Die Religionssoziologie Max Webers_Koch_2010

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  • Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft und der Religionskonomie Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft Anne Koch

    1 Zur Aktualitt der Weberschen Perspektive Es gibt kaum neuere Literatur zu Religion und Wirtschaft, die nicht Weber zitiert. Webers Credo, dass die empirische Wirklichkeit in ihren kleinsten Atomen das Handeln Einzel-ner erst annhernd vollstndig beschrieben ist, wenn sie aus konomischer, religionsge-schichtlicher und soziologischer Perspektive beleuchtet wird, hat bis heute nichts an Faszi-nation verloren. Und die berhmte bersetzungsfrage in Wirtschaft und Gesellschaft: was ist soziologisch gesprochen ein Prophet?, stellt eine Beziehung zwischen soziologischem und religionswissenschaftlichem Konzept her (Weber 2005/1922: 175 f.). Komplettiert werden diese Koordinaten des Forschens durch die wirtschaftliche Perspektive: Diesen leicht ver-stndlichen Erscheinungen steht nun aber gegenber: da in der Vergangenheit die Neubil-dungen von Kapital [] in hchst auffallender Art und Hufigkeit mit rationaler ethischer Gemeindereligiositt der betreffenden Schichten verknpft waren (Weber 2005/1922: 237). Religion, gefasst als religise Gemeinschaft und als gleichsinniges, nmlich an einem be-stimmten Sinn orientiertes Handeln, formiert eine Gre, die gleicherweise sozial und wirt-schaftlich wirksam ist. Eine Methodologie fr dieses Wirkungsfeld entwickelt zu haben, ist Webers Verdienst.

    Die Wirtschaftsoziologie Webers steht in einem kulturwissenschaftlichen Rahmen, fr den die religionssoziologischen Teile bedeutsam sind. In diesem Beitrag geht es darum, eine Aktualisierung des kulturwissenschaftlichen Rahmens Webers aus der heutigen Kulturwis-senschaft einzubringen, mit einem Fokus auf Religionsgeschichte und religionswissenschaft-licher Theoriebildung. Daher wird zunchst in Webers Religionssoziologie unter methodo-logischer Perspektive eingefhrt (Abschnitt 2). Sein Ansatz spiegelt das typisch erst-moderne, genetisch-historische Interesse an der Herkunft der Moderne und des Kapitalis-mus wider (Abschnitt 2.1). Spter wird diesem Interesse die heutige Herausforderung, Dif-ferenzierungsmechanismen, vervielfltigte Kapitalismen und transkulturelle flows zu be-schreiben, gegenbergestellt. Sodann ist Webers hermeneutischer Ansatz darzulegen, um ihn neben Methodologien, die nach der Krise der Reprsentation in den 1970er Jahren ent-wickelt wurden, kritisch zu lesen (Abschnitt 2.2). Die idealtypische Methode Webers wird unter der Fragestellung diskutiert, ob die abstrahierten Taxonomien Kausalfaktoren fr die Vervielfltigungsdynamiken der Moderne angeben knnen (Abschnitt 2.3). Denn zur Her-ausforderung heutiger Kulturwissenschaft (Abschnitt 3) gehrt wesentlich, gesellschaftliche Dynamiken zwischen Einheit, pluralen Normalitten und Divergenz zu beschreiben. Aus Webers Religionssoziologie werden synoptische Begriffe bestimmt (Abschnitt 4), die als Anschlusspunkte aktueller kulturwissenschaftlicher Diskussionen diskutiert werden, insbe-

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    sondere der Religionskonomie1 und Religionswissenschaft, einem kleinen Ausschnitt der neueren Kulturwissenschaft.2 Sodann wird anhand von religionsgeschichtlichen Beispielen ein Eindruck von der Vielzahl und Verwobenheit der relevanten Dimensionen vermittelt, die fr den wechselseitigen Einfluss und die Institutionalisierung von Praktiken und Wis-sensbestnden in modernen Gesellschaften an der Schnittstelle von religisen und wirt-schaftlichen Gren zu bercksichtigen sind (Abschnitt 5). Das Fazit (Abschnitt 6) benennt nochmals folgenreiche, problematische oder zumindest ambivalente Thesen Webers her-meneutischer Ansatz, Rationalittsbegriff und damit zusammenhngend das Verstndnis von Rationalisierung als geschichtlicher Prozess und ordnet sie ihrerseits religionsge-schichtlich ein.

    2 Webers Religionssoziologie 2.1 Religionsgeschichten im Plural Geschichte wird im 19. Jahrhundert zum Medium gesellschaftlicher Selbstverstndigung par excellence (Kippenberg 1997: 259-270; Osterhammel 2009: 25-27). Fr Weber sind es weniger die National- und Weltgeschichten als die Religionsgeschichte, welche die relevan-ten Handlungsausrichtungen aufdeckt. Deshalb wird sie zur wichtigen Quelle fr Webers handlungstheoretischen Ansatz seiner verstehenden Soziologie. Diese frhe kulturwissen-schaftliche Epoche reflektiert die Konstruktivitt der wissenschaftlichen Geschichtsschrei-bung stets mit. Weber beantwortet die Herausforderung des Historismus zwischen einer-seits pluralen und somit relativierten geschichtlichen Narrativen und andererseits in einzel-nen Ereignissen verlorener Geschichtsschreibung mit der angesprochenen interdisziplinren Perspektive. Dabei leiten ihn die Fragen nach den Formen und Typen von Vergemeinschaf-tung, nach dem Ablauf eines religis motivierten gemeinschaftlichen Handelns und vor allem, warum Europa dabei den Sonderweg der Rationalisierung gegangen ist.

    Dass die empirische Wirklichkeit nicht nur als konomisch bedingt (Marx) oder als kol-lektive soziale Tatsache (Durkheim) gefasst werden sollte, sondern auch ber spezifische subjektive Sinn-Erwartungen und Erfahrungsreferenzen, ist Webers erweiterter Blick auf Kulturerscheinungen und auf Gesellschaft. Diese Idee formulierte bereits Sombart (vgl. Kippenberg 2005: 163). Weber (1988a/1920; 1988c/1920) legt dafr eine historische Erzhlung vor, in der religise Ideen als Teil einer Ursachenkette zu konomischen Vernderungen beitragen. Religise Ideen, Institutionen, Lehren und besonders Ethiken sind fr die ko-nomische und soziale Dimension von Bedeutung, da sie stabile normative Handlungsmus-ter ber den Moment hinaus begrnden und auf diesem Wege strukturbildend werden knnen.

    1 Religionskonomie ist im weiteren Sinne eine lose Sammlung von Literatur zu Religion und Wirtschaft, im engeren Sinne eine nach wie vor marginale Teilperspektive innerhalb der Religionswissenschaft (programmatisch Gladigow 1995b; systematisch Koch 2007). 2 Eigens wre die umfangreiche Wirtschaftsethnologie in ihrer Anknpfung an Weber aufzuarbeiten, z. B. die Bnde Research in Economic Anthropology, vgl. als deutschsprachige Einfhrung Rssler 1999 (wo Weber fehlt) und als US-amerikanische Einfhrung Gudeman 2001 (der von Marx statt Weber ausgeht).

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    Es ist Webers Prmisse wie auch die des befreundeten Theologen Ernst Troeltschs , dass der Versuch, dem Leid zu entkommen, Motor der Religionsentwicklung ist. In seiner Erzhlung der Religionsgeschichte verlaufen die Rationalisierungen des Leids in Abstrakti-onsstufen, die an den Pranimismus des britischen Ethnologen Robert R. Marett anknpfen. Noch vor animistischen Entitten (Naturgeister, Seelen) sei die Ausgesetztheit vor einer diffu-sen Macht als existenzielle Bedingtheit erfahren worden. Diese Irrationalitt der Welt, ge-sprt in der Leiderfahrung, ist der anthropologische Antrieb des Rationalisierens. Zunchst werden Dmonen magisch zu beeinflussen versucht. Als dies nicht aufgeht, werden mchti-gere Geister, Gtter, angenommen, die Leid besser beherrschen knnen und zum Fernhalten des Leides angebetet, ernhrt oder bestochen werden. Ein wichtiger und einschneidender Rationalisierungsschub in dieser Religionsgeschichte ist die Annahme einer geregelten mora-lischen Ordnung des Ganzen. Dies erffnet dem Einzelnen weitreichende Handlungsmg-lichkeiten: Wird die Ethik befolgt, dann kann Leid ferngehalten werden. Propheten sind es, die in diesen ethischen Religionen kohrente Einblicke in die ethische Ordnung vermitteln. Da (rechtes) Handeln hier fr die Grundbefindlichkeit des Menschen relevant wird, verwun-dert es nicht, dass sich starke Handlungsgewohnheiten und -neigungen ausbilden, die im wirtschaftlichen oder politischen Handeln ebenfalls wirksam sind.

    Meist ist es die Kapitalismusthese aus der Protestantischen Ethik (Weber 1988a/1920), die im Zusammenhang mit der Skularisierungsthese groen Raum in der Rezeption ein-nimmt.3 Gensslich erzhlt Weber ein Ursprungsnarrativ der modernen Rationalisierung, nach der diese nicht aus der philosophischen Aufklrung hervorgegangen sei, sondern aus der Religionsgeschichte, die nach seinem und zeitgenssischem Verstndnis per se als irra-tional galt, als deren Entzauberung und als Sedimentierung von religiser Ethik in den all-tglichen Formen der Lebensfhrung.4

    Hier soll die Aktualitt Webers ber Konzepte des berhmten Kapitels Religise Ge-meinschaften in Wirtschaft und Gesellschaft (Weber 2005/1922) aus seinem nachgelassenen Hauptwerk diskutiert werden. Dieses Kapitel versteht Weber als systematische Aufarbei-tung seiner kontrastiv-komparativen Religionsgeschichte, die er in den Aufstzen zur Wirt-schaftsethik der Weltreligionen durchfhrte und in der die Protestantische Ethik nachtrglich in ihrem kulturgeschichtlichen Zusammenhang untersucht werden sollte.5 3 Jngst konstatierten z. B. Inglehart und Norris (2004: 11), dass traditionelle Skularisierungstheorien wissenschaftli-che Ideologien seien und Weber dem evolutionr-funktionalen Modell der Modernisierung verhaftet sei. Die Tiefe religiser Praktiken in der Vergangenheit werde berschtzt und romantisiert, denn in der Vergangenheit seien religi-se Massenmitgliedschaften ohne Alternative gewesen. Vgl. auch die Diskussionen ber die interkulturelle Aktualitt der Protestantischen Ethik in Roberts 1995 oder Lehmann und Oudraogo 2003. Die Rationalwahltheorie (RC) der amerikanischen Soziologen Stark, Finke, Bainbridge und Iannaccone knpft vor allem an die Kapitalismusthese We-bers und seinen Aufsatz Kirchen und Sekten in Nordamerika im Kontext der Debatte um die unterschiedlich skulari-sierte Religionslandschaft der USA und Europas an (vgl. Norkus 2001). Wettbewerb wird von RC als der Pluralisie-rungsfaktor angesehen. Die geringere Pluralitt in Europa wird mit der langen Dauer monopolistischer Staatskirchen-tmer erklrt (zur jngsten Debatte s. Jelen 2002). 4 Dass die Entzauberung von der Skularisierung der Moderne als einer Rationalisierung zu lsen ist, hat Kippenberg (1985) in seiner Lektre Webers stark gemacht. Schon die Ablsung magischer Mittel in der vorderorientalischen Antike sei demnach als ein Prozess der Entzauberung zu sehen. 5 Vgl. zu diesem Kapitel, seiner Religionssystematik (1913 verfasst), das in der ersten Auflage von Wirtschaft und Gesellschaft und in mancher Sekundrliteratur daher auch Religionssoziologie genannt wird, Kippenberg und Riesebrodt 2001); zur religionssoziologischen Werkentwicklung Kippenberg 2001a; zur inhaltlichen Rekonstruktion des Kapitels Religise Gemeinschaften s. weiter Riesebrodt 2001; Kippenberg 2005 und Kalberg 2000.

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    Weber interessiert sich fr Religion insbesondere, insofern sie vom Politischen und All-tglichen unterschiedene Handlungsmuster und Lebensfhrungsmodelle hervorbringt. Das allein schon deshalb, da sie sonst kaum in ihrer Wirkung spezifisch einzuschtzen wre. Die Beschreibung dieser Strukturbildung wird komplexer, wenn einerseits die Strukturen mit dem subjektiven Handlungssinn interagieren und andererseits auch die Bereiche Religion, Herrschaft, Recht, Kunst etc. untereinander und mit auergesellschaftlichen Einflssen in einem Wechselverhltnis stehen, was im Aufbau von Wirtschaft und Gesellschaft deutlich zutage tritt (Weber 2005/1922).

    Weber kennt die zeitgenssische Religionswissenschaft6 sehr gut und diskutiert mehre-re Formen der Spezifitt religiser Erfahrung und Sinndeutung. Allerdings ist fr ihn das Spezifische einer Religion nur in der historischen Konstellation festzumachen, in der der subjektive Sinn einer Handlung und auf dessen Grundlage die Rationalitt des Handelnden zu klren sind. Es ist die gemeinsam geteilte Sinn-Erwartung, die eine religise Gemein-schaft zusammenhlt. Dabei schliet Weber sich zeitgenssischen Grokonzeptionen an7 und bestimmt zwei Grundformen des praktischen Verhltnisses zur Welt: das asketische8 und das kontemplative: West und Ost. Beide praktischen Weltverhltnisse knnen jeweils in einer innerweltlichen, also in der Welt engagierten, und in einer weltflchtigen Variante auftreten. Schon seit der ersten Achsenzeit vor unserer Zeitrechnung rationalisieren sie Lebensfhrung und vervielfltigen sie ber verschiedene Ordnungssysteme und ihre Tr-ger. Diese logische Kombination der Arten von Weltverhltnissen ist idealtypisch:

    Abbildung 1: Praktische Weltverhltnisse

    Praktische Weltverhltnisse asketisch, weltverneinend kontemplativ, mystisch innerweltlich, diesseitig A B auerweltlich, weltflchtig C D

    In dem Kapitel Zwischenbetrachtung: Theorie der Stufen und Richtungen religiser Weltablehnung aus der Wirtschaftsethik der Weltreligionen (Weber 1988b/1920) fragt Weber nach dem Sinn weltverneinenden Handelns, das in Indien entstanden und im Okzident ab einem bestimm-ten historischen Moment (nmlich im Puritanismus) in grte Opposition zum Mystischen geraten ist (Varianten A und D der Abb. 1): Radikal ist der Gegensatz, wenn auf der einen Seite die Askese des Handelns sich innerhalb der Welt als deren rationale Gestalterin zur Bndigung des kreatrlich Verderbten durch Arbeit im weltlichen Beruf auswirkt (inner-weltliche Askese) und wenn die Mystik ihrerseits die volle Konsequenz der radikalen Welt-flucht zieht (weltflchtige Kontemplation) (ebd.: 539).

    Die Variante A ist die strkste rationale Weltbeherrschung und macht den okzidentalen Sonderweg aus. Sie markiert den Beginn der Moderne und setzt deren Potenzial der internen 6 Kippenberg (1993; 1994) hat insbesondere die Rivalitt mit der religionsphnomenologischen Ausrichtung in der Religionswissenschaft aufgearbeitet (vgl. auch Kippenberg 2002 und die Beitrge in Kippenberg und Riesebrodt 2001). Zum Kontext des Ersten Deutschen Soziologentages 1910 s. Kippenberg 2005: 164-166. 7 Jedoch nicht der Sprachtraditionen-Taxonomie F. M. Mllers und auch nicht P. C. Tieles Unterteilung in zwei Erleb-nisarten. 8 Im Hintergrund steht die seit Adam Smith zur Wirtschaftstheorie gehrende These vom Askese-Kapitalismus, die Marx als Abstinenzthese verurteilte, da der asketische Unternehmer eine ideologische Konstruktion sei.

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    Vervielfltigung frei. Von hierher rhrt das vereinigende Paradigma der Moderne, das heftig debattiert wird. In Webers Soziologie des Rationalismus knnen mit diesem Instrumentarium sehr gut gesellschaftliche Spannungen der sinnhaften, auf Dauer ausgerichteten Handlungs-ausrichtungen und Ethiken erfasst werden. Weber spricht auch von den Typen von Konflik-ten der Lebensordnungen (ebd.: 537). Wie das konomische und das politische rationale Handeln seinen Eigengesetzlichkeiten folgt, so bleibt jedes andere rationale Handeln inner-halb der Welt unentrinnbar an die brderlichkeitsfremden Bedingungen der Welt, die seine Mittel oder Zwecke sein mssen, gebunden und gert daher irgendwie in Spannung zur Brderlichkeitsethik. Es trgt aber eine tiefe Spannung auch in sich selbst ebd.: 552).

    Die interne Spannung wird dadurch ausgemacht, dass eine Handlung sich entweder am Wert einer Handlung als solcher orientieren kann oder an deren Erfolg. Die externe Spannung ist jene zwischen den abweichenden Handlungsrationalitten des Religisen, Politischen und konomischen. Weber ist da aktuell, wo Bereichslogiken des religisen, politischen, sozialen und konomischen Feldes in ihrer handlungstheoretischen Spannung wahrgenommen werden (vgl. dazu Schimank und Schwinn in diesem Band). Der Martin Buber auf seinem Lehrstuhl in Jerusalem nachfolgende Kultursoziologe Shmuel N. Eisen-stadt hat Weber in diesem Punkt aufgegriffen und macht die Spannungen in Form von drei Antinomien zum Definiendum der Moderne schlechthin (Eisenstadt 2003b). Die vielfachen Lsungen oder kulturellen Bearbeitungen der Spannungen multiplizieren bei Eisenstadt die Moderne zu lokalen Modernen.9 2.2 Verstehende Soziologie Fr Weber sind kulturelle Erscheinungen nur mit Bezug auf das sinnhafte Handeln der Ein-zelnen zu verstehen und so auch kausal zu erklren (vgl. etwa die Aufstze zur Wissenschafts-lehre oder Kap. 1 von Wirtschaft und Gesellschaft; ebenso Swedberg und Norkus in diesem Band). Hans G. Kippenberg fragt: wer htte jemals so prgnante Metaphern gefunden, die in die schwer zugngliche Innenwelt menschlichen Handelns fhren? (Kippenberg 2005: 159). Methodologisch fhrt er fr die kulturwissenschaftliche Rekonstruktion kultureller Phnomene drei Schritte an. Zunchst unterscheidet er zwischen subjektivem und objekti-vem Handlungssinn. Mit dem subjektiven Handlungssinn wird die immanente Rationalitt des Handelnden aus dem Handlungsziel bestimmt. Die Kriterien, die der Handelnde anlegt, knnen sich von den Kriterien der Lebenswelt und der wissenschaftlichen Theorie stark unterscheiden (s. dazu gut Swedberg 1998; 2006). Und doch knnen beiden durch die Unter-scheidung der Objekt- und Metasprache und unter dem Dach einer einzigen Rationalitts-konzeption Typen von Rationalitt zugeschrieben werden. Fr den einfachsten Typus hlt Weber das zweckrationale Handeln, da es das Handeln eines Einzelnen verstndlich macht, indem man sein individuelles Handlungsziel und -mittel angibt. Andere Typen sind das wertrationale, traditionale und affektuelle Handeln. Gerade letzteres, wenn jemand zum Beispiel ekstatisch handelt, ist schwerer verstndlich und bedarf eines zweiten Arbeitsschrit-tes zur Klrung seines objektiven Handlungssinns. Im zweiten Arbeitsschritt ist daher die Handlungsentscheidung des Einzelnen im relevanten kulturellen Kontext der Gruppe oder

    9 Leider spielt die Religionsgeschichte bei Eisenstadt nicht die Rolle wie bei Weber.

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    Gesellschaft zu erklren. Dazu muss die Auswahl einer bestimmten Handlungsoption, um das jeweilige Handlungsziel zu erreichen, aus dem Regelzusammenhang der jeweiligen Ge-meinschaft einleuchtend dargelegt werden. Die Kausalerklrung setzt fr Weber also hand-lungstheoretisch nicht bei Grnden, die der Handlung vorausgehen, sondern an der Ausrich-tung der Entscheidung und dem geregelten Kontext der Entscheidung an. In einem dritten Arbeitsschritt interessieren die Wirkungen dieses geregelten Handelns, insofern es Struktu-ren ausbildet, z. B. in Form von Institutionen. Der dritte Schritt beinhaltet eine Selbstbezg-lichkeit, insofern die geregelten Strukturen sowohl als Ursache (oder besser als Kontext einer Wahl dies verfolgt der zweite Schritt) wie auch als mglicher (intendierter oder uninten-dierter) Effekt der Wahl aufscheinen (vgl. Maurer und Norkus in diesem Band).

    Fr kulturwissenschaftliches Forschen ist relevant und aktuell, dass im zweiten Ar-beitsschritt mit dem Kontext der Rationalittstypen mentale Modelle einer Kultur thematisiert werden (wie man sie heute z. B. in der neuen Institutionentheorie errtert). Um mentale Modelle zu verstehen, mssen nach heutiger Auffassung symbolische, sthetisch-sinnliche, imaginre und affektive Bedeutungszuschreibungen rekonstruiert werden. Dazu haben sich spezialisierte Wissensverbnde gegrndet, wie die Bildwissenschaft, Religionssthetik, Embodiment-Theorien, Historische Psychologie usw. Diese Vervielfltigung und Interde-pendenz von Sphren deutet sich in Webers Zwischenbetrachtung bereits an. Eine plurale Kombination von Sphren (gesellschaftliche Bereiche und Identittsdimensionen) anstelle der nur vier praktischen Weltverhltnisse der ersten Achsenzeit lsst sich daher fr die Modernetheorien auch von Weber her ableiten.

    In Aufnahme von Douglass C. Norths wirtschaftshistorischem Ansatz weist der ko-nom Ron Brinitzer (2003) mentale Modelle in Religionen neo-institutionalistisch auf. Dabei geht er wie Weber von der Unbeherrschbarkeit der Welt, von der ultimativen Unsicher-heit in der Welt aus, welche die bei ihm jetzt beschrnkte Rationalitt ber (religisen) Glauben kompensiert. Denn zur Moderne gehrt der Verlust der Einheit ber religise Prmissen was Eisenstadt (2003a) als Verlust der Gewissheitszeichen in der zweiten Ach-senzeit ausfhrt.

    Angesichts der Wahl von gesellschaftlichen Gegenidentitten in der Migrationssituati-on, der Dominanzforderung inmitten eines Pluralismus und anderen Fllen, wo Akteure gegen den situativen Nutzen an ihren Vorstellungen festhalten, setzt der Soziologe Hartmut Esser in der insgesamt wenig problemorientierten Handlungstheorie Webers an der Wertra-tionalitt an (Esser 2003). Normatives Handeln, das er von rationalem unterscheidet, orien-tiert sich nicht an Konsequenzen und zeichnet sich durch eine hohe emotional-symbolische Bindung aus. Die Unbedingtheit normativen Handelns rhrt aus letzterem Merkmal: Wenn sich z. B. Scham einstellt bei Nicht-Befolgung, dann bedarf es keiner zweckrationalen Aus-richtung, um die Handlung zu normieren, sondern die Handlung verpflichtet in sich (Esser 2003: 156). In diesem Modell der Frame-Selektion sind die Weberschen Handlungstypen Einzelflle, die sich dadurch unterscheiden, wie viel Zeit die Individuen haben und fr wie wichtig sie den Anlass halten, um die Entscheidung in Bezug auf eingesetzte Mittel, Ziele und Folgen zu reflektieren. Nicht nur ein Modell des Handelns (die Definition des situatio-nalen Rahmens in Essers Terminologie), sondern auch sein Modus sind dabei zu whlen (also wie weit das Umfeld einbezogen wird und wie weitreichend Folgen mit abgeschtzt werden). Diese Alltagsheuristik der Moduswahl weist groe hnlichkeiten zu Bourdieus

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    praktischem Sinn auf, sofern sie erstens auch auf die verinnerlichten affektiv-symbolischen Besetzungen abhebt und zweitens Abkrzungen der Zweckrationalitt standardmig ein-baut.10 Essers Modell bietet vor allem aber eine theoretische Erklrung, wann der von Weber benannte Typus wertrationalen Handelns relevant wird. Wirtschaftssoziologisch sind Theo-riebildungen in dieser Richtung wichtig, da sie die in der Neoklassik und in der Neuen Institutionenkonomik immer noch zentrale, nur leicht und kaum kulturell gebundene Rationalitt als sehr seltenen Spezialfall von Handeln ausweisen (vgl. Erlei in diesem Band).

    Der Religionswissenschaftler Kippenberg bestimmt den subjektiven Handlungssinn von Akteuren in religisen diskursiven Traditionen (z. B. Kippenberg 2003a; 2003b).11 In Anwendung von Webers verstehender Soziologie, auf religise Gewalt zum Beispiel, zeigt Kippenberg, wie selbst im Extremfall des religisen Selbstmords und Mords die Akteure dies ber eine spezifische Situationsbeschreibung begrnden (s. o. Webers Arbeitsschritt 2): Glubige Muslime befinden sich im Kampf mit Unglubigen (Muslimen wie Nicht-Mus-limen) um den Erhalt gottgeflliger Werte gegen vernderte Rollenverstndnisse und kon-sumistische Lebensstile. Der subjektive Handlungssinn muss von reiner Absicht (arab. niya) sein. Zu dieser Reinheit gehrt die gottesdienstliche Intention ohne Affekte wie zum Beispiel blinde Wut (vgl. die Interpretationen zur Geistlichen Anleitung der Attentter des 11. September, Kippenberg und Seidensticker 2004).12 2.3 Idealtypische Begriffsbildung Die kulturwissenschaftliche Verwendbarkeit Webers hngt wesentlich davon ab, ob die Konzepte, die Weber zur Beschreibung des Faktorenspiels ReligionGemeinschaftenWirtschaft entwickelt, weiterhin heuristischen oder sogar kausal-explanativen Wert haben. Die wichtigen Konzepte Webers wie Charisma, Askese, Heilsgter, Massenreligiositt, Vir-tuosenreligion, Gemeindereligiositt, Lebensstil, Entzauberung knnen an dieser Stelle nicht alle in der Geschichte ihrer Aufnahme oder Rckweisung verfolgt werden. Wichtig ist, dass Weber jene Konzepte idealtypisch meint. Dadurch lassen sich zum Beispiel aus den Idealty-pen Priester und Zauberer komparative Instrumente und Hypothesen bilden: Der Ge-gensatz ist durch eine gleitende Skala von bergngen berbrckt, aber in seinen reinen Typen eindeutig, und man kann dann als Merkmal des Priestertums das Vorhandensein irgendwelcher fester Kultsttten, verbunden mit irgendwelchem sachlichen Kultapparat behandeln. Oder aber man behandelt als entscheidend fr den Priesterbegriff: dass die

    10 Nicht befriedigt Essers Umdeutung von Webers traditionalem Handeln in dem Rahmenmodell. Hier wird sehr oberflchlich von kalten und heien Anteilen gesprochen und das traditionale Handeln der kalten, das heit kognitiv-automatisierten Handlungsform zugeschrieben. Dass Gewohnheit nicht emotional besetzt sei, ist gewiss so nicht vertretbar. Fr Identitt und Sicherheit sind Gewohnheiten konstitutiv und ber diese in der Gewohnheit erschaffenen Gren auch affektiv bewehrt. 11 Beispielweise formuliert Kippenberg seine diskursive Religionswissenschaft bzw. Religionspragmatik in Anknp-fung an Weber, an Susan Langers Symboltheorie, die konversationsanalytische Diskurstheorie und Austins Sprechak-te. So verbindet er Bedeutungs- und Handlungsebene wie das Webersche Konzept des subjektiven Handlungssinns und arbeitet die performative Kraft, Machtverhltnisse und die symbolisch-affektive Seite strker aus, als Weber es getan hat (Kippenberg 1985; 1991: 21 ff.). 12 Einige religionskonomische Arbeiten erlutern aus dem objektiven Handlungssinn die Ausbreitung von Religio-nen, z. B. entlang von Handelswegen und begrnden die Wahl einer Religion mit Transaktionskosten (z. B. Ensminger 1997).

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    Funktionre, sei es erblich oder individuell angestellt, im Dienst eines vergesellschafteten sozialen Verbandes, welcher Art immer er sei, ttig werden, also als dessen Angestellte oder Organe und lediglich im Interesse seiner Mitglieder, nicht wie die Zauberer, welche einen freien Beruf ausben (Weber 2005/1922: 156 ff.).

    Dieser Stil der Bestimmung ber soziologische und konomische Merkmale ist typisch und zugleich mit der abstrahierten Mglichkeit von Ausnahmen oder kulturellen Varianzen verbunden. Denn auch Zauberer knnten zu Verbnden zusammengeschlossen sein usw. Trotz der historischen Varianz schreibt Weber dank der Kombination der Perspektiven, ber die er die abstrakten Kategorien gewinnt, eine kohrente, wenn auch nicht fr alle Leser gleichermaen plausible Kulturgeschichte. Eine solche Formalisierung der Begriffe, die fr die komparative Arbeit unerlsslich ist, sollte in der Arbeitsdynamik von Webers kulturwissenschaftlichen Arbeiten gewrdigt werden. Sie gewinnt fr lokale Verhltnisse die tatschlich aus dem Traditionsbestand aktualisierte Sinngebung und das konkrete Fak-torenspiel. Bourdieu verleiht dieser sinnvollen Funktion von Idealtypen Nachdruck: Dabei sind diese Konzepte, diese Denkschemata nur Prinzipien der wissenschaftlichen Arbeit, meist ganz praktischer Natur: synthetische oder synoptische Begriffe, die Forschungspro-gramme, wissenschaftliche Orientierungen verdichten (Bourdieu 2000a: 119).

    Jedoch ist kritisiert worden, Weber knne nur situationsbezogen fr den empirisch zu erhebenden Einzelfall soziales Handeln rekonstruieren, da er nur die Handlungsorientie-rung und somit nicht die kausale Wirkung von Situationsfaktoren bestimmt (Maurer 2007: 72-74). Idealtypisch meine also einen blo abstrahierenden, aber nicht von Thesen einer allgemeinen Handlungstheorie ausgehenden erklrenden Umgang mit dem Material.

    Deshalb stellt sich angesichts der idealtypischen Methode die Frage, ob es fr kultur-wissenschaftliches Forschen nicht sinnvoll sein knnte, eine kulturelle Kausalitt von Ideen anzunehmen. Kalberg (2000) verweist auf eine Spannung bei Weber und ein unbearbeitetes Problem in der Rezeption zwischen materialistischer und spiritualistischer Kausalerklrung. Es sei nicht geklrt, ob und wie nach Weber Ideen und Vorstellungen (spiritualistische Seite) organisationale Strukturen (materialistische Seite) beeinflussen.

    Bourdieu geht das Problem in seiner konomie der Praxis mit dem Konzept des Habitus an, das die Bewusstheit, die Weber in der Rationalitt sieht, zurcknimmt: Die Handlungs-theorie, die ich (mit dem Begriff Habitus) vorschlage, besagt letzten Endes, da die meisten Handlungen der Menschen etwas ganz anderes als die Intention zum Prinzip haben, nm-lich erworbene Dispositionen, die dafr verantwortlich sind, da man das Handeln als zweckgerichtet interpretieren kann und mu, ohne deshalb von einer bewuten Zweckge-richtetheit als dem Prinzip dieses Handelns ausgehen zu knnen (hier ist das alles spielt sich so ab, als ob besonders wichtig) (Bourdieu 1998a: 167 f.). Bourdieu sieht die kausale Wirkkraft in dem objektivierten Sinnsystem, der Dispositionalitt. Die objektiven Relationen des religisen Feldes werden ber die zusammenwirkenden Interessen erhoben. Auf Laien-seite ist dies die Erwartung an die religisen Experten, religis und nicht z. B. finanziell motiviert zu handeln und ihnen eine Rechtfertigung ihrer sozialen Position zu liefern (Bourdieu 2000a: 19 ff.). Eine gewisse Homogenitt der religisen Felder weltweit entstehe durch diesen Feldzwang. Das wrde also bedeuten, dass nach Bourdieu die bei Weber zent-rale Unterscheidung von subjektivem und objektivem Sinn einer Dominanz des zweiten wiche. Der Bourdieusche Vorschlag, die Frage nach der Wirkweise ber einen unbewuss-

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    ten, verkrperten, sozialisierten Habitus zu beantworten, wird daher auch besonders in der postmodernen Ethnologie kritisiert, die wieder strker den Einzelnen und Fremden einbe-ziehen und an der Wirklichkeitskonstruktion beteiligen mchte.

    Nach Berger kann Religion in ihrem Verhltnis zur Gesellschaft sowohl als formative Kraft auftreten als auch als abhngiges Gebilde (Berger 1973: 123): Man kann an konkre-ten historischen Beispielen demonstrieren, wie religise Ideen, selbst sehr abstruse, zu empirisch nachweisbaren Vernderungen der Gesellschaftsstruktur gefhrt haben. Bei an-ders gelagerten historischen Konstellationen kann man nachweisen, wie empirisch greifbare Strukturvernderungen sich auf das religise Bewusstsein und die Ideation ausgewirkt haben. Nur bei einem dialektischen Verstndnis dieser Beziehungen vermeidet man Verzer-rungen einseitig idealistischer oder materialistischer Interpretationen. Solch ein dialekti-sches Verstndnis beharrt darauf, dass jedes Bewusstsein, ob religis oder nicht, in der Pra-xis der Alltagswelt wurzelt (ebd.).

    Von den Religionen, die sich aus biblischer berlieferung herleiten, sagt Berger, dass sie zwar als Kausalfaktoren fr das Entstehen einer skularisierten Welt zu verstehen seien, von dem Moment an jedoch, da sich nicht-religise Teilbereiche herausgebildet htten, ge-hre Religion nicht mehr zu den formativen Krften. Anders akzentuiert als Weber sieht Berger die skularisierende Kraft strker von den kapitalistischen und industriellen Prozes-sen und ihren Rationalisierungserfordernissen ausgehen (ebd.: 124). Dabei betont er gegen-ber auch, dass sich die gesellschaftlichen Bereiche unterschiedlich schnell und stark sku-larisiert haben, je nach ihrer Nhe oder Ferne zu wirtschaftlichen Ablufen. Religion hat auerhalb der Familie kaum noch Relevanz und ihr bleiben daher nur zwei Mglichkeiten: sich entweder dem Unternehmertum anzupassen oder an der ehemaligen, wirklichkeitsset-zenden weltanschaulichen Macht der Religion festzuhalten. Sobald sich in dieser Weise Sinnsysteme pluralisieren und mehrere Handlungsbereiche mit einer Eigenlogik ausbilden, entsteht der Machtkampf um gesellschaftliche Regulations- und Orientierungsinstanzen. Wer plausibilisiert, was legitim, geboten und wirklich ist?

    Um das zu beschreiben, greift Berger zu einem sehr simplen Marktmodell. Wie wird unter Bedingungen von Konkurrenz und Wettbewerb das eigene Angebot an Werten und Vorstellungen verbindlich gemacht? Berger bringt seine religionskonomische Beschreibung mit Plausibilittserfordernissen zusammen: Als Monopole standen die sozioreligisen Strukturen nicht unter dem Druck, Resultate einheimsen zu mssen ihre Monopolsitua-tion als solche nahm die Resultate vorweg (ebd.: 132). Das heit, dass erfolgreicher Um-satz, hohe Mitgliederzahlen und Marktanteil (ohne dass Berger sich in dieser Terminologie ausdrcken wrde) ein religises Angebot plausibilisieren. Des Weiteren fhrt er an, wie brokratische Strukturen in der Moderne plausibilisieren; und das mehr sogar als religise oder theologische Lehren. Der Verlust der Glaubwrdigkeit der Lehren kann als Rckgang an Persuasionsplausibilitt zugunsten von Verfahrensplausibilitt beschrieben werden. Eine dritte Plausibilisierung geschieht ber die Auswahl und die Formung bestimmter Men-schentypen (s. Abschnitt 4.3). Spter fhrt Berger zur Klrung des Kausalverhltnisses noch den Begriff der Wirtschaftskultur ein: Jedes bedeutende Phnomen in der Geschichte hat viele Ursachen. Dennoch neige ich immer strker zu der Ansicht, da man sich intensiv mit der Wirtschaftskultur beschftigen mu, wenn man, wie in den Sozialwissenschaften, die

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    kausalen Konstellationen zu zergliedern sucht, die den Verlauf der Ereignisse im Leben der Menschen bestimmen (Berger 1992: 23).

    Fr die Wirtschaftsoziologie ist vor allem die Frage nach der kulturellen Kausalitt von sozialen auf wirtschaftliche Institutionen zentral. Dabei umfasst der neue Institutionen-begriff soziale Regelmigkeiten von Hflichkeit bis zu Organisationen. Wenn das Konzept einer Wirtschaftskultur deutlicher als bei Berger definiert werden knnte, dann bte dies die Chance, damit eine Gre auszuweisen, die zwischen den Handlungsorientierungen und deren Verstetigung in Institutionen vermitteln kann. Im nchsten Abschnitt sollen weitere Anforderungen an die wirtschaftssoziologische Theorie aus Sicht der zeitgenssischen Kul-turwissenschaft entwickelt werden.

    3 Neue Herausforderungen der Kulturwissenschaft Seit den 1920er Jahren hat sich die Aufgabe der Kulturwissenschaft gewaltig gendert. Neben den unglaublichen technologischen Innovationen erhhte sich die politische Vernetzung und der kulturelle und transnationale Austausch. Dies zeitigt enorme Wandlungen der Traditi-onsbestnde. Wie sehr in diesen Prozessen auch Hybride und Assimilationen von stlichen und westlichen Ideen entstehen, die Weber noch klar als zwei unterscheidbare Praxen von-einander abgrenzt, zeigt die Werbung einer Strategie- und Technologieberatungsfirma. Abbildung 2: Hybride und Assimilationen (aus: Sddeutsche Zeitung Nov. 2007, Beilage

    Job und Studium)

  • 178 Anne Koch

    Hier wird mit den Rationalittsarten strategisch-zweckrational und wert- und vertrauensba-siert die Begegnung von West und Ost verkndet. Das Farbprogramm kontrastiert den eurasisch-kantigen Managerkopf und das khle Blau mit dem wrmeren Orange des kleine-ren Mnchs. Dabei ist der lchelnde Mnch in den ernsten Manager verschachtelt wie sein innerer Mensch. Nach Beobachtungen der Ritualtheoretikerin Catherine Bell (2006) hat sich bei manchen Wall-Street-Managern whrend ihrer Arbeitspausen eine interessante Alltags-ritualistik eingebrgert: sie meditieren. Durch Meditation suchen sie in Bells Deutung einen Innenraum auf, in dem ihnen in den Fngen des Kapitalismus einzig Freiraum und Macht ber sich selbst geblieben ist. Es ist ein Selbstideal des sich als globalisiert verstehenden Westens, das Lcheln der Religion und die Zweckrationalitt der konomie als Innen-Auen zusammenfhren zu wollen. Ob dies ein neues kulturelles Muster der Wirklich-keitswahrnehmung ist oder die Revitalisierung alteuropischer Vereinnahmung oder eine bereits bekannte normative Entgegenstellung, wird heftig debattiert. Hier stehen die Auffas-sungen von einer Pluralitt regionaler Modernen gegen jene von der Vielfalt einer einzigen kulturell definierten Moderne; hier konkurrieren Modelle von lediglich verwobenen Mo-dernen mit umfassenden Weltsystemebenen.

    Alles (2009) stellt sich einer Schwierigkeit, vor der auch Weber stand und die er mit Blick auf den Vergleich von Handlungsmaximen angeht: Um die in einer Gesellschaft wirk-samen Praktiken einschtzen zu knnen, muss die Kulturleistung dieser Instanzen, bei Weber mageblich die Religion, evaluiert werden. Um diese aus den Fallstricken eines handlungstheoretischen Individualismus, der oben mit seiner Kausalitt problematisiert wurde, herauszunehmen, bietet die Institutionentheorie das ebenfalls nicht unproblemati-sche Konzept der Dichte oder Durchdringung an. Mehrere Optionen sind mglich (s. Abb. 3): Die Kulturleistung ist die ganze Gesellschaft durchdringend und hoch (A) oder ist sie zwar durchdringend, aber gering (B), oder nicht durchdringend und doch hoch im Ein-fluss (wie die Sekten Webers, C) oder nicht durchdringend und gering im Einfluss (D).

    Abbildung 3: Kulturleistung von Institutionen

    Kulturleistung durchdringend, dicht marginal (z. B. nur in Sondergruppen) hoch A C gering B D

    John W. Meyer (1989) argumentiert mit der Dichte des Christentums. Als ein Klassiker des Neo-Institutionalismus in der Soziologie und wichtiger Bezugspunkt der neuen Wirtschafts-soziologie entwirft er eine institutionalistische Kulturtheorie, in der Religion als kommuni-kative Rationalitt zentral ist. Meyer steht in jener Debatte der 1980er Jahre, die im Zuge der zweiten Globalisierung Kulturen gerade wieder in ihrer Unterschiedlichkeit und wechselsei-tigen Reaktion, die von Angleichung bis Stereotypisierung reicht, fasst. Wie in Eisenstadts Multiple Modernities geht Meyer weniger systemtheoretisch strukturell vor, sondern setzt an spezifischen Kultursemantiken an und bestimmt den Westen als eigenstndigen Zivilisationstyp. Als einer der wenigen im Neoinstitutionalismus stellt er Religion ins Zent-rum: Das Christentum hat als kulturell-systemischer Faktor ganz entscheidend den Westen geformt, durch eine:

  • Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft 179

    spezifische Legitimierung, hohe Standardisierung und hohe Integration seiner sozialen Einheiten. Die Legitimierung wichtiger Institutionen ist eine andauernde, prekre Aufgabe der Gesell-schaft, die durch den einigenden Ordnungsrahmen Christentum geleistet wurde. Die Standardisierung werde ber Wechselverhltnisse mit anderen sozialen Einheiten, also gleichsam von auen (sei es interstaatlich oder im Wettstreit) erwirkt. Unter der hohen Integration dieser Einheiten wird ihre hohe interne Durchdringung verstanden. Sie wird ber kollektive Symbole, Normierungen, Rechtsvorstellungen usw. vollzogen und wie bei Weber rationalisiert (z. B. wird Fruchtbarkeit gezhlt, Pro-Kopf-Einkommen). Integration kommt auch durch die Dichte an politischen Bndnissen, Wirtschaftsbeziehungen und kulturellem Austausch zustande. Eine Folge ist, dass Gruppe und Einzelner eng aneinander angeschlossen sind (ber Brokratie, Kleinfamilie, Nationalmrkte, normierendes Bildungs-system usw.) und sich leicht fr zweckgerichtete Aktionen mobilisieren lassen.

    Diese drei Zivilisationsmerkmale sind durch das alle Schichten und Regionen durch-dringende Christentum historisch entstanden. Christentum ist more a polity than a religi-on (Meyer 1989: 401). Den Zivilisationsrahmen Christentum kennzeichnet Meyer durch vier komplementre Merkmale: als Eliten- bzw. Massenreligion, als zentrale organisatori-sche oder lokale Kraft. Diesen Merkmalen entsprechen Theorietraditionen, die jeweils vor-rangig einen einzelnen Aspekt stark gemacht haben, whrend Meyer gerade das Ineinander von organisatorischer und ideologischer, von zentraler und peripherer Durchdringung des Sozialen im Westen durch das Christentum anfhrt. Weber gehrt fr ihn zu jener Traditi-on, in der das Christentum vor allem als Massenideologie gefasst wird (er sttzt sich hier ausschlielich auf die Protestantische Ethik), da es nach Weber kollektive Vorstellungen und nicht etwa die organisatorische Struktur des Puritanismus oder anderer Institutionen wie Kirche oder Mnchtum seien, die die konomische Modernisierung untersttzten. Genau diesen intellektuellen und mikrosozialen Reduktionismus des christlichen Einflusses kriti-siert Meyer.

    Meyer hingegen konturiert, dass das Christentum mit seiner Seelenvorstellung eine zu-sammenbindende Vorstellung geschaffen hat, wie auch mit der konzeptionellen Grenzzie-hung zwischen Sozialem, Natur und Kosmos. Ebenso durch die moralische Vorstellung des Menschen sind Einzelne an der Gesellschaft als einem Handlungsraum beteiligt. Hier wer-den wieder im christlichen Ethos abstrakte Prinzipien und konkrete, z. B. wohlttige, Praxen zusammengefhrt. Gesellschaft ist nach Meyer ein zu verwirklichendes Projekt, weshalb Handlungstheorien in die Selbstverstndnisse von konomie, Soziologie, Politikwissen-schaft usw. unbedingt gehren. Typisch ist die differenzierte gesellschaftliche Struktur ber Vertrge, die Binaritten wie ffentliches und Privates verbinden. Diese Punkte hat auch Weber bereits herausgearbeitet, wenn er das Christentum als Ideologie ansieht und somit als ein separiertes, das soziale Leben bersteigendes Weltbild mit einem rationalisierenden und entmystifizierenden Blick auf Natur, wodurch diese als Bereich freigesetzt wird, der zu bearbeiten und erforschen ist. Schlielich sind die Menschen/Seelen die Verbindungsstelle von universal-moralischen Gesetzen und sozio-historischen Praxen.

  • 180 Anne Koch

    Religion ist fr Weber wie auch fr Meyer zur Erklrung des Westens das mentale Modell und Formprinzip der Sozialitt. Nicht erklrt Meyer, wo die skularisierenden Krf-te herkommen, und auch das plurale religise Feld der europischen Religionsgeschichte, das sptestens seit der Renaissance wieder in hohem Umfange ebenfalls Effekte ttigt, ist nicht bercksichtigt. So ist zu fragen, ob es bei Meyer nicht darauf hinausluft, dass die soziale Kohsionskraft in der Religion gefunden wird, wie sie Emil Durkheim in ihr schon entdeckte. Dabei bleiben materialisierte Institutionen und ihre Machteffekte wiederum ge-nauso auerhalb des Augenmerks wie die Pluralisierung des Feldes und dissoziierende Effekte der Religion, die auch Niklas Luhmann anmahnt (Luhmann 1982: 11), oder die Ak-teure und ihre Motive, wie Weber sie hervorhebt.

    Vielleicht ist die Sicht Meyers auf die westliche Moderne und die Rolle des sozialver-dichtenden Christentums auch ein konzeptioneller Effekt aus dem zugrunde liegenden Institutionenbegriff, der von John W. Mohr und Harrison C. White immer noch dichoto-misch beschrieben wird als: linkage mechanisms that bridge across three kinds of social divides they [Institutionen; Anm. AK] link micro systems of social interaction to meso (and macro) levels of organization, they connect the symbolic with the material, and the agentic with the structural (Mohr und White 2008: 485).

    Die Verbindungsfunktion wird auch von Mohr und White in nur einer einzigen ber-dachenden Institution gesucht, die in der frhen Kirche gerade aus einer Phase der Konkur-renz und berlagerungen der Dimensionen in den juden- und heidenchristlichen Traditi-onslinien hervorgegangen ist, als radical new style, which we call Catholic Christianity (Mohr und White 2008: 503). Die Pfadabhngigkeit und Starrheit einer Institution korreliert mit ihrem erfolgreichen Zusammenbinden der angesprochenen Dimensionen.13 Und hier spielt wieder John W. Meyers Pldoyer fr die Dichte der polity Christentum hinein: Je mehr Kommunikation fortwhrend stattfindet, desto stabiler sind die Dimensionen einer Institu-tion zu einer Kultur verbunden. Diese Homogenittsvorstellung wurde kritisiert. Dichte muss nicht ber ein einziges System erklrt werden, sondern kann auch als Gemeinschafts-projekt unterschiedlicher, doch interagierender Orientierungen aufgefasst werden.

    Strker als Meyer und Eisenstadt, der ganz wie Weber an der inhaltlichen Beschrei-bung von spannungsgeladenen Kulturgebilden festhlt, gehen die Weltgesellschafts- und Weltsystemtheorien von einer strukturellen Einheit der verschiedenen weltweiten Auspr-gungen aus. Kehren wir zur Ausgangfrage nach der Kulturleistung zurck: Was sind die bestimmenden Faktoren der mannigfachen Umsetzungen? Sind sie ber Strukturen oder ber spezifische Kulturen zu beschreiben? Auf diese Frage soll in der folgenden Problemati-sierung einiger weiterer Kategorien Webers zurckgekommen werden. Sie wird gerade auch angesichts transkultureller Wechselwirkungen (flows) zurzeit sehr debattiert.

    13 Bei Brinitzer wird nicht Weber, sondern die Gestaltpsychologie herangezogen, um institutionelle Pfadbildungen ber die Wahrnehmungsverarbeitung zu erklren. Dies kritisiert Meyer als Erklrung einer Kultur ber ihre Funktion beziehungsweise ber Bottom-up-Erklrungen, die vom Individuum ausgehen, da so nicht erklrbar sei, wie es zu der so dichten Kommunikation, wechselseitigen Anerkennung und Konkurrenz zwischen den sozialen Einheiten des Westens komme.

  • Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft 181

    4 Zur Aktualitt Weberscher Konzepte 4.1 Das Rationale und das Irrationale Fr Weber ist eine bestimmte Form von Rationalitt zentral, die durch das erwhnte Coping mit dem Unkontrollierbaren und durch die Intentionalitt von Handlungszielen gekenn-zeichnet ist. Die allgemeine Rationalisierung, die in der Religionsgeschichte fr Weber ables-bar ist, findet in der westlichen Welt mit der Neuzeit als massive Rationalisierung auch der religisen Weltbilder und Gemeinschaftsformen und dem auf den alltglichen Lebensstil bergreifenden zweckrational orientierten Handeln eine spezifische Form, die hchst erkl-rungsbedrftig ist. Im Vorlauf zu Webers Religionssystematik sind mit Kant und Schleierma-cher Eckpfeiler einer Bestimmung von Religion als rational (vernnftig, ethisch) bzw. irratio-nal (gefhlsmig, passiv, anschauend) eingeschlagen. Die Erlsungsreligionen, mit denen die vergleichende Religionsforschung zur Zeit Webers so beschftigt war, sind Weber eine wichtige Quelle zur Analyse von Gesellschaft, da man ber sie an die irrationale Seite der Kultur als historische Kraft herankommt, die gegen die Rationalisierungskrfte der Moderne stehen (Kippenberg 1992). Daraus leitet sich die Frage ab: Kann die Religionsgeschichte in der heutigen Kulturwissenschaft als Datenquelle fr die irrationale Seite von Sinnkonfiguratio-nen genutzt werden? Geht es berhaupt noch um Irrationalitt und Rationalitt?

    Whrend bei Eisenstadt (2003b) und Knoblauch (2007: 62) der Gegensatz ratio-nal/irrational im Paradigma der Skularisierungstheorie rezipiert wird, rekonstruiert Wou-ter Hanegraaff die Religionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts als Pendelschlag und sich berlagernde Gleichzeitigkeit zwischen den abstrahierten Konzepten von Aufklrung und Gegenaufklrung (Hanegraaff 1998: 411-441). Zum heuristischen Konzept der Aufkl-rung gehren die Merkmale Rationalitt, Universalitt, Objektivitt, Glaube an die Realitt der Naturgesetze, Glaube an ewige Prinzipien, z. B. wie Glck zu erreichen sei. In dem Konzept Gegenaufklrung hingegen sind die Merkmale des Irrationalen, der Relativitt, Skepsis, Subjektivitt, Einheit, Kontingenz und der Emotion zusammengebunden. Es ist ihr Wechselspiel, das zur Skularisierung beitrgt und mit der postaufklrerischen Esoterik eine Zwischenstellung auftut, gleichsam einen entzauberten Okkultismus. Und auch New-Age-Religion, die eine Wiederverzauberung vornimmt, ruht auf Skularisierungsvorgngen auf (Hanegraaff 1998: 409). Denn New Age ist in seinem Entstehen nicht denkbar zum einen ohne die Aufnahme von Kausalittsvorstellungen in das Axiom der Korrespondenzen, zum anderen ohne die im 19. Jahrhundert neu entstehende vergleichende Religionswissenschaft, den Evolutionismus und popularisierte Schulen der Psychologie in den 1970er Jahren. Aus religionsgeschichtlicher Perspektive verlaufen Rationalitt und Irrationalitt als Elemente religiser Strmungen gegenlufiger als in den gngigen Skularisierungstheorien beschrie-ben. Dies zeigt die Geschichte der Esoterik ebenso wie die religionswissenschaftliche Per-spektive einer europischen Religionsgeschichte (Gladigow 1995a; Kippenberg et al. 2009). Religion ist somit nicht einfach an das Irrationale anzuknpfen und Reflexion fhrt nicht automatisch in den Nihilismus wie angeblich im 19. Jahrhundert in Europa. Aus der Religi-onsgeschichte seien nur als weitere Beispiele die Ambivalenzen in der frhen Theosophie

  • 182 Anne Koch

    sowie im Mesmerismus und in der homopathischen Bewegung genannt14, die einerseits technisch und rztlich innovative Techniken und Wissen zusammenfhren und zugleich von einem nicht sichtbaren Fluidum sprechen, das selbst (Schein-)Tote zu Leben erwecken kann (s. Samuel Hahnemanns Organon).

    4.2 Rationalwahl Das umfangreichste Pldoyer fr die Rationalitt der Religion findet sich in dem Lebens-werk des Gary-Becker-Schlers Laurence Iannaccone.15 Dieser konom sieht sich selbst in der Tradition Max Webers in Bezug auf die formale Aufgabe, konomie und Soziologie wieder zusammenzufhren (Iannaccone 2006: 34). Weber habe die konomischen Konse-quenzen der Religion bearbeitet, Adam Smith die konomischen Theorien der Religion. Erst zusammengenommen bildeten die beiden Anstze die Religionskonomie (ebd.: 21). Doch inhaltlich grenzt Iannacone sich ab: Weber und alle in seiner Tradition wendeten Rationali-tt in einer Weise an, die zeitgenssischen konomen fremd ist und den content of beliefs nicht erklren kann, ohne entweder nur individuelle oder kollektive Rationalitt in An-schlag zu bringen (ebd.: 23, 27). In Zusammenarbeit mit den Rationalwahl-Religionsso-ziologen Rodney Stark und Roger Finke wendet Iannaccone die neoklassischen Axiome auf Religion an: each individual is assumed to evaluate the costs and benefits of all potential activities and then act so as to maximize net benefits relative to his or her ultimate prefer-ences. In the realm of religion, this means choosing which religion, if any, to accept and how extensively to participate in it. [] The stable preference assumption means, however, that explanations rarely rely on varied tastes, norms, or beliefs. (ebd.: 23).

    Dadurch kommt er zu durchaus diskussionswrdigen Thesen: religiser Fundamenta-lismus wird nicht der autoritren Persnlichkeit unterstellt, sondern in seinem Kalkl be-schrieben; die rigiden, anti-modernen Regeln religiser Sondergruppen werden als rationale Strategie gegen nutznieende Trittbrettfahrer gedeutet; private Produktion im Gegensatz zu kollektiver Produktion des Heilsgutes wird sowohl als Lsung des Trittbrettfahrerproblems als auch als Risikodiversifikation angesehen; religiser Pluralismus wird auf Wettbewerb zurckgefhrt; und die Sozialkapitalbildung ist eine Motivation zum Eintritt in religise Gemeinschaften; das gebildete religise bzw. soziale Kapital verhindert, dass Mitglieder, die lange einer religisen Gruppe angehren, konvertieren, da ihr Verlust an spezifischen Inves-titionen dann hoch ist usw.

    In jngster Zeit hat sich der religis-apologetische Zug Starks (vgl. Alles 2009) auch in Iannaccones Arbeiten geschlichen.16 Iannaccone bringt Irrationalitt nur mit religionskriti-schen Stimmen des 19. Jahrhunderts zusammen, die der Religion eben diese vorwerfen (z. B. Iannaccone et al. 1998: 374). Er bersieht dabei die oben erwhnten affirmativen theologi-schen Interessen an der Irrationalitt in der Schleiermacher-Tradition ber Kierkegaard bis Rudolf Otto und die Religionsphnomenologie, die mit einem religisen Gefhl einen ei- 14 Etwa Helena Blavatskys abstrakter philosophischer Monismus einerseits und die unkontrollierbare, experimentelle criture automatique als Erkenntnisweg andererseits. 15 Entfaltet in Iannaccone 1998; 2006; verteidigt in 1995b. 16 Das geht wohl nicht ganz zufllig mit einer Frderung durch die ideologische Templeton Foundation Hand in Hand, die die Spiritual capital research initative frdert.

  • Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft 183

    genstndigen Gegenstandsbereich der neugegrndeten Disziplin Religionswissenschaft aus-weisen wollte. Ebenfalls kritisch ist anzumerken, dass handlungstheoretisch eine Reduktion des Handlungssinns auf die Zweckrationalitt stattfindet, die Kosten und Nutzen abwgt. Die Rationalwahltheorie als Methodologie hat das gegenteilige Problem Webers: wie dieser Kausalitt nur aus der historisch spezifischen Konstellation und abstrahierten Typen erhe-ben kann, so liefert Iannaccone Als-ob-Erklrungen, ohne die Kausalitt der spezifischen Situation zu kennen. Die Als-ob-Erklrung ist problematisch, da die gleiche Handlungswahl im kulturellen Kontext durch sehr unterschiedliche symbolische und ideelle Begrndungen bedingt sein kann, die Iannaccones Ansatz, der lediglich von den westlichen und den asiati-schen Religionen spricht (Iannaccone 1995a: 290), nicht in den Blick bekommt. Wie Iannac-cone den Anspruch einlsen mchte, mit bewusst simplen Prinzipien Gesetz von Angebot und Nachfrage, der unsichtbaren Hand (also der Effizienz von Wettbewerbsmrkten), der Substitutionsregel Zeit gegen Geld und der Club-Theorie empirisch prfbare Modelle fr Religion vorzugeben, bleibt letztlich unklar. 4.3 Berufe und Akteure Berger (1965) und Bourdieu (2000a; b) rekonstruieren Religion wie schon Weber auch ber die Rolle oder Position, welche die Akteure in den religisen Gemeinschaften einneh-men. Bourdieu entdeckt Weber zu Beginn seines Schaffens durch Merleau-Pontys Abenteuer der Dialektik aus dem Jahre 1955 (Bourdieu 2000b: 112). Er lsst sich eine deutsche Ausgabe der Protestantischen Ethik kommen und nimmt daraus Anregungen auf, um whrend seiner Feldforschung die traditionale Gesellschaft Algeriens zu fassen, die nach Bourdieu sehr hnlich zur vorkapitalistischen europischen Gesellschaft strukturiert ist.17 Whrend seiner Dozententtigkeit in Lille lehrt Bourdieu zu Weber, bevor er bei dem Weberexeget Ray-mond Aron in Paris Assistent wird, wo er Webers Schriften zur Wissenschaft liest. In Lille sind es Tafelbilder zu den religisen Berufen aus Religise Gemeinschaften, die ihn zur Ausar-beitung seines Feldbegriffs fhren (s. Bourdieu 2000c: 118; 2000a: 16). Das Feld entsteht nicht aus der Interaktion, sondern es besitzt eine Struktur, die Bourdieu als objektive Relationen (Bourdieu 2000a: 13 f.) im Gegensatz zu blo in konkreten Handlungssituationen entstande-nen Konstellationen ausfhrt, was er am Begriff sozialen Handelns bzw. sozialer Beziehun-gen bei Weber kritisiert. Das religise Feld wird dann im weiteren Feld der symbolischen Manipulation von Sinn aufgelst (Bourdieu 1992b). Hier sind es weitere Akteurstypen, die die Leistung von Priestern ergnzen oder bernehmen: Heilpraktiker, Psychotherapeuten, Kampfsportlehrer und Geistheiler beantworten das Interesse des Laien an einer Erklrung seiner sozialen Position, der Soziodizee (Bourdieu 1992b; 2000a: 21). Wegen dieses Haupt-interesses sei ihre religise Arbeit auch relativ unabhngig von konomischen Zwngen (Bourdieu 2000a: 11).

    Peter Berger hingegen zeigt Kartellbildungen im US-amerikanischen protestantischen Denominationalismus ab den 1930er Jahren auf, mit denen dem innerprotestantischen Wettbewerb begegnet wird, und schliet damit an die Betrachtungen Webers der Berufspo-sitionen in religisen Vergemeinschaftungen an. Berger macht dies in einem religionsko-

    17 Travail et travailleurs en Algrie erschien 1963.

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    nomischen Modell. Durch die gleichen Formierungskrfte entsteht in religisen wie in wirt-schaftlichen Organisationen ein hnlicher Akteurstyp: Brokratische Institutionen whlen und formen sich den Menschentypus, den sie brauchen. Deshalb begegnet man in den Fh-rungsgremien aller religisen Institutionen, ungeachtet ihrer unterschiedlichen berliefe-rung, sehr hnlichen Figuren (Berger 1973: 134). Der neue sozialpsychologische Typ reli-giser Fhrungskrfte [] ist aktivistisch, pragmatisch orientiert, wenig zu administrativ irrelevanter Reflexion geneigt, geschult im Umgang mit Menschen, dynamisch und kon-servativ zugleich usw. (Berger 1973: 135).

    Auch der Akteurstyp religiser Dialogfhrer wird in seiner sozialpsychologischen Dynamik dargestellt. Seine Identitt verhrtet sich zunchst durch die Differenzerfahrung, der er berufsmig im Dialog begegnet. Sofern dies innerhalb der gleichen religisen Tradi-tion stattfindet, kommt es zu Marginaldifferenzierungen der Identitten wie bei Produktpa-letten in einem Markt in der Ausdifferenzierungsphase. Es ist hier bei Berger wie bei Weber eine bestimmte Zweckrationalitt, die zu Berufen fhrt. Das Auf-Dauer-Stellen lokaler Ver-gemeinschaftungen geschieht zwar auch durch das Wandern von Denkformen in andere Bereiche, doch bedeutsamer noch sind sozial-organisatorische Einheiten wie Berufsgruppen, die im Wechselverhltnis mit anderen Berufsgruppen18 Machtverhltnisse errichten. 4.4 Geist/Lebensfhrung versus praktischer Sinn Bourdieu fhrt das Konzept eines praktischen Sinns ein. Dieses Konzept des praktischen Sinns oder der praktischen Vernunft anstelle von ethischer Gesinnung oder protestanti-schem Geist (Weber) ermglicht es, alltgliche Entscheidungen besser nachzustellen. Praktischer Sinn macht Ad-hoc-Modelle und intuitives Handeln unter Zeitdruck oder klei-nere Problemlsungen in der Routine mglich. Die Folgenabwgung wird hchstens in einer abgekrzten Prozedur vorgenommen. Gerade die Folgenabwgung ist aber nach We-ber ein konstitutives Merkmal fr zweckrationales Handeln.

    Bourdieu wie Weber definieren Felder ber Interessen. Doch whrend Weber soziale Interessen als Handlungssinn ausfhrt und im konomischen Handeln erst den Kampf herausstellt (vgl. Mikl-Horke in diesem Band),19 wird bei Bourdieu der Kampf um Anerken-nung zum Grundmotor sozialen Handelns. Und whrend Weber durchaus die Suche nach Erlsung und die damit verbundene Bereitschaft, sowohl gegen als auch fr die eigenen materialen Interessen zu handeln, im religisen Bereich am Werke sieht, so unterstellt Bour-dieu den Interessen religiser Eliten Ausnutzung, Verschleierung und Unterdrckung (Bourdieu 1998b). Die Verklrung in der symbolischen konomie des religisen Feldes findet auf vielfltige Weise statt: Hausmeister werden zu Kstern verklrt, Putzfrauen zu religisen Dienstleisterinnen, Kundschaft zu Glubigen, Marketing zu Verkndigung. Das Gleiche geschieht in der konomie der Opfergabe, bei der der Tausch zur Selbstopferung an eine Art transzendente Wesenheit verklrt wird (ebd.: 188). Herrschafts- und Unterwer-fungsbeziehungen werden in der religisen konomie zu affektiven Beziehungen verwan-

    18 Der Zauberer nimmt die Ekstase in Pacht und betreibt darber die Vermittlung seines Charismas (Weber 2005/1922: 123 ff.). 19 Vgl. Swedberg (1998: 387) ber Kampf im Bereich der Wirtschaft. Im sozialen Handeln ist es ein definierter Typus: nur wenn der andere Widerstand entgegensetzt (Weber 1972/1922: 8).

  • Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft 185

    delt. Religise Unternehmen verklren die familiale konomie, indem sie die Brderlichkeit idealisieren. Sie legen damit nicht-kapitalistische Tauschverhltnisse ber die eigentlich kapitalistischen. Die Machtverhltnisse im religisen Feld ndern sich auch nicht allein dadurch, dass die patriarchale Brderlichkeit zu einer Geschwisterlichkeit berarbeitet wird. Je nachdem, wie die Domestifizierungsarbeit in der familialen konomie einer Ge-meinschaft strukturiert ist, kann die religise konomie der symbolischen Gterproduktion diese nicht einfach berschreiben. Bourdieu ist in seinen Interviews mit Geistlichen im Zu-sammenhang mit der Verneinung des konomischen das Lachen der Bischfe aufgefal-len. Es taucht an jenen Stellen auf, wo die Euphemisierungsarbeit geschieht: So war es ganz auffllig, dass bei den Bischfen immer ein Lachen kam, wenn sie sich, auf die konomie der Kirche angesprochen, einer objektivierenden Sprache bedienten, etwa vom Phnomen von Angebot und Nachfrage sprachen, um das Pastoralamt zu erklren (Beispiel: Wir sind ja keine Gesellschaften h [] so ganz wie die anderen [Lachen], nicht wahr? Kanzlei der Dizese Paris) (ebd.: 187 f.)

    In Das konomische Feld geht es Bourdieu um Prinzipien der konomischen Konstruk-tion selbst wie der Vorstellung vom Agenten und der Aktion, der Prferenzen oder der Bedrfnisse (Bourdieu 1998a: 185 f.). Ein Ergebnis seiner empirischen Analyse des Eigen-heimmarktes ist eine Widerlegung der individualistischen Mikrokonomik mit dem Ent-scheidungsverhalten des Einzelnen im Mittelpunkt. Denn die unvernderlichen Szenarien in der Kufer-Verkufer-Beziehung, wenn es um das Aushandeln und den Abschluss des Kaufvertrags geht, zeugen eher von dem hohen Feldzwang im konomischen Teilfeld des Eigenheimmarktes: ber die Einprgung und den Einfluss des Feldes auf die Dispositio-nen der Agenten hinaus wirkt die Gesamtstruktur des Feldes der Eigenheimhersteller auf die Entscheidungen der Verantwortlichen ein, bei der Preisgestaltung wie beim Festlegen der Werbestrategien (Bourdieu 1998a: 186).

    Sodann widerlegt Bourdieu Markttheorien, welche die Nachfrage und das Angebot als etwas Gegebenes hinnehmen, ohne es als Ergebnis einer sozialen und historischen Konstruk-tion zu begreifen. So wie Kapital akkumulierte Geschichte ist, so hat auch die konomische konomie eine Geschichte. Sie wird besonders deutlich, wenn Menschen durch die Kolonia-lisierung schlagartig und unvorbereitet eben ohne die kapitalistische Vorgeschichte in die kapitalistische konomie hinein katapultiert werden. Der strategischen Sichtweise der Neo-klassik stellt er die strukturale eines historisch gewordenen Feldzwangs entgegen. Hier weicht er auch am deutlichsten von Webers intentional ausgerichteter Handlungstheorie ab. Wobei auch hier gleich wieder angefgt werden muss, dass Weber sich fr die Intentionalitt interessiert, in Abgrenzung etwa von der psychologischen Rekonstruktion des Handelns, da er als Soziologe an wiederkehrenden und Institutionen ausprgenden Formen des Handelns interessiert ist und so die Nhe zur Struktur Bourdieus wieder grer wird.

    In der Anpassung des Weberschen Handlungskonzeptes an die kulturelle Umwelt finden sich die grten Unterschiede zwischen Bourdieus pragmatischem Praxisansatz und der Rational-Choice-Theorie, die von Transparenz und hoher Rationalitt mit uneinge-schrnkter Folgenabschtzung ausgeht.20 Erst die berarbeitung der Rationalwahl in der 20 Es ist beliebt, diese Traditionen einfach einander gegenberzustellen wie bei Robertson (1992) oder Knoblauch (2007), der die Neoklassik und Bourdieus Modell symbolischen Tauschs folgendermaen gegenberstellt, um dann deren Kombination anzuraten, ohne die divergierenden Prmissen zu diskutieren: Rational Choice privilegiere die

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    Neuen Institutionenkonomie, der Spieltheorie und Wirtschaftspsychologie hat die Prfe-renzen beschrnkt,21 weitere Kostenarten eingefgt, die Nutzenfunktion erweitert usw. (s. auch Erlei in diesem Band).

    5 Kausalfaktoren kulturellen Wandels Von Webers Wirtschaft und Gesellschaft (Weber 2005/1922) her ist immer wieder zu fragen: Kann die Religionsgeschichte fr die Gesellschaftsanalyse fruchtbar gemacht werden? Ent-stammen immer noch kollektive Wertvorstellungen, die dann im wirtschaftlichen, internati-onalen Handeln implementiert werden, religisen Traditionen? Das ist gewiss mit einem erweiterten Religionsverstndnis zu unternehmen, in dem Religion nicht ein monolithischer Block in Kulturen ist, sondern ein Feld von Institutionen und emotionalen und sinnlichen Sozialisierungen, die ber Regeln, Symbole, Praktiken und Muster in fortwhrender Dyna-mik mit ihrer gesellschaftlichen Umgebung stehen, in sie abwandern, wiederkehren, diese unterlaufen oder mit Ausschnitten aus ihr konkurrieren usw.

    In globaler Perspektive sind nicht nur Staaten und Sekten oder Kirchen die treibenden Krfte. Es sind nicht nur die strengen Sondergruppen Webers, sondern auch Rezeptions-strmungen (z. B. Yoga, die Natrlichkeitsbewegung), die ihre Handlungsmuster in einer Gesellschaft ausbreiten. Das religise Feld hat sich pluralisiert, und das nicht nur von der Sinnangebotsseite her, sondern vor allem auch auf der Nachfragerseite. Wie Bourdieu schon fr das Lachen der Bischfe ausfhrt, haben Akteure ein doppeltes Bewusstsein: Nachfra-ger stehen fortwhrend vor der Aufgabe, Handlungslogiken verschiedenster konomischer Inseln zusammenzubringen: die familiale konomie, die konomische konomie, die reli-gise, die alltgliche, die knstlerische konomie usw. Dabei tritt die alte Herausforderung erneut auf, Kriterien des Bewertens in Bezug auf den kulturellen und strukturbildenden Einfluss bzw. die Kausalitt jener kulturellen Muster hier fr das wirtschaftliche Handeln und Strukturbilden zu bestimmen.

    Fragen wir dies religionsgeschichtlich fr den cultural flow des Yoga im Westen Euro-pas, dann zeigen sich vielfltige Praktiken, Medien und Sozialformen, dauerhafte und flch-tige, die in die Waagschale zur Einschtzung der Kulturleistung des Yoga zu werfen sind. Unzhlige Yogaeinrichtungen unterschiedlichster Schulen haben Strukturen an fast jedem Standort in Deutschland ausgebildet. Zur Plausibilisierung und Aufnahme von Yoga ist die Krper- und Gesundheitstechnik-Orientierung unserer Gesellschaft ein relevantes Bezugs-system, da Yoga von vielen als Krpertechnik angesehen wird, die Stress und Berufsalltag kompensiert. Ein anderer Faktor, auf den Yoga in unserer Gesellschaft trifft, ist die Subjekti-

    Zweckrationalitt und Bourdieu knne besser den Kampf um soziales Kapital wie Prestige und Macht beschreiben, Rational Choice entwerfe einen Markt, der durch Wettbewerb definiert sei, whrend bei Bourdieu der Wettbewerb um die Deutungshoheit als solche gehe, also was Religion sei und was nicht. 21 Vgl. dazu auch Essers variable Rationalitt sowie seine Rahmenwahl mit dem Konzept mentaler Modelle (Esser 2003: 158). Variable Rationalitt ist ein kulturwissenschaftlich sehr sinnvoller Begriff, um Rationalitt nicht mit Kogni-tivitt in eins zu setzen. Denn schon der Grad der Kohrenz, z. B. einer Handlungsanleitung oder die Plausibilitt eines Tuns, sind eine Folge der Situationsdefinition, also eher abhngig von einem praktischen Sinn als von einer unabhngig beschriebenen Transparenz-, Nachvollziehbarkeits- oder Logizittsforderung.

  • Die Religionssoziologie Max Webers im Lichte der neueren Kulturwissenschaft 187

    vitt der Selbstsorge. Sie ist mit Selbstmanagement und Selbstorganisation verbunden und macht vorzgliche Eigenschaften von Berufsttigen in einer nachfordistischen Produktion aus. Daher steht die Rezeption des Yoga auch in der folgenden Ambivalenz: Stabilisiert diese Praktik systemisch berforderte Subjekte oder erffnet sie ihnen Freiheit? Mit Ent-wicklungsmglichkeiten wre Moderne treffender definiert, anstatt mit konservativer Erhaltung, was auf die Seite des Traditionalen fllt (Knauft 2002). Ein weiterer Grund, der die Aufnahme des Yoga vereinfachte, war, dass Yoga zu hnlichen Konglomeraten rezipier-ter ostasiatischer Systeme buddhistischer und (neo)hinduistischer Ausrichtungen gehrt wie Chanten, Aufmerksamkeitstherapien und Ayurveda. All dies zusammen kann zu neuen Sozialbeziehungen und Strukturen sowie auch zu ideellen Vernderungen des Yoga fhren (Schnbele 2009). Insofern Yoga als Heilsgut eines Teils der Gesellschaft angesehen wird, bildet es dauerhafte Strukturen aus und kann auf die Gesellschaft zurckwirken. Denn Heilsgter zeigen nach Weber an, wie stark die religise Disposition des Handelnden ist, und zwar darber, wie sehr seine oder ihre Lebensfhrung an ihrer Erlangung methodisch ausgerichtet ist (Merz-Benz 2008).

    In Erweiterung zu Weber wren diese Zusammenhnge nicht nur auf Handlungsanlei-tungen hin, also auf Ethiken, sondern auch auf ihre Prsenz in unterschiedlichen Medien, Mustern, Bildern des Imaginren und als Krpertechniken zu untersuchen. Dabei kann das Beherrschen aueralltglicher Krfte nicht das einzige Kriterium zur Abgrenzung von Reli-gion sein. Neben einer Rezipientenforschung, die den Kausalzusammenhang von ideellen Faktoren ber das Referenzsystem der Nutzer rekonstruiert und evaluiert, wre es unerlss-lich, wie diskursive Anstze es tun, auch unwillkrliche Sinnkonstitutionen zu beschreiben. Beides ist bei Weber bereits als Fragestellung angelegt.

    Von den weiteren Faktoren, die den Kausalzusammenhang empfindlich beeinflussen knnen, sei hier nur die Wissenschaft selbst als Teil der Religions- bzw. Kulturgeschichte angefhrt. Dies kann an der strukturbildenden Wirkung des zunchst wissenschaftlichen Ritualkonzeptes verdeutlich werden: In den 1970er Jahren setzt sich immer mehr der Sprachgebrauch durch, der aus der englischsprachigen Ethnologie stammt, Sitte und Brauch als Ritual zu erforschen. Ritual wird als Handlungskonzept u. a. mit den Merkma-len des regelmigen Vollzugs, der Bedeutungsaufladung und der psychischen Stabilisie-rung als gewolltem Effekt verbunden. Trgerschicht sind geisteswissenschaftliche Absol-venten, Weltreisende, Aussteiger und interessierte Bildungslaien, die z. B. asiatische Kr-perpraktiken oder weltweites alternativ-medizinisches Wissen transferieren und praktizie-ren und damit eine Schlsselrolle fr die Popularisierung, Distribution und Institutionalisie-rung dieses (Krper-)Wissens spielen. In diesem Prozess findet das Ritualkonzept bald sei-nen wertrationalen Einsatz im Alltagshandeln: zur Beruhigung von Schulkindern, zur Be-wltigung des bergangs in den Ruhestand, zum Heimischwerden in einem neuen Haus. Auch am religionsgeschichtlichen Beispiel der Aufnahme des Konzeptes Natrlichkeit in den 1980er Jahren in Deutschland kann die kausale Einschtzung von Kulturleistungen problematisiert werden. Dieses Konzept ist eng an das Thema Gesundheit und Ganzheit-lichkeit gebunden und setzt an der Lebensfhrung des Einzelnen an. Politische Mitwirkung wird in erster Linie ber die Macht des Verbrauchers thematisiert, der nur natrliche Pro-dukte kauft. Gegenber Technologien der Pharma-, Bau- und Agrarindustrie herrscht kriti-sche Distanz. Greift man aus dieser Strmung z. B. die Natrlich-gebren-Bewegung heraus,

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    zeigt sich eine ethische Rationalisierung, die dauerhafte Institutionen geschaffen hat wie Geburtshuser, einen Buchmarkt, die Renaissance des Berufstandes der Hebamme, Rituale wie das Plazenta-Essen und ein kollektives Gedchtnis ganzer Generationen so zur Welt gebrachter Kinder. Diese Bewegung zeugt von fortwhrenden Kausalwirkungen zwischen der Suche nach Auergewhnlichem, Erlsung und weiteren Gren wie Authentizitt. Gerade das natrlich-schmerzhafte Gebren kann ber den subjektiven Handlungssinn der Authentizittssuche und den Kontext, dass Schmerz mit Selbstwahrnehmung gekoppelt wird, erklrt werden.

    Somit stand am Anfang der Kausalkette auch das Glied Wissenschaft. Wird es verse-hen mit dem entsprechenden Angebot fr eine Leerstelle in der Sinnversorgung, einer ko-nomischen Realisierbarkeit, vielleicht sogar einer Profitabilitt, dann ist ein Wirkgefge errichtet. Auffallend ist, wie die Plausibilitten in ein und derselben (religions-)geschicht-lichen Strmung plural sein knnen: natrliches Gebren kann als kologisch-modern einen Anreiz zur wertrationalen bernahme als Handlungsform bieten oder es kann als traditio-nale Urvlkermethode, als therapeutische Konfrontation im schmerzhaften Bei-sich-Sein inszeniert sein. Auch die Medien der Vergemeinschaftung sind viel genauer zu betrachten: Gemeinschaften formen sich zum Beispiel ber unterschiedlichste Wirtschaftstrukturen hinweg durch Radiosendungen der Gabriele Witteck der neureligisen Gruppe Universel-les Leben, in denen sie ihre Offenbarungen weitergibt, ber die Videobertragungen der japanischen Neureligion Shinnyo-En, in denen das Ritual mit den Ahnen bertragen wird, oder ber die globale Synchronitt von Vipassana-Meditationen bei Livesendungen. Daher ist ein einsinniger Zusammenhang von Rationalitt und Wirtschaftsform nicht anzunehmen.

    Ebenso sind Schlsse von religisen Formen auf spezifische soziale und konomische Trgergruppen und umgekehrt zu problematisieren. Dass Sesshafte Stadtgtter, Viehzch-ter Zeugungsgottheiten und Ackerbauer Erdgottheiten htten, lsst sich nicht einfach auf heutige Gesellschaften bertragen. Natrlich ist es naheliegend zu fragen, womit das schnelle Wachstum neupfingstlerischer und charismatischer christlicher Kirchen weltweit, besonders aber in Sdamerika, zusammenhngt, und dazu wieder konomische Schichten und Produktionsformen in den Blick zu nehmen, wie es revidierte Skularisierungstheorien tun. Ist das Wachstum in der konomie Sdamerikas ein Zeichen fr den bergang zu industrialisierten Gesellschaften, in denen die protestantische Arbeitsmoral vor allem Mn-ner effizient eingliedert, wie Joo C. Schmidt beobachtet haben will (Schmidt 2007)? Oder ist die Bewegung gerade eine traditionale, nmlich gegenrationale Kraft, hervorgegangen aus der Pfingstbewegung am Beginn des 20. Jahrhunderts in Los Angeles (US) und grundlegend transformiert in der charismatischen Erneuerung der 1960er Jahre, die nun deutlich gege-naufklrerisch Dmonen austreibt und Wunder wirkt? Anfnglich gab die neupfingstleri-sche Statuslegende die Geistgabe als eigentlichen Reichtum aus und wurde von rmeren Bevlkerungsschichten getragen. Das nderte sich in den 1950er Jahren, in denen eine Mit-telschicht eintrat, zu deren Wundern die beliebten Geldmehrungsrituale gehrten und die teils zu Mediengrokonzernen wuchsen mit den entsprechenden Korruptionsfllen unter den religisen Eliten. Die Religionsentwicklung, die Weber beschreibt, ist daher unter heu-tiger Perspektive zu de-evolutionieren. Wir beobachten eine Gleichzeitigkeit unterschied-lichster Religions- und Rationalittstypen in ein und demselben Feld, in ein und derselben Gruppe, bei ein und demselben Nachfrager. Unter diesen Plausibilitten, die Weber mit

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    Ideen anspricht, befinden sich religise Codierungen je nach Religionsbegriff nur unter und neben anderen.

    6 Fazit Es ging darum, einzelne Elemente aus dem kulturwissenschaftlichen Rahmen Webers zu diskutieren, zu aktualisieren oder auch kritisch zurckzuweisen und alternative Theoriebil-dungen anzufhren. Rckblickend auf diesen kleinen Ausschnitt aus der Rezeption Webers sollen verschobene Perspektiven und hufig ambivalente Aufnahmen Webers nochmals zusammengefhrt werden.

    Zunchst ist seine verstehende Soziologie zu relativieren. Manche sehen zwar weiterhin seine methodologische Aktualitt dem Sinn-Konzept geschuldet: Dadurch, dass er Hand-lungen im Lichte des Sinn-Problems beobachtete, macht er geronnene empirische Realitt nachtrglich als eine gewhlte Option erkennbar (Kippenberg 2002: 241). Dieser Gewinn fr die Religionsgeschichte, dass sie nur scheinbar irrational ist und als Informationsquelle ber religise Sinnerwartungen genutzt werden kann, die sich in Ethiken und Ideen niederge-schlagen haben, ist jedoch in dem ausgefhrten Hanegraaffschen Sinne als Wechsel von aufklrerischen und gegenaufklrerischen Relationen zu ergnzen. Religise Praktiken und Vorstellungen knnen als abstrahierte Muster auch in ihrer Drift in andere Handlungsberei-che des Alltags, des Rechtswesens, der Wirtschaft usw. wiedererkannt werden. Eine solche Spur von wandernden Plausibilittsmustern, Handlungsneigungen und Krpertechniken zu verfolgen, z. B. in den Bereich wirtschaftlichen Handelns, Bewertens und Institutionenbil-dens, sollte auch heute zur Herausforderung der Kulturwissenschaft gehren.

    Die Wirkungsabschtzung solcher kultureller Dynamiken wurde allerdings problema-tisiert. In Webers Handlungstheorie folgt sie als dritter Schritt auf das Verstehen und die kontextuelle Einbettung des subjektiven Handlungssinns. Sie geschieht darber, dass die Strukturausbildung (Weber spricht von sozialen Regelmigkeiten) eingeschtzt wird. Es muss sich jedoch nicht zwingend eine soziale Struktur ausbilden, damit von einer Wirkung gesprochen werden kann. Wirkungen knnen im Vorstellungsraum verbleiben oder sich in kulturellen Mustern wie literarischen Topoi und Motiven tradieren. Nach Ansicht der Insti-tutionentheoretiker DiMaggio und Powell gleichen sich z. B. Firmen strker durch imagi-nierte Leitbilder einer guten Firma aneinander an als durch Sach- und Effizienzzwnge (DiMaggio und Powell 2000). Auch der Austausch der Kulturen vollzieht sich nach Robert-son (1995: 227) insbesondere ber das geteilte Imaginre, also auch abseits von Handelsrou-ten, Reisen, Diplomatie und Lektre ein Punkt, den die ersten Modernetheorien strflich vernachlssigt haben und der etwa bei Knauft (2002) mit der Vorstellung von Moderne als einem relationalen Artikulationsraum bercksichtigt wird.

    Auch Webers methodologischer Individualismus tritt bei einigen Rezipienten zurck, insofern Struktur (Bourdieu), System und Kommunikationsweisen (Luhmann, Gladigow), verkrperte Disposition (Bourdieu, Hornbacher) oder Institutionen (Meyer, Brinitzer) zum Ausgangspunkt werden. Daraus folgt, dass die Medialitt, sowohl technischer Medien als auch der Krperlichkeit, und das kollektive Imaginre als Motivationsgrund und Vollzugs-raum fr eine Handlungstheorie und Strukturerklrung strker einzubeziehen sind. Denn

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    durch diese Kommunikationsformen verndert sich die Wahrnehmung sowohl auf indivi-dueller Ebene als auch auf der Ebene des gemeinschaftlichen Handelns. Dennoch wre von Weber her nach wie vor zu fragen, ob die Untersuchung von unterschiedlichen Deutungen der Welt methodisch hervorzuheben ist und ob sich dieser kontrastive Ansatz zwangslufig in einer Gesamttheorie ber die groen globalen Handlungssysteme vollendet. Hier ist weniger eine einzige groe Theorie als das aus dem Vergleichsmaterial begrndete Infrage-stellen einer einzigen Theorie das kulturwissenschaftliche Alltagsgeschft.

    Zweitens wurde die Chance aufgewiesen, in der Weberschen Konfiguration von reli-gisem, sozialem und wirtschaftlichem Handeln kulturelle Phnomene ausreichend zu erfassen. Damit nimmt Weber die postmoderne Kritik am ersten cultural turn zurck, der Kultur als Text liest und wie etwa bei Clifford Geertz von transkulturellen Universalien ausgeht. Gter, Tausch und Konkurrenz sind grundlegend soziale Institute. Wirtschaftsso-ziologie und Kulturwissenschaft ergnzen konomische Konzepte um ihre pr-kono-mische, nmlich soziale, symbolische oder im religisen Kontext gewonnene Dimension (Gudeman 2001). Robertson (1992) sieht darin eine Aufgabe der Soziologie, mit der sie ber die Reichweite konomischer Theorien hinausgeht. Bei Weber ist es der Tausch von Heils-gut und Gebet, Lebensform usw. Im Unterschied zur konomie werden die getauschten Gter in sozialen Kontexten wertvoll.

    Drittens wurde der Rationalittsbegriff auf mannigfache Weise verndert. Neben den angefhrten Vervielfltigungen sind auch empirische sozial- und wirtschaftspsychologische Untersuchungen heranzuziehen, die systematische Fehleinschtzungen der menschlichen Rationalwahl zeigen. Kahneman und Tversky (1979) wie auch Thaler (1992) haben dies auch in Bezug auf das Beurteilen von Gewinnen, Verlusten sowie kurz-, mittel- und langfristigen Investitionen ausgefaltet. Bourdieu fhrt einen praktischen Sinn ein, der kurzfristiges und bewusstes Kalkulieren ersetzt. Hier ist der Vielfalt alltglicher Wahrnehmungsweisen und den Motiven von Verhaltensregelmigkeiten strker nachzugehen als mit einer Theorie, die schon das Sortieren von Institutionen (Wirtschaft, Staat, Recht, Religion) vor Augen hat und von daher Handlungsrationalitten rckwrts bestimmt. Es ist nicht nur der Nutzen, sondern es sind ebenso wahrgenommene Entwicklungschancen, Selbstverwirklichung, Sicherheitsbedrfnisse, die das Handeln ausrichten und zu einer spezifischen lokalen Kons-tellation von Moderne beitragen.

    Viertens ordnet die Religionswissenschaft Webers Ansatz kultur-, religions- und wis-senschaftsgeschichtlich ein. Dabei springt sein Ost-Asiatismus ins Auge. Kippenberg (2002: 237) kritisiert den deutschen Orientalismus der Religionswissenschaft um 1900, der eher an asketischen Traditionen interessiert war und an der Frage, wie diese dem zeitgenssischen Kapitalismus ein normatives Gegenbild bieten knnten (und nicht etwa an der Beherrschung jener Kulturen wie die kolonialistische Religionswissenschaft Grobritanniens). Gnter Keh-rer (1997: 123) und Friedrich W. Graf (2004) weisen auf den Sitz im politischen Leben und die Frage nach der hohen Kapitalakkumulation im protestantischen Unternehmertum hin, die nach dem Kulturkampf konfessionell diskutiert wurde. Mit dem relationalen Konzept einer alternativen Moderne von Knauft (2002) lsst sich diese Verortung der Protestantismusthese sehr gut fassen: in dem seit der Aufklrung aufzufindenden kulturellen Muster sieht sich der liberale Protestantismus als modern, wohlhabend und fortschrittlich und der Katholizis-mus als traditional, rmlich und rckstndig. Manche Erzhlungen zu religisen Ur-

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    sprngen einer Wirtschaftsform sind zudem kulturelle Inventionen, wie etwa die Konfuzia-nismusthese fr die japanische Industrialisierung seit Ende des 19. Jahrhunderts. Entgegen einer Verwestlichung sollte mit ihr eine autonome wirtschaftliche Entwicklung Japans aus dem Geist des Konfuzianismus erzhlt werden (Conrad 2004). Auch mit dem Theorieele-ment, dass das Heilsgut ber die persnliche Entscheidung erlangt wird, bernimmt die strategische Handlungswahltheorie Webers ein religionsgeschichtliches Element, das im puritanischen Protestantismus zentrale Bedeutung besitzt (vgl. Alles 2009: 95 zu R. Starks Theorie). Weber gewinnt sein Akteursmodell in Wirtschaft und Gesellschaft, indem er sich an die primitiven Anfnge einer Religionsentwicklung zurckversetzt, mit langsam sich aus-differenzierenden Gemeinschaften. Daher funktioniert dieses Modell hnlich der Malinows-kischen funktionalistischen Wirtschaftsethnologie die aus sehr kleinen, in sich abgeschlos-senen tribalen Inselverbnden abgeleitet wurde weniger gut in komplexen Gesellschaften, die sich in einem dichten kulturellen Austausch nach auen wie innen vollziehen. Dabei individuieren und entpersonalisieren sich die sozialen Beziehungen gleicherweise. Wie Knauft (2002) fr lokale Modernen (etwa der Gebusi in Papua Neuguinea) zeigt, ist die Mo-dernisierung hufig mit einer Subordination unter politische Macht und Wissen von auer-halb der Gemeinschaft verbunden. Es ist weniger der Fortschritt als der Part der Rckstn-digkeit und des Ausschlusses, der mit der ffnung importiert wird.

    Der Religionswissenschaftler Burkhard Gladigow bezieht daher Position fr einen Plu-ralismus, der weder neu noch nur modern sei (Gladigow 2001). Anstelle der Weberschen Deutung des antiken Polytheismus als Kampf der Gtter und anstelle der klaren Abgren-zung und evolutorischen bergnge von Religionsformen, liegt Gladigows systemtheoreti-sches Augenmerk auf den Kommunikationen, ber die Gesellschaften die Herausforderung von Komplexitt meistern. Entlang historischer Linien, die durchaus in der Grenordnung Webers verlaufen, zeichnet Gladigow nach, wie sich Religions-, Kultur-, Sozial- und Wis-senschaftsgeschichte austauschen, um besonders im Zuge der systemtheoretischen Ansicht von Ausdifferenzierung kreierte Komplexitt fortwhrend reduzieren zu mssen. Panthea sind in ihrer lokalen Form wahrzunehmen, wo gewisse Gtter ausgewhlt werden und arbeitsteilig fr Fruchtbarkeit, Wohlstand oder Gesundheit zustndig sind. Pluralismus wird also antik weniger ber Wettbewerb als ber eine regionalisierte und funktionale Ar-beitsteilung gelst.

    Die drei Strategien, die Gladigow dabei entdeckt, sind immer wieder die Rckversiche-rung einer Gesellschaft in transzendenter Autoritt (Stichwort Sekurisierung), das Abw-gen von Sinn und Leben, letzteres auch unter der Perspektive eines Lebens nach dem Tod (Stichwort Bilanzierung), und das Generieren von Orientierungsmustern durch ber-nahmen aus den Wissenschaften in anderen gesellschaftlichen Bereichen (Stichwort verti-kaler Transfer von Wissensbestnden von oben, aus dem spezialisierten Wissensbetrieb, nach unten in die populre, laienhafte Benutzung). Die Rede von Strategien betont eine Zweckrationalitt und zeigt damit eine Nhe zum Weber-Paradigma an, ohne jedoch am methodologischen Individualismus einer Handlungstheorie anzusetzen. Bei Gladigow sind es eher kulturelle Muster und der kollektive Zeichenvorrat, der ber ein Konzept wie Seele, gttliche Vernunft, innerer Mensch, Jenseits oder Unsterblichkeit verfgt oder nicht verfgt, es aktualisiert oder nicht aktualisiert. Weber vernachlssigt mit seinem Fokus auf psychi-sche Antriebe (Ideen) kulturwissenschaftliche Zugnge, die wie die Systemtheorie ohne

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    anthropologische Zuschreibungen auskommen wollen. Kehrer sieht demnach die wichtigste Differenz der Weberschen zur heutigen Kulturwissenschaft darin, Religion nchterner und nicht als Respons auf Aueralltgliches zu sehen (Kehrer 1997: 132).

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