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Die Seele von Hazrat Inayat Khan (Leseprobe)

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In „Die Seele – Woher und Wohin“ beschreibt Hazrat Inayat Khan den Weg der Seele, die sich als ein Lichtstrahl aus der Einheit Gottes löst, sich ein Gewand aus Gedanken und Gefühlen zulegt und dann einen physischen Körper, um den Zweck der Schöpfung zu erfüllen, alles mit göttlichem Bewusstsein zu durchdringen. Dann kehrt sie reich an Erfahrungen und ihrer selbst bewusst zu ihrem Ursprung zurück. Hazrat Inayat Khan hat diese Vorträge 1923 gehalten. Sie werden ergänzt durch Fragen der Zuhörer nach dem Gesetz der Schwingungen, nach Magnetismus, Reinkarnation, Begegnung mit Engeln und nicht zuletzt dem Sinn des Lebens. Seine Antworten zeigen uns, dass Mystik und Naturwissenschaft, Religion und Musik aus derselben Quelle stammen. „Die Seele hat keine Geburt und keinen Tod, keinen Anfang und kein Ende. Weder kann Weisheit sie öffnen, noch kann Unwissenheit sie verdunkeln. Sie ist immer gewesen, und sie wird immer sein." Weitere Informationen: www.verlag-heilbronn.de

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Hazrat Inayat Khan

Die Seele - Woher und Wohin

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Hazrat Inayat Khan (1882 – 1927)

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Hazrat Inayat Khan

DIE SEELEWoher und Wohin

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Titel der englischen Originalausgabe:„The Soul – whence and whither“© East-West Publications, 1984© Text: Nekhbat Foundation, Suresnes, 1984ISBN 0-85692-134-3

Complete Works Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan, Original Texts: Lectures on Sufism1923 II: July – December, Source Edition© East-West Publications, 1984ISBN 90-70104-78-4(Übers.: Aeoliah-Christa Muckenheim u. Katharina Hess)

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Khan, Hazrat Inayat:Die Seele – Woher und WohinHazrat Inayat Khan. – Heilbronn: Verl. Heilbronn, 2003Einheitssacht.: The wisdom of Sufism <dt.> ISBN 3-923000-98-7

0292 deutsche bibliothek

Verlag HeilbronnPostfach 2162, 71370 Weinstadt

Verkehrsnummer 14894ISBN 3-923999-98-7© 1. Aufl. by Verlag HeilbronnAlle Rechte vorbehalten

Gestaltung: Wajad E. Grünwald, Hagen

Gesamtherstellung:Druckerei Wolf, 74604 Öhringen

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Inhalt

Vorwort 6

Leitgedanke 9

Einführung 11

Teil 1Die Seele auf dem Weg zur Manifestation 17Kapitel 1-13

Teil 2Die Manifestierte Seele 79Kapitel 14-34

Teil 3Die Seele auf ihrem Weg zum Ziel 167Kapitel 35-47

Schluss 218

Fußnoten 222

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Vorwort

„The Soul - Whence and Whither“ – „Die Seele - Woher und Wo-hin“ ist der Titel einer Reihe von Vorträgen, die Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan 1923 in Suresnes in Frankreich während der Sommerschule der Sufi - Bewegung hielt. Zwischen dem 2. Juli und dem 1. August 1923 hielt Hazrat Inayat Khan zehn Vorträge über „the body“, „the mind“ und „the soul“ (den Körper, das Gemüt und die Seele) unter der Hauptüber- schrift „Metaphysik“. Am 10. August 1923 begann er drei Reihen von Vorträgen mit den jeweiligen Titeln: „Die Seele auf dem Weg zur Manifestation“, „Die manifestierte Seele“ und „Die Seele auf ihrem Weg zum Ziel“, die zu Teil 1, 2 und 3 von „Die Seele - Wo-her und Wohin“ wurden, wobei die Vorträge über „Metaphysik“ im zweiten Teil eingefügt wurden. Diese Reihen wurden am 19. September, dem letzten Tag der Sommerschule, abgeschlossen, als er das vortrug, was zur Einführung und zur abschließenden Zusam-menfassung dieses Werks wurde. Im Mai 1924, kam die erste Aus-gabe des Buches mit dem Titel „The Soul - Whence and Whither“ heraus. Die Grundlage des Textes waren Mitschriften verschiedener Zuhörer, die von Hazrat Inayat Khan überarbeitet und ergänzt wur-den. In den ersten zwei veröffentlichten Fassungen des Buches wa-ren keine Fragen und Antworten enthalten, aber einige davon er-schienen in den Ausgaben der Zeitschrift „Sufismus“ in den Jahren1923 und 1924, die von Frau E. M. Green herausgegeben wurde. Genaue und vollständige Aufzeichnungen der Fragen und Antwor- ten sind oft nicht erhältlich, denn während Hazrat Inayat Khans gesprochene Worte während seiner Vorträge genau nieder- geschrie-ben werden konnten, war dies beim Austausch der Fragen und Ant-worten nicht immer der Fall. Der hier vorliegenden deutschen Übersetzung liegt hauptsäch- lich die neueste Ausgabe der Nekbakht Stichting Foundation, er-schienen bei East-West-Publications 1988, zugrunde. Diesen Text ergänzten wir mit der Ausgabe von East-West-Publications 1984. Einige Fragen und Antworten, die nicht direkt im Zusammenhang

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mit dem Thema stehen, haben wir dabei ausgelassen. Die Num-merie- rung der Kapitel entspricht dem, wie die Vorträge gehalten worden sind, was auch durch das angefügte Datum sichtbar wird.Für Hazrat Inayat Khan war Sprache Musik, und in den Worten sah er verborgene Musik. Wir haben diese Musik soweit wie möglich in die deutsche Sprache übernommen.

Für das englische Wort „mind“, verwandt mit dem Sanskritwort„manas“, gibt es im Deutschen kein entsprechendes Wort. DieBedeutung reicht von Gemüt, Denken und Fühlen, Verstand, Geist,Bewusstsein bis hin zu Herz. Eigentlich ist es die Fähigkeit zu den-ken und zu fühlen. Wir haben uns entschlossen, es je nach Zusam-menhang mit einem dieser Begriffe zu übersetzen.Das von Hazrat Inayat Khan benutzte Wort „Zentren“ bedeutet „Chakren“. Dieser Begriff war 1923 in Europa noch weitgehend unbekannt. Wir haben das Wort „Zentren“ wörtlich übersetzt,allerdings in diesem Zusammenhang „head“ oder „head-center“ mit„drittes Auge“ übersetzt.

Die Geschichte der Seele, die in diesem Buch erzählt wird, muss im wesentlichen von unserer Seele verstanden werden. Was ist unse-re Seele? Hazrat Inayat Khan versucht, dies verständlich zu machen, aber um unsere Seele zu erkennen, müssen wir durch einen Prozess gehen, in dem die vielen Schleier gehoben werden, unter denen wir sie verborgen haben. Das ist die ganze Übung der Sufis, und das wird in allen Lehren von Hazrat Inayat Khan erklärt.

Aeoliah-Christa Muckenheim

Weinstadt, im Oktober 2003

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Pir-o-MurshidHazrat Inayat Khan

Die Seele

Woher und Wohin

Die Seele hat keine Geburt, keinen Tod, keinen Anfang, kein Ende.

Sünde kann sie nicht berühren und Tugend nicht erhöhen.

Weder kann Weisheit sie öffnen,noch kann Unwissenheit sie verdunkeln.

Sie ist immer gewesen, und sie wird immer sein.Dies ist das wahre Sein des Menschen,

und alles andere ist sein Schleier,wie ein Schirm über dem Licht.

Die Entfaltung der Seele geschiehtaus ihrer eigenen Kraft,

die im Durchbruch durch die Verbindungender niederen Ebenen endet.

Sie ist von Natur aus frei und sucht nach Freiheitwährend ihrer Gefangenschaft.

Alle Heiligen der Welt sind so geworden,indem sie die Seele befreit haben,ihre Freiheit ist das einzige Ziel,

das es im Leben gibt.

Hazrat Inayat Khan in: Metaphysik

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Einführung

19. September 1923

Was existierte vor der Manifestation? Zat, die Essenz des Seins, das wahrhaft Existierende, das Einzig Seiende. In welcher Form? In kei- ner Form. Als was? Als nichts. Die einzige Definition, die Worte ge-ben können, ist: das Absolute. In der Sufi-Terminologie wird diese Existenz ahadiat genannt. Aus diesem Absoluten heraus wuchs Bewusstsein, das Bewusst-sein der Existenz. Ausser Seiner Existenz gab es nichts, dessen sich das Absolute bewusst sein konnte. Diese Stufe wird wahdat genannt. Aus diesem Bewusstsein der Existenz heraus entwickelte sich ein Gefühl, das Gefühl, dass „ich” existiere. Diese Entwicklung bildete das Ego, den Logos, was von den Sufis wahdaniat genannt wird. Mit dem Gefühl von Ich-heit zog sich die dem Absoluten innewohnende Kraft sozusagen zusammen, mit andern Worten, sie konzentrierte sich auf einen Punkt. So bildete die alles durchdrin-gende Strahlung ihr Zentrum, das Zentrum, das der Heilige Geist ist oder das Licht; in der Sufi - Terminologie wird es arwah genannt. Dieses zentrierte Licht teilte dann die Existenz in zwei Formen: Licht und Dunkelheit. Tatsächlich gibt es so etwas wie Dunkel-heit nicht, es hat nie Dunkelheit gegeben. Es gibt nur mehr Licht verglichen mit weniger Licht. Diese beiden - Licht und Dunkel-heit - bildeten akasha, oder in der Sufi - Terminologie asman, ei-nen Raum, eine Form. Das Phänomen von Licht und Schatten, das durch diese Form wirkt, brachte in der Manifestation viele Räume hervor, asmans oder akashas. Jeder Schritt der Manifestation führ-te zu einer Vielfalt von Formen, die aus verschiedenen Substanzen bestehen, die während des Verwandlungsprozesses des Geistes in Materie hervorgebracht werden. Die Wirkungsweise dieses Prozes-ses ent- spricht dem Gesetz der Schwingung, die das Geheimnis der Bewegung ist. Das ist die Ebene der festen Formen der Natur, die von den Sufis ajsam genannt wird. Aus diesen Formen heraus entwickelten sich nach und nach

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aus dem Mineralreich das Pflanzenreich, aus dem Pflanzenreich das Tierreich und aus dem Tierreich die Menschheit, insan. So besorg-ten sie für den göttlichen Geist - arwah - die Leiber - ajsam -, de-ren er von der Zeit an bedurfte, da er sich selbst auf einen Punkt konzentrierte und von dort seine Strahlen als verschiedene Seelen ausbreitete. Ausser dem Phänomen der vier Elemente: bad - Luft, atesh – Feuer, ab - Wasser, khak - Erde, gibt es eines, den Äther, der Ur-sprung und Ziel aller Elemente ist, der fünf aus ihnen macht. Diese Elemente haben in Einklang miteinander und gegeneinander ge-wirkt, um die Ergebnisse hervorzubringen, die von der göttlichen Weisheit, die hinter ihnen wirkt, erwünscht sind. In jeder akasha oder asman sind sie mehr oder weniger gegenwärtig. Eines kann ohne das andere nicht existieren, miteinander bringen sie das fünfte hervor. Auf diese Weise fand die ganze Manifestation als ein all- mählicher Entwicklungsprozess statt. Die Manifestation erfüllt die Hälfte ihrer Aufgabe mit der Er-schaffung des Menschen, in dem die Weisheit geboren wurde, alles auf der Erde zu ihrem Besten zu kontrollieren und zu nutzen. Im Menschen ist das Ziel der Manifestation ganz und gar erfüllt, be-sonders in einem solchen, der sich auf seiner Rückreise dieses Ziels mehr und mehr bewusst wird, indem er seinen Blick weitet und ein erfüllteres Leben lebt - der Mensch, der die Stufe der Verwirk-lichung erreicht hat, die Göttlichkeit genannt wird und in der die Erfüllung des Ziels der ganzen Manifestation liegt. So werden von den Sufis sechs klar bestimmte Schritte in Rich-tung auf die Manifestation erkannt. Die ersten drei werden tanzi genannt und die nächsten drei tashbi. Die ersten drei sind nicht wahrnehmbar, die nächsten drei sind unterscheidbar.

Frage: Ist nicht der erste Zustand von Bewusstsein, der unbewusst ist, unmöglich für den menschlichen Verstand zu begreifen?

Antwort: Das ist sicherlich richtig, aber die Seele hat die Mög-lichkeit, ihn zu verstehen. Wenn dem nicht so wäre, hätte die Offenbarung nicht stattfinden können. Offenbarung ent- steht nicht nur als eine Inspiration, sondern als eine Erfahrung der Seele, das ist ihr Sinn. Deshalb ist es für den Verstand unmög-

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lich, sie zu verstehen, aber für die Seele ist sie ihre eigene Er-fahrung.

Frage: Aus welcher Sprache kommen die Worte „zat, bad und khak”?

Antwort: Sie kommen ursprünglich aus dem Hebräischen, wur- den dann ins Arabische und Persische übernommen und von den alten Sufis verwendet.

Frage: Welches ist die deutlich erkennbare Stufe der Schöpfung, in der Gott dem Menschen seinen Atem einhauchte?

Antwort: Das ist jene deutlich erkennbare Stufe der Schöpfung, die von den Sufis als insan erkannt wird, was gerade erwähnt wurde. Das war die Zeitspanne, als Adam geboren wurde, als die Schöpfung des Menschen stattfand.

Frage: Existierte das Wesen Gottes nicht vor der Manifestation als eine Trinität in Einheit?

Antwort: Vor der Manifestation existierte das Wesen Gottes als alles, alles war in ihm: Einheit, Trinität, Dualität, Nicht-Dua-lität, aber nicht klar unterschieden. Wenn es nicht da gewesen wäre, wie hätte es dann in Erscheinung treten können? Es exis-tierte alles, aber dahinter und darüber - was existierte? Gott, das Einzig Seiende. Die Kenntnis von zwei, drei, vier oder fünf ist für uns, zu unserem Wohl, um uns zu helfen, die Dinge bes- ser zu verstehen, aber die wahre Kenntnis ist die Kenntnis von Einheit, vom Einen, vom Einzig Seienden.

Frage: Waren die vier Elemente Teil der Manifestation oder Teil des Lebens des Einzig Seienden?

Antwort: Sie sind alle das Ergebnis. Dualität ist das Ergebnis der Manifestation. Im Ursprung ist nur Einheit, Einssein. Alle Zweiheit in jeglicher Form ist Manifestation.

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Frage: Wir hören, dass über sie gesprochen wird als große Wesen.

Antwort: Diese vier Kräfte sind große Kräfte, die durch alle Ebenen der Existenz hindurch wirken und dabei in vielfältiger Form ihre Rolle spielen.

Frage: Da Denken Bewegung und mentale Tätigkeit erfordert, ist es schwierig, sich vorzustellen, wie es vor der Manifestation im Ab-soluten wuchs.

Antwort: Im Absoluten wuchs kein Denken. Bewusstsein war seine Neigung, die in ihm war, in seinem Wesen. Dieses Be-wusstsein erwachte, ebenso wie ein Mensch, der schläft. Es ist seine Natur zu erwachen, er erwacht aus dem Schlaf. Das Erwa-chen war der erste Impuls zur Manifestation hin. Dieser klare Impuls wird wahdat genannt. Aber diese zwei klaren Ebenen zu verstehen, ist ziemlich schwierig, weil der Unterschied zwischen wahdat und wahdaniat sehr fein und subtil ist. Bewusst werden ist das eine; sich seiner selbst bewusst werden ist etwas anderes. Wenn ein Schlafender nur ein wenig erwacht, wird ein leises Geräusch ihm sagen, dass da etwas los ist. Und doch ist er noch nicht seiner selbst bewusst. Das kommt, wenn er wacher ist.

Wahdat bedeutet: als das Absolute bewusst wurde.

Wahdaniat bedeutet: als das Absolute voll erwachte und SeinWesen fühlte als „Ich bin”. Diese Handlung brachte die Kraft des Einatmens hervor, die Kraft, sich selbst zusammenzuzie-hen. Sobald Er dachte: „Ich bin”, wurde Er für Sich Selbst eine bewusste Existenz als „Ich bin”. Deshalb ist es der Logos.

Frage: Sind nicht alle fünf Elemente in ihrer Essenz farblos? Antwort: In der Essenz ist alles farblos. Je näher man der Essenzkommt, um so weniger Farbe gibt es. Aber in der äußeren Weltwerden sie durch Farben unterschieden.

Frage: Hat die Manifestation im ganzen Universum denselben Punkt in der Evolution erreicht, oder gibt es verschiedene Stadien der Manifestation zur selben Zeit und am selben Ort?

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Antwort: Ja, es gibt verschiedene Stadien an verschiedenen Or-ten. Einige sind weiter entwickelt, einige weniger weit.

Frage: Gab es je eine Zeit, in der es kein Bewusstsein für das abso-lute Sein Gottes gab, keinerlei Leben irgendwo?

Antwort: Stilles Bewusstsein. Wir können stilles Bewusstsein nicht kein Bewusstsein nennen. Wenn es kein Bewusstsein ge-geben hätte, hätte es nie ein Bewusstsein geben können. Die Entwicklung des Bewusstseins des Einzig Seienden brachte das Selbst-Bewusstsein hervor. Aus dem tiefen Bewusstsein wuchs das Einzig Seiende und kam zum Selbst-Bewusstsein.

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Seelen sind Strahlen dieser Sonne, die im Sanskrit Brahma genannt wird. Die Natur des Strahls ist es, sich auszubreiten und zusammenzu-ziehen, zu erscheinen und zu verschwinden. Wenn wir das Licht und die Flammen studieren, werden wir ent-decken, dass nicht alle Strahlen gleich weit reichen. Einige reichen sehr weit, einige bleiben dicht bei der Flamme. Jeder Strahl, ob groß oder klein, hat eine unter- schiedliche Reichweite. Die Seele ist ein Strahl der Sonne, die der Unendliche Geist ist. Der Strahl ist eine Handlung der Sonne, die der Strahl selbst ist. Er offenbart sich und kehrt zurück, so wie der Mensch ein- und ausatmet.

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Teil I

Die Seele auf dem Weg zur Manifestation

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Kapitel 1

10. August 1923

Der göttliche Geist ist den Mystikern aller Zeiten als die Sonne bekannt, und deswegen wurde die Sonne in allen alten mystischen Symbolen als Zeichen Gottes dargestellt. Diese Auffassung hilft uns, in der Kenntnis der Metaphysik weiterzukommen. Die Sonne ist jener Aspekt des absoluten Gottes, in dem Er beginnt sich zu mani- festieren, und Sein erster Schritt in die Manifestation ist jene Zusammenziehung, die in allen Lebewesen und in allen Dingen zu sehen ist. Zusammenziehung ist das erste, was stattfindet, und dann Ausdehnung. Die erste Neigung ist der Wunsch einzuatmen und die spätere auszuatmen. Die Zusammenziehung und Ausdehnung, die in allen Aspekten des Lebens zu sehen sind, kommen von Gott selbst. Das allgegenwärtige Licht wurde durch diese Neigung kon-zen- triert; dieses konzentrierte Licht der Intelligenz wird von den Mystikern als Sonne erkannt. Shams-i-Tabriz erwähnt das in seinen Versen: „Als die Sonne Seines Antlitzes gewahr wurde, begannen die Atome beider Welten in Erscheinung zu treten, so wie Sein Licht niederfiel; und jedes Atom wurde geschmückt mit einem Namen und einer Form.” Die Hindus haben das im Vedanta chaitanya ge-nannt, den Geist oder das Licht Gottes. Im Koran wird es erwähnt: „Wir haben dein Licht aus Unserem Licht erschaffen, und aus die-sem Licht haben wir das ganze Universum erschaffen.” Einfach ausgedrückt erklärt dies, dass es, als es nichts gab - keine Form, keinen Namen, keinen Menschen, keinen Gegenstand -, In-telligenz gab; und die Zusammenziehung dieser Intelligenz brachte ihre Essenz in eine Form von Licht, die der Göttliche Geist genannt wird, und die Ausdehnung desselben Lichtes war die Ursache der ganzen Manifestation. Einfach ausgedrückt: Manifestation ist die Ausatmung Gottes, und was von den Hindus laya genannt wird - Zerstörung oder das Ende der Welt -, das ist die Einatmung Gottes. Der göttliche Geist breitet sich aus; das nennen wir Manifestati-

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on, die vielfältige Namen und Formen enthält; und Gott zieht Sich Selbst zusammen, was von der Menschheit gefürchtet wird und Zerstörung genannt wird. Deswegen tadeln viele Menschen Gott, manche verurteilen ihn, und manche finden es von Gottes Seite aus unfair, zu erschaffen und zu zerstören. Aber für Gott, der das Einzig Seiende ist, ist das die natürliche Voraussetzung unter der Er ewig lebt. Der Anfang und das Ende der Welt ist nur Sein einer Atem, der unendlich viele Jahre lang dauert. Während dieses einen Atems wurden Myriaden von Wesen geboren, lebten und starben und erfuhren diese Welt und jene Welt, den Himmel und den entgegengesetzten Ort, in ihrer ganzen Fülle. Seelen sind daher Strahlen dieser Sonne, die im Sanskrit Brahman genannt wird. Die Natur des Strahls besteht darin, sich auszudeh-nen und sich zurückzuziehen, zu erscheinen und zu verschwinden, und die Dauer seiner Existenz ist kurz verglichen mit der Dauer des ewigen Gottes, des göttlichen Geistes. Es gibt Lebewesen, kleine Keime, Würmer und Insekten, die nicht länger als einen Augen-blick lang leben, und es gibt andere Wesen, deren Leben hundert Jahre lang währt, und manche Wesen leben noch länger. Und doch ist das, auch wenn es tausend Jahre wären, ein Augenblick vergli-chen mit der Ewigkeit. Die Zeit, die der Mensch kennt, ist in erster Linie erfasst durch die Kenntnis seiner eigenen physischen Konstitution. Das Sanskrit-wort pala, was Augenblick bedeutet, kommt vom Puls, der schlägt, vom Pulsieren. Diese Kenntnis hat sich bis zu einem gewissen Maß erweitert durch das Studium der Natur, den Wechsel der Jahreszei-ten und die Runden, welche die Erde um die Sonne dreht. Dadurch haben die Menschen ihre Vorstellung von Zeit vervollständigt. Vie-le möchten das göttliche Gesetz begrenzen auf die von Menschen gemachte Zeitvorstellung, und sie spekulieren darüber. Aber die Neigung des Mystikers geht dahin, sein Haupt tief in Anbetung zu beugen, wenn ihm der Gedanke an das ewige Leben Gottes, des Einzig Seienden, in den Sinn kommt. Anstatt nach dem Warum und dem Wie zu fragen, versenkt er sich in die Betrachtung des We-sens Gottes, und so wächst sein Bewusstsein über die Begrenzungen von Raum und Zeit hinaus; dadurch befreit er seine Seele, indem er sie in göttliche Sphären hebt.

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Frage: Welche Beziehung hat die Zerstörung der Form während derManifestation zum großen Atem? Beeinflusst es ihn überhaupt?

Antwort: Nein, es beeinflusst den großen Atem nicht, ausser als ein Schatten, der in der göttlichen Sonne widergespiegelt wird und sein Spiegelbild auf jedes Lebewesen wirft. Wenn zum Beispiel ein Mensch stirbt, fühlt das jede Seele in der Welt, einige bewusst, die meisten unbewusst, entsprechend ihrer Nähe oder Entfernung zu dieser einzelnen Seele. Aber dies raubt dem göttlichen Geist nicht seine Kraft und Weisheit, so wie Ebbe und Flut des Meeres nicht von den Wellen beeinflusst werden, ob die Welle nun diesen Weg nimmt oder jenen. Aber die Manifestation ist dieselbe, die ganze Manifestation hindurch vom Anfang bis zum Ende und von Gott bis zum kleinsten Atom. So wie zum Beispiel Gott atmet, atmen auch wir und auch die Tiere und die Vögel. Die Wissenschaft hat jetzt den Beweis erbracht, dass die Bäume denselben Atem von Ebbe und Flut atmen. Wenn man sieht, dass dieses Zusammenziehen und Ausdehnen im ganzen Universum in derselben Weise weitergeht, wie sie begon-nen hat, sieht man, dass es in der ganzen Schöpfung - mit ihren ver-schiedenen Aspekten und Unterschieden, die es in der Natur und im Charakter von Dingen und Wesen gibt - ein Gesetz und eine Art gibt, in der die ganze Schöpfung stattfindet und ihrem Ende entgegengeht.

Frage: Können Sie näher erklären, warum Gott ein- und ausatmet? Antwort: Ja, täte er es nicht, könnte die Welt nicht existieren. Die Voraussetzung von Existenz ist Einatmung und Ausatmung. So existiert auch Gott, nur ist Seine Einatmung das Ende der ganzen Schöpfung. Wir sagen, dass uns damit Schaden zugefügt wird, aber ist es unfair, wenn wir atmen? Es mag unfair sein für viele klei-ne Keime; solche Leben werden zerstört wird, während wir atmen. Auch gibt es Leben, die durch unseren Atem erschaffen werden. Es wird eine Zeit kommen, wo die Wissenschaft herausfinden wird, dass der Atem des Menschen die Fähigkeit hat zu erschaffen - nicht nur Atmosphäre sondern auch Leben. Er ist ein lebendes Wesen. An der Wurzel dieses Geheimnisses wird man den Grund aller Krank-heiten finden.

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Atem als ein lebendes Wesen ist schöpferisch. Die Wissenschaft findet jetzt heraus, dass es hinter jeder Krankheit einen Krankheits-erreger gibt. Es wird eine Zeit geben, wo man herausfinden wird, dass Ein- und Ausatmung die Ursache jeder Krankheit ist. So wie Gott erschafft, so erschafft auch der Mensch durch seinen Atem.

Frage: Welcher Unterschied besteht zwischen dem, was Gott einatmet und dem, was er ausatmet?

Antwort: Der Unterschied besteht im Charakter, in der Natur. Sei-ne Ausatmung ist schöpferisch, Seine Einatmung ist zerstörend. In Worten der Hindus: Seine Einatmung ist Shiva, Seine Ausatmung ist Brahma.

Frage: Geschieht die Zerstörung am Ende der Einatmung plötzlich oder allmählich?

Antwort: Allmählich, genau wie wir allmählich ein- und ausatmen. Am Ende des Atems ist die Zerstörung beendet. Ein Bild dafür kann man im Leben sehr großer Kobras sehen. Es gibt Geschichten von Menschen, die sehr große Kobras gesehen haben, in deren Maul sogar eine Kuh oder ein Büffel Platz hatte. Einmal im halben Jahr oder im Jahr, wenn sie hungrig sind, müssen sie nur ihr Maul öffnen und Atem holen, und wenn eine Kuh da ist, wird sie angezogen und geht in das Maul der Kobra hinein. Die Kobra frisst sie und schläft dann ein halbes Jahr oder ein Jahr lang. Das ist eine Legende oder eine Geschichte. Ich selbst habe beobachtet, wie eine große Kobra ein Huhn ge-fressen hat, nicht in Teilen, ganz auf einmal! Man würde nicht den-ken, dass eine Kobra ein ganzes Huhn fressen kann. Die Macht der Kobra ist groß, weil sie meditativ ist. In allen mystischen Symbolen ist die Kobra zu einem mystischen Zeichen gemacht worden, weil es so vieles gibt, was man vom Leben einer Kobra lernen kann. Sie fastet lange Zeit, weil sie sich daran gewöhnen muss. Sie ist nicht gierig wie ein Hund, sie läuft ihrem Futter nicht nach, sie zieht Futter an. Außerdem ist die Geduld der Kobra wunderbar. Es ist dasselbe Bild. Deshalb haben die Mystiker es in ihrer alten Mystik

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als Symbol benutzt. Die ganze Manifestation wird vom göttlichen Geist angezogen. Im Koran wird gesagt: „Alles kommt von Gott, und alles wird zu ihm zurückkehren.”

Frage: fehlt

Antwort: Wenn die Schlange den Schwanz in ihrem Maul hat, be-deutet das Vollkommenheit. Mensch und Gott sind die beiden En-den dieser Linie.

Frage: Sie erwähnten Zusammenziehung und Einatmung zusam- men?

Antwort: Die Wirkung der Einatmung hat eine Wirkung auf das Herz sich auszudehnen, und wenn man ausatmet, besteht die Wir-kung darin, sich zusammenzuziehen. Aber um die Wahrheit zu sagen: die Wirkung ist das Ergebnis, sie ist nicht die Aktion. Die Aktion der Zusammenziehung bewirkt das Einziehen des Atems, und die Ausdehnung bewirkt das Gegenteil. Wir atmen aus, was wir einatmen. Wenn wir einatmen und uns in eine bessere Verfassung bringen, würde unsere Ausatmung heilend werden. Wenn zum Beispiel ein Mensch Rache nehmen oder jemandem Schaden zufügen will, wird sein Atem, indem er einatmet, zu Gift. In seinem Atem hat er schon zahllose Krankheits-keime erschaffen, die sein eigenes Leben zerstören werden und das Leben jener, die in seine Atmosphäre gelangen. Man denke auch an jene, die zu Freundlichkeit und Liebe neigen, deren Ziel Güte ist und die gute Gedanken haben. Ihre Einatmung und Ausatmung wird erhebend und heilend sein. Wo sich ihre Schwingungen aus-breiten, wird ihre heilende Atmosphäre herrschen.Atem ist nicht nur physisch, er berührt den tiefsten Teil unseres Seins. Was wir kennen, ist nur die Ein- und Ausatmung, die wir durch die Nasenlöcher fühlen. Das ist nicht Atem. Atem ist die Kraft, die unser Leben ausmacht und die den Körper mit Geist und Seele verbindet. Atem ist in der Tat eine Gebetskette.

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