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Die Outlaws von Unith

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Nr. 1759

Die Outlaws von Unith

Imprint-Waren auf der Containerwelt- die Suche hat ein Ende

von Hubert Haensel

Wie ein Heuschreckenschwarm sind Millionen von Galaktikern in der kleinen Gala-xis Hirdobaan eingefallen, rund 118 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt.Ihr einziges Ziel: Sie wollen Imprint-Waren kaufen, wollen den »Zauber der Hamame-sch« wieder spüren.

Die Imprint-Outlaws wurden durch einen bislang undurchschaubaren Plan derfischähnlichen Hamamesch nach Hirdobaan gelockt: Zuerst machten die Händler siemit mysteriösen Waren süchtig, und dann sagten sie, man könne in ihrer Heimatmehr von diesem »Zauber« bekommen.

Als die BASIS im Sommer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung unter dem Kom-mando von Perry Rhodan vor der kleinen Galaxis eintrifft, werden auch Rhodan undseine Freunde mit dieser ungewohnten Situation konfrontiert. Sie erfahren einige Hin-tergründe über das Machtsystem der Hamamesch und über ihre Gegner, die Cry-pers. Bei der BASIS sammeln sich Hunderte von galaktischen Raumschiffen. Kompli-ziert wird die Situation in Hirdobaan durch kampfstarke Einheiten der Imprint-Out-laws, die auf eigene Faust die Galaxis durchstöbern. Zu diesen Einheiten gehören ei-ne starke Akonen-Flotte sowie DIE OUTLAWS VON UNITH …

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Die Hautpersonen des Romans:Stomal Zystaan - Die akonische »Admiralin« spielt ein gefährliches »Würfelspiel«.Ko-Yoo-Temm - Ein Ferm-Kommandant zeigt Muskeln.Lissner - Anführer einer unithischen Flotte.Tallmurr - Ein gieriger Springer-Patriarch auf der Jagd nach dem Imprint.Grozzer - Terranischer Adjutant auf dem akonischen Flaggschiff.

1.

Entspannt gab sich der Unither den Vibra-tionen hin, die seinen Rüssel durchfluteten.Das entstehende Lustgefühl ließ ihn dieHektik der letzten Tage vergessen, in denener kaum Zeit für die nötigste Körperhygienegefunden hatte.

Die sanfte Massage brachte sein Blut inWallung. Lissner schloß die Augen, als derSitz langsam in die Waagerechte kippte.Sensoren maßen seinen Hauptwiderstand,und der Computer gestaltete entsprechenddie Intensität des Reinigungsprogramms.

Sphärenklänge erfüllten den Raum, Kom-positionen aus der 118 Millionen Lichtjahreentfernten Heimat. Eine Ewigkeit schienvergangen zu sein, seit die KALLASTO vonGomeria gestartet war, um der Einladungder Hamamesch zu folgen, und der Flugnach Hirdobaan hatte sich zu einer Jagdnach Imprint-Waren entwickelt. Momentansah es so aus, als könnten nur die raffinierte-sten und vielleicht auch härtesten Schiffsbe-satzungen den Wettlauf für sich entscheiden.

Lissner räkelte sich wohlig, währendschwache Fesselfelder den Rüssel in derSchwebe hielten und die Ultraschallreini-gung nacheinander alle Muskelringe durch-walkte. Die Behandlung löste Nahrungsresteund angetrocknete Sekrete von der empfind-lichen Schleimhaut. Anschließend tauchtedie Spülspirale in den Rüssel ein. Aromati-sierte Nährflüssigkeit glättete die gereiztenPoren und stärkte das Gewebe mit einembakterienabweisenden Ferment.

Für kurze Zeit verdrängte der Komman-dant der KALLASTO alle Gedanken an Im-print-Waren, an Hamamesch und die Flotteder Akonen. Er genoß den Augenblick. Mas-

sagepolster stimulierten den Rüssel, locker-ten das Gewebe und entfernten verhornteHautzellen. Lissner stöhnte wohlig, als dasBlut prickelnd durch die Adern schoß undeine angenehme Wärme sich bis zu denGreiflappen ausbreitete.

Der aufheulende Alarm fegte alle An-nehmlichkeiten fort. Als hätte er sich an ei-nem kochenden Grats-Drink verbrüht, fuhrder Unither in die Höhe; die Massagepolsterwurden zur Seite gewirbelt, aber die immernoch aktive Spülspirale glitt nicht schnellgenug zurück. Sie hinterließ eine blutendeSchramme am Rüsselende. Lissner stöhntegequält, er stieß einen Behälter mit Spülflüs-sigkeit um, der klirrend zerbarst und seinenwohlriechenden Inhalt verspritzte, undschrammte, da das Schott nicht schnell ge-nug aufglitt, hart an der Wand entlang. DerSchmerz trieb ihm zum zweitenmal dasWasser in die Augen, aber weitaus schlim-mer waren die erneut aufbrechenden seeli-schen Wunden, der unbezähmbare Drang,endlich wieder jene phantastischen Hama-mesch-Waren zu besitzen. Die eben nochempfundene Euphorie der Rüsselreinigungwich intensiver als zuvor dem Abgrund un-stillbaren Verlangens.

Vier Zentner geballte Muskelkraft pflüg-ten den Korridor entlang, der zur Zentraleführte. Lissner hätte jetzt jedes unverhofftauftauchende Hindernis niedergewalzt. Miteiner wütenden Bewegung aktivierte er denKommunikator. »Wer hat den Alarm ausge-löst?«

»Ortung in eineinhalb Lichttagen Di-stanz!« meldete Kurlog, sein Stellvertreter.»Zwei große Einheiten, aber nicht Schiffeder Akonen, sondern …« Lissner stürmte indie Zentrale. Er sah gerade noch das Or-tungsbild auf dem Panoramaschirm erlö-

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schen und der optischen Naherfassung wei-chen.

»Neue Distanz achtzig Lichtsekunden!«teilte der Bordrechner emotionslos mit.

Zwei Raumschiffe – auf den ersten Blickwie Hamamesch-Frachter wirkend, aberdoch schlanker … Die Außenhülle schim-merte offenbar in den Farben des Regenbo-gens … also Einheiten der Fermyyd, derSchutztruppe von Hirdobaan. Sie wußtenaus aufgefangenen und ausgewerteten Me-dienberichten von den Fermyyd, wenngleichnicht viel. Kurlog stieß ein unbehaglichesTrompeten aus.

»Beide Schiffe haben Kurs auf unserenAsteroidenschwarm. Anfluggeschwindigkeitzehn Prozent Licht.«

Lissner starrte auf das Holo und weigertesich zu begreifen, daß die Fermyyd wirklichseine kleine Flotte aufgespürt hatten. Warumjagten sie nicht die Akonen? »Was wolltihr?« stieß er keuchend hervor und gleichdarauf in beschwörendem Tonfall: »Drehtab!«

Die Fermyyd taten ihm den Gefallennicht. Ihre Annäherung bedeutete Ärger.Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da derKommandant der KALLASTO fest davonüberzeugt war, neuen Imprint-Waren end-lich nahe zu sein. Die Akonen würden fürihn die Grats aus dem Feuer holen, danachmußte er nur einen günstigen Augenblickabwarten, um ihnen die Beute abzujagen.Daß er es schaffen würde, davon war erüberzeugt, denn Stomal Zystaan besaß kei-neswegs die Qualitäten eines zu allem ent-schlossenen Unithers. Die Ex-Admiralin warplump, brutal und unbeherrscht …

Seit dem Ende der Dunklen Jahrhundertein der Milchstraße hatten die Unither, einehemaliges Kolonialvolk der Arkoniden, einneues Selbstvertrauen entwickelt. Sie hattenverwaiste, zerstörte Sonnensysteme über-nommen und ein großangelegtes Wiederauf-bauprogramm begonnen. Mittlerweile zählteihr Sternenreich 72 weit verstreute Systeme,und ehrgeizige eigene Schiffsentwicklungenfolgten den Expansionsbestrebungen. Die

KALLASTO war eines dieser neuen»Sternschiffe«.

Eine rote Riesensonne nahezu im geome-trischen Mittelpunkt des Grencheck-Oktan-ten, dazu ein weitläufiger Asteroiden-schwarm auf enger Umlaufbahn … Nachden vorangegangenen »Problemen« hatteder Kommandant der Unither entschieden,daß seine Flotte aus 48 Schiffen hier zu-nächst Warteposition bezog. Doch die Fer-myyd näherten sich zielstrebig.

»Rafferimpuls an alle Einheiten!« befahler. »Energieverbrauch auf Minimum einfrie-ren!«

Bildschirme, Kontrollpulte, sogar die Le-benserhaltungssysteme waren plötzlich ohneEnergie. Das stete Wispern der Luftumwäl-zung wurde vielen erst offenbar, als es ver-stummte. Nur ein kleines Hologramm zeigtedie näher kommenden Fermyyd.

Düster färbten sich die Regenbogenschif-fe im Widerschein des roten Riesen.

Warum hat uns in Hirdobaan niemandmit offenen Armen empfangen? Wo sind dievon den Hamamesch versprochenen Basaremit Imprint-Waren?

Dolche schienen in seinen Eingeweidenzu wühlen. Jede Faser seines massigen Kör-pers sehnte sich nach den wundervollen Wa-ren der Hamamesch.

Lissner zitterte, sein Rüssel peitschte halt-los zur Seite.

Ein Schrei voller Verzweiflung halltedurch das Halbdunkel der Zentrale. Stimmenund Geräusche schwollen zum Stakkato an,das den Kommandanten aus der beginnen-den Lethargie des Selbstmitleids aufschreck-te. Immer öfter kamen die Anfälle, immerlänger hielten sie an, und hinterher entsanner sich kaum noch, was vorgefallen war –als hätte sein bewußtes Denken ausgesetzt.

Ein Mann war zusammengebrochen, Ro-boter transportierten ihn auf die stets über-füllte Krankenstation. Die medizinischenApparaturen konnten ihn vorübergehend ru-higstellen, ihm aber nicht helfen. Das hattenWissenschaftler und Mediker auf Aralonund Mimas und anderen Welten schon ver-

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sucht. Vergeblich.Die Zeit verstrich unbarmherzig. Bildfül-

lend stand eines der Regenbogenschiffe imHolo; die eingeblendete Entfernungsangabezeigte erschreckend geringe Werte.

Stillhalten! Die eigene Panik bezwingen!Es war wie die Grats-Jagd, und Grats spür-ten die Erregung eines Unithers auf Dutzen-de Schritte Distanz. Nur wer sich selbst undseine Emotionen beherrschte, hatte über-haupt eine Chance auf Beute in den kochen-den Geysiren von Unith.

»Wir müssen angreifen!« keuchte Kurlog.»Damit wir in Kürze einer Übermacht der

Fermyyd gegenüberstehen?« Lissner wehrtedas Ansinnen heftig ab. »Und damit dieAkonen herausfinden, was wir vorhaben?Die Admiralin wird uns zu den Imprint-Wa-ren führen …«

Kurlog stampfte ungehalten auf.»Schirmfelder und Feuerleitstand aktivieren!« brüllte er mit sich überschlagender Stim-me.

»Befehl widerrufen!« trompetete Lissner.»Noch ist nicht sicher, ob die Fermyyd unswirklich entdeckt haben.«

»Keiner«, brüllte Kurlog außer sich,»keiner wird Imprint-Waren sehen, wennwir uns feige verkriechen!« Mit gesenktemSchädel stürmte er auf den Kommandantenlos, doch Lissner wich zur Seite und rammtedem Angreifer die Fäuste in den Nacken.Dumpf ächzend brach Kurlog in die Knie,ein zweiter Hieb schickte ihn endgültig zuBoden.

»Ist noch jemand dieser Meinung?« brüll-te der Kommandant in die Runde.

Niemand antwortete. Alle starrten auf dieoptische Wiedergabe, die zeigte, daß die Re-genbogen-Raumer plötzlich mit hohen Wer-ten beschleunigten.

»Ortungen aktivieren! Sobald die Fer-myyd in den Hyperraum gehen, will ich wis-sen, mit welchem Ziel.«

»Sie fliegen ein havariertes terranischesSchiff an.« Der Funker reichte Lissner einenAusdruck. »Den Notruf haben wir ebenempfangen, der Text ist wirr in Interkosmo

abgefaßt. Sieht so aus, als wäre die Besat-zung nur noch eingeschränkt handlungsfä-hig.«

Der Kommandant überflog den Text. DieSUPREME schien ein kleineres Schiff zusein, auf dem unhaltbare Zustände herrsch-ten. Vage spielte er sogar mit dem Gedan-ken, den Terranern zu Hilfe zu eilen. Aberdann lagen die Eintauchvektoren der Fer-myyd vor; es war eindeutig, daß sie den Ha-varisten anflogen.

Lissner entschied, einen der Überlichttor-pedos mit Funk- und Ortungsrelais einzuset-zen, die er für die Überwachung der Ako-nenflotte vorgesehen hatte.

*

»Das Schott verriegeln!« befahl Karlom.»Bordsprechverbindung desaktivieren –Bildschirm aus!«

Aufgeregt rollte er seinen Rüssel ein undließ den Blick über die Versuchsanordnungschweifen. Lange würde er der Qual nichtmehr standhalten, die seinen Körper aus-zehrte – seit die KALLASTO Hirdobaan er-reicht hatte, konnte er die Entzugserschei-nungen kaum noch beherrschen. Die Sehn-sucht nach den besonderen Waren der Ha-mamesch trieb ihm das Blut in den Rüssel,ein inzwischen nahezu unerträgliches Ge-fühl.

»Speicherenergie bereitstellen!« KarlomsRippen schmerzten, überhaupt sein ganzerKörper, hatte er doch während der letztensechs Monate galaktischer Standardzeit bei-nahe einen halben Zentner Gewicht verlo-ren. Aus seiner stattlichen Erscheinung warein Zerrbild geworden, die Kleidung hinglängst mit unansehnlichem Faltenwurf anihm herab.

In einer Mischung aus Wehmut und müh-sam gezügelter Gier betrachtete er die knappzwei Handspannen messende Statuette, diebis vor kurzem die läppische Funktion einesThermometers erfüllt hatte. Zumindest er-schien ihm die Wirkungsweise der farbigenAnzeige nun als banal; als er das seltsame

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Gerät im Tausch gegen einen Schwerkraft-regler erworben hatte, war er der glücklich-ste Unither der Galaxis gewesen und hättejedem den Rüssel ins Gesicht geschmettert,der es gewagt hätte, die Figur zu berühren.

Inzwischen war die besondere Ausstrah-lung erloschen. Und all seine Versuche, demGeheimnis auf die Spur zu kommen, hattennichts verändert.

Karlom fror, obwohl im Labor einedurchaus angenehme Temperatur herrschte.Erst spürte er, daß er den Rüssel nicht mehrruhig halten konnte, danach rüttelten seineFinger an der Versuchsanordnung, als wolleer alles mühsam Konstruierte selbst wiedereinreißen.

Er suchte in den Taschen seiner Kombina-tion nach dem Beruhigungsmittel, das er aufder Krankenstation entwendet hatte. Keinerder Ärzte wußte davon, und falls sie dasVerschwinden einer Packung des hochwirk-samen Medikaments bemerkten, würde derVerdacht gewiß nicht auf ihn fallen. Dafürhatte er gesorgt.

Nur noch zwei Kapseln. Die übrigenzwölf hatte er während der vergangenen fünfTage geschluckt. Daß er über kurz oder langmit Nebenwirkungen rechnen mußte, inter-essierte ihn nicht. Die Alternative wäre dasweit unangenehmere Gefühl gewesen, sichwie ein Ballon im Vakuum aufzublähen undirgendwann zu zerplatzen.

Karlom war Wissenschaftler, Biologe, umgenau zu sein. Noch genauer: Spezialist fürpflanzliche Besonderheiten. Er hatte einesteile Karriere hinter sich, und da das Ster-nenreich der Unither extrem gewachsen warund vor allem Welten umfaßte, die von an-deren Völkern aufgegeben worden warenund kaum noch brauchbare Lebensbedin-gungen auf wiesen, waren Biologen mit sei-ner Ausbildung einer der gefragtesten Be-rufsstände. Von Anfang an hatten die Uni-ther auf sanftes, die Natur im Gleichgewichthaltendes Planetenforming Wert gelegt.

Karlom tastete über die Gomes, eine un-scheinbar blühende Pflanze, die nur in denWüstenregionen Gomerias wuchs und ihre

Existenz vermutlich dem Absturz eines Can-taro-Raumschiffes verdankte. Jedenfalls hat-te er nachgewiesen, daß diese Blume das Er-gebnis einer durch harte Reaktorstrahlunghervorgerufenen Mutation war.

Auf Gomeria galten die wachsartigenBlätter der Pflanze als Heilmittel, die Regie-rung hatte deshalb Sammelbeschränkungenerlassen müssen. Außer Karlom ahnte aberniemand, daß die Heilwirkung auf einer PSI-ähnlichen Komponente beruhte.

Der Biologe hatte eine der Pflanzen anBord der KALLASTO gebracht, und irgend-wann während des Fluges nach Hirdobaanwar ihm die Gedankenkette Imprint/PSI alsunabwendbar erschienen. Deshalb experi-mentierte er inzwischen mit Hamamesch-Thermometer und Gomes und hatte beideüber eine Vielzahl von Meßgeräten mitein-ander verbunden.

Karlom zerbiß eine der Kapseln; die beru-higende Wirkung stellte sich fast umgehendein. Er lachte hell. Vielleicht war dieser ver-rückte Treck nach Hirdobaan unnötig. Fallses ihm gelang, mit Hilfe der natürlichen PSI-Strahlung den Imprint zu rekonstruieren,würden die Unither ihn als Helden feiern.Nicht nur sein Volk, die gesamte Milchstra-ße würde ihm zu Füßen liegen, und wenn eres recht bedachte, auch die Gurrads von Ma-gellan, die Perlians und alle anderen Völker,die in den Basaren der Hamamesch gekaufthatten.

»Beleuchtung langsam reduzieren!«Erst in nahezu völliger Dunkelheit began-

nen die Blätter der Gomes zu glimmen, tratihre feine Aderzeichnung deutlicher hervor.Entlang den Blatträndern wuchs eine hauch-zarte Aura, ein zuckender Strahlenkranz, deraber bei höherer Energiezufuhr sofort zuschwinden drohte.

Der Biologe justierte die Einstellung.Sämtliche Meßgeräte dokumentierten einezwar schwache, jedoch eindeutig mehrdi-mensionale Strahlung, die er als PSI-Komponente interpretierte. Die Aura breite-te sich entlang den hauchdünnen Drähtenaus – fluoreszierende Kriechströme, die sich

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mit der Hamamesch-Statuette vereinten, fürKarlom ein faszinierender Anblick, der dieRichtigkeit seiner Thesen bewies. Angeregtdurch das Studium terranischer Geschichte,hatte er eineinhalb Gramm modifiziertesPEW-Metall zu diesem filigranen Gespinstgeformt, hoffend, daß es die pflanzliche PSI-Kraft speichern würde.

Es war schwieriger gewesen, in den Be-sitz der winzigen Menge des Parabio-Emotionalen-Wandelstoffs zu gelangen.Karlom hatte fast zwei Standardjahre dafürbenötigt, war auf den Spuren gäanischerWissenschaftler gewandelt, hatte sich voneiner halb gelöschten Speicherdatei in diegalaktische Eastside führen lassen und warletzten Endes an einen Springer geraten, dergar nicht wußte, was sein Großvater mütter-licherseits ihm in dem versiegelten Kästchenhinterlassen hatte, das er wie einenSchmuckanhänger um den Hals getragenhatte. Doch dieses Nicht-Wissen hatte denSpringer keineswegs daran gehindert, einenhorrenden Preis zu fordern. Karlom war seitfrühester Kindheit gewohnt, das eigentlichUndenkbare zu denken. In seinen Augenwaren die anderen nicht normal, all jene, diees nicht wagten, die festgefahrenen Denk-schemata zu verlassen, und das galt beileibenicht nur für Unither, sondern schlichtwegfür alle Völker des Galaktikums. Die Arzteauf Unith hatten seiner Mutter einen Gende-fekt bescheinigt, erzeugt durch Manipulatio-nen der Cantaro an ihrer DNS, sie hatte ihmkünstlich eingefügte Informationen vererbt,aber keiner der Mediziner hatte zu sagenvermocht, auf welche Weise die Verände-rungen sich bemerkbar machen würden.Vielleicht blieben sie sogar ohne jeden Ein-fluß.

Karlom wußte es besser. Er war unbe-quem, ein ewiger Sucher, der nicht davorzurückschreckte, sich selbst und das ganzeUniversum in Frage zu stellen. Der Kontaktmit den Imprint-Waren hatte ihn darin nochbeflügelt, aber seit sie ihre einzigartige Aus-strahlung verloren hatten, balancierte er aufdem schmalen Grat zwischen Genie und

Wahnsinn.Das filigrane Netz glühte auf. Sekunden-

lang schien das Leuchten sogar die Luftmo-leküle in Schwingungen zu versetzen, dannwar da nichts mehr.

Der Absturz aus den Höhen eingebildeterGlückseligkeit in die Niederungen körperli-cher Schmerzen war vorprogrammiert gewe-sen, und diesmal fiel der akute Schub hefti-ger aus als je zuvor. Wie vom Blitz gefälltbrach Karlom in die Knie, sein Rüssel zer-schmetterte die Versuchsanordnung, aberdas nahm er schon nicht mehr wahr. Alles inihm schrie nach dem Zauber der Hamame-sch, er fühlte sich leer, ausgebrannt, verloren– eine taube Kreatur aus zitterndem Fleisch,unfähig, die eigene Existenz zu bewahren.Sein Schädel drohte zu zerspringen …

… aber dann war da plötzlich eine unbe-schreibliche Ruhe, wie er sie seit zwei Jah-ren nicht mehr empfunden hatte.

Das Gefühl irritierte ihn. Er schlug dieAugen auf.

Augen? Karlom erschrak, als er den ver-krümmt am Boden liegenden Körper sah. Erblickte hinab auf ein halb zerstörtes Labor,auf zerfetzte Kleidung und einen blutbesu-delten Unither, aber das alles berührte ihnkaum.

Die Gomes – welk, mit verfärbten Blät-tern, die Blüten geknickt, zum Teil abgebro-chen.

Nur eine Pflanze!Das Hamamesch-Thermometer, offen-

sichtlich unbeschädigt; der Imprint …Unwichtig!Ein Hauch von einem Gedanken genügte,

und Karlom durchdrang die nächste Wand.Sie bedeutete kein Hindernis. Er verließ dieKALLASTO, schwebte plötzlich im Welt-raum. Für einen Augenblick empfand er Pa-nik.

Im Licht einer riesigen roten Sonne zogenAsteroiden ihre Bahn durch die Unendlich-keit. Zwischen ihnen die Raumer der Uni-ther. Weit in der Ferne zwei regenbogenfar-bene Schiffe; sie verschwanden im Nichts.

Jäh spürte Karlom, daß er nicht mehr al-

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lein war. Er hörte Stimmen, aber er verstandnicht, was sie sagten. Sie waren wie er, eini-ge schon schwach und ausgezehrt, anderenoch im Besitz ihrer Kräfte …

Unvermittelt wechselte die Umgebung.Schmerzen. Schläge, die sein Gesicht trafen.Karlom brüllte unbeherrscht los.

»Er dreht durch«, sagte eine Stimme wieaus weiter Ferne. »Bei allen Grats vonUnith, er verliert den Verstand.«

»Sieh doch, die Statuette, das ist Hama-mesch-Ware.«

»Haut ab!« keuchte der Biologe. »Ichbrauche euch nicht.«

Die beiden uniformierten Unither, die indas Labor eingedrungen waren, gehörten zurSchutztruppe an Bord und sollten die Zahlmöglicher Zwischenfälle gering halten. Diebeiden, die Karlom jetzt aus zusammenge-kniffenen Augen verbissen musterte, wirk-ten so nervös und ungeduldig wie die übrigeMannschaft. Sie konnten ihre Sucht nichtverbergen.

Einer tastete mit dem Rüsselende über dasThermometer.

»Und?« keuchte der andere. »Spürst duetwas? Hat er«, ein flüchtiger Seitenblickauf den Biologen, »den Imprint neu belebt?«

»Ich weiß nicht«, erklang es zögernd.»Ich …«

Lautlos warf Karlom sich nach vorne undriß sein Gegenüber mit sich. Zwei Tischezersplitterten unter dem Aufprall, dannwälzten sich die massigen Körper über dieTrümmer. Der Biologe schlug blindlings umsich, und vielleicht hätte er es sogar ge-schafft, beide Gegner zu besiegen – dochunter seinen Knien verbog sich die Figur.

Abrupt hielt Karlom inne, krümmte denRüssel vor tief empfundener Pein. Im näch-sten Augenblick umklammerte einer derGegner seinen Rüsselansatz, und KarlomsBlutkreislauf geriet ins Stocken. Ihm wurdeheiß, der Schweiß brach ihm aus allen Po-ren, dann verlor er die Besinnung.

2.

Überlichtfaktor fünfzigtausend. Auf demPanoramaschirm der KALLASTO war vor-übergehend nur das Wogen des Hyperraumszu sehen.

Schwärze löste die Wiedergabe ab.»Torpedo hat die Zielkoordinaten er-

reicht!« meldete jemand.Das Bild wirkte statisch. Ein vermutlich

unbedeutender Sektor des Grencheck-Oktan-ten; nur einige Dutzend größere Sterne wa-ren erfaßt, dazu das fahl schimmernde Bandder galaktischen Hauptebene.

Der Kommandant platzte schier vor Un-geduld. »Keine weitere Datenübermitt-lung?« wollte er wissen.

»Nichts«, erwiderte die Funkerin knapp.Lissner konnte sehen, daß sie einen altmodi-schen elektronischen Schreibstift vor sichliegen hatte, kein Erzeugnis galaktischerTechnik, sondern ein Hamamesch-Produkt.Die besondere Aura des Stiftes war längsterloschen, dennoch hantierte sie damit wiemit einem überaus wertvollen Objekt.

Lissner zwang sich, seine Überlegungenin andere Bahnen zu lenken. Nicht darandenken, dieses heiße Aufwallen in den Adernignorieren! Es war, als würde man ihm dieLederhaut in Streifen schneiden. Nur mitMühe unterdrückte er einen gequälten Auf-schrei. Noch war er stark genug und der Be-satzung ein Vorbild, doch sobald sie heraus-fanden, daß er selbst kaum mehr in der Lagewar …

Verfluchte Ungewißheit! Wir sind Pionie-re, 118 Millionen Lichtjahre von zu Hause,auf uns warten die Wunder einer fremdenGalaxis. Und neue phantastische Waren! Sowie der Schmuckreif, den er um den Rüssel-ansatz gewunden hatte. Er entsann sich derunbeschreiblichen Glückseligkeit, die seinenGeist in ungeahnte Gefilde emporgetragen…

Du zerbrichst an der Vergangenheit. Le-be für die Zukunft! Morgen oder übermor-gen wirst du neue Waren finden, sie sind da,und du weißt es, du spürst sie mit jeder Fa-ser deines Körpers. Konzentriere dich aufdie Technik, nutze sie!

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Der Überlichttorpedo war in jeder Hin-sicht autark. Eine leistungsfähige Computer-einheit entschied situationsbezogen überAufzeichnung und Weitergabe von Daten.Die Bandbreite reichte von laufender Über-mittlung bis hin zur Speicherung mit einerKapazität von sechs Normstunden und Sen-dung über Raffer und Kodierung. Jedoch ge-noß die Selbsterhaltung des Funk- und Or-tungsrelais grundsätzlich Priorität.

Auf dem Panoramaschirm wurde nachwie vor nur ein Standbild wiedergegeben.

»Die Übermittlung brach nach den erstenSequenzen ab«, erklärte die Funkerin.

»Das ist kein Grund, uns die vollständigeAufzeichnung vorzuenthalten!« schnaubteLissner. »Ich will alles sehen!«

Wenig veränderte sich, doch mitten in derBewegung zerfiel das Bild in eine Vielzahlvon Pixels.

»Anhalten! Zeilenweise zurückfahren!«Die samtene Schwärze des interstellaren

Weltraums schien plötzlich aus HundertenFarbnuancen zu bestehen. Rechts im Bild er-schien ein undefinierbarer Schatten. Aber-mals befahl Lissner, die Wiedergabe zustoppen, anschließend verlangte er eine Aus-schnittsvergrößerung. Die verwaschenenKonturen ließen ein annähernd rundes Etwaserkennen. Lediglich 40 Prozent der erforder-lichen Bildinformation lagen vor, doch eineAnimation vervollständigte die Punkte.

Ein Kugelraumer entstand auf demSchirm, die obere Hälfte größer als das unte-re Segment. Der Durchmesser betrug ein-hundert Meter, die Konstruktion entsprachkeinem modernen Typ, sondern schien aufdie Zeit vor Monos zurückzugehen, also zu-mindest ins fünfte Jahrhundert NGZ.

»Das bringt uns nicht weiter!« protestiertejemand im Hintergrund der Zentrale. »Wirsind nicht in Hirdobaan, um galaktischeSchiffe zu studieren.«

»Sehr richtig«, pflichtete eine zweiteStimme bei. »Wir lassen uns nicht längerhinhalten. Wir wollen neue Imprint-Waren.Nur deshalb haben wir alle Strapazen aufuns genommen.«

Eine Mauer aus Unmut und Zorn schlugLissner entgegen. Er stampfte wütend aufund krümmte den Rüssel zu einem heftigenTrompetenstoß. »Ich habe euch Imprint-Wa-ren versprochen, und ich halte mein Ver-sprechen. Wer daran zweifelt, soll seine ei-genen Wege gehen – ich hindere ja keinendaran, die Flotte zu verlassen.«

Sie machten Front gegen ihn: die Astroga-torin Tarmile ebenso wie der Funker Fang-gan und Zausoff, der fast noch ein Kind war.Wie auf ein geheimes Zeichen hin verließensie ihre Plätze und formierten sich. Ihre Rüs-sel zuckten, die Hände hatten sie zu Fäustengeballt, und sie warfen sich glühende Blickezu – einer allein hätte nie gewagt, gegen denKommandanten aufzubegehren.

»Geht zurück an eure Arbeit!« herrschteLissner die Aufrührer an. »Ich befehle es!«

»Deine Befehle bringen uns nicht mehrweiter.« Verächtlich stieß Mornhag dieWorte hervor. »Was haben wir erreicht?Doch nur, daß wir uns wie räudige Smuurdverstecken, während andere uns die Imprint-Waren vor dem Rüssel wegschnappen.«

»Niemand«, keuchte Lissner, »niemandwird vor uns mit den Hamamesch handelsei-nig werden. Darauf gebe ich dir meinWort.«

»Leere Versprechungen«, protestierteMornhag. Unter seiner bleichen Haut zeich-neten sich die Adern ab, sein Gesicht undvor allem der Rüssel färbten sich blutig rot.

Diered und Xomun erhoben sich ebenfallsin eindeutiger Absicht. Beide hatten schonvor Monaten einen ersten Nervenzusammen-bruch erlitten und standen seither unter ex-trem starken Medikamenten.

Terraner würden sagen, daß wir den Teu-fel mit dem Beelzebub austreiben, schoß esdem Kommandanten durch den Sinn. Aberuns bleibt keine andere Möglichkeit.

Der Flug über die nahezu unvorstellbareDistanz hatte zuviel Zeit in Anspruch ge-nommen. Selbst diejenigen, die anfangsnoch der Meinung gewesen waren, den Ver-lust der besonderen Ausstrahlung ihrer Ha-mamesch-Waren mit einiger Selbstbeherr-

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schung wegstecken zu können, hatten längstihren Irrtum eingesehen. Lissner gehörte zudiesem Kreis. Zuerst waren die Entzugser-scheinungen noch beherrschbar gewesen.Mit Arbeit hatte er sie verdrängt, mit denVorbereitungen für die Ankunft in Hirdo-baan, aber schon nach wenigen Wochen hat-te die Monotonie an Bord Einzug gehalten.

Selbst Lissner schwankte zwischen über-schwenglicher Hoffnung und tiefer Ver-zweiflung und schluckte Psychopharmaka,deren Wirkung mit jeder neuen Dosisnachließ. Tage und Wochen, in denen ersich unbeeinträchtigt fühlte und nur drän-gende Wehmut verspürte, wechselten ab mitPhasen tiefer Depression, während denen ersich auch schon in seiner Kabine einge-schlossen und jede Nahrungsaufnahme ver-weigert hatte. Seit dem Eintreffen der Flottein Hirdobaan war alles noch schlimmer.

Der Kommandant ergriff die Flucht nachvorne. Er hob die Arme und heischte umRuhe. »In einigen Tagen werden wir mehrImprint-Waren haben, als wir benötigen«,sagte er. »Das verspreche ich.«

Ein gräßlicher Juckreiz im Rüssel triebihm Tränen in die Augen. Für einen Augen-blick war er versucht, die Finger in die Öff-nung zu bohren und sich zu kratzen, aberdann griff er nur nach dem Schmuckband,das er für einen sündhaften Preis im BasarTIRARIM außerhalb des Arkon-Systems er-worben hatte. Das Schmuckstück, zwei Fin-ger breit, aus drei mit undefinierbaren Stei-nen besetzten und durch filigrane Verzierun-gen miteinander verbundenen Reifen beste-hend, war schon fast mit der Rüsselhaut ver-wachsen. Lissner spürte einen stechendenSchmerz, als er das Unikat abstreifte und esMornhag vor die Füße warf. Der Computer-spezialist starrte ihn verblüfft an.

»Worauf wartest du?« stieß der Komman-dant gereizt hervor. »Nimm den Schmuck andich!«

Der Kommandant vollführte eine beleidi-gende Geste. »In spätestens fünf Tagen ha-ben wir genug davon. Jeder von uns. Alsogeht endlich zurück an eure Arbeit!«

Unnachgiebig dröhnte seine Stimmedurch die Zentrale. Die nachfolgende Stilleverriet, daß die Worte und die Geste ihreWirkung nicht verfehlt hatten.

Tarmile war die erste, die ihre Fäuste sin-ken ließ und sich umwandte. Diered folgteihr, dann Zausoff.

Schließlich waren Mornhag und Xomunallein den brennenden Blicken der anderenausgesetzt. Der Weißhäutige hob endlichden Schmuck auf und streifte ihn sich überden Rüssel.

»Fünf Tage«, keuchte er. »Aber keineStunde länger.«

*

Aus weit aufgerissenen Augen starrte An-dremon die kleine, knapp zwei Handspannenmessende Skulptur an. Vergeblich versuchteer, die schon wieder abflauenden Empfin-dungen festzuhalten; seine Gedanken wir-belten wild durcheinander. Panik und Ent-setzen verdrängten das für Sekundenbruch-teile empfundene Glücksgefühl.

Diese Statuette …»Was ist los mit dir?« Wie aus weiter Fer-

ne vernahm er Korsaks Stimme.Andremon reagierte nicht. Er war inner-

lich erstarrt, glaubte immer noch zu spüren,daß die Figur aus einem unbekannten Mate-rial sich sanft und wohlig warm an ihnschmiegte.

Eine flüchtige Berührung nur, doch sieließ ihn wie damals empfinden, als er im Ba-sar, eingekeilt zwischen schwitzenden, un-geduldigen Leibern, zum erstenmal eine derbesonderen Hamamesch-Waren gesehenhatte. Eine Reliefplatte. Das Herz war ihmfast stehengeblieben, und er hätte sein ge-samtes Vermögen, ja sogar die Hälfte seinesLebens dafür geopfert.

Noch heute begriff er nicht, wie mit einpaar eingeritzten Linien die atemberaubendeWeite einer unbekannten exotischen Welt sotreffend nachgebildet werden konnte. Stun-denlang hatte er das Relief betrachtet, hattedarüber die Nahrungsaufnahme und den

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Schlaf vergessen, hatte in Gedanken dasUniversum durcheilt und jene unbegreiflichschöne Welt gesucht, für die es wohl bei al-len Völkern eine ähnliche Bezeichnung gab.Das Synonym für Paradies existierte in jederSprache.

»Geh mir aus dem Weg!« herrschte Kor-sak ihn an. »Ich will die Ware sehen. WennKarlom mit ihr experimentiert hat, dannnicht ohne Grund.«

Viel zu schnell war damals die besondereAusstrahlung des Bildes erloschen. EinePlatte mit willkürlich hineingekratztenSchraffuren – das behauptete seitdem An-dremons Verstand. Dennoch hatte er sichder Verlockung nicht entziehen können, hat-te sein letztes Kapital zusammengekratzt,unter Angabe falscher Daten horrende Dar-lehen aufgenommen und sich mit einem An-teil an High-Tech an Bord der KALLASTOeingekauft. In der Hoffnung, daß der Flugnach Hirdobaan die verzehrende Sehnsuchttief in seinem Innern stillen könnte.

Ein Trugschluß, wie er inzwischen er-kannt hatte. Denn nicht einmal die Hamame-sch selbst schienen etwas von der außerge-wöhnlichen Natur ihrer Waren zu wissen.

Vielleicht wollten sie aber auch nur denPreis in astronomische Höhen treiben, indemsie sich unwissend stellten.

»Jetzt nicht mehr«, murmelte Andremonim Selbstgespräch. Falls es dem Biologenwirklich gelungen war, die besondere Aus-strahlung seiner Statuette fühlbar werden zulassen … Korsak stieß ihn schroff zur Seiteund nahm die Figur an sich. Für einen kurz-en Augenblick schien er in Gedanken ver-sunken innezuhalten.

Andremon sah, wie sich die Augen desFreundes in ungläubigem Erstaunen weite-ten, wie ein Hauch von Feuchtigkeit die Iristrübte. Korsaks wohliges Seufzen bewirkte,daß seine Nackenborsten sich aufrichteten.

Warum du? hämmerte es in seinem Schä-del. Ich habe das Vorrecht, ich habe die Sta-tuette zuerst berührt.

Zärtlich drückte Korsak die Figur an seineBrust. Er dachte eindeutig nicht daran, sein

Glück zu teilen. Für einen Moment schweif-te Andremons Blick suchend über die zer-störte Versuchsanordnung. HauchdünneDrähte hatten die Statuette allem Anscheinnach mit einer halb verwelkten Pflanze ver-bunden. Weshalb? Andremon wußte esnicht.

»Korsak!« brüllte er dem Freund hinter-her, der sich wortlos anschickte, das Laborzu verlassen. Aber Korsak reagierte nicht.

Verfluchter Kerl! Andremon zitterte. Sei-ne Hände verkrampften sich, aus dem Rüs-sel tropfte klares Sekret. Er fror undschwitzte gleichzeitig, vor seinem innerenAuge wirbelte alles durcheinander.

Andremon taumelte; er spürte, daß er zulaufen begann, doch er konnte die Bewe-gung nicht kontrollieren.

Inmitten des rotierenden, sich überschla-genden Chaos wuchs ein fester Bezugs-punkt. Eine seltsam verzerrt wirkende Ge-stalt.

Andremons Gedanken waren leer.Das Wesen vor ihm … zwei Arme, zwei

Beine, ein halbkugelförmiger Kopf. EinRüssel zuckte ihm entgegen …

Er schlug zu. Hart und unnachgiebig. Einstechender Schmerz raste seinen Arm hinaufbis ins Schultergelenk. Gleichzeitig erklangein dumpfer, lang anhaltender Ton, verzerrtwie das schemenhafte Gesicht, das ihnplötzlich anblickte. Andremons Finger ver-krallten sich darin, er spürte eine nachgiebi-ge weiche Masse, warm und klebrig rann esüber seine Finger.

Ein Traum?Er verstand nicht, was mit ihm geschah,

spürte nur, daß er den Halt verlor und sichmit dem Gegner über den Boden wälzte.

Die Statuette! hallte es tief in seinem In-nersten. Nur sie ist wichtig!

Er krachte gegen die Kante eines Möbel-stücks, schmeckte Blut. Ein verbissenerKampf. Warum? Nicht darüber nachdenken!Nicht jetzt. Später, wenn du gesiegt hast …Seine Finger verkrallten sich um einen har-ten Gegenstand, er schlug zu, spürte, wie dasDing in seiner Hand zerbrach, und schrie

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auf, als scharfe Splitter tief in sein Fleischeindrangen. Zur Besinnung brachte ihn derSchmerz nicht. Erneut schlug er zu, wiederund immer wieder, bis ihm endlich bewußtwurde, daß sein Gegner aufgegeben hatte.

Auf den Knien stemmte er sich hoch, warfden Oberkörper zurück und stieß einen langanhaltenden, triumphierenden Laut aus. AlleZwänge der Zivilisation waren von ihm ab-gefallen, die Tünche, die ein intelligentesWesen vom Tier unterscheidet. So ähnlichhatten seine Vorfahren in grauer Vorzeiteinen Sieg verkündet.

Abrupt hielt er inne, das Trompeten wur-de zum kläglichen Aufschrei. Er starrte sei-ne blutige Hand an und die kläglichen Über-reste der zersplitterten Statuette. Und seinBlick fiel auf den reglosen Körper vor ihm,der selbst im Tod noch die Arme abwehrenderhoben hatte.

Die Ernüchterung traf ihn wie ein Blitz.Korsak – tot. Ermordet. Sein Mörder hieltnoch die Waffe in der Hand.

Er schmetterte die zerbrochene Figur andie Wand. Warum? Er wußte es nicht. DieseLeere in seinem Schädel, der Drang danach,glücklich zu sein …

»Verfluchte Hamamesch!« Der Klang dereigenen Stimme war ihm fremd. Er balltedie Hände zu Fäusten, reckte sie drohendempor – und ließ die Arme schon im näch-sten Moment wieder sinken. Für die Dauereiniger weniger Atemzüge klärten sich seineGedanken, erkannte er mit erschreckenderKonsequenz, daß nicht die Hamamesch Kor-sak ermordet hatten, sondern er selbst. UndMörder wurden aus der Gemeinschaft derUnither verbannt in die Einsamkeit. Für In-dividuen, die den Drang nach Gesellschaftund Anerkennung in sich trugen, war einsolches Urteil schlimmer als der Tod.

Andremon registrierte kaum, daß er sichendgültig aufrichtete und das Schott öffnete.Er war wie in Trance. Seine Gedanken über-schlugen sich, doch nicht einen vermochteer festzuhalten.

Ein Korridor. Niemand begegnete ihm.Fluoreszierende Schriftzeichen an den Wän-

den. Danach ein kleiner Hangar. Ein trop-fenförmiges Beiboot wartete mit geöffneterSchleuse. Andremon ignorierte die mechani-sche Stimme, die ihm Anweisungen erteilte.Erst vor dem Außenschott verhielt er seineSchritte.

»Öffnen!« keuchte er.»Befehl wird nicht befolgt«, antwortete

die Automatik. »Innerhalb des Hangars be-findet sich ungeschütztes Leben.«

Andremon bebte. Er war immerhin nochfähig, die manuelle Steuerung zu betätigen.

»Befehlskreis zum Schütze intelligentenLebens unterbrochen«, meldete die Automa-tik.

Der Unither hämmerte mit den Fäustengegen die Wand, schlug sich die Knöchelwund. Dann, am Ende seiner Beherrschungangelangt, sackte er haltlos in sich zusam-men.

»Ich will sterben«, wimmerte er. »Begreifdas doch.«

Niemand erfüllte seinen Wunsch.

*

Dreißig Minuten mußten die Unither inder Zentrale der KALLASTO warten, bisFunk und Ortung des Überlichttorpedos ingeraffter Form und via Richtstrahl die zu-rückliegenden Beobachtungen übermittelten.Als Hologramm entfaltete sich ein minutiö-ses Abbild der Geschehnisse um die SU-PREME.

»Mayday!« plärrte eine von prasselndenNebengeräuschen überlagerte Stimme.»Warum hört uns denn keiner? – Mayday!Mayday! Helft endlich!«

Aus einem Wust von Störungen herausstabilisierte sich ein menschliches Gesicht.Einmal mehr wurde Lissners Blick von demwinzigen rudimentären Ansatz eines Rüsselsangezogen. Verkümmert, in der Evolutionstehengeblieben, mickrig – der Terraner warzu bedauern. Lissner begriff nicht, wie mandurch einen solchen Stummel überhaupt at-men, geschweige denn eine Vielzahl vonGerüchen aufnehmen konnte, von anderen

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Funktionen ganz zu schweigen.Die tief in blutunterlaufenen Höhlen lie-

genden Augen starrten den Betrachter fle-hend an. Das Gesicht wirkte ausgezehrt, einerissige, dünne Haut spannte sich über kanti-ge Knochen.

Irgendwo im Hintergrund eine dumpfeExplosion. Schreie, das Prasseln von Flam-men und zuckende rötliche Schatten, die dasGesicht in eine zerfurchte Kraterlandschaftverwandelten.

»… wir sind am Ende, Lebensmittel auf-gebraucht, die Wasseraufbereitung zerstört.– Terranisches Kurierschiff SUPREME.Wer immer uns hört …«

Die Stimme brach ab, als ein zweites Bildüberlagerte. Sekundenlang loderte Feuer-schein in den weit aufgerissenen Augen,kämpften hagere Gestalten mit Handlösch-geräten gegen die um sich greifenden Flam-men, dann blieb nur noch das Chaos.

Die Zentrale der SUPREME glich einemSchlachtfeld. Splitter und glühende Kunst-stoffteile überall verstreut, eine Wand vonaußen her eingedrückt, aufgerissen wie unterdem Aufprall eines Meteoriten, Metall ver-flüssigt und bizarr wieder erstarrt. Zwei reg-lose Gestalten lagen am Boden, ein Dritterhing verkrümmt über seinem Pult. Niemandkümmerte sich um die Toten. Sinnlos ge-brüllte Befehle, Schreie; eine Frau begannplötzlich zu toben und wurde von demMann, der den Notruf abgesetzt hatte, miteiner Lähmwaffe niedergestreckt.

Unvermittelt wechselte die Wiedergabe.Der Weltraum. Die SUPREME jetzt als

deutlich erkennbare ungleichmäßige Kugel.Nichts deutete in der Außenansicht auf eineHavarie hin.

In der nächsten Sekunde wurde das Schiffzu einem Stern unter vielen. Das Relais hatteauf extremen Weitwinkel umgeschaltet undzusätzlich die beiden Raumer der Fermyyderfaßt. Scheinbar bewegungslos hingen sieim Raum, doch eingeblendete Zahlenkolon-nen verrieten, daß die Regenbogenschiffesich dem Terraner näherten.

Die Fermyyd tasteten den Kugelraumer

ab. Ihr Versuch, die SUPREME zu scannen,bewirkte den selbsttätigen Aufbau derSchutzschirme.

»Die Galaktiker werden aufgefordert, ihreSchirmfelder zu desaktivieren!« Die Sondehatte den Funkverkehr aufgezeichnet.

Keine Antwort seitens der Terraner.»Eine Abordnung kommt an Bord. Jeder

Versuch, sich der Kontrolle zu entziehen,wird als feindlicher Akt gewertet.«

Ein schrilles Lachen hallte durch den Hy-peräther. »Wir brauchen Hilfe, keine dum-men Sprüche. Wer seid ihr? Fermyyd?«

»Wir schicken ein Beiboot!«»Bringt uns lieber Imprint-Waren! Dann

seid ihr willkommen.«Distanz höchstens noch eine Lichtsekun-

de.»Was ist mit den Imprint-Waren?« Die

Stimme des Terraners wurde schrill undbrach krächzend ab.

Kurz darauf redeten mehrere Stimmendurcheinander. Zu verstehen war gerade soviel, daß die Terraner mit Nachdruck nachneuen Waren verlangten und damit drohten,die Fermyyd andernfalls in eine verwehendeGaswolke zu verwandeln.

»Wird ein detailliertes Ausfiltern des indi-viduellen Wortlautes gewünscht?« erkundig-te sich der Bordrechner der KALLASTO.

Lissner verneinte.Nur Sekundenbruchteile später stand eine

gleißende Strahlbahn im Raum. Der Impuls-schuß aus dem Polgeschütz der SUPREMEverfehlte die Fermyyd jedoch.

»Die müssen verrückt sein«, keuchte je-mand im Hintergrund der Zentrale.

Verrückt? Die Terraner waren süchtignach Imprint-Waren. Ihnen erging es keinenDeut anders als allen anderen, die nach Hir-dobaan gekommen waren. Dieser schreckli-chen inneren Leere hielt niemand auf Dauerstand.

Ein zweiter Strahlschuß, besser gezielt alsder erste, aber immer noch weit am Ziel vor-bei.

Lissner verkrampfte den Rüssel. Wildpochte das Blut durch seinen Schädel. Er

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wollte den Befehl geben, das Holo zu lö-schen, wollte nicht sehen, was geschah, abernur ein unverständliches Krächzen drangüber seine Stimmbänder.

Warum versuchst du nicht, den Terra-nern beizustehen?

Warum? Er lachte heiser und ohne sichdessen bewußt zu werden. Die Aufzeich-nung war mindestens fünfzehn Minuten alt.Vermutlich existierte die SUPREME inzwi-schen nicht mehr. Er hatte noch nicht vielüber die Fermyyd, die Ordnungstruppe derHamamesch, gehört, doch das wenige, daser aus aufgefangenen Funksprüchen bezog,gab ihm Anlaß, den Regenbogenschiffenauszuweichen.

Er vergaß, daß er ohne den Notruf derSUPREME längst die beiden Fermyyd-Schif-fe am Hals gehabt hätte.

Und wennschon. Die Terraner hatteneben Pech gehabt. Kein Grund, deshalb denRüssel hängenzulassen. Im Gegenteil. EinKonkurrent weniger bei der Jagd nach Im-print-Ware.

Die Fermyyd-Schiffe flogen eine Zangen-bewegung, der Kugelraumer suchte seinHeil in der Flucht. Allerdings war die Be-schleunigung miserabel, und der Kurs glicheher einem Schlingern als einer geradlinigenAbsetzbewegung. Paratronschirme besaß eranscheinend nicht.

Die Distanz verringerte sich weiterhin.Die Fermyyd eröffneten ein massives

Feuer bei nur 10.000 Kilometern. Schon ihreerste Salve ließ den HÜ-Schirm der SUPRE-ME aufflackern. Dann begann der Punktbe-schuß. Strukturrisse entstanden, und Sekun-den später brachen die Energien ungehindertzur Schiffszelle durch.

Eine neue Sonne entstand in der Schwärzedes Alls. Für kurze Zeit flammte sie hellerauf als jeder Stern, bevor sie für immer er-losch.

3.

Lissner hatte das unangenehme Empfin-den, wegen allzu intensiver Schleimabson-

derung kaum noch atmen zu können. Er warüberaus aufgeregt und fühlte Panik ange-sichts des Schicksals der Terraner. Aber ge-rade deshalb durfte er sich keine Schwächeanmerken lassen.

Lauernde Blicke taxierten ihn.Warum redete keiner? Das Schweigen

war unheimlich. Lissner spürte, wie seineNackenborsten sich aufrichteten. Die Män-ner und Frauen in der Zentrale wirkten indem Moment wie Marionetten, die an un-sichtbaren Fäden geführt wurden.

Ausgerechnet jetzt wurde ihm schwarzvor Augen, er mußte sich abstützen. Der An-fall war heftiger als jemals zuvor. Bald wür-den die stärksten Medikamente nicht mehrwirken; es gab ohnehin nur noch ein Mittel,das helfen konnte: neue Imprint-Waren.

»Wir schaffen es!« keuchte er und stießsich ab. Der Boden schien sich unter ihmaufzuwölben, er hatte Mühe, sicher auszu-schreiten.

Dieses grauenvolle Gefühl … Er taumeltewie nach einem halben Dutzend zuviel ge-nossener Grats-Drinks. Hart zupackendeHände griffen nach ihm, wollten ihn festhal-ten – er schlug sie zur Seite, polterte weiter.

Endlich erreichte er das Schott. Dröhnen-des Stimmengewirr brandete jäh auf, dochschon im nächsten Moment schlossen sichbeide Torhälften hinter ihm.

Lissner begann zu rennen. Die Panik saßihm im Nacken. Er torkelte in den nächstenAntigravschacht, den er zwei Decks höherwieder verließ. Alles drehte sich um ihn.

Die Kabine; sein Handabdruck, um dasSchott zu öffnen; er verlor allmählich dieKontrolle über sich selbst. Wie durch wo-gende Schleier hindurch nahm er wahr, daßer die letzte Packung Psychopharmaka ausdem Geheimfach nahm. Die Verpackungsplitterte unter seinen Fingern, er ließ dasunnütze Plastik einfach fallen.

Nur noch zwei Kapseln. Was danach ge-schehen sollte, wußte er nicht.

Ruckartig schluckte er das Mittel undspülte mit einem Schluck Wasser nach. Er-schöpft, am Ende seiner Beherrschung ange-

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langt, sank er auf die Liege. Ihm war soelend zumute wie nie zuvor in seinem Le-ben.

*

Irgendwann schreckte der Unither aus tie-fem Schlaf auf. Eben noch an den Geysirenseiner Heimatwelt auf Grats-Jagd, hatte erMühe, sich zurechtzufinden und den Traumzu vergessen. Die Wirklichkeit des Jahres1220 NGZ drückte ihn in die Polster zurück.

Er bekam wieder leichter Luft, doch einbrennendes Gefühl im vorderen Rüsselbe-reich erschreckte ihn, und als er feststellte,daß seine Finger mit getrocknetem Schleimüberzogen waren, hätte er sich beinahe über-geben.

Dieser Verstoß gegen alle hygienischenRegeln war widerlich. Selbst in größter Notbenutzte ein Unither nie die Finger zur Rei-nigung des Rüssels, schlimmstenfalls einenmit Blättern umwickelten Stock. Aber auchdieser primitiven Früh-Methode der Reini-gung haftete längst ein anrüchiger Beige-schmack an.

Zumindest war das gräßliche Wühlen ausseinen Eingeweiden gewichen. Abgesehenvon einem Gefühl allgemeiner Niederge-schlagenheit und dem heftigen Ziehen unterder Schädeldecke – Nebenwirkungen, an dieer sich längst gewöhnt hatte –, half das Me-dikament.

Nur zweieinhalb Stunden hatte er geschla-fen. Kein langer Zeitraum, und vermutlichwar während der Zeit nichts vorgefallen …

Die Fermyyd! entsann er sich. Laut trom-petend kam Lissner auf die Beine, reagierteaber schon im nächsten Moment ruhiger.Falls die Regenbogenschiffe angegriffenhätten, wäre er vom Computer geweckt wor-den. Also waren die Fermyyd nach der Ver-nichtung des Kugelraumers nicht zurückge-kehrt.

Siedendheiß durchfuhr es ihn, als er sei-nen Hamamesch-Schmuck vermißte. Dochdann entsann Lissner sich, daß er das taubeWarenstück verschenkt hatte. Er mußte ver-

rückt gewesen sein, so etwas zu tun.»Egal«, murmelte er im Selbstgespräch,

»in einigen Tagen haben wir neue Ware.«Das Psychopharmakon stimmte ihn zuver-sichtlich.

Nicht daran denken, daß die Wirkungbald wieder nachlassen wird!

Lissner stand lange unter der Ultraschall-dusche und reinigte die schleimverkrustetenHände. Doch richtig wohl – soweit dies denUmständen nach überhaupt möglich war –fühlte er sich erst nach einer gründlichenSpülung und Massage des Rüssels.

Völlig unerwartet beschleunigte die KAL-LASTO. Der Kommandant registrierte dasdumpfe, kaum wahrnehmbare Rumoren derEnergieerzeuger und spürte die schwachenVibrationen des Schiffsrumpfes, die trotzder Absorber nie gänzlich in den Griff zubekommen waren. Aufgebracht aktivierte erden Kommunikator: »Wer hat den Startbe-fehl gegeben?«

Keine Antwort.»Computer, alle Flugmanöver umgehend

beenden!«Die Erwiderung des Bordrechners kam

prompt: »Deine Befehlssequenz wurde auf-gehoben.«

»Wer …?« Lissner ahnte es. Schnaubend,den Oberkörper gesenkt, stürmte er in dieZentrale. Kaum einer der Anwesenden be-achtete ihn.

Kurlog, sein Stellvertreter, stand vor derSternenkarte des Grencheck-Oktanten undmarkierte Positionen. Erst als Lissner ihnschon fast erreicht hatte, wandte er sich um.Die Waffe in seiner Linken redete eine un-mißverständliche Sprache.

»Du bist abgesetzt«, stieß er gepreßt her-vor. »Alle haben es beschlossen. Weil wiruns nicht länger verstecken, sondern endlichErfolge sehen wollen.«

»Und du«, sagte Lissner leise und wun-derte sich gleichzeitig darüber, daß er so ge-lassen blieb, »du bringst uns diese Erfolge?Wo sind die Waren der Hamamesch, wo?«

»Ich habe die Fernortungen abgefragt undeinige wichtige Systeme der Händler ausge-

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macht«, erwiderte Kurlog.»Lächerlich.« Lissner winkte schroff ab.

»Denk lieber darüber nach, wie viele galak-tische Schiffe seit Wochen in Hirdobaan un-terwegs sind. Die meisten haben wohl be-deutende Welten der Hamamesch angeflo-gen – und nichts gefunden. Sonst wüßtenwir es.«

»Ich …«, begann Kurlog, wurde aber so-fort unterbrochen.

»Ich habe noch nicht darüber nachge-dacht, wolltest du sagen?« fragte Lissner zy-nisch. »Viele Hamamesch wissen angeblichnichts von Imprint-Waren. Ist dir das entfal-len? Wenn wir Erfolg haben wollen, dannkeinesfalls da, wo alle wühlen.«

Er blickte in die Runde. Einige Gesichterwirkten nachdenklich. Soviel begriffen dieMänner und Frauen also noch.

Trotzdem sind sie unfähig, sich zu ent-scheiden, schoß es Lissner durch den Kopf.Und ihre Stimmung wird bald noch rascherschwanken.

Er wollte lieber nicht daran denken, wasdann geschehen würde. Achtundvierzig mo-derne Raumschiffe, vollgestopft mit Süchti-gen und High-Tech, zum Stillstand verur-teilt, weil die Besatzungen nicht mehr in derLage sein würden, die Schiffe zu fliegen.

Und insgesamt Tausende von galakti-schen Raumschiffen in Hirdobaan – eineGeisterflotte. War das die Absicht der Ha-mamesch gewesen? Der Unither erschauder-te bei dem Gedanken.

»Funkempfang!« brüllte Fanggan. »DieHändler melden sich!« Unaufgefordertschaltete er auf Rundruf. Jeder an Bord derKALLASTO sollte hören, was die Herrendes Grencheck-Oktanten zu sagen hatten.

Für die Dauer der Übertragung war es to-tenstill. Anschließend brach unbeschreibli-cher Jubel aus. Die Unither fielen sich in dieArme, sie weinten, lachten oder schrien; ei-nige standen nur da, scheinbar zu Stein er-starrt, und in ihren Gesichtern zuckte keinMuskel.

Die Hamamesch hatten verkündet, daßImprint-Waren möglicherweise auf der Con-

tainerwelt Torresch empfangen werdenkonnten. Die Koordinaten des Planeten hat-ten sie mitgeliefert. Torresch war nur 112Lichtjähre vom Zentrum Hirdobaans ent-fernt. Keinesfalls konnten die Galaktiker nä-her als bis auf 66,5 Lichtjahre an den Zen-trumskern heranfliegen, denn diese Regionwurde durch eine Art Sperre abgeriegelt.

Mornhag krümmte den Rüssel zum tradi-tionellen Freundschaftshaken. Sein Ge-sichtsausdruck war ein einziges großes Fra-gezeichen. »Ich bin ein Idiot!« stieß er abge-hackt hervor. »Wieso wußtest du, was ge-schehen würde? Ich begreife das nicht.«

Der Kommandant der KALLASTO lä-chelte nur. Auch als er seinem Stellvertreterdie Waffe abnahm. Kurlog stand sichtlichunter Schock. Aus weit aufgerissenen Augenstarrte er ins Leere.

Manchmal, dachte der Kommandant derKALLASTO, ist das Schicksal wirklich un-berechenbar …

*

Herugs Rüssel klatschte auf die Konsoleund löste Vibrationsalarm aus.»Gefechtsbereitschaft!« dröhnte der Kapitänder TAMASIO. »Alle auf Station!«

Endlich schienen neue, noch unver-brauchte Imprint-Waren in Reichweite zusein.

Vergessen waren plötzlich die zwei Jahreder Ungewißheit und des Hoffens, vergessenalle körperlichen und psychischen Qualen.Zum erstenmal seit langem entsann sich He-rug, daß er Frau und Kinder hatte; der Ge-danke flammte auf wie ein Blitz in finstererNacht, erlosch aber ebenso schnell. Füreinen Augenblick glaubte er sogar MelanigsBerührung zu spüren, ihre glatte Haut unddie sanfte Umschlingung ihres Rüssels …

Unbedeutend! Nur ein Zwischenspiel aufdem Weg zum wahren Glück.

Er war einfach gegangen. Ohne Abschied.Das überraschende Angebot, ein Schiff nachHirdobaan zu befehligen, hatte er nicht aus-schlagen können.

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Zwei Jahre liegt das alles inzwischen zu-rück. Eigentlich unvorstellbar.

Was Melanig und er sich gemeinsam auf-gebaut hatten, existierte nicht mehr. Ohneihr Wissen hatte er das Haus veräußert unddas gesamte Barvermögen verschleudert,weil er ohne Tauschwaren für die Hamame-sch – sündhaft teure High-Tech – niemalshätte die Milchstraße verlassen können. In-nerhalb weniger Stunden waren sämtlicheTransaktionen abgewickelt worden, zu ei-nem Preis, der ihm unter anderen Umstän-den das Wasser in die Augen getrieben hät-te. Aber Geld war für ihn nur noch Mittelzum Zweck gewesen.

Herug schaltete auf Interkom. Seine Stim-me würde bis in den hintersten Winkel desSchiffes zu hören sein.

»Die Zeit des Wartens ist vorbei«, gab erbekannt. »Die Hamamesch haben die Koor-dinaten einer Welt preisgegeben, auf der wirendlich Waren erhalten werden. Wir verlas-sen umgehend die Warteposition.«

Neue Waren mit frischem, unverbrauch-tem Imprint. Falls sein Tauschkapital aus-reichte, würde er vielleicht ein kleines An-denken für Melanig erwerben. Sie sollteebenfalls erfahren, was wirkliches Glück be-deutete. Wie sehr hatte sie geschimpft undversucht, ihn vom Besuch des Basars abzu-halten …

Die Energieversorgung wurde hochgefah-ren, das Schiff erwachte zu jähem Leben.Entstehende Hologramme zeigten die zer-klüftete Umgebung des Asteroiden und diebeiden nahe der TAMASIO gelandeten Ein-heiten. Allerdings wies noch keiner der an-deren Raumer steigende Emissionen auf.

»Wir werden als erste am Ziel sein«, ver-kündete Herug, nicht ohne Stolz in der Stim-me.

Mit hoher Schubleistung hob die TAMA-SIO ab.

»Maximale Beschleunigung! Wir gehenin den Überlichtflug, bevor uns die anderenfolgen können.«

Funkkontakt. Das Konterfei des Flotten-kommandanten erschien auf einem der Mo-

nitoren. Lissner glühte vor Zorn.»Sofort stoppen, TAMASIO!« brüllte er.

»Ich habe keinen Startbefehl gegeben.«»Wir sind hier, um Imprint-Waren einzut-

auschen«, erwiderte Herug, »und genau daswerden wir tun.« Er keuchte vor Erregung.

»Die Akonen …« Mehr hörte die Zentral-ebesatzung der TAMASIO nicht mehr, weilder Kapitän die Hyperkomverbindung unter-brach.

»Wir holen uns, was uns zusteht!« UmBeifall heischend, blickte Herug in die Run-de, und zum erstenmal seit Monaten sah erwieder zufriedene Gesichter.

»Die KALLASTO beschleunigt eben-falls«, kam es von den Ortungen. »Geht aufAbfangkurs.«

»Neuer Kontaktversuch über Richtstrahl.«»Ignorieren!« Herug ballte die Hände zu

Fäusten. Bisher war ihm der Schutz durchdie kleine Flotte angenehm gewesen, dennein Flug durch die intergalaktische Unend-lichkeit war alles andere als Routine. Schonein lumpiger Schaden am Hypertrop konnteeinem einzelnen Schiff zum Verhängniswerden, ganz zu schweigen von den vielfäl-tigen Gefahren in der Nähe unbekannter Ga-laxien. Aber jetzt, so nahe am Ziel, wurdedie aufgezwungene Gemeinschaft eher lä-stig. Jeder war ein lästiger Konkurrent imWettlauf um die besten und wertvollsten Im-print-Waren.

Die KALLASTO war das schnellereSchiff. Die Ortung zeigte, daß beide Kursesich kreuzen würden, bevor die TAMASIOin den Überlichtflug gehen konnte.

Nicht auf die einzig wirkliche Chanceverzichten! Den Weg freikämpfen!

»Impulsgeschütze und DesintegratorenZielerfassung! Punktbeschuß!«

Noch flogen beide Schiffe ohne Schutz.Lediglich in Flugrichtung standen Minimal-felder, die auftreffende interstellare Materieabwehrten. Bei höheren Geschwindigkeitenführte selbst eine geringe Partikeldichte zuSchäden an der Außenhülle.

Jäh feuerte die TAMASIO aus allen Pro-jektoren. Für einen Augenblick glaubte He-

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rug, das Flaggschiff als expandierendenGlutball zu sehen, doch brach die KALLA-STO unbeschadet aus den lodernden Energi-en hervor. Ihre Schirmfelder waren rechtzei-tig aktiviert worden.

Herug spürte, wie es ihm kalt den Rüsselentlanglief. Plötzlich ahnte er, daß der Flot-tenkommandant mit aller Härte reagierenwürde.

»Metagravfiug!« befahl er. »Jetzt!«Das Schiff schien sich aufzubäumen. Hef-

tigen Vibrationen folgte ohrenbetäubenderLärm aus den Maschinenräumen, der sämtli-che Isolierungen durchschlug. Es war, alsstecke die TAMASIO plötzlich in einemzähflüssigen Medium fest.

Ein furchtbarer Entzerrungsschmerz be-gleitete das Verharren in halbstofflichemZustand. Unstete Schatten und blendendeLichtreflexe erfüllten das Schiff; wie ausweiter Ferne erklang eine Durchsage desComputers, dumpf und unverständlich.

Herug schwamm in einem Meer aus flüs-siger Luft. Erstickend füllte sie seine Lun-gen; Feuer, das ihn von innen heraus zu ver-brennen drohte.

Fehlfunktion! dröhnte eine Stimme.Die Auflösungserscheinungen wurden in-

tensiver. Stahlwände mutierten zu Nebel-schwaden und spien wirbelnde Molekülket-ten aus. Atome verflüchtigten sich.

Die eigene Existenz – nicht mehr als einverwehender sentimentaler Gedanke.

Ich … Herug empfand Verständnislosig-keit.

Sehnsucht … Alles Leid war nur ein Lid-schlag des Universums.

Aber dann – ein lautloser, qualvoller Auf-schrei: Gebt uns neue Imprint-Waren!

Und wieder sengende Hitze. Wände, rot-glühend. Betäubender Lärm, Schreie, die inheftigen Explosionen verstummten.

»Das Schiff evakuieren!« plärrte eine me-chanische Stimme. »Das Schiff e-va-ku-iiieeeeren …«

Du willst dem Chaos entfliehen, doch diewieder einsetzende Schwerkraft hält dichzurück. Vergeblich kämpfst du dagegen an,

während die Panik dein Herz lahmt.Fehlsprung! dröhnt es in dir Unaufhör-

lich.Vorbei der Traum von berauschendem

Zauber. Deine Finger verkrampfen sich umein wertloses Stück Materie, zerbrechen dasskurrile Gebilde, für das du einmal sogardein Leben gegeben hättest.

Imprint-Ware, hast du gesagt und dabeiein unbeschreibliches Glücksgefühl ver-spürt. Welcher Hohn!

Dein Leben ist nichts mehr wert, ist end-gültig verpfuscht. Du spürst den Keil, dertief in deine Seele hineingetrieben wurde.Niemals bekommst du die Vergangenheitzurück.

Die Hitze wird unerträglich, deine Hautverbrennt. Du willst schreien, doch im Va-kuum hört dich keiner mehr.

Ein letzter verwehender Gedanke. Ver-zweifelt erkennst du die Wahrheit, klam-merst dich daran wie ein Ertrinkender aneinen morschen Ast.

Melanig, verzeih mir! Ich allein habe un-ser Leben verpfuscht. Ich …

*

Für Sekundenbruchteile verschwand dieTAMASIO aus den Holos – und materiali-sierte als glühender Schemen eine halbeLichtsekunde entfernt. Nichts und niemandhätte dem Schiff und seiner Mannschaft hel-fen können, als es in einer irrlichternden Ex-plosion verging.

»Rundspruch an alle Einheiten!« rief Lis-sner. »Laßt euch das Schicksal der TAMA-SIO eine Warnung sein. Wir haben beinahezu lange warten müssen, aber ich versprecheeuch in Kürze das Ziel aller Wünsche.«

Die ersten Reaktionen trafen ein. Im Te-nor bestätigten sie sein Vorhaben, trotzdemwurden auch kritische Stimmen laut. ZweiKapitäne kreideten ihm die Vernichtung derTAMASIO an und äußerten unverhohlen ih-re Befürchtungen.

»Na los doch«, schnaubte der Komman-dant. »Fliegt den Akonen vor die Geschütze.

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Die Admiralin fegt euch schneller aus demWeltraum, als ihr begreifen werdet.«

»Aber …«»Ich erwarte bedingungslosen Gehorsam.

Nicht mehr und nicht weniger!«Die folgenden Stunden waren angefüllt

mit harter Arbeit. Ortungen und Hyperfunkarbeiteten auf Hochtouren; Meßergebnissewurden mit vorliegenden Daten verglichen,ausgewertet und flossen in die Planung ein.Natürlich hätte eine Crew, die nicht unterfortgeschrittenen Qualen litt, alles in einemBruchteil der Zeit erledigt, doch Lissner warinzwischen für jede brauchbare Analysedankbar. Ohne Syntroniken hätte es schwer-wiegende Probleme gegeben.

Für zwei Techniker war die Anstrengungdennoch zuviel. Ihr körperlicher und psychi-scher Zusammenbruch kam zwar nicht ausheiterem Himmel, war aber auf diese Weisenicht vorherzusehen gewesen.

Als einer von wenigen an Bord hatte Krz-tom bisher keine Medikamente benötigt.Keiner wußte einen genauen Grund dafür.

Krztom arbeitete im Team. Eine zynischeBemerkung ließ ihn abrupt innehalten, seinRüssel peitschte zur Seite, dann lief erAmok. Es grenzte an ein Wunder, daß ersich zum Zeitpunkt seines Zusammenbruchsnicht in der Zentrale aufhielt. Deshalb blie-ben die Schäden überschaubar und betrafenkeine lebenswichtigen Einrichtungen. Aller-dings tötete er fünf Besatzungsmitglieder,ehe er die Waffe gegen sich selbst richteteund seinen halben Oberkörper atomisierte.

Der zweite Techniker rastete ebenso un-vermittelt aus. Niemand konnte später nach-vollziehen, wie es ihm gelungen war, denKode der Selbstvernichtungssequenz einesder größeren Beiboote zu knacken. Lissnervermutete hinterher, daß Zargyss von derKALLASTO hatte fliehen wollen, vor Ner-vosität aber einen Kreislaufzusammenbrucherlitt und letztlich an Herzversagen gestor-ben war. Jedenfalls fand man ihn neben derHauptkonsole liegend, den Rüssel noch umdie Aktivierungsschaltung verkrampft. DieVernichtung des Beibootes hätte unweiger-

lich auch die KALLASTO in den Unterganggerissen.

Endlich lagen die brauchbaren Ergebnissevor, die Lissner sich erhofft hatte. Die Mit-teilung der Hamamesch war keineswegs of-fen verbreitet worden, sondern beschränktesich zweifellos auf das Gebiet des Gren-check-Oktanten. Die Speicherdaten sowiedie vorliegenden Reaktionen legten denSchluß nahe, daß die Nachricht von minde-stens fünf Hyperfunkstationen gleichzeitigausgestrahlt worden war. Jeweils über Richt-funk, jedoch mit unterschiedlicher Streubrei-te und exakt bemessener Leistung. Schon imGrenzgebiet zu benachbarten Oktanten warkein vernünftiger Empfang mehr möglichgewesen. Ein vom Bordrechner erstelltesHolo verdeutlichte Überlappungszonen so-wie mehrere keilförmig verlaufende Regio-nen, in denen die Botschaft nicht gehörtworden war.

Die Hamamesch waren gerissene Händlerund Geschäftemacher, die durch künstlicheVerknappung der begehrten Ware den Preisdafür in schwindelerregende Höhe trieben.Im Gegensatz zu den Millionen von Imprint-Outlaws, deren Zustand mit jedem Tag kriti-scher wurde, hatten die Fischabkömmlingesehr viel Zeit.

Aber Lissner hatte die Burschen durch-schaut und von vornherein auf die Taktikzermürbender Nadelstiche gesetzt. AuchStomal Zystaan war auf diese Weise vorge-gangen. Erstaunlich, daß die Akonin in ihrerBrutalität noch einen Sinn für Feinheiten be-saß.

Der Plan war jedenfalls aufgegangen, dieHamamesch waren ihres eigenen Spiels mü-de geworden.

Lissner ließ den vermuteten Standort der440 Akonenschiffe in das Hologramm ein-blenden, dazu das Versteck der eigenen klei-nen Flotte. Er stellte fest, daß die Hamame-sch zwar den Überblick verloren, dennochaber mit ihrer Botschaft alle erreicht hatten.

Die Fortschreibung der aktuellen Datenließ vermuten, daß Stomal Zystaans Schiffebereits Kurs auf das Zentrumsgebiet einge-

Die Outlaws von Unith 19

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schlagen hatten. Und einzelne galaktischeSchiffe wohl ebenfalls.

»Wir müssen uns beeilen«, bemerkteMornhag. »Oder wir geraten ins Hintertref-fen.«

Lissner blickte den Computerspezialistendurchdringend an. »Du willst Imprint-Wa-ren?«

Mornhag verstand die Frage nicht.»Welche Flotte ist schlagkräftiger?« fuhr

der Kommandant nach einer Weile fort.»Wir oder 440 werftneue Akonenschiffe?«

»Die Akonen«, murmelte Mornhag nahe-zu unverständlich.

»Lauter!« forderte Lissner ihn auf.»Die Akonen!«»Ich verstehe noch immer nicht.«Diesmal brüllte der Weißhäutige die Wor-

te. Triumphierend blickte Lissner in dieRunde.

»Ihr alle habt es gehört. Wenn wir Warenwollen, sind wir gezwungen zu warten, bisStomal Zystaan ihre Gier befriedigt hat.Vielleicht bekommen wir dann einen günsti-geren Preis, vielleicht gelingt es uns sogar,das eine oder andere Schiff zu kapern. Nochetwas: Die Fermyyd wissen, wo sie alle Stö-renfriede abfangen können. Wenn die Ako-nen über Torresch auftauchen, werden auchdie Regenbogenschiffe dort erscheinen. Alsolassen wir die Admiralin ruhig die Grats ausdem Feuer holen.«

Das war eine verdammt lange Rede gewe-sen. Lissner fühlte sich schon wiederschwach, vor seinen Augen tanzten bunteSchlieren. Tief sog er die Luft durch denRüssel und ließ sich in den nächstbestenSessel fallen.

Als nach einigen Minuten kein Wider-spruch laut geworden war, wußte er, daß ervorerst gewonnen hatte. Die Unither würdensich vorsichtig an die Containerwelt heranta-sten.

Endlich waren Imprint-Waren in greifba-rer Nähe.

Das Ende der Jagd erschien absehbar.

4.

Die TALLMURR III war eine alters-schwache Springer-Walze; gleichwohl hattesie die gigantische Entfernung zwischen derMilchstraße und Hirdobaan ohne nennens-werte Zwischenfälle überstanden. Es gabneuere, bessere Schiffe, die auf der Streckegeblieben waren, im Hyperraum verschollenoder als Wracks zwischen den Galaxien trei-bend.

Tallmurr selbst befehligte den Frachter,dessen Laderäume bis zum Bersten gefülltwaren. Auch in den Korridoren und Kabi-nen, in den Beiboothangars und sogar imBereich der Maschinenräume stapelte sichHigh-Tech. Der Patriarch hatte vor nunmehrfünf Monaten einem Havaristen »geholfen«und dabei einfach Glück gehabt.

Ohne ihn wären eineinhalbtausend Ferro-nen jämmerlich umgekommen, zwar nichtverdurstet, denn die Wiederaufbereitungsan-lage für Flüssigkeiten war so ziemlich daseinzige gewesen, was an Bord noch funktio-niert hatte, aber qualvoll verhungert odervorher erstickt. Verhungert, weil aggressivePilzsporen alle eingelagerten Lebensmittelin eine amorphe, übelriechende Masse um-gewandelt hatten, und erstickt, weil nach ei-ner Explosion neun Zehntel des Sauerstoff-vorrats ins All entwichen waren.

Mit »Hilfe« des Springer-Patriarchen wa-ren die Ferronen einen schnellen undschmerzlosen Tod gestorben. Ein Mörderwar er deshalb nicht. Zumindest nicht ausseiner Sicht. Immerhin hatte er die bedau-ernswerten Imprint-Opfer vor einem qual-vollen Siechtum bewahrt. Die Schiffbrüchi-gen auf die TALLMURR III zu überneh-men, hätte nur die Verzögerung des unab-wendbaren Schicksals bedeutet. Für einederart große Passagierzahl war der Frachternicht ausgelegt, die Vorräte wären schonweit vor Hirdobaan erschöpft gewesen. Wasnicht nur den Tod der Ferronen, sondernauch der Springer bedeutet hätte.

Posthum hatte Tallmurr sich entschlossen,wenigstens die Tauschwaren der Ferronennach Hirdobaan zu schaffen. Ihr Lebenswerksollte über ihren Tod hinaus Bestand haben,

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obwohl der Walzenraumer danach schier ausallen Nähten platzte.

Um so größer die Enttäuschung in Hirdo-baan. Kein bombastischer Empfang, keineBasare, deren Werbung Kaufwillige überHunderte von Lichtjahren hinweg anlockte.Statt dessen Zurückhaltung, beinahe schonAblehnung. Und verständnislos fragendeGesichter, sobald von Imprint-Waren dieRede war.

Tallmurr wußte, wie man Preise nachoben puschte, hatte oft genug ähnlicheTricks angewandt. Doch was die Hamame-sch sich erlaubten, war schlichtweg unver-schämt.

Er hatte es im guten versucht. Mit Zure-den. Und mit Preiszugeständnissen, die ihmselbst nachträglich noch die Zornesröte insGesicht trieben.

Danach hatte er seinem gerechten Zornfreien Lauf gelassen und einen Hamamesch-Frachter aufgebracht. Leider ebenso vergeb-lich. Das war am 3. August galaktischerStandardzeit gewesen.

Am späten 5. August erfaßten die Ortun-gen des Frachters eine fünfdimensionaleSchockfront und lösten Alarm aus. DieEmission war ungewöhnlich und am Randdes erfaßbaren Spektrums angesiedelt, dieAuswertung ergab 97 Prozent Wahrschein-lichkeit für einen Transmitterschock. Zwei-fellos von fremdartiger Technik erzeugt,aber gerade deshalb von besonderem Inter-esse. Zumal die Entfernung lächerliche 18Lichtjahre betrug.

Exakt an den betreffenden Koordinatenortete die TALLMURR III eine gewaltigeFlotte von Raumschiffen, mindestens 2400Einheiten. Einzelne charakteristische Ener-giemuster wiesen unter anderem auf arkoni-dische Neubauten hin.

Der Patriarch war zwar ein bißchen lang-sam im Denken, doch Vorteile erkannte erimmer noch schneller als seine jüngeren Sip-penmitglieder. Ihm war sofort klar, daß dieArkoniden endlich gefunden hatten, wonachalle Galaktiker in Hirdobaan verzweifeltsuchten: Imprint-Ware.

Die TALLMURR III ging mit wenigmehr als siebzig Prozent Lichtgeschwindig-keit in den Hyperraum. Knapp eine Minutespäter erreichte sie ihr Ziel.

Auf den Schirmen erschien der einzigePlanet einer blauen Riesensonne, eine Was-serwelt. Scheinbar zum Greifen nahe die ge-ortete Flotte. Hamamesch-Frachter? Nein,die Schiffe wirkten schlanker.

Tallmurr zögerte das erforderliche Brems-manöver hinaus. Ein polternder, imposanterAuftritt war stets der halbe Erfolg. Ablenken,verhandeln, einsacken – die Hamameschmochten gute Händler sein, doch seinemVerhandlungsgeschick waren sie nicht ge-wachsen.

Zuerst ignorieren!Die Versuche der Schiffe, mit der TALL-

MURR III Funkkontakt aufzunehmen,schienen drängender zu werden. Zufriedenzwirbelte der Patriarch seinen Bart.

»Wir werden auf einem breiten Frequenz-band angesprochen«, meldete der Funker.»Soll ich auf Empfang gehen?«

»Warte noch!« Tallmurr zupfte seinePhantasieuniform zurecht.

Erst Eindruck schinden, danach verhan-deln. Ein rascher Blick auf einen spiegeln-den Bildschirm. Das markante, wuchtigeGesicht mit den massigen Brauen und demfeuerroten Bart hatte auch während der letz-ten beiden Jahre wenig an Imposanz einge-büßt. Der Patriarch war mit seiner Erschei-nung zufrieden.

»Jetzt stell die Verbindung her!« befahl erdem Funker.

Tallmurr hatte das Fischgesicht eines Ha-mamesch erwartet, statt dessen starrten ihnzwei große grüne Augen an. Die Schlitzpu-pillen verengten sich.

»Verschwindet!« befahl eine harte Stim-me auf hamsch, der Translator arbeitete so-fort.

Der Patriarch reagierte. Erst nach undnach nahm er bewußt Einzelheiten des frem-den Gesichts auf. Ein Maul mit spitzenReißzähnen öffnete sich. Eine Drohgebärde?

Die Kreatur, die einen Tallmurr ein-

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schüchtern kann, muß aber erst noch gebo-ren werden.

Zwei gewaltige Hauer ragten über dieOberlippe empor. Borstige Schnurrbarthaarezitterten heftig. Das Optikfeld erfaßte nureinen Ausschnitt des Gesichts. Tallmurr ver-suchte sich den übrigen Körper vorzustellen.Katzenhaft? Vielleicht.

»Ich verlange den Basarleiter zu spre-chen! Wir haben 118 Millionen Lichtjahreüberwunden und lassen uns nicht von demDiener abweisen. Sag den Fischartigen, daßTallmurr mit ihnen handeln will.«

»Diener?« Ein dumpfes Grollen drang ausdem Raubtiermaul.

»Du bist kein Hamamesch, also gib dieFrequenz frei für einen kompetenten Part-ner.« Tallmurr vollführte eine unwilligeHandbewegung. »Alles andere interessiertmich einen feuchten Dreck. Ich will Imprint-Waren, und …«

Ein energetisches Chaos brach über dasWalzenschiff herein. Der gegnerische Be-schuß kompensierte das äußere Schirmfeldin Sekundenschnelle, erste Strukturrisse ent-standen, das Feuer wurde massiver, unddann schlugen die ersten Strahlschüssedurch und verwandelten ganze Rumpfseg-mente in rotglühenden Stahl.

»Feldprojektoren eins bis sieben ausgefal-len!« Schaurig heulten die Sirenen auf.

»Hangardeck mittschiffs evakuieren!«»Vakuumeinbruch bei den Mannschafts-

quartieren !«Die Meldungen überschlugen sich, über-

lagert von einem tosenden Geräuschorkan.Die Schiffszelle begann wie eine angeschla-gene Glocke zu dröhnen. Dazwischen hefti-ge Explosionen.

Die Absorber versagten. Eine unheimli-che Last zwang Tallmurr zu Boden undpreßte ihm die Luft aus den Lungen. Erschmeckte Blut, spürte, daß ihm in Nase undOhren Adern platzten. Ohnmächtiger Zornstieg in ihm auf.

Tallmurr stemmte sich auf den Knienhoch. Er wollte den Gegenschlag befehlen,sein Schiff in eine feuerspeiende Festung

verwandeln, doch das Wort blieb ihm imHalse stecken.

Durch blutige Schleier hindurch starrte erdie Kreatur an, die sich in einem Holo in Le-bensgröße manifestierte. Sie wirkte raubtier-haft, und außer den vier muskulösen Beinenverfügte sie über ein zusätzliches Armpaar,etwa einen Meter lang, das zwischen denVorderläufen aus der Brust wuchs. Mit 2,50Meter Länge und 1,30 Meter Schulterhöhewar der – oder die? – Fremde ein ernstzu-nehmender Gegner, der beachtliche Stärkeund Geschmeidigkeit in die Waagschalewerfen konnte. Das einzige, was an diesemWesen im Moment zivilisiert wirkte, war dieolivgrüne, bis zum Hals geschlossene Uni-form aus einem lederartigen Material, die le-diglich die beiden Handlungsarme und denheftig peitschenden Schwanz frei ließ.

Tallmurr mochte Katzen nicht. Ein Neffemütterlicherseits hatte jahrelang einenschwunghaften Handel mit genmanipulier-ten terranischen Edelkatzen betrieben, aberdiese Viecher hatten sich als falsch und un-belehrbar erwiesen.

»Du sprichst mit Tallmurr dem Dritten«,blähte er sich auf. »Meine Schiffe sind invielen Galaxien bekannt, und noch nie hat esjemand gewagt, uns anzugreifen. Ich verlan-ge freies Geleit!«

»Eine lächerliche Forderung. Inakzepta-bel.«

»Die Hamamesch warten doch nur auf un-sere Tauschwaren.« Der Springer-Patriarchbrüllte aus Leibeskräften. »Ihr sollt ver-dammt sein, wenn ihr die Geschäfte behin-dert!«

Erst jetzt registrierte er die beiden finger-langen, fühlerähnlichen Organe, die wieHörner über den Augen der Raubkatze auf-ragten. Welche Funktion sie erfüllten, warnicht erkenntlich.

»Tausende von Raumschiffen werdennoch kommen.«

»Niemand hat euch gerufen.«Die TALLMURR III torkelte dem Plane-

ten entgegen. Und dem Umfassungsring vonrund 2000 Schiffen.

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Auf allen Frequenzen jagte dem Walzen-schiff ein Funkspruch voraus: »PatriarchTallmurr grüßt die Hamamesch dieses Ok-tanten. Verhandelt nicht mit den Arkoniden.Wir Springer sind kompetente Partner, diebeste und neueste High-Tech anbieten.Überzeugt euch mit eigenen Augen von dereinzigartigen Qualität …«

Ungefähr zwanzig Schiffe feuertengleichzeitig.

Die Springer-Walze wurde zum rotieren-den Feuerball, der in einem gigantischenFunkenregen verglühte.

*

Stomal Zystaan glaubte nicht an Wunder,viel eher schon an die eigene Stärke undZielstrebigkeit. Das waren die Eckpfeiler ih-res Erfolges. Vor zwei Jahren hatte sie miteinem Überraschungscoup 450 fabrikneue,hochautomatisierte Kampfschiffe aus einerArkonidenwerft entführt – und mit dieserStreitmacht im Rücken war es ihr gelungen,die ersten Imprint-Waren in Hirdobaan zubekommen.

Einen dieser Würfel, einen von schät-zungsweise 225.000, die offensichtlich keineandere Funktion hatten, als den Imprint zutragen, hielt sie fest umklammert in der Lin-ken. Zwei Jahre quälendes Verlangen hattenauch in Stomal Zystaans Psyche tiefe Nar-ben hinterlassen.

Doch seit wenigen Minuten fühlte sie sichwie neugeboren.

Sinnend tastete sie mit den Fingern derrechten Hand über den Würfel, der aus einernicht zu definierenden Metallegierung be-stand. Mit zwölf Zentimetern Kantenlängewar er ziemlich unhandlich und nicht mitden besonderen Waren zu vergleichen, dievon den Hamamesch in der Milchstraße ver-kauft worden waren.

Verkauft? Nicht ein einziges Stück High-Tech hatte sie als Tauschware aufwendenmüssen – allein die Ordnung, die Container-welt Torresch in ein flammendes Inferno zuverwandeln, hatte zum Erfolg geführt. Daß

seitdem beinahe 2000 Fermyyd-Schiffe implanetennahen Raum kreuzten, war von un-tergeordneter Bedeutung.

»Die Fermyyd werden es nicht wagen,uns anzugreifen.«

Unwillkürlich hatte sie ihre Gedankenlaut ausgesprochen. Doch die Kampfroboteran ihrer Seite waren stumme Zeugen. Be-wußt hatte Stomal Zystaan auf Besatzungs-mitglieder als Begleitung verzichtet.

Obwohl die Würfelflächen undurchsichtigwaren, gewann die Admiralin den Eindruck,als glimme im Inneren ihres Würfels eineschwache Lichtquelle. Das galt nicht nur fürdas eine Exemplar, das sie spontan aus derVielzahl herausgegriffen hatte. Abschätzendwog sie nacheinander ein gutes Dutzend derWürfel in der Hand. Je nach Lichteinfallschwankte ihre Färbung von rot bis gelb, mitallen nur denkbaren Nuancen.

Eine weitere Steigerung ihres Wohlbefin-dens verspürte Stomal Zystaan nicht. Alsowar es unerheblich, ob man eines dieser Wa-renstücke oder mehrere besaß.

»Worauf wartet ihr?« herrschte sie dieRoboter an. »Die Container wieder schlie-ßen und abtransportieren! Niemand darf sichden Würfeln ohne meine Ermächtigung nä-hern. Wer es dennoch versucht, ist zu para-lysieren; im Wiederholungsfall setzt ihr töd-liche Waffen ein.«

Auf gewisse Weise fühlte sie sich müde.Bleierne Schwere steckte in ihren Gliedern.Stomal gähnte verhalten, während sie dieArbeit der Roboter mit Argusaugen über-wachte. Das Mißtrauen gegen alles und je-den war tief in ihr verwurzelt. Auf Anhiebhätte sie mindestens fünfzig Namen von Per-sonen aus ihrer unmittelbaren Umgebungaufzählen können, die ihren Tod lieber heuteals morgen wünschten. Von denen war zwarkeiner in der Lage, die Sicherungsschaltungder Kampfroboter zu umgehen, doch dasschloß nicht aus, daß irgend jemand esschaffte, wenigstens eine der Maschinenzum Diebstahl anzustiften.

Der erste der drei gelben Container wurdevon den angeflanschten Antigravmodulen

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aus der Transmitterhalle manövriert. Dieprogrammierten Automatschweber würdendie kostbare Fracht zur AKONIA bringen.

Ein flüchtiges Lächeln umspielte dieMundwinkel der Akonin. Die Waren derHamamesch bedeuteten ein unbeschreibli-ches Machtpotential, und der Exodus einigertausend Raumschiffe aus der Milchstraßewar nur ein schwaches Beispiel dafür. Inentsprechender Stückzahl verteilt, konntenso ganze Völker in den Bannkreis der Ab-hängigkeit geraten.

Wie ein Phönix aus der Asche mußte dasBlaue System zu neuer Bedeutung auferste-hen. Stomal Zystaan spie aus. Weder Arko-niden noch Terraner würden sie daran hin-dern!

Der letzte Container, von Kampfroboternflankiert, verließ den Trichterbau. In ihremGleiter folgte die Admiralin dem Troß miteinigem Abstand. Immer noch hielt sie ihrenWürfel fest umklammert; er löste Gefühle inihr aus, die sie sehr lange entbehrt hatte.Trotz ihrer Müdigkeit fühlte sie sich leichtund unbeschwert. »Frei von allen Zwän-gen«, murmelte sie im Selbstgespräch, ver-stand jedoch selbst nicht, weshalb sie ausge-rechnet diese Worte wählte.

Torresch, die Containerwelt des Gren-check-Oktanten, war eine endlose Wasser-wüste. Es gab kein Land, und selbst diehöchsten unterseeischen Gipfel lagen tieferals 400 Meter unter dem Meeresspiegel. Dadie Durchschnittstemperatur beachtliche 39Grad Celsius betrug, bestand zwischen demOzean und den dichten Wolkenschichten einreger Austausch, ein immerwährenderKreislauf von Verdunstung und Nieder-schlag. Die dünne Sauerstoffatmosphäre warvom Wasserdampf gesättigt und glich ehereinem beständigen Sprühnebel als einem oh-ne Kiemen atembaren Medium.

Dennoch gab es Augenblicke, in denendie Wolkendecke aufbrach und das Licht derblauen Riesensonne die Düsternis vertrieb.Dann schien eine undurchdringliche Wandaus Myriaden funkelnder Edelsteine zu ent-stehen, ein Regenbogen von unbegreiflicher

Schönheit, und das Meer erstrahlte in ko-baltblauem Glanz. Viele hätten angesichtseines derart überwältigenden Schauspielsstaunend innegehalten und für wenige Minu-ten die Allmacht der Schöpfung erahnt, dochStomal Zystaan besaß keinen Sinn für Na-turschönheiten. Als unvermittelt schräg ein-fallende blaue Strahlenfinger die Regenwol-ken und die rasch treibenden Nebelbänkeaufrissen, klangen ihre Befehle, als müssesie eine jähe Bedrohung abwenden.

Schirmfelder flammten auf, die Roboterzogen ihren Kordon um die Container enger,und der ohnehin ungewöhnliche Troß ver-ringerte die Flughöhe.

Zweitausend schwimmende Plattformenexistierten auf Torresch, flach auf dem Was-ser liegende Metallflächen mit jeweils knappzehn Kilometern Durchmesser. Von Anti-gravanlagen gestützt, drifteten sie scheinbarsystemlos über den Planeten.

Auf 440 dieser Plattformen hatte die Ako-nin ihre Schiffe verteilt. Die nächste Einheitwar die BERKIA, im Augenblick geradenoch fünfzig Kilometer entfernt. Von dortnäherten sich drei schwere Lastengleiter.Stomal Zystaan ortete die Maschinen, nach-dem sie die Kampfformation der Roboterwiederaufgehoben hatte. Die ungeheurenervliche Anspannung vor allem der letztenTage und zugleich die Erleichterung, endlichüber eine genügend große Anzahl der er-sehnten Imprint-Waren zu verfügen, moch-ten an ihrer Überreaktion schuld gewesensein. Sie mußte sich erst daran gewöhnen,nach langer Zeit endlich wieder ohne kör-perliche und seelische Beeinträchtigung zuleben.

»Wir unterstützen dich, Stomal Zystaan«,erklang eine männliche Stimme über Nor-malfunk. »Du hast Imprint-Waren erhal-ten?«

Sie zögerte, fühlte sich mehr noch als zu-vor müde und abgespannt, gleichzeitig aberauch von euphorischer Leichtigkeit. Im Wi-derstreit ihrer Empfindungen hätte sie beina-he den lauernden Tonfall überhört.

»Wenn ich Beistand benötige, werde ich

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es rechtzeitig sagen«, erwiderte sie endlich.»Jetzt brauche ich keine Lastengleiter!«

Dunklen Schemen gleich brachen die dreiMaschinen aus dem Dunst hervor. StarkeTraktorstrahlen griffen nach den Hamame-sch-Containern.

»Zieht euch zurück!« befahl Stomal Zy-staan. »Sofort!«

Niemand antwortete ihr. Dabei hätte siees wissen müssen. Die Imprint-Süchtigenwaren nicht mehr zu halten; selbst die stän-dige Drohung der Fesselschaltung, die ihreSchiffe vernichten würde, wenn die Admira-lin nicht in regelmäßigen Abständen einenultrakurzen Kode-Impuls abstrahlte, hatteihren Schrecken verloren. Zumindest dieMänner und Frauen an Bord der Gleiterwürden lieber für alle Zeit auf der Wasser-welt festsitzen, als noch länger auf Imprint-Waren zu verzichten. Und ihr Beispiel muß-te zwangsläufig Schule machen.

»Zerstört die Gleiter!« wies Stomal Zy-staan ihre Kampf roboter an.

Vernichtendes Feuer schlug den drei Ma-schinen entgegen, deren schwache Schutz-schirme den konzentrierten Impulsstrahlennicht standhielten.

Einer der Gleiter wurde im Triebwerksbe-reich getroffen und verging in einer Wellevon drei oder vier unmittelbar aufeinander-folgenden heftigen Detonationen. Selbstwinzigste Bruchstücke verglühten in demgrellen Feuerball.

Geblendet schloß die Admiralin die Au-gen. Dennoch nahm sie den Lichtblitz einerweiteren, beinahe noch heftigeren Explosionwahr. Das Schattenbild brannte sich auf ih-rer Netzhaut ein; als sie die Augen wiederöffnete, glaubte sie den zweiten Gleiter im-mer noch zu sehen, obwohl zu dem Zeit-punkt schon die letzten Trümmer glühendins Meer stürzten.

Die Besatzung der dritten Maschine hattedas Feuer erwidert und zwei Roboter inWracks verwandelt. Für einen bangen Au-genblick schien es sogar, als wolle der Pilotden nächsten Container rammen, doch dannzog er die Maschine steil in die Höhe und

drehte in einem wahnwitzigen Manöver ab.»Laßt die Verräter nicht entkommen!«

brüllte die Admiralin mit sich überschlagen-der Stimme.

Wirres Gelächter antwortete ihr. Jemandkeuchte, hatte offenbar Mühe, sich zu artiku-lieren.

»Verrecken sollst du, Stomal … an dei-nem eigenen Haß! Wir alle sind Todgeweih-te … Auch du!« Der Mann brach hustendab. »Du weißt es nur noch nicht! – Ich …ich habe … es … überstanden. Ich verfluchedich!«

Nahezu senkrecht tauchte der Gleiter indie hoch auf gischtende See ein. Sekunden-bruchteile später schossen Unmengen vonWasser und glühende Metallteile in einerbrodelnden Fontäne empor. Dicht unter derOberfläche dehnte sich eine Feuerwalzenach allen Seiten aus.

Der Zwischenfall änderte nichts an derAbsicht der Admiralin, die Container mitden Würfeln zunächst unter Verschluß zunehmen. Sie brauchte ein Druckmittel, dasauch den letzten der rund 225.000 Akonenund Angehörigen anderer galaktischer Völ-ker überzeugte. Die Imprint-Süchtigen wur-den allmählich unberechenbar, aber nochUngewisser erschien Stomal Zystaan ihreReaktion für den Zeitpunkt, in dem sie end-lich von ihren Leiden befreit wurden. Viel-leicht würden sie gemeinsam meutern.

Sie setzte einen Funkspruch an ihr Flagg-schiff ab, von dort wurde der Wortlaut an al-le Einheiten weitergegeben.

»Nur für den Fall, daß weitere Lebensmü-de an Bord meiner Schiffe glauben, michhintergehen zu können: Ich habe neue Im-print-Ware, aber ich habe die Container mitstarken Thermoladungen bestücken lassen.Sollten die Behälter gegen meinen Willengeöffnet werden, wird von den Waren undihrem weiteren Umfeld nicht sehr viel übrig-bleiben. Im übrigen werde ich die Imprint-Würfel an alle Besatzungen verteilen lassen,sobald ich es für richtig halte. Ich erwartestrikten Gehorsam.«

Zweifellos ging ein vieltausendstimmiger

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Aufschrei durch alle Schiffe. Stomal Zy-staan war das egal. Die Mannschaften hattenihr Schicksal selbst in der Hand.

Längst waren die wenigen Sonnenstrahlenwieder hinter dichten Wolkenbänken ver-schwunden. Ein heftiger Regen peitschteherab, eine Sintflut, als hätte der Himmel al-le Schleusen geöffnet, und aus dem dichtenWasservorhang tauchte endlich das Rundder AKONIA auf.

Stomal Zystaan wußte, daß jetzt Hundertebrennender Augen auf die Bildschirme starr-ten, um wenigstens einen Blick auf die Con-tainer zu erhäschen, in denen die heißbe-gehrte Ware lag.

Ein leerer Lagerraum mittschiffs … DieBehälter, 13 mal 13 Meter messend und nur1,30 Meter hoch, wirkten verloren in demweitläufigen Areal. Erst als sich flirrendeSchirmfelder kuppelförmig über ihnen auf-bauten, gewannen sie ein wenig an Impo-sanz.

Die Kampfroboter erstarrten zu stählernenSkulpturen. Nur die glimmenden Sehzellenverrieten, daß syntronisches Leben in ihnenwar.

5.

5. August, Bordzeit

Nachdem die Unither in mehreren vor-sichtigen Überlichtetappen ihre Position nä-her an das Zentrum Hirdobaans verlegt hat-ten, war auf ihren Schiffen eine trügerischeRuhe eingekehrt. In dieser Region herrschtekaum Schiffsverkehr.

Eine extreme Doppelsonne bot ausrei-chenden Ortungsschutz – ein blaugrünerRiese und ein roter Zwergstern, die beidemit beachtlicher Geschwindigkeit umeinan-der kreisten. Es gab kein Planetensystem,doch der Weltraum war bis hin zu mehrerenLichtstunden Distanz erfüllt von wirbelnden,blaugrünen Materieschleiern. Der Riese warlängst über die Rochesche Grenze hinaus ex-pandiert und verlor unaufhörlich große Men-

gen Materie.Die beiden Sonnen waren auffälliger als

ein eigens entzündetes Leuchtfeuer, aber ge-rade deshalb hatte Lissner sie als Versteckausgewählt. Weder Hamamesch noch Fer-myyd, noch Akonen würden vermuten, daßdie Flotte der Unither ausgerechnet hier Po-sition bezog. Andererseits boten die beinahechaotisch zu nennenden Verhältnisse in Son-nennähe den besten Schutz. Die hochent-wickelte galaktische Technik machte sichbezahlt. Hamamesch-Frachter mit ihren imVergleich veralteten Bordrechnern hättenähnliche Manöver kaum riskieren dürfen.

Nach anfänglichen eigenen Schwierigkei-ten fühlte Lissner sich inzwischen so sicherwie in einer der transparenten Schwebegon-deln, die auf Unith ein Hinabtauchen biszum Grund der kochenden Geysire ermög-lichten und eine der Hauptattraktionen desPlaneten darstellten.

Der synthetische Grats-Drink, der an Bordserviert wurde, schmeckte mit jedem Monatbitterer und war mit dem Original nicht zuvergleichen. Lissner prustete empört, als derzähflüssige Saft heiß durch seinen Rüsselrann und der ungewohnte Geschmack ihmTränen in die Augen trieb. Oder reagierte ermomentan nur empfindlicher?

Zum viertenmal hatte er die Aufzeichnun-gen zweier Überlichttorpedos über denHauptschirm wiedergegeben. Er war eini-germaßen genau informiert, was auf derContainerwelt des Grencheck-Oktanten undim planetennahen Weltraum geschah.

Geschehen war, verbesserte er sich in Ge-danken. Immerhin lagen die letzten Aufnah-men eine Weile zurück.

Er hatte recht behalten. Die Akonen unterder Admiralin Stomal Zystaan waren derHyperfunk-Nachricht gefolgt; sie hattenTorresch nicht nur angeflogen, sondern wa-ren mit allen Schiffen auf der Wasserweltgelandet. Funk und Ortung hatten inzwi-schen genügend Details übermittelt, daß Lis-sner sich ein einigermaßen genaues Bild vonden Verhältnissen auf der Containerwelt ma-chen konnte.

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Im Schutz ihrer Schirmfelder warteten dieKugelraumer auf den riesigen schwimmen-den Plattformen. Und jede der künstlichenInseln trug ein trichterförmiges Bauwerk mit1000 Metern Höhe. Der Kommandant hattekeine Ahnung, welchem Zweck die Gebäudedienten, er hatte nie zuvor so etwas gesehen.Möglicherweise wurden die trichterförmigenAnlagen für einen reibungslosen Warenum-schlag benötigt. Doch weshalb drifteten siescheinbar ziellos über den Ozean?

»Containerwelt«, murmelte Lissner ge-dankenverloren. Stoßweise atmend versuch-te er, den Rüssel von den klebrigen Rück-ständen des synthetischen Getränks zu säu-bern. Gleich darauf wurde er von einem hef-tigen Hustenanfall geschüttelt.

Die Akonen hatten einige Trichteranlagenuntersucht. Offenbar mit unbefriedigendemErgebnis. Andernfalls hätte Stomal Zystaanwohl kaum ihr Ultimatum über Funk ver-breitet: Entweder lieferten die Hamameschdie versprochenen Imprint-Waren sehrschnell, oder die Containerwelt würde in ei-nem flammenden Inferno zu existieren auf-hören.

Wer immer im Hintergrund des Gren-check-Oktanten die Fäden zog, er hatterasch reagiert und zugesagt, mehrere Contai-ner mit Imprint-Waren zu liefern. Genug füralle Akonen, wenn sie nur noch geraumeZeit stillhalten würden.

»Umgerechnet der fünfte August!« er-klang es hinter dem Kommandanten. »Alsoheute. Denkst du gerade darüber nach?«

Lissner schwang mitsamt seinem Sesselherum. »Karlom«, sagte er verblüfft. »Mirist neu, daß du Gedanken lesen kannst.«

Der Biologe winkte ab. In seinem Gesichtspiegelte sich ein Hauch von Zufriedenheit.Ganz anders als in den letzten Tagen, in de-nen er sich im wahrsten Sinne des Worteszum Nervenbündel entwickelt hatte.

Lissner entsann sich, den Bericht einesMedorobots auf dem Schirm gehabt zu ha-ben – eine Nachricht von vielen, in denendie fortschreitende Destabilisierung an Bordihren Niederschlag fand. Ein Mann namens

Andremon, Angehöriger der Schutztruppe,war von Robotern in einem Hangar aufge-spürt worden, nachdem er infolge fortschrei-tender Wahnvorstellungen versucht hatte,sich selbst und einige hundert Unbeteiligtedem Vakuum auszusetzen.

Offenbar im Fieberwahn hatte er KarlomsNamen hervorgestoßen und behauptet, derBiologe hätte den Imprint neu belebt. Lis-sner hatte den Vorfall achselzuckend abge-speichert und waf anschließend zur Tages-ordnung übergegangen. Immer mehr Im-print-Süchtige verwechselten Wahn undRealität. Karloms unerwartete Beherrscht-heit erinnerte ihn aber schlagartig an die No-tiz.

»Du hast mit den alten Imprint-Waren ex-perimentiert?« fragte er.

Der Biologe stupste ihn leicht an.»Leise!« warnte er. »Ich habe nicht genugdavon.«

»Wovon? – Und was …?«Der Zischlaut, den Karlom produzierte,

war unmißverständlich. Erneut stieß er denKommandanten mit dem Rüssel an. Als erdie Greiflappen öffnete, kam ein ovales Et-was zum Vorschein.

»Eines von einer Handvoll Samenkör-nern. Du kannst es essen. Keine Angst, ichhabe nicht vor, dich zu vergiften. Wiesoauch? Wenn du es nicht schaffst, uns mitneuen Imprint-Waren zu versorgen, dannschafft das keiner.«

Kurlog, der nur wenige Schritte entferntan einem Terminal hantiert hatte, wandtesich abrupt um. »Was flüstert ihr von Im-print-Waren?« stieß er hörbar erregt hervor.

»Auf Torresch …«»… werden wir zweifellos fündig.«»Hoffentlich bald.« Kurlog verkrampfte

die Arme vor der Brust. »Ich halte es nichtmehr lange aus. Wir alle …«

»Wir verlangen, daß du den Befehl zumAufbruch gibst!« vollendete Mornhag.

Der Reihe nach schaute Lissner sie an: dieAstrogatorin Tarmile, deren Rüssel seit zweiTagen die blutigen Spuren einer mißglück-ten Selbstverstümmelung trug; Zausoff, der

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inzwischen unaufhörlich zitterte und seineNerven wohl nie wieder unter Kontrollebringen würde; Fanggan …

Als der Kommandant antwortete, klangseine Stimme so schneidend wie schon langenicht mehr: »Ihr verlangt, daß wir in denTod fliegen? Absichtlich? Das ist verrückt.«Er hatte noch so vieles hervorstoßen wollen,Vorwürfe und Hoffnungen, die sich in ihmangestaut hatten, doch ein stechenderSchmerz in den Eingeweiden ließ ihn ver-stummen.

»Fünf Tage«, jammerte Fanggan. »Wirhätten die verrückte Frist nie akzeptierendürfen.«

Vergeblich versuchte Lissner, den Schwä-cheanfall zu überwinden. Der Augenblickder Wahrheit, vor dem er sich instinktiv ge-fürchtet hatte, war gekommen. Und ausge-rechnet jetzt fühlte er sich elender als je zu-vor.

»Keiner ist unter uns, der über genügendErfahrung verfügt«, trompetete Karlom.»Ich vertraue dem Kommandanten. Wirwerden neue Imprint-Waren bekommen,aber nur, wenn wir nicht blind voranstür-men. Gegen 225.000 Akonen haben wir aufsolche Weise keine Chance.«

»Warum fliegen wir nicht mit einem ein-zigen Schiff hin?« warf Kurlog ein. »Odernur mit einem Beiboot? Wenn das Überra-schungsmanöver glückt, schaffen wir esvielleicht, genügend Warenstücke an Bordzu nehmen …«

»… und den Akonen und dem Belage-rungsring der Fermyyd zu entkommen?«Lissner wehrte schwach ab. »Das wäre Irr-sinn.«

»Wir haben uns lange genug hinhaltenlassen«, konterte sein Stellvertreter erregt.

»Ortung!« hallte es durch die Zentrale.»Eine beachtliche Streustrahlung im fünfdi-mensionalen Bereich.«

Ächzend stemmte Lissner sich hoch. Dieseltsame Samenkapsel hielt er immer nochmit dem Rüsselende fest, und ehe er es sichversah, zwang Karlom ihn, das ovale Dingzu schlucken.

»Die Emissionen werden heftiger. Als …als würde das Gefüge des Hyperraums er-schüttert.«

»Auswertung?«»Ich weiß nicht …«»Computer! Ortungsdaten analysieren!«Diesmal erfolgte die Antwort präzise:

»Die Streustrahlung der Doppelsonne ver-hindert eine korrekte Auswertung. Zum Teilüberlappende Felder …«

»Den Ausgangspunkt der Strahlung fest-stellen!«

»Distanz 26 Lichtjahre Richtung galakti-sches Zentrum. Mit einer Wahrscheinlich-keit von 94,735 Prozent ist der Planet Torre-sch Endpunkt einer in der Intensität schwan-kenden Fünf-D-Front.«

»Genauer!« stöhnte Lissner. »Was ge-schieht auf der Containerwelt? Werden dieAkonen angegriffen?«

»Die Meßdaten sind noch sehr lücken-haft.«

Etwas Ungewöhnliches ging auf Torreschvor. Das war eindeutig. Und vermutlich hat-te es mit den Imprint-Waren zu tun.

»Funkkontakt!« rief Fanggan. »Eine Son-de …« Mit einer wütenden Bewegung fegteer mehrere Zusatzgeräte beiseite.»Verstümmelt!« keuchte er. »Der Rafferim-puls läßt sich nicht entzerren.«

»Eine Schockfront!« meldete derBordrechner. »Am Rand des meßbaren Fre-quenzbereichs.«

»Ein Transmitterschock?« Lissner blicktesuchend um sich. »Ist es vielleicht das?«

Seltsamerweise erfaßte er das Geschehenklarer als vor wenigen Minuten. Natürlich:Die Hamamesch hatten frische Imprint-Wa-re per Transmitter nach Torresch abge-strahlt. Ihre Technik war längst nicht so fort-schrittlich wie die der Galaktiker, demzufol-ge konnten Transmittervorgänge durchausmit heftigen Emissionen einhergehen.

Eben noch verkrampft, spürte Lissnerkaum mehr Schmerzen. Oder doch? War nurder ständige Drang gewichen, in sich selbsthineinzuhorchen? Überrascht blickte er denBiologen an.

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Karlom nickte wissend. Und er lächelte.»Was«, Lissner suchte nach den passen-

den Worten, »was hast du mir gegeben?«»Das Samenkorn einer Pflanze«, raunte

der Biologe. »Bei einem Experiment ist sieverdorrt und hat den Samen produziert. Ichweiß nicht, wie ich die Wirkung definierensoll, ob dauerhaft oder nur als eine Art Pla-cebo-Effekt mit vorübergehender Besse-rung.«

»Völlig egal«, sagte Lissner. »Ich muß je-de Chance nutzen, die sich bietet.«

*

Auf knapp der Hälfte aller Unither-Schif-fe war der Transmitterschock angemessenund als solcher gedeutet worden. Niemandfragte, was auf Torresch angekommen war,eher schon, in welcher Stückzahl. Daß essich nur um die begehrten Imprint-Warenhandeln konnte, stand für alle außer Zweifel.

Die Nachricht verbreitete sich an Bord derSchiffe wie ein Lauffeuer. Von MillionenImprint-Waren war plötzlich die Rede, voneiner Einladung der Hamamesch an alle Ga-laktiker in Hirdobaan.

Im ersten Ansturm brach die Kommuni-kation auf der KALLASTO zusammen. Lis-sner ließ danach alle Anfragen über denBordrechner laufen und eine Konferenz-schaltung herstellen. Wegen der besonderenenergetischen Verhältnisse im Bereich derDoppelsonne erwiesen sich einzelne Verbin-dungen jedoch als störanfällig.

Ob es daran lag, daß Lissner sich nicht inletzter Konsequenz durchsetzen konnte, oderob er einfach die Geduld mancher Imprint-Süchtiger überstrapazierte, blieb dahinge-stellt. Jedenfalls hatte er schon vorher ge-ahnt, was ihn erwartete. Die Forderung nacheinem sofortigen Start schlug wie eine er-stickende Woge über ihm zusammen.

Seine Argumente gingen ins Leere. Zulange hatten die Unither gewartet, und nun,da sie neue Imprint-Waren endlich zumGreifen nahe vor sich wähnten, wurde jederweitere Tag zur Ewigkeit.

»Wir werden uns blutige Rüssel holen«,warnte der Kommandant eindringlich.»Schließlich haben wir nicht nur zweitau-send Fermyyd-Schiffe gegen uns, sondernauch die überlegenen Einheiten der Akonen.Stomal Zystaan wird keine Skrupel haben,das Wirkungsfeuer auf uns zu eröffnen.«

»Schneid dir den Rüssel ab!« kam es vonder KOMERSAM – eine der übelsten Belei-digungen, die ein Unither aussprechen konn-te. Dabei waren der Kapitän des Schiffesund Lissner vor wenigen Tagen noch besteFreunde gewesen: Abgesehen von den ver-wandtschaftlichen Blutsbanden, die sich oh-nehin nicht ignorieren ließen.

Lissners verzweifelten Versuch, ihn zurVernunft zu bringen, quittierte sein Vettermütterlicherseits mit dem Abbruch desFunkverkehrs. Unmittelbar danach beschleu-nigte die KOMERSAM.

Die GRATS, eines der kleineren Schiffe,brach ebenfalls aus dem Verband aus.

»Laß sie!« stieß Karlom hervor, als derKommandant einen letzten Versuch unter-nehmen wollte, die Flotte zusammenzuhal-ten.

Minuten später folgte ein drittes Schiff.Kurlog, Lissners Stellvertreter, vollführte

eine Geste der Genugtuung. »Genau somußte es kommen«, sagte er in zurechtwei-sendem Tonfall. »Du kannst mit leeren Wor-ten nicht überzeugen. Jeder kapiert doch,was auf Torresch los ist …«

Lissner hörte schon nicht mehr hin, son-dern aktivierte von neuem ein Hyperkom-Sprechfeld.

»Kommandant an alle verbliebenen Ein-heiten. Allein kann es keiner von uns schaf-fen, den Akonen die Imprint-Waren abzuja-gen. Dabei werden alle draufgehen.« DieSprechpause war nötig, um seiner WarnungWirkung zu verleihen. »Wenn wir fliegen,dann gemeinsam. Ich schlage vor, die Rech-ner im Verbund zu schalten, damit ein koor-diniertes Manöver möglich ist. Die Führungübernimmt die KALLASTO. Gebt uns dieBestätigungskodes herein.«

»Endlich hast du begriffen«, seufzte Kur-

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log. »Das wurde auch Zeit.«»Das ist Wahnsinn«, protestierte der Bio-

loge. »Vielleicht hätten wir sogar eine Chan-ce, an den Fermyyd vorbeizukommen, aberniemals können wir gegen die Akonen be-stehen. Wir dürfen den Orbit noch nicht ver-lassen.«

»Hast du einen besseren Vorschlag, Kar-lom?«

»Abwarten, so, wie du es schon vor Ta-gen gewollt hast. Unsere Chance wird kom-men.«

Lissner winkte nur ab. Die ersten Bestäti-gungen von den anderen Schiffen trafen ein,zögernd zunächst, aber nach einigen Minu-ten lagen immerhin schon 24 Meldungenvor.

Niemand störte sich daran, daß der Kom-mandant seine Befehle an den Bordrechnermanuell einspeiste, obwohl das gesprocheneWort schneller und ebenso eindeutig gewe-sen wäre.

Zwei Stunden vergingen mit den Vorbe-reitungen. Die wachsende Ungeduld derUnither hatte inzwischen einen Punkt er-reicht, an dem jede Ablehnung seitens desKommandanten endgültig den Zerfall derFlotte und den Beginn eines gnadenlosenWettlaufs nach Torresch bedeutet hätte. Lis-sner hatte eine derartige Eskalation vorher-gesehen.

Die Zahl der drängenden Anrufe auf derKALLASTO häufte sich wieder. Der Kapi-tän der SNOGGAR sprach zugleich für drei-ßig andere Schiffsbesatzungen, als er demKommandanten mit einer unwirschen Hand-bewegung das Wort abschnitt: »Wir finden,daß du unsere Interessen nicht mehr ver-trittst, deshalb haben wir abgestimmt.«

Lissner verschränkte die Arme und ließden Rüssel baumeln. Mit einer solchen Ent-wicklung hatte er schon länger gerechnet.

»Du bist nicht mehr unser Kommandant!«Lissner zuckte mit keiner Miene. In Kon-

ferenzschaltung stabilisierten sich inzwi-schen etliche andere Gesichter.

»Gut, daß du die Tatsache so gelassenaufnimmst«, sagte der Kapitän.

»Hast du erwartet, ich würde mit allerMacht um meine Position kämpfen? Washabt ihr jetzt vor?«

»Was?« kam es ungläubig zurück. »Wirfliegen Torresch an und holen uns, was unszusteht.«

»Viel Glück.« Mit einem knappen Befehlan den Bordrechner unterbrach der Kom-mandant die Verbindung. Karloms verzwei-felte Geste ignorierte er ebenso wie die an-gespannten Blicke der Zentralebesatzung.

»Du hast hoffentlich nicht die Absicht,unser Schiff von der Jagd auszuschließen«,drängte sein Stellvertreter und tfügte mit un-mißverständlich scharfem Unterton hinzu:»Damit wäre niemand an Bord einverstan-den.«

»Wenn alle fliegen, fliegen wir auch«, be-stätigte Lissner. Er ignorierte den Empfangauf Hyperkom, und erst als die blinkendenEingangskontrollen nicht mehr zu übersehenwaren, nahm er die Gespräche an.

Ein vor Zorn geschwollener Rüssel zuckteihm im Holo entgegen.

»Du hast uns betrogen, Lissner!« brüllteder Unither. »Schamlos betrogen und ausge-nutzt.«

»Halt die Luft an und benutz den Restdeines Gehirns zum Denken.«

»Du hast unsere Schiffe lahmgelegt. Wasbekommst du von der Admiralin dafür?«

»Ich bin kein Verräter. In einigen Tagenwerdet ihr einsehen, daß ich nicht andershandeln konnte. Was nützen uns Imprint-Wa-ren, wenn wir tot sind?«

Der andere hörte ihm gar nicht zu. »Washast du gemacht?« keuchte er. »Die Trieb-werke reagieren nicht …«

»Kurskorrekturen sind möglich, nur nichtdas Verlassen des Parkorbits.«

Der Unither wischte den Einwand mit ei-ner heftigen Bewegung beiseite. »Du hastzwei Minuten Zeit, die Sperre aufzuheben,andernfalls eröffnen wir das Feuer.«

Lissner wackelte mit den massigen Schul-tern. »Tut euch keinen Zwang an. Verwan-delt die KALLASTO in einen Gasball.«

Sein Gesprächspartner stutzte, gleich dar-

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auf hörte man ihn eine Reihe von Befehlenbrüllen. Als er sich dem Kommandantenwieder zuwandte, war sein Gesicht blau ver-färbt.

»Du hast wohl an alles gedacht? Die Zie-lerfassung zeichnet, die Geschütze feuern –aber nicht ein Quant Energie verläßt die Pro-jektoren.«

»Ich sagte doch, wir werden warten, bisich eine wirkliche Chance für uns sehe.«

»Du bist wahnsinnig!«»Ich verspreche euch, daß wir uns Im-

print-Waren holen«, sagte Lissner, der dieBeleidigung geflissentlich überhörte. »Aberich will keinen Opfergang.«

Die besondere Bedeutung seiner Wortewurde offenbar, als die neueste von den Re-laissonden beobachtete Entwicklung ausge-wertet wurde. Die KOMERSAM, dieGRATS und die UNITH hatten tatsächlichversucht, den Kordon der Fermyyd um Tor-resch im Direktflug zu durchbrechen. Siewaren im konzentrierten Feuer verglüht.

Von da an begann die Stimmung an Bordder Unither-Schiffe allmählich wieder um-zuschlagen. Nur – für wie lange? Die Reak-tionen der Imprint-Süchtigen wurden immerschwerer berechenbar.

Lissner nahm sich selbst davon in keinerWeise aus. Daß er sich momentan einiger-maßen fit fühlte, mußte nichts bedeuten.Vielleicht bohrte er schon in der nächstenhalben Stunde mit den Fingern im Rüsseloder begann, das Schiff zu demolieren.

Vorerst jedenfalls studierte er die Auf-zeichnungen. Immer und immer wieder. Bissich jedes Detail in seine Gehirnzellen ein-gebrannt hatte und ihn wohl bis an sein Le-bensende verfolgen würde.

Er suchte eine Taktik gegen die Fermyyd.

6.

Seit fünfzehn Stunden lagerten die wert-vollsten Güter, die Mogar Herres sich vor-stellen konnte, zum Greifen nahe in einemHangar der AKONIA. Dennoch waren sie soweit entfernt wie nie zuvor.

Schon der Gedanke an die Imprint-Warenbrachte den Akonen zur Weißglut.

Plötzlich haßte er seine Arbeit, die ohne-hin nur darin bestand, täglich den Bestandan High-Tech-Tauschwaren zu kontrollie-ren, und noch mehr haßte er die Admiralin,die ein ausgesprochen schmutziges Spieltrieb. Der Lohn der an Entbehrungen reichenReise nach Hirdobaan lag buchstäblich voraller Nase, trotzdem war er unerreichbar.

Drei Container, hieß es … Herres hattegenug gehört, um sich Einzelheiten ausma-len zu können. An Bord der AKONIA wur-de inzwischen sehr viel geredet. Meist hintervorgehaltener Hand. Auf den anderen Schif-fen wuchs ebenfalls die Unzufriedenheit.

Vielleicht hätte Mogar Herres den Ge-rüchten nicht einmal Glauben geschenkt,denn Gerüchte schwollen schneller an als ei-ne Lawine, und während des langen Flugeswaren immer wieder neue Unwahrheitenund Behauptungen geboren worden, die sichstets als Seifenblasen erwiesen hatten. Dochirgend jemand hatte ein Holo aufgenommen,das Stomal Zystaan auf dem Hangardeckzeigte, mit einem Würfel in der Hand, dernachweislich nicht von Bord stammte.

Unter dem Deckmantel der Verschwie-genheit hatte Herres die Ergebnisse der Bild-auswertung erhalten, die der »zufällig anwe-sende« Techniker von einem schwebendenSyntron hatte aufnehmen lassen. Ebenso»verschwiegen« hatte er anschließend dieDaten mehrfach weitergegeben.

Seitenlänge des Würfels: Exakt zwölfZentimeter.

Materialbeschaffenheit: Unbekannte Me-tallegierung.

Konsistenz: Fest bis transparent. Farb-schlieren ließen eine exakte Bestimmungnicht zu.

Herkunft: Nicht an Bord hergestellt, son-dern mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit das Produkt einer unbekann-ten Technik. Vermutlich Hirdobaan-Ware.

Herres ballte die Hände. Er verfluchte denAugenblick geistiger Umnachtung, in demer bei Stomal Zystaan angeheuert hatte.

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Wahrscheinlich wäre es angenehmer gewe-sen, auf einem Seelenverkäufer die weiteReise nach Hirdobaan mitzumachen als aufihrem Flaggschiff. Die Admiralin hatte we-nig Menschliches, vielmehr wirkte sie wieeine eiskalt planende Maschine. Und genau-so handelte sie auch.

Herres hatte das Ende des Korridors er-reicht. Lagerraum 17b, der letzte in seinerZuständigkeit. Hier lagerten Kampfanzüge,Tornisteraggregate, Schirmfeldprojektoren –überwiegend Dinge, die zur Ausrüstung deswerftneuen Schiffes gehört hatten, einigesaber auch von Passagieren mitgebracht. DerAkone preßte seine Handfläche auf das Kon-taktschloß.

Müßige Arbeit, schoß es ihm durch denSinn. Beschäftigungstherapie. Selbst wenneiner der Crew auf die wahnwitzige Ideeverfallen wäre, High-Tech zu klauen, wohinhätte er sich wenden sollen? Stomal Zystaan,dein Mißtrauen ist krankhaft.

Das Schott öffnete sich erst nach wenigenSekunden. Aber darauf achtete Mogar Her-res nicht.

Er musterte die Antigravhalterungen …Hunderte von Raumanzügen in Reih undGlied. Wahrscheinlich konnten die Hama-mesch mit ihnen nichts anderes anfangen,als alle Technik auszuschlachten und die üb-rigbleibenden leeren Hüllen zu recyceln.Doch sie hatten schon in den galaktischenBasaren Raumanzüge, SERUNS undKampfmonturen als Tauschwaren angenom-men – weshalb sollte das in Hirdobaan an-ders sein?

Abschätzend ließ Herres seinen Blickschweifen. Linker Hand, in einem Regal ausFormenergie: Antigravgürtel, Gravopaks,miniaturisierte Analysegeräte, Schirmfeld-projektoren siganesischer Bauart …

Keine Waffen. Verdammt … Man sollte…

Sein Blick glitt zurück, streifte noch ein-mal die Reihe der Kampfmonturen. War danicht eben eine flüchtige Bewegung gewe-sen? Ein Schatten?

Stöhnend massierte Herres sich die Schlä-

fen. Das Flimmern in den Augenwinkelnhatte ihn genarrt, das immer dann stärkerwurde, wenn das unstillbare Verlangen nachImprint-Ware seinen Schädel zu zersprengendrohte. Diese Anfälle häuften sich.

Ich verfluche dich, Stomal Zystaan. Duhast genug Imprint-Ware, um alle Besatzun-gen glücklich zu machen.

Aus der Würfelgröße und den Außenma-ßen der Container war leicht zu errechnengewesen, daß genügend Warenstücke anBord lagerten. Vorausgesetzt, die Admiralinhatte nur Würfel auf die AKONIA gebracht.

Ungläubig starrte Mogar Herres auf dieLücke in der Phalanx der Anzüge. Minde-stens zwei Kampfmonturen fehlten. Er warverpflichtet, Meldung zu machen.

Ein Geräusch irritierte ihn. Doch er warnach wie vor allein, niemand hatte hinterihm das Lager betreten.

Jemand tippte ihm auf die Schulter. Her-res wirbelte herum. Das Flirren vor seinenAugen hatte sich verstärkt; er blinzelte hek-tisch.

»Warum so schreckhaft?« fragte eineStimme aus dem Nichts.

»Wer bist du?« keuchte Herres. Allesmögliche schoß ihm durch den Sinn, ange-fangen von unsichtbaren Hamamesch überdie berüchtigten Fermyyd bis hin zu einemSpion der Admiralin.

»Du gehörst zur Mannschaft?« kam dieGegenfrage. Der Unsichtbare hatte denStandort gewechselt. Mogar wandte sich er-neut um, starrte allerdings vergeblich.

»Du siehst aus, als hättest du nie etwasvon einem Deflektorfeld gehört«, bemerktedie Stimme amüsiert. »Aber du hast meineFrage noch nicht beantwortet.«

Mogar Herres' Gedanken überschlugensich. Freund oder Feind? – Alles war aufdiese einfache Formel zu reduzieren. Abereigentlich gab es auf der AKONIA nur einenGegner: Stomal Zystaan selbst.

»Ich bin Lagerverwalter im unteren Be-reich«, sagte er spontan und nannte seinenNamen. Im nächsten Moment sah er sich ei-nem untersetzten, kräftigen Mann gegen-

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über, der eine Kampfmontur mit voller Aus-rüstung trug. »Ich vermisse zwei Anzüge«,entfuhr es ihm ungewollt.

Sein Gegenüber lachte, aber das Lachenklang frostig und gequält. »Chalm zieht esvor, unsichtbar zu bleiben. Nicht, daß wir dirmißtrauen, aber …«

»Ihr wollt die Imprint-Waren«, entfuhr esHerres. In seinem Schädel schwirrte allesdurcheinander. Natürlich! Er schlug sich mitder flachen Hand vor die Stirn. Weshalb warer nicht längst selbst auf die Idee gekom-men? Nur Unsichtbare haben eine Chance,an den Robotern vorbeizukommen.

»Ihr braucht einen Helfer«, hörte er sichsagen. »Der Hangar ist geschlossen. Die Ro-boter würden sofort reagieren, sobald dasSchott ohne ersichtlichen Grund aufgleitet.«

»Gar nicht übel.« Sein Gegenüber streckteihm die Hand hin, und Herres schlug begei-stert ein. »Wir sind also zu dritt. Ein paarfehlende Würfel werden schon nicht auffal-len.«

»Ich brauche eine Waffe«, sagte Herres.Chalm, der endlich ebenfalls sein Deflektor-feld abschaltete, reichte ihm einen handli-chen Thermostrahler.

Zu dritt entwickelten sie ein Zusammen-gehörigkeitsgefühl, wie Herres es nie zuvorkennengelernt hatte. Es war gut, Freunde zuhaben, die genauso dachten wie er selbst.Die gemeinsame Vorgehensweise warschnell abgesprochen. Herres fieberte demAugenblick entgegen, in dem er endlicheinen der Imprint-Würfel in Händen haltenwürde. Am liebsten wäre er sofort losge-stürmt, er spürte, daß er nicht mehr langewarten durfte; er war dem endgültigen psy-chischen Zusammenbruch näher denn je zu-vor.

Chalm hielt ihn hart zurück. »Du zitterstam ganzen Körper …«

»Es ist nichts«, wehrte Herres ab. »DieAufregung legt sich bald.«

Irgend etwas haben wir übersehen, häm-merte es in seinen Gedanken. Er torkeltedurch Korridore, die ihm endlos erschienen.Die Waffe, unter dem Hemd verborgen, wog

schwer wie Blei. Irgend etwas …Endlich, das Hangardeck. »Wir sind dicht

neben dir«, wisperte eine Stimme. Instinktivblickte sich Herres um. Er war scheinbar al-lein.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Aus-gerechnet jetzt dachte er an die Leute derBERKIA, die ihren Wagemut mit dem Le-ben bezahlt hatten. Sich herumwerfen undfliehen, immer weiter, bis ans Ende des Uni-versums – nur der unbezähmbare Drangnach Imprint-Ware hielt ihn davon ab. SeinArm war schwer wie Blei, als er den Öff-nungsmechanismus betätigte.

Ein winziger Spalt … Mogar Herres starr-te hindurch, als gelte es, einen Blick ins Pa-radies zu erhäschen.

Die Kampfroboter! Eine unübersehbarePhalanx! Zur Reglosigkeit erstarrt.

Desaktiviert?Im Hintergrund die Container.Herres hätte schreien können vor Glück,

doch er biß sich die Lippen blutig. Im selbenMoment ruckte einer der stählernen Kolosseherum, das Abstrahlfeld eines Desintegra-tors flirrte auf.

»Seid ihr drin?« raunte Herres, ohne dieLippen zu bewegen. Sein Inneres ver-krampfte sich, selbst der Herzschlag, ebennoch rasend schnell, geriet ins Stocken. »Ich… äh … ich habe mich wohl im Deck ge-irrt«, stieß er abgehackt hervor. Die Fingerseiner rechten Hand schlossen sich um denStrahler; die Freunde mußten inzwischen dieContainer erreicht haben.

Geh weiter, als wäre nichts geschehen! Erkonnte nicht, seine Knie waren weich wieGallerte; er taumelte, stützte sich am Schott-rahmen ab. Wieviel Zeit war vergangen?Vier Sekunden, vielleicht schon fünf? Sie-dendheiß durchflutete ihn die Erkenntnis,was sie übersehen hatten. Er mußte dasSchott offenhalten, sonst gab es für die bei-den keinen Rückweg.

»Stehenbleiben!« dröhnte ein Befehldurch den Hangar.

Mogar Herres erstarrte, aber der Ruf galtnicht ihm. Gleichzeitig feuerten die Roboter,

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ihre Impulsstrahlen kreuzten sich vor denContainern und zerrten die Konturen zweiermenschlicher Gestalten aus dem Nichts.

Die Individualschutzschirme absorbiertenden ersten Ansturm der tödlichen Energien.Der zweiten konzentrierten Salve hielten sienicht stand; beide Akonen starben, ohne dieImprint-Waren erreicht zu haben.

»Ihr verfluchten Mörder!« Herres keuch-te, er hielt den Thermostrahler mit beidenHänden umklammert und jagte Schuß aufSchuß in den Hangar. Doch er schaffte esnicht, einen der Kampfroboter auch nur an-zukratzen.

Dann traf ihn die Desintegratorladung.Bevor sein Bewußtsein erlosch, begriff erihren Fehler: Kampf roboter übersahen kei-ne Unsichtbaren, sie orteten ihre Wärme-strahlung und die Energie des Deflektorfel-des.

*

»Du wirst sterben, Scherckel, langsamund qualvoll, wie es sich für einen Überläu-fer gehört!« Nicht eine Regung war in demstrengen, schmalen Gesicht zu erkennen; imWiderstreit von Licht und Schatten verlie-hen die tief eingegrabenen Züge Stomal Zy-staan etwas Dämonisches.

Zwischen zwei Fingern hielt sie die volleDosis Anti-Tag, eine Ampulle mit zehn Mil-lilitern, ausreichend, um für alle Zeit gegendas synthetische Gift Taggelion-Griobal zuimmunisieren.

»Deine letzte Gelegenheit, Scherckel«,höhnte sie. »Greif zu!«

Verzweifelt warf er sich nach vorne, umdie Ampulle aufzufangen, doch er schafftees nicht. Das Glas zersplitterte am Boden,die lebensrettende Flüssigkeit verspritztenach allen Seiten.

»Das ist dein Ende, Scherckel«, spottetedie Admiralin. »So wird es allen ergehen,die sich gegen mich stellen. Allen … allen…«

Verfluchte Hexe! Ihn vor ihr im Dreck lie-gen zu sehen, zu hören, wie er um sein Le-

ben bettelte, das gefiel ihr. Viel zu langeschon hatte er sich von ihr demütigen lassen.

Mit seinen 1,66 Metern und einem be-achtlichen Leibesumfang war Scherckelnicht der sportlichste Typ, dennoch schaffteer es, sich aufzurichten. Keuchend, denKopf zwischen die Schultern gezogen,stürmte er weiter.

Ein Dagorgriff trieb ihm die Luft aus denLungen und schickte ihn abermals zu Bo-den. Hinter blutig wogenden Schleiern er-kannte er Rhiad Hergel, Stomals Sicher-heitsbeauftragten. Der ehemalige Auftrags-mörder des akonischen Energiekommandostrat blitzschnell zu. Sein Fuß nagelte Scher-ckel am Boden fest.

»Du kleines Aas«, fauchte er. »Wie eineLaus werde ich dich zerquetschen.«

Der Druck auf dem Brustkorb wurde un-erträglich. Scherckel rang nach Atem, kalterSchweiß brach ihm aus allen Poren. In pani-scher Todesangst wollte er Hergel wegsto-ßen, doch seine Arme waren zu kurz. Wahr-scheinlich bot er ein groteskes Bild, wie einhilflos auf dem Rücken zappelnder Käfer …

Gurgelnd und um sich schlagend,schreckte der persönliche Adjutant der Ad-miralin hoch. Ein Prallfeld fing ihn sanftauf, gleichzeitig aktivierte der Servo dieDimmschaltung.

Scherckel blinzelte verwirrt in das trübeHalbdunkel. Der Übergang war zu abruptgekommen; er hatte Mühe zu begreifen, wasgeschehen war. Ein böser Alptraum, mehrnicht. Vielleicht hatte er vor dem Einschla-fen zuviel gegessen, aber sobald er Proble-me hatte, aß er stets mehr, als ihm guttat.

Probleme hatte er genug. Drei Viertel da-von trugen den Namen Stomal Zystaan, derRest war seine miserable körperliche Ver-fassung. Der nässende Hautausschlag hatteeindeutig psychische Ursachen. Scherckelwar überzeugt davon, daß alles anders seinwürde, sobald er endlich wieder den Zauberder Hamamesch-Waren spürte.

Vier Uhr nachts Bordzeit. Obwohl er bei-nahe sechs Stunden geschlafen hatte, fühlteer sich kaputter als zuvor. Zudem hatte er

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versäumt, sich umzuziehen, und die Klei-dung klebte ihm inzwischen durchge-schwitzt am Körper. Mit einem Ruck setzteer sich auf und wischte sich den Schweißaus dem Gesicht. Der Alptraum ließ ihn im-mer noch nicht los.

»Besondere Vorkommnisse?« fragte erhalblaut.

»Du hast im Schlaf gesprochen«, antwor-tete der Servo.

Ruckartig hob Scherckel den Kopf. Erhatte eine düstere Ahnung, was im Schlafüber seine Lippen gekommen war. Falls Sto-mal davon erfuhr, würde der AlptraumWirklichkeit werden. »Sag's mir!« forderteer hastig.

Die Aufzeichnung bestätigte seineschlimmsten Befürchtungen. Nicht nur, daßer die Admiralin mehrmals eine Hexe ge-nannt hatte, er hatte auch gedroht, sie mit ei-genen Händen zu erwürgen. Mehr als genugfür sein Todesurteil.

»Löschen!« keuchte er. »Sofort alles lö-schen!«

Erst als der Servo bestätigte, atmete erauf. Sein eigener Kopf war ihm zu wertvoll,als daß er ihn der Admiralin geopfert hätte.

Unaufhörlich kreisten seine Gedanken umdie Imprint-Waren. Das Frühstück wollteihm ausnahmsweise nicht schmecken; er er-tappte sich dabei, daß er alle größeren Ge-genstände abschätzend in der Hand wog.Wie fühlte sich ein Würfel mit zwölf Zenti-metern Kantenlänge an?

Die Hälfte des Essens, ohnehin überwie-gend auf synthetischer Basis, rührte er nichtan. Der folgende morgendliche Report desServos – immerhin mußte ein Adjutant derAdmiralin ständig über alles informiert sein,was irgendwie wichtig werden konnte – warebenfalls nicht dazu angetan, seine Stim-mung zu heben.

Drei Tote auf der AKONIA. Sie hattenversucht, in den gesperrten Hangar einzu-dringen, und waren von den Kampf roboternerschossen worden.

Auf zwei anderen Schiffen hatte es wäh-rend der Ruhephase ebenfalls Tote und Ver-

letzte gegeben. In beiden Fällen hattenMannschaften versucht, Beiboote zu kapernund das Flaggschiff anzufliegen. Der innereDrang nach Imprint-Waren wurde allmäh-lich stärker als der Selbsterhaltungstrieb.

»Stümper!« zischte Scherckel verächtlich.Auf die Weise würden sie es nie schaffen.

Nur wenn alle an einem Strang … Mit ei-nem unwilligen Kopf schütteln schob er denGedanken beiseite.

Die 2000 Fermyyd-Schiffe hingen unver-ändert im Orbit. Sie griffen nicht an, wichenaber auch nicht zurück. Stumme Wächter,die auf etwas zu warten schienen.

Egal. Selbst in ihrer zahlenmäßigen Über-legenheit waren die Fermyyd einigen Salvenaus den Transformgeschützen nicht gewach-sen.

Nur wenn alle an einem Strang ziehen,wird unsere Situation sich verändern!

Hartnäckiger als zuvor kehrte der Gedan-ke zurück und verdrängte alle anderen Über-legungen. Scherckel registrierte nicht mehr,was der Servo an Nachrichten abspielte – eswaren ohnehin nur mehr Nebensächlichkei-ten.

»Was macht Grozzer?« unterbrach erschroff den Informationsfluß.

»Adjutant Grozzer ist vor wenigen Minu-ten aus den Privatgemächern der Admiralinzurückgekehrt«, lautete die Antwort.

Scherckel nickte zufrieden. Also hatteStomal Zystaan bereits gefrühstückt. Das be-deutete, daß er voraussichtlich während dernächsten halben Stunde vor ihren Schikanensicher war. Er mußte handeln.

*

»Ich muß mit dir reden«, sagte Scherckel,als er kurz darauf Grozzer in dessen Kabinegegenüberstand.

Sie waren befreundet, waren sogar dickeFreunde, denn das gemeinsame Schicksalhatte sie zusammengeschweißt. Grozzer warzudem einer der wenigen Terraner an Borddes Flaggschiffs.

»Seltsam.« Grozzers Blick schweifte un-

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ruhig durch die Kabine – eine Geste, dieScherckel erst verstand, als der Terraner wiebeiläufig den Servo abschaltete und hinzu-fügte: »Ich möchte ebenfalls einiges mit dirbesprechen.«

Grozzer wollte also ungestört sein. Als eraus einer der unergründlichen Taschen sei-ner Kombination ein gerade handflächen-großes Suchgerät zum Vorschein brachte,begann Scherckel wieder zu schwitzen. Un-geduldig sah er zu, wie Grozzer seine Kabi-ne und die angrenzende Hygienezelle abta-stete.

»Nichts. Das Scheusal hat mir nicht eineneinzigen Minispion untergejubelt.« Er be-merkte Scherckels entsetzten Blick und füg-te hinzu: »Ich spreche so von Stomal, wie esihr gebührt. Sie wird nicht mehr lange Kom-mandantin sein.«

Ein halb ersticktes Ächzen auf den Lip-pen, ließ der Akone sich in den nächstenSessel sinken. Er vermied es, Grozzer anzu-sehen, sondern starrte seine Fingerspitzenan, als gäbe es dort ungeheuer Wichtiges zuentdecken. Auf seiner Stirn perlte derSchweiß.

»Verrückt«, murmelte er nach einer Wei-le. Er glaubte zu spüren, wie eine eisigeHand nach seinem Herzen griff. Plötzlichhatte die Angst wieder tausend Gesichter.Gegen Stomal Zystaan zu meutern, das be-deutete unweigerlich das eigene Todesurteil.

»Warum bist du zu mir gekommen?« Wieaus weiter Ferne vernahm er Grozzers Stim-me. Hinter seinen Schläfen dröhnte der Puls-schlag wie eine Hundertschaft marschieren-der Kampfroboter. Erst als Grozzer die Fra-ge wiederholte, reagierte er.

»Nichts, es ist nichts, schon wieder vor-bei. War nur eine Idee von mir, eine dummeSache …«

»Ich glaube dir nicht.«Scherckel winkte heftig ab. »Denk nicht

länger darüber nach. Es war dumm von mir,überhaupt zu kommen.« Er stemmte sich ausdem Sessel hoch, doch der Terraner drückteihn in die Polster zurück.

»Du bist hier, weil du einen Weg suchst,

an die Imprint-Würfel zu gelangen.«Scherckel schüttelte den Kopf.»Du hast genug von Stomals Schikanen.

Gemeinsam, glaubst du, könnten wir esschaffen, uns aus ihrer Abhängigkeit zu be-freien.«

»Nein!« keuchte Scherckel. »Hör auf!«Grozzer dachte nicht daran. »Wir sind

nicht allein«, versetzte er. »Diesmal nicht.Jeder, der lieber heute als morgen neue Im-print-Wareri in Händen hält, wird hinter unsstehen.«

Der Akone war bleich geworden, doch ergab endlich seinen inneren Widerstand auf.»Vielleicht hast du recht«, ächzte er.

»Bestimmt sogar. Wenn die AKONIAvon mehreren Schiffen angegriffen wird undder Rest der Flotte sich abwartend verhält…«

»…wird sie nicht zögern, die gelben Con-tainer zu vernichten.«

»Eben deshalb müssen wir versuchen, dieKampfroboter auf unsere Seite zu bringen.«

Scherckel lachte schrill auf. »Das ist un-möglich.«

»Auf Terra existiert ein uraltes geflügeltesWort, mein Lieber: Not macht erfinderisch.«Grozzer schnippte mit den Fingern. UndScherckel glaubte, seinen Augen nicht mehrtrauen zu dürfen. Wo eben noch scheinbarein Regal aus Formenergie gestanden hatte,erblickte er plötzlich einen quaderförmigengrauen Kasten, nicht besonders groß, aberdas war auch nicht nötig.

»Mein eigener leistungsfähiger Rechner«,erklärte Grozzer nicht ohne Stolz. »Es hatmich verdammte Mühe gekostet, die Einzel-teile zusammenzutragen, das Ding hier auf-zubauen und so zu sichern, daß es unent-deckt blieb. Aber noch gefährlicher war es,die Hauptsyntronik damit anzuzapfen. Tage-lang fürchtete ich, in der Konverterkammerzu enden.«

Scherckel schluckte schwer. Er wußtenicht, was er sagen sollte. Während er selbstsich mit Nichtigkeiten herumgeschlagen hat-te, hatte der Terraner gehandelt.

»Erwarte aber nicht zuviel«, warnte Groz-

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zer. »Sobald ich versuche, auf Entscheidun-gen Einfluß zu nehmen, hat man mich amWickel. Trotzdem kann ich Informationenbeschaffen. Ich weiß inzwischen, daß Sto-mal gelogen hat, was die angeblichen La-dungen in den Containern betrifft. Sie ver-läßt sich nur auf die Kampfroboter, und de-ren Steuerbefehl habe ich bereits zu einemGroßteil rekonstruiert.«

»Warum warten wir nicht, bis uns dievollständige Sequenz vorliegt, und holen unsdanach zwei Würfel?« Scherckel begriff,kaum daß er den Vorschlag ausgesprochenhatte, daß dies nicht machbar war. Der Dieb-stahl würde wohl verborgen bleiben, nichtaber, daß ausgerechnet sie beide plötzlichvon allen Entzugserscheinungen befreit wa-ren.

»Wir müssen Stomal zwingen, die Würfelan alle zu verteilen«, fuhr Grozzer fort.»Und das ist nur durch eine massive Dro-hung zu erreichen, wenn zum Beispiel meh-rere Schiffe die AKONIA angreifen und derRest der Flotte sich zumindest abwartendverhält.«

»Du vergißt die Fesselschaltung. Die He-xe wird alle Einheiten explodieren lassen.«

»Wenn der Angriff unmittelbar nach ei-nem Impuls erfolgt, bleiben fast dreizehnStunden. Außerdem konnte ich einigen Ka-pitänen schon glaubhaft versichern, daß esmir rechtzeitig möglich sein wird, den Kodezu knacken.«

Scherckel brachte den Mund nicht mehrzu, doch Grozzers Achselzucken holte ihnaus schwindelerregenden Höhen auf den Bo-den der Tatsachen zurück.

»Die Wahrheit ist unerheblich, solangeman mir glaubt«, sagte der Terraner. »Unddu kannst sicher sein: Jeder, mit dem ichheute nacht schon geredet habe, ist nur zugern bereit, mir zu glauben.«

Scherckel verstand das gut. In der Notgriff die intelligenteste Kreatur nach jedemerreichbaren Halm, und mochte er noch sozerbrechlich sein.

7.

Zum erstenmal seit beinahe zwei Jahrenhatte Stomal Zystaan ohne UnterstützungSchlaf gefunden, allerdings fühlte sie sichnicht nur am frühen Morgen, sondern bisweit in den Vormittag hinein müde und ab-gespannt. Zugleich erschien es ihr, als hättesich die Schwerkraft an Bord über Nacht umeinen beachtlichen Wert verringert, ein selt-samer Zustand, der Euphorie und Beklem-mung gleichermaßen auslöste.

Routinemäßig verteilte sie die Tagesdosisdes Tagrio-Gegengiftes an alle Abhängigen.Kaltlächelnd überging sie dabei den Haß,den die Männer und Frauen ihr entgegen-brachten. Nie war die knisternde Spannungzwischen ihnen deutlicher zu spüren gewe-sen; sie las Furcht, beinahe schon Panik inden Blicken ihrer Untergebenen. LediglichGrozzer schien für einen Augenblick in ei-nem Anfall von Selbstverachtung auf dasGegengift verzichten zu wollen, griff dannaber doch mit beiden Händen zu und schüt-tete den Inhalt der Ampulle gierig in sichhinein.

»Verschwinde!« herrschte sie ihn an. »Ichwill allein sein!«

Stundenlang saß sie danach in ihrer Kabi-ne und starrte den Imprint-Würfel an. Einschönes, ein erhebendes Gefühl, zum ersten-mal seit langem der Ruhe zu pflegen. Niewar ihr so recht deutlich geworden, was sieversäumte – die Zeit und das Leben genie-ßen, den eigenen Herzschlag spüren, bewußtden Atem kommen lassen …

Rhiad Hergel – schon wieder fit – berich-tete von Zwischenfällen mit renitenten Be-satzungsmitgliedern.

»Es brodelt unter der Oberfläche«, melde-te er. »Die Leute wollen wissen, wann siedie neuen Imprint-Waren erhalten.«

»Bald«, wich die Admiralin aus. »Sobaldich über meine weiteren Schritte Klarheithabe.«

Die Störung ärgerte sie. Bis vor kurzemwar Hergel zuverlässiger gewesen und hatteEigeninitiative entwickelt, die Stomal ausge-rechnet jetzt an ihm vermißte.

Eine Anfrage aus der Zentrale. Was die

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Fermyyd beabsichtigten, war ihr egal. Wennschon ein neuerlicher Kontaktversuch, dannsollte die Erste Pilotin das erledigen, sieselbst hatte dafür keine Zeit.

Sanft streichelte die Admiralin ihren Wür-fel. Sobald sie die Augen schloß, glaubte siezu schweben – je mehr Zeit verstrich, destoleichter und höher hinauf, den Sternen ent-gegen. Ein berauschendes Gefühl …

*

Mit seinen 86 Jahren, davon mehr als 60Jahren ununterbrochenem aktiven Dienst anBord von Raumschiffen, war Jerem Jergescheiner der erfahrensten Männer in Stomal Zy-staans Flotte. Nicht umsonst hatte sie ihn alsErsten Piloten der OOGAR eingesetzt.

Jergesch hatte schon für Stomal gearbei-tet, als sie wirklich noch Admiralin gewesenwar, hatte sich aber rechtzeitig zurückgezo-gen – ob einfach durch Glück oder Intuition,das wußte er selbst nicht zu sagen –, bevorsie ihre Macht zur Unterstützung einesPutschversuchs auf Sphinx mißbrauchte unddaran kläglich scheiterte. Seitdem war sie ei-gentlich nur noch Ex-Admiralin, doch ihremMachtstreben und dem Drang nach Selbst-behauptung hatte das keinen Abbruch getan.Eher im Gegenteil: Jergesch fand, daß dieAkonin noch härter geworden war.

Konfrontationen mit ihr war er stets aus-gewichen. Obwohl sie ihn deshalb für einenSchwächling ohne Rückgrat hielt, was sieihm wiederholt vorgehalten hatte: An seinenQualitäten als Pilot hatte sie nie rütteln kön-nen.

Daran dachte Jerem Jergesch, als er aufden Impuls für die Fesselschaltung wartete.

»Eines Tages wirst du mit deinem Raum-schiff in irgendeiner Sonne verglühen.« Dashatte sie ihm vor über fünf Jahren vorgehal-ten. Und nur Monate später, als er unter To-desverachtung die Crew eines havariertenKreuzers vor einer Supernova gerettet hatte:»Das war entweder das Werk eines jugendli-chen Draufgängers oder eines Verrückten –du bist nicht mehr jung. Begehe nie den

Fehler, eines Tages besser sein zu wollen alsdeine Admiralin.«

Der Impuls von der AKONIA … Ein Le-ben in Stunden-Abschnitten war grausam,nur ein pervertiertes Gehirn konnte sich sol-che Zwänge ausdenken.

Jerem Jergesch ballte die Hände, bis dieFingernägel tief in die Handballen einschnit-ten. Seit die Flotte Hirdobaan erreicht hatte,wartete er darauf, daß jemand den Anstoßzur Rebellion gab. Er selbst hätte den Mutdazu nicht aufgebracht, aber wenn Grozzerrecht behielt und es schaffte, den Kode derFesselschaltung zu knacken, würde das Le-ben endlich wieder normal verlaufen.

Der Pilot verzichtete auf die Starthilfe derSyntronik, er hätte die innere Anspannungnicht länger ertragen. Virtuos huschten seineFinger über die Sensoren.

Grabesstille herrschte in der Zentrale derOOGAR. Jeder wußte, welches Risiko ereinging. Aber keiner konnte anders.

Der 200-Meter-Kugelraumer löste sichvon der schwimmenden Plattform.

Antigravleistung einfrieren. Abstoßwir-kung langsam steigern. Distanz zum Zielzweihundertundfünfzig Kilometer.

Ausgerechnet jetzt zog sich dieses un-sichtbare Band um seinen Brustkorb enger,das ihm den Atem raubte. Jergesch rangnach Luft. Seine Anfälle häuften sich. Erkannte ihre Ursache. Falls er nicht bald fri-sche Imprint-Ware in Händen hielt, würdees schlimmer werden. Das war ein Grundgewesen, weshalb er Grozzers Vorhaben so-fort zugestimmt hatte.

»Wir sind die einzigen!« Wie ein flehen-der Hilfeschrei durchschnitt der Ausruf dieStille.

»Wir können nicht zurück!« Was hätte eranderes erwidern sollen?

Die AKONIA war nicht besser bewaffnetals die OOGAR. Selbst im schlimmsten Fallblieben also knapp dreizehn Stunden Frei-heit – Zeit genug, um Hirdobaan zu durch-messen, in dem verrückten Glauben, derAkonin entrinnen zu können.

»Funkspruch vom Flaggschiff! Djudiess

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will wissen, was unser Start bedeutet.«»Sie werden es in Kürze erfahren.«»Soll ich das durchgeben?«»Idiot! Keine Antwort. – Den nächsten

Anruf auf den Hauptschirm umschalten.«Ich will dich und die Überraschung in

deinen Augen sehen, Stomal Zystaan! dachteder Pilot.

In 5000 Metern Höhe schwebte die OO-GAR über dem Ozean. Und endlich startetendrei weitere Schiffe.

Jubel brandete auf.»Was soll das?« schnitt die Stimme der

Admiralin durch den Raum. »Ich werde je-den Ungehorsam mit dem Tod bestrafen.«

»Du hast die längste Zeit Befehle gege-ben, Stomal.«

Deutlich war zu sehen, daß die Admiralindem Klang der Stimme lauschte. Immerhinbefand der Pilot sich nicht im Erfassungsbe-reich des Optikfeldes. Sie wirkt müde, be-merkte er.

»Jerem?« stieß sie endlich hervor. »Duwirst es nicht wagen, die AKONIA anzu-greifen.«

»Sei dir dessen nicht zu sicher.« SeinBlick huschte über die Ortungsdaten. »Jetztsind wir sechs Schiffe – der Anfang einerStreitmacht, der du nicht gewachsen bist.Gib auf!«

Stomal Zystaan schaltete wortlos ab.»Energieortung! Auf der AKONIA wer-

den die Geschütze hochgefahren.«»Feuerleitkontrollen zu mir!« Es gab

wirklich kein Zurück. Ein einzelner Impuls-schuß, als Warnung gedacht, schlug in denSchutzschirm des Flaggschiffs ein. Schwa-che Energieströme streuten auf die Plattformund rissen tiefe Krater. Eine mit allen Mit-teln geführte Auseinandersetzung würdeeinen weiten Bereich der Wasserwelt in einInferno verwandeln. Schon Paratronschirmekonnten das Wasser zu sehr aufwirbeln. Ab-gesehen davon fürchtete Jerem Jergesch umdie Container mit den Imprint-Waren. Erkonnte nur hoffen, daß Stomal nicht andersreagierte als viele Tyrannen, die angesichtsihrer bröckelnden Macht noch zu retten ver-

suchten, was zu retten war. Mittlerweile hat-ten sich acht Raumschiffe bis auf Distanzenzwischen fünf und fünfzig Kilometern derAKONIA genähert. Falls jemand auf diewahnwitzige Idee verfiel, mit Transformka-nonen die Entscheidung herbeizuführen,würde dies den Anfang vom Ende bedeuten.

*

»Das ist nicht das Werk eines Einzelgän-gers«, sagte Rhiad Hergel. »Der Aufstandwird sich ausweiten.«

»Sie sind tot«, keuchte die Admiralin.»Sie wissen es nur noch nicht. Niemand er-hebt ungestraft die Hand gegen mich.«

»Gibst du den Startbefehl? Ziehen wir unszurück und überlassen den Fermyyd – dieDrecksarbeit?«

»Funkspruch an alle Schiffe: Sie sollendie Meuterer vernichten. Wer auf meinerSeite steht, wird anschließend Imprint-Wareerhalten.«

Hergel grinste breit. »Das dürfte die An-gelegenheit ein für allemal klären.«

Von der Ortung kam die Meldung, daßzwei Schiffe nur wenige Kilometer über derAKONIA Position bezogen hatten. Es lagauf der Hand, daß sie einen Start des Flagg-schiffs unter allen Umständen verhindernwollten.

»Jergesch geht aufs Ganze«, schnaubtedie Admiralin.

Keine Antwort auf den Funkspruch. DasGros der Flotte stellte sich taub und blind.

»Du stehst allein, Stomal«, höhnte JeremJergesch über Funk. »Gib dich geschlagen.«

Die Admiralin ließ die OOGAR unterEnergiefeuer nehmen. Doch abgesehen vondem kochenden Regen, der unmittelbar dar-auf in weitem Umkreis niederging, verpuffteder Beschuß wirkungslos.

Gleich darauf traf die Meldung, daß indem Hangar mit den Hamamesch-Contai-nern gekämpft wurde, die Akonin wie einBlitz aus heiterem Himmel. Aber nicht Meu-terer waren dort eingedrungen, vielmehr ver-wandelten die Roboter sich gegenseitig in

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qualmende Wracks.»Wie ist das möglich?«»Jemand muß den Befehlskode geknackt

und durch falsche Werte ersetzt haben.«Die Admiralin hatte Mühe, an sich zu hal-

ten. Sie sehnte sich nach der Ruhe und derGeborgenheit, die ihr der Würfel vermittelthatte. Aber um die befreiende Leichtigkeitzu spüren, mußte sie die Zentrale verlassenund ihre Kabine aufsuchen. Dort lag derWürfel und wartete auf sie. Sie schaute denSicherheitsbeauftragten durchdringend an.»Wir haben Meuterer auf unserem Schiff?«

Es dauerte lange, bis Hergel sich zu einemEingeständnis herabließ.

»Alle Feindseligkeiten einstellen!« be-stimmte Stomal Zystaan unvermittelt. »Ichbin bereit, die Imprint-Würfel jetzt zu vertei-len. Veranlasse, daß jedes Schiff die benö-tigte Anzahl über Transmitter erhält.«

8.

»8. August 1220 NGZ, private Aufzeich-nung. Löschung des Gesamtspeichers erfolgtbei unberechtigtem Zugriff.

Mein Freund Scherckel hätte es wohl niefür möglich gehalten. Ehrlich gesagt, ichauch nicht. Stomal steckt wirklich ohne je-des weitere Blutvergießen zurück. Sie hatsich verändert, aber ich vermag nicht zu sa-gen, ob wirklich zu ihrem Vorteil. Sie wirktmüde, eine Frau, die um Jahre gealtert zusein scheint.

Ihre Schikanen haben nachgelassen. Viel-leicht, weil endlich alles im Lot ist.

Jeder einzelne an Bord unserer Schiffe, obAkone oder die wenigen Angehörigen ande-rer Völker, hat seinen Imprint-Würfel erhal-ten. Nach zwei quälend langen Jahren findenwir alle wieder ruhigen Schlaf. Die zuletztschon offene Aggressivität, die wohl sehrbald in Mord und Totschlag ausgeartet wäre,ist wie weggewischt. Niemand will sichmehr an Unangenehmes erinnern – obwohlim Einzelfall einiges Blutvergießen zusam-mengekommen ist. Ich frage mich, was baldauf all den tausend Schiffen los sein wird,

deren Besatzungen noch nicht das Glückhatten, frische Imprint-Ware zu erhalten.Das ist zweifellos ein Privileg, das wir aus-schließlich der Admiralin verdanken.

Viele schämen sich für das, was sie imImprint-Fieber getan haben. Wir alle warenirgendwie unzurechnungsfähig. Aber das istnun vorbei. In nicht einmal zwei Tagenkonnte ich feststellen, daß Tugenden wieakonischer Stolz, Bedachtsamkeit oder Ge-duld plötzlich wieder etwas bedeuten.

Andererseits neigen viele schon wieder zuÜbertreibungen. Wir scheinen müde gewor-den zu sein, glauben, die Ruhe nachholen zumüssen, die wir zwei Jahre lang vermißt ha-ben. Als ob das so einfach wäre!

Viele Besatzungsmitglieder haben sich inihren Kabinen eingeschlossen und reagierenkaum noch. Ich weiß, daß sie glücklich sindund die ganze Zeit über ihre Würfel betrach-ten, aber irgendwann müssen sie sich daranerinnern, daß es noch so etwas wie ein nor-males Leben gibt.

Wenn ich ehrlich sein soll, mein Ruhebe-dürfnis ist ebenfalls groß. Aber ich lassemich nicht einfach gehen, ich weiß, daß ichPflichten habe und daß gewisse lebensnot-wendige Dinge zu erledigen sind. Für Scher-ckel und mich bedeutet das zum Beispiel,daß wir regelmäßig bei Stomal vorsprechenund unsere Ampullen mit Anti-Tag abholen.

Sie weiß nicht, daß wir beide die treiben-de Kraft hinter dem Aufstand waren. Ohneuns hätte zwar alles einige Tage länger ge-gärt, doch letzten Endes wäre der Lauf derDinge nicht aufzuhalten gewesen.

Ich fühle mich leer und ausgebrannt ohnemeinen Imprint-Würfel, aber ich bin ihmnicht so sehr verfallen, daß ich nur in meinerKabine sitze und die schillernden Flächenanstarre. Vielleicht bin ich nicht normal;viele Akonen halten uns Terraner ohnehinfür verrückt. Doch das ist Neid, dessen Wur-zeln zwei Jahrtausende in die Geschichte zu-rückreichen.

Scherckel behauptet, daß in einigen Tagenalles wieder seinen gewohnten Gang gehenwird. Ich wünsche, er behält recht, doch ich

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bin skeptisch. Wer ist denn wirklich nochda, der über den Tellerrand der endlich wie-dergewonnenen eigenen Zufriedenheit hin-ausblickt? Die AKONIA hat eine knapp tau-sendköpfige Besatzung – wer davon wäre inder Lage, die reibungslose Funktion derwichtigsten Schiffssektionen aufrechtzuer-halten?

Oder wer denkt noch an die Fermyyd imOrbit? Mir läuft es eiskalt den Rücken hin-unter, wenn ich mir die zweitausend Regen-bogenschiffe in Erinnerung rufe. Wir wissennoch immer nicht, worauf sie eigentlichwarten.

Ich … Verdammt, die Syntronik hatAlarm ausgelöst.

Distanzalarm!Mein Platz ist jetzt in der Zentrale, das

bin ich meiner Selbstachtung schuldig.«

*

Sie waren ein verlorenes Häufchen, dassich anmaßte, die Verteidigung der AKO-NIA zu gewährleisten: außer Grozzer sechsAkonen und ein Maahk; die Hälfte von ih-nen wirkte wie Schlafwandler.

»Legt verdammt noch mal die Würfel zurSeite!« herrschte Grozzer sie an.

Der Maahk baute sich in seinem massigenSchutzanzug vor ihm auf und wedelte mitdem Imprint-Würfel dicht vor dem Gesichtdes Terraners. »Du hast nur zwei Augen undsiehst nicht all das Schöne, das ich wahrneh-me«, sagte er dröhnend. »Die AKONIA istnicht mein Schiff. Wenn du willst, daß ichdir trotzdem beistehe, entschuldige dich.«

Sie ist auch nicht mein Schiff, wollteGrozzer heftig erwidern, und er hatte einigeSchimpfwörter auf Lager, die den Maahkwohl aufs äußerste gereizt hätten, aber er bißsich auf die Zunge und schwieg lieber.»Verzeihung«, stieß er gepreßt zwischen denZähnen hervor. Der Maahk hatte sich da al-lerdings schon brüsk umgewandt undschleppte sich schwerfällig zum Komman-dantenterminal.

»Stomal Zystaan ist nicht hier?« rief

Scherckel vom Hauptschott herüber.»Nein«, sagte Grozzer gereizt. »Sehnst du

dich nach ihr?«»Wenn unsere Besucher sie nicht vermis-

sen.« Scherckel zuckte mit den Achseln undblickte an seinem Freund vorbei auf denPanoramaschirm. Grozzer fuhr auf dem Ab-satz herum.

Die Wiedergabe hatte sich verändert, ausden trostlosen grauen Schleiern eines hefti-gen Wolkenbruchs senkte sich ein Regenbo-genschiff herab. Unschwer war zu erkennen,daß es in unmittelbarer Nähe des Kugelrau-mers landen würde.

»Wir werden über Funk angesprochen!«rief ein älterer Akone.

»Die Frequenz öffnen!«Ein Stakkato unverständlicher Knurr- und

Zischlaute ergoß sich durch die Zentrale.Der Mann hatte offensichtlich auf Manuell-betrieb umgeschaltet und übersteuerte.

»Mach alle Schaltungen rückgängig!«brüllte Grozzer. »Syntron, hilf ihm!«

Die Wiedergabe wurde deutlicher, bliebaber unverständlich, bis der Translatorbe-reich zugeschaltet wurde. Dann brandete ei-ne Stimme in hart artikuliertem Hamsch auf.

»… die Galaktiker aufgefordert, alleSchotten zu öffnen und keinen Widerstandzu leisten.«

Das Fermyyd-Schiff verharrte wenigehundert Meter über der Plattform. Bei denbenachbarten Inseln verhielt es sich ähnlich.Die optische Wiedergabe war wegen des an-haltenden Unwetters verschwommen, dochdie Ortungen zeichneten alles deutlich.

»Wo bleibt die Kommandantin?« fragtejemand. »Das übersteigt unsere Kompeten-zen.«

Der Terraner achtete nicht darauf, er for-derte vom Syntron ein Akustikfeld an. »Hierspricht Grozzer, im Augenblick stellvertre-tender Kommandant der AKONIA. Ich wüß-te gern, mit wem ich spreche, vor allem den-ke ich nicht daran, mich einer unausgespro-chenen Drohung zu beugen.«

»Ich bin Ferm-Kommandant Ko-Yoo-Temm.«

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»Ein Fermyyd?«»Ich wiederhole mich ungern: Desakti-

viert die Schutzschirme und öffnet alleSchotten.«

»Wir haben wirkungsvollere Waffen, Ko-Yoo-Temm.«

»Dessen bin ich mir durchaus bewußt.Aber – habt ihr auch die Leute, die dieseWaffen einsetzen können?«

»Er weiß Bescheid«, entfuhr es Scherckel.»Er weiß genau, wie es um unsere Schiffesteht, daß sich kaum Widerstand regen wird.Deshalb sind die Fermyyd nicht schon frü-her gelandet, sie wollten einem Kampf ausdem Weg gehen.«

Grozzer nickte schwer. »Irgend jemandhat die Fermyyd entsprechend instruiert, je-mand, der genau wußte, was nach der Über-gabe der Imprint-Würfel geschehen würde.Allmählich begreife ich, daß diese seltsameMüdigkeit nicht von ungefähr kommt.«

»Du meinst …?«»Die Hamamesch spielen ein doppeltes

Spiel. Sie wollen unsere Tauschwaren, ohnedafür eine vernünftige Gegenleistung zu bie-ten.«

»Und wir? Was wird aus uns?«Grozzer deutete auf den Maahk, den das

Geschehen schon nicht mehr interessierte.Er hatte sich im Kommandantensessel nie-dergelassen und hielt seinen Imprint-Würfelan die Sichtscheibe des Helmes gepreßt.

»Sieh ihn dir an. Der Methanatmer istweggetreten, uns erwischt es über kurz oderlang ebenso. Wahrscheinlich sind wir nurein wenig härter im Nehmen.« Übergangsloswandte er sich wieder dem Interkom zu:»Zeig dich, Ko-Yoo-Temm. Ich will sehen,wer derart unverschämte Forderungenstellt.«

Aus dem wesenlosen Wogen auf demBildschirm heraus stabilisierte sich eine ein-drucksvolle Gestalt. »Ein schwarzer Pan-ther«, stieß Grozzer überrascht aus.

Tatsächlich erinnerte der Fermyyd vomKörperbau her entfernt an eine mächtigeRaubkatze, und das bläulich schimmerndeFell verlieh ihm eine bedrohliche Aura. Ko-

Yoo-Temm kauerte auf vier Beinen vor derAufnahmeoptik, aber wenn er sich auf denhinteren Pfoten aufrichtete, erreichte er eineGröße von fast drei Metern. Zwei zusätzli-che Arme zwischen den Vorderläufen ver-setzten ihn in die Lage, geschickt zu hantie-ren, was mit den mächtigen krallenbewehr-ten Tatzen kaum möglich gewesen wäre.

Der Ferm-Kommandeur entblößte zweiReihen spitzer Reißzähne, deren Anblickden Terraner erschaudern ließ. Auch die bei-den nach oben ragenden mächtigen Hauerwaren tödliche Waffen. Dagegen wirkten diefingerlangen, fühlerähnlichen Auswüchseüber den Augen geradezu harmlos.

»Wir wollen keine Auseinandersetzung«,erklärte der Fermyyd. »Nur wenn ihr unse-ren Wünschen nicht nachkommt, werden wirangreifen. Du hast zwei Rou Zeit, deine Ent-scheidung zu treffen.« Die Wiedergabe er-losch.

Grozzer schaute in die Runde. Keiner sahaus, als wolle er eine Konfrontation mit denFermyyd heraufbeschwören. Der eine oderandere ballte zwar die Hände, aber das warbeileibe noch keine Aufforderung zum Wi-derstand; der Rest hantierte gedankenverlo-ren mit den Imprint-Würfeln.

Scherckel hatte es endlich geschafft, eineInterkomverbindung mit der Admiralin zuerhalten. Schläfrig blinzelte sie ihn an.

»Ich habe Wichtigeres zu tun, als michmit einer Handvoll dahergelaufener Fremderzu befassen«, brachte sie gedehnt hervor.»Laßt sie an Bord, oder schickt sie in dieHölle, aber laßt mich in Ruhe.«

Grozzer vollführte eine hilflose Geste.»Syntron«, befahl er müde, »den Paratron-schirm abschalten und alle Schotten öffnen!Funkspruch an die übrigen Einheiten: Kei-nen Widerstand leisten!«

Ergeben harrte er des Kommenden.

*

Der Fermyyd strotzte vor Kraft und über-schüssiger Energie, ein Koloß aus Muskelnund Sehnen, dem man besser rechtzeitig aus

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dem Weg ging. Grozzer spürte, wie sich al-les in ihm verkrampfte. Einem Fermyydleibhaftig gegenüberzustehen oder ihn nurals schwaches Abbild seiner selbst auf ei-nem Schirm zu sehen, das waren zweigrundverschiedene Dinge. Unwillkürlichfühlte der Terraner sich an solche Kämpferwie Ertruser erinnert. Die funkelnden Kat-zenaugen in dem blauschwarzen Raubtierge-sicht starrten ihn durchdringend an.

»Du bist der Kommandant?«»Ich … Nein, Stomal Zystaan, aber sie

verläßt ihre Kabine nicht mehr.«Ko-Yoo-Temm, falls es sich wirklich um

den Ferm-Kommandanten handelte, peitsch-te heftig mit dem Schwanz über den Boden.Hinter ihm betraten weitere Fermyyd dieZentrale. Ihre Bewegungen wirkten überauskraftvoll und zugleich katzenhaft geschmei-dig. Einen Fermyyd zum Gegner zu haben,das war wohl gleichbedeutend mit einemTodesurteil.

Gut 2,50 Meter lang und 1,30 MeterSchulterhöhe, registrierte Grozzer widerwil-lig. Gekleidet waren sie in olivgrüne, biszum Hals geschlossene Uniformen aus ei-nem lederartigen Material, die mächtigenTatzen steckten in einer schuhartigen Ver-stärkung.

Nur ein klein wenig richtete Ko-Yoo-Temm sich vor dem Terraner auf, aberGrozzer machte unwillkürlich mehrereSchritte nach rückwärts.

»Du wirst uns das Schiff zeigen«, fauchteder Fermyyd. »Nicht alles, nur die überlege-ne Antriebs- und Waffentechnik.«

Widerspruch kam nicht auf. Wer wolltesich gegen solche Kampf maschinen aufleh-nen? Grozzer verfluchte seine eigeneDummheit. Alles hätte er dafür gegeben,jetzt friedlich in seiner Kabine zu liegen undden Imprint-Würfel in Händen zu halten.Statt dessen führte er eine Rotte gefährlicherFermyyd durch die AKONIA. Jeden Augen-blick konnten sie über ihn herfallen und ihnmit ihren mächtigen Hauern zerreißen. Nichteinmal ein SERUN schützte Grozzer.

Das Gefühl, aus einem Dutzend Raub-

tieraugen unablässig angestarrt zu werden,war unerträglich. Grozzer schwitzte Blutund Wasser. Daß er seinerseits weitgehendvermied, die Fermyyd anzusehen, machte esihm nicht leichter.

Staunend untersuchten sie die überlegenegalaktische Technik, die in diesem Fall auseiner arkonidischen Werft stammte. Gravi-traf-Speicher, Hypertrop und das eigentlicheMetagrav-Triebwerk waren Anlaß heftigerDispute, von denen Grozzer aber herzlichwenig mitbekam, da die Fermyyd ihreTranslatoren abschalteten. Ähnlich verhieltes sich bei den Paratron-Konvertern und denAnlagen zum Aufbau des Paratronschirms.

Mehr und mehr fühlte Grozzer sich wieim Traum. Stundenlang führte er die Fer-myyd durch die Hallen und Korridore desSchiffes; dabei traf er höchst selten auf Be-satzungsangehörige, die sich zudem wie inTrance bewegten und von den Fremdenkaum Notiz nahmen.

Alles war so unwirklich. Grozzer warteteletztlich nur noch darauf, daß er endlich vomServo geweckt wurde – aber die herbeige-sehnte sanfte Stimme blieb aus.

»Es ist gut«, sagte Ko-Yoo-Temmschließlich. »Wir haben sehr viel gesehenund erfahren, daß ihr wirklich über eine fort-geschrittene Technik verfügt. Wir werdenzwei eurer Schiffe als Forschungsmaterialmitnehmen.«

Grozzer blinzelte verwirrt. Einen Augen-blick lang hatte er das schreckliche Empfin-den, daß ihm das Geschehen gänzlich ent-glitten war; unter der dünnen Tünche derGleichgültigkeit brodelte noch einmal so et-was wie ein eigener Wille, aber die beängsti-gende Nähe der Fermyyd ließ jede Rebellionschon im Keim ersticken.

Was sind schon zwei Schiffe? Ein billigerPreis dafür, daß diese Schutztruppe endlichwieder abzieht. Stomal Zystaan hat dieRaumer auch nur gestohlen.

»Was geschieht mit uns?« fragte Grozzerschwach.

»Macht, was ihr wollt. Torresch ist eureWelt«, erwiderte Ko-Yoo-Temm.

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Daß die Fermyyd inzwischen nahezu alleHigh-Tech-Tauschwaren auf ihre Schiffeumgeladen hatten, erfuhr der Terraner erst,als er in der Zentrale wieder mit Scherckelzusammentraf. Mit Hilfe von Zugstrahlenund schweren Antigravplattformen warennahezu alle brauchbaren Waren auf die Re-genbogen-Schiffe umgeladen worden. Einunbeschreiblicher Verlust. Aber die meistenBesatzungsmitglieder waren nicht einmalmehr in der Lage, diese Vorgänge bewußtaufzunehmen.

Wieso sich aufregen? schoß es Grozzerdurch den Sinn. Die High-Tech war als Be-zahlung für neue Imprint-Waren gedacht ge-wesen, und einen Imprint-Würfel besaß in-zwischen jeder. Die Fermyyd holten also nurab, was den Hamamesch ohnehin zustand.

Ein schlechter Tausch für uns.Egal. Wir haben dafür den inneren Frie-

den gefunden.Die beiden Adjutanten erstatteten der Ad-

miralin Bericht, als sie sich ihre nächste Ge-gendosis Anti-Tag abholten. Das war fastschon eine heilige Handlung, mit den Jahrenin Fleisch und Blut übergegangen. Selbst diestärkste Müdigkeit konnte sie nicht daranhindern, schließlich hing ihr Leben davonab. Ihre innere Uhr war längst auf diesenRhythmus eingestellt, und allen anderen, de-nen Stomal Zystaan irgendwann das Aralon-Gift verabreicht hatte, erging es ähnlich.

Die Akonin nahm den stockenden Reportunbewegt zur Kenntnis. »Was soll ich dage-gen tun?« fragte sie resigniert, und da warkaum noch etwas von ihrer einstigen Stärkezu spüren. »Laßt die Fermyyd gewähren.Sobald sie abziehen, gibt es keine Problememehr.«

Am Abend des 8. August wurden die OO-GAR und die MORCAM-BEERT geräumtund die Mannschaften auf die nächstliegen-den Schiffe umquartiert. Über eine dauerhaftgeschaltete Interkom-Verbindung bekamGrozzer die Vorgänge auf der OOGAR so-zusagen hautnah mit. Daß er vorübergehendvor dem Monitor einschlief, spielte keineRolle. Immerhin wachte er rechtzeitig genug

wieder auf, um mitzuerleben, daß die Syn-tronik keinen Fermyyd als neuen Komman-danten akzeptierte. Die Schadenfreude ver-trieb seine Müdigkeit.

Letztlich ließen die Fermyyd sich ihrenKommandoanspruch vom Ersten Piloten be-stätigen. Jergesch plapperte unbeeindrucktalles nach, was sie ihm vorsagten, nur umseinen Imprint-Würfel zurückzuerhalten.

Wo bleibt dein Stolz? dachte Grozzer be-troffen. Aber wahrscheinlich würde auch erselbst für den Würfel seine Seele verkaufen.Die Fermyyd hatten ein hervorragendesDruckmittel gefunden.

Endlich starteten die beiden Kugelraumer,nach ihnen alle Regenbogenschiffe. Grozzersah sie im wolkenverhangenen Himmel ver-schwinden.

Die OOGAR und die MORCAM-BEERTgingen gemeinsam mit hundert Einheitender Ordnungstruppe in den Hyperraum. Indem Moment begann der Terraner zu la-chen, bis ihm Tränen über die Wangen lie-fen und er glucksend nach Atem ringenmußte.

Die Fermyyd glaubten, daß sie gewonnenhatten – in Wirklichkeit waren sie die Ver-lierer. Sie ahnten nichts von Stomal Zy-staans Fesselschaltung.

»Niemand«, prustete Grozzer, »niemandhat es ihnen gesagt. Warum haben sie auchnicht danach gefragt?«

Jahrelang hatte er unter Stomals Eigenhei-ten gelitten. Endlich traf es einmal andere.

*

Stunden später:Zwei 200-Meter-Kugelraumer im Parkor-

bit. Regenbogenschiffe auf gleicher Umlauf-bahn. Zwischen ihnen Raumgleiter im Fähr-verkehr, Fermyyd in Raumanzügen, die ander Außenhülle der OOGAR und der MOR-CAM-BEERT hantierten.

Zwei winzige syntronische Einheiten war-teten auf einen fernen Impuls.

Die Frist verstrich, ohne daß ein Eintref-fen des Kodes registriert wurde. Danach

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handelten die Syntrons ihrem Programmentsprechend. Nur Stomal Zystaan selbsthätte jetzt noch eingreifen können.

Die Energien aller Speicherbänke wurdenin einer unkontrollierten Reaktion freige-setzt. Beide Raumschiffe verwandelten sichjäh in aufflammende Sonnen, und eine gi-gantische Feuerwalze riß Dutzende von Fer-myyd und Raumgleitern im Umkreis mit insVerderben.

Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis daslodernde Fanal erlosch.

9.

Das Warten hatte sich gelohnt. Als er dieletzten Aufzeichnungen der Sonde studierte,erkannte Lissner, daß die Akonen offen-sichtlich auf unbekannte Weise lahmgelegtworden waren. Andernfalls hätte die Admi-ralin es nie geduldet, daß die Fermyyd nebenihnen landeten und allem Anschein nach da-mit begannen, die mitgebrachte High-Techin ihre Schiffe umzuladen. Das war seineChance und die aller Unither, sich einen An-teil an den frischen Imprint-Waren zu holen.

Vor den Fermyyd hatte er zwar riesigenRespekt, doch lag sein Vorteil unbestrittenin der Möglichkeit des Überraschungsan-griffs. Sobald die Unither erst auf Torreschgelandet waren, würden die Fermyyd esnicht mehr wagen, mit schweren Geschützenaufzufahren. Immerhin gefährdeten sie dannbei einer Auseinandersetzung die planetarenAnlagen.

Lissner bezähmte seine Ungeduld mit ei-ner ausgiebigen Rüsselreinigung. Er durftenicht angreifen, solange noch Fermyyd-Schif-fe auf den schwimmenden Inseln standen. Indem Fall würden seine Unither wie Getreidezwischen zwei Mühlsteinen zermahlen wer-den.

Er wurde auf eine harte Probe gestellt, bisendlich die Sonden meldeten, daß die Re-genbogenschiffe – den Ausdruck kanntendie Unither jetzt auch – in einen weiten Or-bit zurückkehrten.

Eine halbe Stunde nachdem Lissner den

Befehl zum Aufbruch gegeben hatte, ver-schwand seine Flotte in synchronem Manö-ver im Hyperraum …

… und fiel kurz darauf, in mehrere Pulksaufgesplittert, nur wenige Lichtminuten überTorresch zurück.

Der Hyperfunkempfang zeichnete sofort.Lissner ließ das Bild auf den Hauptschirmlegen.

Geschmeidigkeit und Stärke waren das er-ste, was ihm an dem Anrufer ins Auge stach.Für einen Moment faszinierte ihn das Spielder Muskelpakete unter der Kombination,danach sah er nur noch die funkelndenRaubtieraugen. Sie waren bar jeder Regung,doch ihr Blick brannte bis tief auf der Seele.

»Ko-Yoo-Temm an die unbekannten Ein-dringlinge. Kehrt um, oder ihr werdet ver-nichtet.«

»Torpedos?«»Klar zum Ausstoß!«»Die Beiboote?«»Bereit. Die Energie beginnt zu pulsie-

ren.«»Geschwindigkeit?«»Mit etwas Glück schaffen wir den

Sprung hinter die Verteidiger.«»Ihr habt eine halbe Rou Zeit, euch zu

entscheiden«, dröhnte der Fermyyd von derBildwand herab.

Lissner hatte schon lange vorher seineEntscheidung getroffen. Seine Befehle ka-men knapp und präzise.

Dutzende Torpedos rasten in die Phalanxder Regenbogenschiffe. Sie trugen keineSprengsätze, sondern syntronische Störsen-der, die für kurze Zeit die gegnerischen Or-tungen beeinträchtigen sollten.

Unmittelbar darauf folgten die unbemann-ten Beiboote, vollgepumpt mit Energie. IhreExplosion sollte zusätzliche Verwirrungschaffen und die Fermyyd auseinandertrei-ben.

Das alles würde Sache weniger Minutensein. Mehr Zeit stand nicht zur Verfügung.Nach allem, was er bisher über die Fermyydgehört hatte, kalkulierte Lissner die zu er-wartenden eigenen Verluste auf bis zu 50

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Prozent. Aber das hatte er niemandem vor-her gesagt. Abgesehen davon, würde sichwohl kein Imprint-Süchtiger durch die Vor-stellung des nahen Todes von der Jagd nachneuen Waren abhalten lassen.

Die Torpedos explodierten, bevor die vonKo-Yoo-Temm gesetzte Frist verstrichenwar.

»Störstrahlung aktiv! Unsere eigene Be-einträchtigung hält sich in Grenzen.«

Für Jubel war keine Zeit. Im Torresch-Sy-stem flammte ein Dutzend neuer Sonnenauf. Gleichzeitig begann das befürchteteEnergiegewitter; die Verteidiger feuerten aufdie Unither – mit allem, was sie aufzubietenhatten.

Die KALLASTO beschleunigte wie dieübrigen Einheiten mit Wahnsinns werten.Lissner hatte sogar vorübergehend die Ener-gien der Waffensysteme umleiten lassen.

Die ersten Schiffe verschwanden imHyperraum.

Zwei neue expandierende Glutwolkenentstanden. Die SNOGGAR und eines dergrößeren Schiffe waren dem Punktbeschußder Fermyyd zum Opfer gefallen. Mit flam-menden Schirmfeldern raste die KALLA-STO hinein in das Trümmerfeld. Lissner re-gistrierte noch die glühenden Wrackteile aufdem Schirm, dann wurde das Flaggschiffvon einer Titanenfaust erfaßt und herumge-wirbelt. Nichts von alldem, was bis ebenwichtig erschienen war, existierte in dernächsten Sekunde noch; mit einer vernich-tenden Woge aus Licht und Lärm brach dasChaos über die Unither herein.

Vorbei! Lissner fühlte weder Schmerznoch Bedauern. Dann war nichts mehr.

*

Wie es aussah, hatten nur achtzehn Schif-fe den Durchbruch auf Anhieb geschafft,aber einige von ihnen wiesen empfindlicheSchäden auf.

In den ersten Minuten wird jeder auf sichselbst angewiesen sein. Macht das Bestedaraus! Dieser Ausspruch des Kommandan-

ten dröhnte Calmeg noch in den Ohren, alser die GABRET in die äußere Lufthülle desPlaneten steuerte, viel zu schnell und viel zusteil. Aber er mußte das Schiff nach untenbringen, ehe die Fermyyd nachsetzten.

Ein Notruf. Weniger als 100.000 Kilome-ter entfernt torkelte die MORO der Con-tainerwelt entgegen. Zwei Regenbogenschif-fe folgten ihr in einer Zangenbewegung.

Sekunden später existierte die MOROnicht mehr.

»Sie sind Bestien!« hörte Calmeg jeman-den rufen. »Sie töten selbst Wehrlose.«

Wie ein Meteor raste die GABRET derOberfläche entgegen, einen gigantischenSchweif ionisierter Gase hinter sich und wil-de Orkane entfesselnd. Die Absorber wim-merten, als Calmeg die Impulstriebwerkezündete.

Der Südpol. Kurs auf den Äquator. Hun-derte künstlicher Inseln in der Ortung, aberin diesem Bereich kein Schiff der Akonen.Egal! Calmeg konnte den Landeplatz nichtmehr auswählen.

Die See kochte, als er viel zu hart aufsetz-te. Dicht neben einem der hohen trichterför-migen Bauwerke.

Die GABRET hatte ihr Ziel erreicht. Aberwelche Schiffe außer ihr?

Im planetennahen Raum wurde gekämpft.Der Hyperäther hallte wider von verzweifel-ten Notrufen.

»Zwei Fermyyd-Schiffe! Über uns!«Einen Augenblick lang die bange Frage,

ob die Fermyyd das Feuer eröffnen würden.Zögernder Jubel, als das nicht geschah.

»Wir haben es wirklich geschafft. Sieschrecken davor zurück, die Plattformen zubeschädigen.«

»Bei allen Grats von Unith, da ist etwas!Sie sind aus den Schiffen abgesprungen!«

»Energieabfall im Schirmfeld!«Calmeg ahnte, was geschehen war. Die

Fermyyd hatten blitzschnell reagiert. Ver-mutlich waren sie mit Hilfe von Antigravag-gregaten auf der Plattform gelandet und bra-chen Strukturlücken ins Schirmfeld.

An mehreren Schleusen detonierten

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schwere Sprengladungen. Sogar in der Zen-trale waren die Explosionen zu vernehmen.Die Fermyyd stürmten das Schiff. Auf denSchirmen der Internbeobachtung erschienensie als monströse Kolosse, die sich mit enor-mer Geschwindigkeit bewegten. Den erstenWiderstand überwanden sie mit brachialerGewalt. Obwohl die Unither nicht gerade alsschwächlich zu bezeichnen waren, mußtensie zurückweichen.

Die Feuergefechte weiteten sich aus. Auf-zuhalten waren die Fermyyd nicht, wenn-gleich erstmals einige von ihnen verwundetoder getötet zurückblieben. Auf ihren vierBeinen stürmten sie mit enormer Geschwin-digkeit voran.

Daß Calmeg die Antigravschächte stilleg-te, hielt die Angreifer nicht auf, brachte aberdie eigenen Leute in Bedrängnis. Die GAB-RET hallte wider von den Todesschreien derUnither. Selbst Roboter waren gegen die At-tacke der Fermyyd keine große Hilfe.

Als die Angreifer das Hauptdeck erober-ten, wurde die Zentrale abgeschottet unddurch einen Energieschirm gesichert. DochCalmegs Hoffnung, die Fermyyd zu Ver-handlungen zwingen zu können, erfüllte sichnicht; er gewann lediglich ein paar MinutenAtempause. Dann brach das Schirmfeld zu-sammen, die Schotten wölbten sich rotglü-hend nach innen und platzten unter dem An-sturm der blauschwarzen massigen Leiber.

Was er jetzt noch retten konnte, war daseigene nackte Leben. Die Arme um denRüssel erhoben, stand der Pilot inmitten derZentrale und blickte den Fermyyd entgegen.

»Wir kapitulieren«, sagte er. Sein Trans-lator übertrug die Worte ins gebräuchlicheHamsch.

Ein Fermyyd fauchte ihn an. Aus der Nä-he wirkten diese Wesen noch weitaus be-drohlicher.

»Galaktiker, ihr habt den Kampf gewählt,ihr werdet sterben wie Kämpfer!«

Der Fermyyd wandte sich ab. Aber Cal-meg atmete zu schnell auf. Der eben nocheingerollte kräftige Schwanz peitschte aufihn zu, so schnell, daß er zu keiner abweh-

renden Reaktion mehr fähig war. Ein furcht-barer Hieb, der für jedes schwächere Wesentödlich gewesen wäre, fegte Calmeg von denBeinen; im gleichen Moment fuhr der Fer-myyd herum, und seine Hauer durchbrachenden Brustkorb des Unithers.

Der Pilot der GABRET war auf der Stelletot.

*

Zuckende, prasselnde Flammen und zumHusten reizender Qualm holten ihn aus demJenseits zurück. Seine Augen tränten, derRüssel war verschwollen und ließ kaumnoch Luft durch. Auf Ellenbogen und Knienstemmte Lissner sich hoch und schüttelteeinen Wust von Splittern von sich ab. SeinKörper war zerschunden, wohl kaum eineStelle, die nicht schmerzte, und Blut tropftevon seinen Händen.

Zum erstenmal in seinem Leben verfluch-te er die Tatsache, daß intelligente Wesensich bekriegen mußten.

Nichts in diesem Universum war es wert,daß Leben dafür geopfert wurde.

Doch. Imprint-Ware!»Ausfallmeldung?«Keine Antwort.»Syntron, wie steht es um das Schiff?«Ein unverständliches Krächzen, mehr

nicht. Dafür hektisch aufblinkende Kontrol-len. Die Konverter würden durchgehen.

»Wir müssen in die Boote. Beeilt euch!«Nur die Notbeleuchtung brannte. Das fah-

le rötliche Licht erinnerte an ein Leichen-tuch. Lissner war froh darüber, daß er dieToten und Verstümmelten jetzt nicht sehenmußte. Jede Auseinandersetzung mit Waf-fengewalt war grausam.

Zausoff stand plötzlich neben ihm. DerJunge stand unter Schock, andernfalls hätteer die Schmerzen kaum ertragen, die ihmsein aufgerissener Rüssel bereiten mußte.Lissner stützte ihn, gemeinsam stiegen sieüber die Trümmer hinweg. Viele hattennicht überlebt. Es grenzte überhaupt an einWunder, daß die KALLASTO nicht sofort

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explodiert war; wahrscheinlich hatte sie dieWrackteile nur gestreift.

Lissner half dem Jungen in einen Raum-anzug. Zausorf wimmerte jetzt leise.

Weiter, zu den Hangars mittschiffs. DerBugbereich war abgeschottet. Lissner zwei-felte nicht daran, daß niemand im Vorschiffüberlebt hatte. Der Vakuumeinbruch war inGedankenschnelle gekommen.

Chaos und Zerstörung überall. Ohne dieRaumanzüge hätten sie nicht einmal mehrden brennenden Korridor durchqueren kön-nen, hinter dem die Abzweigung zu denHangars lag.

Plötzlich Schreie im Helmfunk, die Auf-forderung zu schießen. Dann ein Gurgeln.

»Diese Bestien! Seht euch vor ihren Pran-ken vor! Laßt sie nicht durchbrech …«

»Hier spricht Lissner. Was ist los?«Ein kurzes Zögern. Dann: »Die Fermyyd

sind eingedrungen und töten alle. Wir kön-nen sie nicht aufhalten.«

»Bringt euch in Sicherheit, geht in dieBoote! Es gibt nichts mehr, was zu verteidi-gen lohnt.«

»Wir kämpfen, Kommandant, wir …« EinAufschrei, der angetan war, LissnersNackenborsten aufzurichten, danach Stille.

Das Hangarschott schwang auf. Lissnerdirigierte den Jungen auf das nächste linsen-förmige Beiboot zu. Vor ihm rannten nochdrei Überlebende.

»Das Innenschott schließen!«Keine Energie mehr.Lissner hastete an den anderen vorbei.

Noch waren sie nicht gerettet, jeden Augen-blick konnte die KALLASTO verglühen,oder die Fermyyd stürmten den Hangar.

Im Pilotensitz kauerte eine einsame Ge-stalt. Andremon.

»Ich wollte starten«, stammelte er, »aberich kann nicht. Ich will nur noch sterben.«

»Geh zur Seite!« herrschte Lissner ihn an.Schwerfällig winkte Andremon ab. »Der

Tod ist wie eine Erlösung. Trotzdem fürchteich ihn. Sag mir, was kommt danach?«

»Du wirst es bald wissen, wenn du michnicht hinter die Kontrollen läßt.« Lissner

schlug zu. Seine Faust klatschte gegen An-dremons Rüsselansatz und ließ ihn wie vomBlitz gefällt zusammenbrechen.

Das Außenschott reagierte nicht auf denÖffnungsimpuls. Lissner feuerte aus denThermogeschützen. Sprunghaft schnellte dieTemperatur im Hangar in die Höhe.

In dem Moment, in dem das rotglühendeSchott sich nach außen wölbte und durch-brach, erschienen die ersten Fermyyd imHangar. Die explosionsartige Dekompressi-on wirbelte die Angreifer hinaus ins All.

Lissner beschleunigte das Beiboot mitHöchstwerten. Der Weltraum in weitemUmkreis schien zu brennen, die Ortungenzeigten ein riesiges Trümmerfeld. Die Flotteder Unither – vernichtet.

Einige hunderttausend Kilometer hinterdem Beiboot wurde die KALLASTO zu ei-nem hell strahlenden Stern.

Lissner wählte einen Kurs, der ihn weg-führte von den Regenbogenschiffen. Erdachte nicht mehr an Imprint-Waren – alshätte der Schock, auf einen übermächtigenGegner getroffen zu sein, ihn geheilt.

Im Augenblick war er der einsamste Uni-ther in Hirdobaan.

10.

Zwischen Schlafen und Wachen, zwi-schen Hoffnung und beinahe heiterer Gelas-senheit hatte Grozzer den Kampf der Fer-myyd gegen die Unither verfolgt, und er sahseine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.Den Fermyyd Paroli zu bieten bedeutetenicht mehr und nicht weniger, als den eige-nen Tod in Kauf zu nehmen.

Entsprechend ungute Gefühle hegte er, alsKo-Yoo-Temm ihm erneut an Bord derAKONIA entgegentrat. Der Ferm-Kommandant hatte sich zu seiner imposan-ten Größe aufgerichtet, aber er wirkte nichteinen Moment lang schwerfällig. Geschmei-dig bahnte er sich seinen Weg durch dieZentrale, und ein leicht anmutender Pran-kenhieb zerschmetterte ein Terminal.

»Die beiden Schiffe wurden zerstört!« rief

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er dröhnend. »Viele Fermyyd mußten ihrLeben lassen. – Ich will wissen, warum.«

Grozzer wich zurück, er strauchelte,stürzte, raffte sich wieder auf. Panik erfüllteihn. Auf allen vieren wich er vor dem Kom-mandanten zurück. Dabei erkannte er mit ei-nem letzten Rest von Vernunft, daß er selbstdurch seine Reaktion den Verdacht auf sichlenkte.

Ko-Yoo-Temm war zurückgekommen,um Fragen zu stellen, aber nicht, um aus Ra-che töten. Noch nicht.

»Ich … weiß nicht«, keuchte Grozzer. Erwar mit dem Fermyyd allein in der großenZentrale; die wenigen Akonen, die bislangausgehalten hatten, waren Hals über Kopfgeflohen. Sie hatten ohnehin nur noch wieSchatten ihrer selbst gewirkt, regungslos,wortkarg und in sich gekehrt.

»Die Schiffe wurden von euch zerstört,und wir haben viele tote Fermyyd zu bekla-gen. Seit einigen hundert Jahren gab es inunseren Reihen keine so hohen Verlustemehr.«

»Nein.« Grozzer schüttelte heftig denKopf. »Es … es war ein Unfall. Bestimmt.«

Er lag auf dem Rücken, den Oberkörperauf den Unterarmen leicht abgestützt. Hochüber sich sah er das verzerrte Raubtierge-sicht, die gefletschten Lefzen. Sich herum-werfen und davonhetzen, alles hinter sichlassen … Ein vergeblicher Wunsch, dennschon packte Ko-Yoo-Temm ihn mit beidenHandlungsarmen und wirbelte ihn hoch.

Grozzer gurgelte erstickt, schlug mit Ar-men und Beinen um sich. »Ich … habenichts … damit zu tun!« stieß er keuchendhervor.

»Aber du weißt, was geschehen ist?«Er war nur eine hilflose Puppe in den Fän-

gen eines Monstrums. Mit einem einzigenPrankenhieb konnte der Fermyyd ihn töten.

»Die Fesselschaltung … Die Admiralinist verantwortlich. Unsere Schiffe explodie-ren, wenn sie nicht alle … alle dreizehnStunden einen Kode-Impuls abschickt.«

Speichel tropfte von Ko-Yoo-TemmsReißzähnen. Mit einer unwilligen Bewegung

warf er den Terraner von sich. Grozzerkrachte gegen eine Konsole und hatte vor-übergehend das Gefühl, sich sämtliche Kno-chen gebrochen zu haben. Liegenbleibenund auf das Ende warten – nichts andereswollte er in dem Moment.

»Werden alle Schiffe vernichtet, wenn derKode ausbleibt?«

Schon war der Fermyyd wieder über ihm.»Ja!« schrie Grozzer. »Ja, verdammt! Wiralle werden eines Tages draufgehen.« Dannschwanden ihm die Sinne.

*

Rhiad Hergel war vor wenigen Minutenerst mit einer Dosis Anti-Tag gegangen, des-halb glaubte Stomal Zystaan im ersten Mo-ment, er sei zurückgekommen, um einigeDinge mit ihr zu besprechen. Aber die mon-ströse, bepelzte Gestalt unter dem Schott,das war nicht Rhiad.

Jäh aus der Betrachtung ihres Imprint-Würfels aufgeschreckt, prallte die Akoninzurück. Der Würfel polterte zu Boden, rolltedem Fremden fast vor die Füße. Er achtetenicht darauf.

Ein Fermyyd? Natürlich. Dunkel entsannsie sich, als läge alles schon unendlich weitzurück. War er gekommen, die überzähligenWürfel zu holen, die den Männern von derBERKIA zugestanden hätten, jenen, die alserste versucht hatten, sich gewaltsam zu be-reichern?

»Was willst du?« herrschte sie den Fer-myyd an. Ihre Rechte tastete nach dem Ther-mostrahler.

Der ungebetene Besucher war schneller.Schmerzhaft schlug er ihre Hand zur Seite.Stomal Zystaan mußte an sich halten, umnicht aufzuschreien.

»Du hast viele Fermyyd getötet …«»Ich?« Sie lachte dem Fremden ins Ge-

sicht. »Ich kann mich nicht erinnern. Undwennschon …«

»Gib mir die Kodes.«»Nein.« Die Admiralin schüttelte den

Kopf. »Nein. Lieber sterbe ich.«

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»Gib mir die Kodes!« Ganz nahe war ihrjetzt der riesige Raubtierschädel. Mit denmächtigen Hauern stieß der Fermyyd sie an.

Stomal quollen schier die Augen aus denHöhlen. Zum erstenmal in ihrem Lebenspürte sie, wie Angst in ihr emporstieg.

Ohne länger zu zögern, ging sie zu demgrauen Tresor. Nacheinander schaltete siedie Sicherungsvorkehrungen ab, von denenman sich an Bord wahre Wunderdinge er-zählte. Sie selbst hatte diese Gerüchte unterdie Leute gebracht.

»Öffne endlich!« befahl der Fermyyd.Ein letztes Mal zögerte die Admiralin.

Dann ließ sie die Tür aufgleiten.

*

Grozzer erwachte von heftigen Schlägenins Gesicht, die ihn aus einem seiner schön-sten Träume rissen. Frei und leicht wie einVogel hatte er sich im lauen Abendwindüber eine wunderschöne Welt tragen lassen…

»Woher hast du das?« Wieder klatschteScherckel ihm die flache Hand ins Gesicht.»Verdammt, Terraner, komm endlich zudir!«

»Was?« stammelte Grozzer benommen.»Woher?«

»Das hier.« Scherckel hielt ihm mehrereSchreibfolien unter die Nase. »Die Kodes!«

Grozzer reagierte immer noch schlaftrun-ken. Mit beiden Händen massierte er sichdie Schläfen, dann stutzte er. »Der Fermyyd…?«

»Was kümmert mich der Kerl.« Ankla-gend verdrehte Scherckel die Augen. »Wennich mich nicht irre«, er wedelte mit den Foli-en in der Luft herum, »sind das hier die Ko-des der Fesselschaltungen. Woher hast dusie?«

Abrupt fuhr Grozzer hoch.»Ich habe keine Ahnung.« Er zerrte dem

Adjutanten die Blätter aus der Hand undüberflog sie kurz. »Du hast recht«, brachteer halb erstickt hervor. »Alle Schiffe sindverzeichnet. Aber – das kann nur der Ferm-

Kommandant gewesen sein.«»Weshalb sollte ausgerechnet Ko-

Yoo-Temm uns die Kodes geben? Aus rei-ner Nächstenliebe?«

»Was weiß ich?« Grozzer reagierte ge-reizt. Im nächsten Moment wandte er sich anden Syntron und fragte gezielt nach neuenAktivitäten der Fermyyd.

Die Antwort war verblüffend einfach.Zwei weitere Kugelraumer, die NEETA unddie BERKIA, wurden soeben von ihren Be-satzungen evakuiert. Ko-Yoo-Temm holtesich die Schiffe als Ersatz, und diesmal wür-de ihm kein Fehler unterlaufen.

Eineinhalb Stunden später starteten beideRaumer mit ihrer neuen, nichthumanoidenBesatzung.

Die Ortungen zeigten, daß die Regenbo-genschiffe nach wie vor im Orbit um Torre-sch verharrten.

»Sie warten immer noch«, murmelteScherckel. »Ich möchte wissen, worauf.«

»Wir werden es erfahren, sobald die Zeitreif ist«, meinte Grozzer. »Hilf mir lieber,bevor Stomal ihre Kodes zurückfordert.«

436 Schiffe – auch die AKONIA wardurch eine Fesselschaltung auf Gedeih undVerderb mit dem Schicksal der Admiralinverbunden. Unter normalen Umständen hät-ten die beiden Adjutanten keine Stunde be-nötigt, um alle Notizen aufzuarbeiten, dochwas war wirklich normal? Müdigkeit undEuphorie wechselten einander ab, und man-che Stunde dehnte sich endlos.

Der Kode hatte regelmäßig gewechselt.Außerdem gab es eine Kombination für je-des Schiff, die generell desaktivierte. Ähn-lich dem Gegengift Anti-Tag, das in höhererDosis ein für allemal immunisierend wirkte.

Mit jedem Raumer, den sie gemeinsamvon der Fesselschaltung befreiten, fühlteGrozzer sich ein klein wenig glücklicher.Bis ihm auffiel, daß die Zeit knapp wurde.Von da an verdoppelten sie ihre Anstrengun-gen, und sie schafften das schier Unmögli-che: Zehn Minuten vor Ablauf der13-Stunden-Frist war das letzte Schiff be-freit.

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»Diesmal«, Scherckel grinste breit,»haben wir uns unsere Ampulle Anti-Tagwirklich verdient.« Das Grinsen gefror umseine Mundwinkel, er stöhnte unterdrücktund krümmte sich unter den plötzlich auftre-tenden krampfartigen Schmerzen. Deutlicherhätte er kaum daran erinnert werden können,daß es höchste Zeit war für das Gegengift.In der Euphorie, der Admiralin eins auszu-wischen, hätten sie sich beinahe selbst ver-gessen.

»Was geschieht, wenn sie erfährt, was wirgetan haben?« fragte Scherckel.

»Wer sollte es ihr verraten? Ich bin dochnicht lebensmüde.«

Sie warfen die Folien in den nächsten Ab-fallvernichter.

Vor Stomal Zystaans Kabine trafen sieauf den Chefwissenschaftler Furthero unddie Erste Pilotin Djudiess. Beide hattenschon Schwierigkeiten, sich noch auf denBeinen zu halten. Das Gift, wenn es nicht re-gelmäßig in seiner Wirkung gehemmt wur-de, zersetzte sehr schnell das zentrale Ner-vensystem.

Djudiess fuchtelte mit einer Impulswaffeherum. »Die Admiralin öffnet nicht«, stöhn-te sie. »Aber ich brauche das Mittel.«

Sie schoß und nahm den Finger erst vomAuslöser, als Teile des Schottes zähflüssigzu Boden tropften. Der Rest glitt halb in dieWand zurück.

Ungeachtet der sengenden Hitze drang diePilotin in die Kabine ein. Sekunden spätergellte ihr Schrei durch den Korridor, gleichdarauf begann sie wie irr zu lachen.

Grozzer und die anderen zögerten nichtlänger.

Stomal Zystaan lag mitten in ihrer Kabi-ne. Tot. Die unnatürlich verkrümmte Hal-tung ließ vermuten, daß kaum noch ein ein-ziger Knochen in ihrem Leib heil war.

Aber darauf achtete niemand mehr. DerTresor stand offen, und das Gegenmittel warda. Ausreichend, um alle Abhängigen fürimmer von dem Alptraum zu befreien.

Voll Verachtung blickte Djudiess die Totean. »Du hast uns nur gequält, Stomal Zy-

staan. Ich hoffe, du schmorst auf ewig in derHölle. – So sagt ihr Terraner doch, oder?«

»Ich werde die Roboter rufen, damit sieden Leichnam beseitigen«, erwiderte Groz-zer an Stelle einer Antwort.

*

Das Leben auf Torresch oder vielmehr anBord der Raumschiffe normalisierte sich.Bei Rundgängen traf man kaum noch andereBesatzungsmitglieder. Fast alle hatten sichinzwischen in ihre Kabinen zurückgezogenund träumten in den Tag hinein.

Auch Grozzer träumte, sobald er sich aufseinen Imprint-Würfel konzentrierte. Einschöneres Gefühl konnte es nicht geben.

Dennoch wurde ihm allmählich klar, daßes so nicht ewig weitergehen konnte. Irgend-wann würden die Vorräte aufgebraucht sein– falls Hamamesch oder Fermyyd nichtschon lange vorher entschieden, die ungebe-tenen Gäste einfach zu entfernen.

Vielleicht war es möglich, die hochauto-matisierten Schiffe auch ohne Besatzungen,nur mit Syntronik-Hilfe, in den Raum zubringen. Grozzer fühlte sich mehr denn jegefordert: Er entwickelte Pläne, verwarf siewieder, erstellte neue Szenarien. Und end-lich wußte er, was zu tun war.

Scherckel mußte ihm helfen. Aber derAkone hatte sich seit Stunden nicht mehrblicken lassen.

Scherckels Kabine war verlassen. Weitkonnte er jedoch nicht gegangen sein, sonsthätte er seinen Imprint-Würfel nicht zurück-gelassen.

Grozzer hob den Würfel auf. Er spürtenichts dabei, es war ein völlig durchschnitt-licher Würfel.

Als Scherckel auch nach einer Stundenicht zurückgekehrt war, machte der Terra-ner sich auf die Suche nach ihm. Er trafnicht viele Männer und Frauen, und nie-mand hatte eine Ahnung, wohin Scherckelgegangen sein konnte.

Schließlich wandte er sich an die Syntro-nik.

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Der Bordrechner behauptete steif und fest,Scherckel habe das Schiff nicht verlassen,nicht einmal seine Kabine. Ein Versuch, denAkonen über Interkom anzusprechen, schlugfehl.

»Scherckel hält sich in seiner Kabineauf«, behauptete der Syntron. »Das ist defi-nitiv.«

»Ist es ebenso definitiv, daß drei weitereBesatzungsmitglieder vermißt werden?«fragte Grozzer.

Während seiner Suche hatte er davon ge-hört, aber keine Parallele zu Scherckels ver-meintlichem Verschwinden gesehen. DieFrau, die ihm das berichtet hatte, hatte ohne-hin wie eine Schlafwandlerin gewirkt.

»Ich weiß nichts davon«, erwiderte derBordrechner. »Mir ist kein Fall spurlosen

Verschwindens bekannt.«Was kümmert mich das alles? dachte

Grozzer unvermittelt. Morgen ist auch nochein Tag, bis dahin wird Scherckel sich wie-der eingefunden haben.

Er war müde und frustriert.In seiner Koje lag er lange wach und

starrte zur Decke empor. Bis er ein seltsa-mes schwebendes Gefühl verspürte, soleicht, als ob er gleich davonfliegen würde,wie ein Vogel, der sich jubelnd in die Lüfteschwang.

Die Datumsanzeige verschwamm vor sei-nen Augen.

Der 10. August 1220…

E N D E

Mit einem vernichtenden Feuerschlag haben die Fermyyd bewiesen, daß sie nicht zu Un-recht als Schutztruppe in Hirdobaan gefürchtet sind. Aber welches Geheimnis steckt hinterden merkwürdigen Würfeln, die an die Akonen verteilt wurden?

Im nächsten PERRY RHODAN-Band blendet die Handlung um zu Atlan und Ronald Teke-ner, die immer noch bei den Crypers sind – H. G. Francis beschreibt ihre Abenteuer in sei-nem Roman

VERRAT AUF AMBRAUX

52 Hubert Haensel

Page 53: Die Outlaws von Unith

Computer: Imprint-Würfel

Rufen wir uns bei den aufgetauchten Imprint-Wür-feln die wichtigsten Fakten, die sich nun neu ergebenhaben, noch einmal ins Gedächtnis. Auf die Unter-schiede zwischen den Imprint-Würfeln und den frühe-ren Imprint-Waren haben wir schon hingewiesen. Da-neben steht aber eins fest: Die Imprint-Würfel wirkennicht anders auf die Galäktiker als die bereits bekann-ten Imprint-Waren. Sie machen erst süchtig und dannglückselig. Aber das kann doch nicht alles sein. Be-leuchten wir also die noch dürftigen Erkenntnisse undsuchen nach Spuren, die zu neuen Überlegungen füh-ren könnten.

Imprint-Würfel haben eine Kantenlänge von zwölfZentimetern. Sie bestehen aus einer unbekanntenMetallegierung. Die Farbe schwankt je nach Lichtein-fall zwischen Rot- und Gelbtönen. Aus dem Innerenheraus scheint eine schwache Lichtquelle zu glim-men. Die Außenflächen der Würfel sind jedoch völligundurchsichtig, so daß man in dem Glimmeffekt einereine Materialeigenschaft sehen muß. Wir wissen,daß einmal auf dem Containerplaneten Torresch sol-che Würfel aufgetaucht sind und daß diese Objekteden psionischen Imprint tragen.

Andererseits haben Teaser Kroom und Gyrengo anBord der Raumschiffe der Kschuschii-Flotte ebenfallsWürfel gefunden, die irgendwann von Unbekanntenhierhergebracht worden sein müssen. Beide Sortenvon Würfeln sind äußerlich gleich, sie scheinen ausdem Inneren zu glimmen. Aber die Funde von Kroomund Gyrengo scheinen keinen Imprint zu besitzen.Auch gibt es keine Hinweise darauf, ob diese Objektejemals einen solchen besaßen. Wir erinnern uns, daßin den ersten Hamamesch-Basaren äußerlich gleicheWaren angeboten worden sind, von denen einige Im-print-Stücke waren, andere jedoch nicht.

Daß auch diese Würfel aus dem Inneren zu glim-men scheinen, macht deutlich, daß es sich hier nichtum einen energetischen Vorgang handeln kann. DieObjekte müssen schon viele Jahre an Bord derRaumschiffe gewesen sein. Wenn sich in ihnen eineEnergiequelle befunden hätte, wäre diese längst erlo-schen.

Ein anderer Punkt gibt Anlaß zum Nachdenken. Inden Containern, die auf Torresch aufgetaucht sind,herrschte zunächst eine extrem niedrige Temperaturvon -134,1 Grad Celsius. Behälter und Inhalt nahmenjedoch in der unglaublich kurzen Zeitspanne von nurzwei Minuten die Temperatur der Umgebung an. ZweiFragen ergeben sich daraus: Was bedeutet die niedri-ge Temperatur? Handelt es sich um einen Konservie-rungseffekt? Oder um etwas ganz anderes? Die zwei-te Frage ist diese: Wie können Körper in so kurzerZeit eine so große Wärmeenergie aufnehmen? Physi-kalisch ist das nahezu unmöglich. Auffällig ist ferner,daß ähnliche Erscheinungen bei den früheren Imprint-Waren nicht vorhanden waren.

Auch wenn die Galäktiker nun auf die Imprint-Wür-fel genauso reagieren, als wären es die ihnen be-kannten Imprint-Träger, so ist doch im Ansatz erkenn-bar, daß es irgendwelche Unterschiede geben muß.

Damit drängt sich der Verdacht auf, daß die Imprint-Würfel auch ein anderes, möglicherweise zusätzlichesZiel haben. Wie eingangs erwähnt, Spekulationendarüber wären verfrüht.

Allein Teaser Kroom und Gyrengo können ein we-nig spekulieren, auch wenn sie nichts Konkretes her-ausgefunden haben. Sie wissen nicht einmal, ob eseinen Zusammenhang zwischen ihren Funden unddem Geschehen in Hirdobaan gibt. Wenn TeaserKroom und Gyrengo zu der Ansicht kommen, daß dieKschuschii-Raumer vor etwa 800 Jahren nach Hirdo-baan kamen, um Gegenstände zu kaufen, die Flügelverleihen, dann können damit doch eigentlich nur Im-print-Waren gemeint sein. Die Parallele zum Verhal-ten der süchtigen Galäktiker drängt sich förmlich auf.Seltsamerweise gibt es von den Kschuschii-Fisch-quallen keine Überlebenden mehr. Nur ihre Technikhat sich an vielen Orten des Grencheck-Oktanten er-halten.

Diese Wesen nach dem damaligen Geschehen zubefragen ist daher unmöglich. Aber man muß dieÜberlegung anstellen, wie und wohin eine so großeZahl von Lebewesen verschwunden sein kann. Undweiter muß man sich fragen, ob nicht alles Zufall ist.Möglicherweise ist die erwähnte Parallele gar keine.Und möglicherweise gibt es gar keinen Zusammen-hang zwischen den Kschuschii-Würfeln und denenvon Torresch.

Nun aber sind an Bord der AKONIA einige Besat-zungsmitglieder verschwunden. Da ist die Paralleledoch wieder! Die Fischquallen sind alle verschwunden… Und nun?

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