Upload
lytruc
View
213
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Die Rolle der Psychologlnnen in den Medien
Eva Jaeggi und Heidi Möller
Nahezu ständig klingelt das Telefon. Da wollen die Bild-Zeitung, der Stern oder irgendein Fernsehsender von uns wissen:
Was das für Menschen sind, die gerne diePickel ihres Partners ausdrücken;wie hoch die Anzahl von Frauen ist, die Kinderpornos schauen;warum Männer ihre Frauen dazu bringen,beim Geschlechtsverkehr Gummianzüge zutragen;wie sich die Fußballweltmeisterschaft aufbundesdeutsche Ehen auswirkt;warum so viele Menschen Freitag denDreizehnten fürchten;was zu halten ist von Menschen, die schonvor dem Arbeitsantritt Gruppensex machen;wie man sich den Erfolg von »Seitensprung«- Agenturen erklären kann;
und ähnliches mehr.
Von »Cosmopolitan« über »Brigitte« bis»Fokus« wimmelt es von Psychothemen.Die Menschen scheinen Lebens- und Erziehungshilfe und Erklärungen auch ihrer banalsten Verhaltensweisen bedürftig zu sein.
Aus WELCHEN QUEUEN STAMMEN ALlE DESE
ANfRAGEN?Natürlich sind Sensationsgier und dasSchnüffeln in fremden Seelen (meist infremden Betten) ,mit im Spiel. Mediengesteuerter Tratsch vermillionenfacht Privates, das eigentlich nur die Betroffenen angeht. Warum Gerhard Schröder und Hilltrudsich getrennt haben und welche Besonderheiten wohl die »Neue« aufweist: das gehtnatürlich niemanden etwas an, ist aberoffenbar sehr interessant und muß von psychologischen Experten kommentiert werden. Reines Entertainment spielt dabei einegroße Rolle. Quiz-Sendungen, die gierig ge-
5. JAHRGANG, HEFT "
sehenen Shows der Sechziger- und Siebzigerjahre, sind vielen schon langweilig geworden. Viel interessanter sind »Live«- Enthüllungen von aufregenden Schicksalen, dievon Psychologen begleitet werden. Schließlich gibt es noch ein großes Bedürfnis nachRatgebern, das sich auch in der Literaturniederschlägt. Psychologen sollen dann füralle Lebenslagen womöglich »Rezepte« geben können.Die Psychologie ist zudem gefragt imDienste von Katastrophenphantasien: Dawill zum Beispiel der Rundfunk wissen,worauf die Zunahme der Mädchenmorde inEuropa zurückzuführen ist. Auf Rückfrage,woher sie, die Journalistin, denn das wisse,beginnt sie zu stottern. Aber das sei dochso, das wisse man eben. Die phantasierteSteigerung der Kriminalitätsrate soll fachlichbestätigt werden. Wagen wir differenzierteStellungnahmen, hören die Journalisten nichtmehr zu. Schlimmstenfalls multiplizieren siedie von uns genannten Zahlen, so daß Kollegen, z.B. des BKA (Bundeskriminalamt),nicht mehrfür Interviews zur Verfügung stehen, da sie noch nie erlebt haben, daß ihreZahlen exakt wiedergegeben werden. Einewichtige Funktion von Psychologen in denMedien scheint zu sein, dem Motto »Apokalypse now« Futter zu liefern.
Woher kommt die Notwendigkeit, Psychologen zu allem Möglichen und Unmöglichenzu Rate zu ziehen7 Psychologen scheineneine Autorität zu verkörpern, die zunächsteinmal legitimierend wirkt. Unter demDeckmantel »Psychologe« läßt sich schieralles behaupten. Selbst die Vererbungstheorie kommt zu neue Ehren.
Die komplizierten sozialen und psychischenVerhältnisse einer Gesellschaft, die nurmehr wenig von Traditionen gesteuert wird
59
EitA,.!AI;GGI UND HEIOI MÖLLER
und der postmodernen Beliebigkeit verfallen ist, bereiten viel psychische Mühe. Oftmüssen Menschen sehr viel Energie. einsetzen, um sich ihre Verhaltensweisen klarzumachen und Handlungsweisen zu rechtfertigen. Die Berufung auf Althergebrachteshilft selten. Also muß man sehen, was »dieanderen« machen, und dies betrifft natürlichgerade die meist geheimgehaltenen Strebungen, Motive und Verhaltensweisen. Eigene Unsicherheit wird gemindert, wennman sich in dem erhebenden Gefühl sonnen kann: »So bin ich nun gerade nicht! «womit das Perverse ausgeschlossen wirdaus dem eigenen Alltag, in Form der Sensationsgier aber natürlich erlaubten Zutritthat und dafür gesorgt ist. daß auch eigeneperverse Anteile befriedigt werden. Interesse und Empörung der Öffentlichkeit inbezug auf Kinderpornographie und Inzestläßt in dieser Hinsicht einiges ahnen überdie »dunklen Kontinente« auch von lieschen Müller und Hänschen Meier.
Was die Gier nach Katastrophenmeldungenanbelangt, so ist hier ein recht kompliziertesGeflecht von Motiven am Werk. Sicher istauch hier das erhebende »Ich bin's nicht«(der Raubmorde begeht und Atomwaffenproduziert) wichtig. Aber auch die Lust amUntergang, am totalen Chaos ist vermutlichoft am Werk. Die schwierige Chiffre, dieFreud dazu benutzt (»Todestrieb«) drängtsich auf. Ist es über einen gewissen Zeitraum hinweg in Deutschland heiß - soschmelzen die Pole; erleben wir nicht diegewohnten Sommertemperaturen - sodroht, laut den Medien, die neue Eiszeit.
WAS SPRICHT GEGEN EINE BEll:ILlGUNG DERPSYCHOLOGINNEN IN DEN MEDIEN?Es gibt viele Argumente gegen eine Beteiligung von Psychologen an diesen Medienspielen, aber auch einige, die durchaus dafür sprechen.Aber was in welchen Zusammenhängenspricht dagegen? Die wenigsten Journalisten wollen es »genau« wissen; sobald
60
eine bestimmte liefungsebene angestrebtwird, lenkt der Moderator ab. Niemand vonuns will zwar für den Boulevardjournalismusmißbraucht werden. Trotzdem verhelfenwir 'den niveaulosen Talk-Shows zu einemAnstrich von Seriosität und Legitimität.
Das Auftauchen in Talk-Shows mit abgenudelten, individualisierenden Themen, diewenig emanzipatorische Relevanz habenund schon gar nicht gesellschaftskritischangelegt sind, Themen, die zumeist voneinander abgeschrieben werden, nach demMotto: »Das hat 1I0na Christen geradegemacht, da müssen wir zwei Monate warten«, verhelfen unserem Berufsstand nichtgerade zu Ehren. Vielleicht verhilft es einigen Kollegen allerdings zu einem besserenVerkauf ihres Buches oder zu einer vollerenPraxis. Dies aber sollte natürlich nicht bestimmend sein.
Aber auch die Antworten auf die berechtigten Fragen nach» Rat« sind prekär. Die Botschaft, die wir fast genötigt werden zu verkünden: Alles im menschlichen Erleben isterklärbar, es gibt keine offenen Fragen, undalles ist auch aufhebbar und prinzipiell lösbar und zwar recht schnell. Da verkommtPsychologie via Television zur Medikamentenvergabe. Da sollen wir teilnehmen ander Vernichtungskampagne allen leidvollenund schmerzhaften Phänomenen gegenüber, die menschliches Leben kennzeichnen. Ungewißheiten, Irritationen und garFragen sind nicht erwünscht, sondern: DerPsychologe soll als Phantasma derPostmoderne, als Gewährsmann gegen dienarzißtischen Kränkungen der modernenZeit wirken. An dieser Stelle »greift« danndie narzißtische Verführung von uns inMedien auftauchenden Psychologlnnen.Neben der Verlockung des Geldes und derGratifikation exhibitionistischer Neigungenvon Psychologlnnen, die immer wieder einmal den Gang vor die Kamera tun, stehenwir in der Gefahr, die Illusion der psychologischen Gewißheiten zu bedienen. Wir
JOURNAL FÜR PSYCHOLOGIE
DIE ROLLE DER PSYCHOL
geraten in die Position der moralischenInstanz, des »postmodernen Über-Ichs«,das über richtig und falsch entscheiden sollund es indirekt auch tut. Immer wieder wirdgefragt:
Was soll man tun, wenn der Partner michverläßt?Wie oft ist es für ein Paar richtig, miteinander zu schlafen?Wie häufig soll man als verheiratete Fraudie beste Freundin sehen?Wie erhält man eine Ehe sexuell interessant?
Sich dem hysterischen Fragemodus der Lösung sofört zu unterwerfen, stellt dabei einevon den Medien verordnete Notwendigkeitdar. Wenn wir immer nur Fragen aufwerfenund die Problematisierung vorantreiben,werden wir nicht mehr eingeladen. So gerieren wir uns als Alles- und Besserwisser.
ZUR IllUSTRATION DAS NEGATIVSTE UNS BE
KANNTE BEISPIELEine Kollegin berichtet hocherfreut, daß siejetzt auch beim Fernsehen arbeitet. Siewurde angefragt, bei einer daily Talk-Showzum Thema »Kuckuckskinder« mitzuwirken. Es sollte um Kinder gehen, die mit derfalschen Gewißheit über die Identität ihresVaters leben. Live auf dem Sender, vor laufender Kamera sollte nun einem 15jährigenJungen mitgeteilt werden, daß er nicht derSohn seines Vaters ist. Der Sender möchte,daß die Kollegin sich nach der Sendung umden Jungen kümmert, und verspricht, für dieeventuell entstehenden Therapiekosten geradezustehen. Ihr Ehemann wird gleich mitengagiert, um die psychische Betreuungder sich outenden Mutter zu übernehmen.
Solch eine Sendung läßt sich als Mediensadismus beschreiben, denn wissentlich wirdpsychisches Leid von Menschen in Kauf genommen, um der Sendequoten willen. DerSender weiß um die zerstörerische Kraftdieses Settings, sonst würde er nicht groß-
5. JAHRGANG, HEFT 1
zügig die Therapiekostenübernahme in Aussicht stellen. Die Kollegin schwärmt jedochrecht ungebrochen von der Wichtigkeit,dem Jungen endlich reinen Wein über seine wahre Existenz einzuschenken, ein Kindhabe schließlich ein Recht darauf zu erfahren, wer sein leiblicher Vater sei. Dies Ereignis kommt dem amerikanischen Fernsehalltag recht nahe. Die exhibitionistischenWünsche der Talkgäste werden genutzt, um»Erlebnisfernsehen« zu produzieren, dessen Folgen für die Teilnehmer der Sendungen nicht überschaubar sind.
Die Talkgäste stellen oft eine Art Übertragungsbeziehung zur Institution Fernsehenher, nach dem Motto: »Der große Vaterwird es richten«. Der Auftritt in einer Talkshow wird z.B. als Waffe im Scheidungskrieg benutzt. Der Partner soll in aller Öffentlichkeit diffamiert und dadurch sozialisoliert werden. Pfarrer Fliege steht alsmächtiger Bündnispartner zur Seite. DieInszenierung seitens der großen Fernsehsender geht auf. Schutz, Parteilichkeit mitden »Kleinen« gegen die »Großen« wirddurch künstliche Empörung hergestellt undVerständnis durch die Medien suggeriert.Zum Teil wird sogar finanzielle Hilfe angeboten (z.B. Fliegefond) und das Desasterriskanter Lebensführung gemildert. DerFernsehsender wird zum großen Bruder,zum persönlichen Vertrauten, der kommentiert, bewertet und jederzeit Rat weiß.
Im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen,für eine Zeitspanne wichtig zu sein und versorgt zu werden, kann den Talkgästen eineZeit lang Entlastung gewähren. In der Regelsind sie durch das Setting TV nahezu euphorisiert. Der Preis dafür erscheint jedoch hoch:Weg mit Schamgefühlen und Schmerzgrenzen! Die Talkgäste spüren oft nicht, daß sienichts weiter sind als verdinglichte Quotenbringer. Sie erhalten keinerlei Kontrolle überdas Geschehen und werden mit Scheinsolidarität des großen Senders mit den vomSchicksal Gebeutelten abgespeist. Später
61
,?VA JAEGGI UND HEIDI MÖLLER
dann werden die Talkgäste auf der Straßeangesprochen, müssen damit z,B. in ihrerHausgemeinschaft leben, daß sie sich mitihrer Perversion geoutet haben. Nachträglichstellt sich ein massives Schamgefühl ein,das zuvor, durch das Glücksgefühl, im Fernsehen auftreten zu können, betäubt war.Werden der Ex-Ehemann oder die Elternvor Millionen beschimpft, so tauchen zeitverzögert Loyalitätskonflikte auf, ähnlich,wie wir sie von gewaltsamen Gestaltsessions vor 20 Jahren erlebt haben. Diebefreiende Wirkung des sich "Outens"wirdlediglich vorgegaukelt: "Wie gut, daß wirdar-über gesprochen haben" heißt es meistzum Schluß der Fliegeshow. Er bezeichnetseine Sendung als die größte Selbsthilfegruppe der Nation. Dabei dient die rechtsuggestive Interviewtechnik der Talkmaster11 la Christen, Meiser und Schreinemakerszumeist der Selbstinszenierung der Talkmaster. Sie entwerfen sich als Menschenfreunde, die alles verstehen und denennichts Menschliches fremd ist. Dabei darfeine emotionale Tiefe nur angedeutet werden. Keinesfalls darf tiefes menschlichesLeid zu sehr Raum greifen, dann wird sofortdas Thema gewechselt, um die Angst vonTalkmaster und Zuschauer vor ungezähmterEmotionalität zu bändigen.
WAS SPRICHT FÜR EINE BETEILIGUNG DERPSYCHOLOGEN IN DEN MEDIEN?Auf der anderen Seite ist die Kritik vonHeiko Ernst, dem Chefredakteur von "Psychologie Heute" im 2. Heft des Journals fürPsychologie 1996, ernstzunehmen. Er benennt darin seine Enttäuschung über dieNeue Gesellschaft für Psychologie, weilauch wir uns zu wenig mit Fragen, die dieMenschen wirklich bewegen, beschäftigen.Auch wir bleiben oft Antworten schuldig.Praktiker fühlen sich von uns ebenso imStich gelassen, wie die interessierte Öffentlichkeit. Er mahnt zu Recht, wir sollten unsum gesellschaftliche Probleme kümmern,weil sie immer auch individuell repräsentiertsind. Wir hätten zu wenig getan, die Kluft
62
zwischen Wissenschaft und öffentlichemInteresse zu überbrücken. Wir zeigten zubrisanten gesellschaftlichen Themen wieArbeitslosigkeit, Esoterikboom und Computerkindern zu wenig Flagge. Informationenzu geben, den Erklärungsbedarf der Gesellschaft ernst zu nehmen und Position zu beziehen: das sei unsere originäre (im übrigenauch in der Satzung festgehaltene) Aufgabe.Die Vielzahl der Anfragen ist andererseitsauch Ausdruck eines Machtzuwachses derProfession Psychologie. Es scheint einenWechsel der wissenschaftlichen Vorherrschaft von der Soziologie, die in den 60er,70er Jahren die Referenztheorie der Wahlwar, zur Psychologie zu geben..Tatsache ist,daß wir mit unseren Publikationen zwar lediglich eine kleine Fachöffentlichkeit erreichen, im Fernsehen hingegen von Millionengesehen werden; auch dies stellt eineChance dar, den Transfer psychologischenWissens zu vollziehen.
So ist der Auftritt in den Medien sicherlichvon berufspolitischer Relevanz. Der finanziellen Einschränkungen im Bereich der Gesundheitsförderung, der Abschaffung derFinanzierung der Psychotherapie im Erstattungsverfahren u.v.m., steht auf der anderenSeite ein Boom der Psychologie in den Medien gegenüber, der dafür gesorgt hat, daßPsychotherapie inzwischen eine sehr vielhöhere Akzeptanz erlangt hat als früher. DerGang zum Psychotherapeuten als Methodeder Wahl bei persönlichen Problemen ist nahezu Alltagskonsens geworden.
Psychologen sollen Antworten geben, derWunsch der Öffentlichkeit nach fachlichenHinweisen ist durchaus legitim. Auch alsWissenschaftler sollten wir darauf achten,Fragen zu beantworten, die die Menschenbewegen. Es genügt nicht, wenn wir unsnur mit Themen beschäftigen, die wirselbst als interessant und relevant erachten. Der Psychologendiskurs hat längstEinzug in die privaten Auseinandersetzu","
JOURNAL FÜR PSYCHOLO~
gen gefunden. Da wird heftig (hobby)-analysiert und interpretiert (der hat 'nen Minderwertigkeitskomplex, weil der so klein ist,der hat einen Mutterkomplex etc.l. Begriffewerden loft inadäquat) verwandt, wie zumBeispiel der Ödipuskomplex oder die Verdrängung. Psychologen sollten mithelfen,dem Laien solche Konzepte begreiflich zumachen, damit sie wirklich hilfreich seinkönnen.
Was tun?Es gibt Fragen, die auf den ersten Blicksinnvoll scheinen, zum Beispiel die Frage,(anläßlich von Ausschreitungen bei Fußballspielen) wie Massenhysterien zustandekommen. Vernünftig scheint uns auch dieFrage, was Phobien sind, wie man Depressionen erklären kann oder ob Verhaltenstherapie wirklich besser ist als Psychoanalyse. Andere Fragen - zum Beispiel die nachFreitag dem Dreizehnten - scheinen zwarbanal, können aber durchaus mit psychologischem Fachwissen beantwortet werden.Allerdings sind hier sicher die Frage transzendierende Überlegungen angebracht, z.B.ganz allgemein etwas auszusagen über dieFunktion von Aberglauben, die auch demLaien einiges klarmachen können.
Als eine allererste Faustregel gilt: möglichstkeine Kurzinterviews zu geben. Antwortenauch auf sinnvolle Fragen fallen dabei notwendigerweise verkürzt und daher unverständlich, falsch und mißverständlich aus.Wir haben unsere Wissenschaft in langjährig mühevoller Theorieausbildung undPraxis gelernt, die meisten wirklich wichtigen Fragen sind nicht in ein paar Minuten zubeantworten. Es stellt eine Beleidigung fürunseren Berufsstand dar, wenn uns ein solches Ansinnen gestellt wird. Da die Worte,die wir benutzen, häufig Alltagsworte sind,herrscht bei vielen Laien die Vorstellung vor,man könne alles ganz leicht erklären, verstehen und daher auch recht rasch beheben. Wenn wir aber das Wort "Depression"oder "Angst" verwenden, dann hat dies für
5. JAHRGANG, HEFT 1
DIE ROLLE DER PSYCHOLOG[NtiEI'I,••
uns Psychologen einen Bedeutungshorizont. der von dem vieler Laien recht verschieden ist, und wir müssen erst erklären,wie unser Bedeutungshorizont aussieht.Das aber erfordert Zeit und Geduld beimZuhören. Stimmt man den »Schnell-Antworten" zu, dann können auch sinnvolleFragen recht merkwürdige und mißverständliche Antwort"," hervorrufen.
Die Unterscheidung zwischen sinnvollen,beantwortbaren und unbeantwortbaren Fragen ist nicht ganz leicht. Einige Kriterien lassen sich aber auch hier aufstellen: Ganzsicher sind wir nicht befugt, für Menschen,die in der Öffentlichkeit stehen, irgendweIche Deutungen abzugeben.(»Warum hatDiana Bulimie? Was hat die Therapeutindes Heidemörders bewogen, ihn zu befreien? Sollte Frau Juhnke sich scheiden lassen?,,) Die Interpretation der Lebens- oderLeidenssituation eines konkreten Menschen ist nur aufgrund erfahrungsgeleiteterBefragungen und Beobachtungen des Betroffenen möglich und sollte nur dann erfolgen, wenn dessen Auftrag vorliegt. Allesandere ist unprofessionell und unmoralisch,weil die Intimsphäre des Betroffenen verletzt wird.
Auch Fragen, die angebliche "Trendmeldungen" betreffen, müssen mit Vorsichtbehandelt werden. Rückfragen, woher derangebliche Trend stammt (aus der Kantinedes Senders, ausgekungelt unter Journalisten?) sind unbedingt nötig. Statistikensollten sichergestellt werden, die Problematik statistischer Aussagen muß klargemacht sein, und zwar in bezug auf das Thema. Beispiel: Singles sind kränker als Verheiratete, wie kommt das? Hier müßte die Expertin wissen und erklären, daß solche Aussagen nichts bedeuten, weil diese Aussagen erstens schichtspezifisch unterschiedlich variiert werden müssen, zweitens nachGeschlecht differieren und sich drittens dieFrage nach Henne und Ei stellt, u.ä.m.Die meisten Journalisten möchten ihren un-
63
EvkJAEGGI UND HEIDI MÖLLER\; ""'::., .".
geduldigen Hörern solche Überlegungennicht zumuten und schneiden dies u.U. ausdem Gespräch heraus. Wenn sie aber wollen, daß wirkliche Fachleute ihnen Überlegungen zu diesem Themenkomplex anbieten, dann müssen sie schon Geduld aufbringen. Kein Journalist würde es wagen,einem theoretischen Physiker zuzumuten,auf die Frage: ..Was ist ein Quarks?c< in dreiMinuten zu antworten. Als Psychologln sollte man sich einer Anfrage der Medien nurdann stellen, wenn man sicher ist, daß dieeigene Antwort nicht nur Stammtischpsychologie ist, sondern daß man über wirkliche Kenntnisse verfügt, die über laienhafteAlltagspsychologie hinausgeht. IntelligenteLaien sagen sonst mit Recht: ..Und dazumuß man jahrelang studieren? c<
Alle Fragen, die echte Leidenszustände betreffen, nachgewiesene Trends, die merkwürdig sind, destruktive Phänomene, diedas Leben unter Menschen erschweren,können natürlich von Psychologlnnen (mit)erklärt werden. Aber sie sollten sich dannauf keinen Fall ohne weiteres einlassen aufdie berühmte Frage ..Und was kann mandagegen tun?c<.
Wenn Psychologlnnen die Wissenschaftvom Menschen ernst nehmen, dann wissen sie auch, wie schwer es ist, für echteLebensprobleme Lösungen zu finden, daßLösungen kaum je generellen Charakter haben, daß eine behutsame Exploration deseinzelnen und seiner Mitwelt nötig ist, umeine komplizierte Lebenssituation mit Ratschlägen zu begleiten. So zu tun, als gäbees den Top-Ratschlag, (wie man mit der
64
Untreue des Ehemannes umgeht, was mantut, wenn der Partner vor dem Geschlechtsverkehr Windeln benutzen will) bedeuteteine Diffamierung unseres Berufes unddessen, was wir in mühevoller Arbeitgelernt haben.Was aber, so wird man fragen, ist EureWissenschaft wert, wenn Ihr keine Ratschläge geben könnt? Sie wird nicht mehrwert, wenn wir so tun, als wüßten wir füralles einen probaten Rat. Der Verbraucherweiß ziemlich bald, daß er mit billigem Trostund unhandlichen Worten abgespeist wird.Wir werden sehr viel mehr wert sein, wennwir uns und unseren Fragestellern klarmachen, daß vor dem Handeln die Reflexionkommt; daß die Aufklärung eines komplexen psychischen Tatbestandes wichtiger istals das Aufzeigen sofortiger Handlungsmöglichkeiten, die sowieso fast immer dereinzelne für sich finden muß. Eine sorgfältige Aufklärung über bestimmte Phänomeneist ein wichtiger Schritt davor. Mehr könnenwir nicht leisten. So zu tun ..als ob<<: das istBetrug und Bauernfängerei und übrigenssehr schnell zu durchschauen. Dies nütztniemandem, außer den Journalisten, diegerne ein Happy-End in ihre Sendungenoder Artikel einbauen. Dieses aber solltenwir ihnen nicht gönnen.
LiterllturGOLDNER, COLIN (1996): Meiser, Fliege & Co:Ersatztherapeuten ohne Ethik, Psychologie Heute,6, S. 20-27SEEL, HANS-JÜRGEN & SICHLER, RALPH (1996):
Person und Wissenschaft im Gespräch mit HeikoErnst. Chefredakteur der Zeitschrift »Psychologieheute., Journal für Psychologie, 2, S. 61-73.
JOURNAL FÜR PSYCHOLOGIE