film und

Medien, Fachbereich Regie Dokumentarfilm.

Von April bis Juli 2001 Aufenthalt in New York und

Arbeit als Cutter- und Produktionsassistentin bei

verschiedenen Dokumentarfilmprojekten.

Wir fuhren eine Stunde zu früh zum Treff-

punkt in Lautaro. Die Nerven aller waren bis zum

Zerreißen gespannt. Als Landa endlich kam, saß der

Schock tief. Je länger das Gespräch zwischen ihm und

Antonio lief, desto klarer wurde: Dieser Mann hatte

aus der Vergangenheit nichts gelernt. Jegliches Ge-

fühl von Reue oder ganz einfach Bedauern hatte er

hinter einer Mauer von Kälte und Arroganz begra-

ben. Er war damals ganz einfach ein Opportunist

gewesen, der seine beste Überlebenschance darin sah,

andere zu verraten.Vor die Entscheidung gestellt:»Sol-

len die anderen sterben oder ich?« sagte er klar und

Filmografie (Auswahl)

1998 Stuttgart-Tokyo

(Kurzspielfilm, 6 Min.)

1998 Vorläufig Vollstreckbar

(Dokumentarfilm, 23 Min.)

2000 Looking vor Liv

(Dokumentarfilm, 42 Min.)

2001 Sieg oder Platz

(Dokumentarfilm, 60 Min. / SFB)

2003 10 Tage – ein ganzes Leben

(Dokumentarfilm, 90 Min. / Filmakade-

mie Baden-Württemberg / SWR)

PreiseSonderpreis der Landeszentrale für politische Bil-

dung Rheinland-Pfalz bei den 15. Video-Film-Tagen

Thüringen und Rheinland-Pfalz für »Vorläufig

vollstreckbar«.

Tanja HamiltonAutorin und Regisseurin von »10 Tage – ein ganzes Leben«

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5sendetermin SÜDWEST Fernsehen 25.03.2004, 23.15 Uhr

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33

Der Tod kam, aber er kam unerwartet und

zwar in Berlin. Es war ein eigentümlicher Zusam-

menprall zweier politischer Kulturen: Linke Terroris-

ten im Kampf gegen Frankreich trafen mit ihrer

Bombe linke Pazifisten im Kampf gegen Frankreich.

Für den 26-jährigen Friedensaktivisten Michael

Haritz endete diese Zuspitzung der Ereignisse töd-

lich. Neben den Mördern steht er als einziges Todes-

opfer des Attentats im Mittelpunkt des Films –

Michael Haritz, stellvertretend für die unzähligen

Namenlosen, deren Fotos meist schon wenige Tage

nach ihrem Tod erst aus den Zeitungen, dann aus

der Erinnerung verschwanden.

Am 25. August 1983 nimmt Carlos, der –

wie das Magazin »Spiegel« damals titelte – meist-

gesuchte Terrorist der Welt, das französische Kon-

sulat im West-Berliner »Maison de France« ins Visier.

Carlos hatte Frankreich den Krieg erklärt, weil seine

deutsche Frau Magdalena Kopp in Paris bei der Vor-

bereitung eines Terroranschlags festgenommen

und zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Es

war schon viel Blut geflossen, als er seinen Stell-

vertreter Johannes Weinrich nach Berlin schickte,

um ein weiteres Attentat zu organisieren.

Am Vormittag des 25. August 1983 wur-

de die Bombe gelegt und der Zünder scharf ge-

macht. Der Attentäter, ein kurzfristig eingeflogener

Palästinenser, lief im Treppenhaus des »Maison de

France« seelenruhig an den Mitgliedern einer

Friedensgruppe vorbei. Sie wollten mit einer Peti-

tion gegen die Atombombenversuche der franzö-

sischen Regierung im Südpazifik beim Konsul vor-

sprechen und für weltweite Abrüstung demon-

strieren. Auch die Pazifisten waren durch ein Ereig-

nis in Paris mobilisiert worden. Dort fastete seit

knapp drei Wochen die Französin Solange Fernex

– »unbefristet«, wie es damals hieß. Um die Durch-

setzung der Nato-Nachrüstung in letzter Minute

zu verhindern, war sie bereit zu sterben.

»Maison de France«Ein Film von Stefan Suchalla

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Der Film von Stefan Suchalla erzählt die

Geschichte dieses Attentats sowohl aus der Perspek-

tive der Täter als auch aus der des Opfers. Ange-

hörige und Freunde rekonstruieren die Geschichte

eines sensiblen jungen Mannes, der sein Leben dem

Radsport verschrieb, bis er von der Lebenskrise sei-

nes Vorbildes mitgerissen wurde. Er gab den Leis-

tungssport auf und fand in der Friedensgruppe

»Fasten für das Leben«, die Solange Fernex unter-

stützte, neuen Lebenssinn – zwei Wochen vor seinem

Tod. Er fieberte seiner ersten politischen Aktion

entgegen, der Petitionsübergabe im französischen

Konsulat, im »Maison de France«.

Die Geschichte von Michaels Mörder be-

gann ebenfalls mit einer großen deutschen Protest-

bewegung. Johannes Weinrich schloss sich Ende

der 60er Jahre dem Frankfurter Studentenmilieu

an. Seine Kommilitonen, unter ihnen der heutige

Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, beschrei-

ben in dem Film Weinrichs Weg von den ersten De-

monstrationen an der Frankfurter Universität bis

zu dem Tag, als er sich entschloss, gesellschaftliche

Veränderungen mit der Waffe durchzusetzen. Fas-

ziniert von revolutionären Desperados wie Carlos,

verblassten seine studentischen Ideale im Blut-

rausch, gemeinsam wurden sie zu linken Killern.

Ein ausführliches Interview mit Magda-

lena Kopp, der Ex-Frau von Carlos, erlaubt Einblicke in

die terroristische Szene und legt die Mechanismen

der Eskalation offen, die zum Attentat auf das »Mai-

son de France« führten. Dort, wo Michael Haritz

zum ersten Mal in seinem Leben einer politischen

Aktion beiwohnte, laufen die Handlungsstränge des

Films zusammen.

StabBuch und RegieStefan Suchalla

KameraDietmar Ratsch

(Marcel Reategui)

Ton und SchnittSalar Ghazi

MusikGino Pecora

ProduktionCaroline Daube

(Filmakademie Baden-Württemberg)

Frank Siegmund

(Filmakademie Baden-Württemberg)

Kristin Holst (EIKON Südwest)

Benedikt Berg-Walz (EIKON Südwest)

Jochen Dickbertel (SWR)

Ulrike Ernst (SWR)

Ausführender ProduzentErnst Ludwig Ganzert

BeratungThomas Schadt

RedaktionEbbo Demant (SWR)

Stefanie von Ehrenstein (SWR)

Jürgen Tomm (RBB)

Eine Produktion des Südwestrundfunks (SWR),der Filmakademie Baden-Württemberg und derEIKON Südwest in Zusammenarbeit mit INDI FILMund dem Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB)Berlin. Gefördert von der MFG FilmförderungBaden-Württemberg.

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35

tödliche Verstrickung in ein Attentat? Die Geschich-

te von Carlos dagegen ist hundertmal erzählt

worden, auch Shakespeare hätte sie nicht besser

erfinden können. Aber wer kennt die Geschichten

seiner Opfer?

Deswegen beschloss ich Mitte der 90er

Jahre, einen Film über ein Opfer zu drehen, über

Michael. Das war es, was ich noch für ihn tun konn-

te, um sein Leben für die kurze Zeit eines Dokumen-

tarfilmes dem Vergessen zu entreißen und ihn als

Mensch wieder erfahrbar zu machen. Es sollte ein

Film werden, der die Geschichte eines Opfers über

die seiner Mörder stellt. Diese Mörder wollte ich nach

der Schuld fragen, die sie auf sich geladen haben.

Und damit fingen die Probleme an. Der Terrorist

Johannes Weinrich, Michaels inzwischen rechtskräf-

tig verurteilter Mörder, wollte mich nicht sprechen.

Er empfindet offensichtlich keine Reue für seine

Taten und zeigt kein Interesse an seinen Opfern. Er

schweigt. Seit sieben Jahren sitzt er im Gefängnis

und schweigt – wie ein Grab, dachte ich manch-

mal. Während der laufenden Gerichtsverhandlung

sagte er in einem Zeitraum von etwa einem Jahr ge-

rade einen einzigen Satz – auf die Frage des Richters

nach seinem Beruf antwortete er knapp: »Ich bin ein

Gefangener«. Nicht gerade gesprächig bei immer-

hin zwei Verhandlungstagen pro Woche.

Niemand im alten West-Berlin der frühen

80er Jahre konnte sich das vorstellen: eine schwere

Bombenexplosion mitten in der Stadt. Seit 1945 war

das Geschichte. Und als es doch geschah, wollte ich

nicht glauben, was in der Zeitung stand: Michael

Haritz ist tot, gestorben im »Maison de France«.

Ein entfernter Verwandter von mir.

Es war nicht zu fassen. Sein Foto in der

Zeitung. Ein Foto wie eine Anklage. Es ließ mich nicht

mehr los. Aber von seinen Mördern fehlte jede Spur.

Erst über ein Jahrzehnt später war die Jagd nach

den Tätern vorbei, und die Medien erzählten ihre

Geschichten. Zum Prozessbeginn standen Michaels

Eltern als Nebenkläger im Rampenlicht. Knappe

Worte des Schmerzes, der nicht vergehen wollte.

Und wieder sein Foto auf allen Kanälen, aber kein

Wort über sein Leben, keine Zeile darüber, wer er

war und was mit seinem Tod ausgelöscht wurde.

Täter sind einfach spannender. Sie haben eine Ge-

schichte, die stringent zur Tat führt. Und erst die Tat

weckt das Interesse des Publikums.

Man nennt das »body count«, wenn Atten-

täter, um große Aufmerksamkeit zu erregen, mög-

lichst viele Menschen umbringen wollen. Damals

war der Terrorist Carlos darauf spezialisiert, seine

Opfer mit Bomben an öffentlichen Orten nach dem

Zufallsprinzip zu ermorden. Menschen wie Michael.

Was soll man auch Spannendes berichten über ihre

»Der Film, der einfach nichtgemacht werden wollte«

Von Stefan Suchalla

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36

Wie schön, dachte ich anfangs, dass im

Gegensatz dazu die »Materiallage« bei der Rekon-

struktion von Michaels Leben wirklich gut war: Er

hatte etwa 20 Super-8-Filme hinterlassen, die fest in

mein Projekt eingeplant waren.Wir hatten schon die

Interviews »drumherum« gedreht, als seine Mutter

während ihres Umzuges diesen Goldschatz beden-

kenlos in einer grauen Berliner Mülltonne versenkte,

weil sie dachte, dass »diese ollen Dinger« ohnehin

technisch nicht mehr abspielbar wären. In Wirklich-

keit war nur der Projektor kaputt. Gott sei Dank

machen wir ja kein »making of« beim Dokumentar-

film – andernfalls wäre sicher mein Gesichtsaus-

druck in dem Moment interessant gewesen, als sie

mir das mit einer wegwischenden Handbewegung

ziemlich beiläufig erzählte. Aber so etwas motiviert

Dafür lud mich sein Chef zum Kaffee ein.

Der ehemals meistgesuchte Mann der Welt hat heu-

te eine Postadresse. Man kann ihm schreiben, und

manchmal antwortet er auch. Über Carlos kann

man viel Schlechtes sagen, aber er stellt sich. Doch

statt einer Besuchsgenehmigung vom französischen

Gefängnis bekam ich eine Vorladung vom Landes-

kriminalamt Berlin – auf dem Amtsweg hatten die

Franzosen ihre deutschen Kollegen bemüht, Erkun-

digungen zu meiner Person einzuziehen. Aus Sicher-

heitsgründen, wie es hieß. Carlos ist immer noch

Frankreichs Staatsfeind Nr. 1 und der am besten be-

wachte Gefangene der Grande Nation.

Um ihn doch zu sehen, muss man hart ver-

handeln, und zwar mit dem französischen Justizmi-

nister persönlich. Und der hat natürlich ständig Zeit

für Carlos und seine Freunde. Die Antwort seines zu-

ständigen Sprechers auf meine Frage nach einem Ge-

sprächstermin war immer »oui« und auf meine Fra-

ge nach einem Besuch bei Carlos bis zuletzt »peut-

être«. Franzosen sind halt freundliche Bürokraten.

Nach eineinhalb Jahren gab ich entnervt auf. Ich

hatte eine Drehgenehmigung für Weinrich, aber

Weinrich wollte nicht, und für Carlos, der wollte, be-

kam ich keine Drehgenehmigung. Blieb noch

Magdalena Kopp, die Ehefrau von Carlos, die mit

dem Attentat aus einem französischen Gefängnis

freigepresst werden sollte. Nach zähem Werben und

mit Hilfe des Journalisten Oliver Schröm konnte

ich sie für das Projekt gewinnen. Dauer der Verhand-

lungen, bis sie bereit war: wieder eineinhalb Jahre.

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ja auch, und so hatte ich ein neues Ziel: Michaels

letzte Freundin, die als »verschollen« galt, wollte

ich nun um jeden Preis finden. Nur wusste niemand

mehr genau, wie sich ihr Nachname schreibt, und

so blieb sie das große Phantom meiner Recherche,

fast so unheimlich präsent und doch ungreifbar

wie Carlos zu seiner besten Zeit, als er der meist-

gesuchte Mann der Welt war.

Aber so wie auch Carlos eines Tages kein

Phantom mehr war, stieß ich nach einem Jahr auf

diese Frau, in die Michael sich erst kurz vor seinem

Tod verliebt hatte. Doch sie war für mich nicht zu

sprechen. Das kam mir bekannt vor. Keine Antwort

auf meine Anrufe, keine Zeile retour nach meinen

Briefen, dafür zahllose Gespräche mit ihrem Mann

und mit ihrer besten Freundin. Die meistgesuchte

Frau meines Filmes blieb ein Phantom. Bis heute ken-

ne ich weder ihr Gesicht, noch habe ich auch nur ein

einziges Mal ihre Stimme gehört. Dagegen kam mir

der schweigsame Weinrich geradezu geschwätzig vor.

Und als ich mich an den Befindlichkeiten

von Terroristen und Ex-Freundinnen abgearbeitet

hatte, passierte etwas, was ich kaum glauben konn-

te: Der Film war plötzlich fertig! Der Film, den ich

schon immer machen wollte.

Geboren 1968 in Berlin. Von 1988 bis 1992 Studium

der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwis-

senschaft in Wien und Berlin. Nebenbei arbeitete

Stefan Suchalla als Sportreporter für den Berliner

Radiosender Inforadio 101. Mehrmonatige Arbeits-

aufenthalte in den USA (1991) und Indien (1992).

Von 1992 bis 1994 Ausbildung zum Redakteur an

der Berliner Journalistenschule. Anschließend mehr-

jährige Tätigkeit als festangestellter Redakteur der

Sendung »Spiegel TV Magazin« in Hamburg; über

70 Fernsehbeiträge auf RTL, SAT.1 und VOX für ver-

schiedene Spiegel TV-Formate. Danach Aufbaustu-

dium an der Filmakademie Baden-Württemberg

in Ludwigsburg im Studienfach Dokumentarfilm.

Im Jahr 2001 entstand sein erster 90-minütiger

Dokumentarfilm »Blut und Ehre«.

Stefan Suchalla lebt und arbeitet als Filmemacher

und Journalist in Berlin.

Stefan SuchallaAutor und Regisseur von »Maison de France«

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sen. Für Faigle ist »Out of EDEKA« »eine letzte, exo-

tische Reise in die Ladenwelt meiner Eltern und in

meine Kindheit«. Anhand eines Arbeitstages be-

schreibt er, was ihn mit diesem Ort und seinen

Figuren verbindet.

»Out of EDEKA«Ein Film von Konstantin Faigle

Der EDEKA-Laden seiner Eltern war für

Konstantin Faigle eine Kindheit und Jugend lang der

Mittelpunkt des Universums. Fast 20 Jahre seines

Lebens verbrachte der Autor des Dokumentarfilms

zwischen Brühwürfeln, Stecknadeln und alten Bana-

nen – in einem EDEKA-Laden in der schwäbischen

Provinz. Ende 2001, als der Euro kam, haben seine

Eltern das Gemischtwarengeschäft dann geschlos-

6sendetermin SÜDWEST Fernsehen 01.04.2004, 23.15 Uhr

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StabBuch und RegieKonstantin Faigle

KameraMichael Pfizenmaier

Roland Bauer

TonKonstantin Faigle

SchnittKonstantin Faigle

Gaby Kull-Neujahr, BFS

Ausführender ProduzentJörg Bundschuh

ProduktionAmparo Jardón Rodríguez

Susanne Ritter (KHM)

Christoph Groos (KHM)

Ira Sircar (Kick Film)

Jutta Göller (Kick Film)

Redaktion Brigitte Schroedter (BR)

Peter Latzel (SWR)

Eine Produktion der Kick Film GmbH und der Kunsthoch-schule für Medien in Köln (KHM) mit BR und SWR. Gefördertmit Mitteln der MFG Filmförderung Baden-Württemberg.

39

Der Film ist eine Liebeserklärung an

Faigles Eltern, eine nostalgische Rückschau auf seine

Kindheit und Jugend im Laden. So vielseitig wie das

unerschöpfliche Warenangebot des über mehrere

Etagen reichenden Geschäfts ist auch die Fantasie

des Filmemachers, der zeigt, dass die üblichen Gren-

zen zwischen Dokumentar- und Spielfilm in Frage

gestellt werden dürfen. Herausgekommen ist ein

schräger, teils humorvoller, teils bedrückender Film.

Gegen Ende des Films lässt der Autor seine Eltern

nach der Aufgabe des Ladens noch einmal in einem

filmreifen Guerilla-Outfit auftreten und inszeniert

mit ihnen die Geiselnahme eines Kunden.

Für die Kurzfassung des Films hat Kon-

stantin Faigle den Bayerischen Dokumentarfilm-

preis 2001 »Der Junge Löwe« erhalten. In der Jury-

begründung heißt es: »Dem Regisseur Konstantin

Faigle gelingt in einer Balance zwischen grotesker,

surrealer und dokumentarischer Bildersprache ein

tragikomisches Werk über das Thema des Erwach-

senwerdens.«

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»Dokudramarealitysoap«. Ich will mich zwischen

den Grenzen von Dokumentarfilm, Fiktion, Burleske

und Musikvideo bewegen – nur so kann ich meine

»Gemischtwarenwelt« auch filmisch zum Aus-

druck bringen.

Unser Gemischtwarenkaufhaus in einem

schwäbischen Dorf stellte dabei für mich schon

immer ein Unikat in der Ladenlandschaft dar: mit

seinen fünf Abteilungen (Lebensmittel-, Textil-,

Karnevalsabteilung, altes und neues Lager), mit

einem singenden Ladenbesitzer, mit einer Laden-

katze, die »Sitz« macht, und mit skurrilen Landge-

stalten, die dort ein- und ausgehen und die keine

Spielfilmkomödie je erfinden könnte. Als ich von

meinen Eltern erfahren habe, dass sie ihren Laden

aufgeben werden, musste ich einfach diesen Film

machen. Vier Generationen haben mit und für die-

sen EDEKA-Laden gelebt, und nun wird er endgül-

tig schließen. Mit diesem Film über den Laden will

ich ein Stück meines Lebens konservieren, das mir

sehr, sehr am Herzen liegt – für alle Ladenkinder!

Das ist »Out of EDEKA«.

»Out of EDEKA« ist der Versuch, meine

Kindheit als Ladenkind festzuhalten, bevor dieser

Ort, der EDEKA-Laden meiner Eltern in der schwä-

bischen Provinz, für immer verschwindet.

Dabei schlage ich nicht den Weg ein, nur

eine pittoreske Beschreibung abzuliefern, »zwei

alte Menschen hören mit ihrem Krämerladen auf...«,

sondern versuche, starke Momente für den Film da-

raus zu gewinnen, dass ich ja selbst das Ladenkind

bin, das 20 Jahre zwischen Brühwürfeln und

Sicherheitsnadeln in diesem Laden aufgewachsen

ist. Die Herausforderung liegt also nicht in der

Recherche des Themas, sondern darin, die Emotio-

nen und Geschichten, die ich als Ladenkind erlebt

habe und beim Dreh erneut erlebte, poetisch, kraft-

voll, mit Humor und trotzdem wahr auszudrücken.

So beschreibt »Out of EDEKA« anhand eines

Arbeitstages im EDEKA-Laden, was ich an diesem

Ort, seinen Figuren und insbesondere meinen Eltern

liebe und gleichzeitig hasse.

Dabei will ich mich nicht auf ein Genre

festlegen, sondern nenne diesen Film selbst eine

Was ist »Out of EDEKA«?Kommentar von Konstantin Faigle

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Biografie

Geboren 1971 in Sulz im Schwarzwald. Nach Abitur

und Zivildienst arbeitete er als Schreiner und Psy-

chiatriepflegehelfer. Von 1993 bis 1998 Studium

der Medientechnik in Stuttgart mit dem Abschluss

als Dipl.-Ingenieur. Danach Arbeit als Cutter, freier

Autor und Regisseur, unter anderem für WDR, ZDF

und Arte. Von 1999 bis 2002 Postgraduiertenstu-

dium Regie und Drehbuch an der Kunsthochschu-

le für Medien Köln. Seit dem Diplomabschluss als

freier Autor und Filmemacher tätig.

Filmografie (Auswahl)

1995 Ritus

(Kurzfilm, 7 Min.)

1997 Die Loreley

(9 Min., Diplomfilm, Fachhochschule

für Druck und Medien Stuttgart)

1999 Nur drei Worte...

(Kurzfilm, 5 Min.)

2000 Bach légère

(Musikvideo, 5 Min. / ARTE)

2001/2002 Out of EDEKA

(Dokufiction, 90 Min. / Kunsthoch-

schule für Medien Köln / BR / SWR)

2003 Materazzo!

(Dokufiction, 26 Min.)

Preise

Hochschulpreis des Süddeutschen Rundfunks 1995

für »Ritus«

Bayerischer Dokumentarfilmpreis 2001:

»Der Junge Löwe« für »Out of EDEKA«

Konstantin FaigleAutor und Regisseur von »Out of EDEKA«

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»Wir sind nur Gäste in der Welt der Insek-

ten, und ich bin ihr Übersetzer...“ (Mark Benecke)

Der 29-jährige Kölner Mark Benecke ist

Kriminalbiologe. Er sieht genauso aus, wie man

sich einen Detektiv vorstellt: einer von der unauf-

fälligen Sorte, der die Gunst des Augenblicks zu

nutzen weiß, ein dunkelhaariger, blasser Brillen-

träger mit sehr wachen Augen. Schlacksig kommt

er daher, weil er so oft in Gedanken versunken ist,

dass er darüber die Nahrungsaufnahme vergisst.

Bei Mark Benecke fließen Informationen zusammen,

durch sein Spezialistentum gelingt es, als aus-

sichtslos geltende Gerichtsverfahren mit empirisch

nachweisbaren Fakten zum Abschluss zu bringen.

»Der Madendoktor«Aus dem Leben des Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke und einer Fliege

Ein Film von Sandra Hacker

Der »Madendoktor« ist ein Stratege. Er

ist sein eigener Manager und er ist kamerarouti-

niert. Er liebt die Geschwindigkeit in Worten und

Bewegungen. Für einen Spielfilm hätte man die

Figur Benecke nicht besser casten können, der Doku-

mentarfilm bedient sich einfach in der Realität. Ein-

fach? Sonderlinge sind zwar Glücksfälle, aber die

Filmemacherin Sandra Hacker hat sich darauf nicht

verlassen. Was für andere ein Problem sein mag, hat

sie geschickt in ein Spiel umgedreht: Wer führt hier

Regie: die Regisseurin oder der Protagonist? Warum

nicht beide, warum nicht »Hase und Igel« spielen?

Beneckes Spezialgebiet sind leichenbe-

siedelnde Insekten. Analysen zu deren Art und Alter

lassen für ihn Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt

7sendetermin SÜDWEST Fernsehen 08.04.2004, 23.15 Uhr

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StabBuch und Regie Sandra Hacker

Kamera Axel Kindermann

Ton Ingo Pusswald

Wolfgang Wirtz

Thomas Lüdemann

SchnittJean-Marc Lesguillons

Ausführender ProduzentMichael Schaefer

BeratungThomas Schadt

RedaktionEbbo Demant

Ulrike Becker

Eine Gemeinschaftsproduktion des Südwest-rundfunks, der Filmakademie Baden-Württem-berg und Schaefer Filmproduktion in Zusammenarbeit mit der Medien- und Film-gesellschaft Baden-Württemberg (MFG).

eines Menschen zu. Das Ergebnis wird um so exak-

ter, je genauer der Zeitpunkt des Auffindens, der Fund-

ort der Leiche und die dort vorherrschenden klima-

tischen Bedingungen dokumentiert sind. Als 1998

der Fall um den »Todespastor« Geyer durch die deut-

sche Presse ging, wurde Benecke aus New York

eingeflogen, um in diesem Fall als Gutachter aus-

zusagen. Dieser erste Auftritt wurde mit großem

öffentlichen Interesse verfolgt. Drei winzige Maden

waren zu den entscheidenden Zeugen in einem

Kriminalfall geworden. Benecke nennt sie deshalb

auch gerne seine »kleinen Assistenten«. Um sie als

Helfer im Dienste der Wahrheitsfindung bekannt zu

machen, hält er mit missionarischem Eifer Infor-

mationsveranstaltungen ab. Er lehrt als Dozent

und gibt Schulungen bei Polizei, Landeskriminal-

ämtern und BKA. Er gibt ein jährliches Training an

der FBI-Academy, arbeitet mit der kolumbianischen

Rechtsmedizin und hat Lehraufträge als Gastdozent

an internationalen Universitäten. Jede Aussage als

Gutachter vor Gericht ist verbunden mit der Er-

klärung der Methodik und das während der lau-

fenden Verhandlung. Benecke weiß das Interesse

der Anwesenden zu gewinnen und nutzt Termine

vor Gericht als Podium für die Verbreitung der Kennt-

nis um seine kriminalbiologische Arbeitstechnik,

die Forensische Entomologie.

Benecke ist der Talkshow-Gast mit Grusel-

faktor, der Onkel Doktor, der mal schnell fundiert die

neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse für Nicht-

Wissenschaftler übersetzen soll, er ist der Gutachter

mit Unterhaltungswert. Er hat gelernt, die Medien

genauso zu benutzen, wie sie ihn benutzen.

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Der Herr der FliegenEin Drehbericht von Sandra Hacker

rünstigen Toden beschäftigen, gehören nun ein-

mal nicht unbedingt zu meinen Vorbildern. Aber

ein Film über einen Kriminalbiologen kann nicht

einfach dessen Arbeit verdrängen.

Der Schlüssel zur Lösung dieses Dilem-

mas ist Mark Benecke selbst. Als echter »Kölscher

Jung« schafft er es, die Dinge so volksnah wie

möglich zu erklären und wirklich jedes Publikum

für seine Arbeit zu interessieren. Als Gutachter und

als Lehrender, vor Fach- und Laienzuhörern gelingt

ihm die Gratwanderung, Ekel und Horror gar nicht

erst aufkommen zu lassen. Er erzählt mit Humor

vom faszinierenden Kreislauf des Lebens in all sei-

nen grausamen und wunderschönen Facetten. Die

Kamera soll nicht alles sehen. Sie braucht es auch

nicht. Auch Worte tragen unsere Phantasie. Mit

unseren Augen aber entdecken wir eine unendlich

detailreiche, hoch kompliziert ausgetüftelte Kon-

struktion: die gemeine Stubenfliege.

Jedes Spiel hat seine Regeln. Jeder Film

auch. Aber: Man kennt nicht alle vorab. Maden zum

Beispiel haben da ein eigenes System, das der Nicht-

Biologe erst einmal erkennen muss. Die kleinen Tier-

chen sind nämlich wechselwarm. D.h. sie entwickeln

sich schneller, je höher ihre Umgebungstemperatur

ist.Wer also plant, deren Entwicklung zu beobachten,

muss mit höchst unterschiedlichen Zeiträumen

rechnen, bis am Ende Fliegen entstehen.

Es gibt aber auch Regeln, die man vorher

kennt. Die aber deswegen erst einmal auch nicht

gerade zur guten Laune eines Filmemachers bei-

tragen. Zu den wichtigsten Stationen in der Kar-

riere des Kriminalbiologen Mark Benecke gehören

seine Termine als Gutachter vor Gericht. In Deutsch-

land ist es sinnvollerweise generell verboten, wäh-

rend einer laufenden Verhandlung zu filmen, zu

fotografieren oder Tonbandberichte für journalis-

tische Zwecke zu erstellen. Einen einzelnen spe-

ziellen Fall bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung

zu verfolgen, kann unter Umständen Jahre dau-

ern. Und zu Recht stehen Persönlichkeitsrechte

von Opfern und Angehörigen an oberster Stelle.

Ein Madendoktor arbeitet mit Maden.

Mit Insekten und Insektenlarven, die eine Leiche

besiedeln. Gewisse Reportagen, die sich mit blut-

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Biografie

Geboren 1975 in Augsburg.

1994 Abitur in Kaufbeuren

1994/95 Studium an der Universität Augsburg

(Neuere Deutsche Literatur,

Kunstgeschichte, Psychologie)

1995-2000 Studium an der Filmakademie

Baden-Württemberg (Studienrichtung

Film & Medien, Dokumentarfilm)

1999 Stipendium des Fördervereins der

Filmakademie

2000 Diplom an der Filmakademie Baden-

Württemberg

Sandra Hacker lebt und arbeitet als freiberufliche

Autorin / Regisseurin und Cutterin in Berlin.

Filmografie (Auswahl)

1997 Via vélo

(Kurzfilm, 6 Min.)

1998 Le complice du photographe –

Pierre Gassmann

(Dokumentarfilm, 23 Min.)

2000 Laughter is my lady

(Dokumentarfilm, 48 Min.)

2001 Der Madendoktor

(Dokumentarfilm, 60 Min.,

Filmakademie Baden-Württemberg / SWR)

2002 Inseln: Kefallonia

(Dokumentation, 45 Min., SWR)

2003 Ma vie: Edzard Reuter

(Dokumentation, 45 Min., ZDF / ARTE)

in Arbeit

Porträt: Horst Buchholz

(Dokumentarfilm, SWR, in Co-Regie

mit Christopher Buchholz)

Sandra HackerAutorin und Regisseurin von »Der Madendoktor«

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Pressekontakt

Ansprechpartner für das SÜDWEST FernsehenStephan Reich

Telefon: 0 72 21/929-4233

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Martin Ryan

Telefon: 0 72 21/929-2285

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RedaktionsassistenzSandra Eggensperger

Telefon: 0 72 21 /929-3190

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Programmdienst mit sechswöchiger VorschauHelmtrud Fenchel

Telefon: 0 72 21 /929-3203

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Honorarfreie Pressebilderwww.ard-foto.de

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Telefon:0 72 21 /929-2287

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Telefax für alle genannten Ansprechpartner:

0 72 21 /929-2059

Redaktion »junger dokumentarfilm«Dr. Ebbo Demant

[email protected]

Stefanie von Ehrenstein

[email protected]

Telefon: 0 72 21/929-40 43

Fax: 0 72 21/929-43 85

Rufen Sie uns an, wenn Sie Fragen zu einzelnen

Programmbereichen und -sparten haben, Hintergrundin-

formationen zu den Reihen und Sendungen des SWR brau-

chen, Interviews mit Schauspielern, Moderatoren oder Pro-

grammmachern wünschen, individuelle Fototermine wäh-

rend der Dreharbeiten vereinbaren wollen, an Einladungen

zu Presseterminen des SWR interessiert sind oder wenn Sie

weiteres Informationsmaterial benötigen. Das SÜDWEST

Fernsehen ist das dritte Programm für Zuschauer in Baden-

Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Europa

weit ist das Programm empfangbar auf Satellit Astra 19,2

Grad Ost, terrestrisch und im Kabelfernsehen.

Internet-Presseservicewww.swr.de/presseservice

Das vorliegende Presseheft ist auf

Wunsch elektronisch erhältlich.

RedaktionStephan Reich/Martin Ryan

Oliver Kopitzke

GestaltungSWR Design · Jutta Haderer

FotosSWR

BeratungProf. Thomas Schadt

Filmakademie Baden-Württemberg

Projektstudiengang Dokumentarfilm

Mathildenstraße 20

71638 Ludwigsburg

Telefon: 0 71 41/969-285

www.filmakademie.de

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1o Tage – ein ganzes LebenBuch und Regie: Tanja Hamilton

Ein junger Rekrut des chilenischen MilitärsDas Militär ist in Chile selbst 13 Jahre nach

Einführung der Demokratie allgegenwärtig.

RückseiteOut of EDEKABuch und Regie: Konstantin Faigle

Mutter Faigle war die unbestrittene Regentinim EDEKA-Laden-Reich von Empfingen.

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H e r a u s g e b e r

S ü d w e s t r u n d f u n k ( SW R )Programmpresse

Hans-Bredow-Straße

76530 Baden-Baden

P r e s s e k o n t a k t

Stephan Reich

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