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Die Prinzessin und der Kreuzritter

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Helen Perkins Band 11

Die Prinzessin und der Kreuzritter von Helen Perkins

Sie folgte seinen Spuren bis in den Orient.

»Ach, liebe Edeltraude, was freu' ich mich, das so lang vermisste Hei­matland endlich wieder sehen zu dürfen! Den Neckar in seinem Bett murmeln zu hören und die großen grauen Wächter der Alb, wie sie schon von ferne grüßen!« Prinzessin Renate von Württemberg-Hohenzollern, ein junges Adelsfräulein, eben zwanzig geworden, auf der Schwelle zur Frau und doch noch mit dem Liebreiz kindlichen Ü­berschwangs, beugte sich weit aus dem dunklen Kutschwagen und lachte mit der Frühlingssonne um die Wette. Jahre hatte sie in der Fremde zubringen müssen, erzogen und aufs Leben vorbereitet von den strengen Schwestern ihrer Heiligen Jungfrau in Tours, im französi­schen Königtum. So war es Sitte für ein hochgeborenes Kind im drei­zehnten Jahrhundert nach Christi, denn die Kindheit endete in dieser Zeit früh. Die Armen starben jung oder schufteten sich tot, die Reichen aber standen im strengen Regiment von Klasse, Zucht und Ordnung. Oft hatte das kleine Prinzesschen sich die Augen ausgeweint vor Heimweh und Einsamkeit in der kargen Zelle, hinter den dicken Klos­termauern. Renate war eigenwillig und von lebhafter Klugheit, sie hat­te sich nicht leicht fügen gelernt. Doch nun war es vollbracht, die Jah­re der Erziehung lagen hinter ihr und heim ging es, auf die geliebte Alb, ins Schloss der Hohenzollern bei Tübingen.

Die einzige geduldige Begleitung durch all die Jahre des Lernens und Leidens hindurch war die treue Kammerzofe Edeltraude, selbst von hoher Geburt, war es ihr doch eine Ehre, der Fürstentochter die­nen zu dürfen. Auch wenn die beiden Damen viele Lebensjahre trenn­ten, war Edeltraude im Laufe der Zeit doch zu Renates bester Freundin und engster Vertrauter geworden. Sie betrachtete das schöne Fräulein lächelnd und freute sich mit ihr aufs Heimkommen. Als die Prinzessin sich nun wieder manierlich niedersetzte, glänzte ihr ebenmäßig schö­nes Antlitz rosig überhaucht. Die tiefblauen Augensterne blitzten vor Vergnügen und sie rief frohgemut aus: »Schon bald sind wir am Ziel. Freust du dich auch so sehr? Ich mein fast, den Obstgarten schon zu riechen in seiner süßen, frühlingshaften Pracht.«

Edeltraude schmunzelte. »Ihr verfügt über eine rege Einbil­dungskraft, Durchlaucht. Ich furcht', nicht einmal die strengen Nonnen konnten Euch diese austreiben. Aber wenn Ihr jetzt wieder heim­

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kommt, sollte es aus sein mit dem Spintisieren. Denn nun seid Ihr eine Dame, kein Kind mehr.«

»Ach, sei nicht so streng mit mir, gute Edeltraude. Ich freu' mich halt gar so sehr, die Eltern wieder zu sehen und alles, was mir so lang schmerzlich fern gewesen ist.«

»Das versteht niemand so gut wie ich«, versicherte die Zofe. »A­ber ich muss zu Euch von den Dingen sprechen, die nun Eurer harren. Das Heimkommen ist nicht mehr das Gleiche wie das Fortfahren. Auf dem Schloss werdet Ihr Verehrer haben, die Minnesänger wollen Euch gewiss die Sinne verwirren. Und Ihr solltet all dies nicht unvorbereitet erleben.«

Renate lachte unbekümmert. »Die jaulenden Hunde am Abend stören mich nicht. Ich schließe meine Kemenate eben gut zu. Und was die Verehrer betrifft; noch lange denk ich nicht daran, meine Gunst und Hand zu verschenken. Ich bin jung und möchte ein wenig das Leben genießen. Meine Schwestern haben bereits den Brautkranz ge­tragen, mir aber soll's noch Zeit haben!«

Die Zofe lächelte milde, denn schon wieder unterbrach eine ver­traute Aussicht das Gespräch. Edeltraude sorgte sich ein wenig um die Prinzessin, der sie nicht nur Dienerin, sondern auch mütterliche Freun­din war. Allzu unbekümmert packte Renate das Leben an, gerade so, als sei es ein harmloses Spiel, das man nur gewinnen konnte. Doch es schien nun auch wenig Sinn zu haben, auf die junge Dame einwirken zu wollen. All ihr Sinnen und Trachten richtete sich auf die Ankunft daheim. Da blieb fürs Mahnen und Raten auch später noch Zeit...

Und nun kam auch endlich das Stammschloss der Hohenzollern in Sicht. Trutzig thronte der imposante Bau über dem kleinen Flecken Tübingen am Neckar. Hatte man die verwinkelten Gassen passiert, so klomm der Burgweg steil empor. Der Kutscher hatte seine liebe Not, den Pferden diesen mühsamen Aufstieg schmackhaft zu machen. Ein tiefer Graben umgab das mächtige Gebäude, dahinter stieg die Ring­mauer, auch Zingel genannt, in die Höhe. Das große Schloss gab sich nach außen hin wehrhaft wie eine Raubritterburg, auch wenn man hier schon lange keine feindlichen Angriffe mehr erlebt hatte. Doch ließ man all die trutzige Wehr hinter sich, so öffnete sich ein weiter Platz

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dem Auge, umgeben von einer niedrigen Mauer, die einen Blick über den Neckar, Wiesen und Felder bot, wie er lieblicher kaum sein konn­te. Im Schlosshof herrschte buntes Treiben. Der Fürst hatte seiner Tochter zum besonderen Willkommen ein Fest ausrichten lassen, denn natürlich freute er sich ebenso sehr darüber, seine Jüngste nun wieder in der Nähe zu wissen wie Renate sich recht von Herzen aufs Heim­kommen freute. Staunend und mit großen Augen schaute die Prinzes­sin sich um. Überall waren Händler und Diener in Bewegung, schafften Waren heran, boten noch dies und jenes feil, was zum Gelingen des Festes beitragen konnte. Minnesänger lagerten im Schatten der Mau­ern, lieferten sich mit geschliffenen Reimen Wortduelle oder beobach­teten einfach nur das Treiben, wohl sinnend auf neue Lieder, die dem Fürsten zu Gefallen später vorgebracht wurden. Die ersten edlen Gäste waren bereits eingetroffen, stolze Rösser im Zaum von hochgestellten Rittern fraßen friedlich an eilig hingeworfenen Heubündeln. Es war eine eigene Atmosphäre des Willkommens, wie sie sonst dem eher ruhigen Ort nicht bekannt schien. Prinzessin Renate hob das Naschen und schnupperte. »Es duftet nach Wildschweinbraten, Pasteten und allerlei Süßen, das einem das Wasser im Munde zusammentreibt«, konstatierte Edeltraude wohlgefällig. »Wie es scheint, ist Eure Heim­kehr für alle ein besonderer Grund zur Freude.«

Renate lachte übermütig. »Am meisten aber für mich selbst!« Der Kutschwagen hielt nun im Burghof, zwei Diener sprangen

herbei und öffneten den edlen Damen den Schlag. Die Zofe hielt sich im Hintergrund, denn Renate eilte, ihre Eltern zu begrüßen. In der großen Halle warteten der Fürst und seine Frau.

Der Landesvater war eine imposante Erscheinung. Groß gewach­sen, von mächtiger Statur, mit einem edlen Schädel und den mar­kanten Zügen, die ihn in eine lange Ahnenreihe stellten. Sein lockiges Haar reichte ihm bis auf die Schultern, ein paar Silbersträhnen schim­merten bereits darin, ebenso wie in seinem prächtigen Bart. Er trug die Insignien seiner Macht, den pelzverbrämten, langen Umhang zum Wams, das sein Wappen schmückte. Seine klugen tiefblauen Augen richteten sich mit freudigern Aufblitzen auf die junge Prinzessin, auf die wahre Schönheit, zu der sein jüngstes Töchterchen erblüht war.

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»Renate, es ist schön, dich wieder zu sehen!«, sagte er herzlich und lachte dröhnend, als das Mädchen ihm wie zu Kindertagen an die breite Brust flog. »Ei, nur nicht zu stürmisch, du wirst deinen alten Vater noch umwerfen.«

»Das schaffen keine zehn Ritter«, versicherte Renate mit glück­strahlendem Blick. »Ach, Vater, was bin ich froh, endlich wieder da­heim sein zu können. Bei Euch!« Sie wandte sich an die Mutter, deren holde, sanfte Schönheit sich auch in Renates Gesicht spiegelte. »Liebs­te Mama, ich grüße Euch von Herzen!«

Die Fürstin war ein zurückhaltender Mensch, doch sie lächelte mild, als Renate ihr zärtlich die Hand küsste. »Mein liebes Kind, lass dich anschauen. Du bist erblüht wie eine Rose im Juni.«

Die Prinzessin wurde ein wenig verlegen. »Ich danke Euch für Eu­re Wohlgefälligkeit, liebe Mama. Doch mir scheint, in Tours waren viele Maiden, die mich an Schönheit und Liebreiz leicht übertreffen konn­ten.«

»So ein Unsinn! Die von dieser Art sind, wurden noch nicht gebo­ren«, widersprach der Fürst und reichte seiner Tochter den Arm. »Nun komm, liebes Kind, man wartet bereits im Bankettsaal auf dich. Auch deine Schwestern sind hier, um dir ein herzliches Willkommen zu be­reiten.«

Renate machte große Augen. »Gunhilde und Christine sind auch hier? Ich fass es irgendwie gar nicht, wie sehr man mich mit Liebe überschüttet. Solch einen Empfang bereitet man ja nur einer Königin. Und die bin ich gewiss nicht!«

»Warte nur ab, vielleicht wirst du es noch werden«, meinte der Fürst launig. Doch als Renate ihn fragend ansah, schwieg er sich bloß mit einem feinen Schmunzeln aus.

Eine illustre Gesellschaft hatte sich bereits an der langen Tafel im Bankettsaal versammelt. Renate wurde von allen Seiten herzlich be­grüßt, sonderlich die Schwestern - beide verheiratet und sonst weit fort - herzten das Nesthäkchen mit großer Innigkeit. Renate aber hatte das Gefühl, als schwebe sie auf einer Woge puren Glücks. Die lange so schmerzlich vermisste Heimat endlich wieder zu sehen, war ihr bereits unaussprechlich süß erschienen. Nun aber zu erfahren, wie sehr sie

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vermisst worden war, das tat ihrem Herzen so wohl! Zur Rechten des Vaters saß die junge Dame an diesem Tag, auf dem Platz, der sonst nur der Fürstin zustand. So zeigte Fürst Ludwig deutlich, wie wichtig ihm die Heimkehr seiner Jüngsten war. Dass dies nicht nur aus rein väterlicher Zuneigung geschah, sondern durchaus auch mit einem ge­wissen politischen Kalkül, ahnte die so Geehrte noch nicht...

»Sag, Edeltraude, was waren das heut bloß für Andeutungen, die der Vater die ganze Zeit machte? Immer sprach er davon, dass ich mich schon einmal an den Platz am Kopf der Tafel gewöhnen solle, dass ich vielleicht irgendwann zu recht wie eine Königin empfangen werde. Ach und dann deutete er noch an, dass wir bald Besuch be­kommen. Was meinst du, wollte er damit sagen?«

Die Zofe gab nicht sogleich Antwort, sondern ließ sich die Worte der Prinzessin zunächst einmal durch den Kopf gehen. Währenddessen frisierte sie die langen, honigblonden Flechten des schönen Edelfräu­leins mit Hingabe. Schließlich meinte sie vorsichtig: »Es scheint, als habe ich recht; da sind schon ein paar Bewerber um Eure Gunst im Hintergrund. Und einer will vielleicht sogleich seine Aufwartung ma­chen, um Euch zu umwerben.«

»Das glaub ich nicht!« Renate mochte davon nichts wissen. »Der Vater würde ihn nicht gleich auf Besuch kommen lassen. Es muss... andere Gründe geben!«

»Mag sein. Doch ich hörte, wie Eure Schwester Gunhilde vom Hei­raten sprach. Und davon, die beschwerliche Reise hierher nicht gleich zweimal hintereinander tun zu wollen...«

Renate machte ein nachdenkliches Gesicht. Sollte es vielleicht doch stimmen? Hatte der Vater vor, sie gleich zu verheiraten? Die Prinzessin hoffte sehr, dass Edeltraude sich irrte. Denn die Vorstellung, einem völlig fremden Mann angehören zu müssen, der sie vielleicht mit sich fort nahm in die Fremde, die erschien ihr ganz schauderbar. »Ich werde morgen mit dem Vater darüber reden«, entschied das schöne Mädchen deshalb. »Wenn er mich wirklich lieb hat, wird er mich nicht zwingen, schon zu heiraten. Und ich möchte doch noch nicht! Wie ger­ne will ich für eine Weile das Dasein hier genießen, noch einmal unbe­schwert sein, bevor das Leben mit Pflicht und Strenge meiner ruft...«

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*

Bereits am nächsten Morgen ergab sich für Prinzessin Renate eine Ge­legenheit, mit dem Fürsten zu sprechen. Allerdings kam dieser ihr zu­vor, was das heikle Thema betraf. Er hatte mit einigen Freunden be­ratschlagt und war zu dem Schluss gekommen, dass auch die dritte Tochter in diesen politisch wenig stabilen Zeiten zur Sicherung seiner Macht den rechten Manne nehmen solle. Es nun Renate beizubringen, das erschien dem Landesvater dabei als das Schwerste. Er wusste um ihre Eigenwilligkeit und sah noch das kindlich Verspielte in ihren Augen blitzen. Doch sie war im rechten Alter für eine Heirat und Fürst Ludwig hatte bereits die passende Partie ausgewählt.

Als er nun an der Seite seiner Tochter durch den frühlingshaft blühenden Obstgarten spazierte, fiel es ihm nicht ganz leicht, die rech­ten Worte zu finden, die gleich ins Herz gingen. Zudem schien Renate mit den Gedanken ganz woanders zu sein.

»Mein liebes Kind, du weißt, ich will nur dein Bestes«, versicherte er zunächst freundlich. Und als die Prinzessin nickte, fuhr er besonnen fort: »Du bist nun erwachsen, eine junge Dame, die ihre Aufgabe im Leben anzutreten hat. Du wirst also heiraten, so wie deine Schwe­stern. Und ich habe bereits den passenden Ehemann für dich aus­gesucht. Es ist der Herzog Gundolf von Falkenstein, ein Edelmann von königlichem Geblüt, eng mit Friedrich verwandt, von tadellosem Cha­rakter und hohem Stand. Er lebt auf einer Hofburg im Bayerischen Walde, ist dort sein freier Herr und führt ein bescheidenes, doch kultu­rell reiches Leben. Gewiss wird es dir in einer Ehe mit ihm an nichts mangeln und du wirst auch dein Glück finden.« Er verstummte und sah sie von der Seite an. »Du bist blass, Renate. Freilich ist es das Neue, was dich ängstigt. Doch das muss es nicht, denn Gundolf wird bald hierher kommen, um dann seine Aufwartung zu machen. Er wird also kein Fremder mehr für dich sein, du kannst ihn kennen lernen.«

Die Prinzessin hatte mit wachsendem Unwillen zugehört, nun er­klärte sie konsequent: »Ich möchte noch nicht heiraten, das wollte ich Euch heut sagen. Bitte, seid nicht böse, aber ich bin doch noch so jung

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und weiß gar nichts vom Leben. Lasst mich eine Weile hier sein, mein Dasein genießen und dann...«

»Renate, du vergisst dich!« Fürst Ludwig blickte finster auf sein Töchterchen nieder. »Es steht dir nicht zu, dich meiner Entscheidung zu widersetzen. Ein Gespräch hierüber ist ebenso überflüssig wie un­denkbar. Du heiratest Falkenstein und damit basta!«

»Aber Papa, ich bitt' Euch, fleh' Euch an, zwingt mich nicht! Denk ich, wie herzlich Ihr mich gestern erst empfangen habt, so kann Euch mein Seelenfrieden doch nicht gänzlich einerlei sein! Und ich mag nicht verschachert werden an einen Fremden...«

Die ausdrucksvolle Miene des Fürsten verschloss sich. Kühl und beherrscht entgegnete er: »Deine Mutter sprach in früheren Jahren oft von deinem Eigensinn. Und auch ich weiß, wie du als Maid getrotzt hast. Doch diese Zeiten sind vorbei, das ist gewiss. Nun, da du er­wachsen bist, ist Gehorsam deine erste Pflicht. Ich seh', die Schwes­tern in Tours haben dir den Dickkopf nicht gerade setzen können. Doch ich kann's. Und ich tu es, wirst du nicht von selbst vernünftig. Also, überlege...«

Renate senkte unter dem strengen Blick des Vaters die Lider und schwieg. Sie fürchtete den Zorn des großen Mannes, aber sie mochte auch nicht schwindeln, um billig davonzukommen. Der Fürst hielt ihr Schweigen für Zustimmung. Mit versöhnlicher Geste strich er Renate übers glänzende Haar und versicherte: »Es wird sich schon alles fü­gen. Wenn Falkenstein erst hier ist, vergehen dir die kindlichen Grillen von ganz allein...«

Sie sagte nichts, konnte es auch gar nicht, denn das Herz klopfte ihr im Halse und der brennende Widerspruch schnürte ihr die Kehle zu. Sie wollte diesen Falkenstein gar nicht sehen, denn sie wusste bereits, dass sie ihn nicht leiden mochte!

»Liebes Kind, du darfst dich nicht so töricht verhalten«, mahnte die Mutter später an diesem Tag. Renate hatte sich bitter über die strenge Entscheidung des Vaters beklagt. Doch die Fürstin konnte und wollte ihre Jüngste in ihrem Widerstand nicht bestärken; im Gegenteil. Fürstin Gwendolin, die einst zur Vermählung übers Meer von der Insel der Angeln und Sachsen gekommen war, hatte sich zurzeit ebenso

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fügen müssen. Sie wusste um den Wert politisch bestimmter Ehen und sie wusste auch, dass Liebe nicht den Rausch der jugendlichen Minne meinte, sondern wachsen und gedeihen musste wie ein zartes Pflänz­chen, sollte sie ein Leben lang halten. Eben dies schien die Prinzessin nicht einmal zu ahnen. Und ihre Mutter mühte sich nun, es ihr zu ver­mitteln. »Zuerst einmal musst du den Herzog kennen lernen. Wer weiß, vielleicht ist sein Charakter so einnehmend, sein Auftreten so beeindruckend, dass er deine Zuneigung spornstreichs erringt. Und wenn nicht; so höre auf meinen Rat: Im klugen Dialog wirst du bald ergründen können, wie die Seele dieses Edelmannes beschaffen ist. Gefällt sie dir, so fasse Vertrauen. Liebe muss langsam wachsen, man kann sie nicht zwingen. Aber man darf auch nicht auf den Rausch der Leidenschaft hören, denn sie zerstört mehr als sie beglückt.«

»Und wenn... der Herzog mir zuwider ist? Was soll dann wer­den?«, wagte Renate einzuwenden. »Ich bitt' Euch, liebe Mama, ratet mir gut, denn ich fürchte, ich werde in diesem Fall selber ganz ratlos sein. Und der Vater gibt nicht nach.«

»Der Herzog ist ein Mann von Stand und Bildung. Ich kenn' ihn persönlich und weiß, dass an ihm nichts Abstoßendes ist. Drum rate ich dir folgendes: Warte ab, bis Falkenstein hierher kommt. Sollte er aber dein Unglück sein, so verzage nicht, denn dann will ich mit dei­nem Vater reden. Das Lebensglück steht immer noch an erster Stelle vor der Politik.«

Die Prinzessin horchte auf. »Politik? Was hat sie mit meiner Ver­heiratung zu tun?«, wollte sie ein wenig naiv wissen.

Die Fürstin lächelte nachsichtig. »Schau, mein liebes Kind, in un­seren Kreisen werden Bündnisse geschlossen, zwischen Fürsten wie zwischen Eheleuten. Der Herzog Falkenstein hat Macht und Einfluss und kann die Stellung unseres Namens sehr unterstützen. Er ist eng mit dem Kaiser verwandt. Drum hat dein Vater ihn sich auch zum Schwiegersohn erkoren.«

Renate sagte dazu nichts, doch etwas nagte fortan an ihrem Her­zen. Allein der Gedanke, dass ihre Vermählung einem anderen Zwecke dienen sollte als dem, ihr ein Lebensglück zu schenken, erschien ihr im tiefsten Herzen falsch und verwerflich. Doch sie sprach diese Gedan­

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ken nie laut aus, auch nicht der treuen Edeltraude gegenüber. Denn sie wollte nicht wieder für kindisch gelten...

*

Die Hofburg der Herzöge Falkenstein im Bayerischen Wald war ein ebenso imposanter Bau wie das Stammschloss von Württemberg-Hohenzollern. Nahe Grafenau gelegen umgab das Anwesen ein riesiger privater Grund, den große, fast undurchdringliche Strecken dunklen Tanns bedeckten. Der große Rachel, eine bizarre Felsformation, die sich auf über 1.400 Meter erhob, bot der Burg Schutz gegen starke Nordwinde und frühe Wintereinbrüche. Vor beinahe zweihundert Jah­ren als einfache Ritterburg erbaut, hatte sich der trutzige Bau im Laufe der Zeit zum kulturellen Zentrum der höfischen Gesellschaft in diesem Teil des deutschen Reiches entwickelt. Die abgeschiedene Lage änder­te daran nichts, Ritter und Edelleute mitsamt ihrem Gefolge legten weite Wege zurück, um auf Falkenstein zu weilen. Hier fanden Sän­gerwettstreite statt, Reimeschmiede kamen von weither, um sich mit ihresgleichen zu messen. Falkenstein war ein Hort der Minnelyrik, aber auch Turniere fanden häufig statt und die Ritter konnten sich beim Kräftemessen einen Namen machen. Stand hoher Besuch an, ging es auf Eberjagd. Der finstere Forst stand im Ruf, die wildesten und größ­ten Keiler weit und breit zu beherbergen. Und der Herzog galt als e­benso geschickter wie furchtloser Jäger, Turnierreiter und Schwert­kämpfer. In jüngeren Jahren hatte er zudem der Minne gefrönt und war auf Kreuzzügen geritten, um seinen Mut zu beweisen. Nun hatte Gundolf von Falkenstein die Dreißig überschritten und war zum Mann gereift. Die Torheiten der Jugend lagen hinter ihm, diese überließ er lieber seinem jüngeren Bruder Erek. Rein äußerlich waren die Brüder einander recht ähnlich; beide groß und stark, mit markanten, edlen Gesichtszügen. Gundolfs Haar war allerdings dunkler als das seines Bruders, seine Augen von einem seltenen Stahlblau, das seinem Blick etwas Zwingendes gab. Ereks Miene drückte zumeist eine gelangweilte Überlegenheit aus, die sich vor allem in seinen rehbraunen Augen wi­derspiegelte. Etwas Unangenehmes haftete seinem Lächeln an und

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manchmal schien es dem älteren Bruder, als suche der Jüngere die Gefahr in übertriebenem Maße, um nicht nur sich selbst sondern auch ihm etwas zu beweisen. Gundolf wusste, dass Erek die Bürde, der Nachgeborene zu sein, nicht immer leicht getragen hatte. Der Jüngere besaß Ehrgeiz und einen nicht zu unterschätzenden Willen. Dabei fehl­ten ihm aber die Klugheit und ausgleichende Geduld, die ihn zum Herr­scher befähigt hätte. Der Herzog war sich dessen bewusst und ging mit Erek nachsichtig um. Er hoffte, dass dieser, hatte er erst einmal den Sturm der Jugend überwunden, selbst zum lebensklugen Mann reifen würde. Noch sah es jedoch nicht danach aus.

Als Gundolf an diesem Morgen gerade seinem Schreiber diktierte, erschien in fliegender Hast ein Diener und stammelte: »Der junge Herr Erek, er war im Walde unterwegs, wohl hat er sein Ross zu sehr ange­trieben, da geschah das Unglück...«

Die Miene des Herzogs verfinsterte sich, streng forderte er: »Sag frei heraus, was geschehen ist, ohne weiteren Umstand!«

»Er stürzte und klagt nun über Schmerzen.« »Wo hält er sich auf?« »Man brachte ihn in den Burghof, doch er mag sich nicht mehr

fort bewegen, stöhnt bei jedem Schritt...« Gundolf verließ den Raum und eilte durch die große Halle nach

draußen in den Burghof. Die milde Frühlingssonne beschien ein Bild, das dem Herzog nicht fremd war: Mit Schmutz besudelt saß sein Bru­der auf der Erde und schimpfte und beschwerte sich. Ein wenig mach­te er noch immer den Eindruck eines trotzigen Kindes.

»Erek, was ist geschehen? Wo sitzen die Schmerzen?«, fragte er anteilnehmend. »Ist ein Wundarzt verständigt?«

»Das ist nicht nötig«, knurrte der junge Edelmann. »Wenn du mich stützt, werde ich es schon irgendwie schaffen. Doch ich bin es leid, von den Tölpeln hier begafft zu werden. Nun komm, Bruder, leih mir deinen Arm und hilf mir bitte, den dummen Blicken zu entgehen!«

»Aber gewiss wollen die Leute dir nur helfen«, wandte der Herzog ein, während er seinen Bruder stützte. »Ein jeder auf Falkenstein weiß um dein zur Unzeit aufwallendes Temperament. Was hast du deinem

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armen Ross wieder angetan, dass es dich abwerfen und fliehen muss­te?«

Sie hatten die Halle durchquert und betraten einen Raum, in dem man sich zum Abend hin gerne aufhielt. Ein großer Kamin, in dem nun freilich noch kein Feuer brannte, spendete Gemütlichkeit. Erek ließ sich in einen Sessel fallen und knurrte: »Das dumme Biest ist mir aus rei­nem Mutwillen durchgegangen. Ich hab's behandelt wie eine zarte Maid. Aber das wird das blöde Vieh mir büßen!« Ein ungutes Lächeln legte sich um seine schmalen Lippen, als er drohte: »Heimzahlen wer­de ich es ihm...«

»Nun genug von dem Nonsens«, forderte der Herzog mit milder Strenge. »Du weißt, ich wollte morgen eigentlich nach Tübingen auf­brechen. Doch wenn du danieder liegst, werde ich meine Reise natür­lich verschieben.«

Erek bedachte seinen Bruder mit einem viel sagenden Blick. »Du willst freien und dich dabei von mir aufhalten lassen? Das klingt nicht nach großer Minne und Leidenschaft.«

Die ausdrucksvolle Miene des Edelmannes verschloss sich, kühl wies er seinen Bruder zurecht: »Es ist meine Angelegenheit und geht dich nichts an, Erek. Was ich wissen will: Kann ich reisen und dich unbesorgt zurücklassen?«

»Gewiss, gewiss. Unkraut vergeht nicht«, scherzte dieser ange­strengt. »Nur eines möchte ich gerne noch wissen: Warum willst du dich verheiraten? Ich weiß um dein empfindliches Herz, den Kummer, den die Minne dir bereitet hat. Und ich dachte...«

»Du hast gemeint, ich bleib' alleine, doch das kann und darf ich nicht. Mein Erstgeborener wird dereinst die Krone der Falkensteins ererben. Ich bin es unserem Namen schuldig, ein Weib zu freien und Nachkommen zu zeugen. Und du weißt, dass ich stets meine Pflicht erfülle, unserem Hause gegenüber ebenso wie dem Kaiser und unse­ren Verbündeten.«

»So wirst du ohne Minne freien?«, wunderte der Jüngere sich. Der Herzog blieb zunächst eine Antwort schuldig. Er hatte selbst

über diese Frage nachgedacht und war noch zu keinem Schluss ge­langt. So stellte er schließlich richtig: »Noch kenne ich Prinzessin Rena­

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te nicht, nie zuvor kam sie mir vors Angesicht. Ich werde sie erst auf dem Schloss des Fürsten von Württemberg kennen lernen.«

Erek lachte auf. »Das ist deine Art, lieber Bruder! Die kleinsten Dinge hier auf Falkenstein sind deiner Sorge wert. Aber wie es um deine Braut bestellt ist, das scheint dir einerlei zu sein. Ich versteh dich nicht!«

»Spotte nur. Du wirst vielleicht einst am eigenen Leibe erfahren, was Verantwortung und Pflichtgefühl bedeuten. Doch nun lasse ich dich allein, du sollst ausruhen. Und ich habe noch Reisevorbereitungen zu treffen. Wir sehen uns zum Essen.«

Nachdem der Herzog den Raum verlassen hatte, versank sein Bru­der in tiefes Grübeln. Hinter seiner hohen Stirn ging allerlei vor, was sich eigentlich nur in den wachen Augen andeutete. Doch diese Ge­danken, die hätte Erek von Falkenstein nie einer lebenden Seele an­vertraut, um keinen Preis der Welt...

*

Fürst Ludwig war sehr ungehalten über das törichte Verhalten seiner Jüngsten. Weder das gute Zureden der Mutter, noch die Gespräche unter Schwestern in der Frauenkemenate hatten dafür sorgen können, dass Prinzessin Renate den zukünftigen Bräutigam mit ein wenig mehr Freimut erwartete. Sie war und blieb ablehnend und beschwerte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit bitter über die unbeugsame Härte der väterlichen Entscheidung.

So vergingen die Tage im Gleichmaß. Schöner, lichter Frühling be­schenkte das liebliche Land am Neckar mit goldenem Licht, frischen Düften und klarer Luft. Renate hätte die Zeit im heimischen Obstgar­ten genossen, unter den duftigen Zweigen von Zwetsche und Holzap­fel, flaumzart bestickt mit den zarten Blüten, von Bienengesumm durchwirkt. Doch das Herz der Prinzessin blieb schwer, die Ahnung des Kommenden, das sie nicht wollte und doch hinnehmen musste, mach­te sie traurig und still.

Die treue Edeltraude gab sich redlich Mühe, Renate aufzuheitern und immer wieder gelang es einem Minnesänger, sich in die Nähe des

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schönen Adelsfräuleins zu stehlen und ein paar verliebte Verse zum Besten zu geben. Doch all das berührte nicht Renates trauriges Herz.

»Ihr dürft nicht so bekümmert sein«, mahnte die Zofe sie immer wieder. »Wartet nur ab, wenn der Herzog hier eintrifft. Man spricht im ganzen Land nur gut von ihm. Er ist eine stattliche Erscheinung, dazu gebildet und von hohem Stand. Ihr müsst Euch glücklich schätzen, solch einen Bewerber um Eure Gunst zu haben. Es ist ja nicht so, dass Ihr einen schlechten Mann bekommt...«

»Ja, ich weiß. Und ich kann selbst nicht für meine Gefühle, aber so sind sie nun einmal«, erwiderte Renate bedrückt. »Wenn ich daran denke, wie sehr ich mich in Tours auf Daheim gefreut habe. Und nun soll ich bald schon wieder fort, noch dazu mit einem mir völlig Frem­den...«

»Ihr macht Euch ganz unnötige Sorgen«, versicherte die Zofe mit Nachdruck. »Hat nicht Eure Mutter Euch versprochen, nichts zu er­zwingen? Und wenn der Herzog Euch nun wirklich zuwider ist, so wer­den die Eltern gewiss ein Einsehen und eine Nachsicht zeigen. Wie war's denn bei Euren Schwestern? Keine von Ihnen hat ohne Zunei­gung geheiratet. Und sie sind beide glücklich geworden, nicht wahr?«

»Ja, mag sein«, kam es einsilbig von Prinzessin Renate. »Doch Zu­neigung ist zu wenig, Liebe kann nicht wachsen, das glaub ich nicht. Sie muss da sein. Oder sie kommt nie...«

»Unsinn!« Edeltraude nahm die schmalen, porzellanhellen Hände der Prinzessin behutsam in die ihren und schaute ihr Gegenüber sehr ernsthaft an. »Als Eure Mutter Eurem Vater das Jawort gab, kannten sie einander kaum. Sie war ja erst ein paar Tage zuvor mit dem Schiff übers Meer gekommen. Und eine Liebe auf den ersten Blick, die gab es gewiss nicht zwischen den beiden. Trotzdem ist die Liebe gewach­sen, mit den Jahren, den Kindern, mit dem gemeinsamen Leben. E­benso soll es sein. Und daran könnt auch Ihr Euch ein Beispiel neh­men. Die Minne, von der so viel gesungen wird, sie ist nur ein Spiel, eine Grille, die mit der Jugend vergeht. Wahre Liebe aber hat Be­stand.«

Die weisen Worte der Zofe gingen Prinzessin Renate lange durch den Sinn. Und schließlich fasste sie sich ein Herz und entschied, es zu

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wagen: Sie wollte dem Herzog ohne Beklemmung und Angst be­gegnen, sie wollte erforschen, ob es etwas wie Zuneigung zwischen ihnen geben konnte. Und wenn nicht; nun, dann wollte sie ebenso vehement ›Nein‹ sagen...

Wenige Tage später traf Gundolf von Falkenstein mit seinem Ge­folge auf dem Stammschloss der Fürsten von Württemberg-Hohenzollern ein. Prinzessin Renate hatte eine schlaflose Nacht ver­bracht und stand nun, obwohl es ihr streng untersagt war, hinter dem Fenster ihrer Kemenate, um einen ersten Blick auf den Edelmann zu werfen, der ihr zum Schicksal werden sollte. Edeltraude wachte an der Tür, damit keine unliebsame Störung das Spekulieren unterbrach. Doch auch die Zofe verspürte eine gewisse Neugierde, die sie fragen ließ: »Wie sieht er denn aus? Könnt Ihr etwas erkennen?«

Renate beugte sich ein wenig vor, um einen genaueren Blick auf den Edelmann im samtenen Wams werfen zu können - und genau in dem Moment hob dieser den Kopf und grüßte zu ihr herauf. Sie zuckte erschrocken zurück, sein freundliches Lächeln aber berührte ihr Herz. »Sehr... stattlich«, murmelte sie verwirrt.

Die Zofe trat neben ihre Herrin und musterte sie fragend. »Was ist Euch? Ihr seid ganz bleich.«

»Ach, nichts. Ich... bin so töricht gewesen, mich nach vorne zu beugen. Und da hat der Herzog mich bemerkt.« Sie errötete tief. »Er muss mich nun für ein dummes Ding halten.«

»Unsinn.« Edeltraude lächelte milde. »Ich bin sicher, er ist ebenso neugierig auf Euch. Und nun geschwind, Ihr müsst Euch umkleiden. Bald wird der Fürst nach Euch schicken...«

Die Zofe sollte Recht behalten. Es dauerte kaum eine halbe Stun­de, bis ein Diener erschien, um Prinzessin Renate ins Empfangszimmer zu begleiten. Das schöne Edelfräulein hatte das einfache Unterkleid gegen ein Gewand aus schwerem Brokat getauscht, dessen tiefer Pur­pur mit Gold durchwirkt war. Darüber trug Renate einen Mantel in ähnlicher Farbe, der mit dem Wappen der Familie kunstvoll bestickt worden war. Die langen honigblonden Flechten fielen ihr bis tief über den Rücken. Keinen Schmuck brauchte das junge, schöne Antlitz, nur an den feinen, schmalen Fingern blitzten kostbare Ringe. Edeltraude

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war sehr stolz auf ihre schöne Herrin, die tatsächlich einher schritt wie eine zukünftige Königin. Und das lag nicht nur an dem kostbaren Ge­wand, das sie trug. Prinzessin Renate strahlte eine natürliche Würde und Vornehmheit aus, wie sie ihrem sehr jugendlichen Alter eher fremd hätte sein müssen. Doch ihr Charakter hatte sich früh gefestigt und schien an der nun vor ihr liegenden Aufgabe noch zu wachsen. Ein etwas unsicherer Blick traf die Zofe aber doch, bevor die Prinzessin ihre Kemenate verließ. Edeltraude lächelte ihr aufmunternd zu und nickte beinahe unmerklich. In Gedanken würde sie nun bei Renate sein; dem Kennen lernen der zukünftigen Brautleute aber durfte sie nicht beiwohnen, denn das ließ ihr Stand nicht zu.

Prinzessin Renate folgte dem Diener mit pochendem Herzen. Nun war es also soweit; vieles, einfach zu vieles hing von dieser Be­gegnung ab, ihre ganze Zukunft vielleicht. Ihr schönes Gesicht war blass und angespannt. Ihre Hand zitterte leicht, als sie beim Betreten des Empfangszimmers den Mantel raffte. Fürst Ludwig und seine Frau standen in geselliger Runde. Man plauderte, trank sich zu und schien entspannt und bester Dinge. Als die Prinzessin erschien, senkte sich kurz abwartendes Schweigen über den Raum. Renate spürte, wie alle Blicke sich auf sie richteten und wurde ein wenig verlegen. Sie senkte mit mädchenhaftem Erröten den Blick, bemerkte nicht das Aufleuchten in den Augen des Gastes, dem ihr Liebreiz sogleich das Herz berührte.

Der Hausherr schritt auf seine Tochter zu, begrüßte sie herzlich und erklärte dann: »Mein liebes Kind, du sollst nun die Bekanntschaft des Herzogs Gundolf von Falkenstein machen, der sich vor einer Weile mit mir ins Benehmen gesetzt hat, um deine Hand zu freien. Komm, begrüße unseren Gast, wie es Sitte ist.«

Sie legte die Hand auf den Arm des Vaters, der sie zum Herzog führte. Dieser nahm ihren gehauchten Gruß mit ruhiger Freundlichkeit auf und versicherte: »Es ist mir eine ganz besondere Ehre, Eure Be­kanntschaft machen zu dürfen, mein liebes Fräulein.«

Der Fürst lächelte zufrieden, dann überließ er die beiden einem Gespräch, das zunächst nur stockend in Gang kam. Renate wagte kaum, zu Gundolf aufzublicken, der gut einen Kopf größer war als sie und dazu eine sehr imponierende Erscheinung. Er bemerkte ihre naive

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Scheu, die sein Herz rührte und bemühte sich, sehr freundlich und zurückhaltend zu sein. Dies fiel ihm zudem nicht schwer, entsprach es doch seinem ausgeglichenen Naturell. Als der Fürst schließlich vor­schlug, dass Renate dem Gast ihren geliebten Obstgarten zeige, tat sie es mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite war die Prinzessin erleichtert, sich von dem steifen Zeremoniell der Gästeschau entfernen zu können, doch zugleich bedeutete dies auch, allein mit dem Herzog zu sein...

Gundolf war nicht mit hohen Erwartungen nach Tübingen ge­kommen. Er hatte diese Brautschau als notwendiges Übel betrachtet, dem er nicht länger ausweichen konnte und durfte. Beim ersten Blick in Renates Augen aber hatte sein Herz sich ihr zugewandt. Nicht nur ihre Schönheit und Anmut hatten ihn betört, es war vielmehr jene vor­nehme Schüchternheit und natürliche Zurückhaltung, die nur einem feinfühligen Wesen zu Eigen war und die ihn in diesem jungen Ge­schöpf eine verwandte Seele vermuten ließ.

Als sie nun mit gesenktem Blick neben ihm her schritt, erfüllte ihn der Wunsch, ganz offen zu ihr zu sprechen, gegen alle Konventionen höfischer Sitte ihr sein Herz zu öffnen. Denn er ahnte, dass sie ihn verstehen würde. Doch dies schien - noch – unmöglich und niemand konnte sagen, ob sich daran je etwas ändern würde. Zuviel sprach dagegen, denn das Herz des Edelmannes war nicht unbeleckt geblie­ben von den Unbilden des Lebens, treulosem Geplänkel und gebro­chenen Schwüren. Gundolf war nicht mehr der Jüngling, der sich be­denkenlos verliebte und doch ahnte sein Innerstes bereits, dass dieses schöne Mädchen ihm einst mehr sein konnte als Ehegemahl, Mutter seiner Kinder oder Herzogin. Freilich sprach er diese Gedanken nicht aus und Renate ahnte nichts von dem, was hinter seiner hohen Stirn vor sich ging.

»Hier ist mein Lieblingsplatz«, hörte er sie nach einer Weile sagen. Sie waren bei einem alten Birnbaum angekommen, unter dem eine schmale Bank ihren Platz gefunden hatte. Ein lieblich süßer Duft um­fing den blühenden Greis, in dessen knorrigem Geäst die Vögel munter zwitscherten. Blassblau und klar überspannte der Himmel das Früh­

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lingsidyll, in dem die schöne Prinzessin sich überaus bezaubernd aus­nahm.

»Es ist wunderschön hier«, konstatierte Gundolf aufrichtig. »So licht und frei, ganz anders als auf Falkenstein.«

»Doch Ihr habt gewiss auch einen Obstgarten«, entgegnete Re­nate überrascht. »Ich kann's mir gar nicht anders vorstellen.«

»Die Köchin hat ihren Garten, wo allerlei Nützliches wächst, das in ihren Töpfen verschwindet. Dort stehen auch ein paar Obstbäume. Aber so schön wie hier ist es nicht...«

»Wollt Ihr mir denn Euren Besitz nicht beschreiben?« Renate hat­te sich auf der Bank niedergelassen und blickte ein wenig scheu zu dem jungen Herzog auf. Sein edles Antlitz erschien ihr bereits vertraut und etwas in ihrem Herzen regte sich recht fremd, wenn sein stahl­blauer Blick sie traf. Von ganz eigener Farbe waren diese Augen, die sie doch nur freundlich und milde betrachten konnten. Im Stillen gab Renate ihrer Zofe Recht; der Herzog war eine beeindruckende Persön­lichkeit und dazu ein Mann, der zu gefallen verstand ohne falsche Freundlichkeit.

»Nun, Falkenstein liegt sehr abgeschieden. Das Land, das zu die­sem Besitz gehört, ist zum Großteil von dichtem Tann bedeckt, in dem nur wenige Köhler hausen. Der nächste Ort, der sich einige Klafter Wegs westlich findet, heißt Grafenau. Aber es ist nur ein kleiner Han­delsfleck mit einer Handvoll Bewohner. Imposant erhebt sich der große Rachel aus dem Waldland und steigt mit felsiger Spitze bis auf windige Höhen hinauf. Droben liegt immer Schnee, dort klettert der Steinbock und Geißen springen umher. Es ist ein wildes, ein ursprüngliches Land, doch ich liebe es, denn es ist mir Heimat, seit ich denken kann.«

Die Prinzessin hatte den Worten des jungen Herzogs andächtig gelauscht, nun schien es ihr, als kenne sie ihn bereits ein wenig bes­ser. Seine Verbundenheit mit der Heimat kam sie angenehm an, aus seinen Worten sprachen nicht nur Aufrichtigkeit, sondern auch ein Charakter mit Ernst und Tief gang.

Beinahe fühlte Renate sich enttäuscht, als nun ein Diener erschien und zu Tisch bat. Als Gundolf ihr den Arm reichte, legte sie vertrau­ensvoll ihre Rechte darauf.

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»Ich habe unser Gespräch sehr genossen«, versicherte er ihr auf dem Rückweg. »Vielleicht findet sich ja später noch einmal Gele­genheit, ein wenig hier zu spazieren und zu plaudern.«

Die Prinzessin nickte lächelnd, hatte er ihr doch gerade aus dem Herzen gesprochen...

*

»Er ist sehr freundlich und nett, von höchster Sitte und zudem ge­bildet.« Prinzessin Renate lachte. »Wie dumm war ich doch, als ich mich davor fürchtete, ihm zu begegnen!«

Edeltraude lächelte zufrieden. »Es ist schön, dies zu hören. Und denkt Ihr auch bereits ein wenig weiter...«

Das schöne Edelfräulein errötete. »Nein! Natürlich nicht, das wäre ja ganz ungehörig. Denn schließlich habe ich den Herzog erst gestern kennen gelernt. Und doch...« Sie seufzte leise. »Es ist mir manchmal so, als ob ich ihn schon viel länger kennen würde. So, als sei er ein Freund, der mir fremd und zugleich auch vertraut ist. Seltsam, nicht wahr?«

»Ganz und gar nicht«, versicherte die Zofe und machte sich dar­an, Renates Haar zu langen Zöpfen zu flechten. »Euer Herz mag in ihm eine verwandte Seele erkannt haben. Dies ist mehr, als zu erwar­ten stand. Und vielleicht bereits der Grundstein für eine Liebe, die Euch glücklich machen wird.«

»Edeltraude, ich bitte dich!« Die Prinzessin machte nun ein erns­tes Gesicht. »Trotz aller Freundlichkeit meine ich aber auch einen Kummer in Gundolfs Augen zu sehen. Manchmal scheint es mir, als ob er in Gedanken ganz woanders weilt...« Sie schaute die Zofe unsicher an. »Was mag es wohl sein, das ihn bekümmert? Wird er am End eine unglückliche Liebe in seinem Herzen verbergen? Ich fürchte mich, auch nur daran zu denken, doch es könnte schon wahr sein...«

»Darüber solltet Ihr Euch nicht den Kopf zerbrechen«, riet die Zo­fe ihr mit Nachdruck. »Ein Männerherz mag viele Beklemmungen und Unbilden ertragen, ohne daran zu zerbrechen. Und sollte es doch so

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sein, dass der Herzog Kummer hat, darf Euch das nicht zur Neugierde reizen. Wenn er es will, wird er sich anvertrauen.«

Obwohl Renate sich mit dieser Antwort eigentlich nicht zufrieden geben wollte, schwieg sie doch, denn sie ahnte, dass Edeltraude wohl Recht hatte, wie meist. Aber ein leiser Zweifel blieb in ihrem Herzen und sorgte dafür, dass sie Gundolf in den nun folgenden Tagen ein wenig nachdenklich und auch mit einem gewissen ahnungsvollen Sin­nen betrachtete, was dem Herzog natürlich nicht verborgen blieb. Gundolf wusste freilich nicht, was es war, das die schöne Prinzessin so beschäftigte. Und als er sie fragte, ob ein Kummer ihr Herz beschwere, versicherte sie: »Ganz gewiss nicht. Ich bin durchaus guter Dinge.« Dass sie dabei das ›ich‹ so betonte, fiel dem Herzog nicht auf. Und er hätte sich auch kaum einen Reim darauf machen können, denn nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, wie einfühlsam und klug die jun­ge Prinzessin sich in sein Denken und Fühlen hinein zu versetzen ver­stand.

Beinahe eine Woche war nun vergangen, seit Gundolf von Fal­kenstein auf Schloss Hohenzollern seine Aufwartung gemacht hatte. In der Zwischenzeit waren zwischen ihm und dem Fürsten einige Gesprä­che geführt worden und es schien nichts dagegen zu sprechen, dass Ludwig seine jüngste Tochter dem Herzog zum Weibe gab. Allerdings wollte er zunächst noch einmal mit Renate darüber sprechen. Fürstin Gwendolin hatte es ihrem Mann auf die Seele gebunden, Renate nicht gegen ihren Willen oder ungefragt zu verheiraten. Sie hatte ihn auch bei Renates Schwestern gemahnt, das persönliche Glück über der Hei­ratspolitik niemals ganz aus den Augen zu verlieren. Der Fürst hielt dies für überflüssig, doch er fügte sich dem Wunsch seiner Gemahlin, deren Klugheit und Umsicht er stets bewunderte und schätzte. So ließ er Renate zu sich bitten und erklärte ihr offen: »Herzog Gundolf be­gehrt dich zum Weibe, er hat sein Anliegen mehrmals bekräftigt und auch bereits den Brautpreis angeboten. Nun frage ich dich, mein liebes Kind, ob du mit dieser Verbindung einverstanden bist.« Er schaute streng auf seine Tochter hinab. »Ein junges Herz mag töricht sein, sich nach Minne sehnen oder vergessen, wo sein Platz im Leben sich fin­

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det. Drum gebe ich zu bedenken: Überlege wohl, denn von deiner Antwort hängt vieles ab.«

»Ich weiß sehr wohl, was Ihr meint, Vater«, versicherte die junge Prinzessin mit großem Ernst. »Und ich bin glücklich, dass Gundolf nicht nur meinen Respekt sondern auch mein Wohlwollen erworben hat. Wäre es anders, ich hätte nicht schweigen können und wollen. Doch er ist mir hold, ich ihm geneigt.«

»So sagst du ja, das ist vernünftig«, freute der Fürst sich aus ehr­lichem Herzen. »Wohlan, wir werden also bald schon dein Verlöbnis mit einem großen Ritterturnier feiern...«

*

Prinz Erek von Falkenstein nutzte die Abwesenheit seines Bruders, um sich in den ritterlichen Disziplinen zu üben. Als die Kunde von der Ver­lobung des Herzogs ihn erreichte, entschied er sogleich, ebenfalls nach Tübingen zu reisen, um an dem Turnier teilzunehmen. Dass sein Bein ihm noch immer ein wenig zu schaffen machte, sollte ihn nicht hin­dern. Auch die Ratschläge der Ärzte schlug er in den Wind und machte sich umgehend auf den Weg.

Allerdings kam der junge Heißsporn nicht weit. Kaum eine Tages­reise hatte er hinter sich gebracht, als die Schmerzen in seinem Bein zu stark wurden und ihn zwangen, umzukehren.

Übellaunig grollte er den Wundärzten, die ihn mit erhobenem Zei­gefinger erwarteten, beschimpfte jeden Diener, der ihm zu nah kam und gelangte schließlich zu dem Schluss, dass einzig und allein Gundolf die Schuld an dieser Misere trug. Hätte er denn auch nicht in der Nähe freien können, wenn es schon unbedingt sein musste...

Der Herzog ahnte nichts von dem hausgemachten Ärger, mit dem sein Bruder zu kämpfen hatte. Sein Herz war froh und zufrieden bei der Aussicht auf das Verlobungsfest, das man nun begehen wollte. Renate blieb ihm allerdings immer öfter fern. Schon fürchtete er, sie auf eine ihm unbekannte Art und Weise erzürnt zu haben und wusste sich selbst bald keinen Rat mehr. Da fiel ihm auf, dass Renate viel Zeit mit ihrer Zofe verbrachte. Und da diese wie ein lebenskluges Weib

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aussah, fragte Gundolf Edeltraude ohne große Umstände, ob ihrer Herrin vielleicht etwas fehle.

»Du kennst die Prinzessin besser als jeder andere hier am Hof«, meinte er überzeugt. »Seit ein paar Tagen scheint sie mich zu meiden, ist in sich gekehrt und still. Was hat das zu bedeuten? Ist sie mir denn nicht mehr gut?«

»Gewiss ist Sie Euch gut, Durchlaucht. Doch sie fürchtet auch für ihr zukünftiges Glück«, ließ die Zofe ihn untertänig wissen.

»Was soll das bedeuten? Drücke dich klarer aus, Weib!«, forderte er daraufhin ungehalten.

»Nun, es ist nicht leicht für mich, so offen zu Euch zu sprechen«, gab Edeltraude zu bedenken. »Ihr seid ein Herzog, ich nur ein einfa­ches Weib. Ich fürcht', ich könnte mir den Mund verbrennen, geh ich gar zu ehrlich aufs Erzählen aus...«

»Das musst du nicht fürchten«, versicherte er ihr daraufhin ein wenig beschwichtigend. »Sprich nur frank und frei, wenn du weißt, was es ist, das deine Herrin bekümmert.«

»Schön, dann will ich's wagen.« Die Zofe dachte kurz nach. »Mei­ne Herrin ist noch sehr jung, doch bereits von jener klugen Empfind­samkeit, die ein gutes Eheweib auszeichnet. Wohl bemerkte sie eine gewisse Traurigkeit an Eurem Wesen, das ihr zu denken gibt. Nun fürchtet sie, es mögen noch andere Geister in eurer Seele spuken, dass Ihr vom Kummer zerquält sie nicht aus reiner Zuneigung zum Weibe begehrt. Und das wäre ihr sehr leid.« Die Zofe verstummte, denn Gundolf von Falkenstein hatte sich erhoben und war ein paar Schritte fort gegangen. Sie hielten sich im Obstgarten auf, wo Edel­traude dem Auftauchen ihrer Herrin harrte. Der Herzog schien eine ganze Weile in tiefes Grübeln versunken und hatte wohl auch die An­wesenheit der Zofe vergessen. Erst als sich ihnen leichte Schritte nä­herten, wandte er sich um und begrüßte Prinzessin Renate ehrerbietig. Sie war überrascht, ihn hier zu sehen. Und als er darum bat, sie allein sprechen zu dürfen, entfernte Edeltraude sich auf einen Wink der Prin­zessin hin. Diese fragte leise: »Drückt Euch ein Kummer? Ihr seht nicht ganz wohl aus.«

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»Es mag daran liegen, dass Ihr mir nicht zu trauen scheint«, ent­gegnete er mit kühler Beherrschung.

Renate stellte erschrocken fest, wie fremd er ihr unvermittelt war. Was war bloß geschehen? Sie wurde etwas blasser, schwieg eine Wei­le, um ihre Gedanken zu sammeln und erklärte endlich: »Ich kann Euch nicht folgen, Gundolf. Gab ich Euch denn Grund, an meinem Ver­trauen zu zweifeln? Wenn ja, so ist dies gewiss nur aus einem Missver­ständnis heraus erwachsen. Und ich möchte Euch herzlich um Verzei­hung bitten.«

»Ihr ließet mich nicht zweifeln, es waren die Worte, die Ihr an Eu­re Zofe gerichtet habt und die beweisen, Ihr erachtet mein Begehr gar nicht als aufrichtig und ehrlich.«

Seine Worte verwirrten Renate noch mehr. Was sollte das bedeu­ten? Was hatte sie denn zu Edeltraude gesagt, das Gundolf kränken konnte? Und wie, falls es überhaupt wahr war, hatte er davon erfahren können? »Ihr sprecht in Rätseln zu mir. Und ich fürchte, Ihr wollt mich nur kränken mit diesen seltsamen Reden«, beschwerte sie sich un­glücklich.

Der Herzog suchte ihren Blick. Seine Augen baten um Verzeihung, denn er bemerkte, wie seine Andeutungen ihr reines Herz be­schwerten. Doch was die Zofe ihm anvertraut hatte, konnte er nun auch wieder nicht vergessen. Deshalb fuhr, er streng fort: »Es käme mir nie in den Sinn, Euch zu kränken. Doch was das Innere meines Herzens und meiner Seele betrifft, so muss ich Euch bitten, keine Ver­mutungen mehr anzustellen. Ich weiß Eure Sorge zu schätzen, aber eines wisst Ihr noch nicht: Vertrauen gewichte ich stets höher als Sor­ge oder Mitgefühl, hinter dem nur die profane Neugierde lauert. Es liegt mir fern, Euch eine so niedere Regung des Gemüts zu unter­stellen. Allerdings gestatte ich es keinem anderen Menschen, einen Blick in meine Seele zu tun.«

»Auch nicht Eurer zukünftigen Gemahlin?«, fragte Renate betrof­fen. Sie ahnte nun, weshalb Gundolf ihrer zürnte, verstehen konnte sie es allerdings nicht. »Ich sah Bekümmernis in Euren Augen und sorgte mich. Ist Euch dies zuwider, so sagt es mir jetzt und nehmt lieber Ab­stand von unserer Verlobung. Denn ich werde mich in dieser Weise

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nicht mehr ändern können, fürchte ich und werde Euch dann auch keine gute Gemahlin sein...«

Der junge Herzog schaute bestürzt auf Renate herab. Wie es aus­sah, hatte er sie ganz falsch eingeschätzt. Sie war jung an Jahren, doch sie besaß durchaus jene Sensibilität, die auch ihre Zofe so hoch lobte. Trotzdem mochte der Edelmann ihr nicht sein Herz öffnen, er konnte es einfach nicht...

»Wir wollen nicht mehr darüber sprechen«, entschied er nach ei­ner Weile des Schweigens. »Ich bin der festen Überzeugung, dass Ihr die Rechte seid, Renate. Und wie steht es mit Euch? Zürnt Ihr mir noch, weil ich gar so streng zu Euch gewesen bin?«

Sie wagte es, ihn anzusehen, bemerkte wieder jene liebevolle Mil­de in seinem Blick, die ihrem Herzen wohl tat und versicherte: »Ich zürne Euch nicht, im Gegenteil. Doch ich will auch nicht mehr von meiner Sorge sprechen, wenn Euch dies zuwider ist. Wollen wir uns ein wenig unter dem alten Birnbaum verschnaufen?«

»Nur zu gerne.« Er lächelte ihr verhalten zu. »Renate, Ihr wisst nicht, wie nah Ihr meinem Herzen seid. Und wenn ich's versichere, könnt Ihr mir glauben: Dort ist kein Platz mehr für Kummer oder schwere Gedanken, seit ich Euch begegnet bin. Ganz licht erscheint mir die Welt, süß und unbeschwert das Leben.«

Sie erwiderte sein Lächeln verschämt und fühlte sich zugleich ein wenig verlegen. So offen, wie Gundolf ihr sein Herz zu Füßen legte, schien es keinen Grund mehr für Zweifel oder Grübeleien zu geben. Und doch fragte Renate sich noch immer, was es wohl war, das sein Herz beschwerte und seinen Blick verdunkelte, wenn er sich unbeo­bachtet glaubte...

*

Das Ritterturnier aus Anlass der Verlobung von Herzog Gundolf von Falkenstein mit Prinzessin Renate von Württemberg-Hohenzollern fand knapp einen Monat nach der Ankunft des Bräutigams auf dem Stamm­schloss der Hohenzollern statt. Aus dem ganzen deutschen Reichsge­biet strömten Edelleute mit Gefolge herbei, um sich im ritterlichen

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Wettstreit hervorzutun. Im Schlosshof herrschte buntes Treiben, auf dem Turnierplatz wurde nun fleißig das Hauen und Stechen geübt, denn jeder Ritter wollte sich im besten Licht darstellen. Die Fürstenfa­milie genoss den Trubel, die abendlichen Bankette und die Sänger­wettstreite, dem geneigten Publikum zu Gefallen. Nur Prinzessin Rena­te blieb zurückhaltend und still. Nach außen hin zeigte sie ihr schöns­tes Lächeln, aber Edeltraude wusste, dass es nicht echt war. Die Prin­zessin bedauerte das mangelnde Vertrauen, das ihr Bräutigam an den Tag gelegt hatte, sie fühlte sich ausgeschlossen aus seinen Gedanken und Gefühlen und meinte, seine Liebe zu ihr könne nicht wirklich groß sein.

»Es ist eben doch eine politische Verbindung«, sagte sie am A­bend vor dem Fest bekümmert zu Edeltraude. »Ich hab's nicht glauben wollen, doch nun nützt es nichts mehr, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.« Die Prinzessin seufzte leise. »Ich habe auf Liebe ge­hofft, aber vergebens.«

»Ich bitt' Euch, Durchlaucht, seid nicht töricht. Ihr nehmt die Lau­nen eines Mannes viel zu ernst. Mag sein, er hatte Kummer, mag sein, er war enttäuscht. Doch all das gehört der Vergangenheit an. Nun, da er mit Euch im Worte steht, ist das Glück sein ständiger Begleiter. Und alles andere sollte Euch nicht kümmern.«

Die Prinzessin lächelte traurig. »Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber wenn Gundolf mir jetzt nicht traut, wie soll er jemals Vertrauen zu mir fassen? Hält er mich denn noch für zu kindisch, um seine Ge­danken mit mir zu teilen? Oder sind seine Gedanken so dunkel, dass er sich fürchtet, sie auszusprechen?« Sie fasste sich mit einer unsicheren Geste an die Stirn. »Ach, gute, liebe Edeltraude, ich fürchte, ich bin dem nicht gewachsen. Was soll ich nur tun?«

»Ich kann nur den gleichen Rat geben, den Ihr schon einmal von mir hörtet; wartet ab, lasst die schweren, quälenden Fragen sausen, denkt nicht zuviel an die Zukunft. Es wird sich gewiss alles richten. Denn nur eines ist doch wichtig: Habt Ihr den Herzog lieb oder doch wenigstens gern?«

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»Mein Herz gehört ihm«, bekannte sie errötend. »Aber seit er mir offen die Gedanken verschließt, da frag ich mich, ob es nicht ein Feh­ler ist, die Seine werden zu wollen.«

Darauf wusste auch die Zofe keine Antwort. Natürlich wollte sie nicht, dass Renate unglücklich wurde. Aber sie mochte die junge Prin­zessin auch nicht in unsinnigen Skrupeln bestärken, die einzig und allein auf ihre Jugend und Unerfahrenheit zurückzuführen waren.

»Ihr solltet dem Herzen folgen«, riet Edeltraude ihrer Brotherrin schließlich mit Nachdruck. »Das ist der beste Ratgeber.«

Ganz so leicht mochte Renate es sich nicht machen. Aber als dann am nächsten Morgen das Turnier begann, vergaß auch die Prinzessin für eine Weile ihre schweren Gedanken und genoss die schönen Bilder, die sich ihren Augen boten. Ein langer Tross mit Edelleuten samt Knappen und Schildträgern trat an, die Kräfte im ritterlichen Kampf zu messen. Vom Norden bis zum Süden waren sie gekommen, um der Fürstenfamilie ihre Aufwartung zu machen.

Herzog Gundolf von Falkenstein kannte sie alle. Mit manchen hat­te er auf den Kreuzzügen gekämpft oder sich im Turnier gemessen. An diesem Tag nahm er freilich nicht an den Wettbewerben teil, denn das hätte sich nicht geschickt. Doch er begrüßte viele Bekannte und ge­noss es, ihnen beim Kampf zuzusehen.

Von der Ehrentribüne aus folgten zukünftige Braut und Bräutigam dem bunten Treiben. Gundolf gab sich kurzweilig und amüsant und schaffte es schließlich sogar, Renate zum Lachen zu bringen. Die Stimmung auf Schloss Hohenzollern war so heiter wie der strahlende Frühlingshimmel.

Irgendwann zog Renate sich aber zurück. Sie schien Zuflucht zu suchen unter dem alten Birnbaum im Obergarten, denn das Herz wur­de ihr plötzlich sehr bang. Als Gundolf unvermittelt vor ihr stand, er­schrak sie. Er sah die Unsicherheit, das Zagen in ihren Augen und ahn­te, was ihr Herz bewegte. Achtsam nahm er ihre schmalen Hände in seine und suchte ihren Blick.

»Renate, könnt Ihr nicht ein wenig glücklich sein heut? Mir zulie­be?«, fragte er behutsam. Und als sie ihm nicht antwortete, versi­cherte er ihr weich: »Ich hab Euch lieb. Und möchte es Euch bewei­

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sen.« Ganz zart berührten seine Lippen ihren süßen Mund, ein Kuss war dies, wie ein Hauch nur, doch ein Versprechen, das mehr sagte als alle Worte. Die Prinzessin seufzte leise und lächelte dann ein wenig. Als sie sprach, bebte ihre Stimme, doch ihre Worte waren klug gewählt und kamen von Herzen: »Ich hab Euch auch lieb, Gundolf. Doch ich fürchte mich vor dem neuen Leben, das heut für mich beginnt. Viel­leicht haltet Ihr mich für töricht, aber ein wenig wünsche ich mir die Kinderzeit zurück, als alles noch so unbeschwert und einfach war...«

»Töricht ist dies gewiss nicht«, widersprach er ihr verständnisvoll. »Ein jeder Mensch hat wohl schon einmal in seinem Leben ein solches Sehnen verspürt. Die Furcht vor dem Unbekannten treibt uns zurück ins flaumweiche Bett der Erinnerung. Doch in diesem Fall besteht kei­ne Notwendigkeit, sich zu fürchten, liebe Renate. Ich versichere Euch, dass das Leben an meiner Seite Euch weniger Kummer, denn Freude und Glück bescheren soll, sofern es in meiner Macht steht.«

»Das habe ich nicht bezweifelt«, beteuerte sie lächelnd. »Doch es bedeutet auch Abschied von hier. Ich werde mein Daheim verlassen, kaum dass ich's wiedererlangt habe. Und das wird mir schon ein wenig schwer.«

»Ich versteh's nur zu gut«, entgegnete der Herzog nachdenklich. »Wenn ich Falkenstein für immer verlassen sollte, würde mir das Herz gewiss auch schwer werden. Doch ich möchte versuchen, Euch den Abschiedsschmerz ein wenig zu nehmen. So habe ich mit Eurem Vater bereits vereinbart, dass unsere Vermählung von heut an in genau ei­nem Monat stattfinden soll. Dies ist der kürzest mögliche Zeitraum, der sich zwischen Verlöbnis und Vermählung schickt. Ich dachte mir, je kürzer die Wartezeit, desto besser. Und gewiss sind noch so viele Vor­bereitungen zu treffen, dass die Zeit wie im Fluge vergehen wird.«

Renate schaute ihren Verlobten aufmerksam an. Wie einfühlsam und voller Rücksicht er ihr gegenüber doch war. Sie wunderte sich beinahe ein wenig darüber. »Ich dank Euch recht sehr von Herzen für Eure Geduld«, murmelte sie befangen. »Und Ihr habt wohl recht; je kürzer die Wartezeit, desto besser.«

Gundolf lächelte der Prinzessin liebevoll zu. »Mein tapferer Engel«, nannte er sie mit inniger Zuneigung. »Ich will mich bemühen, Euch

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alles Glück zu schaffen, wessen Ihr bedürft. Unser gemeinsames Le­ben soll für Euch nur Sonnentage haben...«

*

Während Herzog Gundolf sich im Schwäbischen aufhielt, ging das Le­ben auf Burg Falkenstein seinen gewohnten Gang. Prinz Erek erholte sich allmählich von seinem verfrühten Ausflug und war bald wieder ganz auf den Beinen. Des Abends langweilte er sich allein und lud im­mer wieder ein paar Ritter ein, mit ihm dem Trank und Kartenspiel zuzusprechen. Leider waren die Freunde, die Erek sich ausgesucht hatte, nicht alle von besonderer Charakterstärke. War Gundolf anwe­send, so ließen diese Kerle sich nicht auf der Burg sehen. Doch nun hatten sie Gelegenheit, sich beim Prinzen einzuschmeicheln und ihm einzuflüstern, was nach ihrem Sinne war. Ihr Wortführer, Graf Wolf­ram von Wildeck, war ein finsterer Bursche mit wildem Bart und Au­genklappe. Er erzählte gerne und oft, dass er sein rechtes Auge im Kampf mit den Sarazenen im gelobten Land verloren habe. Doch es war allgemein bekannt, dass der jüngste Spross der Wildgrafenfamilie den Bayerischen Wald nie verlassen hatte. Die Wildecks waren ver­armt, hatten ihren einst großen Besitz in langen Erbstreitigkeiten zer­rissen und teilweise verloren. Wolfram verdingte sich als Landvogt, doch er nahm seine Stellung nicht ernst und lief beständig Gefahr, sie ganz zu verlieren. Allerdings schien ihm dies völlig einerlei. Er träumte vom schnellen Reichtum, wollte sich auf einen Schlag sanieren. Und dazu sollte ihm die Freundschaft mit Prinz Erek verhelfen... »Wie ich seh', versteht Ihr Euch recht gut darauf, den Betrieb hier aufrecht zu erhalten«, schmeichelte er dem Bruder des Herzogs mit flinker Zunge. »Ich mein fast, es wäre kein Unterschied, würde Gundolf sich ent­scheiden, im Schwäbischen zu bleiben. Und, wer weiß, vielleicht hält ihn die Minne dort ja noch lange fest...« Er lachte dröhnend, seine Kumpane, vom Brandwein berauscht, stimmten einfältig mit ein. Nur Erek fand das nicht lustig.

»Gundolf würde sich Falkenstein nie nehmen lassen«, beschwerte er sich verbittert. »Ich werde stets nur die zweite Geige hier spielen.

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Und wenn er ein Eheweib heimbringt, ist gewiss kein Platz mehr am heimischen Ofen für mich.«

»Und das wollt Ihr Euch gefallen lassen?« Der junge Graf Wildeck schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Trinkbecher tanzten. »Ein Kerl wie Ihr, ein Recke und Kämpfer, der sich von einem Weibe das Heim streitig machen lässt? Das will ich nicht glauben, denn ich kenn' Euch besser!«

Einige der Anwesenden stimmten zu und einer schrie: »Der Her­zog soll bleiben, wo der Pfeffer wächst! Erek ist der wahre Herr von Falkenstein!«

Wolfram suchte den Blick des Freundes. Mit schlauer Raffinesse behauptete er: »Ganz Unrecht hat der versoffene Kerl wohl nicht. Seht Euch doch um: Alles, was Ihr hier seht, gehört zur Hälfte Euch. Ge­burtsrecht nennt man das. Und wenn der Herzog gar so lange aus­bleibt, verwirkt er seine Macht hier schnell. Das Gesinde hört auf den, der da ist. Und der Herr dieser Burg sitzt doch hier vor mir, nicht wahr?«

Der Prinz hörte solche Worte nur zu gern, schmeichelten sie doch seiner unsicheren Seele. Von klein auf hatte er Gundolf bewundert und in seinem Schatten gestanden. Dass sich daran irgendwann einmal etwas ändern würde, daran hatte er nie geglaubt. Und doch... Wolf­rams Worte gingen ihm ein wie Öl.

»Nun, was sagt Ihr? Habe ich nicht recht?«, drängte er behutsam. »Wartet nur ab, wenn der Herzog heimkehrt. Keiner wird mehr auf ihn hören, alle sehen in Euch Ihren wahren Herren!«

Erek lächelte schmal. »So leicht ist's leider nicht. Mein Bruder ist gewohnt zu herrschen. Ich hab mich nie gegen ihn auflehnen können. Und selbst wenn ich's versuchte; was würde es mir einbringen? Gun­dolf ist der Erstgeborene, der Erbe des Titels. Daran lässt sich nicht deuteln.«

»Aber das muss freilich nicht immer so bleiben. Sagen wir, es ge­schieht etwas zu Euren Gunsten, mein Lieber. Der Herzog... ver­schwindet...«

Erek wurde blass. Vehement schüttelte er den Kopf. Auch wenn er ehrgeizig und in mancher Hinsicht unredlich war, soweit wollte er doch

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nicht gehen. Er liebte und respektierte seinen Bruder schließlich. Aber Wolfram von Wildeck glaubte stets nur an das Schlechte im Menschen. Er war überzeugt, dass Erek seinen Bruder nur zu gerne losgeworden wäre, um selbst Herzog zu sein. Man musste ihm die Sache nur lange genug schmackhaft machen und dabei an seine Eitelkeit appellieren. War alles gerichtet, hatte man ein williges Werkzeug in Händen, das einem Macht ebenso wie Reichtum verschaffen konnte. Verpflichtung war eben doch eine sehr verlässliche Einnahmequelle...

»Ihr müsst davon ja nichts wissen«, fuhr er einschmeichelnd fort. »Meine Freunde und ich...«

»Schweigt still, ich will das nicht!«, unterbrach der Prinz seinen Freund vehement. »Gundolf ist mein Bruder und Blut ist nun mal di­cker als Wasser. Nie und nimmer würde ich ihm etwas antun oder auch nur davon wissen wollen, dass Ränke gegen sein Leben ge­schmiedet werden. Das verbiet' ich Euch, wollt Ihr nicht meine Freundschaft verlieren!«

»So beruhigt Euch nur, es war ja bloß ein Einfall, der mir durch den Sinn spukte«, behauptete der junge Wildgraf daraufhin rasch. »Freilich geschieht nichts gegen Euren ausdrücklichen Wunsch. Und was das Leben Eures Bruders angeht, so seid versichert, dass ich selbst mit ganzer Kraft es zu verteidigen bereit bin, wenn ein Freund­schaftsdienst für Euch es fordern sollte.«

Prinz Erek musterte sein Gegenüber nachdenklich, dann aber lä­chelte er ein wenig. Sein Misstrauen war bereits zerstreut. »Nun gut, ich vertraue Euch. Und ich weiß zudem, dass Ihr es nur gut meint. Aber jetzt lasst uns nicht mehr von derlei ernsten Themen sprechen. Trinken wir und sind fröhlich, dazu hab ich Euch alle schließlich einge­laden!«

Der junge Wildgraf tat munter, doch in seinem Herzen brüteten Ärger und Verdruss. Er hatte es sich weitaus leichter vorgestellt, Erek für seinen hinterhältigen Plan zu gewinnen und ihn zu seinem willigen Werkzeug zu machen. Doch nun musste er sich damit abfinden, dass dies Zeit und Geduld brauchte. Beides hatte er nicht unbedingt im Ü­berfluss, doch er war bereit, es zu investieren, denn er glaubte, dass

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diese Angelegenheit ihm eines Tages reichlichen Gewinn bescheren würde...

*

Mitte Mai des Jahres 1227 gab Prinzessin Renate von Württemberg-Hohenzollern dem Herzog Gundolf von Falkenstein unter Glockenge­läut, jubelnden Chören und mit dem allerhöchsten Segen des Papstes Gregor IX ihr Jawort. Fürst Ludwig zeigte sich sehr zufrieden über den für ihn wünschenswerten Ausgang seiner Vermittlungsbemühungen und sagte am Abend des großen Festes zu seiner Frau: »Renate wird eines Tages noch die Kaiserkrone tragen, des bin ich überzeugt. Wie sie heut durch das Kirchenschiff schritt, wie eine wahre Königin.« Der Fürst lächelte verschmitzt. »Nun zürnst du mir nicht mehr, denn als Heiratsvermittler hab ich unseren Töchtern große Dienste geleistet, nicht wahr?«

Fürstin Gwendolins Reaktion fiel zurückhaltend aus. Sie erwiderte das Lächeln ihres Gatten nicht, blieb stattdessen ernst und erklärte: »Renate scheint glücklich, doch was heißt das schon? Sie ist noch sehr jung, weiß nichts von Ehe und Pflicht. Ich kann nur hoffen, dass Gun­dolf achtsam mit ihr umgeht, denn wenn sie erst fort ist, im dunklen Tann unter Fremden leben muss, kann die helfende Hand der Mutter sie nicht mehr im Kummer stützen. Und diese Gewissheit will mir nicht recht behagen.«

Der Fürst wollte davon nichts wissen. »Ich bitt' dich, Gwendolin, du siehst Schatten und Gespenster im hellen Sonnenschein! Der Her­zog ist ein aufrechter Mann von hoher Herzensbildung. Er versteht es gewiss, ein Weib an sich zu fesseln, da bin ich nicht bang. Und Renate ist kein Kind mehr.«

»Aber auch noch nicht erwachsen.« Die Fürstin wirkte so beküm­mert, dass ihr Gatte hellhörig wurde.

»Was ist es, das dich bedrückt? Weißt du von Dingen, die mir ver­borgen geblieben sind?«, fragte er misstrauisch.

»Natürlich nicht. Ich mach mir nur meine Gedanken, das ist alles. Gunhilde und Christine waren ebenso jung bei ihrer Vermählung, doch

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fügsamer und stiller im Wesen. Du weißt sehr gut, dass Renate in manchem noch kindlich zu trotzen versteht.«

»Sie wird erwachsen werden, wenn Gundolf sie in Zucht und Ord­nung nimmt«, war Ludwig überzeugt. »Das hat noch keinem gescha­det. Und ich find, du machst dir unnütze Sorgen...«

Die Fürstin widersprach nicht länger, musste sie doch einsehen, dass ein Männerherz ihre Bedenken kaum nachvollziehen konnte. Doch die Sorgen blieben und sie beschloss, vor Renates Abreise nach Fal­kenstein noch ein ernstes Gespräch mit der Tochter zu führen. Diese sollte nicht das Gefühl haben, all dem Neuen ganz allein und hilflos gegenüber zu stehen...

Renate hielt sich derweil in ihrer Kemenate auf, ihr Herz war unru­hig und immer wieder lauschte sie auf Schritte, die sich vielleicht der Tür näherten. Doch niemand kam. Edeltraude hatte sich bereits vor einiger Zeit zurückgezogen. Die Hochzeitsnacht gehörte dem Braut­paar, doch der Gemahl erschien nicht. Renate vermochte dies nicht zu begreifen. Obwohl sie sich vor jenem wichtigen Schritt ins Eheleben auch gefürchtet hatte, war ihr doch bewusst, was nun ihre Pflichten waren. Und doch...

Wieder horchte sie auf und tatsächlich, da kam jemand! Rasch schaute sie in den Spiegel, überprüfte ihre feenhafte schöne Er­scheinung in einem Nachtkleid, ganz aus weißer Spitze gefertigt. Die langen honigblonden Flechten fielen Renate über die Schultern und sie bot einen Anblick von reiner Unschuld und süßer Verführung, der jedes fühlende Männerherz berühren musste. Doch wieder war es nicht Gundolf, der erschien. Die Zofe betrat noch einmal die Kemenate ihrer Herrin, ihr Gesicht drückte Sorge aus.

»Was ist dir, Edeltraude? Ist etwas geschehen? So sprich doch! Wo bleibt denn mein Gemahl so lange?«

Die treue Seele seufzte leise und senkte den Blick. »Es ist mir leid, Euch das zu sagen, doch der Herzog hält sich bei seinem Gefolge auf. Die Ritter sprechen dem Trunk zu...«

Renate machte große Augen. »Willst du damit sagen, Gundolf zieht die Gesellschaft der Ritter der meinen vor?«

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»Ich versteh es auch nicht«, versicherte Edeltraude. »Und es ge­ziemt mir nicht, den Herzog darauf anzusprechen. Doch wie es scheint, hat er vergessen, welch ein Tag heute ist. Und welch eine Nacht...«

Die junge Herzogin errötete. »Reich mir meinen Mantel, Edel­traude, ich will selbst sehen, was das zu bedeuten hat!«

»Nein, nein, Ihr könnt nicht dorthin, nicht zu dieser Stunde, das ist ausgeschlossen!«, widersprach die Zofe ihr mit Nachdruck.

»Aber was soll ich denn sonst tun? Die ganze Nacht auf ihn war­ten? Ich fühl' mich erniedrigt und dumm. Hätt' ich nur auf mein Herz gehört und wäre nicht seine Frau geworden. Er hat mir schön getan, ich wollte ihm trauen. Und doch scheint er nur an die Politik gedacht zu haben mit dieser Heirat. Sonst wäre er doch jetzt hier, bei mir...«

Edeltraude konnte ihrer jungen Herrin nicht widersprechen, auch wenn sie es noch so gerne getan hatte. Sie selbst begriff ja das Ver­halten des Herzogs nicht. Noch am Morgen hatte er Renate von Liebe gesprochen und nun verbrachte er die Hochzeitsnacht beim Saufen und Scherzen mit seinen Rittern...

Die Herzogin gab sich einen Ruck, edler Stolz beherrschte ihr schönes Antlitz, als sie die Zofe anwies: »Nun gut, wie er will. Ich gehe zu Bett und du wirst vor der Türe wachen. Ich möchte nicht, dass je­mand meine Kemenate betritt in dieser Nacht.«

»Auch der Herzog nicht, der nun Euer Gemahl ist?«, wunderte Edeltraude sich.

Renate atmete tief und nickte dann. »Der vor allem nicht!«

*

Fürstin Gwendolin fand ihre Tochter am nächsten Morgen in trüber Stimmung vor. Renate war blass, sah aus, als habe sie nicht ge­schlafen und wollte auch kaum ein Wort mit der Mutter sprechen. Die­se fragte behutsam: »Ist Gundolf zu stürmisch gewesen? Hat er dich verschreckt? Sei unbesorgt, aller Anfang ist schwer. Doch du wirst...« Sie verstummte, denn unvermittelt fing Renate an zu weinen und mochte sich gar nicht mehr beruhigen. Die Fürstin vermutete bereits

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schlimme Abgründe hinter der tiefen Verstörtheit ihrer Tochter und wunderte sich umso mehr, als die junge Herzogin schließlich bekannte: »Es war eine Nacht wie alle anderen, die ich bisher erlebt habe. Denn ich schlief allein...«

»Willst du mir damit sagen, dass dein Gemahl nicht bei dir war?«, fragte sie nach, denn dies erschien ihr doch sehr seltsam.

Renate nickte. »Ich habe lange auf ihn gewartet. Dann kam Edel­traude und erklärte mir, dass Gundolf seine Zeit lieber mit seinem Ge­folge verbringe und dem Alkohol zuspreche...«

»Das kann ich nicht glauben!« Die Fürstin hatte sich erhoben und ging nun, die Hände verschränkt und mit nachdenklicher Miene, in der Kemenate ihrer Tochter auf und ab. »Gundolf ist uns in den vergange­nen Wochen als Mann von Stand und Bildung vertraut geworden. Zu­dem ist er kein Knabe mehr, den Schüchternheit oder falsches Zögern beherrschen. Es muss hier ein tieferer Grund vorliegen, den wir beide allerdings nicht zu erforschen in der Lage sind.«

»Und was ratet Ihr mir, liebe Mutter? Denn ich bin ratlos!« »Ich werde mit deinem Vater sprechen. Gewiss wird er uns wei­

terhelfen können«, beschloss die Fürstin und eilte hinaus. Nun begann für die junge Herzogin ein zermürbendes Warten. So­

lange ihr unklar schien, woran sie war, wollte sie ihre Kemenate nicht verlassen. Doch die Stunden vergingen, ohne dass jemand erschien, um ihrer verwirrten Seele Erleichterung zu schaffen.

Als der Tag sich bereits seinem Ende zuneigte, tauchte unvermit­telt ein Diener auf und bat Renate, ihm in den Obstgarten zu folgen. Unter dem alten Birnbaum auf der Bank, wo er ihr den ersten Kuss ge­schenkt hatte, erwartete Gundolf seine junge Gemahlin. Er wirkte selbst übernächtigt, sein Blick suchte fragend den ihren. Und als er bemerkte, wie kühl und verschlossen ihr schönes Gesicht war, bat er sie vorsichtig: »Setze dich zu mir, Liebste, ich will dir erklären, was in meinem Herzen vorgeht.«

Sie folgte seiner Bitte nur zögernd. Noch immer beherrschten Ver­druss und Enttäuschung ihr Fühlen, doch wenn Gundolf in ihrer Nähe war, so schien es ihr zugleich unmöglich, ihm zu zürnen.

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»Renate, mein Herz, du sollst wissen, dass meine Gefühle für dich aufrichtig und ehrlich sind. Ich liebe dich, das ist nicht gelogen. Und dass du die letzte Nacht allein verbracht hast, hat einen bestimmten Grund. Dir dies zu erklären, ist nicht ganz leicht, doch ich will es ver­suchen.« Er verstummte kurz, schien seine Gedanken zu sammeln, eh er fortfuhr: »Vor einigen Jahren wandelte ich schon einmal auf Freiers­füßen. Die schöne Maid, die ich begehrte, trieb aber ein falsches Spiel mit mir. Ich verlor nicht nur mein Herz, sondern auch das Vertrauen in die holde Weiblichkeit. Ich wollte nicht mehr freien, sondern mein Le­ben allein zubringen. Nun aber ruft mich die Pflicht; ich muss ein Weib nehmen und Nachkommen zeugen, das bin ich dem Namen Falken­stein schuldig. Es mag in deinen Ohren hässlich klingen, aber das ist die Wahrheit. Als ich hierher kam, geschah jedoch etwas Unvorherge­sehenes: Ich verliebte mich in dich. Etwas, das nicht geschehen sollte, ginge es nach meinem gebrochenen Herzen. Nun bist du mein Weib, ich weiß, du liebst mich und wirst mich nie enttäuschen. Doch es ist nicht leicht für mich, wieder Vertrauen zu fassen, verstehst du? Drum muss ich dich um Geduld bitten. Es wird dich nicht leicht ankommen, vielleicht hältst du mich auch für einen schlechten Ehegemahl. Doch ich kann nicht über meinen Schatten springen, noch nicht. Willst du versuchen, es mir nachzusehen? Willst du Geduld haben und warten, bis mein Herz dem deinen ganz vertrauen mag?«

Renate hatte Gundolf aufmerksam zugehört, nun fragte sie leise: »So ist es nicht wahr, dass ich dir fade bin, du lieber die Gesellschaft deiner Ritter suchst als die meine? Ich hab geglaubt, es ist doch nur eine politische Heirat gewesen.«

»Das gewiss nicht.« Er nahm ihre schmalen Hände in seine und hielt sie behutsam fest. »Du bist mir sehr lieb und teuer, nie zuvor war meinem Herzen ein Mensch so nah. Ich weiß, du bist gut und aufrich­tig. Und ich will dir ein Glück schenken, das ein Leben lang währt.«

Sie lächelte verhalten. »Ich glaube dir, Gundolf. Und ich will dir beweisen, dass ich deines Vertrauens wert bin. Denn mein Herz gehört dir.«

Er wirkte nun sehr erleichtert. Und als er sie beschützend in den Arm nahm, schloss Renate die Augen, spürte den Schlag seines Her­

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zens und war fest entschlossen, für ihr Glück zu kämpfen. Sie würde die Schatten der Vergangenheit verscheuchen, die Gundolfs Herz noch immer umfangen hielten. Und der erste Schritt war ja auch schon ge­tan: Er hatte sich ihr anvertraut, etwas, das er vor Wochen noch strikt verweigert hatte. Sie konnte also hoffen.

*

Zwei Wochen später trat das Herzogenpaar die Heimreise an. In der Zwischenzeit hatten Renate und Gundolf viel Zeit zusammen verbracht und ihre Herzen neigten sich stetig einander zu, das spürten sie beide. Doch noch immer lebten sie wie Bruder und Schwester, denn der jun­ge Edelmann wollte sich und auch seiner Gemahlin Zeit lassen, nichts überstürzen. Sein wundes Herz und das ihre, noch so naiv und un­schuldig, mochten sich erst einander gewöhnen. Fürst Ludwig und seine Gemahlin sorgten sich ein wenig über das ungewöhnliche Ver­hältnis der jungen Eheleute zueinander, doch sie störten sich nicht daran, denn beide waren erfahren genug, um zu wissen, dass die Lie­be nur ihre eigenen Wege beschritt und sich niemals zwingen ließ.

Beim Abschied konnte Fürst Ludwig es sich dann aber doch nicht verkneifen, launig anzumerken: »Ich will doch hoffen, dass ihr beiden Euch noch gut sein werdet, denn auf die strammen Enkelkinder wer­den wir nicht verzichten wollen!«

Herzogin Renate errötete, ihr Mann aber lächelte schmal und ver­sprach: »Wir werden Euch gewiss nicht enttäuschen, liebe Schwieger­leute. Und nun lebt wohl, es wird Zeit für uns, zu scheiden!«

Renate umarmte die Mutter mit feuchten Augen, das Herz war ihr schwer und einzig Edeltraude, die sie begleiten würde, war ihr im schweren Moment des Abschieds ein kleiner Trost. Als der Tross sich dann in Bewegung setzte, spürte die junge Edelfrau allzu deutlich, dass nun ein ganz neuer Lebensabschnitt vor ihr lag. Sie wünschte sich sehr, glücklich zu werden an der Seite von Gundolf. Doch ob es ihr gelingen würde, das stand wohl noch in den Sternen...

Zwei Tage dauerte die Reise in den Bayerischen Wald. Bei Augs­burg wurde übernachtet, beschwerlich war der lange Ritt zu Pferde

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gewesen und Edeltraude jammerte in einem fort über all die Schmer­zen an Stellen ihres Körpers, die sonst nie benutzt wurden. Obwohl auch die junge Herzogin sehr erschöpft war, musste sie doch über die komische Verzweiflung ihrer Zofe schmunzeln. Gundolf saß noch lange bei Renate, erzählte ihr von Falkenstein und schien zugleich wieder von jener dunklen Schwermut heimgesucht, die sie schon in den ers­ten Tagen des kennenlernens an ihm bemerkt hatte. Aber sie wollte ihn nicht danach fragen, ahnte sie doch, dass es die Erinnerung an früher war, die ihn wieder einmal beschwerte und seine Seele beschat­tete. Renate hörte ihrem Gemahl aufmerksam zu, nahm Anteil an al­lem, was er sagte und spürte zugleich, wie wohl ihm ihr Mitfühlen tat.

Am nächsten Tag erreichten sie dann Falkenstein. Die Landschaft war sehr waldreich und so ganz anders als das liebliche Tal des Ne­ckars, das Renate nun bereits vermisste. Himmelhoher, dunkler Tann säumte den schmalen Weg, der nur ab und an zu einer kleinen Ansied­lung führte. Die Gegend war einsam, in der klaren Luft lagen die Gerü­che von Baumharz und Köhlerfeuern. Still war es hier, nur manchmal krächzte ein Rabe im Baumwipfel oder der Eichelhäher warnte die Waldbewohner vor den Eindringlingen. Ein wenig unheimlich schien der jungen Herzogin die Umgebung. Und als sie ihren Gemahl dies wissen ließ, da lächelte er verstehend. »Es ist stets der erste Eindruck, der jeden Neuankömmling hier befällt. Doch das Befremdende ver­schwindet, hat man erst einmal ein paar Tage hier verbracht. Du wirst sehen...«

Die Hofburg mit ihrem bunten Treiben setzte einen deutlichen Kontrapunkt gegen die Waldeinsamkeit. Falkenstein wurde von vielen Reisenden besucht, war Handelspunkt, Sängertreff und Turnierplatz in einem. Beinahe noch geschäftiger als auf Schloss Hohenzollern ging es hier zu. Der Herzog machte seine junge Frau auf einiges aufmerksam, was auf den ersten Blick leicht übersehen werden konnte. Renate schaute sich staunend um.

»Gefällt es dir?«, fragte Gundolf sie schließlich, als sie an seinem Arm die Halle betrat.

»Es ist ein Ort von eigenem Reiz. Ich glaube, ich kann mich an das Leben hier gewöhnen«, erwiderte sie diplomatisch.

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In diesem Moment kam ihnen bereits Prinz Erek entgegen. Renate bemerkte nicht, dass Gundolf sie sehr genau im Auge behielt, ihre Re­aktion auf seinen Bruder wohl richtig einschätzen wollte. Der Herzog sah, dass die beiden einander auf Anhieb sympathisch schienen. Doch das war nicht ganz ungewöhnlich, Erek hatte nämlich die Eigenschaft, Fremde sogleich für sich einzunehmen. Dass Renates Liebreiz ihn nicht ganz unbeeindruckt lassen würde, stand zu erwarten. Doch er war ein wenig zu begeistert, ging es nach Gundolf...

»Wie froh bin ich, Euch beide wohlbehalten hier zu wissen«, rief der Bruder des Herzogs mit ehrlicher Erleichterung aus.

»Was hast du gefürchtet, Erek? Es ist nicht die erste Reise, die ich unternehme«, hielt dieser ihm ruhig entgegen.

»Nun, es ist stets gefahrvoll, dem langen Weg durch den Tann zu folgen«, suchte er hastig, sich zu rechtfertigen. Dabei hingen seine Augen mit träumerischer Sehnsucht an Renates schlanker Er­scheinung. »Räuber und Strauchdiebe machen ihn unsicher...« Dass er dabei an ganz bestimmte Subjekte dachte, die ihm wohlbekannt wa­ren, verschwieg er jedoch geflissentlich.

»Nun sei nicht albern, Erek«, forderte der Herzog streng. »Wüsste ich's nicht besser, würde ich vermuten, du willst dich vor Renate groß tun. Doch das ist überflüssig, denn du stehst vor dem mir angetrauten Weibe. Verstellung ist nicht ihre Art, sie liebt die Wahrheit und das offene Wort.«

»Herzlich willkommen auf Falkenstein«, rief Erek mit einer tiefen Verbeugung. »Mein Bruder mag sich glücklich schätzen mit so viel hol­der Weiblichkeit an seiner Seite. Ich hoff, Ihr hattet eine angenehme Reise.«

»Ich kann nicht klagen. Und ich freu' mich sehr über den warmen Empfang. Doch jetzt würde ich mich gerne ein wenig frisch machen.« Die Herzogin suchte den Blick ihres Mannes, der eine Dienerin herbei­rief und diese anwies, seine Gemahlin zu ihrer Kemenate zu führen. Er versprach Renate, ihr bald nachzufolgen. Nachdem sie gegangen war, wandte er sich an Erek, der seiner Schwägerin unverwandt hinterher starrte. Seine ruhige Freundlichkeit wich nun einer beißenden Strenge, als er das Wort an seinen Bruder richtete.

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»Was ist das für ein Schmierentheater, das du hier aufführst?«, fragte er und suchte den Blick seines Gegenübers. »Wenn du darauf ausgehen solltest, Renate zu umwerben, muss ich dich warnen...«

Erek tat harmlos. »Ich bitt' dich, Bruderherz, das käme mir nie in den Sinn! Doch du hast dir unter allen Weibern die Schönste ausge­sucht. Sie geht in Anmut und Grazie ist ihr Mantel. Ich hätt's dir nicht zugetraut, eine solch Holde heimzuführen! Da wird man wohl ein we­nig verwundert staunen dürfen.«

Der Herzog lächelte abfällig. »Was gibt es Neues? Ist während meiner Abwesenheit alles nach gewohnter Manier verlaufen?«

»Freilich, du kannst dich doch auf mich verlassen. Wenn ich ehr­lich sein soll, hab ich noch nicht mit eurer Rückkehr gerechnet. Im­merhin seid ihr frisch verheiratet. Da würde sich ein Aufenthalt im Wolkenkuckucksheim doch anbieten...«

»Was willst du damit sagen?«

»Nun... Eine so junge Braut, die will verwöhnt werden. Und wenn ich denke, wie lange du der Beatrice nachgetrauert hast, so dacht ich mir, es braucht auch Zeit, sich umzugewöhnen.«

Der Herzog betrachtete seinen Bruder wortlos, seine Miene war verschlossen. Nun bereute er, Erek in seinen dunklen Stunden von dem Kummer gesprochen zu haben, den die italische Prinzessin ihm einst zugefügt hatte. Der Bruder kannte sein Geheimnis, wusste, dass sein Herz noch längst nicht wieder frei schlug und sich nur schwer an eine andere Seele binden würde. Das machte ihn angreifbar für Ereks leichtfertiges Treiben. Und wenn er daran dachte, wie der Bruder Re­nate eben betrachtet hatte, so wurde ihm allmählich klar, dass seiner jungen Ehe bereits Ungemach drohte. Er musste auf der Hut sein, wollte er nicht riskieren, Renate zu verlieren oder sie gar unglücklich zu sehen.

»Nun, wie dem auch sei, ihr seid hier und das ist schön«, behaup­tete der Prinz mit aufgesetzter Nonchalance. »Vielleicht willst du nach deiner Gemahlin schauen? Ich schaffe der Köchin an, dass wir heut wieder pünktlich essen.«

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»Was soll das heißen? Du hast den Haushalt hoffentlich nicht schleifen lassen? Du weißt, wie schnell sich Faulheit einschleicht und wie schwer sie wieder weicht.«

»Keine Sorge, es läuft alles nach Wunsch«, behauptete Erek ge­zwungen freundlich und schnitt hinter dem Rücken des Bruders eine alberne Grimasse. Um wie vieles schöner war es doch gewesen, als er sich für eine Weile Herr auf Falkenstein hatte wähnen können...

Gundolf betrat wenig später Renates Kemenate und erkundigte sich, ob sie zufrieden sei. Sie lächelte milde.

»Ihr seid hier nicht auf die Bedürfnisse einer Dame eingerichtet, doch das ist nicht arg, denn ich hab ja alles Nötige mitgebracht«, ließ sie ihn mit praktischem Sinn wissen. »Willst du mir denn die Burg zei­gen? Mir scheint, hier gibt es viel zu sehen und zu bestaunen.«

»Das verschieben wir lieber auf später. Ich möchte dich nun fra­gen, ob mein Bruder dir sympathisch scheint. Denn du hast offensicht­lich sehr großen Eindruck auf ihn gemacht.«

Renate lachte gekünstelt. Gundolf spürte den giftigen Stachel der Eifersucht, der sich fast unmerklich in sein Herz gebohrt hatte. Und die lauernde Frage: War Renates Liebe treu? Oder würde sie ihn auch enttäuschen wie Beatrice? Er wollte so nicht denken, doch sein Verstand ließ sich nicht befehlen, vielleicht in diesem Falle einzig vom Gefühl...

»Er scheint dir sehr ähnlich«, sagte sie nun mit nachdenklicher Miene. »Doch ihn beschwert wohl kein Kummer, denn sein Lachen ist frei und sein Blick ohne Arg.«

»So siehst du ihn?« Der Herzog war hinter das Fenster getreten und blickte hinunter in den Burghof, wo Erek sich mit dem Keller­meister unterhielt. Er schien besondere Sorgfalt auf das heutige A­bendessen zu verwenden und Gundolf fragte sich, ob er Erek wohl Unrecht tat mit seinem Misstrauen.

»Ist er denn anders?« Renate trat neben ihren Gemahl und suchte seinen Blick. Sie meinte, wieder die Traurigkeit in seinen Augen zu sehen, legte ihre schmale Hand auf seinen Arm und bat ihn: »Bleibe doch ein wenig bei mir, Gundolf. Ich habe deine Gesellschaft schon vermisst.«

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Er lächelte und seine ernste Miene entspannte sich etwas. »Gerne. Komm, setze dich zu mir, Renate, ich möchte dich in meiner Nähe ha­ben, dann ist alles gut.«

*

Tatsächlich ließ Prinz Erek zum Abendessen allerlei Köstlichkeiten auf­tischen; da gab es gebratene Tauben und Wachteln mit Weinsoße, Hirschbraten in Preiselbeersoße und zum Nachtisch köstliche Süßigkei­ten. Die Herzogin lobte das Essen sehr und bedankte sich persönlich bei der Köchin, die vor Freude und Befangenheit einen besonders tie­fen Knicks vor der neuen Herrin auf Burg Falkenstein machte.

Als Renate sich dann zurückzog, saß Gundolf noch lange über Pa­pieren und ließ sie wieder einmal allein. Edeltraude, die all das Neue mit ihrer gewohnt stoischen Art über sich hatte ergehen lassen, fragte die Herrin beim Auskleiden: »Wie behagt Euch denn Euer neues Heim? Fühlt Ihr Euch wohl, Durchlaucht?«

Die Herzogin ließ sich Zeit mit einer Antwort. Und als sie diese dann gab, klang sie weder zufrieden noch unzufrieden. »Ich werde mich zunächst einmal eingewöhnen müssen. Es ist doch ganz anders hier als daheim. Aber Gundolf will es mir leicht machen. Und sein Bru­der ist von angenehmer, offener Nettigkeit. Ich glaube, es sollte mir gelingen, hier heimisch zu werden.«

»Ihr mögt den Prinzen?«, fragte die Zofe mit so viel Verblüffung, dass Renate plötzlich hellhörig wurde.

»Gewiss. Er macht den Eindruck eines aufrichtigen, freundlichen Charakters. Oder hast du Grund, etwas anderes zu denken?«

»Nun, es steht mir nicht zu, über die hohen Herrschaften zu urtei­len. Doch wenn ich es könnte, wäre Prinz Erek meiner Sympathie nicht wert.«

Die junge Herzogin war überrascht. »Aus welchem Grunde denn? Du hast ihn kaum gesehen, nicht mit ihm gesprochen«, hielt sie Edel­traude ein wenig unwillig entgegen. »Wie kommst du zu einem solch schnellen Urteil über seinen Charakter?«

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»Dies ist es, was ich bemängele. Er nimmt die Menschen zu rasch für sich ein. Ihr verteidigt ihn bereits gegen mich. Ich fürchte, so einer ist ein Blender. Geläuterte Charaktere blitzen nicht wie Katzengold im Sonnenlicht.«

»Er ist Gundolfs Bruder. Überlege, dein strenges Urteil trifft somit auch meinen Gemahl«, gab Renate zu bedenken. Doch das wollte Edeltraude nicht gelten lassen.

»Der Herzog und sein Bruder scheinen mir wie Feuer und Wasser. Nichts an den beiden verbindet, außer dem Namen und vielleicht ein wenig Äußerlichkeit. Wo Euer Gemahl ruhige Klugheit, hohen Stand und inniges Empfinden mit den Attributen des wahren Ritters verbin­det, ist es bei seinem Bruder nur hohles Pathos, aufgeregtes Geplän­kel. Nein, Durchlaucht, dieser Mensch ist nicht wertvoll, das glaubt mir nur. Ihr mögt immer auf mein Urteil gehört haben. Und ich will mich nicht rühmen, doch oft war es recht. In diesem Falle aber bitte ich Euch, begegnet Prinz Erek mit Vorbehalt. Und Ihr werdet finden, dass er Eures Vertrauens in der Tat nicht wert ist...«

Renate dachte noch lange über die Worte ihrer Zofe nach. Es stimmte, Edeltraude war ein lebenserfahrenes Weib und wusste, wie es in der Welt zuging. Ihr Urteil war immer durchdacht und hatte Hand und Fuß. Trotzdem mochte die Herzogin nicht vorschnell den Stab über ihren Schwager brechen. Immerhin gab es auch persönliche Ab­neigungen, die der Verstand zwar mit gewissen Argumenten zu ver­brämen suchte, die aber am Ende doch nur aus dem Gefühl heraus entstanden. Und Renate hielt es durchaus für möglich, dass es sich in diesem Fall um eine solch spontane Abneigung handelte, die Edeltrau-de dem Prinzen entgegenbrachte.

Die junge Herzogin aber beschloss, sich selbst ein Bild ihres Schwagers zu machen. Sie wollte ihm mit Offenheit und freundlicher Geste begegnen, denn sie waren einander ja nun verwandt. Und dabei ahnte die junge Edelfrau nicht, dass sie einen großen Fehler beging. Hätte sie gleich auf die Warnungen der Zofe gehört, viel Kummer wäre ihr erspart geblieben...

In den nun folgenden Tagen erkundete Renate Burg Falkenstein bis in den hintersten Winkel und lebte sich allmählich ein wenig ein.

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Gundolf führte seine Gemahlin überall hin, zeigte ihr alles, wonach ihre Neugierde fragte und unternahm auch manchen Ritt in die Umgebung mit ihr. So lernte Renate, sich in ihrem neuen Heim zurechtzufinden und sie schätzte bald auch die Größe des Landes ein, das die Hofburg umgab. Ihr Gemahl verbrachte zwar viel Zeit mit ihr, doch er schien seltsam distanziert. Und jedes Mal, wenn Erek sich näherte, hatte die Herzogin das Gefühl, als liege Feindseligkeit zwischen den Brüdern in der Luft. Sie konnte sich das nicht erklären, denn bei ihrer Ankunft hatte sie den Eindruck gewonnen, dass Gundolf und Erek sich gut ver­standen. Sollte dieser erste Anschein sie denn getrogen haben?

Gerne hätte Renate ihren Gemahl darauf angesprochen, doch sie wagte es nicht. Und als sie an diesem sonnigen Sommermorgen ge­meinsam ausritten, gab Gundolf sich wieder besonders verschlossen. Er schien beständig mit den Gedanken weit fort zu sein, ließ es an höflicher Aufmerksamkeit mangeln und mochte in manchem Au­genblick sogar vergessen, dass er nicht allein war. Renate ließ sich das nur eine Weile gefallen, dann erklärte sie: »Es ist wohl besser, ich keh­re nach Falkenstein zurück. Du bedarfst meiner Gesellschaft ja offen­bar nicht, Gundolf.«

Ihre Worte rissen ihn aus seinem gedankenverlorenen Zustand, ein jähes Rot flackerte um seine Stirn und seine Augen baten um Ver­zeihung, noch ehe der Mund es tat.

»Ich ließ es in sträflicher Weise an Aufmerksamkeit dir gegenüber mangeln, meine Liebe. Kannst du mir vergeben, so möchte ich dich bitten, mir auf dem Rückritt noch Gesellschaft zu leisten.«

»Bist du sicher, dich verlangt danach?« Er schaute sie überrascht an. »Wie kommst du zu dieser Frage?« »Nun, seit wir auf Falkenstein leben, bin ich deinem Herzen nicht

näher gerückt, das spür' ich. Und manchmal scheint es mir gar so, als ob du jeden Menschen auf der Welt hassen würdest. Sogar deinen eigenen Bruder. Wie soll ich da hoffen, dass du mir andere Gefühle entgegenbringst?«

»Was veranlasst dich, Erek ins Spiel zu bringen?« Er musterte sie forschend. »Kann es sein, er beherrscht deine Gedanken?«

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Renate verstand den Sinn dieser Frage nicht. Ihr reines Herz wusste nichts von den Irrungen und Wirrungen, die verliebtes Tändeln auslösen konnte. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, in Erek etwas anderes als ihren Schwager zu sehen. Dass Gundolfs Herz voller Eifer­sucht war, die sich täglich vergrößerte, ahnte sie nicht einmal.

»Es fiel mir auf, dass du ihn abweisend behandelst. Dabei dachte ich, als Brüder steht ihr einander nah«, hielt sie ihm besonnen entge­gen. »Und ich kann kein Falsch an seinem Wesen finden.«

Der Herzog lächelte schmal. »So steht er dir bereits nah. Ich hätt' es wissen sollen. Erek ist ein Schöntuer, nur darauf aus, Frauenherzen zu erobern. Doch ich dachte, du wirst seinem plumpen Schmeicheln widerstehen. Scheint nun, ich schätzte dich zu hoch ein...«

Renate wurde eine Spur blasser. Sie bedachte ihren Gemahl mit einem Blick, der zwischen Empörung und Enttäuschung schwankte und erklärte entschieden: »Nie und nimmer käme es mir in den Sinn, einen anderen Mann anzuschauen. Wie kannst du mir so etwas unterstellen, Gundolf? Und Erek hat keine einzige Schmeichelei an mich verschwen­det, wohl wissend, dass ich als deine Frau für ihn unerreichbar bin.«

»Vielleicht im Augenblick. Doch wer sieht in die Zukunft?« Die junge Herzogin ließ ihr Ross stehen und saß ab. Sie ging ein

paar Schritte durch den Tann und bat ihren Gemahl: »Lass mich allein, Gundolf, ich will nicht mehr mit dir sprechen, solange du solch böse und niedere Gedanken in deinem Herzen bewegst. Sie tun mir weh und machen mich sehr unglücklich!«

Der Edelmann zögerte kurz, dann stieg auch er vom Pferd. Mit wenigen Schritten war er bei Renate und schloss sie in seine Arme. Zuerst widerstrebte sie, denn sein Misstrauen schmerzte noch immer. Doch als er sie küsste, vergaß sie, was Worte anrichten konnten und gab sich ganz dem süßen Sehnen hin, das Gundolfs Zärtlichkeit in ihr weckte. Sie liebte ihn doch – warum musste er sie immer wieder so rücksichtslos prüfen? Eine Weile schwiegen sie und genossen die Nähe und Wärme, die sie einander schenkten. Dann aber gab Gundolf seine Gemahlin frei und versicherte ihr: »Ich schäme mich meines Misstrau­ens, denn ich weiß, du hast es nicht verdient. Und ich will mich von

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nun an im Vertrauen zu dir üben. Kannst du mir also noch einmal ver­zeihen?«

»Gewiss verzeih ich dir, Gundolf. Und ich ahne, dass deine Ei­fersucht von alten Wunden rührt, die eine andere geschlagen. Gerne würde ich sie heilen, doch ich fürchte, das kann nur die Zeit. Ich will mir dein Vertrauen aber auch verdienen.«

Er betrachtete sie liebevoll. »Das musst du nicht, süße Renate, in deinen Augen seh' ich kein Falsch. Dein Fühlen ist rein und echt. Ich spür' es nun, du wirst mir die beste Gemahlin sein, die ich mir nur wünschen kann...«

*

Hatte die junge Herzogin gehofft, mit jener Aussprache die dunklen Wolken am Ehehimmel verscheucht zu haben, sie sah sich bereits allzu bald getäuscht. Obwohl Renate sich redlich Mühe gab, im Umgang mit ihrem Schwager keine falschen Töne aufkommen zu lassen, spürte sie doch, wie Gundolf sie jedes Mal misstrauisch beäugte, wenn der Prinz in ihrer Gesellschaft war. Um dem aus dem Wege zu gehen, suchte die junge Edelfrau sich eine Beschäftigung. Sie mochte nicht, wie es ei­gentlich Sitte war, die Tage im Frauengemach bei Stickerei und Ge­plauder verbringen, sondern lieber etwas Sinnvolles tun.

In Erinnerung an ihren geliebten Obstgarten auf Schloss Hohen­zollern wies sie einige Dienerinnen an, einen Teil des Gemüsegartens in ähnlicher Manier anzulegen. Obstgehölze gab es hier bereits, an einer Südwand rankte sogar ein malerisches Spalier, schwer behangen mit kleinen, süßen Birnen. Hier fand Renate schnell ihren Lieblings­platz. Sie ließ eine schmale Bank herschaffen und zeigte Gundolf mit einigem Stolz ihr Werk. Dieser gab sich allerdings eher skeptisch.

»Renate, ich verstehe dein Sehnen nach daheim, aber es ziemt sich wirklich nicht, dass du hier im Garten wie eine Magd Arbeiten ver­richtest. Du darfst nicht vergessen, was deine Stellung als mein Ehe­weib dir auferlegt«, mahnte er sie steif.

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»Aber ich arbeite ja gar nicht, die Mägde tun alles«, wagte sie, zu widersprechen. »Und es macht mir nun einmal viel Freude, die lichten Tage hier zu verbringen.«

»Dein Platz ist im Frauengemach«, hielt er ihr entgegen. »Ich dul­de es nicht, dass du die höfische Sitte verletzt!«

Sie senkte den Blick und schwieg, auch wenn ihr das Herz vor Empörung im Hals schlug. Erst als Gundolf sich entfernt hatte, atmete sie auf. Warum war er bloß so streng zu ihr? Bislang hatte sie all ihre Aufgaben als seine Gemahlin so erfüllt, wie man es verlangen konnte. Warum gönnte er ihr nun nicht ein wenig Abwechslung, eine kleine Freude? Es schien Renate, als verändere ihr Gemahl sich zunehmend auf eine Weise, die alles andere als angenehm war. Und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte...

Die junge Herzogin schaute sich betrübt um. Es fiel ihr sehr schwer, den sonnendurchfluteten Garten zu verlassen, um in ihre Ke­menate zurückzukehren. Doch Gundolf hatte es ihr befohlen und sie musste ihm folgen.

Sie wandte sich gerade zum Gehen, als unvermittelt Prinz Erek vor ihr stand und ihr versicherte: »Mein Bruder kann ein schlimmer Tyrann sein, doch daran solltet Ihr Euch nicht stören, liebe Renate. Verweilt nur noch ein Weilchen hier mit mir. Er wird uns gewiss nicht gleich die Köpfe abreißen.« Er lachte so unbekümmert und jungenhaft, dass der Kummer der jungen Herzogin rasch verschwand. Erek hatte eine herzerfrischende Art, die ihr nun wirklich wohl tat. Trotzdem musste sie vorsichtig sein, denn sie wusste ja um die Eifersucht, mit der ihr Gemahl sie und seinen Bruder stets zu beobachten pflegte.

»Ich denke, es ist besser, ich gehe«, erwiderte sie deshalb di­stanziert. »Gundolf möchte nicht, dass ich mich hier noch länger auf­halte, weil es sich nicht ziemt.«

»So ein Nonsens!« Erek nahm einfach ihre Hand und zog sie auf die schmale Bank. »So ist es besser. Ich seh' doch, wie Ihr freier at­met und Eure schönen Augen leuchten. Will mein Bruder Euch ins blasse Zimmer sperren, so ist er ein Narr. Schönheit will atmen und frei sein, um mit der lieben Sonne den Wettstreit der Lieblichsten zu gewinnen!«

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Renate schüttelte leicht den Kopf. »Ihr schmeichelt mir, Erek, das ist nicht recht. Ich möchte nun wirklich nach drinnen gehen, es wird Zeit.«

»Das glaub ich Euch nicht!« Er machte eine zerknirschte Miene. »Ich werde Euch nun ein Geständnis machen: Gelauscht hab ich, Euch und meinen Bruder ein wenig bespitzelt. Doch zu meiner Entlastung sei vorgebracht: Es geschah durch reinen Zufall. Denn ich bin auch gerne hier im Garten. Und als ich Euch mit Gundolf reden hörte, konn­te ich der Versuchung nicht widerstehen.«

»Erek, Ihr vergesst Euch!« Sie wollte aufstehen, doch er bat: »Wartet nur einen Augenblick, schöne Schwägerin, ich will Euch noch etwas Wichtiges sagen. Mein Bruder ist ein schwieriger Mensch. Beim ersten Ansehen macht er guten Eindruck, das ist nicht zu leugnen. Doch eine junge Maid wir Ihr, die wird ihn nie verstehen können. Ein Glück an seiner Seite sucht Ihr vergebens, denn Gundolf ist nicht fä­hig, Euch aufrichtig zu lieben. Sein Herz wurde einst von den Pfeilen Amors vergiftet und hat sich hernach verhärtet. Er mag sich mühen, Euch zu vertrauen, aber er wird immer wieder seinem Misstrauen er­liegen. Drum, wenn es Euch zu sehr schmerzt, an seiner Seite nur Käl­te und Gleichmut zu finden, so wendet Euch nur an mich. Ich will Euch gerne trösten!« Er wollte ihre Hände in seine nehmen, doch sie wich ihm aus. Kühle Beherrschung sprach aus ihrem Blick, als sie erwiderte: »Eben noch dachte ich, ihr wollt mir Verständnis entgegenbringen und meint es gut mit Eurem Bruder. Doch nun muss ich sehen, dass Gun­dolf leider Recht hat. Ihr seid ein Verführer, der seine Kunst nach allen Regeln versteht. Doch seid gewarnt: Der Weg zu meinem Herzen ist für Euch tabu. Ich liebe Gundolf. Und daran wird sich niemals etwas ändern!«

Mit stolz erhobenem Haupte schritt sie davon, den Prinzen keines Blickes mehr würdigend. Erek aber lächelte abfällig.

»Na warte, du wirst zu mir kommen, schöne Renate«, dachte er mit der ihm eigenen Überheblichkeit. »Wenn Gundolf dich immer wie­der von sich stößt, dann werde ich dich trösten...«

*

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Kurze Zeit später trafen auf Burg Falkenstein Ritter vom Kaiserhofe in Aachen ein. Herzog Gundolf kannte die Männer, mit denen er bereits einen Kreuzzug bestritten hatte, sehr gut und gab ihnen gerne Quar­tier. Seine Gastfreundschaft wurde mit tief empfundener Wiederse­hensfreude erwidert. Die Ritter, allen voran der hoch geschätzte Prinz Wieland von Säckingen, brachten zudem politische Kunde, die einige Unruhe auslöste.

»Seine Majestät der Kaiser hält sich noch immer in Rom auf, ob­wohl die Stimmen, die hierzulande gegen ihn sprechen, allmählich lau­ter werden«, wusste der Prinz zu berichten. »Das Kreuzzugsgelübde, das er vor gut zehn Jahren ablegte, wiegt schwer auf seinen Schultern. Wie es scheint, will der Heilige Vater den Bann gegen ihn aussprechen, tritt er nicht binnen Jahresfrist den gelobten Zug nach Palästina an.«

Der junge Herzog hatte genau zugehört, nun gab er zu bedenken: »Friedrich baut seine Macht in Sizilien aus, dabei vergisst er schnell, wie wacklig sein Stuhl in unseren Landen ist. Sind seine Berater denn so schlecht? Oder hat er den Kreuzzug vielleicht einfach vergessen?«

Säckingen lachte. »So vergesslich ist unser Kaiser gewiss nicht. Und ich vermag auch nicht zu sagen, ob's an schlechten Beratern liegt, dass er seine Politik in die falsche Richtung abgleiten lässt. Eines aber scheint sicher: Wenn wir Friedrich verlieren, die Ottonen wieder zur Macht gelangen, dann ist es schlecht bestellt um unser deutsches Heimatland.«

Gundolf nickte zustimmend. »Das darf nicht geschehen. Habt Ihr denn schon Pläne, wie dem vorzubeugen sei?«

»Nun, der Kreuzzug muss geführt werden. Gelingt es uns, Fried­rich auf den Thron von Jerusalem zu hieven, dann haben wir auch in unseren Landen fürs Erste Ruhe. Keiner wird fürderhin wagen, den weltlichen wie geistlichen Führer aller Deutschen zu verunglimpfen oder seinen Abtritt zu fordern. Hernach mag er nur nach Sizilien zu­rückkehren und sich die Sonne aufs Haupt scheinen lassen. Uns ist gedient, wenn die deutschen Lande befriedet sind. Dann wird die Poli­tik nicht mehr zum Tagesgeschäft.«

»Das klingt vernünftig. Und wie ist dies zu beschleunigen?«

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»Wir haben bereits Boten zu Friedrich geschickt. Gibt er uns den Freibrief, so werden wir Ritter aus allen Gauen sammeln und unter der Flagge des Kreuzes gen Süden ziehen lassen.« Der Prinz schaute sei­nem Freund in die Augen. »Wir können doch auf Euer Mitwirken zäh­len, Falkenstein, nicht wahr?«

»Gewiss«, kam es ohne Zögern von dem tapferen Edelmann. »Wir haben bereits mehr als einen Strauß durch gefochten. Es soll mir nicht auf einen Zug zum Kampfe mehr ankommen.«

Säckingen lächelte schmal. »Ihr seht mich überrascht, wenn auch freudig«, bekundete er. Und als Gundolf nach dem Grund fragte, fuhr er vorsichtig fort: »Als wir zusammen im Heiligen Land gegen die Sa­razenen zogen, wart Ihr wie ich los und ledig. Kein Weiberherz gehörte Euch an, keine Holde band Eure Gedanken. Ich denke, nun ist's an­ders, nicht wahr?«

»Ihr seht einen verheirateten Manne vor Euch, den die Ehe jedoch nicht in Fesseln zu legen vermag«, entgegnete der Angesprochene mit leiser Ironie. »Falls dies Eure Sorge ist, so war sie umsonst. Ich stehe bereit, wann immer Friedrich mich braucht.«

Es war nicht nur der Prinz von Säckingen, der diese Worte des Herzogs hörte. Auch Diener waren anwesend und so gelangte die Kunde über Umwege an Edeltrauds Ohr, die dem kaum trauen moch­te. Bereits seit Tagen war ihre Herrin blass und traurig. Auf Geheiß ihres Gemahls verbrachte sie ihre Zeit im Frauengemach, schaute mit sehnsüchtigen Augen hinunter in den sonnigen Garten und wirkte recht unglücklich. Erfuhr sie nun, dass der Herzog plante, auf Kreuzzug zu gehen, würde es wohl ganz aus sein mit der mühsam bewahrten Beherrschung. Die Zofe beschloss, das Erfahrene zu verschweigen, um Renate Kummer zu ersparen. Gelingen wollte ihr das aber nicht, denn die Herzogin erfuhr von anderer Seite, was ihr Gemahl plante. Ausge­rechnet Prinz Erek rieb es ihr unter die Nase und behauptete dazu: »Ich wusste, dass es so kommen würde. Gundolf will fort, denn er erträgt die Fesseln, die ihn an Euch ketten, nicht länger. Ihr wolltet mir nicht glauben, nun seht Ihr es selbst: Mit diesem Mann kann es kein Glück für eine Frau wie Euch geben. Denkt daran, was ich Euch ange­boten habe; Ihr müsstet nie mehr einsam sein...«

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Herzogin Renate ging nicht auf die Worte ihres Schwagers ein. Sie hatte gelernt, ihn zu ignorieren, wurde er zu impertinent. Doch was er ihr erzählt hatte, war trotzdem alarmierend. Renate verbrachte eine schlaflose Nacht, wusste nicht, was sie tun, wie sie sich verhalten soll­te. Nicht einmal Edeltraude vertraute sie ihren Kummer an. Und als der Morgen endlich dämmerte, hatte die junge Edelfrau einen Entschluss gefasst: Sie würde Falkenstein verlassen und nach Tübingen zurück­kehren, wenn ihr Gemahl es tatsächlich in Erwägung zog, sie einfach im Stich zu lassen. Doch zuvor musste sie ihm die Gelegenheit geben, ihr alles zu erklären, denn das war sie ihm und sich schuldig.

Der Herzog hielt sich in seinen Gemächern auf, als Renate er­schien. Er war noch nicht lange auf den Beinen, hatte mit seinen Gä­sten in der vorigen Nacht dem Trunk zugesprochen und fühlte sich noch nicht ganz wohl. Renates Auftauchen verunsicherte ihn.

»Was kann ich so früh für dich tun? Hast du Kummer?«, fragte er, denn sie schaute ihn gar so bedrückt an.

»Ich habe in der Tat Kummer. Und der hängt mit dem zusammen, was du tun willst, Gundolf. Und mit diesen Rittern, die scheinbar deine Freunde sind...«

Seine markante Miene verschloss sich, als er erwiderte: »Das sind Dinge, die dich nichts angehen, Renate. Du bist zwar mein Weib, doch es ziemt sich nicht für dich, solche Überlegungen anzustellen. Und nun lass mich bitte allein.«

Sie wollte sich zuerst fügen und gehen, aber dann erwachte der Trotz in ihr. »Ich gehe, aber ich komme nicht zurück!«, rief sie erbost. »Und ich will dir sagen, weshalb. Als du mich gebeten hast, dein Weib zu werden, hab ich aus Zuneigung ja gesagt. Ich wollte mein Leben mit dir teilen und glücklich sein. Doch keiner meiner Wünsche ist wahr geworden. Du teilst dein Leben nicht mit mir, Gundolf. Du sperrst mich ein, redest kaum noch mit mir und tust so, als sei ich Luft für dich. Und nun planst du, auf einen Kreuzzug zu gehen, viele Monate, viel­leicht Jahre fortzubleiben. Das will mir nicht gefallen, doch ich hätt' es vielleicht hingenommen, hättest du mit mir gesprochen. Aber daran denkst du ja gar nicht mehr. Dein Bruder hatte wohl doch recht, mit dir ist nicht auskommen. Ich war sehr geduldig und hab gehofft, dass

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mein stilles Leiden Früchte tragen würde. Nichts dergleichen ist ge­schehen. Und deshalb kehre ich in mein Elternhaus zurück und bitte meinen Vater, die Lösung unseres Bundes zu betreiben.« Sie drehte sich rasch um, denn er sollte die Tränen nicht sehen, die ihr nun aus den Augen stürzten. Wie weh tat es ihr, so zu ihm sprechen zu müs­sen! Aber was blieb ihr anderes übrig, wenn er sie immer wieder von sich stieß?

Tränenblind wollte sie davon, da spürte sie, wie Gundolf sie pack­te und festhielt. Seine Stimme klang ruhig, doch unterdrückte Gefühle vibrierten darin, als er sie anfuhr: »Du redest töricht wie ein kleines Kind, das beim ersten Arg zur Mutter rennt. Du bist und bleibst mein Weib. Und ich geb' es nicht zu, dass jemand unsere Bindung löst!«

»Aber du liebst mich ja nicht!«, hielt sie ihm heulend entgegen. »Und ich will nicht mein Leben in Traurigkeit verbringen.«

»Wer sagt, dass ich dich nicht liebe? Erek?« Sie starrte ihn einen Moment lang wütend an, dann rief sie erbost:

»Ich kann selbst denken und fühlen! Dein Bruder ist doch nur ein Schaumschläger, der mein Unglück für sich zu nutzen versucht. Ich will von ihm nichts wissen, ebenso wenig wie von dir. Ach, ich wünsch­te, ich wäre dir niemals begegnet, Gundolf, du hast meinem Herzen schon so viel Weh zugefügt.« Sie verstummte, als er sie stürmisch in seine Arme zog und murmelte: »Es tut mir so leid, liebste, süße Rena­te. Ich weiß, ich bin deiner nicht wert und ich hab zu oft schon mein Gelöbnis um Besserung gebrochen. Was kann ich denn tun, um dir zu beweisen, dass du mir noch immer so lieb und teuer bist wie am ers­ten Tag?«

»Nichts, ich weiß es ja auch so«, murmelte sie bekümmert. »Aber du kannst mir nicht trauen und glaubst noch immer, ich sei dir nicht treu wie die andere, die dein Herz vergiftet hat. Drum will ich gehen, weil es keinen Sinn mit uns beiden hat.«

»Das ist nicht wahr.« Er schob eine Hand unter ihr Kinn und schaute ihr in die Augen. Und in diesem Moment spürte Renate, dass etwas anders geworden war zwischen ihnen. Die stumme Frage, das unsichere Misstrauen, das stets in Gundolfs Blick genistet hatte, es schien endlich gewichen. Sie mochte es noch nicht glauben, doch was

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er sagte, das öffnete ihr das Herz. »Du bist ganz anders als sie, das weiß ich längst. Dein Herz kennt kein Falsch, keine Lüge und keine Tändelei. Ich muss dir ein letztes Mal Abbitte leisten für all das Schwe­re, das du an meiner Seite hast durchmachen müssen. Von nun an aber soll es anders werden. Und wenn ich von dir scheiden muss, dann sollst du nicht unglücklich sein, sondern meiner in Liebe geden­ken und wissen, dass ich schon bald wieder bei dir bin.«

»Ist das auch wahr, Gundolf? Du willst mir vertrauen?« »So wie du mir vertraut hast, trotz allem«, entgegnete er mit fei­

erlichem Ernst. Und dann verschloss er ihre bebenden Lippen mit Küs­sen, von denen Renates unschuldiges Herz nichts gewusst hatte. End­lich fand die Liebe hier ihren Weg und verband zwei Menschen, die einander für immer angehören wollten, aufs Innigste. In Gundolfs Ar­men erlebte Renate, was Glückseligkeit hieß. Und sie wusste: Was immer auch geschehen mochte, so wie sie einander nun verbunden waren, konnte nichts und niemand sie wieder trennen...

*

Prinz Erek spürte rasch, dass sich zwischen den Eheleuten etwas ge­ändert hatte. Mit dem sicheren Instinkt des Galans, der in Liebes­dingen einige Erfahrung hatte, vermutete er, dass Renate und Gundolf doch noch zueinander gefunden hatten. Und diese Tatsache wollte ihm ganz und gar nicht behagen. Bislang waren seine Tändelei und die verliebten Anspielungen, mit denen er seine Schwägerin stets in Verle­genheit zu bringen suchte, nur argloses Spiel gewesen. Allmählich aber verlangte es ihn nach mehr. Renates Anmut und Schönheit hatten sein leicht entflammbares Herz in lichtes Feuer der Leidenschaft versetzt. Erek begehrte seine Schwägerin. Und er suchte nach einem Weg, der doch noch zu ihrem Herzen und in ihre Kemenate führte...

In der Zwischenzeit waren der Prinz von Säckingen und seine Mannen wieder abgereist, man erwartete aber alle Tage Kunde, die den Herzog rasch abberufen konnte. Darauf hoffte Erek mehr und mehr. War Gundolf erst fort, hatte er sein junges Weib schutzlos zu­rückgelassen, so waren für ihn, Erek, alle Türen geöffnet...

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An diesem frühen Morgen Ende Juli verließ Prinz Erek Burg Fal­kenstein zu Ross, um sich im Forst mit seinen Kumpanen zu treffen. Der Wildgraf Wolfram hatte ihm Nachricht zukommen lassen und nach seinem Befinden gefragt. Es schien, als sorge er sich um den Freund. Dass dies in Wirklichkeit nur aus Berechnung geschah, ahnte Erek nicht. Er war Wolfram von Wildecks geschmeidiger Art nicht gewach­sen und nahm alles, was dieser ihm eingab, für bare Münze. Die Ritter lagerten auf einer Lichtung, unweit der Burg. Als Erek zu ihnen stieß, begrüßte man ihn mit großem Hallo. Es war, als hätten alle ihn arg vermisst und er glaubte sich herzlich in die Runde aufgenommen. Die lauernden Blicke seiner ›Freunde‹ bemerkte er nicht.

»Nun, wie steht es im trauten Heime?«, wollte Wolfram launig wissen. »Ist schon mit dem Kindersegen zu rechnen?« Er lachte dröh­nend, während Erek nur den Mund verzog. »Sprecht, mein Guter! O­der hat's Euch die Sprache verschlagen? Am Ende wollt Ihr selbst Euch ein Weib nehmen und der edlen Ritterschaft im Ehebette abhold wer­den?«

»Wozu schmäht Ihr mich?«, brummte der Prinz ungehalten. »Hab ich nicht bereits genug daheim auszuhalten? Meine Schwägerin raubt mit den Verstand, sie ist die Schönste in der ganzen holden Weiblich­keit. Und Gundolf, der Stoffel, will auf Kreuzzug gehen. Dann bleibt wieder alles an mir hängen, die ganze Wirtschaft, die öde Schufte­rei...«

»Freut Euch doch! Ist die Katze erst aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Die Schwägerin wird sich nach Eurem Schütze sehnen. Und wer weiß, vielleicht bleibt der Herzog ja im gelobten Land - auf immer!«

»Ich wünsche meinem Bruder nur das Beste«, behauptete Erek hintergründig. »Doch es liegt ein gewisser Reiz in der Vorstellung, sei­nen Platz einzunehmen. Mehr denn je, da er Renate zum Weibe ge­nommen hat...«

»Nun, was zögert Ihr? Oder denkt Ihr selbst vielleicht daran, auf Kreuzzug zu ziehen? Jeder Ritter landauf landab, der etwas auf sich hält, erwartet ja nur das Ja und Amen aus Sizilien.«

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»Damit hab ich nichts am Hut«, behauptete der Prinz rasch. »Für ein Turnier bin ich immer zu haben. Und ich halt auch auf die anderen ritterlichen Tugenden. Doch in die Fremde zu ziehen, danach steht mir gewiss nicht der Sinn. Dazu lieb ich meine Heimat viel zu sehr.«

»Und die schöne Schwägerin, nicht wahr?« Graf Wildeck grinste breit. »Wenn Gundolf fort ist, werdet Ihr bestimmt Freunde brauchen, die Euren Anspruch auf den Titel unterstützen. Mit uns könnt Ihr je­derzeit rechnen. Wartet nur ab, schneller als jeder sich das ausmalen mag, wird es einen neuen Herzog Falkenstein geben. Und keiner spricht dann mehr von dem alten, dafür sorgen wir schon...«

Die Worte des Wildgrafen gingen Erek noch den ganzen Tag im Kopfe herum. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer erschien ihm das Bild seiner Zukunft. War sein Bruder erst fort, würde er auf Falkenstein schalten und walten können, wie es ihm behagte. Und Renate durfte sich ihm dann nicht mehr so spröde widersetzen. Sonst würde er sie schon Mores lehren. Ein kaltes Grinsen legte sich um sei­nen Mund. Die schöne Herzogin sollte sein Weib werden. Wenn Gun­dolf in Palästina sein Leben verlor, konnte ihn niemand davon abhal­ten, die Witwe seines Bruders zu ehelichen. Und dann war er ganz allein Herr von Falkenstein...

*

Herzogin Renate ahnte nichts von den finsteren Hirngespinsten, die ihren Schwager befallen hatten wie eine üble Krankheit. Und Erek wusste sich gut zu verstellen. Er trat seiner Schwägerin nicht mehr zu nahe, gab sich höflich und sittsam und wartete im Stillen doch nur den Moment ab, wenn das Schicksal ihm endlich günstig erschien... Renate war glücklich. Sie wusste nun, dass Gundolfs Herz ihr gehörte und sie meinte, die Schatten der Vergangenheit endlich gebannt zu haben. Ihr Eheglück schien perfekt. Hätte nicht der drohende Abschied bereits am Horizont gedräut. Edeltraude suchte ihre Herrin zu besänftigen, wenn diese gar zu schwere Gedanken hinter ihrer lichten Stirne wälzte.

»Es ist nicht gesagt, dass der Kreuzzug überhaupt stattfinden wird«, meinte sie leichthin. »Viermal sind die Ritter nun schon gen

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Palästina gezogen, doch nie gelang es ihnen, den heiligen Boden für sich zu beanspruchen. Wo liegt da der Sinn?«

Die junge Herzogin seufzte schwer. »Der Kaiser wird gewiss seine Zustimmung geben. Ich hörte Gundolf sagen, dass der Papst es so will. Und wenn es nun einmal so kommen wird, dann werde ich mei­nen Gemahlgleich wieder hergeben müssen. Nun, da wir einander so nah sind und das Glück gefunden haben, das ich bereits verloren gab. Ist das denn nicht ein Jammer?«

»Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben, dass es anders kommen wird«, riet die Zofe ihr nachdrücklich. »Und wenn der Herzog tatsäch­lich fortziehen will, so wird er gewiss gesund heimkehren. Denn er hat ja nun einen gewichtigen Grund, sein Leben zu bewahren, nicht wahr?«

»Ach, Edeltraude, ich wünschte, ich hätte das gleiche Zutrauen zum Schicksal wie du. Doch ich fürchte um mein Glück, gerade, dass ich's gefunden habe...«

Die Zofe horchte auf, als eilige Reiter über die Brücke in den Burghof sprengten. Auch Renate hatte es gehört und machte sich ih­ren Reim darauf. Sie verlor etwas an Farbe, als die treue Dienerin sie nach einem Blick aus dem Fenster wissen ließ: »Boten vom Kaiserhof! Und sie scheinen wichtige Neuigkeit zu bringen!«

Die Herzogin erhob sich. »Ich werde nach unten gehen.« Sie be­merkte, dass Edeltraude widersprechen wollte und erklärte mit Nach­druck: »Ich weiß, es ziemt sich nicht. Doch ich muss wissen, welche Nachrichten sie bringen!« Damit verließ sie bereits das Frauengemach und eilte nach unten in die Halle. Herzog Gundolf und sein Bruder hat­ten die Boten empfangen und waren nun in ein ernstes Gespräch ver­tieft. Als Renate sich näherte, wies der Herzog seinen Bruder an, die Boten zu verpflegen und wandte sich dann an seine Gemahlin.

»Renate, Liebes, lass uns in den Obstgarten gehen. Ich habe mit dir zu sprechen«, sagte er freundlich und bot ihr den Arm. Die ängstli­che Unrast in ihren Augen schien er nicht bemerkt zu haben. Und auch die Frage, die so drängend zwischen ihnen stand, ließ er unberührt, bis sie auf der Bank unter dem Birnenspalier Platz genommen hatten. Die Hitze des Tages lastete schwer auf dem Land, doch hier war's luftig

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und angenehm. Trotzdem spürte die junge Edelfrau ihr Herz schmerz­haft fest gegen die Rippen pochen. Sie suchte den Blick ihres Gemahls, der sie ruhig und liebevoll anblickte.

»Gundolf, bitte sei ehrlich zur mir, welche Nachricht brachten die beiden Boten?«, fragte sie ungeduldig.

»Sie kamen von Aachen und brachten die Kunde, dass Kaiser Friedrich zum Heiligen Kreuzzug aufgerufen hat.«

»Nein!« Nichts hielt Renate mehr auf ihrem Platz. Sie sprang auf und machte unruhige Schritte hin und her. Dabei murmelte sie: »Ich hab's gewusst und doch nicht wissen wollen. Ach, was ist das für ein ungnädiges Schicksal, das uns nun schon wieder auseinander reißt, gerade, da wir einander gefunden haben...« Gundolf erhob sich eben­falls und legte einen Arm um Renates zuckende Schultern. Er hörte sie verzweifelt schluchzen und fühlte die Versuchung, ihr sein Bleiben zu versprechen. Doch es dauerte nicht lange, bis der junge Herzog diese Regung seines liebenden Herzens zurückdrängte. Er hatte sein Wort gegeben, war verpflichtet, es zu halten. So schwer es ihm nun auch wurde, er musste die Pflicht dem Kaiser gegenüber höher gewichten als seine Liebe zu Renate, die ihm doch alles geworden war...

»Weine nicht, mein Herz, ich kehre ja zurück«, versuchte er, sie zu trösten. Doch davon wollte die junge Edelfrau nichts wissen. Sie machte sich von ihm los und warf ihm vor: »Es ist nicht recht von dir, mich zu verlassen. Es gibt so viele Ritter in diesen Landen, sie alle mö­gen für den Kaiser reiten. Doch dich will ich nicht hergeben, denn ich kann's nicht!«

Er lächelte milde. »Auch sie haben Weib und vielleicht Kinder. Friedrichs Gefolgschaft würde sich verschwindend ausmachen, wollten sie alle daheim hinter dem Ofen bleiben.«

»Die anderen sind mir einerlei«, beschwerte Renate sich. »Du sollst mir bleiben. Ich bitt' dich, ich beschwör' dich, Gundolf, verlasse mich nicht! Zu viele Gefahren lauern in fremden Landen. Und ich mag nicht allein hier zurückbleiben!«

»Es ist nicht mein erster Kreuzzug«, erinnerte er sie. »Und auch du wirst einsehen, dass es meine heilige Pflicht ist, unsere Fahne ins gelobte Land zu tragen. Was dein Hier bleiben angeht, so sei unbe­

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sorgt. Erek wird mich nicht begleiten, seine Aufgabe ist es, in meiner Abwesenheit den Betrieb hier zu führen. Er wird dich beschützen, bis ich heimkehre.«

»Erek?« Renate mochte dieser Gedanke gar nicht gefallen. Auch wenn ihr Schwager sich in letzter Zeit etwas vernünftiger aufgeführt hatte, blieben ihr doch Zweifel. Was, wenn Gundolf fort war, sie allein miteinander auskommen mussten? Würde Erek die Distanz, die der Anstand gebot, einhalten, oder ging er wieder dazu über, ihr den Hof zu machen?

»Hast du Bedenken seinetwegen?«, forschte Gundolf überrascht nach. »Ich dachte, es ist nichts zwischen euch. Dass ihr nur wie Schwägerin und Schwager zueinander steht.«

Sie hätte ihm gern widersprochen, ihm ihre Zweifel erklärt. Doch sie dachte an seine Eifersucht und daran, wie misstrauisch er sie und Erek beobachtet hatte. Renate wollte verhindern, dass solch falsche Töne sich noch einmal in ihre Ehe stahlen und schwieg deshalb. Ein fataler Fehler, wie sie sehr bald schon erfahren sollte.

»Gewiss kann dein Bruder Falkenstein vorstehen und wir werden auch miteinander auskommen. Doch es ändert nichts daran, dass ich große Angst um dich habe, solltest du wirklich in fremden Landen in den Kampf ziehen«, behauptete sie mit gesenkten Lidern.

Gundolf lauschte ihren Worten einen Moment lang nach, so, als schien es ihm nicht ganz klar, ob Renate ihm tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Dann aber stellte er fest: »Es führt kein Weg daran vor­bei. Bitte, Renate, zürne mir nicht. Ich tu's gewiss nicht, um dich zu verletzen oder weil ich deine Gefühle minder achte. Doch meine Stel­lung und meine Ehre geben mir ein, dass ich dem Ruf des Kaisers fol­gen muss. Ohne Zögern oder Ausweichen.«

*

Nach diesem offenen Gespräch war es für die junge Herzogin nur noch eine Frage des Zeitpunkts, wann ihr Gemahl sie verlassen würde, um in den Kampf gegen die Sarazenen zu ziehen. Renate gab sich tapfer und gefasst, auch wenn es ihr ganz anders ums Herz war. Oft lag sie

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des Nachts wach und weinte, denn die Angst vor dem, was kommen musste, machte ihr einfach zu sehr zu schaffen.

Edeltraude kümmerte sich mit großer Geduld und einem Übermaß an Verständnis um ihre junge Herrin und hätte viel darum gegeben, ihr den neuerlichen Kummer zu ersparen. Doch die Würfel waren gefallen, Gundolf traf bereits Reisevorbereitungen und als eine Weile später der Prinz von Säckingen mit Gefolge auf Falkenstein erschien, wusste Re­nate, dass der Abschied nah war. Prinz Erek gab sich dieser Tage sehr zurückhaltend und trat kaum je in Erscheinung. Er fieberte der Abreise seines Bruders entgegen und schmiedete bereits fleißig Pläne, wie er Falkenstein und den Titel in seinen Besitz bringen konnte.

Eigentlich hatte der Prinz nur beabsichtigt, seine schöne Schwä­gerin für sich zu gewinnen. Doch die Einflüsterungen des Wildgrafen fruchteten allmählich. Erek meinte, der bessere Herzog zu sein, der Klügere und Höherstehende, dem eigentlich der Titel zustand. Wie Wolfram von Wildeck behauptete, hatte bloß ein blindes und unge­rechtes Schicksal die Karten falsch verteilt. Doch nun schien endlich die Gelegenheit, dies zu ändern. Erek schlich um seinen Bruder herum wie eine Wildkatze, die ihre Beute taxierte. Und es kostete ihn einige Mühe, seine Freude über dessen, wie er hoffte, endgültiges Ver­schwinden zu verbergen. Der Herzog bemerkte kaum, was hinter sei­nem Rücken vorging. Er war in Gedanken bereits auf Reisen und hatte zudem ein sehr schlechtes Gewissen Renate gegenüber. Schließlich sah er deutlich, wie sehr sie zu leiden hatte und konnte doch nichts daran ändern...

Endlich kam der Tag der Abreise. Am vierten August des Jahres 1227 verließ Herzog Gundolf von Falkenstein zusammen mit einem halben Dutzend Rittern samt Gefolge seine Stammburg, um sich auf den langen Weg nach Palästina zu machen. Renate stand hinter dem Fenster im Frauengemach und konnte die Tränen nun nicht länger zurückhalten. Eben noch hatte Gundolf sie in den Armen gehalten und ihr immer wieder gesagt, wie sehr er sie liebe. Sie meinte, noch seine Küsse auf ihren bebenden Lippen zu spüren. Und nun war er fort, sie allein und niemand konnte sagen, ob sie den geliebten Gemahl jemals wieder sehen sollte. Ein übergroßer Jammer hatte ihr Herz ergriffen,

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nichts und niemand vermochte sie zu trösten und Edeltraude wurde es schließlich recht bang zumute, weil ihre Herrin sich gar nicht mehr beruhigen wollte. Erst gegen Abend fand Renate ihre Beherrschung wieder und suchte, sich mit dem abzufinden, was ja nun einmal nicht mehr zu ändern war. Sie kleidete sich sorgfältig um und erschien pünktlich zum Abendessen im Speisesaal.

Prinz Erek hatte seine Schwägerin bereits erwartet. Er rückte ihr galant den Stuhl, setzte sich in einigem Abstand zu ihr und begann sogleich eine unverfängliche Plauderei, die ihr das gepresste Herz langsam ein wenig löste.

»Wir vermissen den guten Gundolf beide«, behauptete er in einem Tonfall, der nicht eben von übergroßem Kummer sprach. »So wollen wir gute Kameraden im Jammer sein, uns gegenseitig ein wenig stüt­zen und dem harren, was gewiss bald kommen wird: Der Rückkehr unseres Gemahls und Bruders.«

Die Herzogin lächelte mild. »Es ist' lieb von Euch, das zu sagen. Und ich freu' mich, dass Ihr ebenso empfindet wie ich.«

»Aber das ist doch nur natürlich. Schließlich haben Gundolf und ich uns immer gut verstanden. Wir sind Brüder, haben lange das Le­ben geteilt. Ein wenig bekümmert es mich, dass ich ihn nicht begleiten konnte. Doch es schien ihm wichtiger, Euch beschützt zu wissen.«

Renate sagte dazu nichts; noch immer erschien ihr Erek wie der berühmte Wolf im Schafspelz. So schnell konnte sie sein Verhalten zu Beginn ihres Aufenthaltes auf Falkenstein nicht vergessen. Doch sie wollte auch nicht ungerecht sein, denn er bemühte sich ja ganz offen­sichtlich um ein gutes Einvernehmen.

In den folgenden Tagen und Wochen änderte sich nichts an Prinz Ereks Verhalten. Er schaffte es schließlich, Renates Vertrauen zu errin­gen, dass ihm seine leichtfertige Tändelei einst zerstört hatte. Noch trat er ihr nicht zu nah, gab sich höflich und zurückhaltend. Doch lange sollte es nicht so bleiben...

Wolfram von Wildeck und seine Kumpane hatten der Abreise des Herzogs mindestens ebenso ungeduldig geharrt wie Prinz Erek. Da­nach hielt man sich noch eine Weile bedeckt, bis die landlosen Ritter ihren Anführer schließlich drängten, endlich nach Falkenstein zu reiten,

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um den nun herrenlosen Besitz in ihre ›Obhut‹ zu nehmen, wie sie es schönfärberisch nannten.

Der Wildgraf ließ sich allerdings zu keiner Entscheidung zwingen. »Wir reiten, wenn ich es beschließe«, waren seine Worte. Und alles Murren half da nichts. Endlich erschien Erek im Forst. Er brachte gute Kunde und gab sich so selbstsicher und hoffärtig wie selten zuvor. »Nennt mich den neuen Herren von Falkenstein und es wäre keine Lüge. Ich habe alles unter meiner Hand und Renate ahnt noch nicht, wer nun ihr wahrer Gebieter ist...«

Wildeck lachte dreckig. »Ihr wollt das Täubchen wohl in Sicherheit wiegen, bis es gerupft wird.« Seine respektlosen Worte lösten bei allen Anwesenden einen Heiterkeitsausbruch aus. Nur Erek blieb ganz ernst. Mit deutlichem Hochmut belehrte er sein Gegenüber: »Wollet nicht dermaßen über die Herzogin spotten, sonst wäre es nämlich an mir, Euch zu fordern.«

Ein Murren floss durch Wildecks Mannen, der dies mit einer knap­pen Handbewegung verstummen ließ. Dann wandte er sich an Erek. Sein gesundes Auge starrte den Prinzen schneidend an, seine Stimme klang lauernd, als er wissen wollte: »Mag es sein, dass Ihr vergesst, wo Eure Freunde sitzen? Gundolf ist weit fort, er wird Falkenstein nicht mehr verteidigen. Und Ihr glaubt im Ernst, Euch gegen uns wehren zu können? Nehmen wir an, Ihr sterbt hier und jetzt...« Er zückte blitz­schnell einen Dolch und presste die Schneide an den Hals des Prinzen. »Und wir übernehmen die Regentschaft auf Falkenstein. Wer will's hindern? Ihr gewiss nicht, wenn ihr kalt in Eurem Blute liegt...«

Erek wollte zurückweichen, spürte aber auch einen Dolch im Rü­cken. Er war umzingelt, seine Lage prekär. Noch ahnte der Prinz nicht, von welchem Charakterschlag seine ›Freunde‹ in Wirklichkeit waren. Doch er spürte deutlich, dass er zu weit gegangen war. Wollte er sich Wolframs Freundschaft erhalten, musste er nun wohl oder übel einen Rückzieher machen.

»Ich bitt' Euch, wir werden einander doch nicht drohen«, lenkte er ein. »Wenn ich Renate beschütze, so geschieht es nur zu ihrer Ehre, nicht, um Euch zu schmähen. Unsere Abmachung gilt, des könnt Ihr vertrauen.«

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Der Wildgraf zögerte noch einen Moment, dann zog er seine Waf­fe zurück und grinste schmal. »Schön, ich vertrau Euch. Wir sind wohl alle etwas angespannt, das wird sich aber ändern, wenn wir erst auf Falkenstein residieren. Sagt wohl an, Erek, wann erwartet Ihr uns?«

»Euer Besuch ist mir jederzeit genehm. Und bleiben könnt Ihr, so­lange Ihr wollt!«, versicherte er rasch und geschmeidig.

»Nun gut. Dann rechnet nur bald mit unserem Besuch, denn wir wollen Euch ja beistehen als neuem Herren auf Falkenstein...«

*

Herzogin Renate war im Obstgarten damit beschäftigt, die ersten saf­tigen Pflaumen zu kosten und genoss den spätsommerlichen Tag, als unvermittelt Erek vor ihr stand. Seine Miene war verändert, etwas ging von ihm aus, dass sie erschrecken ließ und ihr sagte, er führte Schlechtes im Schilde. Sie wich etwas vor ihm zurück, wahrte aber die Fassung und fragte kühl: »Was ist Euch, Erek? Ihr seht nicht wohl aus.« Sie erhielt nicht sofort eine Antwort, stattdessen nahm er ihr die Früchte aus der Hand und aß sie selbst. In seinen Augen glomm ein seltsames Feuer.

Die Herzogin musterte ihn abweisend und wollte sich abwenden, als er sie plötzlich packte und versuchte, in seine Arme zu ziehen. Re­nate hatte nicht damit gerechnet, aber es überraschte sie auch nicht, dass Erek sich so verhielt, sie hatte schließlich schon bemerkt, dass eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. Und nicht eben zum Gu­ten.

Mit einer raschen Bewegung machte sie sich von ihm los und ver­setzte ihm eine schallende Ohrfeige. Er starrte sie kurz böse an, dann aber lachte er aus vollem Halse. Und die junge Edelfrau hatte das be­fremdliche Empfinden, als lache er sie aus.

»Du solltest dich gut mit mir stellen, Renate. Bin ich dein Be­schützer, wird dein Leben auf Falkenstein angenehm. Machst du mich dir zum Feind, werden andere zum Zuge kommen, die dir gewiss nicht sehr angenehm sind...«

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Renate war blass geworden, wahrte aber Haltung. Ihre Stimme klang kalt und abweisend, als sie feststellte: »Ich habe gehofft, Ihr hättet Euch geändert. Nun muss ich leider feststellen, dass dies nur Wunschdenken war. Auch wenn Gundolf nicht hier weilt, bedeutet dies nicht, dass ich für Euch Freiwild bin. Hütet fürderhin Eure Zunge und behaltet Eure Hände bei Euch. Oder aber Ihr werdet es sehr bereuen!«

»Nun, wir werden sehen, wer hier bereut. Kennt ihr den Grafen Wildeck und seine Freunde? Sie sind auf dem Weg hierher und freuen sich bereits sehr darauf, Eure Bekanntschaft zu machen.«

»Was soll das bedeuten? Erek, ich warne Euch...« »Ihr wollt mich warnen? Wovor denn? Gundolf ist fort und kommt

gewiss nie wieder. Also findet Euch damit ab, dass ich jetzt der Herr auf Falkenstein bin. Haltet Euch an mich, wenn Ihr noch eine frohe Stunde hier haben wollt. Andernfalls...«

Die Herzogin verließ empört und schnellen Schrittes den Garten. Sie konnte nicht fassen, wie gemein und niederträchtig Erek sich gera­de verhalten hatte. Und sie ahnte nicht, dass dies erst der Anfang ih­res Martyriums sein sollte.

Als Renate zum Abendessen den Speiseraum betrat, hielten sich dort neben dem Prinzen sechs finstere Gestalten auf, deren Anblick die junge Herzogin sofort zurückweichen ließ. Erek kam geschwind auf sie zu und erklärte hinterhältig: »Ihr müsst unsere Gäste begrüßen, liebe Schwägerin. Es wäre grob unhöflich, sie einfach zu ignorieren. Kommt nur!« Er packte sie fest am Arm und bugsierte sie zur Tafel, wo die Kerle lümmelten. Einzig der Wildgraf erhob sich und deutete eine un­geschickte Verbeugung an.

»Es ist mir eine besondere Ehre, Euch kennen zu lernen, Durch­laucht«, behauptete er schleimig.

Renate nickte ihm huldvoll zu. Dann wandte sie sich an Erek und erklärte: »Ich fühle mich nicht wohl und verzichte heute auf das A­bendessen. Bitte kümmert Ihr Euch um diese Gäste, die ganz of­fensichtlich auch die Euren sind.«

»Ihr müsst bleiben«, drängte Wildeck. »Im ganzen Land spricht man von Eurer Schönheit. Als Krönung dieser Tafel könnt Ihr Euch nicht einfach unseren Blicken entziehen.«

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Einige der Anwesenden lachten, die Herzogin verzichtete darauf, eine Antwort zu geben. Nur ein strenger Blick, der ihren Schwager traf, zeigte, wie wenig ihr die Situation behagte. Erek verbeugte sich ange­deutet, Renate verließ daraufhin gemessenen Schrittes den Saal. Erst als die Türen sich hinter ihr geschlossen hatten, wagte sie, aufzuat­men. Dann aber überkam sie ein Zittern, das sie zwang, sich eine kur­ze Weile ganz still zu verhalten. Was sie gerade erlebt hatte, war der­maßen gemein und beschämend gewesen, dass Renate es noch immer nicht ganz fassen konnte. Als sie mit Edeltraude darüber sprach, zeigte die Zofe sich allerdings nicht im Mindesten überrascht.

»Ich warnte Euch vor Prinz Erek. Seine freundliche Maske konnte mich in den vergangenen Wochen nicht täuschen. Er ist und bleibt ein Schuft, der nur Schlechtes im Sinn hat. Und diese Räuberbande, die er seine Freunde nennt, nun, die passt wie die Faust aufs Auge zu ihm.«

»Was soll denn nun werden?«, fragte Renate zutiefst bekümmert. »Wie kann ich mich gegen ihn schützen? Und gegen diese... Lumpen? Ach, Edeltraude, ich bin ganz außer mir! Gundolfs Scheiden ist mir schwer genug geworden. Ich hoffte, dass Erek Vernunft zeigen würde, doch nun scheint eben das Gegenteil der Fall zu sein. Und ich bin ihm schutzlos ausgeliefert!«

»Ihr seid nicht schutzlos«, widersprach die Zofe ihrer Herrin ve­hement. »Wenn der Prinz sich noch einmal zu einer Ungehörigkeit ver­leiten lässt oder dieses Lumpengesindel nicht auf schnellstem Wege von Falkenstein verjagt, so werdet Ihr Euch eine starke Wache neh­men und ihn selbst in Gewahrsam setzen lassen. Das ist der einzige Weg, Eure Ehre und Euer Leben selbst zu schützen. Einen anderen wüsste ich nicht.«

»Ich soll Erek in den Kerker sperren? Doch mit welchem Recht? Die Leute werden auf ihn hören, nicht auf mich.«

»Ihr seid die Herzogin, er nur der Prinz. Dem Haushalt steht Ihr vor.« Edeltraude bedachte Renate mit einem strengen Blick. »Vielleicht ist nun die Zeit für Euch gekommen, dies zu beweisen. Ihr müsst Euch durchsetzen!«

*

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In dieser Nacht träumte Renate von Gundolf. Er war ihr ganz nah, sie fragte ihn um Rat und er beschützte sie ohne viele Worte. Wie schön wäre es... Doch als die junge Herzogin am Morgen erwachte, musste sie der bitteren Wirklichkeit ins Auge sehen. Sie war allein. Und Edel­traude brachte mit bekümmerter Miene die Nachricht, dass Wildeck und seine Kumpane sich anscheinend fest eingenistet hatten. Nach­dem Renate sich angekleidet hatte, fasste sie einen Entschluss: »Ich werde mit Erek reden. Fügt er sich nicht meinen Wünschen, die doch nur Sitte und Anstand entsprechen, so werde ich Maßnahmen ergrei­fen müssen. Ich tu's nicht gerne. Doch es muss sein, will ich mein Le­ben auf Falkenstein wie bisher fortsetzen und verhindern, dass die Burg meines Gemahls zur Räuberhöhle wird.«

»Ihr seid im Recht«, bestärkte Edeltraude sie. »Soll ich Euch viel­leicht begleiten?«

Die junge Edelfrau stimmte nach kurzem Zögern zu. »Es wird mir wohl tun, einen Rückhalt in dir zu haben, meine Gute. Aber nun komm, ich darf mich nicht länger hier oben verstecken...«

Prinz Erek hielt sich in der Halle auf und schien Ausschau nach etwas zu halten. Er begrüßte seine Schwägerin mit aufgesetzter Freundlichkeit und erklärte: »Wildeck ist auf die Jagd gegangen. Gerne hätte ich ihn begleitet, doch ich denk mir, es ist wichtiger, ich bleibe hier und sehe nach dem Rechten. Ist alles zu Eurer Zufriedenheit, Re­nate?«

»Nicht ganz. Und darüber hab ich mit Euch reden wollen. Viel­leicht gehen wir in Gundolfs Schreibzimmer?«

»Ihr bringt mich um mein Vergnügen, als Erster die Beute des gu­ten Wildeck zu bewundern. Sei's drum, Euer Wunsch steht selbst­verständlich über meiner Pläsier.« Er folgte ihr und bedachte Edel­traude dabei mit fragenden Blicken. »Was tut die Dienstmagd hier? Soll sie vielleicht unser Gespräch belauschen? Das kommt mich ein wenig seltsam an.«

»Edeltraude ist nicht nur meine Zofe, sondern auch meine Ver­traute. Und ich hab sie gebeten, uns Gesellschaft zu leisten«, stellte Renate mit ruhiger, fester Stimme klar.

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Ereks Miene verschloss sich. »Mir scheint, Ihr entwickelt Marotten. Wüsste ich's nicht besser, ich würde glauben, Ihr wollt Zeugen für dieses Gespräch.«

»Mag sein. Doch ich finde, wir sollten nun zum Thema kommen. Nach Gundolfs Abreise zeigtet Ihr ein angemessenes Benehmen, wie ich erfreut feststellen konnte. Doch nun scheint alles anders. Ihr nehmt Euch unverschämte Freiheiten mir gegenüber heraus. Und ihr habt diese finsteren Gesellen hier einquartiert, die auf Falkenstein nun wahrlich nichts zu suchen haben. Könnt Ihr mir das erklären?«

Der Prinz lächelte abfällig. »Ich wüsste nicht, warum.«

»Nun, zum Beispiel, weil ich die Herzogin bin, die Gemahlin Eures Bruders. In seiner Abwesenheit bin ich die Burgfrau. Und ich denk, als solche kann ich durchaus Fragen an Euch stellen, die Ihr zu beantwor­ten habt.«

Kurzes Schweigen folgte, dann lachte Erek, scheinbar gut gelaunt. Doch seine Augen richteten sich in Kälte und Verachtung auf sein Ge­genüber. »Ihr habt hier gar nichts zu befehlen, Renate. Mein Haus­recht währt um vieles länger als das Eure. Die Leute hören auf das, was ich sage. Deshalb tue ich, was mir beliebt. Und wenn es Euch nicht passt, so habt Ihr immer noch die Möglichkeit, auf Euer Väter Schloss nach Tübingen zurückzukehren. Ich halt Euch gewiss nicht.«

»Und wenn ich es täte?« Renate zuckte nicht mit der Wimper, als Erek aufsprang und sie anherrschte: »Das wagt Ihr nicht!«

»Eure Worte sind also nur leeres Geschwätz. In medias res: Ihr wollt hier nach Gutdünken verfahren und ich soll mich beugen. Doch damit kommt Ihr bei mir nicht weit. Nun, da ich sehe, dass mit Euch nicht vernünftig zu reden ist, werde ich Taten sprechen lassen.« Sie drehte sich um und wollte den Raum verlassen, doch Erek war schnel­ler. Er baute sich vor der Tür auf, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste frech.

»Was soll der Nonsens? Gebt die Tür frei!«, forderte die Herzogin. Aus der Halle drangen Rufe und Gepolter; wie es schien, war die Jagdgesellschaft zurück.

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Erek schien das nur recht zu sein. »Ihr kommt hier nicht heraus, bevor ich weiß, was Ihr gegen mich plant. Ich warn Euch, Renate, in dem Punkt verstehe ich keinen Spaß!«

»Ich werde...« Sie verstummte, denn Edeltraude flüsterte ihr zu: »Ihr solltet ihn nicht auch noch warnen!«

»Schweig still, törichtes Weib! Was flüsterst du deiner Herrin ein?« Der Prinz packte Renate grob am Arm und forderte: »Los, sprich, was führst du im Schilde? Die Wahrheit!«

Noch ehe sie antworten konnte, drängten der Wildgraf und seine Kumpane ins Zimmer. Ein blutiges Reh schmiss Wildeck auf den Boden zu Renates Füßen und stellte fest: »Ein schönes Wildbret, nicht wahr? Ich dachte es als Geschenk um Eure Gunst!«

Die Herzogin erbleichte, Erek forderte: »Nicht so wild, mein guter Freund. Ihr sprecht zu zarten Damenohren. Nehmt das Vieh und tragt es der Köchin. Wir sehen uns gleich beim Trunke!«

Nach diesen Worten zogen die Eindringlinge widerwillig ab. Erek suchte Renates Blick. »Ihr seht, ich kann Euch schützen. Doch was bringt es mir ein, wenn Ihr mich bekämpft?«

»Die Gefahr brachtet Ihr selbst nach Falkenstein«, hielt sie ihm fest entgegen. »Und ich seh' es nicht, dass ich mich dieser beugen sollte. Ihr schickt die Meute fort und schwört, mir nicht mehr zu nah zu treten. So will ich davon absehen, Euch in den Kerker werfen zulas­sen!«

Er musterte sie hinterhältig. »Ihr wolltet mich in den Kerker wer­fen lassen? Ei, das ist ulkig. Ein guter Witz, den Wildeck gewiss zu schätzen weiß. Kommt nur mit mir, leistet uns Gesellschaft in fröhli­cher Runde!«

Sie versetzte ihm eine Ohrfeige und herrschte ihn an: »Wenn das Eure Antwort ist, so weiß ich nun, was zu tun ist!«

»Aha, wir wollen es also wissen!« Er starrte sie böse an. »Keine Hand werdet Ihr gegen mich erheben, nicht noch einmal. Sonst landet Ihr im Kerker, schneller als gedacht. Ich warn Euch ein letztes Mal, liebe Schwägerin: Unterschätzt mich nicht! Und findet Euch endlich mit den Gegebenheiten ab: Ich bin nun der Herr auf Falkenstein. Entweder

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Ihr nehmt dies hin und verhaltet Euch entsprechend, oder aber Ihr werdet es sehr bereuen...«

*

Tage vergingen, in denen Herzogin Renate es kaum noch wagte, ihre Gemächer zu verlassen. Prinz Erek und seine Kumpane hausten wie die Räuber in ihrer Höhle. Es wurde gespielt und gewettet, billige Frauenzimmer tauchten auf, der Alkohol floss in Strömen. Jeden Mor­gen ging Wildeck auf die Jagd und knallte sinnlos den Viehbestand ab. Renate wähnte sich in einem schlechten Traum, der einfach kein Ende nehmen wollte.

Endlich, der Sommer überließ allmählich dem Herbst das Regi­ment, fasste die Herzogin einen folgenschweren Entschluss. Es war ein nebliger Morgen, noch lag Stille über Burg Falkenstein. Renate hatte kaum Schlaf gefunden in der vergangenen Nacht und saß nun müde und blass hinter dem Fenster ihrer Kemenate. Ihr Blick ging, von Trau­rigkeit verschleiert, in die dunstige Ferne. Als Edeltraude erschien, er­klärte die Herzogin bestimmt: »Ich kann nicht länger auf Falkenstein bleiben. Es hat keinen Sinn, abzuwarten, denn nichts wird sich ändern. Die Zustände haben sich in den vergangenen Wochen nur immer wei­ter verschlimmert.«

Die Zofe machte ein betroffenes Gesicht. »So wollt Ihr heim, nach Schloss Hohenzollern?«

Renate schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht, es wäre falsch. Denn meine Ehe mit Gundolf verbietet mir, den Schutz des Elternhau­ses zu suchen.«

»Ich versteh Euch nicht«, gab Edeltraude daraufhin zu. »Was wollt Ihr tun, Durchlaucht? Ich hoff, es ist nichts Unüberlegtes, das Euch im Kopfe herumgeht...«

»Nein, ganz gewiss nicht. Seit Erek sich in so schändlicher Weise entpuppt hat, suche ich nach einem Ausweg. Und nun bin ich auf die einzige Möglichkeit gestoßen, die mir bleibt: Ich werde meinem Ge­mahl nach Palästina folgen, ihn suchen und seinen Schutz erbitten, denn hier sind weder meine Ehre, noch mein Leben länger sicher.«

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Auf diese Eröffnung folgte zunächst einmal ein atemloses Schwei­gen. Edeltraude meinte, sich verhört zu haben. Sie mochte nicht glau­ben, was ihre Herrin da erwog. Und sie sah es als ihre höchste Pflicht an, Renate diese gefährliche Grille sogleich auszureden.

»Das kann und darf nicht Euer Wille sein«, stellte sie mit großem Ernst fest. »Durchlaucht, ich beschwöre Euch, denkt noch einmal gut darüber nach. Eine Reise in ein so fernes Land ist für Euch allein ganz unmöglich. Selbst mit einer Eskorte würden Euch ungezählte Gefahren drohen. Und solltet Ihr es gegen alle Widerstände erreichen, dorthin zu gelangen, wird Euer Gemahl Euch gewiss nicht den Schutz bieten können, dessen Ihr bedürft. Der Herzog steht im kriegerischen Kampf. Jeden Tag muss er sein Leben verteidigen. Ihr wärt ihm ja nur ein Klotz am Bein...«

Renate hatte mit unbewegter Miene den Worten ihrer Zofe ge­lauscht, nun wies sie Edeltraude aber kühl zurecht: »Es mag sein, dass die Sorge um mein Wohlergehen dich zu derlei vertraulichen Äußerun­gen verleitet hat. Doch ich muss dich nun daran erinnern, dass es dir in keiner Weise zusteht, meine Entscheidung so zu hinterfragen. Ich werde nach Palästina reisen.«

»Durchlaucht!« Die Zofe rang beschwörend die Hände. »Ich werfe mich vor Euch in den Staub, wenn Ihr es verlangt, aber bitte, bitte bedenkt meine Warnung. Sie ist nicht aus dem Wunsch erwachsen, Euch zu belehren! Doch ich versuchte, Euch darzustellen, wie unmög­lich Euer Unterfangen ist.«

»Ich werde es möglich machen.« Die Herzogin atmete tief durch. »Glaubst du vielleicht, ich fürchte mich nicht? Mir ist durchaus be­wusst, wie gefahrvoll diese Reise wird. Doch ich will lieber in fremden Länden sterben, als hier in Schande und Schmach zu leben, zu sehen, wie Falkenstein zur Räuberhöhle wird und Erek auch noch die letzten Hemmungen verliert. Nein, das kann ich nicht! Ich muss fort!«

Edeltraude schwieg eine Weile, schließlich gab sie zu bedenken: »Der Prinz wird Euch nicht fortlassen. Wir müssen also eine List ersin­nen, um die Burg mit genügend Proviant verlassen zu können.«

Renate bedachte sie mit einem fragenden Blick, woraufhin die Zo­fe ungehalten murrte: »Ich lasse Euch doch nicht allein gehen. Dann

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wäre ich eine schöne Dienerin. Selbstverständlich begleite ich Euch. Doch es wird nicht leicht werden, die Burg zu verlassen. Ich will über­legen, wie wir es anstellen können...«

Obwohl die junge Herzogin ihrer Zofe natürlich dankbar war für soviel treuen Beistand, zögerte sie letztlich doch, Edeltraude mit sich zu nehmen. Renate meinte, es sei am sinnvollsten, ihre lange Reise in der Verkleidung eines Junkers anzutreten. Ein Schildknecht, auf der Reise ins gelobte Land, wo sein Herr seiner harrte, dies erschien ihr glaubwürdig und unverdächtig. Nie und nimmer durfte sie sich als Frau zu erkennen geben, schon gar nicht als edle Dame. Sie wusste selbst, wie gefährlich der Weg ins gelobte Land auch in einer unauffälligen Verkleidung war. Doch ihr blieb ja keine andere Möglichkeit, wollte sie ihr Leben nicht in die Hände des treulosen und verkommenen Schwa­gers geben. Und dies erschien ihr in der Tat ärger als der Tod...

Einige Tage später bot sich Renate dann endlich die Gelegenheit, Falkenstein ungesehen zu verlassen. Prinz Erek und seine Kumpane waren in aller Frühe zur Jagd geritten. Keiner der niederträchtigen Kerle im Gefolge des Wildgrafen lungerte mehr in der Halle, der Weg war frei. Renate kleidete sich sorgfältig an. Sie hatte sich schmales Männerzeug beschaffen lassen und stellte erfreut fest, wie knabenhaft sie in den bunten Beinkleidern und dem Samtwams wirkte. Ihr langes Haar musste freilich dran glauben. Mit feuchten Augen kürzte sie die goldblonden Flechten auf Schulterlänge und wellte sie ein wenig, wie es momentan Mode in der Männerwelt war. Zuletzt folgte noch ein kecker Hut, dazu Faustschild und Kurzschwert sowie das Banner der Falkensteins, das sie als Schildknecht zu tragen hatte. Renate wollte eben ihre Kemenate verlassen, als Edeltraude mit Reisegepäck und Verpflegung erschien. Auch sie hatte sich verkleidet. Doch die Attitüde eines Knappen stand ihr schlecht, dazu war ihr Leib zu fraulich, das Haar bereits ergraut. Sie hatte sich entschieden, eine Nonne zu wer­den. Einen Augenblick lang schauten Herrin und Zofe einander ver­blüfft an - dann mussten die beiden trotz allem von Herzen lachen.

»Nur gut«, stellte Edeltraude fest, als sie wieder ein wenig zu A­tem gekommen war, »dass der Fürst uns nicht so sehen kann. Ich fürchte, er würde uns direkt ins Narrenhaus schicken.«

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»Und damit hätte er nicht einmal unrecht«, seufzte Renate be­kümmert. »Ich meine, mir schwindet der Mut, denk ich an den Weg, der vor uns liegt. Und - liebe, gute Edeltraude - ich leid es nicht, dass du mich begleitest. Zu viele Gefahren...«

»Ich bin nicht gern unhöflich, doch ich muss Euch gemahnen, dass die Zeit drängt. Der Prinz und seine Spießgesellen werden bald zurückkehren. Und dann solltet Ihr die Burg bereits verlassen haben!«

»Ja, du hast Recht, es ist keine Zeit mehr zu vergeuden. Wohlan, so lass uns aufbrechen. Ich hoffe sehr, es ist kein schlimmer Fehler, den ich nun begehe...«

*

Prinz Erek war an diesem Morgen übellaunig. Er hatte am Vorabend zu sehr dem Trunke zugesprochen und fühlte sich nun matt und nieder­gedrückt. Gerne hätte er den halben Tag in seinem Bett verschlafen, doch daran war ja in Wildecks Gesellschaft nicht zu denken. Der Wild­graf ging beständig auf Abenteuer aus und war es auch nur die Jagd, die ihn reizte.

Auf dem Rückweg zur Hofburg sprach er Erek auf dessen Schweigsamkeit an. »Was ist Euch denn heut, lieber Freund? Den gan­zen Morgen seid Ihr so still wie ein toter Bischof. Habt Ihr Kummer?« Er grinste. »Schafft Euch das Täubchen, das Euch nicht aus dem Sinn geht. Ihr werdet sehen, hernach fühlt Ihr Euch wie neu geboren. Schließlich seid Ihr jetzt ihr Herr...«

Erek brummte ungehalten. Er konnte es nicht leiden, wenn Wolf­ram sich in seine Privatangelegenheiten einmischte. »Renate weist mich immer wieder ab. Ich hab ihr Vertrauen zum zweiten Mal verlo­ren und ich furcht', dieses Mal für immer.«

»Vertrauen?« Der Wildgraf lachte schallend. »Die Maid gehört Euch, denn niemand ist da, sie zu schützen. Nehmt Euch, was Ihr wollt, wenn's sein muss auch mit Gewalt. Ihr seid doch ein Kerl!«

»Daran hab ich noch nicht gedacht. Und es wär' auch nicht recht«, sinnierte der Prinz. »Was, wenn Gundolf doch heimkommt? Erfährt er, ich hab Renate das angetan, er wird mich töten.«

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»Ach, Erek, Euch ist ja nicht zu helfen«, meinte Wildeck abfällig. »Ein solches Zaudern geziemt vielleicht einem Weibe, nicht aber einem Manne wie Euch. Ich glaub fast, Ihr werdet niemals über Falkenstein herrschen...«

»Was soll das heißen? Bin ich jetzt vielleicht nicht der Herr auf meiner Väter Burg? Wollt Ihr's bestreiten?«

»Nun ja, in gewisser Weise seid Ihr's gewiss. Doch ich vermiss' noch einen Gutteil an Tatkraft und Eigennutz. Ihr zögert zu oft. Ein Herzog weiß zu herrschen und zu befehlen. Das müsst Ihr noch ler­nen. Aber ich bin sicher, diese Lektion wird Euch nicht sonderlich schwer fallen...«

»Sicher nicht.« Erek lächelte schmal, wobei in seinen Augen ein ungutes Feuer glomm. »Ihr habt wohl Recht; ich werde gleich nach unserer Ankunft auf Falkenstein Renate einen Besuch abstatten...«

»So ist es richtig!« Wildeck lachte vergnügt. »Ihr lernt am Ende doch noch, ein echter Mann zu sein.«

Die junge Herzogin ahnte nicht, in welcher Gefahr sie schwebte. Nur kurze Zeit war vergangen, seit sie zusammen mit Edeltraude die Burg verlassen hatte, da kehrte die Jagdgesellschaft auch schon zu­rück. Und Erek war wild entschlossen, sich nicht nur vor seinen Kum­panen zu beweisen, sondern sich auch endlich zu nehmen, wonach ihm bereits so lange der Sinn stand.

Polternd drang er ins Frauengemach ein, fand es aber verlassen vor. Gleiches galt für Renates Kemenate. Wutschnaubend suchte er zu erfahren, was dies bedeutete und schüttelte eine Dienerin so heftig, dass dieser beinahe die Sinne schwanden.

»Die Herzogin ist fort, sie hat mir aufgetragen, Euch auszurichten, dass sie heimgereist ist, zurück nach Schloss Hohenzollern«, brachte die Dienerin unter zittrigem Seufzen hervor. Sie fürchtete sich vor E­reks Jähzorn, der weithin bekannt war.

Der Prinz konnte es nicht fassen. Er raste und schrie und war kaum zu beruhigen. Wildeck wies zwei seiner Mannen an, den To­benden zu halten, übergoss ihn mit einem Eimer kalten Wassers und erreichte endlich, dass Erek wieder zu Sinnen kam.

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»Sie muss wieder her, ich leid es nicht, dass sie einfach ver­schwindet«, forderte er erzürnt. »Los, Wildeck, schafft mir das Weib. Ich kann nicht mehr ohne sie leben!«

Der Wildgraf lächelte schmal. »Und wenn ich's tu, was springt da­bei für mich heraus? Oder wollt Ihr mir einen solchen Dienst um nichts auftragen?«

»Ihr... erhaltet die Hälfte von Falkenstein. Ich überschreib' Euch den Besitz, sobald Renate wieder hier ist!« Erek war stolz auf diesen Einfall und ahnte nicht, dass er sich mit seinem Versprechen noch tie­fer in die fatale Abhängigkeit des zwielichtigen Edelmanns begab. »Schlagt ein!«

Wildeck zierte sich. »Ich weiß nicht recht, nachher vergesst Ihr al­les und ich steh mit leeren Händen da...«

»Wollt Ihr mich beleidigen? Ich lass es festschreiben, mit Brief und Siegel. Darauf mein Wort!«

»Nun gut, das genügt mir!« Wolfram von Wildeck schlug ein und warf dann einen Beifall heischenden Blick in die Runde. Seine Kumpa­ne wirkten zufrieden, denn nun hatten sie eben das erreicht, was ih­nen von Anfang an vorgeschwebt hatte. War der Wildgraf erst einmal Mitbesitzer der Burg, so würde es ein Leichtes sein, die ganze Macht zu erlangen. Und dann sprach bald niemand mehr über die Familie Falkenstein, die jahrhunderte lang den Landstrich um Grafenau be­herrscht hatte...

Leider erwies es sich aber als schier unmöglich, die junge Her­zogin ausfindig zu machen. Obwohl Wildeck seine Mannen bereits am gleichen Tag los schickte, fand sich doch zwischen Burg Falkenstein und Regensburg keine einzige Spur der Geflohenen. Wie es schien, mussten die Häscher bis ins Schwäbische reiten, um ihre Order zur Zufriedenheit des Wildgrafen zu erfüllen...

*

Zwei Wochen waren Herzogin Renate und ihre treue Zofe Edeltraude nun unterwegs. Ein mühseliger Weg lag hinter ihnen, ein noch viel längerer vor ihnen. Sie hatten in billigen Schenken übernachtet, oft im

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Freien, abwechselnd Wache haltend. Bei jedem Fremden, der ihnen über den Weg lief, befiel sie Furcht. Und Renate übte sich beständig im Umgang mit dem Kurzschwert, um sich im Notfall wehren zu kön­nen. Kein Wort der Klage kam von Edeltraude, obwohl die Herzogin ahnte, was ihre treue Begleiterin zu leiden hatte. Mehr als einmal wünschte sie, die Zofe auf Falkenstein zurückgelassen zu haben. Auch wenn Edeltrauds Gesellschaft ihr Trost bot, hatte sie doch ein sehr schlechtes Gewissen der Treuen gegenüber.

Die beiden Reisenden hatten den Bayerischen Wald hinter sich ge­lassen. Zu Ross waren sie immer in südliche Richtung gezogen, hatten schließlich die Ostalpen erreicht. Im Salzkammergut mussten sie ras­ten, denn ein Fieber streckte die Zofe aufs Lager. Zudem suchte Rena­te nach einem Führer, der die Pässe gut kannte, die ein kaum zu ü­berwindendes Hindernis für einen Unwissenden darstellten. Es dauerte eine Weile, bis ein recht vertrauenswürdiger Schafshirt mit Namen Josef Zeltinger gefunden war. Der Mann in mittleren Jahren hatte Fa­milie, ein Weib und sechs Kinder und sein karges Auskommen besserte er als Führer über die Pässe nach Süden auf. Als es Edeltraude wieder besser ging, brach man also zu dritt auf. Der Hirt besaß nur einen E­sel, den er selten ritt und meist hinter sich laufen ließ. Entsprechend langsam kamen sie vorwärts. Auf dem Großglockner lag hoher Schnee und manches Mal glaubte Renate, dass sie ihr Ziel niemals erreichen würden. Der Zeltinger war behäbig, redete nur wenig und schien sich kaum wirklich auszukennen. Doch als eine Woche vergangen war, hat­ten sie die Berge tatsächlich hinter sich gelassen und sahen bald nur noch in der Ferne die Venezianer Alpen. Nach der kräftezehrenden Tour durchs Gebirge verschnauften sie in Meduno, einer kleinen An­siedlung im Schatten der Berge. Edeltraude erholte sich beim deftigen Essen, das die freundlichen Menschen mit ihnen teilten und kam wie­der zu Kräften.

»Wir müssen weiter«, mahnte die Herzogin ihre Zofe, als beinahe zwei Wochen vergangen waren. »Der Wirt sagte mir, dass der Herbst hier oft Stürme bringt. Und dann fahren keine Schiffe nach Süden...«

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»Ach, Durchlaucht, nie und nimmer hätte ich mir ausmalen kön­nen, dass wir es soweit schaffen könnten. Glaubt Ihr denn wirklich, es ist auch recht, was wir tun?«

Renate lächelte milde. »Darüber denk ich schon lange nicht mehr nach. Die Würfel sind gefallen, es gibt kein Zurück.«

»Und wenn...« Edeltraude schluckte. »Nur angenommen, dem Herzog ist etwas zugestoßen. Ich will's nicht beschreien und nicht einmal denken, doch es könnte schon sein. Was sollen wir dann tun, ganz allein im fremden Lande?«

Auch der jungen Herzogin waren derlei düstere Gedanken bereits durch den Sinn gegangen. Aber sie wollte sich dies nicht ausmalen, denn es durfte ganz einfach nicht sein!

»Der liebe Herrgott hat bislang unseren Weg sicher gemacht. So wollen wir hoffen und beten, dass sein schützendes Auge auch auf Gundolf ruht«, murmelte sie bekümmert. »Und nun lass uns nicht mehr davon sprechen, Edeltraude. Wir wollen vergessen, was uns Bö­ses und Schlechtes dräut und nur auf das Gute hoffen!«

Früh am nächsten Morgen brachen der junge Schildknecht und die Nonne in mittleren Jahren in Meduno auf. Die Menschen verab­schiedeten sie herzlich. Auch wenn man sich wunderte, welch seltsa­mes Paar da gemeinsam seinen Weg ging, hatte man in den Rei­senden aus deutschen Landen doch gute und fromme Menschen ken­nen gelernt, denen man auf ihrer Pilgerreise nach Jerusalem nur die besten Wünschen hinterher schickte. Die schmale und staubige Land­straße, die nach Süden führte, wurde wenig benutzt. Manchmal wähn­ten die Herzogin und ihre Zofe sich ganz allein im fremden Lande. Und dabei hatte Edeltraude immer wieder einen Blick für die Schönheiten der unberührten Natur. Sie hielten sich parallel zum Flüsschen Medu­na, an dessen schilfgesäumten Ufern elegante Reiher ihre Bahnen zo­gen. Himmelhohe Zypressen stachen wie dunkelgrüne Finger aus der verbrannten Dürre des ausgehenden Sommers. Nur selten lagen kleine Ansiedlungen am Wegesrand, die Bewohner lebten wohl von dem we­nigen, was der karge Boden hergab, die niedrigen Häuser aus Natur­stein sprachen von dem, was hier das tägliche Brot war: Viele Steine und wenig Ernte. Renate fragte sich im Stillen, wie die Menschen es

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überhaupt schafften, hier zu existieren. Dürre Kinder mit traurigen Augen schauten aus den leeren Fensterhöhlen oder saßen wie schla­fend im Staub des Bodens.

»Ein trauriger Landstrich«, urteilte Edeltraude praktisch. »Ich bin froh, wenn wir das Meer erreichen. Man sagt, die Fischer sind lustige Leute und haben immer was zu beißen.«

Die junge Herzogin schwieg. Ihr war der Herz schwer, wenn sie an all das Leid dachte, das sie nur sah, ohne es lindern zu können. Wie leicht hätte sie all die Armen und Hoffnungslosen aus den reichen Speisekammern von Burg Falkenstein sättigen können...

»Ihr solltet Euch nicht grämen, Armut wohnt bei den Menschen, solange es welche gibt«, meinte die Zofe lebensweise. »Die hier ken­nen es gar nicht anders.«

»Ich hab nicht gewusst, wie schlimm das ist«, sinnierte Renate betroffen. »Und ich wünschte, ich könnte helfen...«

»Ihr habt eben ein viel zu gutes Herz. Denkt lieber an Euch selbst. Noch lange ist die Reise, die uns zu Herzog Gundolf führen soll. Und nur der Herr im Himmel vermag zu sagen, ob wir Durchlaucht jemals finden werden.«

Fast einen Monat waren Renate und Edeltraude unterwegs, bis sie endlich das Meer erreichten. Sie hatten die Strecke zwischen Meduno und der Adria zu Fuß zurücklegen müssen, denn ihre Rösser waren auf der langen Strecke fußlahm geworden. Und nirgends in dem kargen Landstrich waren neue zu erwerben. Als sie schließlich in einem Fi­scherdorf ankamen, verkündete Edeltraude in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Ich schaff keine Elle mehr, bin völlig am Ende. Bitte, Durchlaucht, lasst uns hier verschnaufen und wenn es nur für ein paar Tage ist!«

Renate hätte ihrer treuen Gefährtin diese Rast gerne zugebilligt. Doch bald erfuhr sie, dass dieser Tage das letzte Schiff nach Palästina auslief. Danach wurde der Hafen wegen der Herbststürme nicht mehr angelaufen.

»Wenn du nicht mehr weiter kannst, meine Gute, so bleibe hier«, schlug sie ihrer Zofe begütigend vor. »Ich wage die Überfahrt allein.

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Wenn ich Gundolf gefunden habe, kehren wir im Frühjahr zu dir zu­rück.«

Davon wollte Edeltraude allerdings nichts wissen. »Ich lass Euch nicht allein. Schon gar nicht auf diesem gefährlichsten Teil der Reise«, beharrte sie. »Wenn es in den Orient geht, so seid Ihr keine Minute sicher. Und ich werde Euch mit meinem Leben verteidigen!«

»Eine Nonne, die einen Schildknecht schützt«, scherzte die Her­zogin halbherzig. »Wer daran wohl keinen Anstoß nimmt?«

»Nehmt mich nur ernst, denn so meine ich es«, versicherte Edel­traude mit Nachdruck. »Ich lass Euch nicht im Stich!«

»Nun gut, dann werde ich zwei Schiffspassagen erwerben«, ent­schied die junge Edelfrau. »Hoffen wir, dass alles gut geht...«

*

Herzog Gundolf von Falkenstein ahnte nichts von den beiden heimlich Reisenden, die sich auf seine Spuren gesetzt hatten. Gemeinsam mit dem Prinzen von Säckingen und einem zahlreichen Gefolge hatte er die Küste Palästinas erreicht. Bald war man auf weitere Kreuzfahrer gestoßen, ein Schildlager fand sich in der Ebene von Kanaan, einem fruchtbaren Gebiet nahe dem Mittelmeerstrand. Wieland von Säckin­gen, rege wie stets, brachte rasch in Erfahrung, dass der Kaiser noch nicht eingetroffen war. So hieß es nun, abwarten, denn ein Zug auf Jerusalem war ohne Friedrich nicht denkbar. Gundolf verbrachte viel Zeit am Strand und oft weilte sein Blick in der Ferne über dem un­endlich scheinenden Wasser. Sein Freund Wieland schien zu ahnen, welche Gefühle und Sehnsüchte ihn beherrschten.

»Ihr habt ohne Zögern Euer Wort gegeben, als ich Euch darum bat. Doch heut scheint es mir in manchem Moment, als ob Ihr es be­reuen müsstet«, hielt er dem Herzog vor, als dieser wieder einmal in tiefe Gedanken versunken schien. »Euer Herz ist nicht hier und das kann Euch im Kampfe zum Verhängnis werden.«

Gundolf maß den Freund mit einem ernsten Blick seiner stahl­blauen Augen. »Sagt, Wieland, habt Ihr einmal so richtig von Herzen geliebt? Es ist ein Gefühl, kaum zu beschreiben, das alles andere so

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unbedeutend erscheinen lässt. Es macht glücklich und traurig, versetzt das Innerste in Aufruhr und schleicht sich unaufhaltsam und ebenso unmerklich in den Mittelpunkt des gesamten Daseins.«

»Ich kenn's und hab's doch überwunden«, behauptete Säckingen. »Es war mir nicht leicht. Doch die Maid starb und ließ mich in tiefer Verzweiflung allein. Nun hieß es für mich: Tod oder Teufel. Dem Schmerz ein feiges Ende setzen oder ihn ertragen und daran wachsen. Ich habe es erreicht, doch es kam mich schwer an. Und nachdem ich überwunden hatte, schwor ich, mein Herz nie mehr zu verschenken. Meine Liebe gehört nun meinem Land und meine Treue dem Kaiser.«

»Doch Glück findet Ihr darin nicht.« »Ein stilles Zufriedensein mag genügen.« Der Prinz lächelte

schmal. »Ihr hättet bei Eurer Gemahlin bleiben sollen, Gundolf. Ich sah ihren Liebreiz und ich sah auch die Augen Eures Bruders. Denkt Ihr, daheim wird sich Arges zutragen?« Seine Worte, eher harmlos gespro­chen, schienen den Herzog in tiefe Bestürzung zu bringen. Er starrte eine Weile wie sinnend vor sich hin, dann murmelte er: »Renate sprach in kühler Freundlichkeit von Erek. Und ich hab ihm vertraut. Sollte ich mich geirrt haben?«

Noch ehe Säckingen etwas erwidern konnte, kündete eine Fanfare von der Ankunft neuer Kreuzfahrer. Und es dauerte nicht lange, bis die kaiserliche Flagge über dem tiefblauen Sund zu erkennen war. Säckin­gen eilte, wie alle Anwesenden, dem Kaiser zu huldigen. Gundolf blieb zurück. Sein Herz war in Aufruhr, die Sorge um sein geliebtes Weib hielt es umklammert wie mit eiserner Faust. Und doch blieb ihm nichts weiter, als zu grübeln und zu bangen, denn in der Fremde, weit fort von daheim, waren ihm ja die Hände gebunden. Ein ohnmächtiger Zorn packte den Herzog da und machte es ihm schwer, nach außen hin die Fassung zu wahren. Doch er durfte sich jetzt nicht gehen las­sen, musste, wie alle anderen, Friedrich seine Aufwartung machen. Und doch... sein Herz blieb zerwühlt und zutiefst verstört bei dem Ge­danken, dass Renate in der Heimat ein Weh zustoßen könne...

Die Kreuzfahrer, die bislang unschlüssig gewartet hatten, sammel­ten sich bei der Ankunft des Kaisers. Bereits am nächsten Morgen brach man auf. Der lange Zug der christlichen Ritter bot ein beein­

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druckendes Bild. Friedrich ritt an der Spitze, die besten und tapfersten Mannen seines Landes folgten, begleitet von Knappen und Schildträ­gern und umweht von einem Wald aus Flaggen und Fahnen. Das Motiv des Kreuzes tauchte dabei immer wieder auf, denn man trug ja den Ruch des Heiligen Vaters in die Welt.

Gundolf war allerdings nicht mehr mit dem Herzen dabei. Was Sä­ckingen bereits vermutet hatte, wurde nun auch dem jungen Herzog bewusst. Er hatte sich nur aus Pflichtgefühl auf diesen Kreuzzug bege­ben, seine Gedanken und Gefühle aber kehrten beständig nach Fal­kenstein zurück und machten es ihm immer schwerer, sich auf die vor ihnen liegende Aufgabe zu konzentrieren. Bis zum Abend erreichte der Tross die Ebene von Samaria. Hier wurde ein Lager aufgeschlagen, der Kaiser rief einige ihm besonders vertraute Edelleute, darunter auch Gundolf von Falkenstein, zu sich, um das weitere Vorgehen zu bespre­chen.

Der Herzog stellte fest, dass der Herrscher, der etwa im gleichen Alter war wie er selbst, müde und wenig tatendurstig wirkte. Er kannte Friedrich schon lange, wusste, dass dieser ein gefestigter Charakter, kluger Politiker und furchtloser Soldat war. Doch etwas schien den Kaiser nun zu bedrücken, auch wenn er nicht offen darüber sprach.

»Ich muss Euch nicht erklären, dass dieser Kreuzzug ein Erfolg werden soll«, sagte er nun mit ernster Stimme. »Zum fünften Male versuchen wir, die Heiligen Stätten für das Christentum wieder zu ge­winnen. Es wird gewiss ein harter Kampf, härter vielleicht als jemals zuvor. Doch ich zähle auf Euch, meine treuen Freunde. Ihr alle seid mit Herz und Verstand bei der Sache, Ihr tragt das Banner des Kreuzes ins Heidenland. Und wenn wir morgen früh in den Kampf ziehen, so wird ein jeder von Euch sein Bestes geben, das weiß ich genau.«

»Wie wird unsere Strategie aussehen?«, wollte der Erbprinz von Lechfeld wissen. Er war noch jung und hatte nie zuvor im Heiligen Land gekämpft. Der Kaiser setzte ihm die Vorgehensweise knapp aus­einander, es wurden noch einige belanglose Worte gewechselt, dann löste sich die Versammlung auf. Friedrich richtete noch einmal das Wort an Gundolf, der sich als Letzter zum Gehen wandte.

»Auf ein Wort, Gundolf. Ich hörte, Ihr habt Euch vermählt?«

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Der Herzog bejahte mit einem schmalen Lächeln. Er berichtete von seiner Gemahlin, der Kaiser hörte aufmerksam zu. Schließlich riet er ihm nachdenklich: »Ihr solltet morgen die Gedanken an daheim von Euch schieben. Seid Ihr nicht mit dem Herzen dabei, kann der Kampf Euch leicht das Leben kosten.«

»Ich weiß, Ihr seid bereits der Zweite, der mir diesen Ratschlag gibt. Doch es wird mir schwer, ihn zu befolgen.«

Friedrich nickte mit ernster Miene. »Ich versteh Euch. Im Vertrau­en gesagt: Dieser Kreuzzug ist mir mehr ein Müssen denn ein Wollen. Die Kurie sitzt mir im Nacken, gewiss habt Ihr die Gerüchte über mei­ne Bannung durch den Papst gehört. Sie entsprechen leider der Wahr­heit. Allein deshalb zog ich hierher, um einmal mehr mein Glück zu versuchen.«

»Der Papst hat es gewagt...« »Er bannte mich, weil ich nicht nach seinem Willen handelte. Es

ist sein Recht und er nahm's auch wahr.« »Doch es ist ungeheuerlich, spielt in die Politik und den Ottonen in

die Hand«, echauffierte Gundolf sich. »Ihr müsst dem entgegenwirken, Majestät!«

Der Kaiser schmunzelte. »Solch aufgeregte Empörung liegt längst hinter mir. Ich bin viel zu sehr Politiker, um mit dem Kopf gleich gegen die Mauer zu laufen. Drum erfüllte ich den Wunsch des Papstes und nahm ihm damit die Macht, mir fürderhin zu schaden.«

»Ein kluger Schachzug, doch nicht ohne Risiko...« »Wie alles im Leben. Deshalb berief ich die besten Mannen aus

meinen Landen hierher. Ich hoff, wir werden erfolgreich sein. Dann ist meine Macht gefestigt und ich kehre beruhigt nach Sizilien zurück.«

Gundolf nickte zustimmend. »Ihr könnt Euch auf uns verlassen. Jeder Einzelne wird sein Bestes geben. Diesmal soll es uns gelingen, Jerusalem einzunehmen!«

»Aus Eurem Munde hör ich dies gern, denn ich weiß, Ihr seid kein Schwätzer. Doch nun begebt Euch zur Ruhe, denn Ihr werdet morgen all Eure Stärke und Klugheit brauchen...«

*

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Der nächste Tag begann weitaus früher als erwartet für die Kreuz­fahrer. Eine wilde Horde Sarazenen näherte sich dem Lager vor Son­nenaufgang und noch ehe die Ritter sich recht versahen, waren sie bereits in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt. Herzog Gundolf kämpfte an der Seite seines Freundes, des Prinzen von Säckingen und als die Sonne in warmem Gold über den Horizont kletterte, hatte man die erste Welle der Feinde erfolgreich abgewehrt. Der Kaiser formierte seine Mannen neu, konnte feststellen, dass es nur sehr geringe Verlus­te gegeben hatte und führte die Ritter nun entschlossen gen Jerusa­lem.

Gundolf hatte eine Verletzung am Arm davongetragen, die aber nicht sehr tief war. Während er an Säckingens Seite ritt, gab er sich recht schweigsam, was der Prinz auf seine Weise verstand.

»Wenn wir auch in Jerusalem so schnell obsiegen, wird der Kreuz­zug rasch beendet sein«, sagte er nach einer Weile in die gedanken­volle Stille hinein. »Ich mein, das wird Euch nicht eben zuwider gehen, oder?«

Gundolf lächelte schmal. Der Blick seiner stahlblauen Augen war in die Ferne gerichtet, wo bereits die Kuppeln der Heiligen Stätten im Sonnenlicht flimmerten. »Ihr habt mich durchschaut, Wieland«, gab der Herzog zu. »Vielleicht war's ein Fehler, mein Heim und mein Weib in der Obhut von Erek zu lassen. Was Ihr angedeutet habt, lässt mich nicht los. Doch ich hoffe im stillen noch immer, dass Erek Vernunft über Gefühl gestellt hat und sich nach Sitte und Anstand beträgt.«

»Euer Bruder ist ein Tunichtgut«, urteilte der Angesprochene mit großem Ernst. »Ich hab's Euch nie gesagt, doch mir scheint, dass all die guten Eigenschaften derer von Falkenstein in Euch vereint sind, während Erek eher stiefmütterlich vom Schicksal behandelt wurde.«

»Ihr seht ihn anders, denn Euer Herz hängt nicht mit brüderlicher Liebe an ihm«, kam es nachdenklich von Gundolf. »So war es wohl doch ein Fehler, dass ich ihm stets vertraute, ihm alle Torheiten nach­sah und dabei hoffte, dass er von selbst seinen Platz im Leben finden würde...«

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»Vielleicht urteilt Ihr nun zu hart, aber Ihr dürft versichert sein, dass ich Euch hier nur gut raten mag. Wenn Ihr wieder daheim seid, redet ernst mit ihm, nehmt ihn streng ins Gebet. Soll nicht Hopfen und Malz an ihm verloren sein, so müsst Ihr handeln, Gundolf...«

Der junge Herzog dachte eine ganze Weile über die Worte des Freundes nach und meinte schließlich, darin eine gewisse Logik zu finden. Er selbst hatte Erek stets mit der Nachsicht eines älteren Bru­ders behandelt. Womöglich war ihm dies nicht Recht bekommen. Und Gundolf hatte selbst miterleben müssen, wie offen der Jüngere Renate den Hof gemacht hatte. Es half nichts; momentan waren ihm die Hän­de gebunden. Doch wenn er nach Falkenstein zurückkehrte, würde er in der Tat ernsthaft mit seinem Bruder sprechen müssen...

Gegen Abend erreichten die Kreuzfahrer Jerusalem. Die Stadt war hart umkämpft und schwer befestigt. Friedrich hatte bereits eine List ersonnen, um trotzdem ins Innere zu gelangen. Die Ritter verteilten sich um den äußeren Befestigungsring der Stadt und drangen dann einzeln und zu Fuß in die Altstadt vor. Es war ein gefährliches Unter­fangen, denn die Wächter durfte man nicht unterschätzen. Sie nahmen ihre Aufgabe sehr ernst und waren schnell mit dem Krummdolch zur Hand. Gundolf und Wieland mussten sich schließlich trennen. Der Prinz wünschte seinem Freunde alles Gute und gemahnte ihn noch einmal, sich nun durch nichts ablenken zu lassen.

»Seid mit dem Herzen bei der Sache, dann werden wir uns heut Abend gewiss wieder sehen!«, rief er dem jungen Herzog zu.

Gundolf nahm ein schmales Tor, das nicht bewacht wurde. Es mündete in eine sehr enge Gasse. Üble Gerüche von Schmorküchen, Abwasser und Fäkalien lagen in der heißen Luft, die nur schwer zu at­men war. Der Ritter scherte sich nicht darum. Sein Ziel war die Alt­stadt. Hier, vor der Westmauer des ehemaligen Tempels, sollte es zum entscheidenden Kampf mit den Sarazenen kommen. Doch zunächst einmal mussten alle Ritter diese Stätte erreichen, die ebenso gut be­wacht wurde wie die Stadtmauer.

Gundolf war allein, aber er kannte den Weg. Nicht zum ersten Mal war er in diesem Gewirr enger Gassen unterwegs. Jedes Mal hatten

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die Kreuzfahrer den Rückzug antreten müssen, waren sie unterlegen gewesen. Nun sollte es anders sein, das hoffte der Herzog.

Weiter kämpfte er sich vor, erreichte einen kleinen Platz, der von vier Seiten durch hohe, fensterlose Mauern eingezwängt war. Kurz verschnaufte Gundolf, denn der Weg war anstrengend. Schweiß drang ihm aus allen Poren, die Luft, in der so viele schwere, fremde Gerüche lagen, machte ihm zu schaffen. Kurz dachte er an den Tann, der Burg Falkenstein umgab. Wie rein und klar war dort die Luft, wie leicht fiel das Atmen! Der Herzog wollte sich eben wieder auf den Weg machen, als er etwas hörte. Nichts, das mit den normalen Geräuschen in seiner Nähe zu tun hatte. Es waren leise, schleichende Schritte, die sich ihm näherten. Jemand kam. Und er suchte, sich zu verbergen, nicht be­merkt zu werden. Der junge Edelmann wartete noch ab. Er wollte wis­sen, wer ihm da folgte. War es vielleicht ein anderer Kreuzfahrer, der den Weg nicht so gut kannte wie er und sich deshalb an seine Fersen geheftet hatte? Oder war es ein Wächter, der ihn bereits entdeckt hat­te, als er das vermeintlich unbewachte Tor benutzt hatte?

Gundolf verhielt sich ruhig. Zeit verging, doch nichts tat sich. Auch die Schritte waren verstummt. Hatte er sich getäuscht? Der Ritter be­schloss endlich, seinen Weg fortzusetzen. Es hatte keinen Sinn, noch länger auf etwas zu harren, das doch nicht eintrat.

Gerade als Gundolf sich wieder in Bewegung setzte, geschah es: Mehrere Sarazenen drangen wie aus dem Nichts auf ihn ein. Er wehrte sich verbissen, zwei traf sein Schwert mit tödlichem Streich. Dann aber wurde er von hinten durchbohrt. Er spürte einen heißen Schmerz im Rücken, ein Geschmack wie Kupfer lag plötzlich auf seiner Zunge. Dann verlor der Herzog das Bewusstsein und fiel wie tot in den Staub der Gasse.

*

Renate und ihre treue Begleiterin waren nun seit drei Tagen auf See unterwegs. Der Segler, der sie nach Palästina bringen sollte, hatte im Ionischen Meer vor Griechenland mit gestrichenen Segeln gekreuzt, als sich bereist die ersten Herbststürme brausend über dem Wasser erho­

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ben. Edeltraude war das Schaukeln auf der Nussschale ein Gräuel. Sie fühlte sich elend und jammerte in einem fort nach der Heimat, die sie gewiss niemals wieder sehen würden. Die junge Edelfrau konnte es ihr nicht übel nehmen. Ihr selbst war ja längst der Mut gesunken. Des Nachts lag sie wach, starrte in den schwarzen Himmel und fragte sich, ob dies alles überhaupt einen Sinn hatte. Würde es ihr gelingen, den geliebten Gemahl in der Fremde zu finden? Und was, wenn sie nur noch an seinem Grabe stehen konnte? Ein schrecklicher Gedanke, der ihr das Herz immer schwerer machte. Doch aufgeben wollte Renate nicht. Sie wusste zu gut, dass es keinen anderen Weg für sie gab. Die Rückreise ins Heimatland konnte sie nur unter Gundolfs Schutz an­treten. Also musste sie durchhalten, so schwer es ihr auch fallen mochte...

Endlich, nach mehr als einer Woche, erreichte der Segler, auf dem Kaufleute reisten, Menschen, die in der Ferne ihr Glück machen woll­ten und auch einige zwielichtige Gestalten Palästina. Die junge Herzo­gin hatte schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass diese mehr als unsichere Seereise doch noch zu einem guten Abschluss kommen würde. Edeltraude fiel vor Erleichterung und Erschöpfung auf die Knie, als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte.

»Seht es mir nach, Durchlaucht, doch ich muss diesen Augenblick feiern wie ein neues Leben. Denn ich hab schon nicht mehr daran ge­glaubt«, sagte sie zu Renate, die verstehend lächelte.

Sie brachte die vermeintliche Nonne in einer einfachen Schänke am Hafen unter und machte sich dann auf, nach den Kreuzfahrern zu forschen. Dabei kam ihr das knabenhafte Aussehen zugute, denn je­der, den sie ansprach, hielt sie tatsächlich für den Knappen eines deutschen Rittersmannes. Renate gewann an Selbstsicherheit und fühlte sich allmählich geschützt in ihrer Rolle. Zunächst erfuhr sie aber nicht viel mehr, als dass die Kreuzfahrer gen Jerusalem gezogen wa­ren.

»Wir müssen ihnen folgen«, sagte sie zu Edeltraude, die sich skeptisch zeigte. »Wie sonst sollen wir Gundolf denn finden? Wenn wir hier verharren, werden wir erfolglos bleiben.«

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»Mag sein, doch hier sind wir recht sicher«, hielt die Zofe ihrer Herrin entgegen. »Und als Schildknecht werdet Ihr eh nicht durchs Stadttor gelassen. Man wird Euch höchstens einsperren!«

Renate nickte langsam; daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Es wurde wohl Zeit, die Verkleidung zu wechseln.

Edeltraude schien zu ahnen, was in der Herzogin vorging, denn sie fragte beklommen: »Ihr werdet Euch doch wohl nicht als einhei­misches Weib an den Wachen vorbeimogeln wollen? Sie werden Euer blondes Haar und Eure helle Haut bemerken und schnell herausfinden, was Ihr im Schilde führt. Nein, Durchlaucht, das geht nicht. Ich bitt' Euch noch einmal: Lasst uns hier bleiben. Wir warten ab, bis die Ritter von ihrem Zug zurückkehren.«

»Das kann lange dauern. Und ich muss dich leider daran erinnern, dass unsere Mittel nicht unbegrenzt sind. Nun gib Acht: Wir werden uns Kleider nach hiesiger Sitte besorgen, die Gesichter mit Erde dunk­ler färben und das Haar unter einem Schleier verbergen, wie ich ihn bereits öfter gesehen habe. Dann aber darfst du eines nicht: Spre­chen. Gib vor, stumm zu sein, verständige dich mit den Händen. Dann wird es uns leicht gelingen, zwei Weiber zu spielen, die nur zum Markt unterwegs sind.«

»Was Ihr sagt, klingt verlockend. Doch ich furcht' mich noch im­mer«, murmelte Edeltraude beklommen. »Allerdings werde ich auch nicht allein zurückbleiben. Nun denn, machen wir uns also auf den Weg...«

Die nötige Verkleidung war rasch beschafft. Der Weg nach Je­rusalem dauerte allerdings mehrere Tage. Immer wieder verschnauf­ten die einsamen Wanderinnen sich, immer wieder hörten sie von schweren Kämpfen in der Heiligen Stadt oder sahen Menschen, die flohen, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Edeltraude schwieg, aber ihr ängstlicher Blick sagte Renate, wie gerne auch sie umgekehrt wäre. Doch solange die Herzogin ihren Weg fortsetzte, blieb die treue Begleiterin an ihrer Seite.

Endlich erreichten sie ihr Ziel. Es war später Abend, die Stadttore bereits geschlossen. Eine seltsame Stille lag über der Stadt. Etwas

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schien sich verändert zu haben, denn von lautem Kampfgetümmel konnte nun keine Rede mehr sein.

»Vielleicht ist der Kreuzzug bereits beendet«, flüsterte Edeltraude ihrer Herrin hoffnungsvoll zu. »Ach, wie sehr wünschte ich das...«

»Mir geht's nicht anders. Dort, schau!« Zwei Ritter mitsamt ihrer Gefolgschaft verließen die Stadt unbehelligt. Die Herzogin schöpfte bei diesem Anblick neuen Mut. Hatten die Kreuzfahrer den Kampf für sich entscheiden können? Sie trat aus dem Schatten der Stadtmauer und sprach die beiden Edelleute auf Deutsch an. Diese musterten sie indig­niert. Dann aber stieg einer von ihnen ab, trat näher und hielt eine Sturmlaterne in die Höhe, um die beiden vermummten Gestalten näher betrachten zu können. Der Zufall wollte es, dass es sich bei dem Ritter um Wieland von Säckingen handelte. Und sein scharfes Auge erkannte die Herzogin sofort wieder. Trotzdem meinte er, zu träumen.

»Durchlaucht, Ihr hier? Wie ist das nur möglich?«, fragte er fas­sungslos. »Euer Gemahl wähnt Euch im Heimatland...«

»Es ist eine lange Geschichte, ebenso lang wie die Reise, die hin­ter uns liegt«, entgegnete Renate erschöpft. »Doch bitte, sprecht, wo hält Gundolf sich auf? Dass Ihr Euch hier frei bewegen könnt, schreibe ich der Tatsache eines Sieges der christlichen Recken zu. Oder irre ich mich?«

Der Prinz antwortete ausweichend. »Der Kaiser verhandelt, es geht nun um Verträge, nicht mehr um Schlachten. Doch das Schicksal scheint unserer Sache endlich hold.« Er schaute sich um. »Ich bitt' Euch, folgt mir ins Lager unserer Mannen. Hier ist es für Euch ganz allein nicht sicher. Und gewiss wollt Ihr Euch auch verschnaufen.«

»Prinz Wieland, ich stellte Euch eine Frage«, erinnerte Renate ihn kühl. »Wo ist mein Gemahl? Einzig um seinetwillen trat ich diesen lan­gen und strapaziösen Weg an.«

Säckingen zögerte kurz, dann entschied er: »Ich bring' Euch zu ihm. Doch auch zu diesem Zwecke müssen wir ins Lager. Bitte, nehmt mein Pferd, ich will es führen. Der Weg ist nicht weit.«

»Was hat das zu bedeuten? Warum weicht er aus?«, fragte Edel­traude ihre Herrin flüsternd. Auch in Renate stieg eine dunkle Ahnung

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auf, doch sie entgegnete: »Ich weiß es nicht. Wir sollten ihm wohl einfach folgen...«

*

Der Ritt dauerte kaum eine halbe Stunde und führte von der Stadt fort ins wüste Land hinein. Die Kreuzfahrer hatten hier ihre Zelte errichtet, überall zeugten Fahnen und Banner davon, dass Söhne aller großen Familien aus deutschen Landen hier versammelt waren. Renate fühlte sich beinahe ein wenig heimisch. Doch ihr Herz war voll Kummer und Gram, Sorge erfüllte es und verhinderte, dass sie sich freute, so viele Landsmänner zu treffen. Prinz Wieland führte die unerwartete Besu­cherin ins Zelt des Kaisers. Dieser war noch in der Stadt, Säckingen nutzte das Beste der Zelte, um der Herzogin eine weiche Sitzstatt an­bieten zu können und einen Wein, der ihre Lebensgeister wieder weck­te, wohl wissend, dass der Herrscher ihm dies nicht verübeln würde. Friedrich war Gundolf von Falkenstein stets wohl gesonnen gewesen und dieses Wohlwollen erstreckte sich gewiss auch auf seine Gemah­lin, die nun mit ängstlichem Blick zu ihm aufschaute.

»Nun, Prinz Wieland, mich dünkt, Ihr habt mich lange genug aufs Folterbrett gespannt. Wo ist mein Gemahl? Was ist ihm widerfahren? Denn wär' er gesund, sicher hättet Ihr mich bereits zu ihm geführt.«

Säckingen lächelte schmal. »Eure Schönheit wird nur noch von Eu­rer Klugheit übertroffen, Durchlaucht«, schmeichelte er halbherzig. »Ich will Euch die Geschichte erzählen, zuvor aber eines: Gundolf ist am Leben. Beim Sturm auf Jerusalem verlor ich ihn aus den Augen, denn wir mussten einzeln in die Stadt eindringen. Der Kampf war schnell vorbei, es schien, als sei der Allmächtige dieses Mal nah gewe­sen und habe unsere Schwerter geführt. Die Sarazenen wurden ver­nichtend geschlagen. Doch als der Pulverdampf sich legte, suchte ich vergebens nach Gundolf. Ich machte mich daran, die Stadt zu durch­kämmen, fand ihn schließlich in einer engen Gasse, wo er von meh­reren Gegnern aufgebracht worden war. Feige hatte man ihn von hin­ten durchbohrt.« Renate stöhnte bei diesen Worten gequält auf. »Das Leben schien bereits aus ihm gewichen, doch ich gab ihn nicht auf.

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Euer Gemahl ist stark und furchtlos. Und seine Natur gleicht der eines Rosses, wenn Ihr den derben Vergleich verzeiht. So warf ich mir den Freund über die Schulter und brachte ihn fort, hierher ins Lager, damit die Wundärzte sich seiner annehmen können.«

»Wie lange ist das her?«, fragte die Herzogin mit bebender Stim­me. Sie wähnte sich in einem schlechten Traum, der doch die Wirk­lichkeit war.

»An die drei Tage. Seither liegt er im Fieber. Die Ärzte geben al­les, doch niemand weiß, ob er wieder genesen kann.« Er senkte den Blick. »Es tut mir Leid...«

Renate straffte sich. »Ich möchte zu ihm. Was die Wundärzte nicht vermögen, vielleicht gelingt es mir. Ich danke Euch von Herzen, lieber Säckingen, dass Ihr mir den Gemahl erhalten habt. Nun aber will ich für seine Genesung sorgen.«

Der Prinz zögerte. Er wusste nicht, ob er Renate den Anblick des Todkranken zumuten konnte. Erst am Morgen hatte er an Gundolfs Bett gewacht und erleben müssen, wie schlecht es ihm ging. Musste seine Gemahlin nicht zusammenbrechen, wenn sie gewahrte, wie es um ihn stand?

Doch er hatte Renate unterschätzt; sie besaß den Willen und auch die Kraft, ihr Schicksal zu meistern, das hatte sie bereits auf der lan­gen Reise nach Palästina bewiesen. Nun wirkte sie zudem sehr ent­schlossen. Säckingen meinte, es wagen zu können und nickte ange­deutet. »So folgt mir denn, Durchlaucht. Ich bringe Euch zu Eurem Gemahl...«

Gundolf von Falkenstein lag mit hohem Fieber danieder. Als Rena­te sich über den geliebten Gemahl beugte, erkannte er sie nicht, mur­melte nur Unverständliches. Sie fragte Säckingen nach der Behandlung durch die Wundärzte.

»Sie haben die Wunde ausgebrannt, das Fieber aber ist trotzdem gestiegen. Ihre Mittel scheinen nichts zu bewerkstelligen«, gab er of­fen Auskunft.

Die Herzogin wandte sich an ihre Zofe. »Edeltraude, schaff mir die Kräutertinktur, die du immer bei dir trägst. Und versuche, etwas zur

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Senkung des Fiebers zu finden. Ich glaube, wenn uns dies gelingt, wird die Wunde zu heilen beginnen.«

Die Zofe nickte und verließ das Zelt. Säckingen zögerte. »Braucht Ihr mich noch? Oder wollt Ihr ganz allein für das Wohl

Eures Gemahls sorgen?« Renate bedachte den Prinzen mit einem dankbaren Blick. Nun, da

sie den ersten Schrecken verwunden hatte, fielen Müdigkeit und Furcht von ihr ab und sie empfand eine tiefe Dankbarkeit, dass ihr Gemahl noch am Leben war. »Ihr habt das Eure bereits getan, lieber Prinz Wieland, wofür ich ewig in Eurer Schuld stehen werde. Nun ist's an mir, Gundolf beizustehen und dafür zu sorgen, dass er wieder zu Kräften kommt und genesen kann.«

*

Renates Worten folgten auf dem Fuß Taten. Die junge Herzogin, in der Kunst des Heilens bislang nicht unbedingt bewandert, gab nun ihr Bes­tes, um die Gesundheit ihres Gemahls wieder herzustellen. Zunächst erwies sich dies als nicht ganz einfach. Nicht nur der physische Aspekt verschloss sich ihrem Wissen, auch der Widerstand der Wundärzte wollte vereiteln, dass Renate ihr gutes Werk vollendete. Erst ein Machtwort des Kaisers gab ihr die ungestörte Ruhe, die sie benötigte, um Tag und Nacht für Gundolf da zu sein.

Edeltraude kannte sich in der Heilkunde mit Kräutern und Es­senzen ein wenig aus und schaffte ihrer Herrin die nötigen Mittel, da­mit ihr heilkräftiges Wirken gelingen konnte. Die Zofe schaute oft be­wundernd zu, wie Renate nicht zögerte, den blutigen Verband des Verletzten zu wechseln und wie sie Tag um Tag und Nacht um Nacht an seinem Lager wachte, mit Essigwickeln und kalten Waschungen das Fieber auszutreiben suchte. Manches Mal musste Edeltraude die Her­zogin streng mahnen, sich selbst ein wenig Ruhe zu gönnen. Das un­gewohnte Klima und die übergroßen Belastungen, die hinter ihnen lagen, hatten bereits an ihrer eigenen Gesundheit gezehrt. Doch die junge Edelfrau erwies sich als stark und furchtlos. Sie erfüllte die selbst gestellte Aufgabe ohne Zögern oder Zaudern.

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Beinahe ein Monat war nun ins Land gegangen. Im deutschen Reich lag bereits der erste Schnee, am Mittelmeer regnete es, doch die Temperaturen blieben angenehm. Renate hatte es geschafft, das Fie­ber ihres Gemahls nachhaltig zu senken. Doch noch immer lag Gundolf in tiefer Bewusstlosigkeit, die sein Leib wohl benötigte, um zu gene­sen. Die Herzogin war selbst zu Tode erschöpft. Und als sie an diesem Morgen nach ihrem Patienten sah, übermannte sie die Müdigkeit und ließ sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf abgleiten. Gerade war sie fest eingenickt, da öffnete der Herzog die Augen. Zum ersten Mal seit seiner Verwundung war er fieberfrei und sah die Welt um sich herum klar und deutlich. Eines aber mutete ihn seltsam an: An seinem Lager saß Renate! Dies konnte doch einfach nicht sein. War er denn noch immer in Morpheus Armen oder gaukelte ihm die Phantasie dieses Bild nur vor, das die Sehnsucht diktierte?

Mühsam hob er einen Arm und berührte den Saum ihres Kleides. Sie konnte es nicht gespürt haben, doch sie erwachte auf einen Schlag und riss die Augen in großer Verblüffung weit auf. Für ein paar Mo-mente schauten die Eheleute einander nur an, dann aber erschien ein strahlendes Lächeln auf Renates schönen Zügen und sie murmelte andächtig: »Gundolf, du bist wach! Das heißt, du hast das Schlimmste überstanden. Oh, wie dank ich dem lieben Herrgott dafür!« Sie nahm seine Hand und schmiegte ihre heiße Wange hinein.

Der Herzog schaute sie noch immer an. Es fiel ihm schwer, zu sprechen, seine Stimme klang ihm selbst ganz fremd, als er wissen wollte: »Was hat das zu bedeuten, Renate? Wie kommst du hierher? Aber das ist ja ganz unmöglich! Oder bin ich vielleicht, ohne es zu merken heim nach Falkenstein gebracht worden? Wie anders soll ich es mir erklären, dich hier zu sehen?«

Sie lächelte noch immer, denn das Glück, die Erleichterung, die ihr Herz erfüllten, waren einfach zu groß. Dann aber wurde ihr schönes Gesicht ernst. Und als sie anhob zu sprechen, klangen ihre Worte wie die Beichte eines Menschen, der sich Kummer und Last endlich von der Seele werfen musste, um nicht daran zu ersticken. »Kurz nachdem du Falkenstein verlassen hattest, hat Erek sich schändliche Kerle zu seiner Gesellschaft genommen. Sie machten sich auf der Burg breit und ver­

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wandelten sie in eine Räuberhöhle. Dein Bruder hat sich auch mir ge­genüber recht übel aufgeführt. Er ließ Sitte und Anstand vermissen und behauptete, nun der Herr auf Falkenstein zu sein. Ich sollte mich seiner Herrschaft beugen, was er mit schlimmen Drohungen zu errei­chen suchte. Immer wieder wollte ich mich behaupten, doch es gelang mir nicht. Wäre Erek allein mein Gegner gewesen, hätte ich den Mut nicht so schnell sinken lassen. Doch die Kerle in seinem Schlepptau waren arg. Sie stachelten ihn auf und machten alles nur schlimmer. So fasste ich schließlich den Entschluss, Falkenstein zu verlassen, um bei Euch den Schutz zu suchen, den ich auf der Burg nicht mehr finden konnte. Nur Edeltraude begleitete mich, wir verkleideten uns als Schildknecht und Nonne und gelangten unbehelligt ins Heilige Land. Zufällig traf ich auf den Prinzen von Säckingen. Und er führte mich zu dir. Wochen sind seither vergangen, in denen du an der Schwelle des Todes standest. Doch nun ist's überstanden. Der Kaiser will sich im kommenden Jahr zum König von Jerusalem krönen. Der Kreuzzug war ein Erfolg.« Sie atmete tief durch. »Ich hoff' sehr, du nimmst mir mei­ne heimliche und gefahrvolle Reise nicht übel. Doch es musste sein, denn ich sah auf Falkenstein keine Zukunft mehr für mich.«

Gundolf hatte Renates sanfter Stimme beinahe andächtig ge­lauscht. Nun murmelte er: »Mein geliebter Engel, was hast du mei­netwegen erleiden müssen. Hätte ich nur eine Ahnung gehabt, wie es in Ereks verlottertem Herzen aussieht, nie und nimmer hätte ich dich allein und ohne Schutz in seinen Händen gelassen. Es bestürzt mich zutiefst, dass ich so blind gewesen bin. Selbst Säckingen hat mir ge­genüber angedeutet, dass Erek ein Tunichtgut und böser Finger ist, der dir gewiss nichts Gutes will. Wie konnte ich nur so dumm sein, dies nicht zu begreifen?«

»Er ist dein Bruder und du liebst ihn«, erwiderte Renate schlicht. »Niemand würde dir deshalb einen Vorwurf machen.«

»Doch ich mache ihn mir selbst. Aufs Sträflichste hab ich gefehlt. Aber nun schwöre ich dir: Nie mehr sollst du um meinetwillen so lei­den. Geliebte Renate!« Er schaute sie voll inniger Zuneigung an. »Ich habe am Anfang an dir gezweifelt, das weißt du. Nun durfte ich erle­ben, wie weit eines Weibes aufrichtige Liebe gehen kann. Was du für

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mich getan, ist nicht mit Gold aufzuwiegen und niemals in Dank zum Ausdruck zu bringen. Aber sei gewiss: Meine Liebe zu dir soll dir alle Opfer vergelten, die du so selbstlos gebracht. Wenn wir wieder daheim sind, auf Falkenstein, so soll unser gemeinsames Leben noch einmal beginnen. Und dieses Mal schwör ich dir: Es werden nur Sonnentage sein, die uns beide erwarten.«

Die junge Herzogin lächelte mild. Mit zarter Hand strich sie Gun­dolf übers Haar und als er sie behutsam in die Arme schloss, empfand sie all das Glück und die Seligkeit, die sie so lange hatte vermissen müssen. Und sie wusste: Nun würde alles gut...

*

Im Frühjahr des Jahres 1229 krönte Kaiser Friedrich II sich selbst zum König von Jerusalem. Alle Ritter, die im Kampf um die heiligen Stätten an seiner Seite gefochten hatten, waren auch nun anwesend. Unter Hochrufen und unbeschreiblichem Jubel ließ der Herrscher sich durch die Stadt tragen und genoss den Triumph, den er nicht nur in der Er­oberung des Gelobten Landes errungen hatte, sondern auch durch die Festigung seiner Macht der Kirche und vor allem dem Papst gegen­über, der seinen Bann längst aufgehoben hatte. Der gelungene Kreuz­zug, der mehr durch das Geschick beim Aushandeln von Verträgen denn auf dem Schlachtfeld gewonnen worden war, sollte für den zwei­ten deutschen Kaiser aber nur eine Atempause im Streit mit der Kurie bedeuten. Im Jahre 1245 ließ Innozenz IV ihn endgültig absetzen. Doch davon ahnte im Siegestaumel noch niemand etwas...

Herzog Gundolf war in der Zwischenzeit vollständig genesen. Re­nate hatte ihn weiter gepflegt und dafür gesorgt, dass er erst sein La­ger verließ, als seine Wunde völlig ausgeheilt war. Das fiel dem taten­durstigen Ritter nicht leicht, der nun in der Heimkehr und dem Ordnen der Verhältnisse auf Falkenstein seine vordringlichste Pflicht sah. Doch die Herzogin mahnte zur Geduld. Sie genoss die Zeit an der Seite ihres Gemahls, die ihnen beiden die Gelegenheit bot, einander noch inniger verbunden zu sein. Hier, im fremden Lande, lernten Renate und Gun­dolf sich lieben und achten, sich ganz vertrauen und glücklich mitein­

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ander sein. Und die junge Edelfrau konnte zufrieden sein in dem Wis­sen, dass ihre Entscheidung für die lange und abenteuerliche Reise nach Palästina richtig gewesen war.

Nach der Krönungsfeier traten die meisten Ritter die Heimreise an. Die Schiffe nach Italien verkehrten wieder, das Meer hatte sich nach den Winterstürmen beruhigt, es herrschte bestes Reisewetter. Bevor das Herzogenpaar aber aufbrach, richtete Kaiser Friedrich noch einmal das Wort an Gundolf. Er ehrte seine Tapferkeit und seinen Mut und nannte ihn einen der vornehmsten Ritter seines Landes. Als Anerken­nung schenkte er dem so Geehrten ein großes Stück Land in Palästina und heftete ihm ein Ehrenbanner ans Wappen. Gundolf verneigte sich tief vor dem Kaiser, den er aus ehrlichem Herzen verehrte und zugleich einen wirklichen Freund nennen konnte...

Die Heimreise trat man dann mit allem Gefolge an und es schien Renate beinahe ein wenig ungewohnt, in völliger Offenheit zu reisen. Das Wetter war ihnen hold, man kam rasch voran. Trotzdem dauerte es viele Wochen, bis die deutschen Landen wieder in Sichtweite ka­men. Renate war es mit dem Heimkommen nicht so eilig. Sie war glücklich an der Seite ihres Gemahls, nur das zählte für sie. Und ein wenig fürchtete sie sich auch vor der Konfrontation zwischen Gundolf und Erek, die ja nun unausweichlich folgen musste...

Während der Herzog und seine Gemahlin sich auf dem Heimweg befanden, spielten sich auf Burg Falkenstein dramatische Szenen ab. Wolfram von Wildecks Mannen war es nicht gelungen, die vermeintlich ins Schwäbische gereiste Herzogin zu finden. Unverrichteter Dinge waren sie in den Bayerischen Wald zurückgekehrt, was zu einem neu­erlichen Wutanfall Ereks geführt hatte. Dieses Mal beruhigte der Prinz sich aber nicht so rasch. Er steigerte sich vielmehr in ein Wüten, das der Wildgraf schließlich nur dadurch zu zähmen wusste, dass er den Prinzen im Kerker in Ketten legen ließ. Als Erek wieder zu Verstand kam, forderte er böse: »Lasst mich sofort frei, Wildeck! Oder aber ich könnte es Euch wirklich sehr übel nehmen!«

Doch der Wildgraf lachte darüber nur. »Wir haben eine Abma­chung. Überschreibt mir die Burg, dann seid Ihr frei...«

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Davon wollte der Prinz nichts wissen. »Ich bring' Euch um, Ihr e­lender Hund!«, schrie er, schon wieder außer sich. Allerdings dauerte es nicht lange, bis Erek einsehen musste, dass er in der schlechteren Position war. Er musste sich seine Freiheit erkaufen. Und war er erst aus dieser elenden Lage befreit, so würde er Wildeck schon Mores lehren...

Zum Schein ging er also auf die unverschämte Forderung des Wildgrafen ein, der nun frech den ganzen Besitz haben wollte. Dann aber machte er einen Vorschlag, der von geplanter Hinterlist sprach.

»Ich hörte, im Forst, nahe der Tambachschlucht, haust ein son­derlich riesiger und wilder Eber. Lasst uns gemeinsam auf Jagd nach ihm gehen. So schließen wir unsere Freundschaft aufs Neue.«

Wildeck, vom scheinbar mühelosen Gelingen seines Raubzugs be­flügelt, witterte kein Arg. Er unterschätzte den Prinzen, hielt ihn für einen Trottel, mit dem er nun nach Belieben verfahren konnte und stimmte deshalb dem Vorschlag ohne Zögern zu.

Wenige Tage, bevor Renate und Gundolf heimkehrten, ritten Erek und sein vermeintlicher Freund früh des Morgens ganz allein, nur mit den imposanten Eberspießen bewaffnet, in den tief verschneiten Forst. Der Prinz wusste, dass Wildeck sich nicht sonderlich gut auskannte in der Ecke, die er für seine Rache auserkoren hatte. Er plante, den ver­kommenen Wildgrafen nah genug an die Schlucht zu führen und dann mit Hilfe seines Eberspießes in die Tiefe zu befördern. War Wildeck erst tot, würden seine Kumpane schon freiwillig das Feld räumen...

Während des Rittes durch den Forst sprachen die beiden Männer nicht. Wolfram hing seinen Gedanken nach. Er war stolz, es endlich zu etwas gebracht zu haben. Auf welchem Wege, das schien ihm einerlei. Nun würde der Name Wildeck bald wieder einen guten Klang haben, dafür wollte er schon sorgen...

Die beiden einsamen Reiter erreichten ihr Ziel nach gut zwei Stun­den. Erek schlug vor, sich auf die Lauer zu legen, womit Wolfram sich einverstanden zeigte. Er bemerkte nicht, wie sein Begleiter ihn unauf­fällig immer näher zur Schlucht führte. Und in einem günstigen Mo­ment hob Erek ohne Vorwarnung die lange Lanze, um sie Wildeck in den Wanst zu bohren.

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So ganz ohne Arg war der Wildgraf nie. Und er nahm aus dem Au­genwinkel heraus die hektische Bewegung war. Instinktiv duckte er sich, tauchte unter der Lanze weg - und hatte sie im nächsten Moment mit beiden Händen gegriffen. Er lachte höhnisch auf und schrie, wäh­rend er Erek zu sich heranzog: »Ein schöner Freund bist du mir, Fal­kenstein. Doch es soll mir recht sein; bin ich dich erst ganz los, wird dein Name für immer getilgt! Und Burg Falkenstein heißt ab sofort Burg Wildeck!«

»Damit kommst du nicht durch, du Hund«, knirschte der Prinz. Er hatte seine Schrecksekunde überwunden und ging erneut zum Angriff über. Rasch entspann sich ein zäher Kampf, bei dem die Gegner sich nichts schenkten. Beide waren gleich groß und stark. Und es ging für jeden von ihnen um alles. Es dauerte eine Weile, dann schien es, als gewinne Erek die Oberhand. Er triumphierte bereits, ohne mit der Hin­terlist seines Gegners zu rechnen. Unvermittelt traf ihn ein Stein am Kopf. Erek sah Sterne, ging ächzend in die Knie. Wildeck aber heulte siegessicher auf. Er zückte sein Kurzschwert und wollte ein Ende ma­chen, als der Prinz ihn von den Beinen holte und nach hinten stieß, gefährlich nah an den Abgrund. Noch ehe Wolfram sich wieder fangen konnte, hing er mit dem Oberkörper in der Luft, starrte ins Leere und spürte, wie Erek daran arbeitete, auch noch seine Beine nachzuschie­ben. Der Wildgraf mobilisierte seine letzten Kräfte, denn auch er hing am Leben. Mit einem wütenden Aufschrei schnellte er nach oben und rammte Erek sein Schwert in den Leib. Doch der zweifelhafte Sieg kos­tete ihn alles; im nächsten Augenblick verschwand Wolfram von Wild­eck mit markerschütterndem Schrei in der Tiefe der Schlucht. Der Prinz sackte ächzend zusammen, eine Hand auf den Leib gepresst. Er spür­te, wie warmes Blut durch seine Finger sickerte und empfand die Pa­nik, die in ihm aufstieg. Später wusste er nicht zu sagen, wie er es geschafft hatte, auf sein Pferd zu steigen und los zu reiten. Eine feine, rote Spur zog sich hinter ihm durch den Schnee. Irgendwann verlor er das Bewusstsein, doch sein treuer Rappe brachte ihn sicher zurück zur Burg. Dort lag er im Sterben, als das Herzogenpaar heimkehrte.

Gundolf fand die Burg verwahrlost und beinahe menschenleer. Mit ungläubigen Augen durchquerte er die Räume, die ihm einst so ver­

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traut gewesen waren, sah Schmutz und Unrat, hörte den Wind durch zerbrochene Fenster pfeifen und hatte das Gefühl, nur schlecht zu träumen.

Neidhard, das alte Hausfaktotum, führte den Heimgekehrten ins Gemach seines Bruders. Renate, die an der Seite ihres Mannes war, erschrak, als sie den Schwager gewahrte. In seinen Augen schien ein seltsames Feuer zu brennen, während sein Gesicht von kaltem Schweiß glänzte. Der Ruch des Todes lag bereits über dem Raum. Erek wandte sich an Gundolf, der erschüttert auf ihn herabblickte.

»Ich hätte dir vieles abzubitten«, murmelte er mit rauer Stimme. »Doch mir bleibt keine Zeit. Nun, da ihr beide wieder auf Falkenstein seid, geh ich beruhigt in eine andere Welt. Ich weiß, die Burg unserer Väter wird wieder im alten Glanz erstrahlen. Alles, was ich zunichte gemacht, wird vergessen sein. Das soll mir einen kleinen Trost bedeu­ten.«

Gundolf beugte sich über den Bruder. Zart strich er ihm übers Haar und fragte mit feuchten Augen: »Wie ist's bloß soweit gekom­men?« Mit grollendem Herzen hatte er dem Wiedersehen mit Erek geharrt, nun fand er nur Jammer und Traurigkeit.

Der Todgeweihte streckte die Hand nach Renate aus, die näher an seine Bettstatt trat. Seine fiebrigen Augen suchten ihren Blick. »Ver­zeiht mir, Renate, was ich Euch hab leiden lassen. Ich war verblendet und voller Begehren, hab darüber Sitte und Anstand vergessen. Ich wünsche Euch, dass Ihr glücklich werdet in diesen Mauern und mich bald vergessen habt...«

»Ihr dauert mich, Erek. Im stillen hab ich immer auf ein Aus­kommen gehofft. Dass es so enden muss, betrübt mein Herz.«

Der Prinz lächelte schmal. »Der bessere Falkenstein wird leben, so soll es sein. Bitte, hasse mich nicht, Gundolf und gedenk meiner viel­leicht ab und an...« Er stöhnte verhalten auf, dann entwich sein Atem ein letztes Mal und er schloss fast friedlich die Augen.

Stille senkte sich über den Raum. Eine ganze Weile standen Rena­te und Gundolf am Totenbette, hielten sich bei den Händen und ge­dachten dem tragischen Schicksal, das den Prinzen im Leben nicht hatte glücklich werden lassen.

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»Es tut mir leid, dass es so hat enden müssen«, sagte Renate spä­ter zu ihrem Gemahl. »Ich wünschte, ich könnte es ändern.«

Gundolf lächelte traurig. »Dich trifft gewiss keine Schuld, du hast auch Erek nur Freundlichkeit entgegengebracht.« Er schaute sich um. »Nun wartet viel Arbeit auf mich. Es wird eine Weile dauern, bis aus Falkenstein wieder eine Hofburg geworden ist. Ich hoff, du nimmst es mir nicht übel, wenn wir uns fürs erste bescheiden müssen.«

Sie trat neben ihn, blickte aus dem Fenster hinaus in den unend­lich wirkenden, tief verschneiten Tann und hatte zum ersten Mal das Gefühl, daheim zu sein. »Wenn du nur bei mir bist, Gundolf, so will ich zufrieden sein. Unsere Liebe macht auch aus einer Hütte einen Palast für mich.«

Er betrachtete sie mit inniger Zuneigung, nahm sie dann in den Arm und küsste sie zärtlich. Und da wusste Renate: Der lange Weg, den sie hatte gehen müssen, um endlich ihr Glück zu finden, er endete hier und jetzt. In den Armen des Mannes, der ihr alles war und ein Leben lang sein sollte.

Ende

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