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REGULA ZWAHLEN Die trinitarische Konzeption der Person bei Nikolaj Berdjaev und Sergej Bulgakov Ivan Kireevskij war der Meinung, dass die Denkrichtung eines Philosophen davon abhänge, welche Konzeption der Trinität dieser vertrete: Ich bin „zu der Überzeugung gelangt <...>, dass die Richtung der Philosophie, in ihrem Ursprung, von dem Begriff abhängt, den wir von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ha- ben. 1 Wenden wir diese Idee auf die beziehungsgeschichtliche und vergleichende For- schung über die Anthropologien Berdjaevs und Bulgakovs an, so erweist sie sich als hilfreich: Betrachtet man ihre zentralen anthropologischen Begriffe – Gottmen- schentum, Ebenbild Gottes, Personalität – in ihrem Verhältnis zur göttlichen Drei- faltigkeit, werden manche konzeptionelle Unterschiede deutlich. Unterschiede, die einerseits aufgrund der großen semantischen Homogenität in der russischen Philo- sophie ihrer Zeit oft übersehen werden; andererseits üben sie einen großen Einfluß auf die jeweilige Philosophie des Schaffens aus. Denn das Hauptanliegen beider Denker besteht darin, eine religiös-philosophische Begründung des menschlichen Schaffens zu entwickeln. Sie folgen so dem marxistischen Impuls ihrer Jugendjahre, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern verändern zu wollen, auch im reiferen Alter. Das trinitarische Konzept in der russischen Philosophie Was hat eine Philosophie des Schaffens mit der Trinität zu tun? In der Theologie ist die Möglichkeit, einen direkten Bezug zwischen der Trinität und der Schöpfungs- lehre herzustellen, gegeben: Man unterscheidet zwischen einer ‚trinitarischen Theo- logie‘, die sich auf die immanente Kommunion der Hypostasen bezieht, und einer ‚trinitarischen Ökonomie‘, welche deren gemeinsamen Schöpfungs- und Erlösungs- akt deutet. 2 Das trinitarische Konzept erschien vielen russischen Philosophen aus folgenden Gründen attraktiv: Erstens sahen sie darin eine Überwindung der Trennung von Subjekt und Objekt, die von vielen Zeitgenossen als tragisch – als ‚Tragödie der Kultur‘ – empfunden wurde. 3 Zweitens erschien ihnen die Trinität ein ideales Modell zur Überwindung von In- dividualismus und Universalismus zu sein, eine Einheit in Vielfalt und insofern ein Modell interpersonaler Beziehungen zwischen Ich, Du, Er, Wir und Ihr; ein Modell, das über die dual bleibenden Beziehungen von Ich und Du bei Martin Buber und Sigmund Freud hinaus auf die Gemeinschaft mit allen Menschen verweist. 1 Zitiert nach: W. Goerdt: Vergöttlichung und Gesellschaft, 39. 2 B. Bobrinskoy: Le Mystère de la Trinité, 10. 3 Vgl. G. Simmel: Die Tragödie der Kultur, 25–57.

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REGULA ZWAHLEN

Die trinitarische Konzeption der Person bei Nikolaj Berdjaev und Sergej Bulgakov

Ivan Kireevskij war der Meinung, dass die Denkrichtung eines Philosophen davon abhänge, welche Konzeption der Trinität dieser vertrete:

Ich bin „zu der Überzeugung gelangt <...>, dass die Richtung der Philosophie, in ihrem Ursprung, von dem Begriff abhängt, den wir von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ha-ben.1

Wenden wir diese Idee auf die beziehungsgeschichtliche und vergleichende For-schung über die Anthropologien Berdjaevs und Bulgakovs an, so erweist sie sich als hilfreich: Betrachtet man ihre zentralen anthropologischen Begriffe – Gottmen-schentum, Ebenbild Gottes, Personalität – in ihrem Verhältnis zur göttlichen Drei-faltigkeit, werden manche konzeptionelle Unterschiede deutlich. Unterschiede, die einerseits aufgrund der großen semantischen Homogenität in der russischen Philo-sophie ihrer Zeit oft übersehen werden; andererseits üben sie einen großen Einfluß auf die jeweilige Philosophie des Schaffens aus. Denn das Hauptanliegen beider Denker besteht darin, eine religiös-philosophische Begründung des menschlichen Schaffens zu entwickeln. Sie folgen so dem marxistischen Impuls ihrer Jugendjahre, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern verändern zu wollen, auch im reiferen Alter.

Das trinitarische Konzept in der russischen Philosophie

Was hat eine Philosophie des Schaffens mit der Trinität zu tun? In der Theologie ist die Möglichkeit, einen direkten Bezug zwischen der Trinität und der Schöpfungs-lehre herzustellen, gegeben: Man unterscheidet zwischen einer ‚trinitarischen Theo-logie‘, die sich auf die immanente Kommunion der Hypostasen bezieht, und einer ‚trinitarischen Ökonomie‘, welche deren gemeinsamen Schöpfungs- und Erlösungs-akt deutet.2 Das trinitarische Konzept erschien vielen russischen Philosophen aus folgenden Gründen attraktiv:

Erstens sahen sie darin eine Überwindung der Trennung von Subjekt und Objekt, die von vielen Zeitgenossen als tragisch – als ‚Tragödie der Kultur‘ – empfunden wurde.3

Zweitens erschien ihnen die Trinität ein ideales Modell zur Überwindung von In-dividualismus und Universalismus zu sein, eine Einheit in Vielfalt und insofern ein Modell interpersonaler Beziehungen zwischen Ich, Du, Er, Wir und Ihr; ein Modell, das über die dual bleibenden Beziehungen von Ich und Du bei Martin Buber und Sigmund Freud hinaus auf die Gemeinschaft mit allen Menschen verweist.

1 Zitiert nach: W. Goerdt: Vergöttlichung und Gesellschaft, 39. 2 B. Bobrinskoy: Le Mystère de la Trinité, 10. 3 Vgl. G. Simmel: Die Tragödie der Kultur, 25–57.

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Drittens sahen sie in der dynamischen Beziehung zwischen den drei göttlichen Hypostasen oder Personen die ontologische Begründung der Liebe und der Schöpfung.

Aufmerksam auf das Modell der Trinität wurden die russischen Denker des Sil-bernen Zeitalters im Zuge ihrer Rückbesinnung auf die östliche patristische Tradi-tion, die im Lichte der Auseinandersetzung mit der westlichen Mystik und der mo-dernen Philosophie geschah. Die Reaktion auf Kant war hier zentral: Zwar hatte Kant die Doktrin der Trinität für überflüssig erklärt, weil die reine Vernunft keine Aussagen über das Innenleben der Gottheit machen könne.4 Die russischen Philoso-phen aber – allen voran Vl. Solov’ev – waren vom Versuch beseelt, dem Menschen den von Kant verbauten Zugang zur göttlichen, noumenalen Dimension wieder her-zustellen. So griffen sie wieder auf das trinitarische Modell zurück. Kants immenser Einfluss bestand dennoch darin, dass dies nun von einem anthropozentrischen, per-sonalistischen Standpunkt aus geschah.5 Eine gewaltige Rolle spielte auch Hegel, der es als seine Aufgabe betrachtet hatte, die trinitarische Tradition wieder in die Philo-sophie zurückzuholen.6 Die russischen Philosophen wollten aber nicht wie Hegel die Theologie auf Logik reduzieren, sondern umgekehrt den Zugang zum göttlichen Sein wieder finden. Hannah Arendt hat dieses Anliegen treffend formuliert: Die moderne Philosophie konnte sich darüber nicht beruhigen, „dass der Mensch zu sei-nem Sein, das er nicht geschaffen hat und das ihm wesensmäßig fremd ist, doch ge-zwungen ist, Ja zu sagen.“7

Dies trifft in hohem Maße auch auf die russische Philosophie, und insbesondere auf Berdjaev und Bulgakov zu. Ihre Modelle der Trinität und der Gottebenbildlich-keit des Menschen dienten unter anderem dazu, das (inter-) personale Sein des Men-schen und dessen Verhältnis zu Gott und zur Welt zu erklären. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die jüdische Kabbalah, die den Kosmos in Triaden denkt.8 Hans Ehrenberg sprach vom Zugang zum Wesen des Seins, den die russischen Philoso-phen in der Trinität zu finden hofften:

Der Trinitätsgedanke ist das dunkle Wort, in dem wir wie in einem Spiegel das ‚Wesen‘ schauen dürfen; er ist das ewige Gleichnis.9

Ein grundsätzlicher Denkimpuls geht für Berdjaev und Bulgakov von der Auseinan-dersetzung mit Ludwig Feuerbach aus. Feuerbach hatte Gott als Projektion des Göttlichen im Menschen auf einen konstruierten Gott erklärt. Insofern sei auch „das Geheimnis der Trinität das Geheimnis des gesellschaftlichen, gemeinschaftlichen Lebens – das Geheimnis von Ich und Du“.10 Berdjaev aber meint, die Entdeckung des Göttlichen im Menschen sei noch lange kein Argument für die Nicht-Existenz Gottes. Ähnlich argumentiert Bulgakov. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Bulgakov Berdjaev ‚mystisches Feuerbachianertum‘ vorwirft, weil dieser die voll-kommene Vergöttlichung des Menschen in der Immanenz propagiere. Im Gegensatz

4 Trotzdem findet sich auch bei Kant eine triadische Gottesvorstellung: als Urbild von Legislative,

Exekutive und Jurisdiktion. Vgl. M. Murrmann-Kahl, F. Courth: Trinität, 1509. 5 M.A. Meerson: The Trinity of Love, xiv–xv. 6 D.M. Schlitt: Hegel's Trinitarian Claim, 1. 7 H. Arendt: Was ist Existenzphilosophie, 11. 8 Vgl. J. Deutsch Kornblatt: Russian Religious Thought, 75–95. 9 H. Ehrenberg: Die Russifizierung Europas, 405. 10 Zitiert nach: M.A. Meerson: Sergei Bulgakov’s Philosophy of Personality, 141.

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dazu ist Bulgakov stets darauf bedacht, Mensch und Gott nicht gleichzusetzen.11 Dieser Unterschied zeigt sich in ihrem jeweiligen Verständnis der Trinität sehr deutlich.

In der Folge werden einige Bereiche aufgezeigt, in denen sie das Modell der Trini-tät anwenden. Zu einem anschaulicheren Verständnis ziehe ich den Begriff des ‚Sün-denfalls‘ hinzu, den beide als ‚Mythos‘ der metaphysischen Katastrophe deuten, wel-che alle negativen Aspekte des Daseins, vor allem die von Kant formulierte Trennung von Noumenon und Phänomenon, und die von Arendt beschriebene Entfremdung hervorgebracht hat.

Die trinitarische Konzeption bei Berdjaev

Bei Berdjaev sind folgende Anwendungsbereiche der trinitarischen Konzeption zu beobachten:12

1. Trinität als Grundlage für die gottmenschliche Wesenseinheit: Das ewige Antlitz des Menschen ruht im Schoß der Göttlichen Trinität. Die zweite Hypostase der Gottheit ist die göttliche Menschlichkeit. <...> In Christus als dem Gottmenschen offenbart sich nicht nur die freie Aktivität Gottes, sondern auch des Menschen.13

Nach dem Sündenfall ist der Mensch von Gott getrennt und steht außerhalb der Trinität. Hier stellt sich die Frage: Ist der Mensch nur ‚dank‘ dem Sündenfall gegen-über Gott eine eigenständige Person? Dieser Schluss liegt nahe, denn Berdjaev selbst wertet den Sündenfall nicht nur als Erniedrigung, sondern auch als Würdigung der Person in ihrer Freiheit.14

2. Trinität als Grundprinzip der personalen Liebe: Gemäss Richard von St. Viktors Modell entsprechen die drei Hypostasen dem

Liebenden, dem Geliebten und der Erfüllung dieser Liebe im Dritten. In der Trinität spielt sich die Tragödie der göttlichen Sehnsucht nach dem Menschen ab.15 Diese ‚mystische Dialektik‘ ist Grundlage des personalen Bedürfnisses nach Dialog und Kommunion [sobornost’], des Mitleids, des Opfers, Modell der Versöhnung von Gegensätzen, sie ist die Grundlage jeder sozialen Metaphysik und Ethik.16

3. Trinität als Grundprinzip des Schaffens: Das ‚Mysterium des Schaffens‘ versteht Berdjaev als das ‚Innenleben der dreifalti-

gen Gottheit‘, an dem auch der Mensch teilhaben kann und soll.17 Insofern das Leben des Menschen einen ‚inneren Aspekt‘ der Trinität darstellt, verwirklicht sich das In-

11 M.A. Meerson: The Trinity of Love, 167–168; S.N. Bulgakov: Svet neve!ernij, 169, Fußnote 2. 12 Das bei Berdjaev (und Mere!kovskij) vorhandene trinitarische Geschichtsmodell (Altes, Neues und

Drittes Testament) von Joachim de Fiore wird hier nicht ausgeführt. M.A. Meerson: The Trinity of Love, 106.

13 N.A. Berdjaev: Filosofija svobodnogo ducha, 139. Die Übersetzungen stammen von mir. 14 P.A. Scaringi: Freedom and the ‘Creative Act’, 72. 15 Vgl. die Berdjaev-Rezeption bei: J. Moltmann: Trinität und Reich Gottes, 58. 16 N.A. Berdjaev: Filosofija svobodnogo ducha, 198–199; M.A. Meerson: The Trinity of Love, 103–

104, 106. 17 M.A. Meerson: The Trinity of Love, 104, 114–115.

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nenleben Gottes durch den Menschen.18 Nach dem Geschehen des Sündenfalls scheitert der menschliche Schaffensprozeß an der Unzulänglichkeit der Welt, sofern er nicht durch Christus in das göttliche Schaffen integriert wird.19 Hierzu der Versuch, Berdjaevs Konzeption modellhaft zu illustrieren:

Die trinitarische Konzeption bei Bulgakov

Bei Bulgakov sind folgende drei Konzeptionen anzutreffen: 1. Trinität als Grundprinzip des personalen Selbstbewusstseins Jeder Mensch verfügt als Ebenbild des dreifaltigen Gottes über eine triadische

Struktur: Das Ich (Subjekt), seine Natur (Prädikat) und das Selbstbewusstsein als Akt der Verwirklichung des Ichs in seiner Natur (Verb). Fichtes Identitätsprinzip (A = A) formuliert Bulgakov als logisch-grammatisches Urteil: „Ich bin A“.20 Diese dynamische Struktur der personalen Identität begründet die ständige Selbstverwirk-lichung durch Erkenntnis und Schöpfertum, ihr ständiges ‚Werden‘.21

2. Trinität als Grundprinzip der personalen Liebe Das Ich lebt nicht alleine, sondern in seinem Bezug zum Du, und in der unabhän-

gigen Bestätigung der Ich-Du-Beziehung durch die dritte Person, das Er (respektive die Sie). Florenskij hat dieses Prinzip der dynamischen Identität mit numerischer Logik begründet: Ich und Du setzen sich gegenseitig voraus, werden aber nur durch eine dritte Person daran gehindert, miteinander zu verschmelzen.22 Jedes Ich ist in

18 N.A. Berdjaev: Filosofija svobodnogo ducha, 137. 19 M.A. Meerson: The Trinity of Love, 106. 20 M.A. Meerson: The Trinity of Love, 170. 21 S.N. Bulgakov: Glavy o troi"nosti, 82–83. 22 M.A. Meerson: Sergej Bulgakov, 143–144.

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seinem Ich-Sein unabhängig, ist aber gleichzeitig auch Du oder Er für ein anderes Ich. Das ‚Wir‘ ist also ontologisch in der triadischen Struktur des Ich enthalten.23

Die Menschen suchen als Ebenbilder Gottes entsprechend den göttlichen Hypo-stasen den Bezug zum Du, und Identität und Erfüllung im Wir, in der ‚multihy-postatischen Menschheit‘. Im Gegensatz zu Berdjaev nehmen die menschlichen Hy-postasen nicht direkt am Innenleben der göttlichen Dreifaltigkeit teil, sondern beziehen sich zu Gott als einem Du: Die Wesenseinheit mit Gott liegt nicht wie bei Berdjaev in der zweiten Hypostase, sondern in der sophia. Die sophia bezeichnet nämlich den schöpferischen Aspekt der ousia, die gemäß dem Trinitätsdogma die ge-meinsame ‚Natur‘ der drei göttlichen Hypostasen bezeichnet.24 Mit dem Begriff der sophia versucht Bulgakov gleichzeitig die Einheit (in der sophia) und Unterschieden-heit (bezüglich der ousia) von Gott und Mensch festzulegen.

Im Vergleich mit Berdjaev kann gesagt werden: Bei Bulgakov ist der Mensch on-tologisch eigenständiges Ebenbild des dreifaltigen Gottes, bei Berdjaev gehört der Mensch in Christus zur inhärenten Struktur des dreifaltigen Gottes.25

Trinität als Grundprinzip des Schaffens

Die ewige Dynamik zwischen drei Hypostasen in ihrer gemeinsamen Natur definiert Bulgakov als Schaffensprozess. Der Schaffensprozeß in der Welt entspricht dieser innertrinitarischen Dynamik ebenbildlich. Er unterscheidet sich von ihr durch gege-bene Bedingungen wie Zeit und Raum einerseits, und andererseits dadurch, dass hier nicht drei göttliche, sondern viele gottebenbildliche Hypostasen oder Subjekte die geschaffene sophia gestalten. Das menschliche Schaffen ergibt sich so aus dem Auf-trag, analog zum innertrinitarischen Prozess die Synthese von Geist und Natur her-zustellen.26 Der Schaffensakt erhält in Bulgakovs System eine gegenüber Gott auto-nomere Position als bei Berdjaev. Die Illustration verdeutlicht den Unterschied zu Berdjaev zusätzlich:

23 Ders.: The Trinity of Love, 173–177; S.N. Bulgakov: Glavy o troi"nosti, 59–60. 24 S.N. Bulgakov: Nevesta Agnca, zitiert nach Zander: „Die Natur Gottes ist nicht nur die schweigende

und bodenlose Tiefe der ousia, sondern auch die sprechende, sich offenbarende Sophia.“ In: L.A. Zander: Bog i mir, 31.

25 Vgl. bei Vallière: „To elaborate his trinitarianism Bulgakov draws on the resources of kenotic theory. As he sees it, the whole Trinity, not just the Son, stands in a kenotic relationship to the world, al-though each Person has its own distinctive mode of kenosis“. P. Vallière: Modern Russian Theology, 331.

26 S.N. Bulgakov: Agnec Bo"ij, 122.

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Unterschiede und Konsequenzen

Ein wesentlicher Unterschied dieser Trinitätskonzeptionen besteht darin, dass Berdjaev den Menschen als Notwendigkeit für Gott betrachtet, während Bulgakov den Menschen als Geschöpf durch einen freien Akt der Liebe Gottes versteht. An folgenden Beispielen wird illustriert, welche Konsequenzen die jeweilige Sicht der Trinität und deren Verhältnis zur Welt nach sich zieht.

! Begründung der Bedingungen ‚dieser Welt‘: Was nach Bulgakov zur ursprünglichen Schöpfung gehört – Welt, Natur, Zeit, Raum, eine relative Notwendigkeit – ist bei Berdjaev Folge des Sün-denfalls.

! Die Stellung des Menschen und der Welt im Kosmos: Der Sündenfall bewirkt nach Berdjaev die Entstehung der Welt, die vom ur-sprünglichen Sein getrennt ist.27 Nur im Menschen, der seine Wesenseinheit mit Gott erkennt, bleibt eine Verbindung zum Kosmos erhalten. Ziel ist die Zerstörung der Welt und die ursprüngliche Einheit des Menschen mit Gott in der Trinität. Bei Bulgakov bleibt die Welt so wie sie geschaffen ist, nämlich autonom und ausserhalb der Trinität stehend. Die Ursünde verursacht aber ein Chaos in der ursprünglichen harmonischen Anordnung. Der Mensch hat den Auf-trag, diese Harmonie wieder herzustellen und weiter zu entwickeln. Der Weg zum Ziel ist der Dialog, die Synergie mit Gott.

! Die Möglichkeiten des menschlichen Schaffens: 27 Vgl. Gajdenko: „To affirm that the world-process was set in motion by the Fall is in fact to substi-

tute the latter for divine creation since the world process originated in it“. P.P. Gajdenko: The problem of freedom, 173.

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Bulgakov zufolge kann nur Gott ‚aus dem Nichts‘ schaffen, der Mensch schafft aus dem ‚Gegebenen‘. In der Welt steht der Mensch aber in der Frei-heit des Schaffens – vor und nach dem Sündenfall. Dieser bewirkt die Er-kenntnis, dass diese Freiheit mit Grenzen rechnen muss, diese aber auch überwinden kann und soll.

! Bei Berdjaev verfügt der Mensch auch in der ‚bösen Welt‘ über die Freiheit des Schaffens aus dem Nichts. Die Realisierung eines Werks wird aber auf-grund der weltlichen Bedingungen niemals der Intention entsprechen (d.i. die Tragik des Schaffens). Geistiges Schaffen hat demnach nichts mit ‚dieser Welt‘ zu tun, sondern erweitert den ursprünglich von Gott geschaffenen Kosmos.

Was bedeutet dies nun für das ‚die Welt verändern wollende‘ Anliegen unserer Den-ker?

Berdjaev ist einerseits davon überzeugt, dass der Mensch wie Gott zur creatio ex nihilo berufen ist. Gleichzeitig hält er die Menschen für unfähig, etwas ‚Reales‘ zum ‚Reich Gottes‘ in dieser Welt beizutragen. Alles, was den Menschen zur Organisation des Zusammenlebens in dieser Welt wenigstens teil- und zeitweise gelingt – vor al-lem Institutionen wie Staaten und Recht – verwirft er. Seine schöpferische Ethik soll nicht zur Gestaltung der Welt, sondern zur Beschleunigung des Weltuntergangs bei-tragen: Die Welt muss als Folge der Ursünde untergehen, der Mensch wieder in die Trinität zurückfinden und mit Gott den Kosmos schaffen.

Bulgakovs Konzeption postuliert Schaffen aus dem Gegebenen. Die Freiheit resul-tiert nicht im Schaffen von absolut Neuem, sondern im freien Wählen von Varian-ten und Intensitäten, sozusagen im Gestalten und Verändern des vorhandenen Ma-terials, im aktiven Handeln in der Welt gemäß personalistischen, ethischen Grundsätzen. Die Welt soll – wie die ousia für die göttlichen Hypostasen – zu ‚Leib und Leben‘ des Menschen werden: zu einem ‚Anthropokosmos‘. So bleibt die Auto-nomie der Person als Gottes Gegenüber erhalten und bestätigt. Die Welt soll vom Menschen so gestaltet und determiniert werden, dass Gott in ihr ‚wohnen‘ kann.28

Berdjaevs geistiges Schaffen aus dem Nichts kritisiert Bulgakov scharf, nennt es zeitweise sogar ‚Luziferanertum‘. Berdjaev hingegen wirft Bulgakov zuweilen vor, die schöpferische Natur des Menschen vor lauter ‚sophianischem Determinismus‘ über-haupt zu vernachlässigen. Beiden geht es aber um dasselbe: um die Begründung des menschlichen Schaffens.

Der Vergleich der Trinitätskonzeptionen zeigt, dass die Unterschiede trotz des gemeinsamen Anliegens erheblich sind. Mit Bezug auf das angeführte Zitat von Hannah Arendt könnte man sagen: Zum Sein, das er nicht geschaffen hat, sagt Berdjaev Nein, Bulgakov sagt Ja. Berdjaev begründet die Würde der Person mit de-ren Anspruch auf absolute Freiheit. Bulgakov sucht den freien, würdevollen Umgang mit der Notwendigkeit als ‚geschenkte‘ Freiheit. Indessen bleiben sie durch den Zwi-schenraum der Aporie ‚Freiheit/Notwendigkeit‘ verbunden. Bulgakov kleidet dies 1937 in einem Brief an Berdjaev in folgende Worte:

Nähe und Ferne bilden das antinomische Und, das in einer gewissen Weise zwischen uns steht. Das Und vereint und trennt, unterscheidet und stellt gegenüber. Ist es also

28 Vgl. Offenbarung 21, 3: „ Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! und er wird bei ihnen woh-

nen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“

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erstaunlich, dass mit der Ausgestaltung der Individualitäten und mit den Jahren beide Seiten der Antinomie immer tiefer und schärfer zum Ausdruck kommen? Ich meiner-seits liebe die Antinomie, weil ich in ihr das Lebensfeuer spüre, das, so denke ich, auch in unserem Und brennt. 29

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29 N.A. Struve: Bratstvo Svjatoj Sofii, 265.