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| Der Internist 6·99 640 J. Joachimski · Bayerisches Oberstes Landesgericht Die Substitution aus rechtlicher Sicht gen, der Kontrolle, Höchstmengen und die Art und Weise der Verschreibung festlegt&fn.2: 2 . Aus der gesetzlichen Situation ergibt sich – zunächst allgemein für jede Verschreibung von Betäubungsmitteln – folgendes: 1. Untersuchungspflicht Der Arzt muß sich durch eine Untersu- chung von der Notwendigkeit der Ver- schreibung überzeugen. Dazu muß er eine eigene Diagnose stellen und darf sich nicht ohne weiteres auf die Anga- ben des Patienten verlassen&fn.3: 3 . Auf eine eigene Untersuchung darf auch nicht deswegen verzichtet werden, weil die Untersuchungsmöglichkeiten beschränkt sind. Ziel der Untersuchung ist die Bil- dung einer ärztlichen Überzeugung darüber, daß zur Bekämpfung des durch ärztliche Prüfung gefundenen Krankheitszustandes ein gefährliches Mittel notwendig ist. Ein Irrtum über diese Pflicht zur Untersuchung des Pati- enten stellt sich als Verbotsirrtum dar, Allgemeine Voraussetzungen der Verschreibung eines Betäubungsmittels Jede Verschreibung eines Betäubungs- mittels – ob als Substitutionsmittel oder in der Schmerztherapie – steht un- ter dem Vorbehalt des § 13 Abs. 1 BtMG. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung (1) Die in Anlage III bezeichneten Be- täubungsmittel dürfen nur von Ärz- ten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rah- men einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung ein- schließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit&fn.1: 1 verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tieri- schen Körper begründet ist. Die An- wendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht wer- den kann. Die in Anlagen I und II be- zeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden. Die Vorschrift wird für das Verschrei- ben eines Substitutionsmittels ergänzt durch § 5 der Betäubungsmittelver- schreibungsverordnung (BtMVV), wel- che die Einzelheiten der Voraussetzun- Übersicht Internist 1999 · 40:640–644 © Springer-Verlag 1999 Zum Thema Die Drogensubstitution existiert wie die ge- samte Medizin nicht im rechtsfreien Raum. Als eines der immer noch umstrittenen ge- sundheitspolitischen Mittel ist sie strikter rechtlicher Kontrolle unterworfen.Verstöße gegen die zum Teil recht strengen Normen der Rechtsordnung können natürlich erheb- liche strafrechtliche Konsequenzen haben. Der Beitrag erläutert die Stellung der Sub- stitution im Betäubungsmittelstrafrecht und die zu beachtenden Vorschriften. Schlüsselwörter Sucht,Therapie · Drogen,Therapie 2 vgl. Bundesgesetzblatt I 1998, S. 80. Auf den Abdruck wird aus Platzgründen ver- zichtet& / f n : 3 BayObLG NJW 1970, 529; LG Marburg, Urteil vom 28.2.1978–2 Ls 76/78 Ns: In dem vom Bayerischen Obersten Landes- gericht entschiedenen Fall hatte der Arzt dem Ehemann einer angeblich sich in dem vor der Praxis geparkten Auto auf- haltenden Patientin ohne deren Untersu- chung Betäubungsmittel verschrieben, weil er glaubte, die Angaben des Mannes träfen zu& / f n : Oberstaatsanwalt J. Joachimski Bayerisches Oberstes Landesgericht, Schleißheimerstraße 139, D-80797 München& / f n - b l o c k : & b d y : 1 Kursiv gedruckter Teil eingefügt mit Gesetz vom 23.12.1992 (BGBl. I 2483)& / f n :

Die Substitution aus rechtlicher Sicht

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Page 1: Die Substitution aus rechtlicher Sicht

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J. Joachimski · Bayerisches Oberstes Landesgericht

Die Substitutionaus rechtlicher Sicht

gen, der Kontrolle, Höchstmengen unddie Art und Weise der Verschreibungfestlegt&fnn.2:2. Aus der gesetzlichen Situationergibt sich – zunächst allgemein für jedeVerschreibung von Betäubungsmitteln– folgendes:

1. Untersuchungspflicht

Der Arzt muß sich durch eine Untersu-chung von der Notwendigkeit der Ver-schreibung überzeugen. Dazu muß ereine eigene Diagnose stellen und darfsich nicht ohne weiteres auf die Anga-ben des Patienten verlassen&fnn.3:3. Auf eineeigene Untersuchung darf auch nichtdeswegen verzichtet werden, weil dieUntersuchungsmöglichkeiten beschränktsind. Ziel der Untersuchung ist die Bil-dung einer ärztlichen Überzeugungdarüber, daß zur Bekämpfung desdurch ärztliche Prüfung gefundenenKrankheitszustandes ein gefährlichesMittel notwendig ist. Ein Irrtum überdiese Pflicht zur Untersuchung des Pati-enten stellt sich als Verbotsirrtum dar,

Allgemeine Voraussetzungender Verschreibungeines Betäubungsmittels

Jede Verschreibung eines Betäubungs-mittels – ob als Substitutionsmitteloder in der Schmerztherapie – steht un-ter dem Vorbehalt des § 13 Abs. 1 BtMG.Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

Verschreibung und Abgabeauf Verschreibung

(1) Die in Anlage III bezeichneten Be-täubungsmittel dürfen nur von Ärz-ten, Zahnärzten und Tierärzten undnur dann verschrieben oder im Rah-men einer ärztlichen, zahnärztlichenoder tierärztlichen Behandlung ein-schließlich der ärztlichen Behandlungeiner Betäubungsmittelabhängigkeit&fnn.1:1verabreicht oder einem anderen zumunmittelbaren Verbrauch überlassenwerden, wenn ihre Anwendung amoder im menschlichen oder tieri-schen Körper begründet ist. Die An-wendung ist insbesondere dann nichtbegründet, wenn der beabsichtigteZweck auf andere Weise erreicht wer-den kann. Die in Anlagen I und II be-zeichneten Betäubungsmittel dürfennicht verschrieben, verabreicht odereinem anderen zum unmittelbarenVerbrauch überlassen werden.

Die Vorschrift wird für das Verschrei-ben eines Substitutionsmittels ergänztdurch § 5 der Betäubungsmittelver-schreibungsverordnung (BtMVV), wel-che die Einzelheiten der Voraussetzun-

ÜbersichtInternist1999 · 40:640–644 © Springer-Verlag 1999

Zum Thema

Die Drogensubstitution existiert wie die ge-

samte Medizin nicht im rechtsfreien Raum.

Als eines der immer noch umstrittenen ge-

sundheitspolitischen Mittel ist sie strikter

rechtlicher Kontrolle unterworfen.Verstöße

gegen die zum Teil recht strengen Normen

der Rechtsordnung können natürlich erheb-

liche strafrechtliche Konsequenzen haben.

Der Beitrag erläutert die Stellung der Sub-

stitution im Betäubungsmittelstrafrecht und

die zu beachtenden Vorschriften.

Schlüsselwörter

Sucht,Therapie · Drogen,Therapie

2 vgl. Bundesgesetzblatt I 1998, S. 80. Aufden Abdruck wird aus Platzgründen ver-zichtet&/fn:3 BayObLG NJW 1970, 529; LG Marburg,Urteil vom 28.2.1978–2 Ls 76/78 Ns: Indem vom Bayerischen Obersten Landes-gericht entschiedenen Fall hatte der Arztdem Ehemann einer angeblich sich indem vor der Praxis geparkten Auto auf-haltenden Patientin ohne deren Untersu-chung Betäubungsmittel verschrieben,weil er glaubte, die Angaben des Mannesträfen zu&/fn:

Oberstaatsanwalt J. JoachimskiBayerisches Oberstes Landesgericht,

Schleißheimerstraße 139, D-80797 München&/fn-block:&bdy:1 Kursiv gedruckter Teil eingefügt mitGesetz vom 23.12.1992 (BGBl. I 2483)&/fn:

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der bei Vermeidbarkeit allenfalls zu ei-ner Strafmilderung führen kann.

Gelangt der Arzt dagegen nach ei-ner Untersuchung zu dem unzutreffen-den Ergebnis, die Verschreibung einesBetäubungsmittels sei erforderlich wiemedizinisch begründet und verschreibter daraufhin ein Betäubungsmittel, soist diese Handlungsweise in der Regelschon deswegen nicht strafbar, weil § 29Abs. 1 Nr. 6 a nur bei vorsätzlicher Tat-begehung des Verschreibens zu einerStrafe führt. Dies ergibt sich daraus,daß nach § 15 StGB fahrlässiges Han-deln nur dann strafbar ist, wenn dasGesetz es ausdrücklich bestimmt. Diesist in § 29 Abs. 4 BtMG aber nicht vorge-sehen. Für die Straftat des Arztes nach§ 29 Abs. 1 Nr. 6a hat der Gesetzgeber imHinblick auf den inneren Tatbestandbewußt eine Privilegierung geschaffen,um dem Arzt die Entscheidung zu er-leichtern. Der Arzt soll gerade nicht dasGefühl haben, „mit einem Bein im Ge-fängnis zu stehen“.

Über den engen Bereich des Ver-schreibens hinaus ist der Arzt abernicht privilegiert. Verschuldet er alsoz.B. durch Liegenlassen unterschriebe-ner Betäubungsmittelrezepte die unbe-fugte Abgabe von Betäubungsmittelnaus Apotheken, so ist er strafrechtlichverantwortlich nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1BtMG wegen unbefugten Inverkehr-bringens von Betäubungsmitteln.

Dabei ist noch auf folgendes hinzu-weisen: Die Privilegierung gilt nur fürdas Verschreiben von Betäubungsmit-teln, nicht für deren Verabreichungoder für die Überlassung zum unmit-telbaren Verbrauch oder gar die Abga-be. Dies ergibt sich daraus, daß ledig-lich § 29 Abs. 1 Nr. 6a in § 29 Abs. 4BtMG genannt ist&fnn.4:4. Irrt sich daher derArzt bei einer Verschreibung über de-ren ärztliche Begründung, so bleibt erstraffrei. Geschieht dasselbe bei derÜberlassung des Betäubungsmittels anden Patienten, so kann eine Verurtei-lung des Arztes wegen der Fahrlässig-keitstat erfolgen&fnn.5:5.

Allerdings wird man im Falle derVerschreibung zur Substitution eineAusnahme von der Strafbarkeit der

desgerichtshof noch davon ausgegan-gen, daß die Frage der ärztlichen Be-gründetheit einer Verschreibung da-nach beantwortet werde, ob nach denallgemeinen und weitaus überwiegendanerkannten Regeln der ärztlichen Wis-senschaft das Mittel für das Leiden desPatienten als Heilmittel geeignet ist&fnn.7:7.Sein Urteil wurde weitgehend so ver-standen, als legten die Ärztevertretun-gen kraft ihres Auftrages auch fest, wasdie anerkannten Regeln der Medizinseien. Mit dem Beschluß vom 17.5.1991&fnn.8:8wandte sich aber der Bundesgerichts-hof gegen eine „Richtlinienkompetenz“der Bundesärztekammer. Empfehlun-gen der ärztlichen Berufsorganisatio-nen sind für den Richter, der in eigenerVerantwortung über das Vorliegen derden Straftatbestand des § 29 Abs. 1Nr. 6a BtMG ausführenden Norm des§ 13 Abs. 1 BtMG zu entscheiden hat,zwar eine Entscheidungshilfe, entbin-den ihn aber nicht von der Verpflich-tung, auch unter Berücksichtigung ab-weichender Stellungnahmen der ärztli-chen Wissenschaft in jedem einer Ver-urteilung zugrundeliegenden Einzelfallzu prüfen, ob die Verschreibung des Be-täubungsmittels begründet war.

Die Äußerung des Vorstandes derBundesärztekammer ist keine Rechts-norm, die die in § 13 Abs. 1 BtMG festge-legte Strafbarkeitsgrenze zu konkreti-sieren vermag&fnn.9:9. Sie hat nach § 5 Abs. 1S. 3 BtMVV nur den Charakter einerEmpfehlung. Das bedeutet, daß sie zwarnicht bindend ist, der behandelnde Arztsich aber auch nicht ohne zwingendenGrund über sie hinwegsetzen kann. DieWirkung einer solchen Empfehlung istvergleichbar derjenigen der Unfallver-hütungsvorschriften bei Verletzungsde-likten: Sie bildet den Schuldmaßstabbei einer Pflichtwidrigkeit.

Inhalt des Prüfungsmaßstabes: In seinemUrteil vom 8.5.1979 hatte der Bundesge-richtshof betont, daß eine ärztliche Be-gründetheit einer Betäubungsmittel-verschreibung dann und nur dann inBetracht käme, wenn das Mittel nachden allgemeinen oder weitaus überwie-gend anerkannten Regeln der ärztli-

Fahrlässigkeitstat deswegen machenmüssen, weil der Arzt verschreibt undzum Gebrauch überläßt. Bei der Substi-tutionsbehandlung ist es dem Arzt jaauch durch § 5 Abs. 4 BtMVV ausdrück-lich untersagt, die Verschreibung demPatienten zu übergeben. Nach § 5 Abs. 5BtMVV muß er im Regelfall selbst oderdurch beauftragtes Personal dem Pati-enten das Substitutionsmittel zum Ge-brauch überlassen. Wenn er diese ge-setzliche Verpflichtung erfüllt, kann ernicht schlechter stehen als hätte er aus-schließlich verschrieben.

Diese Überlegung ist auch vomZweck des Gesetzes her gestützt: Dergesetzgeberische Grund für eine unter-schiedliche rechtliche Behandlung desVerschreibens einerseits, der Überlas-sung zum unmittelbaren Verbrauchbzw. der Verabreichung andererseits istdarin zu sehen, daß bei Verschreibun-gen für einen bestimmten Patienten einhöheres Maß an Kontrolle durch dasBundesinstitut für Medizin und Arznei-produkte gewährleistet ist als bei einerÜberlassung aus dem Praxisbedarf. DerGesetzgeber wollte damit die bessereKontrollmöglichkeit durch ein geringe-res Strafrisiko honorieren.

Es ist hier schließlich auch der all-gemeine Vorbehalt zu machen, daß ausjuristischer Sicht sehr viel häufiger einevorsätzliche Straftat vorliegt als derLaie annimmt. Er geht davon aus, daßnur derjenige vorsätzlich handelt, demes auf den Erfolg der Straftat ankommt.Die Strafrechtswissenschaft hat dem-genüber den Begriff des „bedingtenVorsatzes“ entwickelt. Auch er ist Vor-satz im Rechtssinne, liegt aber schondann vor, wenn der Täter die Umstände,unter denen er handelt, kennt, und denauch ihm unerwünschten Erfolg ledig-lich billigend in Kauf nimmt. Selbst un-ter diesem Vorbehalt jedoch wird in allerRegel nur eine fahrlässige Tatbegehungvorliegen, wenn der Arzt entgegen § 13BtMG Betäubungsmittel verschreibt,ohne daß eine ausreichende ärztlicheBegründung hierfür gegeben ist.

2. Maßstäbe für die Begründetheitder Anwendung

Ursprung des Prüfungsmaßstabes: In sei-nem Urteil vom 8.5.1979&fnn.6:6 war der Bun-4 vgl. Hügel/Junge, Deutsches Betäu-

bungsmittelrecht, Erg.lfg. 1998, RN 36.1.6zu § 29 BtMG&/fn:5 BGH StV 1998, 593&/fn: 6 MDR 1979, 773&/fn:

7 BGHSt 1, 318/322&/fn:8 MDR 1991, 779&/fn:9 BVerfGE 76, 171&/fn:

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chen Wissenschaft als Heilmittel fürdas Leiden des Patienten geeignet ist&fnn.10:10.Diese Entscheidung beruhte noch aufder Fassung des Betäubungsmittelge-setzes 1971, die die Verschreibung vonBetäubungsmitteln dann unter Strafestellte, wenn „die Anwendung nichtärztlich, zahnärztlich oder tierärztlichbegründet ist“. Die Gesetzesbegrün-dung zum BtMG 1982 stellte aber nichtklar, was der Gesetzgeber mit dem Ver-zicht auf das Wort „ärztlich“ aus dervorherigen Fassung des Gesetze hatteerreichen wollen&fnn.11:11.

An die Erfüllung des nunmehr gül-tigen Tatbestandsmerkmales „keine Be-gründetheit der Anwendung am oder inmenschlichen Körper“ sind nach An-sicht des Bundesgerichtshofes strengeAnforderungen zu stellen. Es hängtnämlich vom Vorliegen dieses Merkma-les ab, ob ein Arzt, der ein an sich ver-schreibungsfähiges Betäubungsmittelverschreibt, eine schwere Straftat be-geht oder nicht. Überwiegend wird derneue Wortlaut des Gesetzes so verstan-den, daß eine sozialmedizinische Indi-kation zum Verschreiben ausreicht, z.B.um dem Opiatabhängigen unter In-kaufnahme einer fortbestehenden Ab-hängigkeit von dem Zwang zur Be-schaffungskriminalität zu befreien.

Subsidiarität: § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMGnennt weiter die Voraussetzung, daß dieVerschreibung eines Betäubungsmittelsdie letzte mögliche Maßnahme seinmuß, die zur Behandlung in Betrachtkommt. Dieser Grundsatz der Subsidia-rität der Betäubungsmittelverschrei-bung verbietet eine Verschreibung im-mer dann, wenn eine andere, den Pati-enten weniger gefährdender Heilmaß-nahme in Betracht kommt. Ergibt diePrüfung, daß der Heilzweck auf andereWeise erreicht werden kann, so mußder Art gemäß seiner beruflichenPflicht, bei seinem gesamten HandelnGefährdungen des Patienten möglichstzu vermeiden, von der Anwendung ei-nes Betäubungsmittels absehen. DieVorschrift soll sicherstellen, daß Betäu-bungsmittel im Rahmen eines ärztli-chen Heilverfahrens nur bei unum-gänglicher medizinischer Notwendig-

handlung einer Betäubungsmittelab-hängigkeit liegt nur dann vor, wenn derArzt mit der Verschreibung eine Ver-besserung des Zustandes des Patientenanstrebt. Es ist hier auch einmal deut-lich klarzustellen, daß der Gesetzgebernicht etwa den bloßen Ersatz eines Be-täubungsmittels durch ein anderes alsBehandlung im Sinne des § 13 BtMG an-sieht.

Das Hauptproblem bei der Ver-schreibung substituierender Mittel liegtdarin, daß diese zunächst die Abhän-gigkeit an sich – wenn auch von eineranderen Droge – aufrechterhalten odergar verstärken. Die Rechtsprechung hatjedoch stets gefordert, daß auch beimEinsatz von Substitutionsmitteln demZiel gedient werde, den Gebrauch vonDrogen zu beenden. Dies muß kein un-lösbarer Widerspruch sein. Nach derGrundentscheidung des Bundesgesetz-gebers kann auch die Substitution Teileines Therapiekonzeptes sein. Lediglichdas Endziel der Behandlung muß – vonAusnahmefällen abgesehen − der An-forderung des Anstrebens der Drogen-abstinenz des Patienten entsprechen.Von der Rechtsprechung wird die Sub-stitutionsbehandlung vielfach auch als„Behandlung, die der Rehablitationdient“ im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG– und damit als eine Voraussetzung fürdie Zurückstellung der Strafvollstrek-kung – angesehen&fnn.13:13, jedenfalls, wenndamit nicht lediglich eine Leidensmin-derung, sondern eine Stabilisierungund gesellschaftliche Eingliederung an-gestrebt wird&fnn.14:14.

§ 5 Abs. 1 BtMVV läßt praktisch fol-gende Fallgestaltungen zu:

a. Stabilisierung des Patienten zur Herstel-lung der Behandlungsfähigkeit (Nr. 1): DerPatient, der erstmals einen Arzt mitdem Ziel aufsucht, sich einer Substituti-onsbehandlung zu unterziehen, ist füreine Entzugstherapie körperlich odergeistig noch nicht bereit. Für einen be-fristeten Zeitraum bedarf er häufig derSubstitutionsbehandlung, um ihn füreine Entzugstherapie behandlungsfä-hig zu machen. In diesem Fall ist derArzt aber auch ständig zur Prüfung an-gehalten, ob die Besserung und Stabili-

keit und ausschließlich zum Zweck derHeilung einschließlich der Schmerzlin-derung und der Behandlung einer Dro-genabhängigkeit erworben werden. Da-mit soll der Entstehung einer Sucht ent-gegengewirkt und ferner verhindertwerden, daß eine bereits bestehendeSucht durch Verschreibung unter Nicht-beachtung oder nicht hinreichenderBeachtung des Standes der ärztlichenWissenschaft oder durch Vorratsver-schreibung gefördert wird.

3. Einhaltung der Betäubungsmittel-verschreibungsverordnung

Die BtMVV nennt in §§ 1 (Verschrei-bung als Zubereitung, 2 (Höchstmen-gen) und 9 (Angaben auf dem Rezept)Anforderungen an Betäubungsmittel-verschreibungen, die natürlich auch beider Substitutionsbehandlung einzuhal-ten sind.

Besondere Voraussetzungenbei der Verschreibungzur Substitution

1. Opiatabhängigkeit

Zu beachten ist, daß lediglich eine be-stehende Opiatabhängigkeit eine medi-zinische Begründung für die Verschrei-bung eines Substitutionsmittels liefernkann, § 5 Abs. 1 Nr. 1 BtMVV. Nur wenneine solche Abhängigkeit sich auch beider Untersuchung herausgestellt hat,darf der Arzt ein Substitutionsmittelverschreiben.Auf die Angaben des Pati-enten soll er sich dabei nicht aus-schließlich verlassen. Er muß bei derUntersuchung vor allem darauf achten,ob Entzugserscheinungen, wie sie beiHeroinabusus typisch sind oder ent-sprechende Anzeichen einer bevorste-henden Entzugssymptomatik vorlie-gen. Ein Medikamenten- oder Ha-schischmißbrauch reicht nicht aus, umeine Verschreibung von Substitutions-mitteln zu begründen&fnn.12:12.

2. Besonderes Behandlungsziel

Die Opiatabhängigkeit als solche ge-nügt natürlich nicht, um die Verschrei-bung eines substituierenden Betäu-bungsmittels zu rechtfertigen. Eine Be-

10 so schon RGSt 62, 369/385&/fn:11 vgl. Haffke, MedR 1990, 243, 246Anm. 37&/fn: 12 BGH NStZ 1998, 414&/fn:

13 so OLG Frankfurt, StV 1995, 90;LG Bochum StV 1995, 92&/fn:14 so OLG Köln StV 1995, 649&/fn:

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sierung des Gesundheitszustandes schonso weit fortgeschritten ist, daß jetzt derÜbergang zur Entzugstherapie erfor-derlich wird. Meist wird dann die zwei-te Alternative aktuell:

b. Überbrückung der Zeit bis zum Beginn ei-ner Entzugstherapie (Nr. 1): Auch dieserFall ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BtMVV alszulässige Indikation für die Verschrei-bung eines Substitutionsmittels anzu-sehen. Anders als im ersten Fall bedarfes dann nicht der Prüfung des Behand-lungserfolges, wenn die Entzugsthera-pie in greifbare Nähe gerückt ist unddie Substitution lediglich verhindernsoll, daß der Patient wieder ungeeignetfür das Durchstehen derselben wird.

c. Befristeter Austausch und Verringerungder Risiken (Nrn. 2 und 3): Die beiden Aus-nahmefälle behandeln im Prinzip die-selbe Grundsituation: Eine Entzugsthe-rapie kommt nicht in Betracht, da diekörperliche Belastung durch andere Ri-sikofaktoren das Ziel einer Drogenab-stinenz gegenwärtig als zweitrangig er-scheinen läßt. Es sind die Fälle, in de-nen ein nüchtern denkender Beobach-ter die Auffassung vertreten würde, esgebe momentan etwas wichtigeres alsdie Behandlung der Drogenabhängig-keit.

3. Sonstige Voraussetzungen

§ 5 Abs. 3 BtMVV nennt weitere Voraus-setzungen der Substitution. Bei denNummern 1 und 4 handelt es sich ei-gentlich um Gründe, die den Arzt bewe-gen müssen, eine Substitution nichtaufzunehmen oder – sofern schon auf-genommen – abzubrechen. Die Num-mern 2, 3 und 5 dagegen sichern dievom Verordnungsgeber vorgeseheneGestaltung der Substitutionsbehand-lung. Die nachfolgend erläuterten Re-gelungen sollen die Erfolgsaussichtender Behandlung verbessern, aber auchverhindern, daß Patient und Arzt sichmit der Substitution als Dauerzustandarrangieren.

a. Eignung des Patienten für die Substitution(Nr. 1): Der Arzt, der ein Substitutions-mittel verschreibt, muß dabei in Rech-nung stellen, daß der Patient als Dro-genabhängiger nicht immer rationalhandeln wird und daß seine Drogen-sucht sowohl seine Entscheidungsfrei-

den die „Erhebungen“ deshalb daraufhinauslaufen, daß der Arzt den Patien-ten zu diesen Punkten befragt und dieAntworten mit der gebotenen Vorsichtwertet. Nur wenn ihm aus anderer si-cherer Quelle in Bezug auf die hier an-gesprochenen Tatsachen Gegenteiligesbekannt wird, darf sich der Arzt auf dieAuskünfte des Patienten nicht verlassenund muß die Substitutionsbehandlungggfs. abbrechen.

§ 5 Abs. 2 Nr. 4 BtMVV verlangt Er-hebungen zu folgenden Punkten:

● Parallele Substitutionsbehandlung beieinem anderen Arzt

● Hartnäckige Nichtteilnahme an flan-kierenden Behandlungen oder Be-treuungen

● Beigebrauch anderer Betäubungs-mittel

● Weisungswidriger Gebrauch der Sub-stitutionsmittel

Gerade bei dieser Vorschrift ist beson-ders darauf hinzuweisen, daß der Arztkeinerlei Ermessensspielraum hat, wennihm Tatsachen bekanntwerden, die ei-nen der genannten Punkte ausfüllenund er von der Wahrheit dessen über-zeugt ist. Er muß dann die Behandlungabbrechen und darf dies auch nicht nur„pro forma“ tun, um sie sofort wiederaufzunehmen. Verstößt er gegen diesePflicht, macht er sich nach § 29 Abs. 1Nr. 6a BtMG strafbar. Eine Neuaufnah-me der Substitutionsbehandlung nacheinem derartigen Abbruch ist nur mög-lich, wenn sich die Verhältnisse nach-haltig geändert haben. Das Risiko,durch eine Substitutionsbehandlungdie Situation zu verschärfen ist nachder Ansicht des Verordnungsgebers sogroß, daß im Zweifel einem Abbruchder Behandlung der Vorzug gegenüberder Weiterführung unter Gefahren ge-geben wird.

3. Substitutionsmittel

Die BtMVV läßt in § 5 Abs. 3 S. 2 Metha-don und Levomethadon als „normale“Substitutionsmittel zu, Codein und Di-hydrocodein nur für „nicht anders be-handelbare“ Ausnahmefälle. Durch die-se Wortwahl wird eine Wertung desVerordnungsgebers klar: Grundsätzlichsollen Codein und DHC nicht in derSubstitution eingesetzt werden. Zwarwird durch die Vorschrift nicht etwa ein

heit wie auch sein Unrechtsbewußtseinin erheblichem Ausmaß beeinträchtigt.Aus diesem Grund darf der Arzt demPatienten prinzipiell nicht glauben,wenn dieser Versprechungen für seinVerhalten in naher Zukunft macht. DerArzt muß damit rechnen, daß der Pati-ent zum Mißbrauch der verschriebenenMedikamente neigt und muß alles tun,um einen derartigen Mißbrauch zu ver-hindern. Wenn er absehen kann, daßsein Patient wahrscheinlich seinen An-ordnungen zuwiderhandeln wird, darfer kein Betäubungsmittel verschreiben.In solchen Fällen kann eine Substituti-onsbehandlung nur stationär erfolgen.

b. Behandlungskonzept (Nr. 2): Auch in die-ser Vorschrift kommt zum Ausdruck,daß die Substitution nicht Selbstzweckist. Soll der Patient zu einer Abstinenz-therapie hingeführt werden, bedarf erin der Regel einer entsprechenden Stüt-ze im psychischen Bereich. Mehr noch:Die Substitution nimmt einen Teil desLeidensdruckes, der häufig Auslöser fürden Willen des Patienten, sich einerEntzugstherapie zu unterziehen, ist.Diesen Motivationsverlust muß die psy-chische Behandlungskomponente aus-gleichen.

c. Behandlungs- und Betreuungsmaßnah-men (Nr. 3): Die Vorschrift legt dem Arzteine Handlungspflicht auf. In Betrachtkommen neben Maßnahmen nach Nr. 2aber auch Untersuchungen, welche dieBehandlung flankieren und Behand-lungen außerhalb des eigentlichen Tä-tigkeitsbereiches desjenigen Arztes, derdie Substitution vornimmt, so z.B.Zahnsanierung. Betreuungsmaßnahmensind z.B. die Teilnahme an Therapie-runden oder der Besuch von Verantsal-tungen der Selbsthilfegruppen.

d. Ergebnisse der Erhebungen (Nr. 4): DieseVorschrift legt dem Arzt wiederum eineHandlungspflicht auf. Der Arzt muß –so verlangt es der Verordnungsgeber –Erhebungen zu den im § 5 Abs. 2 Nr. 4bezeichneten Umständen anstellen. Al-lerdings schreibt ihm die Verordnungnicht vor, in welcher Weise dies zu ge-schehen hat. Es war auch sicher nichtim Sinne des Gesetzgebers, dem behan-delnden Arzt die Rolle eines Detektivszuzuweisen. Dazu hätte der Arzt wederdie erforderliche Ausbildung noch dieerforderlichen Mittel. In der Praxis wer-

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Fazit für die Praxis

● Jedes Verschreiben von Betäubungsmit-teln setzt eine gründliche Untersuchungdes Patienten und eine eigene Mei-nungsbildung des Arztes voraus. DerArzt muß sich außerdem ständig be-wußt sein, daß die Verschreibung nur alsletzte Maßnahme in Betracht kommt; ermuß auch das Risiko einer Selbstgefähr-dung des Patienten oder einer Dritt-gefährdung durch die Verschreibung inRechnung ziehen.

● Die Substitution wird vom Gesetzgeberals zulässige Behandlung angesehen,obwohl sie an sich die Drogenabhängig-keit perpetuiert.

● Sie kann und darf aber – von Ausnah-mefällen abgesehen – nicht alleinigesBehandlungsmittel oder gar Selbst-zweck sein. Im Regelfall kommt sie nurzur Überbrückung der Zeit bis zum Be-ginn einer Entzugstherapie oder zurStabilisierung des Patienten in Betracht.

● Die Betäubungsmittelverschreibungs-verordnung enthält für die Verschrei-bung zur Substitution gegenüber dernormalen Verschreibung von Betäu-bungsmitteln weitere Restriktionen.

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bestimmter Prozentsatz der Codein-bzw. DHC-Verschreibungen an allenVerschreibungen zur Substitution fest-gelegt, doch werden die obersten Lan-desbehörden mit Sicherheit jeden An-teil von mehr als 10% kritisch zu prüfenhaben. Hinzuweisen ist darauf, daß einvorsätzlicher Verstoß des Arztes gegendiese Norm nach § 16 Nr. 2a BtMVVi.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 14 BtMG strafbe-wehrt ist.

Zusammenfassung

Die Verschreibung von Betäubungsmit-teln ist in § 13 Abs. 1 des BtMG (Betäu-bungsmittelgesetz) festgelegt. Seit 1992ist darin auch die ärztliche Behandlungeiner Betäubungsmittelabhängigkeit ge-regelt.

Eine Substiution mit Methadonund in Ausnahmefällen auch mit Code-in oder Dihydrocodein unterliegt stren-gen Auflagen, deren Nichteinhaltungstrafrelevant sein können. Danach be-steht eine Untersuchungspflicht: derArzt darf eine Substitution nur nachausführlicher Untersuchung, in der ersich von der Notwendigkeit überzeugthat vornehmen. Es muß eine sogenann-te „Begründetheit“ vorliegen. Die Äu-ßerungen der Bundesärztekammer gel-ten nicht als Rechtsnorm, sie entbindenden Arzt nicht davon, den Einzelfall zuprüfen. Die Substitution muß nach denanerkannten Regeln der ärztlichen Wis-

senschaft erfolgen, dabei dürfen auchsozialmedizinische Gesichtspunkte Be-rücksichtigung finden.

Es ist allerdings zu fordern, daß dieSubstitution die letzte mögliche Maß-nahme sein muß, die zur Behandlung inBetracht kommt. Die Einhaltung derBetäubungsmittelverschreibungsver-ordnung ist streng zu beachten. Es dür-fen nur Opiatabhängige substituiertwerden. Der Arzt muß sich vergewis-sern, daß eine solche Abhängigkeit auchwirklich vorliegt. Als Behandlungszielbleibt die Abstinenz bestehen. Die Ver-schreibung dient der Verbesserung desGesundheitszustandes des Patienten.Bei folgenden Fällen ist eine Substituti-on zulässig: Stabilisierung des Patien-ten zur Herstellung der Behandlungsfä-higkeit, Überbrückung der Zeit bis zumBeginn einer Entzugstherapie, befriste-ter Austausch und Verringerung der Ri-siken. Die Eignung des Patienten für dieSubstitution muß überprüft werden,dabei darf der Arzt nicht leichtgläubigalles tun, was der Patient wünscht. EinBehandlungskonzept mit Zielsetzungmuß erstellt werden.

Behandlungs- und Betreuungsmaß-nahmen außerhalb der eigentlichenSubsitution müssen gewährleistet wer-den. Der Arzt muß eine Erhebung vor-nehmen, durch die eine parallele Sub-stitutionsbehandlung bei einem ande-ren Arzt, die Nichtteilnahme an flankie-renden Behandlungen, der Beigebrauchanderer Betäubungsmittel und der wei-sungswidrige Gebrauch der Substituti-onsmittel ausgeschlossen werden. DieNichteinhaltung dieser Punkte müssenzum Abbruch der Substitutionsbehand-lung führen