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Forschungsbereich Arbeitsmärkte, Soziale Sicherung und Personalmanagement Dossier Nr. 9 Die soziale Pflegeversicherung in der Krise – Reformvorschläge im Überblick Mannheim, 22. September 2005 Sarah Widmaier ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH www. zew.de

Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

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Forschungsbereich Arbeitsmärkte, Soziale Sicherung und Personalmanagement

Die soziale Pflegeversicherung in der Krise – Reformvorschläge im Überblick

Mannheim, 22. September 2005

dmaier

ZEWZentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH

www. zew.de

Dossier Nr. 9 Sarah Wi

Page 2: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG……………………………………………………………………………1

2. DIE SOZIALE PFLEGEVERSICHERUNG…………………………………………..2 2.1 Finanzierung ................................................................................................................ 2 2.2 Leistungsempfänger ......................................................................................................... 2 2.2.1 Feststellung der Pflegebedürftigkeit........................................................... 3 2.2.2 Einteilung in Pflegestufen .......................................................................... 4 2.3 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit ................................................................................. 5 2.3.1 Leistungen im häuslichen Bereich.............................................................. 5 2.3.1.1 Pflegesachleistung ..................................................................... 5 2.3.1.2 Pflegegeld .................................................................................. 6 2.3.1.3 Kombination von Sach- und Geldleistung................................. 7 2.3.1.4 Verhinderungspflege ................................................................. 7 2.3.1.5 Tages-/Nachtpflege.................................................................... 8 2.3.1.6 Kurzzeitpflege ........................................................................... 8 2.3.1.7 Pflegehilfsmittel und technische Hilfen .................................... 9 2.3.2 Leistungen im stationären Bereich ............................................................ 9 2.4 Beteiligte Institutionen und deren Aufgaben ................................................................ 10 2.4.1 Länder....................................................................................................... 10 2.4.2 Pflegekassen ............................................................................................. 11 2.4.3 Pflegeeinrichtungen.................................................................................. 11 2.5 Qualitätskontrolle der Pflege ......................................................................................... 12 2.5.1 Ziele.......................................................................................................... 13 2.5.2 Ebenen der Qualität .................................................................................. 14

3. PROBLEMLAGE………………………………………………………………………14 3.1 Demographische Entwicklung ....................................................................................... 14 3.2 Finanzielle Entwicklung ................................................................................................ 16

4. REFORMVORSCHLÄGE………………………………………………………………17 4.1 Rationalisierungsvorschläge im bestehenden System.................................................... 18 4.1.1 Personengebundenes Budget .................................................................... 18 4.1.1.1 Trägerübergreifendes Budget ................................................... 19 4.1.1.2 Integriertes Budget ................................................................... 20 4.1.2 Die Bürgerversicherung .......................................................................... 20 4.1.3 Sachverständigenrat im Gesundheitswesen............................................. 21 4.2 Mischformen aus umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Systemen ........................ 22 4.2.1 Rürup Kommission.................................................................................. 22 4.3 Kapitalgedeckte Pflegeversicherung............................................................................. 24 4.3.1 Herzog Kommission................................................................................ 24 4.3.2 Kapitalgedeckte private Pflegepflichtversicherung................................. 25 4.3.3 Auslaufmodell von Raffelhüschen .......................................................... 25 4.3.4 Sachverständigenrat der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ............... 27 4.3.5 Kronberger Kreis..................................................................................... 28 4.4 Abschaffung der Pflegeversicherung ............................................................................. 30

5 FAZIT…………………………………………………………………………………...31

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TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1: Übersicht über die Leistungen im häuslichen Bereich………………………………………9 Tabelle 2: Übersicht über Leistungen im vollstationären Bereich…………………………………….10

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Verhältnis von Geldleistung, Sachleistung und Kombinationsleistung………………….7 Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl der Pflegebedürftigen………………………………………...15 Abbildung 3: Einnahmen und Ausgaben 1995-2003……………………………..……………………16 Abbildung 4: Wachsendes Defizit……………………………………………………………………..17 Abbildung 5: Beitragsentwicklung…………………………………………………………………….27

LITERATURVERZEICHNIS…………………………………………………………………………...33

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1. Einleitung

Die Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde notwendig, da die Sozialhilfekosten für

Pflegeleistungen, die von den Betroffenen nicht mehr eigenständig aufgebracht werden

konnten, bis zur Einführung der sozialen Pflegeversicherung stetig stiegen. Hierdurch wurden

die Kommunen als Sozialhilfeträger immer stärker belastet. Im Mai 1994 wurde das “Gesetz

zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit“ verabschiedet. Die soziale

Pflegeversicherung trat dann am 1. Januar 1995 als 5. Säule der Sozialversicherung in Kraft.

Das Pflegebedürftigkeitsrisiko bedarf einer sozialen Absicherung, um die

Grundversorgung pflegebedürftiger Personen sicherzustellen. So sollten pflegebedürftige

Personen mit Einführung der Pflegeversicherung nicht mehr länger auf Sozialhilfe

angewiesen sein. Die Situation pflegebedürftiger Personen hat sich mit der Einführung der

Versicherung verändert. Sie sind gegen das Pflegerisiko abgesichert und müssen nicht mehr

länger die finanzielle Last alleine tragen, welche die Pflegebedürftigkeit mit sich bringt. Da

die Pflegebedürftigkeit in der letzten Phase des Lebens auftritt, war die individuelle Vorsorge

und die entsprechende Bildung von Rücklagen bei vielen Menschen keine

Selbstverständlichkeit. So waren vor der Einführung der Pflegeversicherung auch

Pflegebedürftige, die über überdurchschnittliche Einkommen und Vermögen verfügten, von

Sozialhilfe abhängig.1

Die Leistungen der Pflegeversicherung sind jedoch nominal festgelegt und wurden über

die Jahre hinweg nicht dynamisiert, wodurch eine reale Entwertung der Leistungen

entsprechend der Preissteigerungen statt gefunden hat. Dies hatte zur Folge, dass die

Sozialhilfe wiederum von vielen Pflegebedürftigen in Anspruch genommen werden musste.

Des Weiteren kam es aufgrund der demographischen Entwicklung und der stetig steigenden

Pflegekosten zu zunehmenden finanziellen Problemen. Die Ausgaben der Pflegeversicherung

übersteigen schon seit 1999 die Einnahmen. So werden die Rücklagen der Pflegeversicherung

bis 2005 aufgebraucht sein. Das wachsende Defizit würde sich nur mit Hilfe von höheren

Beitragszahlungen ausgleichen lassen.

Zahlreiche Rationalisierungs- sowie Reformvorschläge wurden bisher schon

ausgearbeitet. Ein Vorschlag zur Reform des Leistungsrechts im Rahmen des bestehenden

Systems um die finanzielle Lage der Pflegeversicherung zu verbessern ist das

1 vgl. Ottnad, 2003b.

1

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personengebundene Pflegebudget, das momentan auf Basis § 8 SGB XII erprobt wird.

Allerdings muss die Pflegeversicherung auf lange Sicht grundlegend reformiert werden.

In diesem Dossier soll die Pflegeversicherung in ihrer derzeitigen Form dargestellt

werden, um darauf aufbauend die aktuellen Probleme der Pflegeversicherung zu erläutern.

Anschließend werden Reformvorschläge vorgestellt, die entweder auf eine Veränderung des

Leistungsrechts im bestehenden System in Form des personengebundenen Pflegbudgets

abzielen sowie die wichtigsten Reformvorschläge für eine grundlegende Veränderung.

2. Die soziale Pflegeversicherung

2.1 Finanzierung Der versicherte Personenkreis in der Pflegeversicherung umfasst alle Krankenversicherten.

Dies sind ca. 98% der Bevölkerung. Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über

Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und privater

Krankenversicherung ist auch die Pflegeversicherung zweigeteilt: soziale Pflegeversicherung

für die Angehörigen der gesetzlichen Kassen und private Pflegeversicherung für die freiwillig

privat Krankenversicherten sowie für Beamte und Abgeordnete.

Vor der Einführung der Pflegeversicherung wurden Beitragszahlungen von 1% des

Bruttoeinkommens eingeführt, um einen finanziellen Sockel zu bilden. Ab 1. April 1995

gewährte die Pflegeversicherung Leistungen für die häusliche Pflege, ab 1. Juli 1996

Leistungen für die stationäre Pflege. Die Beiträge stiegen dann auf 1,7% des

Bruttoeinkommens an, welche paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen

werden. Zur Finanzierung der Arbeitgeberbeiträge wurde der Buß- und Bettag als Feiertag

abgeschafft. Mit Ausnahme von Sachsen, dort zahlen die ArbeitnehmerInnen deshalb auch

1,35% statt 0,85%.2

2.2 Leistungsempfänger Leistungsempfänger der gesetzlichen Pflegeversicherung sind Personen, die nach der

Definition des SGB XI pflegebedürftig sind.

2 vgl. Skuban 2000, S.57.

2

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„Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches [SGB XI] sind Personen, die wegen einer

körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die

gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des

täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in

erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen.“3

Den Pflegebedürftigen muss somit beispielsweise bei der Körperpflege, bei der Ernährung,

der Mobilität oder der hauswirtschaftlichen Versorgung geholfen werden.

2.2.1 Feststellung der Pflegebedürftigkeit Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist Aufgabe der Pflegekassen. Sie erfolgt durch die

Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) nach den Begutachtungsrichtlinien

Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung. Diese beurteilen die

Notwendigkeit von Hilfen in folgenden Bereichen:

- Körperpflege: Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und

Blasentleerung

- Ernährung: Hilfe bei der Nahrungsaufnahme und die mundgerechte Zubereitung von

Speisen

- Mobilität: Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden sowie Gehen, Stehen

und Treppensteigen innerhalb der Wohnung, Hilfe beim Verlassen und

Wiederaufsuchen der Wohnung für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu

Hause (wie z. B. ein Arztbesuch).

- Hauswirtschaftliche Versorgung: Einkaufen, Kochen, Spülen, Reinigung und

Wechseln von Kleidung und Wäsche sowie Reinigung und Beheizen der Wohnung.

3 vgl. § 14 SGB XI.

3

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Bei diesen Richtlinien werden somit nicht die speziellen Bedürfnisse geistig Behinderter und

Demenzkranker berücksichtigt, da nur physische Beeinträchtigungen in der Einstufung

beachtet werden.

Die Begutachtung durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) findet in

der häuslichen Umgebung des Versicherten statt. Sollte dieser hierfür sein Einverständnis

verweigern, steht es der Pflegekasse zu, die beantragten Leistungen nicht zu gewähren.4

2.2.2 Einteilung in Pflegestufen Die Pflegebedürftigen werden nach Begutachtung durch die Medizinischen Dienste je nach

Schweregrad der Pflegebedürftigkeit in verschiedene Pflegestufen eingeteilt.

Pflegestufe I: Erhebliche Pflegebedürftigkeit

- mind. 1x täglich Hilfe bei mind. 2 Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen

der Körperpflege, Ernährung oder der Mobilität

- zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nötig

- wöchentlicher Zeitaufwand der Pflegeperson mind. 1,5 Std./Tag im Durchschnitt

Pflegestufe II: Schwerpflegebedürftigkeit

- mind. 3x täglich Hilfe bei der Körperpflege, Ernährung oder der Mobilität

- zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nötig

- wöchentlicher Zeitaufwand der Pflegeperson mind. 3 Std./Tag im Durchschnitt

Pflegestufe III: Schwerstpflegebedürftigkeit

- jederzeit muss eine Pflegeperson unmittelbar erreichbar sein (Tag und Nacht)

- zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nötig

- wöchentlicher Zeitaufwand der Pflegeperson mind. 5 Std./Tag im Durchschnitt

Pflegestufe 0 (Pflegebedürftige, aber nicht i.S. des SGB XI)

4 vgl. § 15 SGB XI.

4

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2.3 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit Die Art der Leistung hängt von zwei Faktoren ab:

- Schweregrad der Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe)

- Art der gewählten Versorgung (durch Familienangehörige, ambulante oder stationäre

Pflege).

Nach § 3 SGB XI hat die häusliche Pflege Vorrang vor der stationären Pflege. Hier können

Sachleistungen, Geldleistungen oder eine Kombination aus Sach- und Geldleistungen

bezogen werden. Bei stationärer Pflege werden ausschließlich Geldleistungen gewährleistet.

2.3.1 Leistungen im häuslichen Bereich

2.3.1.1 Pflegesachleistung Die Pflege wird in der eigenen Wohnung durch professionelle Pflegekräfte (Sozialstationen

oder soziale Dienste), mit denen die Pflegekassen einen Versorgungsvertrag abgeschlossen

haben, durchgeführt. Sie umfasst Hilfestellung in den Bereichen Grundpflege (Körperpflege,

Ernährung, Mobilität) und hauswirtschaftliche Versorgung. Auf diese Weise wird es vielen

Versicherten ermöglicht, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben.

Der Umfang der Leistungen hängt vom Schweregrad des Pflegebedürftigen ab. Erhebliche

Pflegebedürftige der Pflegestufe I erhalten 384 Euro im Monat, Schwerpflegebedürftige der

Pflegestufe II 921 Euro und Schwerstpflegebedürftige der Pflegestufe III 1 432 Euro im

Monat. Wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vorliegt, der das übliche Maß der

Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise wenn im Endstadium von Krebserkrankungen

regelmäßig mehrfach auch in der Nacht Hilfe geleistet werden muss, besteht ein sog.

„Härtefall“. Hier können die Pflegekassen in besonderen Einzelfällen weitere Pflegeeinsätze

bis zu einem Gesamtwert von 1 918 Euro monatlich gewähren.

Der Pflegebedürftige kann die Pflegeeinsätze nach seinen Bedürfnissen anfordern. Dabei

wird mit dem Pflegedienst ein Vertrag abgeschlossen, der die Art, den Umfang und die

Kosten der Einsätze, die sog. Leistungskomplexe festlegt. Diese Leistungskomplexe sind von

Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und geben den Rahmen der Pflegesachleistung

genau vor. In diesen Katalogen sind die Kosten für die jeweiligen Leistungen in Form von

Punkten genau angegeben und werden nach diesen dann abgerechnet. Die Leistung, die durch

5

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die Pflegesachleistung gewährt wird, ist nicht sehr flexibel, da die Inhalte der

Leistungskataloge verbindlich sind.

Sollten die Leistungen der Pflegeversicherung unter Umständen nicht ausreichen, gewährt

die Sozialhilfe ergänzende Leistungen, da die Pflegeversicherung nicht als Vollversicherung

konzipiert ist. Die zusätzlichen Leistungen werden auch dann gewährt, wenn jemand

pflegebedürftig ist, aber nicht pflegeversichert oder wenn jemand pflegeversichert ist, aber

nicht pflegebedürftig im Sinne des SGB XI.5

2.3.1.2 Pflegegeld Anstelle der Pflegesachleistung kann auch Pflegegeld beantragt werden. Die Höhe des

Pflegegeldes hängt ebenfalls von der Pflegestufe des Pflegebedürftigen ab. In der Pflegestufe

I erhalten die Betroffenen 205 Euro, in der Pflegestufe II 410 Euro und in der Pflegestufe III

665 Euro im Monat.

Wenn ein Pflegebedürftiger nicht pflegeversichert ist, also auch nicht krankenversichert,

kann er ein Pflegegeld oder auch eine Sachleistung vom Sozialamt nach dem

Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten.

Das Pflegegeld bindet die Gratifikation für Angehörige mit ein und ist zweckungebunden,

d.h. es kann für sämtliche Anschaffungen verwendet werden. Aufgrund dessen wird jede

Person, die Pflegegeld aus der Pflegeversicherung oder der Sozialhilfe bezieht, verpflichtet

regelmäßig einen Pflegeeinsatz, in Form einer Pflegeberatung durch einen Pflegedienst

abzurufen. Diese Pflegeeinsätze dienen der Sicherung der Qualität der häuslichen Pflege

sowie der fachlichen Unterstützung der häuslich Pflegenden. Sollten diese Einsätze nicht in

Anspruch genommen werden, hat dies Auswirkungen auf die Pflegegeldzahlung. Diese kann

gekürzt und im Wiederholungsfall entzogen werden.

Bei den Pflegestufen I und II, mindestens einmal halbjährlich und bei der Pflegestufe III

einmal vierteljährlich. Die Vergütung beträgt in den Pflegestufen I und II bis zu 16 Euro und

in der Pflegestufe III bis zu 26 Euro. Die Kosten werden von den Pflegekassen vollständig

übernommen.6

5 vgl. § 36 SGB XI. 6 vgl. § 37 SGB XI.

6

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2.3.1.3 Kombination von Sach- und Geldleistung

Falls der monatliche Höchstbetrag für die Pflegesachleistung nicht ausgeschöpft wird, können

die Pflegekassen gegebenenfalls ein anteiliges Pflegegeld gewähren. Der Anteil berechnet

sich nach dem Verhältnis zwischen dem jeweiligen Höchstbetrag der Sachleistung und dem

tatsächlich in Anspruch genommenen Betrag. Entsprechend diesem Verhältnis ist das

Pflegegeld anteilig auszuzahlen. Voraussetzung hierfür ist, dass außer den Mitarbeitern des

Pflegedienstes noch eine weitere Pflegeperson vorhanden ist (z.B. ein Angehöriger oder ein

Nachbar), die den restlichen Hilfebedarf abdeckt. An die Entscheidung, in welchem

Verhältnis der Pflegebedürftige Geld- und Sachleistung in Anspruch nehmen will, ist er für

die Dauer von sechs Monaten gebunden.7

0

20

40

60

80

100

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Jahr

Ang

aben

in %

Geldleistung Sachleistung Kombinationsleistung

Quelle: BMGS, eigene Darstellung

Abbildung 1: Verhältnis von Geldleistung, Sachleistung und Kombinationsleistung

2.3.1.4 Verhinderungspflege Wenn die bisherige Pflegeperson z.B. wegen Krankheit oder eines Erholungsurlaubs die

Pflege vorübergehend nicht ausüben kann, treten die Pflegekassen mit der sog.

„Verhinderungspflege" (Ersatzpflege) ein. So wird es dem Pflegebedürftigen ermöglicht, auch

während dieser Zeit in seiner gewohnten häuslichen Umgebung zu bleiben.

7 vgl. § 38 SGB XI.

7

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Voraussetzung für einen Leistungsanspruch ist, dass die bisherige Pflegeperson den

Pflegebedürftigen schon mindestens 12 Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat.

Die Pflegekassen übernehmen die Kosten für eine Ersatzkraft für längstens 4 Wochen und bis

zu einem Betrag von maximal 1 432 Euro je Kalenderjahr. Wird die Ersatzpflege von einer

Pflegeperson erbracht, die nicht erwerbsmäßig pflegt, ist die Leistung auf den Betrag des

Pflegegeldes der jeweiligen Pflegestufe begrenzt; zusätzlich werden entstandene

Aufwendungen (z.B. Fahrtkosten oder Verdienstausfall) übernommen, jedoch zusammen mit

der Leistung in Höhe des Pflegegeldes nur bis zum Höchstbetrag von 1 432 Euro.

Anstelle einer Ersatzpflege im häuslichen Bereich kann auch eine dafür geeignete

Einrichtung in Anspruch genommen werden; für die Erstattung der pflegebedingten

Aufwendungen (ohne Unterkunft und Verpflegung) gilt ebenfalls der genannte Höchstbetrag

sowie die zeitliche Begrenzung von 4 Wochen.8

2.3.1.5 Tages-/Nachtpflege In manchen Fällen können pflegebedürftige Personen zwar in ihrer eigenen Wohnung leben,

eine fachgerechte Pflege ist aber nicht möglich, weil z. B. auch nachts eine ständige

Betreuung nötig ist. So besteht Anspruch auf eine entsprechende teilstationäre Pflege in einer

Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege einschließlich der notwendigen medizinischen

Behandlungspflege, der sozialen Betreuung und der Transportkosten. Der Betrag von max.

1 432 Euro im Monat wird jeweils mit den übrigen Pflegeleistungen verrechnet.9

2.3.1.6 Kurzzeitpflege Die Pflegekassen können für die Leistung der Kurzzeitpflege Kosten übernehmen, wenn

häusliche Pflege nicht oder nicht in erforderlichem Umfang erbracht werden kann und auch

teilstationäre Pflege nicht ausreicht, z.B. für eine Übergangszeit im Anschluss an eine

stationäre Behandlung oder in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche

oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist. Dies ist beispielsweise bei

kurzfristiger erheblicher Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit der Fall.

8 vgl. § 39 SGB XI. 9 vgl. § 41 SGB XI.

8

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Kurzzeitpflege erfolgt in den dafür zugelassenen vollstationären Einrichtungen für einen

Zeitraum von bis zu vier Wochen je Kalenderjahr. Unter Berücksichtigung der jeweiligen

Pflegestufe, wird ein Höchstbetrag von bis zu 1 432 Euro gewährt.

Der Leistungsanspruch umfasst die Kosten für die pflegebedingten Aufwendungen, die

Aufwendungen der medizinischen Behandlungspflege sowie der sozialen Betreuung.

Unterkunft, Verpflegung und etwaige Zusatzleistungen sind vom Pflegebedürftigen selbst zu

tragen.10

2.3.1.7 Pflegehilfsmittel und technische Hilfen Die häusliche Pflege wird um die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln (z.B.

Desinfektionsmittel, Unterlagen usw.) und um technische Hilfsmittel (z.B. Pflegebetten,

Rollstühle, usw.), die der Erleichterung der häuslichen Pflege dienen oder eine

selbstständigere Lebensführung des Pflegebedürftigen ermöglichen, ergänzt.

Hierfür gewähren die Pflegekassen einen Betrag von bis zu 31 Euro pro Kalendermonat.

Technische Hilfsmittel werden leihweise ohne Zuzahlung zur Verfügung gestellt. Ist dies

nicht möglich, müssen sich Versicherte (ab 18 Jahre) mit einem Eigenanteil von 10 %,

höchstens 25 Euro je Hilfsmittel, an den Kosten beteiligen.11

Tabelle 1: Übersicht der Leistungen im häuslichen Bereich

Leistungsart Pflegestufe I Pflegestufe II Pflegestufe III „Härtefall“ Pflegesachleistung/Monat 384 € 921 € 1 432 € 1 918 € Pflegegeld/Monat 205 € 410 € 665 € Verhinderungspflege 1 432 € 1 432 € 1 432 € Tages-/Nachtpflege/Monat

384 € 921 € 1 432 €

Kurzzeitpflege 1 432 € 1 432 € 1 432 € Quelle: § 36 ff SGB XI

2.3.2 Leistungen im stationären Bereich Pflegebedürftige haben Anspruch auf Pflege in vollstationären Einrichtungen, wenn häusliche

oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falles

nicht in Betracht kommt. Hier sind die Leistungen der Pflegeversicherung ebenfalls von der

10 vgl. § 42 SGB XI. 11 vgl. § 40 SGB XI.

9

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Pflegebedürftigkeit des Versicherten abhängig. Pflegebedürftige der Pflegestufe I erhalten

1 023 Euro, Versicherte der Pflegestufe II 1 279 Euro, Bedürftige der Pflegestufe III 1 432

Euro und „Härtefälle“ haben Anspruch auf 1 688 Euro. Insbesondere in der Pflegestufe I ist

eine enorme Differenz zwischen der Pflegesachleistung im häuslichen Bereich und der

Leistung im Vollstationären Bereich eine zu verzeichnen.

Die jährlichen Ausgaben der Pflegekassen dürfen im Durchschnitt 15 339 Euro je

Pflegebedürftigen nicht überschreiten, wodurch die Ausgaben der Pflegestufe III und der

„Härtefälle“ gedeckelt werden, da sie im Jahresdurchschnitt über diesem Betrag liegen.12

Tabelle 2: Übersicht der Leistungen im vollstationären Bereich

Leistungsart Pflegestufe I Pflegestufe II Pflegestufe III „Härtefall“ Vollstationäre Pflege 1 023 € 1 279 € 1 432 € 1 688 €

Quelle: § 43 SGB XI

2.4 Beteiligte Institutionen und deren Aufgaben Die beteiligten Institutionen an der Pflegeversicherung sind die einzelnen Bundesländer, die

Pflegekassen und die Pflegeeinrichtungen.

Träger der Pflegeversicherung sind die Pflegekassen. Die Pflegeversicherung ist den

gesetzlichen Krankenkassen angeschlossen, also der AOK, den Ersatzkassen, den Betriebs-

und Innungskrankenkassen etc.

2.4.1 Länder Die Länder sollen eine leistungsfähige, zahlenmäßig ausreichende und wirtschaftliche

Versorgung sowie die Qualität und die Effizienz der pflegerischen Infrastruktur

gewährleisten. Die Aufgabe der staatlichen Instanzen (Bund, Länder, Gemeinden) ist es,

Versorgungsdisparität zu vermeiden und eine gleichmäßige pflegerische Versorgung zu

gewährleisten. Hierzu gehört die Übernahme der Investitionskosten für alle

Pflegeeinrichtungen mit kommunaler, landeseigener, freigemeinnütziger und

privatgewerblicher Trägerschaft.13

12 vgl. § 43 SGB XI. 13 vgl. § 9 SGB XI.

10

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2.4.2 Pflegekassen

Die Pflegekassen stellen die pflegerische Versorgung sicher und beseitigen qualitative

Mängel der pflegerischen Versorgungsstruktur (sog. Sicherstellungsauftrag). Sie kontrollieren

somit die Qualität der Leistungen. Der Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen wird jedoch

dadurch eingeschränkt, dass sie nicht den angemessenen Einfluss auf die Schaffung, die

Förderung oder die Erhaltung der pflegerischen Infrastruktur haben, da dies Aufgabe der

Länder ist.

Die Pflegekassen sind auch Kostenträger der Pflegeleistungen, stellen unter Mitwirkung,

der von ihnen beauftragten Medizinischen Dienste die Pflegebedürftigkeit fest und verhandeln

die Preise für Pflegeleistungen mit den Leistungsanbietern. Zusätzlich bieten sie Pflegekurse

für ehrenamtlich tätige Pflegepersonen an, um die häusliche Pflege zu erleichtern und zu

verbessern.

Aus diesen Aufgaben ergibt sich das Problem, dass die Pflegekassen zum einen für die

Garantie der Pflegequalität eintreten und zum anderen die Kosten der Pflegeleistungen

übernehmen sowie die Vergütungsverhandlungen mit den Leistungsanbietern führen. Durch

die Kombination dieser Aufgaben (Steigerung der Pflegequalität vs. Drückung der Ausgaben

für Pflegeleistungen) ergeben sich gewisse Konfliktpotentiale.14

2.4.3 Pflegeeinrichtungen Die Pflegeeinrichtungen gibt es von kommunaler, landeseigener, freigemeinnütziger und

privatgewerblicher Trägerschaft. Diese Trägervielfalt der Pflegeeinrichtungen soll gewahrt

werden und die Selbstständigkeit der Einrichtungen, das Selbstverständnis und die

Unabhängigkeit soll geachtet werden.

Zwischen den Einrichtungen und den Pflegekassen wird ein sog. Versorgungsvertrag

abgeschlossen. Der Versorgungsvertrag ist eine Art Zulassung einer ambulanten bzw.

stationären Pflegeinrichtung für den Pflegemarkt und somit unabdingbare Voraussetzung ihrer

wirtschaftlichen Existenz. Ist ein Vertrag zwischen einer Pflegeeinrichtung und einer

Pflegekasse abgeschlossen, können die von ihr betreuten Personen Leistungen aus der

Pflegeversicherung abrufen. Der Versorgungsvertrag regelt „Art, Inhalt und Umfang der

14 vgl. § 12 SGB XI.

11

Page 15: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

allgemeinen Pflegeleistungen“, die eine Einrichtung zu erbringen hat.15 Die sog.

Leistungskomplexe werden darin definiert.

Die Pflegeeinrichtungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der

Menschenwürde zu gewährleisten. Pflegebedürftige sollen gepflegt, betreut, getröstet und

beim Sterben begleitet werden. Die zugelassenen Pflegeeinrichtungen sind verpflichtet sich an

Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen.16

2.5 Qualitätskontrolle der Pflege Zur Qualitätssicherung in der Pflege gibt es zwei Prinzipien:

- Kontrolle und

- Schaffung eines Pflegemarktes.

Die Qualitätskontrolle durch Schaffung eines Pflegemarktes folgt dem Leitspruch

„Konkurrenz belebt das Geschäft“, womit auf Leistungsanbieterseite die notwendigen

ökonomischen Anreize geschaffen werden, um effiziente und qualitativ hochwertige

Leistungen zu erbringen. 17 Der freie Wettbewerb, der die Qualität der Pflege gewährleisten

soll, wird allerdings durch die quasi-staatliche Steuerung der Pflegekassen eingeschränkt. Der

Markt ist abhängig von der Abrechnungsfähigkeit seiner Angebote nach SGB XI und somit

von der Definitionsmacht der Pflegekassen.18 Zusätzlich sind die Preise der Pflegeleistungen

in den Leistungskatalogen verbindlich festgelegt und somit nicht in den Preiswettbewerb

eines freien Marktes eingebunden. Die Souveränität der KundenInnen des Pflegemarktes ist

ebenfalls eingeschränkt, da die Verfügbarkeit und die Auswahl der Dienstleistungen in den

Leistungskatalogen normiert sind. Auf diese Aushandlungsprozesse haben die KundenInnen

keinerlei Einfluss, da die Dienstleistungen in den Leistungskatalogen von den

kostentragenden Pflegekassen und den Dienstleistern festgelegt sind. Die Kundensouveränität

ist zudem ebenfalls davon abhängig, ob sie in der Lage sind die Qualität der Pflege zu

beurteilen.19 So ist es fraglich, ob die Schaffung des Pflegemarktes, dessen freier Wettbewerb

stark eingeschränkt ist, die Qualität der Pflege kontrollieren kann.

Eine Mindestqualitätssicherung des PflegeVG ist die Kontrolle nach § 80 SGB XI. Die

Spitzenverbände der Pflegekassen, Sozialhilfeträger, Kommunen und Pflegeinrichtungen sind

15 vgl. § 72 (1) SGB XI. 16 vgl. § 11 SGB XI. 17 vgl. Skuban 2000, S. 62. 18 vgl. Dietz 2002 zitiert nach Dietz1995b und Dietz 1995c, S. 154. 19 vgl. Dietz 2002.

12

Page 16: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

verpflichtet gemeinsame und einheitliche „Grundsätze und Maßstäbe für die Qualität und

Qualitätssicherung der ambulanten und stationären Pflege sowie für die Entwicklung

einrichtungsinternen Qualitätsmanagements“20 zu treffen. Diese „Gemeinsamen Grundsätze“

geben den Beurteilungsrahmen für Fragen der Qualität professioneller Dienste vor. Sie setzen

die Maßstäbe für die Qualität sowie die Qualitätssicherung und haben Verfahren zur

Durchführung von Qualitätsprüfungen vereinbart.

Für die zu Hause von den Angehörigen gepflegten und betreuten Personen sind keine

Überprüfungen im Sinne der „Gemeinsamen Grundsätze“ vorgesehen. Hier sind lediglich die

oben genannten Pflegeeinsätze der Pflegedienste beim Bezug von Pflegegeld vorgesehen. Die

Pflegeeinrichtungen sind dahingegen von den Medizinischen Diensten im Auftrag der

Pflegekassen zu prüfen. Bei schwerwiegenden Mängeln kann der Pflegeinrichtung der

Versorgungsvertrag gekündigt werden.21

2.5.1 Ziele Zu den Zielen der Pflege gehört:

- Sicherstellung einer menschenwürdigen Lebensqualität

- Sicherstellung der Zufriedenheit des Pflegebedürftigen

- Wiedergewinnung und Aktivierung der Fähigkeiten des Pflegebedürftigen

- Herstellung einer Vertrauensbeziehung zwischen Pflegepersonen und Pflegebedürftigen

- Fachlich kompetente Pflege, die bedarfsgerecht, wirtschaftlich erbracht und flexibel an

Veränderungen der Pflegesituation angepasst wird

- Versorgung des Pflegebedürftigen soll im ambulanten Bereich sichergestellt und

verbessert werden. Grundsätzlich gilt bei der Pflegeversicherung: Prävention und

Rehabilitation vor Pflege und ambulante vor stationärer Pflege. Frühzeitige ärztliche

Beratung, Nutzung moderner Therapien und zielgerichtete Rehabilitation könnten in

vielen Fällen zumindest den Zeitpunkt der Pflegebedürftigkeit hinauszögern.22

- vorhandene Selbstversorgungsfähigkeiten sollen erhalten und solche die verloren

gegangen sind reaktiviert werden. Geistig und seelisch Behinderte, psychisch Kranke und

geistig verwirrte Menschen sollen sich in ihrer Umgebung und auch zeitlich

zurechtfinden.

20 vgl. Skuban 2000, S. 60. 21 vgl. Skuban 2000, S. 62. 22 www.aerzte-zeitung.de/docs/2004/05/27/098a0104.asp?cat=/politik/pflege

13

Page 17: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

- Verbesserung der Infrastruktur und die Förderung des Wettbewerbs auf dem Pflegemarkt

zur Steigerung der Effizienz.23

2.5.2 Ebenen der Qualität Es gibt drei verschiedene Ebenen der Qualität, nach denen die Qualitätsprüfungen

durchgeführt werden.

- Strukturqualität

Das sind die Rahmenbedingungen der Pflege, insbesondere personelle, räumliche und

sachliche Ausstattung der vollstationären Pflegeeinrichtung.

- Prozessqualität

Diese bezieht sich auf den ganzheitlichen Pflege- und Versorgungsablauf und die

Unterkunft. Die Prozessqualität besteht aus Planung, Koordinierung, Ausführung und

Dokumentation von Pflegeleistungen.

- Ergebnisqualität

Dies ist der Vergleich zwischen angestrebten und tatsächlich erreichten Pflegezielen

unter Berücksichtigung der Zufriedenheit und des Befindens des Bewohners.24

3. Problemlage

3.1 Demographische Entwicklung

Die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik stellt die sozialen Sicherungssysteme

vor zunehmende finanzielle Probleme. Die Bevölkerung altert aufgrund der niedrigen

Geburtenzahlen und der steigenden Lebenserwartung. Nach den Bevölkerungsprognosen des

Bundesministeriums für Soziale Sicherung von 2002 wird die Zahl älterer Personen (60 Jahre

und älter) von 2001 bis zum Jahr 2010 um 1,4 Millionen Menschen von 19,9 auf 21,3

Millionen steigen. Dies macht ca. 26% der Gesamtbevölkerung von rund 83 Millionen

Einwohnern aus. In den Jahren von 2010 bis 2030 soll die Anzahl Älterer auf 27,9 Millionen

ansteigen. Diesen Schätzungen zur Folge wird der Anteil älterer Menschen der

Gesamtbevölkerung (bis dahin rund 81 Millionen Einwohner) dann 34% betragen.25

23 vgl. Skuban 2000. 24 vgl. Skuban 2000, S. 66. 25 vgl. „Zahlen und Fakten zur Pflege“ des BMGS.

14

Page 18: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

Das Risiko der Pflegebedürftigkeit steigt ab dem 80. Lebensjahr stark an. Zwischen dem

60. und dem 80. Lebensjahr beträgt es ca. 3,9%, wohingegen das Risiko nach dem 80.

Lebensjahr 31,8% beträgt. Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird somit infolge der

steigenden Lebenserwartung und dadurch, dass die geburtenstarken Jahrgänge bald ins

pflegebedürftige Alter kommen, weiter ansteigen. Die Anzahl wird voraussichtlich von heute

1,9 Millionen auf 3,1 Millionen im Jahr 2030 steigen.26 Im Gegensatz dazu wird sich die

Anzahl der erwerbstätigen Beitragszahler, aufgrund der niedrigen Geburtenraten deutlich

verringern. Hierdurch wird eine immer größer werdende Kostenlücke entstehen.

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

2002 2010 2020 2030

Jahr

Anz

ahl i

n M

io.

Quelle: BMGS, eigene Darstellung

Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl der Pflegebedürftigen

In Folge der sinkenden Geburtenzahlen, die ein umlagefinanziertes System nicht tragen

kann, wurde am 3. April 2001 das Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts gefällt. Dieses

besagt, dass es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass Mitglieder der gesetzlichen

Pflegeversicherung, die Kinder erziehen mit dem gleichen Beitrag belastet würden, wie

kinderlose Mitglieder. Das Urteil wurde am 1.10.2004 vom Deutschen Bundestag im

„Kinder-Berücksichtigungsgesetz“ beschlossen. Kinderlose Mitglieder, die das 23.

Lebensjahr vollendet haben, müssen ab 1.01.2005 einen Beitragszuschlag in der

Pflegeversicherung in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten zahlen.27

26 vgl. http://www.soziale-sicherungssysteme.de/bericht/pflegeversicherung/27 vgl. http://www.dak.de/content/dakpflegekasse/kinderlos.html

15

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3.2 Finanzielle Entwicklung

Der finanzielle Sockel, der in der Anfangsphase der Pflegeversicherung gebildet wurde, wird

aufgrund der steigenden Ausgaben schon heute aufgezehrt. Dies ist u.a. eine Folge der

zunehmenden Inanspruchnahme der teuren Heimversorgung. Seit Ende 1997 ist die Zahl der

stationär in Heimen Betreuten um knapp 30 Prozent gestiegen28. Zusätzlich lässt die

demographische Entwicklung eine immer größer werdende Kostenlücke entstehen, wodurch

das Defizit der Pflegversicherung unaufhörlich wachsen wird.

Die Pflegeversicherung weist schon seit 1999 wachsende Defizite auf. Die noch

vorhandenen Reserven werden nach Berechnungen der IWG BONN spätestens 2005

aufgebraucht sein.29

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003Jahr

in M

rd E

uro

EinnahmenAusgaben

Quelle: BMGS, eigene Darstellung

Abbildung 3: Einnahmen und Ausgaben 1995-2003

Langfristig ist somit keine nachhaltige finanzielle Sicherung der Pflege gewährleistet. Der

damit verbundene Kostendruck auf das System hätte eine Erhöhung des Beitragssatzes bis

28 vgl. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=4199329 vgl. Ottnad 2003a, S. 40.

16

Page 20: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

zum Jahr 2040 auf bis zu 3%30 zur Folge, um das derzeitige Versorgungsniveau halten zu

können. Andernfalls würde das Versorgungsniveau sinken, um das Ungleichgewicht zwischen

Einnahmen und Ausgaben, aufgrund der demographischen Entwicklung auszugleichen.

-8

-6

-4

-2

0

2

4

6

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010Jahr

in M

rd E

uro

Quelle: FTD,

Abbildung 4: Wachsendes Defizit

4. Reformvorschläge

Um der demographischen Entwicklung entgegenzuwirken und auch in Zukunft eine

Absicherung der Pflegebedürftigen zu gewährleisten, wurden verschiedene Reformvorschläge

ausgearbeitet. Hierbei gibt es drei grundlegende Formen. Die Vorschläge, die die

Pflegeversicherung weiterhin umlagefinanziert haben möchten und lediglich

Rationalisierungspotentiale auszuschöpfen versuchen. Reformvorschläge, die auf einer

Mischform des umlagefinanzierten und des kapitalgedeckten Typus basieren und Vorschläge,

die für eine kapitalgedeckte Finanzierung plädieren.

30 vgl. http://www.soziale-sicherungssysteme.de/bericht/pflegeversicherung/

17

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4.1 Rationalisierungsvorschläge im bestehenden System

4.1.1 Personengebundenes Budget

Das Pflegeleistungsergänzungsgesetz nach § 8 (3) SGB XI sieht Modellprojekte für ein

personengebundenes Pflegebudget und neue Wohnprojekte vor, um die

Rationalisierungspotentiale der Pflegeversicherung durch die Flexibilisierung der Leistungen

auszuschöpfen. Dabei wird das bisherige umlagefinanzierte System beibehalten.

Das Personengebundene Pflegebudget (PGB) ist eine frei verfügbare Geldleistung zum

Erwerb von Pflegedienstleistungen. Das PGB ist eine Geldleistung in Höhe der

Sachleistungen nach § 36 SGB XI je Pflegestufe, mit der dem individuellen Bedarf

entsprechend Pflegedienstleistungen eingekauft werden können. Das Budget ist als eine

Ergänzung zu den bestehenden Formen der Geldleistung, der Sachleistung sowie der

Kombinationsleistung anzusehen, denn mit dem PGB können auch Dienstleistungen von

Anbietern eingekauft werden, die keinen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen

abgeschlossen haben. Die Anbieter müssen legal sein (z.B. Ich-AG, Minijob) und dürfen nicht

von Angehörigen oder Schwarzarbeitern erbracht werden. Somit ist der Budgetnehmer nicht

an die festgelegten Leistungskomplexe gebunden, sondern kann sich ein individuell

angepasstes Pflegearrangement zusammenstellen. Ein Case Manager berät und unterstützt

den Pflegebedürftigen bei der Zusammenstellung der gewünschten Pflegedienstleistungen und

beim Abschließen der Verträge. Einen Antrag auf das PGB dürfen alle Personen stellen, die

nach dem SGB XI begutachtet und in eine Pflegestufe eingestuft wurden.31

Personengebunde Budgets liegen derzeit im Trend. Im Ausland (Niederlande, USA)

wurden personengebundene Budgets in der Pflege schon erprobt und eingeführt. In

Deutschland gibt es das persönliche Budget bereits in der Behindertenhilfe.32

Zu den Vorzügen eines PGB gehört die langfristige Kostensenkung durch die Stützung der

kostengünstigen häuslichen Versorgung und des damit verbundenen geringeren Heimsogs.

Die Lebensqualität und Zufriedenheit der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen sollen

verbessert werden, da das PGB die Nachfragemacht stärkt und einen Dienstleistungsmarkt

generiert, auf dem die jeweiligen Anbieter miteinander konkurrieren. Zusätzlich werden die

Selbstbestimmung und die Patientensouveränität gefördert. Eine diversifizierte Infrastruktur

31 vgl. Arntz/Spermann 2004b. 32 Siehe auch: Arntz/Spermann 2004a.

18

Page 22: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

sowie effiziente und bedarfsgerechte Leistungen, insbesondere für Demenzkranke, tragen

ebenfalls zur verbesserten Lebensqualität der Pflegebedürftigen bei.

Zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung läuft derzeit ein Modellprojekt nach § 8 (3)

SGB XI zum PGB. Auftraggeber dieses Projekts sind die Spitzenverbände der sozialen

Pflegekassen. Projektträger ist die Evangelische Fachhochschule Freiburg (EFH). Die

wissenschaftliche Begleitforschung wird vom Freiburger Institut für Angewandte

Sozialforschung (FIFAS) und vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)

übernommen. Das Projekt wird in sieben Regionen33 mit bis zu 1000 Budgetnehmern und

einer entsprechend großen Kontrollgruppe über einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren

durchgeführt.34

4.1.1.1 Trägerübergreifendes Budget

Das trägerübergreifende Budget oder auch „Komplexleistung“ ermöglicht Leistungen

verschiedener Träger in Form eines gemeinsamen Budgets zu erhalten. Es wurde eingeführt,

da viele behinderte Menschen Ansprüche gegenüber verschiedenen Leistungsträgern haben.

So kann es sein, dass z.B. ein behinderter Mensch Anspruch auf Eingliederungshilfe

gegenüber dem Sozialamt und Anspruch auf Hilfe zur Pflege gegenüber der Pflegekasse hat.

So ist das trägerübergreifende Budget ein persönliches Budget, das bei einem

Leistungsträger beantragt wird und von mehreren Leistungsträgern erbracht wird. Als

Leistungsträger können folgende Institutionen beteiligt sein: gesetzliche Krankenkassen,

Pflegekassen, Bundesagentur für Arbeit, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der

gesetzlichen Rentenversicherung, der Alterssicherung der Landwirte, der

Kriegsopferversorgung, der Kriegsopferfürsorge, der öffentlichen Jugendhilfe, der Sozialhilfe

und der Integrationsämter. Dies sind jene Ämter und Stellen, die für die Gewährung einer

Sozialleistung sachlich zuständig sind. Der erstangegangene Leistungsträger prüft den Antrag

und bewilligt je nach Bedarf das persönliche Budget. Die Antrag stellende Person wird von

diesem Leistungsträger über die Leistungsvoraussetzungen, die Zielbestimmungen und die

weiteren Verfahrensabläufe informiert und beraten. Der erstangegangene Leistungsträger ist

nach § 17 Abs. 4 SGB IX Beauftragter und für die trägerübergreifende Koordinierung der

Leistungserbringung verantwortlich.

33 Diese Modellegionen sind Annaberg, Erfurt, Kassel, Marburg, München, Neuwied und Unna. 34 vgl. Arntz/Spermann 2005.

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Das trägerübergreifende Budget nach § 17 SGB IX wurde bisher nur in der

Behindertenhilfe eingeführt. Aus dieser Budgetregelung sind die Leistungen der

Pflegeversicherung jedoch ausgeschlossen. Bei Leistungsanspruch sind sie nur in Form von

Sachleistungsgutscheinen zu gewähren (vgl. § 35a SGB XI).35

4.1.1.2 Integriertes Budget

Das integrierte Budget ist eine Budgetform, die Menschen mit Behinderung gewährt

Leistungen der Pflegeversicherung in Form eines Budgets zu erhalten. Diese Budgetform

entstand durch die Zusammenführung des persönlichen Budgets für Menschen mit

Behinderung nach § 17 SGB IX (trägerübergreifendes Budget) mit dem personenbezogenen

Pflegebudget nach § 8 Abs. 3 SGB XI.36

4.1.2 Die Bürgerversicherung

Der Reformvorschlag der von der SPD eingesetzten Projektgruppe um Karl Lauterbach und

MdB Andrea Nahles, hat die Erweiterung der sozialen Pflegeversicherung durch die

Bürgerversicherung, die Senkung des Beitragssatzes von 1,7% auf 1,5% und dessen

Stabilisierung auf niedrigem Niveau als Ziel.

Die Bürgerversicherung soll auch weiterhin auf einem umlagefinanzierten System beruhen,

d.h., dass die laufenden Ausgaben von den laufenden Einnahmen finanziert werden müssen.

Auf der Einnahmenseite wird bei diesem Modell eine vermeintliche Verbesserung erzielt,

indem weitere Einkommensarten, wie Miet- und Kapitaleinkommen, neben

Erwerbseinkünften in die Beitragsbemessung einfließen sollen. Die Bemessungsgrenze von

insgesamt 3.487,50 Euro soll auf 5.100 Euro heraufgesetzt werden. Zusätzlich soll der

Versichertenkreis auf alle Bürger erweitert werden, und somit auch Beamte, Selbstständige

und Freiberufler mit einschließen.

Auf der Ausgabenseite sehen Lauterbach und Nahles eine Erweiterung des

Leistungskataloges der gesetzlichen Pflegeversicherung vor. Die Bedürfnisse Demenzkranker

sollen stärker berücksichtigt werden und die ambulanten Pflegesätze sollen an das Niveau der

stationären Leistungen angeglichen werden. Die ambulanten Sachleistungen sollen in

35 vgl. http://www.beb-ev.de/files/pdf/ 2005pbudget/menzel-strempfle.pdf 36 vgl. http://www.integriertesbudget.de

20

Page 24: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

Pflegestufe I von 384 Euro auf 704 Euro und in Pflegestufe II von 921 Euro auf 1.100 Euro

angehoben werden.

Die Stabilisierung des Beitragssatzes ist allerdings nur dann möglich, wenn sich durch die

Erweiterung des Versichertenkreises und der höheren Bemessungsgrenze deutliche

Mehreinnahmen erzielen lassen. Des Weiteren sollte der Versichertenkreis eine deutliche

Verjüngung aufweisen. Durch das Einbeziehen eines weiteren Personenkreises in die

Versicherung, wodurch sich auch der Kreis der Anspruchsberechtigten erhöht und aufgrund

der Anhebung der Pflegesätze und der Berücksichtigung der Demenzkranken, was zu einer

Erhöhung der Anspruchsgrundlage führt, kommt es zu höheren Ausgaben, als im derzeitigen

System. 37

4.1.3 Sachverständigenrat im Gesundheitswesen

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schlägt in

seinem Gutachten 2005 folgende Punkte zur Verbesserung der Lage der Pflegeversicherung

vor:

- Die Versichertenbeiträge sollten auf alle Einkunftsarten ausgeweitet werden.

- Der Beitrag des Erwerbseinkommens soll weiterhin paritätisch finanziert werden.

- Ein Splitting des gemeinsamen Einkommens mit anschließender Anwendung des hälftigen

Beitragssatzes auf beide Entgeltteile wird empfohlen. Das Splittingverfahren belastet im

Vergleich zur derzeitigen Regelung nur solche Familien stärker, bei denen das Einkommen

des erwerbstätigen Partners die Beitragsbemessungsgrenze übersteigt und solche, bei

denen das Einkommen des einen Partners über und das des anderen unter der

Beitragsbemessungsgrenze liegt.

- Die enorme Differenz zwischen den Leistungen in Pflegestufe I für stationäre Pflege 1.023

Euro und der ambulanten Sachleistung 384 Euro sowie des Pflegegelds mit 205 Euro, soll

durch eine Anhebung der Sätze im ambulanten Bereich und einer Absenkung im

stationären Bereich ausgeglichen werden.

- In der stationären Pflege nimmt der Eigenanteil der Pflegebedürftigen über die

Pflegestufen hinweg zu. In Pflegestufe I liegt der Eigenanteil in den alten Bundesländern

bei ca. 1.100 Euro, in der Pflegestufe II bei ca. 1.280 Euro und in Stufe III bei 1.580 Euro.

37 vgl. Raffelhüschen/Häcker 2005

21

Page 25: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

Dies spricht für eine Anhebung der Pflegestufe III um ca. 200 Euro und für eine

Absenkung der Pflegestufe I um ca. 50,43 Euro.

- Der Rat spricht sich des Weiteren für eine Dynamisierung der nominalen Beiträge mit

einem speziellen Preisindex für Pflegeleistungen, der ca. um einen Prozentpunkt über der

allgemeinen Inflationsrate liegt, aus.

- Effizienzaspekte sprechen für eine wettbewerbliche Pflegeversicherung mit

Risikostrukturausgleich, anstelle eines Finanzausgleichs.

Der Sachverständigenrat spricht sich auch für eine Zusammenlegung der

Krankenversicherung und der Pflegeversicherung aus, da die Trennung der teilweise

wettbewerblich ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung und der

nichtwettbewerblichen sozialen Pflegeversicherung Nachteile für den Nutzer mit sich bringt

und es erhebliche Schnittstellenprobleme gibt. Es kommt u.a. zu Verschiebungen der Kosten

zwischen den beiden Versicherungszweigen und führt zu unklaren Zuständigkeiten.38

4.2 Mischformen aus umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Systemen

4.2.1 Rürup Kommission

Im November 2002 hat die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung Ulla

Schmidt (SPD) eine Kommission unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup für die

Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme eingesetzt. Um das soziale

Sicherungssystem der Pflegeversicherung an die demographischen Bedingungen anzupassen,

hat die Rürup Kommission Reformvorschläge ausgearbeitet, welche die soziale

Pflegeversicherung erhalten und modernisieren sollen. Die Kommission hat ein Konzept des

„intergenerativen Lastenausgleichs“ vorgelegt, dessen zentrales Anliegen die gleichmäßige

Verteilung der Lasten auf alle Generationen ist:

- Ab dem Jahr 2010 sollen die Bürger ein so genanntes kapitalgedecktes Pflegekonto

aufbauen. Der allgemeine Beitragssatz der Arbeitnehmer soll von 1,7 Prozentpunkte

auf 1,2 Prozentpunkte reduziert werden und die Differenz von 0,5 Prozentpunkten

sollen auf einem privaten Vorsorgekonto anlegt werden. Die entsprechende

Zusatzersparnis soll mit Eintritt in das Rentenalter ausbezahlt werden. Rentner sollen

38 vgl. Sachverständigenrat im Gesundheitswesen 2005

22

Page 26: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

dahingegen ab dem Jahr 2010 2,6 Prozent, statt bisher 0,85 Prozent ihrer Altersbezüge,

an die soziale Pflegeversicherung abführen.

- Ab dem Jahr 2005 soll eine regelmäßige (jährliche) Dynamisierung der Leistungen der

Pflegeversicherung um 2,5 Prozent erfolgen.

- Die ambulante und stationäre Pflege sollen finanziell gleichgestellt werden. In der

Pflegestufe I soll eine Angleichung von jeweils 400 Euro erfolgen und in der

Pflegestufe II von 1.000 Euro. In der Pflegestufe III soll eine Anhebung von

stationärer wie ambulanter Pflege auf 1.500 Euro erfolgen. Das Pflegegeld soll in

derzeitiger Höhe erhalten bleiben. Somit sollen Anreize geschaffen werden, ambulante

Pflege in Anspruch zu nehmen.

- Für Demenzkranke sollen Leistungsausweitungen durch die Umfinanzierung der

Behandlungspflege geschaffen werden. Ab dem Jahr 2005 sollen demenzbedingte,

geistige und psychische Erkrankungen bei der Einstufung in die jeweiligen

Pflegestufen berücksichtigt werden.

- In Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes spricht sich die Rürup

Kommission für eine steuerrechtliche Lösung aus, da die Kindererziehung ein

gesamtgesellschaftliches Problem darstelle und somit von allen Steuerzahlern getragen

werden solle.

- Die Kommission spricht sich auch für die Erprobung des personengebundenen

Budgets auf Basis des § 8 (3) SGB XI aus, um die Eigenverantwortung und

Verbrauchersouveränität zu stärken.39

Durch die Vorschläge der Rürup Kommission kann eine Finanzierung für ca. 35 Jahre mit

Hilfe der Ausgleichszahlung der Älteren und dem Vorsorgebeitrag der Jüngeren sichergestellt

werden. Der Beitragssatz würde bei 1,7 Prozent bleiben.40

39 vgl. Bericht der Rürup Kommission 40 vgl. Ottnad 2003a, S.67.

23

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4.3 Kapitalgedeckte Pflegeversicherung

4.3.1 Herzog Kommission

Der Bundesvorstand der CDU hat im Februar 2003 die Kommission „Soziale Sicherheit“

unter der Leitung von Prof. Dr. Roman Herzog einberufen. Diese Kommission sieht eine

Überführung der Pflegeversicherung aus dem Umlageverfahren in ein kapitalgedecktes

Prämienmodell vor.

Während des Übergangs soll ein Kapitalstock aufgebaut werden, der aus einem

Beitragssatz von 3,2 % weiterhin paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert

werden soll. Die Herzog Kommission empfiehlt hierfür, aufgrund der steigenden

Lohnnebenkosten den Wegfall eines Feiertages oder den Verzicht auf einen bezahlten

Urlaubstag.

Für die Zeit nach 2030 sollen folgende Punkte gesetzlich geregelt werden:

- Die Pflegeversicherung soll geschlechtsneutrale, individuell versicherungs-

mathematisch berechnete Beiträge nach Eintrittsalter erheben.

- Eine Risikoprüfung soll ebenso ausgeschlossen sein wie Risikozuschläge zu den

Beiträgen. Für die Versicherer soll Kontrahierungszwang bestehen, d.h. jede

Versicherung muss jeden ohne Gesundheitsprüfung aufnehmen.

- Kinder und Ehepartner von Versicherten ohne eigenes Einkommen, die Kinder

erziehen oder Angehörige pflegen, sollen beitragsfrei mitzuversichern sein. Der

dadurch entstehende versicherungsmathematische Mehrbedarf soll entweder von der

Versicherungsgemeinschaft zu tragen sein oder aus Steuermitteln finanziert werden.

- Neu eintretende 20-jährige Versicherungsnehmer sollen lebenslang 52 Euro pro Monat

zahlen. 65-jährige und Ältere würden mit maximal 66 Euro im Monat belastet werden.

- Der Pflegebeitrag der Rentner soll sich, aufgrund der „Generationengerechtigkeit“

erhöhen und Eltern sollen pro Kind monatlich einen Zuschuss von zehn Euro

bekommen. Die Kommission spricht sich gegen einen Beitragszuschlag für

Versicherungsnehmer aus, die keine Kinder erziehen oder die keine Angehörigen

pflegen.

24

Page 28: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

- Die Herzog Kommission spricht sich ebenfalls für die Erprobung des persönlichen

Pflegebudgets aus.41

4.3.2 Kapitalgedeckte private Pflegepflichtversicherung

Das Modell der kapitalgedeckten Pflegepflichtversicherung von Ottnad (IWG Bonn) sieht den

Umstieg auf eine private, kapitalgedeckte Pflege-Pflichtversicherung bis zum Jahr 2050 vor.

Dies soll schrittweise in drei Phasen geschehen:

- In der Übergangsphase soll neben dem Aufbau der privaten Pflegeversicherung die

soziale Pflegeversicherung für ältere Jahrgänge (ab 70 Jahren) fortbestehen. Die

Beitragspflicht aller anderen erlischt. Der dadurch entstehende Fehlbetrag soll aus

Steuern gedeckt werden.

- In der Reifungsphase soll die gesamte, versicherungspflichtige Bevölkerung, bei noch

variierenden Beiträgen, privat versichert sein.

- In der Zielphase, gegen 2050, sollen alle Bürger ab dem vorgeschriebenen

Eintrittsalter privatversichert sein und dieselben Beiträge bis zum 54. Lebensjahr

zahlen. Ab dem 55. Lebensjahr würden die Prämien neu kalkuliert werden und mit den

Altersrückstellungen verpflichtend begonnen werden. Es könnte allerdings auch

freiwillig schon früher mit den Altersrückstellungen begonnen werden, wodurch dann

die dieselben Kalkulationsregeln der Prämien gelten wie für die über 55 jährigen.

Notwendige Randbedingungen dieses Modells sind der Kontrahierungszwang für die Anbieter

der privaten Pflege-Pflichtversicherung und Steuertransfers für Einkommensschwache und

Familien. Somit muss auf Verteilungsgerechtigkeit nicht verzichtet werden.42

4.3.3 Auslaufmodell von Raffelhüschen

Das Auslaufmodell von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen der Universität Freiburg sieht

ebenfalls einen Übergang von der umlagefinanzierten Pflegeversicherung in die private

kapitalgedeckte Pflegeversicherung bis in das Jahr 2046 vor, wenn die Babyboom Generation

41 vgl. Bericht der Herzog Kommission 42 vgl, Ottnad 2003a.

25

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um die 80 Jahre alt sein wird und ins pflegebedürftige Alter kommt. Dieses Modell sieht

somit den Ausstieg aus der Pflegeversicherung vor.

- Für die heute über 60-jährigen soll die bisherige Form der Pflegeversicherung erhalten

bleiben und dann mit diesen Jahrgängen auslaufen.

- Für diese Generation soll ein Vertrauensschutz gelten, allerdings ohne den Anspruch auf

die Dynamisierung ihrer Leistungen.

- Die Rentner müssten dann einen einkommensunabhängigen Beitrag als

Ausgleichspauschale von 50 Euro im Monat leisten.

- Die unter 60jährigen sollten dagegen mit einem zusätzlichen einkommensabhängigen

Beitragssatz (Solidarbeitrag) belastet werden, da die Einnahmen aus der

Ausgleichspauschale nicht ausreichen, um die Pflegeleistungen zu finanzieren. Der

Solidarbeitrag soll sich zunächst auf durchschnittlich 1,2% belaufen und wird bis 2046 auf

null reduziert werden.

- Zusätzlich zu diesem Beitrag müssten die unter 60jährigen eine Prämie für die private

Pflegeversicherung von ca. 40 Euro im Monat leisten.

Im Rahmen dieses Modells wären dann alle Deutschen privat pflegeversichert.43 Allerdings

wäre in der Übergangsphase eine Zweifachbelastung aus Solidarbeitrag und Pauschale zu

bewältigen.

Mit Inkrafttreten der Reform wir der Beitragssatz der unter 60-jährigen vorerst von 1,7% auf

1,2% sinken, da die über 60-jährigen zum Status quo einen höheren Beitrag zahlen. Dieser

Beitragssatz bleibt dann solange konstant, bis die Rücklagen der sozialen Pflegeversicherung

bis 2016 aufgebraucht sind. Dann steigt er Satz wieder leicht auf das Anfangsniveau, da die

Leistungsempfänger immer älter werden und somit mehr Leistungen in Anspruch nehmen. Im

Jahr 2027 kommt es schließlich zu einem stetigen Sinken des Beitragssatzes bis zum Jahr

2046, in dem er dann auf null reduziert wird.44

Die Beitragszahlungen in unterschiedlichen Entwicklungsszenarien des Status quo und im

Auslaufmodell werden in der folgenden Abbildung verdeutlicht.

43 vgl. Raffelhüschen/Häcker/Höfer 2004. 44 vgl. Raffelhüschen/Häcker 2004.

26

Page 30: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

Quelle: Häcker/Raffelhüschen 2004

Abbildung 5: Beitragsentwicklung (Basisjahr 2000, r = 3%, g = 1,5%)

4.3.4 Sachverständigenrat der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung spricht

sich in seinem Jahresgutachten 2004/2005 ebenfalls für eine Umstellung auf ein

kapitalgedecktes Modell aus, das dem Auslaufmodell von Raffelhüschen ähnlich ist:

- Geburtsjahrgänge nach 1951 sollen aus der sozialen Pflegeversicherung ausscheiden

und bei einer Pflegekasse eine kapitalgedeckte kohortenspezifische

Pflegeversicherung abschlissen.

- Die Prämien sollen von der jeweiligen Pflegekasse berechnet werden, nach den zu

erwarteten Pflegeleistungsausgaben für die bestimmte Kohorte. Dabei wird ein

Kapitalstock gebildet, damit die Prämien im Alter nicht überproportional steigen. Die

Prämie setzt sich dann aus einem Umlagebetrag für die jeweilige Kohorte und aus

einem Sparbetrag zusammen. Der Sparbetrag soll zu Beginn positiv sein und wenn die

Kohorte alt geworden ist, negativ werden.

- In der Übergangsphase soll die Prämie für ältere Jahrgänge höher ausfallen. Die

Prämien sollen sich generell nach dem Eintrittsalter unterscheiden, je nach der Zeit,

die zur Kapitalbildung zur Verfügung steht.

- Beim Versicherungswechsel sollen die durchschnittlichen Altersrückstellungen

mitgenommen werden können.

- Für die Pflegeversicherungen soll Kontrahierungszwang bestehen.

27

Page 31: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

- Jahrgänge vor 1950 verbleiben im umlagefinanzierten System. Sie bezahlen weiterhin

ihre Beiträge und erhalten bei Pflegebedürftigkeit entsprechende Leistungen. Die

Beiträge würden sich anfänglich auf 50 Euro pro Monat belaufen. Dieser Beitrag soll

sich jedoch jedes Jahr um einen Euro erhöhen.

- Die jüngeren Jahrgänge müssten neben der kohortenspezifischen Prämie zusätzlich

einen Umlagebeitrag leisten, die sog. Altenpauschale, da die Beitragssumme der bis

1950 geborenen Jahrgänge nicht ausreicht, die Ausgaben der umlagefinanzierten

Versicherung zu decken. Sollten Kinder beitragsfrei mitversichert werden, müsste

ebenfalls ein Umlagebeitrag für Kinder, die sog. Kinderpauschale, von den jüngeren

Jahrgängen getragen werden. Diese beiden Pauschalen sollen sich daraus ergeben,

indem man die Nettokosten (Leistungsausgaben abzüglich der Beiträge) der jeweiligen

Personengruppe durch die Anzahl derer in der neuen kohortenspezifischen

Pflegeversicherung dividiert.

- Der Leistungskatalog und der Teilkaskocharakter der Pflegeversicherung sollen

erhalten bleiben und für alle Pflegeversicherungen gleich sein.

- Der Arbeitgeberbeitrag soll als Bruttolohn ausgezahlt und versteuert werden.

- Sollte die Pauschale einen Prozentsatz (Eigenteilansatz) des Hausaltseinkommens

übersteigen, wird der Staat mit finanziellen Mitteln aushelfen.

Eine Umstellung wie diese wäre jedoch mit erheblichen Kosten verbunden, da die älteren

Jahrgänge höhere Beiträge leisten sollen und die anderen Jahrgänge die Beiträge für ihre

kohortenspezifische Versicherung aufbringen müssten. Zusätzlich wird der Steuerzahler für

den sozialen Ausgleich aufkommen müssen, da die Übergangsphase eine Überbelastung für

viele Beitragszahler mit sich bringen wird.45

4.3.5 Kronberger Kreis46

Das Reformkonzept des Kronberger Kreises von 2005 sieht vor, die Pflegeversicherung so zu

reformieren, dass die Finanzierung durch einkommensunabhängige Beiträge gewährt wird

und die Absicherung im Falle der Pflegebedürftigkeit durch angemessene Leistungsniveaus

45 vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2004/05. 46 1982 wurde der Kronberger Kreis als wissenschaftlicher Beirat der Stiftung Marktwirtschaft gegründet, um mit Reformkonzepten einen Beitrag zur Weiterentwicklung in Deutschland und Europa zu leisten.

28

Page 32: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

bestehen bleibt. Dies könne allerdings im bestehenden System nicht umgesetzt werden,

weshalb eine Umstellung auf eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung mit

Versicherungspflicht von Nöten sei. Dabei sollen folgende Punkte umgesetzt werden:

- Für jeden Bürger soll eine Versicherungspflicht gelten, mit der eine

Mindestabsicherung gewährleistet werden soll. Zusätzlich sollen noch

Zusatzversicherungen abgeschlossen werden können.

- Die Versicherungsprämien der kapitalgedeckten Pflegeversicherung sollen sich im

Wettbewerb bilden und sich an den im Pflegefall voraussichtlich zu erbringenden

Leistungen der versicherten Personen orientieren.

- Die Prämie soll ausschließlich vom Versicherten entrichtet werden. Der derzeitige

Arbeitgeberanteil soll dahingegen als Bruttolohnbestandteil ausgezahlt und in die

Besteuerung mit einbezogen werden.

- Die Versicherten sollen Altersrückstellungen bilden, die nach individuellen Risiken

der Versicherten zu differenzieren sind und bei einem Wechsel der Versicherung auf

die neue Versicherung übertragen werden.

- Im Rahmen der Mindestversicherung soll jeder Versicherte einen prozentualen Anteil

an den anfallenden Pflegekosten übernehmen. Der Selbstbehalt soll jedoch nach oben

begrenzt werden.

- Versicherte, die ihre Prämie und die Selbstbeteiligung nicht bezahlen können, erhalten

eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln.

- Die Trennung zwischen gesetzlichen und privaten Versicherten entfällt.

- In der Einführungsphase der kapitalgedeckten Pflegeversicherung soll ein

Höchstbetrag für die aufzuwendende Versicherungsprämie bis zu einer

Belastungsgrenze von etwa 50 Euro monatlich je Versicherten gelten. Die

Versicherungspflicht soll dann als erfüllt gelten, auch wenn die mit diesem

Höchstbetrag erworbenen Versicherungsleistungen hinter dem Mindestversicher-

tenniveau zurückbleiben sollten.

Bei der Umstellung von dem bisherigen umlagefinanzierten System zur kapitalgedeckten

Pflegeversicherung soll den Pflegebedürftigen zur Zeit der Umstellung ein Vertrauensschutz

gewährt werden, allerdings sei eine höhere Eigenbeteiligung der bereits Pflegebedürftigen

denkbar. Letztendlich wäre es sinnvoll die Pflegeversicherung in die Krankenversicherung zu

29

Page 33: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

integrieren, da sich die Leistungen der beiden Versicherungen selten eindeutig abgrenzen

lassen.47

4.4 Abschaffung der Pflegeversicherung

Die Abschaffung der sozialen Pflegeversicherung durch die Integration in die gesetzliche

Krankenversicherung stellt aufgrund des Schnittstellenproblems der beiden

Versicherungstypen, also der Abgrenzung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit eine weitere

Alternative dar. Bisher werden die Kosten, die im Grenzbereich von Krankheit und Pflege

liegen von den Krankenkassen den Pflegekassen zugeschoben. Dies ergibt sich insbesondere

bei Verhandlungen mit Leistungsanbietern, die in beiden Bereichen tätig sind.

Eine Reform in dieser Hinsicht soll folgendermaßen aussehen:

- Pflegestufe I soll abgeschafft werden.

- Die wettbewerbliche Organisation der Krankenversicherung würde sich auf die

Pflegeversicherung übertragen.

- Die Geldleistungen sollen durch ein Punktesystem ersetzt werden, wodurch individuell

angepasste Sachleistungspakete zusammengestellt werden könnten.

- Der Risikostrukturausgleich müsste bei einer Zusammenlegung der beiden

Versicherungen neu gestaltet werden.

- Die Finanzierung soll durch einkommensunabhängige Grundbeiträge gewährleistet

sein. Diese monatlichen Grundbeiträge sollen sich für Erwachsene auf ca. 190 Euro

belaufen und für Kinder auf ca. 75 Euro. Dabei könnte ein höheres Kindergeld den

Wegfall der kostenfreien Mitversicherung der Kinder entschädigen.

- Das neue System soll im Grundleistungskatalog weiterhin auf der Umlagefinanzierung

beruhen.

- Dabei sollen alle Bürger ab einem bestimmten Stichtag, die bisher keine

Krankenversicherung hatten oder die bisher in der gesetzlichen Krankenversicherung

freiwillig oder pflichtversichert waren im Umfang des Grundleistungskatalogs

versichert sein.

- Personen, die bisher ausreichend privatversichert waren und sich somit schon

Altersrückstellungen gebildet haben, sollen das Recht haben auch weiterhin diese

47 vgl. Donges et al. 2005.

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Page 34: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

Versicherung weiterzuführen. Die Möglichkeit in das neue System zu wechseln soll

jedoch immer gewährleistet sein.

- Die Integration der Pflegeversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung sollte

bis zum 1. Januar 2007 statt finden.48

5 Fazit

Inzwischen erhalten rund zwei Millionen pflegebedürftige Menschen jeden Monat ihre

Versicherungsleistungen, rund 1,37 Millionen im ambulanten und rund 0,64 Millionen im

stationären Bereich (einschließlich der pflegebedürftigen Menschen in vollstationären

Einrichtungen, der Hilfe für behinderte Menschen).

Mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 hat sich die Situation

pflegebedürftiger Menschen in Deutschland deutlich verändert. Die pflegebedingte

Sozialhilfeabhängigkeit ist erheblich verringert worden. Derzeit benötigen nur noch rund 5%

der pflegebedürftigen Menschen in häuslicher Pflege und rund 25% der stationär versorgten

pflegebedürftigen Menschen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten, zusätzlich

Sozialhilfe.49

Die häusliche Pflege ist entscheidend gestärkt worden, rund zwei Drittel der

pflegebedürftigen Menschen haben sich bisher für diese entschieden. Allerdings nehmen die

Pflegebedürftigen zunehmend die teure Pflege in stationären Einrichtungen in Anspruch, was

u.a. auf die veränderten Familienstrukturen zurückzuführen ist. Durch den zunehmenden

Heimsog wird die Pflegeversicherung finanziell stärker belastet, weshalb auch weiterhin

versucht werden sollte, die häusliche Pflege zu fördern.

Zugleich wurde versucht die Pflegeinfrastruktur und die Qualität der Pflege deutlich zu

verbessern. So ist ein beachtlicher Pflegemarkt mit partiellem Wettbewerb entstanden, der

jedoch einen freien Preiswettbewerb nicht mit einschließt, da diese verbindlich festgelegt

sind.

Allerdings steht die soziale Pflegeversicherung in Zukunft vor zunehmenden finanziellen

Problemen aufgrund dessen eine Reform unumgänglich ist. Die bisherigen Reformkonzepte

für die Pflegeversicherung erstrecken sich von der Beibehaltung der Sozialen

48 vgl. Breyer et al. 2004. 49 vgl. http://www.bmgs.bund.de

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Page 35: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

Pflegeversicherung im Umlageverfahren, welches jedoch modernisiert werden soll, über

„Mischformen“ bis hin zur vollständigen kapitalgedeckten Pflegeversicherung.

Die komplette Umstellung von der sozialen Pflegeversicherung auf eine private

Pflichtversicherung findet immer größeren Anklang, insbesondere vor dem Hintergrund der

Zahlen der Privaten Pflegeversicherung. Dort konnten inzwischen mehr als 5,5 Milliarden

Euro für die privat Pflichtversicherten und deren kapitalgedeckter Finanzierung angehäuft

werden. Seit 1995 wurden die Beiträge sogar dreimal reduziert.50 Durch die komplette

kapitalgedeckte Finanzierung, wäre die Unabhängigkeit von den demographischen Problemen

weitgehend gewährleistet.

Allerdings spricht gegen eine vollständige Umstellung auf eine kapitalgedeckte

Pflegeversicherung, dass auf die beitragszahlende Generation in der Umstellungsphase eine

erhebliche Mehrbelastung zukäme, da neben den laufenden Pflegeleistungen auch finanzielle

Mittel für den Aufbau der Altersrückstellungen aufgebracht werden müssten.

Mit Hilfe von Modellprojekten, wie das Pflegebudget, könnte die soziale

Pflegeversicherung kurzfristig reformiert werden und trotz der demographischen Entwicklung

die Pflege vorerst auf dem derzeitigen Versorgungsniveau gehalten werden. Langfristig wird

es jedoch unumgänglich sein, eine grundlegende Reform der Finanzierung der

Pflegeversicherung umzusetzen.

50 vgl. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=41993

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Page 36: Die soziale Pflegeversicherung in der Krise ...€¦ · Die Pflegeversicherung ist im Umlageverfahren über Beiträge finanziert. Angelehnt an das Doppelsystem von gesetzlicher und

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