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Die Suggestibilit~it, ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung nebst einer neuen Methode der Suggestibilit~ttspriifung. Von Dr. Max Serog (Breslau). (Eingegangen am 19. August 1923.) So eingehend man sich mit der hypnotischen Suggestion, besonders in der letzten Zeit, befa6t hat, so wenig ist das mit dem ihr doch zugrunde liegenden psychischen Ph~nomen der Suggestibiliti~t im allgemeinen geschehen. Die experimentellen Untersuchungen, die dartiber vorliegen, sind spi~rlich, den Versuch, theoretisch in ihr Wesen genauer einzu- dringen, hat man fiberha~pt kaum noch gemachtl). ~Diese Vernach- li~ssigung einer der -- wie wir zeigen werden wichtigsten psychischen Funktionen konnte solange verstitndlich sein, als man in den Erschei- nungen der hypnotischen Suggestion qualitativ besondere, nut diesem Zustande eigene Erscheinungen zu sehen glaubte. Abet seitdem dutch Bernheim der Hypnotismus als ein rein psychisches Ph/tnomen zum erstenmal klar erkannt und diese Erkenntnis in den Worten: ,,Es gibt keinen Hypnotismus, es gibt nur Suggestion!" scharf formuliert worden war, h~tte man eigentlich viel klarer und konsequenter die Tatsache erkennen miissen, da{~ die hypnotische Suggestibilit~t nur einen Sonder- fall der allgemeinen darstellt, und da[~ die zwischen beiden bestehenden Unterschiede letzten Endes rein quantitativer Natur sind2). Wenn trotzdem die allgemeine Suggestibilit~t bisher meist nur unter dem Gesichtspunkt und gewissermaBen als Anhi~ngsel des Hypnotismus betrachtet worden ist, so scheinen mir daffir haupts~chlich, zwei Grfinde die Schuld zu tragen. Zuni~chst ein rein i~u6erlicher: Er ]iegt darin, dab die Erscheinungen des Hypnotismus (an sich nicht ,,merkwiirdiger" als die 1) In der deutschen Literatur existiert, wenn ich yon Bleulers sparer er- w~hntem Buch absehe, soweit mir bekannt, tiberhaupt keine Schrift, die sich mit der ,,normalen" Suggestibilit~t speziell besch~ftigt. Und das einzige Buch, das diese Suggestibilit~t zum besonderen Gegenstande einer - - im wesentlichen exl)eri- mentellen -- Bearbeitung hat, Bluets La Suggestibilit6. hat bisher ]~eine(~bersetzung ins Deutsche gefunden. 2) Auch Bluet (1. c. S. 442) hebt hervor, dal~ zwischen der normalen Suggestion und dem Hypnotismus wohl tiefgreifende oraktische, aber keine theorer Untersch;ede bestehen.

Die Suggestibilität, ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung nebst einer neuen Methode der Suggestibilitätsprüfung

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Die Suggestibilit~it, ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung nebst einer

neuen Methode der Suggestibilit~ttspriifung.

Von Dr. Max Serog (Breslau).

(Eingegangen am 19. August 1923.)

So eingehend man sich mit der hypnotischen Suggestion, besonders in der letzten Zeit, befa6t hat, so wenig ist das mit dem ihr doch zugrunde liegenden psychischen Ph~nomen der Suggestibiliti~t im allgemeinen geschehen. Die experimentellen Untersuchungen, die dartiber vorliegen, sind spi~rlich, den Versuch, theoretisch in ihr Wesen genauer einzu- dringen, hat man fiberha~pt kaum noch gemachtl). ~Diese Vernach- li~ssigung einer der -- wie wir zeigen werden wichtigsten psychischen Funktionen konnte solange verstitndlich sein, als man in den Erschei- nungen der hypnotischen Suggestion qualitativ besondere, nut diesem Zustande eigene Erscheinungen zu sehen glaubte. Abet seitdem dutch Bernheim der Hypnot ismus als ein rein psychisches Ph/tnomen zum erstenmal klar erkannt und diese Erkenntnis in den Worten: , ,Es gibt keinen Hypnotismus, es gibt nur Suggestion!" scharf formuliert worden war, h~tte man eigentlich viel klarer und konsequenter die Tatsache erkennen miissen, da{~ die hypnotische Suggestibilit~t nur einen Sonder- fall der allgemeinen darstellt, und da[~ die zwischen beiden bestehenden Unterschiede letzten Endes rein quanti tat iver Natur sind2). Wenn trotzdem die allgemeine Suggestibilit~t bisher meist nur unter dem Gesichtspunkt und gewissermaBen als Anhi~ngsel des Hypnot ismus betrachtet worden ist, so scheinen mir daffir haupts~chlich, zwei Grfinde die Schuld zu tragen. Zuni~chst ein rein i~u6erlicher: Er ]iegt darin, dab die Erscheinungen des Hypnotismus (an sich nicht ,,merkwiirdiger" als die

1) In der deutschen Literatur existiert, wenn ich yon Bleulers sparer er- w~hntem Buch absehe, soweit mir bekannt, tiberhaupt keine Schrift, die sich mit der ,,normalen" Suggestibilit~t speziell besch~ftigt. Und das einzige Buch, das diese Suggestibilit~t zum besonderen Gegenstande einer - - im wesentlichen exl)eri- mentellen - - Bearbeitung hat, Bluets La Suggestibilit6. hat bisher ]~eine (~bersetzung ins Deutsche gefunden.

2) Auch Bluet (1. c. S. 442) hebt hervor, dal~ zwischen der normalen Suggestion und dem Hypnotismus wohl tiefgreifende oraktische, aber keine theorer Untersch;ede bestehen.

440 M. Serog :

Erseheinungen der gewShnlichen ,,normalen" Suggestion) doch dureh die Abweiehungen yon dem im ti~glichen Leben Gewohnten ins Auge ~allender waren; der zweite, vielleicht wesentliehere Grund ist der, dal~ man den Fehler beging, die Suggestion anstatt die Suggestibilit~it er- forschen zu wollen, d. h., dab man sich mit den durch die SuggestL bilit~t hervorgerufenen, bereits mehr oder minder komplexen psychi- schen Ph~nomenen befaBte, anstat t sich fiber diese psychische Eigen- schaft selbst einmal genauer klar zu werden.

Wenn im folgenden ein solcher Versuch unternommen wird, so soll dabei die hypnotische Suggestion auBer Betracht bleiben oder doch nur soweit herangezogen werden, als die Erscheinungen dort zum Ver- st~ndnis der Suggestibilitat fiberhaupt dienen kSnnen.

Was ist nun die Suggestibilit~t ? Warm, wo und wie i~uBert sie sich ?

Da gibt es nun zunachst eine Reihe yon Erscheinungen, an die man wohl hier zuni~chst denkt, vielleicht gerade deshalb, weft sie den Sug- gestionserscheinungen der Hypnose am ni~chsten stehen und gewisser- maBen die erkl~rende Briicke zu ihnen bilden, Erscheinungen wie die, daft jeder unwillkfirlich sofort sich ri~uspert, wenn ein anderer mit belegter Stimme spricht, dab man, wenn yon Ungeziefer gesprochen wird, leicht einen deutlichen Juckreiz verspfirt, dab das G~hnen ,,ansteckt" und anderes mehr.

Moll meinte, diese Erscheinungen beruhen darauf, dab ,,ein yore Menschen in seinem Organismus erwarteter psychologischer oder physio- logischer Effekt die Neigung hat, einzutreten"l). Diese Tatsache ist zweifellos richtig, aber sie erkl~rt die erw~hnten Erscheinungen nicht oder doch nur zum Teil. Zuni~chst ist in den meisten dieser Fi~lle yon einer eigentlichen Erwartung doch wohl keine Rede. Sieht jemand einen anderen gi~hnen, so tr i t t bei ihm das Ghhnen ohne weiteres ein, nur durch den Anblick des Gi~hnenden hervorgerufen, und ohne dab eine Vorstellung der Erwartung des Gi~hnens bier noch dazwischen tri~te. Aber selbst wem~ man sich auf den Standpunkt stellen wollte, dab in allen diesen Fi~llen wirklich eine solehe Vorstellung der Erwartung vor- handen ist, die vielleicht nur nicht klar zum BewuBtsein kommt, so bleibt die yon Moll angeffihrte Tatsaehe als Erkli~rung doch auch ffir diesen Fall unzureichend. Denn sie gibt zwar eine Erkli~rung dafiir, dab ein psychophysiologiseher Effekt, wie z. B. der des Gi~hnens oder des Juck- gefiihls, wenn ich ihn erwarte, dann auch tatsaehlich eintritt, sic 15st aber nicht die wesentliche und yon vornherein durchaus nicht selbst- versti~ndliche Frage, warum ich diesen Effekt iiberhaupt erwarte.

Um die psychischen Erscheinungen, die uns hier entgegentreten, zu verstehen, d. h. sic in einen gr5I~eren Zusammenhang zu bringen

1) Albert Moll, Der Hypnotismus, Berlin 1890, S. 178.

Die Suggestibilitiir ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 441

und auf gewisse psychische Grundtatsachen zuriickzufiihren, mfissen wir uns folgendes klar maehen.

Der erwi~hnte Satz yon Moll ist zWar zweifellos richtig, aber er ist nur ein Sonderfall, Teil eines gr6Beren, ganz allgemeinen psychischen Gegetzes. Erst wenn man ihn in den grSBeren Rahmen dieses psychischen Grundgesetzes spannt, in das er geh6rt, gewinnt er die rechte Bedeutung auch fiir die Fragen, um die es sich hier handelt. Dieses psyehische Gesetz lautet: In allem Psyehischen liegt irgendwie die Tendenz der Verwirklichung (in weitestem Sinne) der Realisierung; diese ,,Reali- sationstendenz des Psyehischen" wie man es nennen kann, ist eine der fundamentalsten, seelischen Tatsachen und eins der Hauptgesetze in allem psychischen Geschehen. Die bedeutsamste AuBerung dieser Realisationstendenz der Psyche ist das Bestreben alles Seelischen in irgendeiner Form kSrperlich -- also letzten Endes als Bewegung -- zum Ausdruck zu kommenl).

Dieses ganz allgemeine und primitive Prinzip der psyehischen Reali- sationstendenz ist es also, das z. B. im Falle des Gi~hnens sieh in dem Bestreben einer Vorstellung, sich kSrperlich zu gestalten, i~uBei~. Mit anderen Worten: :Die dureh den Anbliek des Gi~hnenden hervorgerufene Vorstellung des Gi~hnens hat an sich, und ohne, dab etwa noch die Vor- stellung des G~hnen-Miissens dazwischen zu treten brauchte, die Tendenz, sieh in den kSrperliehen Effekt des Gi~hnens umzusetzen. Die Selbst- beobaehtung zeigt niehts yon einer derartigen Vorstellung des Gi~hnen- Miissens vor dem Gi~hnakt2). Wo sic aber wirklieh auftreten sollte, dtirfte sie wohl nicht Grund, sondern Folge des kSrperlichen Effektes sein.

Die allen Vorstellungen innewohnende Tendenz, sich irgendwie zu realisieren, vor allem kSrperlich zum Ausdruck zu kommen, haben diese aber in sehr verschiedenem Mal~e. Der Grad dieser Tendenz h~ngt yon dem ab, was man die Affektiviti~t oder aueh die Affektbetonung der Vorstellungen nennt.

1) Das Folgende mug sich zwar auf diese, nicht nur im allgemeinen, sondern gerade fiir die vorliegenden Fragen besonders bedeutsame Erscheinungsform der Realisationstendenz des Psychischen beschri~nken. Aber diese bedeutsamste Er- scheinungsform ist durchaus nicht seine einzige. Auch die Tatsache, dab ein Komplex yon Sinnesempfindungen fiir uns zum ,,kSrperlichen" Gegenstand, zum ,,Objekt" wird, hat seinen Grund in der gleichen Realisationstendenz der Psyche. Eine eingehende Darstellung dieser psyehischen Grundfunktion, die, wie etwa das Gesetz der Assoziation, die psychischen Erscheinungen beherrseht und fiir das Versti~ndnis psychischen Geschehens yon nieht geringererWiehtigkeit ist als jenes, soll an anderer Stelle gegeben werden.

~) Entsprechend tritt im Falle des Juckens sofort auf die auf irgendeine Weise bei jemandem hervorgerufene Vorstellung des Juckens sofort ein Juckgeftihl bei ihm auf, ohne dal~ diesem Juckgefiihl etwa eine Vorstellung: ,,Es wird reich jetzt jueken" voranginge.

442 M. Serog:

Schon hier t r i t t uns eine Tatsache entgegen, die uns weiterhin noch 5fter begegnen und noch deutlicher werden wird, die Tatsache n~mlich, dab das Problem der Suggestibilit~t immer wieder auf das der Affekti- viti~t ffihrt. Dieses Problem der Affektiviti~t kann hier natfirlich nicht ganz aufgerollt werden. Es mul~ in dieser Beziehung auf die vor Jah, reu an gleieher Stelle erschienenen Ausfiihrungen verwiesen werdenl). Da aber die dort entwickelten Ansehauungen zum Teil die Voraussetzungen fiir das Versti~ndnis der folgenden Ausffihrungen bilden, so sollen wenigstens die wichtigsten der dort ausgeffihrten Gedankengi~nge hier in gedri~ngter Ktirze wiedergegeben werden.

Bei irgendwelehen Geffihlszusti~nden kSnnen wir immer nur die mit dem eigentlichen Gefiihl zusammen auftretenden Vorstellungsreihen, niemals aber dieses selbst weiter analysieren. Gefiihlszusti~nde und Vor- stellungen sind fiir unser psychisches Erleben etwas durchaus Wesens- versehiedenes. Wegen dieser Incommensurabiliti~t der Gefiihle, ge- messen an Vorstellungen, kommt fiir das Versti~ndnis der Gefiihle nicht eine eigentliche psychologisehe Analyse derselben in Betracht, sondern man mu~ dazu auf die einfachsten psychischen Erseheinungen zurfick- gehen, bei denen man affektive Elemente findet. Das sind die Empfin- dungen. In der ,,Gefiihlskomponente" der Empfindungen linden wir die einfachste Form yon affektiven Vorgangen. Nach dem Grade ihrer Geffihlskomponente bilden die Empfindungen eine kontinuierliche Reihe, die von den Hautsinnesempfindungen, wo diese Geffihlskomponente am starksten ist, bis zu den Gesichtsempfindungen geht, wo sie am ge- ringsten ist. In dem Mai~e, in dem die St~rke der Geffihlskomponente in der Reihe der Empfindungen abnimmt, wi~ehst gleichzeitig die Leieh- tigkeit ihrer Reproduzierbarkeit, d .h . ihre Tendenz, zu Vorstellungen zu werden.

Die Gefiihlskomponente der Empfindungen steht diesen selbst gegeniiber in einer eigenartigen Beziehung. Einerseits kann sie keine bloke Eigensehaft der Empfindung, sondern muff etwas zd der eigent- lichen Empfindung noch Hinzukommendes sein. Andererseits kann es sich aber dabei auch keinesfalls um irgendeine Assoziation im gew5hm lichen Sinne handeln, da die Empfindung zusammen mit ihrer Geffihls- komponente ein nur kiinstlieh trennbares Ganze (eben erst die ganze Empfindung) bildet. Diese eigentfimliche Mischung yon Gebundenheit und Unabhhngigkeit, die die Geffih]skomponente der eigentlichen Empfindung gegeniiber zeigt, zwingt zu der Annahme, da~ die Geffihls- komponente in gewisser Weise zwar ihre selbsti~ndigen physiologischen Bedingungen haben mu~, dait diese aber doch im wesentlichen ]nit dem zusammenfallen miissen, was wir als die physiologischen Grund-

1) M. Serog, Das Problem des Wesens und der Entstehung des Gefiihlslebens. Diese Zeitschrift 8, H. 2.

Die Su~'gestibilit~it~ ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 443

lagen der Empfindungen kennen. Danaeh kann es sieh nur um zen trale Miterringungen handeln und die physiologischen Bedingungen der Gefiihlskomponente der Empfindungen miissen in den beim Bewul~t- werden der Empfindung, also gleichzeitig mit den corticalen Vor- gi~ngen eintretenden, subcorticalen Erregungen liegen.

Wie ffir die Geffihlskomponente der Empfindungen, so mfissen auch ffir die aus ihr hervorgegangene Affektivit~t subcorticale Vorg~nge irgendwie eine Rolle spielen, woffir auch sonst noch eine Reihe yon Grfinden sprechen.

Ffir unser intellektuelles Leben ist die Affektiviti~t insofern von be- sonderer Bedeutung, als durch sie eine fiber die blol~e assoziative An- einanderreihung yon Vorstellungen hinausgehende Zusammenordnung derselben erreicht wird, ~hnlich wie die Sensibilit~t die Coordination yon Bewegungen ermSglicht. So wird die Affektivit~t die Vorbe- dingung zum geordneten, ,,zielbewugten" Denken, und eine der wieh- tigsten Au6erungen der Affektivit~t die ,,Aufmerksamkeit".

Das Gefiihlsleben ist in seiner urspriinglichsten Form, als Affek- tivit~t, eine der ersten und primitivsten psychischen Funktionen und geht sowohl phylogenetisch wie ontogenetiseh der intellektuellen Ti~tig- keit weir vorauf. In seiner h6chst entwickelsten Form dagegen geh6rt das Geffihlsleben zu den letzterworbensten und feinst differenziertesten psychischen F~higkeiten, da es ein bereits hochentwickeltes Vorstellungs- leben zur Voraussetzung hat. Denn das sog. ,,hShere Geffihlsleben" kommt zustande durch eine eigenartige Verkniipfung der Affektiviti~t mit Vorstellungen, die Affekte sind an Vorstellungskomplexe gebundene Affektivit~t. Da das hShere Geffihlsleben dadurch, dab ihm die T~tigkeit nieht nur der ganzen GroBhirnrinde, sondern auBerdem auch subcor- ticaler Zentren zugrunde liegt, das Komplizierteste von allen unseren psychischen Funktionen darstellt, kann es auch durch krankhafte Gehirnprozesse am leichtesten und frfihesten geseh~digt werden, whhrend dagegen die Affektivit/~t an sich auch durch grobe, die Hirnrinde und damit die intellektuellen Funktionen in Mitleidenschaft ziehende Prozesse keine Einbu6e zu erleiden braucht.

Von den engen Beziehungen, die zwischen der Affektivit/~t und Sug- gestibilit~t bestehen, wird weiter unten noch die Rede sein. An dieser Stelle sei aber darauf aufmerksam gemacht, dab diese Beziehungen nicht erst bei den Vorstellungen, sondern bereits bei der Geffihlskom- ponente der Empfindungen deutlieh sind. Die Hautsinnesempfindungen, die die st~rkste Geffihlskomponente besitzen, stehen nicht nur mit diesem ihrem affektiven, sondern auch mit ihrem suggestiblen Wert an der ersten Stelle in der Reihe der Empfindungen, und in dieser Reihe der Empfindungen besteht zwischen der St~rke der Geffihlskomponente und der Suggestibilitht eine durehgehende Parallelit~t.

444 M. Serog :

Die obigen Ausftihrungen suchten verstandlich zu machen, auf Grund welcher psychischen Funktion Vorstellungen zu kSrperlichen Vor- gi~ngen fiihren, und welcher Art solche Vorstellungen sein mfissen. ])as Wesentliche aber ist, dab solche Vorstellungen, die in besonderem MaBe die Tendenz, kSrperlich zum Ausdruck zu kommen, besitzen, fiberhaupt psychisch aufgenommen werden. Wirft man nun die Frage auf, wovon dieses Aufgenommen-Werden abhi~ngig ist, d. h. unter welchen Um- sti~nden und nach welchem Prinzip es erfolgt, so ergibt sich: Eben die- selbe Tatsache der Affektbetonung der Vorstellungen, die sie zur kSrper- lichen J~ul~erung .tendieren laJ~t, erleichtert auch ihre Aufnahme in die Psyche, bedingt jenen psychischen Zustand der besonders leichten Auf- nahmefi~higkeit ffir solche Vorstellungen, d. h. den psychischen Zustand der ,,Suggestibfliti~t".

])anach wi~re also die Suggestibiliti~t die durch die Affektivit~t bedingte, und durch sie verschiedengradig abgestufte psychische Be- reitschaft zur Aufnahme neuer, vor allem affektiv-motorischer, in be- sonderem Mal~ zum kSrperlichen Ausdruck tendierender Vorstellungen.

])iese ])efinition, so weit sic aueh geraint erscheint, ist aber noch nicht ausreichend, weft sie nicht alles umgreift, was hierher gehSrt.

Bei den psychischen Phi~nomenen, yon denen bisher die Rede war -- dem Gi~hnen, das ,,ansteckt", dem Jucken, das z. B. auf ein bloBes, die Juckvorstellung weckendes Wort bin erfolgt -- ist j eder ohne weiteres geneigt, anzunehmen, dal~ ihnen die psychische Eigenschaft, die man als Suggestibfliti~t bezeiehnet, zugrunde liegt.

Es gibt aber nun ganz andere psychische Erscheinungen, die auf den ersten Blick mi t den soeben angefiihrten nichts gemein zu haben scheinen, und die doch bei schi~rferer Betrachtung als die Wurzel ihrer Entstehung die gleiche, hier in Rede stehende psychische Eigenschaft zeigen. Ein Beispiel mag deutlich machen, was gemeint ist.

Ich setze einem anderen 1Vfenschen bestimmte Ansiehten yon mir auseinander in der Absicht und mit dem Bestreben, ihn durch sachliche Griinde und logische Schlul~folgerungen yon der Richtigkeit meines Standpunktes zu fiberzeugen. Ob und inwieweit ich aber dieses Ziel er- reiche, hi~ngt doch immer nur zum Teil yon dem sachlichen Gewicht meiner Grtinde und ihrer logischen Schlfissigkeit ab. Ganz andere ])inge spielen da noch eine Rolle: die Form, in der ich racine Griinde zum Ausdruck bringe, vielleicht sogar die ~ul]ere Art meines Auftretens und z. B. Sprechens. ])aB dcm wirklich so ist, sehe ich deutlich, wenn die gleichen Grfinde demselben Menschen dargelegt, aus dem Munde des einen wirkungslos bleiben, aus dem Munde eines anderen aber den tiefsten Eindruck machen. Mit anderen Worten: Jedes ,,Uberzeugen" ist letzten Endes ein ,,l~berreden". Eine gewisse psychische Beeinflul~-

Die Suggestibilititt~ ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 445

b arkeit, eine gewisse Suggestibiliti~t dessen, dem ich etwas noch so saeh- lieh und mit noeh. so logischen Griinden nahe bringen will, mull daher vorhanden sein oder yon mir irgendwie bei ihm geschaffen werden, wenn ich mit meinen Griinden auf ihn wirken soll. Kein Menseh, und sei er noch so sachlieh und objektiv, t r i t t aber selbst an rein logisch be- grfindete Standpunkte und Uberzeugungen gi~nzlich unvoreingenommen heran, sondern er ist stets von vornherein irgendwie, pro oder contra, ,,eingestellt", und diese ,,Einstellung", die nicht im Intellektuellen, sondern letzten Endes in affektiven, ihm selbst oft unbewul~t bleibenden Momenten ihre Wurzel hat, bestimmt seine psychisehe Bereitschaft zur Aufnahme irgendwelcher Vorstellungen, bedingt Grad und Richtung seiner psychischen Beeinflu~barkeit, seiner Suggestibilit~t.

Wir finden also auch hicr dieselbe psychische Eigenschaft wieder, die die oben erw~hnten, zu den Suggestionsphi~nomenen der Hypnose in naher Beziehung stehenden Erseheinungen bedingte. Ein Wesens- unterschied zwischen beiden besteht nieht. Sie stellen nur gewisser- mal~en die beiden extremen Erscheinungen dieser psychischen Eigen- schaft dar, zwischen denen es unendlieh viele ~bergi~nge und Zwischen- stufen gibt.

Auf den ersten Blick so heterogene psychische Erseheinungen wie ]ogisches Uberzeugen und hypnotische Suggestion ffihren also bei ge- nauerer Betraehtung letzten Endes auf die gleiche psychische Grund- funktion der Suggestibilit~t zuriick, fiir beide ist sie die unerli~l~liche Vorbedingung. Wir linden somit in der Suggestibilit~t eine ganz all- gemeine und ganz einfache, jedem Individium zukommende psychisehe Funktion, die nichts anderes ist, als die Fi~higkeit alles Psychischen yon Psyehischem irgendwie beeinflul~t zu werdenl).

Die Suggestibiliti~t ist also eine durchaus primi~re und primitive Fi~higkeit der Psyche bzw. des Gehirns. Sie ist aueh eine der i~ltesten psyehischen Fahigkeiten, und zwar sowohl ontogenetiseh wie phylo-

1) Eine besondere psychisehe Qualit~t anzunehmen, die speziell den Ph~no- menen der hypnotischen Suggestion und den mit ihr in unmittelbarer Beziehung stehenden sonstigen Suggestionserscheinungen (s. o.) zugrunde liegt und nut diese als Suggestibilit~t gegeniiber der hier gekennzeichneten allgemeinen psyehi- schen Funktion der Suggestibilit~t abzugrenzen, ist nicht etwa nur iiberfliissig, sondern iiberhaupt theoretisch gar nieht durchfiihrbar. Wenn der vergebliche Versueh einer solchen Abgrenzung u. a. yon Moll und .Forel trotz der yon ihnen selbst klar gesehenen und mehrfach betonten Sehwierigkeiten doch gemacht wird, so ist der Grund dafiir wohl tin psychologischer und liegt in der Tats ache, dab der Ausgangspunkt dieser Autoren eben die hypnotische Suggestion ist.

Aueh Binet (1. c.) versueht--ohne E r f o l g - hier eine Grenze zu ziehen. Andererseits liegt aber z. B. die Binetsche Ansieht, in der Imitation nut einen Sonderfall der Suggestibilitgt zu sehen, ganz im Rahmen der bier vertretenen Ansehauungen.

446 M. Serog :

genetisch. Was Forel im Hinblick auf die hypnotische Suggestion sagt 1) - - ,,als Erscheinungen und Energien sind die St~ggestion und die Hypnose so alt wie der Mensch in der Welt, sogar phylogenetisch viel alter, da sie auch im Tierreich vorkommen" -- das gilt in ~ noch hSherem Grade yon der Suggestibilit~t iiberhaupt. Daraus, dal~ die Suggestibilit~t eine -- wenigstens in ihrer urspriingliehen Form -- so primitive und ontogenetisch wie phylogenetisch schon so zeitig auftretende Gehirn- funktion ist, folgt, dal~ sie im wesentlichen an die Tiitigkeit niederer Gehirnzentren gebunden sein mu6. Sehon das mu6 daran denken lassell, dal~ es besonders die Funktion der subcorticalen Gehirnzentren ist, die hier irgendwie eine Rolle spielen. Was noch besonders gerade auf die subcorticalen Zentren hinweist, sind die engen Beziehungen, die zwischen Suggestibilitiit und Affektivitht bestehen. Denn von der Affektivit~t miissen wir wohl sicher annehmen, dal~ sie irgendwie mit der Funktion der subcorticalen Zentren in Beziehung steht. Daffir sprechen sehon zwingend theoretisch-psychologisehe Erwttgungen'-'), dann aber auch viele, gerade in den letzten Jahren bei den Erkrankungen der subcorticalen Zentren gemachten klinischen Beobachtungen.

Auf die - - oben bereits beriihrte - - enge ZusammengehSrigkeit vo~l Suggestibilit~it und Affektivit~tt hat vor allem Bleuler hingewiesen. Nach ihm ist die Suggestibilit~t i iberhaupt nur eine Teilerseheinuug der Affektivit~t3). Dal~ jedenfalls vielfache, enge Beziehungen zwischen beiden vorhanden sind, unterliegt keinem Zweifel. Einer ErSrterung dieser Beziehungen im einzelneu hier wiirde zu welt ffihren. Nur die beiden Tatsachen seien hervorgehoben, dal3 eine Einengung des BewuBt- seins ebenso wie dureh die Suggestion auch durch die Affekte statt- findet, und daf3 die k6rperlichen :d~ul~erungen des Seelischen ebenso durch die Affektivit~t wie durch die Suggestibilit~t -- und eben nur dutch diese -- zustande kommen. Man hat iibrigens bei der experime~- tellen Prtifung der Suggestibilit~t ebenfalls gefunden, sie sei ,,zugleich Ausdruck fiir die allgemeine Gefiihlslage schlechthin"4).

Auch die Affektivit~t ist, ebenso wie die Suggestibilitttt eine der primitivsten und -- ontogenetiseh wie phylogeuetisch - - zeitlich ersten unserer psychischen Funktionen, beide miissen irgendwie an die Tiitigkeit niederer, und zwar im wesentlichen der subcorticalen Gehirnzentrel~ gebunden sein. Unser ,,hSheres Gefiihlsleben" und ebenso die ,,Sug- gestion" stellen eine eigenartige Verkniipfung der Affektivit~it bzw. Suggestibilit~t mit Vorstellungskomplexen dar, diesen psyehischen

1) August Ford, Der Hypnotismus. Stuttgart 1918, S. 78. 2) M. Serog, 1. c. 3) E. Bleuler, Affektivit/it, Suggestibilit/tt, Paranoia. Halle 1906, S. 53, ~) Giese, Psycho-technische Eignungspriifungen an Erwachsenen. Langen-

salza 1921, S. 232.

1)ie Suggestibilit:~it~ ihr WeseH und ihre experimentelle Untersuchung. 447

Ph~nomenen muB also die Thtigkeit nicht nur der gesamten Hirnrinde, sr gleiehzeitig auch die subcorticaler Zentren zugrunde liegenl).

Die v611ige Parallelitht yon Affektivit~t und Suggestibilit~t in allen ihren Erscheinungen zwingt zu der Annahme, dal~ es sich bei beiden im wesentlichen um die gleichen Dinge handelt, dal3 also die Sugge- stibilitht entweder nur eine best immte Seite der Affektivit~t ist, oder

- - was die hier zu beobachtenden Tatsachen vielleicht noch klarer wieder- gibt - - dab es sich bei der Affektivit~t wie bei der Suggestibilit~t nur um zwei verschiedene J~uBerungen der gleichen psychischen Funktion handelt.

Die oben aufgeworfene Frage: was ist die Suggestibilit~t ? k6nnen wir jetzt folgendermagen beantworten:

Die Suggestibilitgit ist eine prim~ire und primitive Eigenscha/t der Psyche bzw. des Gehirns, die in nichts anderem besteht und sich du[3ert, als in der Tatsache der Beeinfluflbarkeit von Psychischem dutch Psychisches. Das Wirken der Suggestibilitgt ist nicht nur eng geknitp/t an die A/]ek- tivitiit, sondern Suggestibilitdt und A[/ektiviti~t sind itberhaupt nut zwei verschiedene Seiten der gleichen Funlction, die in ihrer urspritnglichen Form im wesentlichen an die Tgtiglceit 8ubcorticaler Zentren gebunden ist. Diese primitive und -- ontogenetisch wie phylogenetisch -- wohl als erste au/tretende psychische Funktion hat die Bedeutung, daft sie zu einer Bahnung bzw. Hemmung des psychischen Geschehens und mit ihm ver- t:nitp/ter lcSrperlieher Vorg~inge /ithrt.

Die Suggestibilit~it ist - - auch darin der Affektivit~t gleich -- eine der Haupttriebkri~fte in allem psychischen Geschehen. Abet nicht nur beruht auf ihr zum wesentlichen Teil unser ganzes psychisches Leben, sondern auch beim Zustandekommen normaler kSrperlicher Funktionen spielt sie eine erhebliche Rolle. Es sei bier nur an Stuhlg~ng und Men- struation erinnert, vor allem aber daran, dal~ der normale Schlaf ein autosuggestiver Zustand ist.

Viel grSBer noch als ffir das individuelle psychische Leben ist aber die Bedeutung der Suggestibilit~t ffir alle Formen des menschlichen Zusammenlebens und ffir atles psychisch-kollektive t ibe rhaup t . 5[icht nur die ~iulleren Formen des menschlichen Zusammenlebenes - - Gesell- schaft, Famflie, Staat -- , sondern fiberhaupt alles Uberindividuelle, alles ,,Geistige", wie Kunst , Wissenschaft, Religion, sind nur dutch sie mSglich. Auf ihr beruht auch erst die MSglichkeit jeder Erziehbarkeit, und so ist sie eine der wesentlichsten Grundlagen bei der Erziehung2). Und wenn es besondere Gesetze der Massenpsychologie gibt, die yon den beim Einzelindividuum zu beobachtenden psychischen Er-

1) Serog, 1. c., S. 122. 2) ,,Suggestibilit6 s notre avis est synnonyme d'~ducabilit~" (Berillon, zit. bei

Billet, 1. c.).

448 M. Serog :

scheinungen abweichen, so hat auch das wieder seinen Grund in der Suggestibiliti~t.

Daraus, dab die Suggestibilit~t eine ganz prim~re, primitive Eigen- schaft ist, ergibt sich noch ein Weiteres. Diese Eigenschaft muB jeder besitzen. DaB das in der Tat zutrifft, zeigen die obenerwahnten Er- scheinungen, wie das G~hnen, das immer ,,ansteckt". Da jeder Mensch, wenn auch in recht verschiedenem Grade, suggestibel ist, so muB auch jeder hypnotisierbar sein. ])as ist tat~i~chlich der Fall und die Frage der Hypnotisierbarkeit ist nur eine Frage der Technik und der Geduld des Hypnotiseursl).

Was bei der Hypnose geschieht, ist weder, wie man fffiher fi~lschlich dachte, die Erweekung einer bis dahin dem Individuum fremden F/~hig- keit, noch auch, wie man auch jetzt wohl noch glaubt, die Ausnutzung einer gerade diesem Individuum besonderen Eigensehaft, sondern diese Eigenschaft, die Suggestibiliti~t, ist eine ganz allgemeine, immer und ill allen Individuen vorhandene, und die Hypnose ist niehts als eine kfinst- liche Steigerung dieser Funktion. Wie welt diese Steigerung allerdings im einzelnen Falle mSglich ist, ist eine andere Frage, die nieht blofl vom Grade der Suggestibilit~t an sich, sondern auch noch yon anderen Faktoren, vor allem von dem Verhi~ltnis yon Suggestion und Auto- suggestion abhi~ngt. Die jedem Psychotherapeuten geli~ufige Tatsache, dab das Verhi~ltnis zwisehen Suggestibiliti~t und der Wirksamkeit therapeutischer Suggestionen durehaus kein eindeutiges, geschweige denn ein proportionales ist, spricht also in keiner Weise gegen die hier vertretene Auffassung der Suggestibilit~t als einer primitiven, jedem Individuum eigenen psychischen Funktion. Ein MiBerfolg praktisch: suggestiver, vor allem therapeutisch-suggestiver MaBnahmen finder sich meist nicht, wie man von vornherein denken kSnnte, bei zu geringer, son- dern gerade bei besonders gesteigerter Suggestibiliti~t, indem dann die vorhandenen, infolge der gesteigerten Suggestibiliti~t besonders lebhafteu Autosuggestionen einer Wirksamkeit neu gegebener Suggestionen im Wege stehen. Daher kommt es, daB, wie bekannt, gerade Hysterisehe in einzelnen Fi~llen therapeutischen Suggestionen gegenfiber besonders refraktar sind, und daB, wie jeder erfahrene Hypnotherapeut weiB, Gesunde vielfach leichter als ,,NervSse" zu hypnotisieren sind. Es ist also nieht sowohl der Grad als vielmehr die Richtung der Suggestibiliti~t ausschlaggebend dafiir, ob und welche suggestiv-therapeutischeWirkung im einzelnen Falle erzielt werden kann.

Zum Versti~ndnis dieser Zusammenhi~nge sind Beobachtungen, die man bei oberfli~chlichen ttypnosen mitunter machen kann, recht instruktiv. Von solehen Beobachtungen fiihre ich die folgende, wie ieh glaube recht bezeichnende, an.

1) Siehe Max Serog, ~)ber Hypnosebehandlung. Med. Klinik 1919, Nr. 45.

Die Suggestibilitat~ ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 449

Eine Dame yon etwa 50 Jahren wurde wegen Schlaflosigkeit von mir 6fters hypnotisiert. Die Hypnose war anfangs eine ganz ober- fl/~chliche. Ich sagte ihr, dab ihr rechter Arm jetzt ausgestreckt fest auf dem Sofa liegen bleiben werde und yon mir nieht werde gebeugt und erhoben werden k5nne. Der Arm blieb aber locker. Dieser

- - wie anfangs auch jeder anderen -- Suggestion gegen/iber verhielt sich die Dame refraktar. Die gegebene Suggestion hatte also anscheinend iiberhaupt keine Wirkung, und es geschah auf sie hin anscheinend nichts. Sah man aber genauer zu, so konnte man feststellen, dab doch etwas geschah. Es trat namlich auf die Suggestion hin eine deutliche, palpatorisch stets nabhweisbare Kontraktion im Biceps und manchmal sogar eine, allerdings kaum merkliche Beugung des Arms im Ellbogen- gelenk ein. Es wurden also bier bei einer anscheinend iiberhaupt ,,wir- kungslosen" Suggestion, die, wenn sie realisiert worden wdire, die Arm- strecker hditte in Tditigkeit setzen miissen, die Antagonisten dieser Muskeln, die Armbeuger, innerviert.

Welche ungeheuere Bedeutung die Suggcstibilitat fiir unser ganzes psychisches Leben hat, diirfte aus den bisherigen Darlegungen, die freilich manches nur andeuten konnten, wohl hervorgehen. Trotzdem ist zu ihrer systematischen Untersuchung bisher noch nicht einmal der Versuch gcmacht worden. Eine solche systematische Untersuchung m/iBte sich erstrecken einmal auf die Priifung der Suggestibflitat nach Geschlecht und Lebensalter. Die Suggestibflitat ist ja beim weib- lichen Geschlecht grSBer als beim mannlichen. Die Suggestibilitats- kurve der verschiedenen Lebensalter scheint so zu verlaufen, dab sie beim Kind am h6chsten steht, dann allmahlich f~llt, um im Greisen- alter wieder anzusteigen. Auch inwieweit ein deutlicher Unterschied in der Suggestibilitat bei verschiedenen Rassen besteht, miiBte durch solche Untersuehungen festzustellen versucht werden.

Ein besonders interessantes Kapitel bei solchen systematischen Suggestibilitatspr/ifungen ware die Untersuchung, welche Gifte einen deutlichen EinfluB auf die Suggestibilitat besitzen und wie dieser Ein- fluB beschaffen ist. Es sei hier nur an den Alkohol erinnert, der ja er- fahrungsgemaB stets cine ausgesprochene Steigerung der Suggestibilit/~t zur Folge hat. Ferner ware der EinfluB der Ermiidung auf die Sugge- Stibilitat, die sie wohl ebenfalls steigert, zu priifen.

Sehr wichtig waren ferner genaue Untersuchungen darfiber, wie sich die Suggestibilit~t bei den verschiedenen psyehischen Erkrankungen verhalt. Hier wissen wir z. B. aus der klinischen Erfahrung, dab die Schwachsinnigen oft, die Paralytiker immer besonders suggestibel sind. SchlieBlich miiBte auch die Suggestibilitat bei den Tieren in den Kreis solcher Untersuchungen gezogen werden, die auch hier eine deutliche Entwickelung von der urspriinglichen, primitiven Suggestibilitat

450 M. Serog :

(Panik in der Schafherde!) bis zu der an Vorstellungen gebundenen Suggestibilit~t, der Suggestion, zeigtl).

Eine ganz besondere l~olle spielt die Suggestibilit~t bekanntlieh bei den im Krankheitsbegriff der , ,Hysterie" zusammengefal~ten psycho. pathologisehen Erseheinungen. Ffir die Hysterie wesentliche Ph~nomene sind die krankhaft gesteigerte Suggestibilit~t, Affektivit~t und die abnorm erleichterte AuslSsung kSrperlieher Erseheinungen dureh psychisehe Vorg~nge. Die Steigerung yon Suggestibilit~t und Affekti- vit~t und die erleiehterte Umsetzung psychischer in kSrperliche Er- seheinungen -- Steigerung der ,,Ausdrucksbewegungen" im weitesten Sinne! -- , also die der Hysterie als wesentlich eigentiimlichen Ersehei- nungen, lassen sieh aber, wie aus unseren bisherigen ])arlegungen hervor- geht, zusammenfassen unter dem Begriff der 1)berwertigkeit subeor~ ticaler Mechanismen (und einer dadurch sekund~r bedingten un- geniigenden eortiealen Hemmung). Die psyehologische Analyse von Suggestibilit~t und Affektivit~t 2) und in ~bereinst immung mit ihr die bei Erkrankungen der subcortiealen Zentren und des Stirnhirns ge- maehten, mit Notwendigkeit zum Begriff der , ,symptomatischen" Hysterie 3) ffihrenden klinisehen Erfahrungen zwingen zu der Auffassung, dal~ das Wesen der Hysterie in einer StSrung des normalen Weehsel- spiels von subcorticaler Erregung und eorticaler Hemmung zu suchen ist. ])as ~berwiegen der subcorticalen Erregung in diesem, normaler- weise auf einen gewissermal~en labilen Gleichgewichtszustand abge- stimmten, Wechselspiel kann dabei ein absolutes - - nur durch Steige- rung der subcorticalen Erregung bedingtes -- oder ein relatives - - dutch Absinken der cortialen Hemmung hervorgerufenes - - seine).

Nach allen diesen Riehtungen bin, wie sie hier skizziert worden sind, mfil3te sich Mso eine systematische Untersuehung der Suggestibilit~t, wie sie nStig w~re, erstreeken.

Bisher liegen aber in dieser Hinsieht, wie erw~hnt, kaum die besehei- densten Anf~nge vor. ])as hat in der Hauptsaehe sicher an dem zu geringen Interesse fiir die Suggestibilit~t iiberhaupt gelegen, die man

1) I-Iierher geh~Srt z. B. die yon KShler (Intelligenzpriifung an Mensehenaffen, Berlin 1921) - - Mlerdings in einem ganz anderen Zusammenhang - - gemaehte [Beobaehtung, dal~ ein Affe, naehdem er eine elektrisehe Stromleitung berfihrt hat, als er das zweite Mal die Hand danaeh ausstreekt, nun wie getroffen wieder zuriiek- zuckt, bevor er noch mit der Hand an den Leitungsdraht herangekommen ist (l. c. S. 59).

~) Serog, Das Problem des Wesens und der Entstehung des Ge~iihlslebens. a) Serog, Krankheitsgruppe und Krankheitseinheit. Diese Zeitschrift 81,

Heft 1/2, S. 171. *) In diesem Zusammenhange kann natiirlich auf das Hysterieproblem nicht

n~her eingegangen werden. Eine eingehendere Darstellung dieses Problems auf der Grundlage der hier entwickelten Anschauungen soll an anderer Stelle gegeben werden.

Die Suggestibilitiit~ ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 451

nur unter dem zu engen Gesichtswinkel ihrer normalen oder krank- haften Steigerung, also als hypnotische oder hysterische Suggestibiliti~t, zu sehen gewohnt und imstande war. Daneben haben abet wohl auch methodologische Grtinde fiir die Vernachl~ssigung dieser so tiberaus wichtigen psychischen Funktion eine Rolle gespielt. Denn abgesehen yon den Schwierigkeiten, die ftir jede methodisehe Priifung in diesem Falle schon in der Natur der Sache liegen, waren die bisher angewandten Methoden zu systematischen und umfassenden Untersuchungen deshalb nicht geeignet, weil entweder die Methode selbst dazu nicht einfach genug oder aber weil das Verfahren, auf Grund der gewonnenen Ergebnisse zu quantitativen Anhaltspunkten zu gelangen, zu kompliziert war.

�9 Der einzige, der wohl tiberhaupt bisher eingehende und umfassende Untersuchungen tiber die Suggestibilit~t -- allerdings nur an einem bestimmten Material, ni~mlich an Schtilern, und meist unter Hervor- kehrung pi~dagogischer Gesichtspunkte -- angestellt hat, ist Binet 1) gewesen.

Binet 1) stellte Versuche in der Weise an, dal~ er den GrS]enunter- sehied einer Reihe yon parallelen Linien sch~tzen lieB, von denen zu- ni~chst jede gegen die vorherige deutlich li~nger war, die aber dann in- mitten der progressiven Reihenbfldung plStzlich gleich lang blieben, auch dann aber entspreehend der suggestiven Wirkung des Leitge- dankens der Reihe (Binets ,,idSe directrice") meist als zunehmend grSl3er gesch~tzt wurden. Das gleiche Prinzip wurde dann spi~ter aueh yon anderen als Methode der Suggestibiliti~tsprtifung angewandt. So hat Becl~ 2) zur Feststellung der suggestiven Wirkung eines Leitgedankens, Gewiehts-, Schall- und Linienversuche gemaeht, denen allen gemeinsam war, dai~ auf eine Reihe yon 5--6 gleichmi~l~ig ansteigenden Reizen eine 10 --50 malige Wiederholung des sti~rksten Reizes erfolgt. Die Versuchspers~n hatte stets zu entseheiden, ob der Reiz sti~rker oder schwhcher war als der vorhergegangene. Das Resultat zeigt einen mel3baren suggestiven EinfluB des Leitgedankens.

Auch Giese 3) ging bei der Prtifung der Suggestibflitht auf die Binet- sehe Parallelenprobe zurtiek. Er stellte die Versuehe in Form yon ,,Augenmal3prtifungen" der ursprfinglieh deutlieh immer li~nger werden- den, pl6tzlich aber gleichlangen Parallelen an, die dureh einen Seh- schlitz beobachtet evtl. auf dem Kymographion exponiert wurden. Der Versuchsperson wurde gesagt, dai3 man ihr Augenma8 an immer li~nger werdenden Linien messen wolle, und dab sic deshalb den Grad der Verl~ngerung Sttick ftir Sttick taxieren solle.

1) A1/red Binet, L,~ SuggestibilitY. Paris 1900. 2) Beck, Uber Suggestion, eine experimentelle Studie. Zeitschr. f. angew.

Psychol. 1914, Heft 5/6. 3) Giese, 1. c.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXXVIII . 30

452 M. Serog :

E i n e andere yon Giese angegebene Suggestibili$~tspriifung bestand darin, daB angeblich eine ,,Priifung der Feinheit der Lokalisation von Luftstr5men" vorgenommen wurde. M i t einer kleinen, mit Gummi- sehlaueh versehenen Metal]zunge wurde dabei die Nackengegend der Versuchsperson angeblasen; tatsi~chlich gesehah das aber nur in 80% der Versuehe, in den fibrigen 20% wurde die Gummischlauch6ffnung zur Erde gesenkt, die zum Anblasen dienende Luftpumpe aber vernehm- lieh spielen gelassen und nun festgestellt, wie oft aueh jetzt noch ein Anblasen in der Nackengegend gemerkt wurde.

Recht bemerkenswert und interessant sind die Versuehe, die Binet zur Feststellung der motorischen Suggestibilitiit durch Untersuehung von unterbewuBten Bewegungen (,,Mouvements subeonscients") aus- ffihrtei). Die Versuche geschahen in der Weise, dab Binet zuni~chst die Hand der abgelenkten Schreibenden ffihrte, dann die Hand zwar nicht mehr fiihrte, aber nach wie vor mit ihr in gleichem Kontakt blieb, schlieBlich die Hand ganz los lieB. Je naehdem, ob und in welchem MaBe dann nach Aufh6ren der Ffihrung oder sogar nach Loslassen der Hand noeh Sehreibbewegungen eintraten, lieBen sieh verschiedene Grade der Suggestibiliti~t unterseheiden. Bemerkenswert war dabei vor al]em das Ergebnis, dab der Grad dieser motorischen Suggestibiliti~t sich als unabhi~ngig v o n d e r sonstigen Suggestibilit~t erwies. Wenn sich das dureh weitere derartige Untersuchungen, die bisher leider noeh nieht vorgenommen worden sind, besti~tigen sollte, so seheint mir hier eine Tatsache von weitreichender praktischer wie theoretischer Be- deutung vorzuliegen.

Sehr interessant sind ferner auch die yon der Versuehsperson fiber diese ihre Bewegungen selbs~ gemaehtenAngaben. Sie weiB, dab sie diese Bewegungen macht, empfindet sie z. B. als aktive, findet manchmal sogar irgendeinen Grund, um sie zu erkliiren, macht sie aber bald darauf trotzdem wieder. Das ist besonders deshalb interessant, weft wir ganz ~hnliches in Erscheinungen bei der Hypnose, besonders in posthyp- notischen Erscheinungen lindenS), fiir deren psyehologisches Versti~ndnis die obigen Tatsachen also yon wesentlicher Bedeutung sind.

Ieh will nun fiber eine Methode berichten, die ieh selbst zur Prfifung der Suggestibiliti~t angewendet habe. Ich bin dabei vor allem yon der Erwi~gung ausgegangen, die Methode mSglichst einfach zu gestalten. Denn nur mit einer einfaehen Methode kSnnen sieh systematisehe Untersuchungen nach den verschiedenen, oben angedeuteten Rich- tungen bin durchfiihren lassen, nur eine einfache Methode ist vor allem auch zu Massenuntersuchungen brauehbar.

1) Binet, 1. c. S. 380. 2) Siehe Serog, ~ber Hypnosebehandlung, 1. c. S. 6.

Die Suggestibilitlit~ ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 453

Es mul~te bei dieser wie bei den bisher geschflderten Methoden naturgemai~ yon der Suggestibfliti~t yon Empfindungen ausgegangen werden. Hier erschienen nun wieder die Hautsinnesempfindungen besonders geeignet. Zuni~chst schon aus theoretischen Erwi~gungen, weft die affektive Komponente der Empfindungen bei ihnen am grSBten ist 1) und sie, wegen der Beziehung yon Affektiviti~t und Suggestibfliti~t, schon deshalb zu einer solchen Prfifung am meisten qualifiziert sind. Dann aber lieit sich aueh gerade bei einer yon den Hautsinnesempfin- dungen ausgehenden Methode diese besonders einfaeh gestalten. Als Hautreiz wurde der elektrische Strom, als Apparat der fibliche Neuro- logenpantostat benutzt, und zwar wurde in folgender Weise vorge- gangen:

Die Versuehsperson (Vp.) wurde vor den Pantostaten gesetzt, ihr eine grSl]ere Elektrode in die gesehlossene reehte Hand gegeben und eine kleine Elektrode auf den Mittelfinger der linken Hand lest aufgesetzt, evtl. festgebunden. Dann wurde der Motor eingesehaltet, der Rheostat bei , ,Farad." langsam etwas herausgezogen, vorher aber der Watte- ville auf ,,G" gestellt. Nun wurde an die Vp., wi~hrend der Rheostat bei Farad. immer mehr herausgezogen wurde, die Frage geriehtet: ,,Spfiren Sie jetzt etwas? -- Je tz t ? -- J e t z t ? " usw., indem dabei der Rheostat allmi~hlieh immer welter herausgezogen wurde. Durch dieses allmi~hliche Herausziehen des Rheostaten und die gleichzeitigen Fragen wurde natfirlich der Eindruck der sti~ndigen Versti~rkung des Stromes bewirkt, es wurde aber dabei jede J~ul~erung wie etwa ,,jetzt maehe ieh den Strom sti~rker" absolut vermieden. Liel~ sieh auf solche Weise eine deutliehe Empfindung des elektrischen Stromes, ohne dat] er fiberhaupt eingeschaltet war -- und dann iibrigens aueh meist noch eine beliebige Versti~rkung und Abschwi~chung desselben --, suggerieren, so war damit bei der Vp. eine hochgradige Steigerung der Suggestibiliti~t festgestellt.

War das nicht der Fall, so wurde nun der faradische Strom zunachst tatsi~chlich eingeschaltet (derWatteville also auf , ,F" gestellt) und durch Herausziehen und Hineinschieben des Rheostaten der Strom abwech- selnd verstarkt und abgeschwacht, dann aber naeh Ausschalten des Wattevilles (Zurfickstellen auf ,,G") die gleiche Manipulation mit dem Rheostaten wiederholt. Die Vp. muBte nun natiirlich yon dieser Mani- pulation die gleiche Empfindungswirkung erwarten, wie sie sie soeben gehabt hatte. Trat das ein, so wurde es als deutliche Steigerung der Suggestibilit~t angesehen.

Gesehah aueh das nicht, so wurde zun~tchst wieder der Watteville auf ,~Farad." gestellt, die Vp. bekam wieder dureh abwechselndes Herausziehen und Hereinschieben des Rheostaten den faradischen

1) Siehe Serog, Das Problem des Wesens und der Entstehung des Gefiihlslebens, S. 111.

30*

454 M. Serog :

Strom deutlich abwechselnd starker und schwacher zu spfiren und wurde j edesmal dutch ein , ,Jetzt s tarker!" , , ,Jetzt schwiicher!" darauf hingewiesen. Wi~hrend nun der Vp. in gleicher Weise nun welter gesagt wurde , ,Jetzt s tarker!" , , ,Jetzt schwacher !" wurde dabei der Rheostat entweder gar nicht oder in der verkehrten Richtung bewegt. Wenn die Vp. dann t rotzdem auf die entsprechende Frage angab, den Strom starker oder schwacher zu ffihlen, so war damit ihre Suggestibilitat als deutlich vorhanden festgestellt.

Die hochgradige Steigerung der Suggestibiliti~t wurde mit + ~--~; die deutliche Steigerung der Suggestibilit~t wurde mit -~-~; die deut- lich vorhandene Suggestibilitat wurde mit ~- bezeichnet.

Es sei noch bemerkt, dal3 bei Vpn., die mit der Einrichtung dieses Pantostaten genau ver t raut sind, die geschilderte Versuchsordnung selbstverst~ndlich nicht anwendbar istl).

Kurz zusammengefal3t war die Methode also folgende: Gelang es, die Emt)findungen eines faradischen St1"omes ohne jede

Applikation eines solchen zu suggerieren, so wurde die Suggestibilitat Ms: hochgradig gesteigert (~- ~- ~-), gelang das nut nach vorheriger Appli- kation eines spfirbaren faradischen Stromes, so wurde die Suggestibilit~t als: deutlich ge~teigert (~--~), konnte endlich nur Verst~rkung und Ab- schw~chung eines tats~chlich applizierten faradischen Stromes sugge- riert werden, so wurde die Suggestibilitiit Ms: deutlich vorhanden (-~) bezeichnet.

GrSl3ere Versuchsreihen mit dieser Methode yon den oben angeffihrten Gesichtspunkten aus sollen sp~ter vorgenommen werden. Hier sollen die Ergebnisse einiger Vorversuche mitgeteilt werden.

Es wurden yon mir 2 Reihen mir genau bekannter Kranken meiner Sprechstunde untersucht. Einmal Kranke mit schweren und ausge- sprochenen psychogenen St6rungen, zweitens Kranke mit organischem Leiden ohne jede psychogene Reaktion. Die Versuchsergebnisse folgen welter unten in 2 Tabellen. Es sei dabei noch ausdrticklich bemerkt, dal~ in der zweiten Tabelle das Wesentliche selbstverstandlich nicht die Tatsache -- noch weniger natiirlich die Art -- der organischen Erkran- kung ist, sondern da6 es sich nur darum handelte, fiir diese Versuchs- reihe Vpn. zu w~hlen, die m6glichst frei yon psychogenen Reaktionen

1) Zu erw~hnen ist noch, dab - - wenigstens bei den Versuchen, deren Ergeb- nisse weiter unten mitgeteilt werden - - den Vpn. gar nichts fiber Sinn und Zweck der mit ihnen vorgenommenen Manipulationen gesagt wurde; sie hatten also ent- weder den Eindruck des ,,Elektrisierens" schlechthin oder mul~ten glauben, dal~ es sich um eine Prtifung ihrer Empfindungsf~higkeit ~iir den elektrischen Strom handle. Es diirfte sich aber wohl empfehlen, ihnen das letztere in jedem Falle vorher ausdriicklich zu sagen. Bei eigens zu Versuchszwecken bestellten Vpn., die wissen, dal3 es sich um Experimente handelt, ist eine solche Erklarung natiirlich unbedingt notwendig.

Die Suggestibilitiit~ lhr Wesen und ilne experimentelle Untersuchung. 4 5 5

s ind . ] ) a s a b e r w a r b e i d i e s e n b i e r a ls V p n . h e r a n g e z o g e n e n o r g a n i s c h

K r a n k e n d e r Fa l l , u n d es k o n n t e d a s h i e r d e s h a l b b e s s e r a ls s o n s t

- - e t w a b e i g e s u n d e n V p n . - - f e s t g e s t e l l t w e r d e n , n i c h t n u r , weJl d ie

B e t r e f f e n d e n m i r i n i h r e r R e a k t i o n s w e i s e g u t b e k a n n t w a r e n , s o n d e r n

a u c h , weft o f t g e r a d e d ie o r g a n i s c h e E r k r a n k u n g g e w i s s e r m a B e n als

a g e n t p r o v o c a t e u r I i i r e ine p s y c h o g e n e R e a k t i o n w i r k t .

I c h gebe n u n d ie E r g e b n i s s e d e r b e i d e n V e r s u c h s r e i h e n :

I.

Psychogene C o n l r a d u r der H a r d . . . . . . . . . + § 2 4 7 Psychogenes ~ to t te rn . . . . . . . . . . . . . . + § § Psyehogenes S t o l t c m . . . . . . . . . . . . . . + + Psychogene GangstSrung . . . . . . . . . . . . . + § + Psychoge~e Gangst51ung . . . . . . . . . . . . . § § Psychogene Par~sthesien . . . . . . . . . . . . . + + + Psychogene Pseudoneuralgie . . . . . . . . . . . + § + Psychogerer Schwindel . . . . . . . . . . . . . . + § § Psychogen~r Hus ten . . . . . . . . . . . . . . . + § + Psychogene Magenbeschwerden . . . . . . . . . . § + Psyehogenes F rb lechen . . . . . . . . . . . . . . + § § Psyehogene DarmstSrungen . . . . . . . . . . . +-4- Psychogene neurotische Odeme . . . . . . . . . . . § + + Psyehogene Anasthesie und Parese des Armes . . . + Psychogener Depressions- und Angstzus tand . . . . + § § Psychogene Depression . . . . . . . . . . . . . . § § Psychogene Zwangsvorstellungen . . . . . . . . . -4- § + Psychogene Zwangsvorstellungen . . . . . . . . . -4-.4. Psyehogene Sehmerzen . . . . . . . . . . . . . . + + § Psychoge~e Sc~merzen . . . . . . . . . . . . . . "4"'4"'4" Psychogene Sd~merzen . . . . . . . . . . . . . . + + Psychogene Anfi~lle . . . . . . . . . . . . . . . +'4" -4- Psychogene Anf/ille . . . . . . . . . . . . . . . + § § Psyehogere Anf/~lle . . . . . . . . . . . . . . . + +,4, Psychogene Anti~lle . . . . . . . . . . . . . . . §

II. LX~euritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . + Neuri t is . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . -4- Plexusr euritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . + Ischias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § ]sehias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . + Infraorbitalneuralgie . . . . . . . . . . . . . . . -4- Supi aorbitalneuralgie . . . . . . . . . . . . . . . -4- Periphere Facialisli~hmung . . . . . . . . . . . . -4- Periphere Facialisli~hmung . . . . . . . . . " �9 �9 �9 -4- Periphere Facialisli~hmung . . . . . . . . . . . . + Traumatische Peroneusli ihmung . . . . . . . . . . -4- Poliomyelitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . § Tabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . -4- Syringomyelie . . . . . . . . . . . . . . . . . . + Hemiplegie nar Apoplexie . . . . . . . . . . . -4- Hemip:egie nach Apcplexie . . . . . . . . . . . . +

456 M. Serog :

Traumatische Hcmiplegie . . . . . . . . . . . . . + Traumatische Hemiplegie und Rindenepilepsie . . . ttemiparese nach Apoplexie . . . . . . . . . . . § Epilepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §

Betrachten wir zunachst die zweite Versuchsreihe! Ihr Ergebnis zeigt uns, da$ bei jedem, aueh bei denen, die keine psychogene Re- aktion aufweisen, ein gewisser Grad von Suggestibflitat vorhanden und nachweisbar ist. Die oben theoretisch entwiekelte Anschauung, daft die Suggestibilit~t eine primare und primitive Gehirnfunktion darstellt, und daft jeder deshalb in gewissem Grade suggestibel sein miisse, finder bier ihre praktisehe Bestatigung.

l~berblickcn wit die erste Versuchsreihe, so sehen wir in ihr zunachst die bekannte Tatsache bestatigt, da$ jeder Hysterisehe eine starke Steigerung seiner Suggestibilitat zeigt. In den weiteren meisten Fallen sehen wir in unserer Versuchsreihe die Suggestiblit~tt hochgradig ge- steigert (~- + +) , in wenigen stark gesteigert (-f- § Nur einmal linden wir keine besondere Steigerung der Suggestibilit~tt. Es handelte sich hier um einen Kranken mit einer hysterischen Parese und An~sthesie des linken Armes, bei der tier. Versueh die Suggestibilitht nut als ,,deutlich vorhanden" (A-) ergibt. Es fallt dieses Ergebnis also gewisscrmaften aus dem Rahmen aller anderen heraus.

Bevor man entscheiden kann, welche Bedeutung einein solchen Ergebnis zukommen kann, miiftten erst noch Versuche in grSllerem Maftstabe, als mir das bisher mSglich war, vorgenommen werden. Viellcicht spielen auch hier entgegenwirkende Autosuggestionen eine Rolle.

~brigens ist auch im Falle starker, im entgegengesetzten Sinne wir- kender Autosuggestionen die Methode gew6hnlich nicht ergebnislos. Es kommt namlieh dann nicht nur vor, daft ein applizierter Strom erst bei relativ schon recht grofter Starke empfunden wird, sondern es ge- schieht sogar mitunter, daft bei erheblichem Verst~rken und Abschwachen des Stromes angegeben wird, daft kein Unterschied gcfiihlt wurde. Auch das ist eine Xuftcrung der Suggestibflitat, die hier nur der Rich- tung, nicht aber dem Grade nach eine andere istl). Die geschilderte Methode kann also die Tatsache tier Suggestibilit~t auch dann noch feststellen, wenn sich die Richtung der Suggestibilit~t ge~ndert hat.

Kurz hingewiesen sei noch in der ersten Versuchsreihe auf die psyehogene Pseudoneuralgie, bei der sieh die Suggestibilitat als ,,hoeh- gradig gesteigert" ergab. Wie schon erwahnt, sind in den Vorversuchen, deren Ergebnisse die beiden Tabellen wiedergeben, nut die naeh der

1) Als eine solche ,,Suggestibilitat mit negativen Vorzeichen" sind iiberhaupt sicher die vielen normalpsychologischen negativistischen Reaktionen und sehr wahrscheinlich auch dei psychopathologische Negativismus aufzufassen.

Die Suggestibilit~tt, ihr Wesen und ihre experimentelle Untersuchung. 457

Seite der Frage: ,,Psychogen oder nichtpsychogen" ganz klaren, um nicht zu sagen extremen Falle berficksichtigt worden. So handelte es sich aueh hier um eine ganz ausgesprochene psychogene Pseudo- neuralgie. In Fallen, in denen aber die Diagnose nicht yon vornherein so klar und zweifelsfrei ist wie in dem hier untersuchten, ware wohl daran zu denken, Suggestibilit~tsprfifungen naeh obiger Methode auch unter dem Gesichtspunkte auszuffihren, ihr Ergebnis, falls es eindeutig genug ist, f fir die Diagnose mit zu verwerten. Hier er6ffnen sich also gewisse praktische M6glichkeiten. Denn die Mitverwertung des Sym- ptoms der hochgradigen Suggestibilitatssteigerung, wie sie sich durch die obige Methode leicht und schnell feststellen lal~t, kSnnte fiir die Differentialdiagnose hysterischer (psychogener) Affektionen mitunter praktisch yon Bedeutung werden.

Eine praktische Anwendung kann fibrigens die Methode auch dahin linden, dal~ man vor Einleitung eines hypnotisch-suggestiven Ver- fahrens die Kranken mit der Methode untersucht, um den Grad ihrer Suggestibflitat vorher festzustellen. Allerdings ist damit immer nur die Qualifikation eines Kranken ffir ein Fiypnoseverfahren iiberhaupt, niemals abet die Wirksamkeit dieses Verfahrens als Behand]ungsma]- nahme gegen irgendwelche bestimmte St6rungen oder Beschwerden des Kranken festgestellt.

Die Vorzfige der geschilderten Methode bestehen in der Einfachheit des Instrumentariums, das nur aus einem Pantostaten besteht, in der Sehnelligkeit ihrer Ausffihrung, die sie aueh ffir Massenuntersuchungen anwendbar macht, und in. einer sofort zu ersehenden quantitativen Abstufung der Ergebnisse, die zwar nur grob, aber ffir praktische Zwecke doch ausreichend ist. Als Fehlerquelle ist zun~ichst in Rechnung zu bringen, dab das Ergebnis einer solchen Suggestibilitatsprfifung nicht nur yon der geprfiften Vp., sondern auch vom prfifenden Ver- suchsleiter abhangt. Es wiirden deshalb auch Versuchsreihen verschie- dener Untersucher ste.ts nut mit einer gewissen Reserve verglichen werden k6nnen. Innerhalb der Versuchsreihen des gleichen Versuchs. leiters abet ist der EinfluI~ dieser Fehlerquelle gering, und er kann noeh erheblich vermindert werden, wenn man sich streng daran gew6hnt, nach dem ,,Prinzip des gleichen Reizes" immer in genau derselben Weise vorzugehen und auch genau die gleichen Worte zu gebrauchen. Gr61~ere Schwierigkeiten macht die Fehlerquelle, die in den Autosuggestionen liegt. Wie die der Versuchstendenz entgegengesetzte Richtung der Suggestibilit~t auch bei der geschilderten Methode zum Ausdruck kommen kann, darauf ist bereits oben hingewiesen worden.

Noch deutlicher kann man das dutch einen Versuch machen, den man so anlegt, da~ man durch Aufkl~rung der Vp. fiber die Art des Versuchs bei dieser einen dieser Suggestion ungiinstigen psyehisehen

458 M. Serog: Die Suggestibilitat, ihr Wesen und experimentelle Untersuchung.

Zustand schafft. Man kann dann nKmlieh h~ufig nachweisen, dab die Suggestibilit~tt nun in umgekehrter Richtung zum Ausdruck kommt.

Der Versuch ist folgender: Es wird der Vp: zunachst aufgegeben, den Moment, in dem sie den allmahllch verstarkten faradischen Strom das erste Mal spiirt, genau anzugeben. Die Stromstarke wird am Rheostaten abgelesen. Darauf wird der Vp., die dazu natiirlieh intelligent sein muB, Art und Zweck der Versuche etwa in der Weise, wie es bier gesehehen ist, erklart. ])ann wird der 3. Versueh mit ihr vorgenommen, ihr gesagt, der Strom wtirde jetzt allmahlich starker, und sie wird aufgefordert, es sofort wieder anzugeben, sobald sie den Strom spare. Wird nun auch dieser Punkt am Rheostaten wieder abgelesen, so zeigt es sich, da$ der Strom ira zweiten Versuch gewShnlich erst bei etwas grSSerer Stgrke gespiirt wird als im ersten. Es ist also durch die gegebene Aufklarung fiber den Zweek des Versuches die Suggestibilitat wohl verringert, aber nicht etwa aus- geschaltet, vielmehr ist sie, nach entgegengesetzter Riehtung gedr~ingt, noeh deutlieh nachweisbar.

Auch hier also zeigt sich die Suggestibilitgt als eine psychisehe Funktion, die immer und iiberall vorhanden und wirksam ist und deren stgndige Wirksamkeit nachzuweisen mit entsprechenden Methoden auch meist gelingt. Und eben auch in diesem f~berall-Vorhandensein doku- mentiert sich das Wesen der Suggestibilit~tt als primitive und prim~tre Funktion, als die wir sie auch sonst kennengelernt haben.

Den Erscheinungen der ,,Suggestion" freilich, die bisher meist allein grSttere Beobachtung gefunden haben, liegt immer an Vorstellungs- komplexen gebundene Suggestibilit~t zugrunde, und sie haben deshalb ein bereits hSher entwickeltes Vorstellungsleben zur Voraussetzung. Die primitive Funkt ion der Suggestibilit~tt selbst aber ist uralter psychischer Besitz, ja sie ist wohl eine der ersten Manifestationen alles Psychisehen.