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(Aus dem Ins$itu$ fiir gerich$1iche Medizin der UniyersitKt Berlin [Direkt0r: Geh.-Rat F. Straflmann]. ) Die Untersuehung der Kleidung bei Sehullverletzungen. Yon Dr. Georg StralImann, Privatdozent an tier Universi~t Wien. w1O, Abschnitt II der preul~ischen Vorschriften fiber das Verfahren der Gerichtsirzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. V. 1922 lautet: Die Gerichtsiirzte sind verpflichtet, in den F/~llen, in denen ihnen dies erforderlich erschcint, den Richter zu er- suchen .... dab ihnen Gelegenheit gegeben werde, die Kleidungsstficke, die dcr Verstorbene bei seinem Auffinden getragen hat, zu besichtigen. In der Regel wird es genfigen, dab sie ein hierauf gerichtetes Ersuchen des Richters abwarten. Dicse Bestimmung bedarf einer Erggnzung. 'In Fillen tSdlicher Schul3verletzungen, in denen die Kleidung yon der Kugel getroffen wurde, ehe sie in den KSrper eindrang, stellt es sich moist nachtr~glich als notwendig heraus, die Kleidung des Erschossencn zur Ermittlung der Schul3richtung und der Schul3entfernung genau zu untersuchen. Aus verschiedcnen Griinden erscheint es zweckmil3ig, wenn an der erw~hnten Stelle der Sektionsvorschriften eine Bestimmung eingefiigt wiirdc, nach der die Obduzenten stets verpflichtet sind, bei Schul3ver- letzungen, bei dcnen die Kleidung getroffen worden ist, diese zu be- sichtigen und ihre Beschlagnahme dutch den Richter ffir eine sp~tere Untersuchung sofort bei der Obduktion zu veranlassen. Die hTotwendig- keit der Kleideruntersuchung bei SchuSverletzungen, dutch die Arbeiten yon Lochte4~), Jansch und Meixner a) und Veff. 6) bewiescn, ist immer noch nicht allgemein bekannt. Auf die Wichtigkeit dieser Untersuchung, auf die Wichtigkeit ciner rechtzeitigen Beschlagnahme der KIeidung den Richter aufmerksam zu machen, ist Sache der Obdu- zenten, gleichgiiltig, ob sie selbst genfigend Effahrung fiir diese Unter- suehung besitzen und sie daher persSnlich vornehmen kSnnen und wollen, oder ob sie, wenn ihnen die MSglichkeit zu einer derartigen Untersuchung fehlt, sie durch ein gerichts/~rztliches Universit~tsinstitut machen lassen. Sie sollten den Richter auch darauf hinweisen, dal~

Die Untersuchung der Kleidung bei Schußverletzungen

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Page 1: Die Untersuchung der Kleidung bei Schußverletzungen

(Aus dem Ins$itu$ fiir gerich$1iche Medizin der UniyersitKt Berlin [Direkt0r: Geh.-Rat F. Straflmann]. )

Die Untersuehung der Kleidung bei Sehullverletzungen.

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Dr. Georg StralImann, Privatdozent an tier Un ive r s i~ t Wien.

w 1O, Abschnitt I I der preul~ischen Vorschriften fiber das Verfahren der Gerichtsirzte bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 31. V. 1922 lautet: Die Gerichtsiirzte sind verpflichtet, in den F/~llen, in denen ihnen dies erforderlich erschcint, den Richter zu er- suchen . . . . dab ihnen Gelegenheit gegeben werde, die Kleidungsstficke, die dcr Verstorbene bei seinem Auffinden getragen hat, zu besichtigen. In der Regel wird es genfigen, dab sie ein hierauf gerichtetes Ersuchen des Richters abwarten.

Dicse Bestimmung bedarf einer Erggnzung. ' I n Fi l len tSdlicher Schul3verletzungen, in denen die Kleidung yon der Kugel getroffen wurde, ehe sie in den KSrper eindrang, stellt es sich moist nachtr~glich als notwendig heraus, die Kleidung des Erschossencn zur Ermitt lung der Schul3richtung und der Schul3entfernung genau zu untersuchen. Aus verschiedcnen Griinden erscheint es zweckmil3ig, wenn an der erw~hnten Stelle der Sektionsvorschriften eine Bestimmung eingefiigt wiirdc, nach der die Obduzenten stets verpflichtet sind, bei Schul3ver- letzungen, bei dcnen die Kleidung getroffen worden ist, diese zu be- sichtigen und ihre Beschlagnahme dutch den Richter ffir eine s p~tere Untersuchung sofort bei der Obduktion zu veranlassen. Die hTotwendig- keit der Kleideruntersuchung bei SchuSverletzungen, dutch die Arbeiten yon Lochte4~), Jansch und Meixner a) und Veff. 6) bewiescn, ist immer noch nicht allgemein bekannt. Auf die Wichtigkeit dieser Untersuchung, auf die Wichtigkeit ciner rechtzeitigen Beschlagnahme der KIeidung den Richter aufmerksam zu machen, ist Sache der Obdu- zenten, gleichgiiltig, ob sie selbst genfigend Effahrung fiir diese Unter- suehung besitzen und sie daher persSnlich vornehmen kSnnen und wollen, oder ob sie, wenn ihnen die MSglichkeit zu einer derartigen Untersuchung fehlt, sie durch ein gerichts/~rztliches Universit~tsinstitut machen lassen. Sie sollten den Richter auch darauf hinweisen, dal~

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fiir Untersuchungen zur Feststellung der SchuBrichtung und SchuB- entfernung nicht Chemiker oder SehieBsachverst~ndige, sondern allein die geriehtlich-medizinischen Insti tute in Betracht kommen und er- wirken, dab die Auftrage dazu diesen Insti tuten zugehen, wie dies in 0sterreich fiir die Blutuntersuchungen dutch justizministerielle Ver- fiigung schon seit l~ngerer Zeit vorgesehrieben ist, und wie es fiir Deutsch- land yon ZiemkeS), P. Fraenclcelg), Puppel~ Besserer und mir 11) gefordert wurde. Die rechtzeitige Beschlagnahme der Kleidung eines Erschossenen wird h~ufig unterlassen oder erfolgt zu sp~t, wenn z. ]3. erst einige Zeit naeh der Obduktion der Wunseh auftaucht, die SchuBentfernung zu bestimmen. Es war uns mehrfach, als wir vom Gericht den Auftrag erhielten, die Schul~entfernung festzustellen, die dazu notwendige Unter- suehung der Kleidung nicht m5glieh, weft die Kleider, die der Ersehos- sene am Todestage trug, nieht mehr herbeizuschaffen waren, weft sie verkauft, verniehtet oder aus irgendeinem Grunde unauffindbar waren. Hier h~tte die rechtzeitige Besehlagnahme die Untersuchung ermOglicht.

, Es ist aueh vorgekommen, dab die Untersuchung der Kleidung ergebnis- los verlief oder wenigstens der Befund nieht mehr sieher verwertbar war, weft die Kleidung yon den AngehSrigen gereinigt worden war~ ehe wir sie erhielten. Bei Nahschfissen werden allerdings nicht immer dureh meehanisehe Reinigung s~mtliche Pulverbestandteile entfernt, insbesondere bleiben h~ufig Sehw~rzungen dureh Pulverschmauch erkennbar. Aber es ist sicher, dab durch Wasehen, vielfaches Abbiirsten und Ausklopfen eine vollst~ndige oder fast voUst~ndige Beseitigung der meist nur lose anhaftenden eingesprengten Pulverbl~ttchen und auch des Pulverschmauches mSglich ist. Durch Versuehe kann man sieh davon leicht iiberzeugen.

Der Nachweis yon Pulverbestandteilen auf der gereinigten Kleidung kann daher miBlingen, selbst wenn sie vor der Reinigung reiehlich vor- handen waren. Das negative Ergebnis beweist in solchen F~llen nieht, dab ein Fernschul~ vorgelegen hat. Sind noeh einzelne Pulverbestandteile trotz der Reinigung auf der Kleidung vorhanden, wie etwa Pulver- schmauch od@r einzelne Pulverbl~ttehen, so kann man zwar die genaue Schuftentfernung nach Zent imeterabs tand nicht mehr feststellen, aber es ist immerhin ein Urteil dahin mSglich~ dab ein NahschuB vorgelegen haben muB.

Die Untersuehung auf Pulverbestandteile wird um so eher Erfolg verspreehen, je frtiher sie vorgenommen wird, je-weniger die M5glichkeit bestand, dal~ Pulversehmaueh oder Pulvereinsprengungen dureh .irgend= welehe mechanische Mal~nahmen teilweise oder vollst~ndig yon der K leidung entfernt werden konnten. Die makroskopisehe Besiehtigung aueh unter Zuhilfenahme der Lupe auf das Vorhandensein oder Fehlen yon Nahsehul3zeichen daft zwar nicht unterlassen werden, geniigt

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aber nicht - - wie zuweilen f~lsehlieherweise angenommen wird - - zur Feststellung, ob ein Nahschul~ vorliegt. Es k~nnen auf der Kleidung Nahsehu•zeichen fibersehen werden. Ein Schmauchhof hebt sieh yon dunklem, schwarzblauem, venunreinigtem Stoffe kaum ab, auf dunklem, ~ber auch auf grauem oder grfinem Wolltuch sind eingesprengte Pulver- plattehen oft trotz genauesten Suehens nicht zu erkennen. Gewil3 gibt uns die Betrachtung der Kleider fiber die Ausdehnung und die GrS~e des Pulversehmauches, fiber die Ausdehnung und die Zahl der Pulver- einsprengungen wertvollen Anfschlu~, aber sie ersetzt n ieht 'd ie che- mische un~l mikroskopische Untersuehung der Einschu~gegend aaf Pulverbestandteile.

Was die Teehnik anlangt, so halten wir uns im allgemeinen an die Angaben yon Lochte, indem wir die Kleidung in der Umgebung des Einschusses ausklopfen, den Staub auf weil~em Papier sammeln und dann chemisch mittels der Diphenylaminreaktion und mikroskopisch untersuchen, oder, wie es Jansch und ~l/Ieixner tun, den l%and des Ein- sehul]loches mit einem Instrument absehaben. Vielfaeh genfigt es auch, wenn der besehossene Stoff fiber einem grSl~eren wei{~en Porzellan- seh~lehen direkt ausgeklopft wird, naehdem dessen Reinheit zun~ehst geprfift ist, indem ein K6rnehen Diphenylamin und etwas konzen- trierte Sehwefels~ture in das Sch~lehen gebraeht wird; wenn keine Spur einer Blauf~rbung in dem Sehalchen auftritt , klopfen wir die Kleidung fiber ibm aus. Die Diphenylaminreaktion kann auch, wenn nur ganz vereinzelte Pulverpl~ttehen auf der Kleidung sich finden, unter dem Mikroskop angestellt werden, indem die verd~ehtigen Teilehen auf e[uen Objekttrager gebracht werden und ihnen etwas Diphenylamin-Sehwefel- s~ure zugesetzt wird. Handelt es sieh um Pulverpl~ttehen, so sieht man bei mikroskopiseher Betrachtung nieht nur die abgehenden blauen Farbwolken, sondern gewinnt auch einen Eindruck fiber das mikro- skopiseheAussehen, fiber dieArt und GrSl~e des Pl~ttehens. Sind Pulver- pl~ttehen vorhanden, die nieht vollst~ndig verbrannt sind, so sieht man meist in kiirzester Zeit reichliche FarbwSlkchen auf der hellen Unter- lage des Porzellanseh~lehens oder auf dem Objekttr~ger sieh bilden. Zur Kontrolle klopfen wir stets Staub yon einer niehtgetroffenen Stelle der Kleidung aus und stellen mit diesem Staub gleiehfalls die Reaktion an. Es kommt 5fter vor, dab Verunreinigungen sich an nichtbeschossenen Stellen der Kleidung finden, die eine positive Reaktion geben. Die Vorsichtsmal~regel, nich.t beschossene Stellen der Kleidung zu unter- suehen, ist fiberflfissig, wenn aus den Sehul~15chern keine Bestand- teile sich ausklopfen lassen, die mJt dem Reagens sich btau farben. Verunreinigungen, die eine positive l%eaktion mit Diphenylamin- Sehwefels~ure geben, sind meist sp~rlieher als die bei Nahsehfissen h~ufig reiehlich vorhandenen eingesprengten Pulverp]~ttchen auszuklopfen.

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Die Pl~ttehen sind augerdem daran zu erkennen, dab sie mikro- skopiseh ein charakteristisehes Aussehen haben, einen leicht metallisehen Glanz, viereckige oder mehreckige flache Form mit glattem oder ge- zacktem Rand und grauer oder, wenn sie verbrannt sind, sehw~rzlicher Farbe au fwe i sen . Zu Kohle verbralmtes Pulver gibt die Diphenyl- aminreaktion nicht mehr, hat mikroskopiseh das Aussehen yon feinsten schwarzen K6rnchen, die mehr oder minder zahlreieh zusammenliegen, oder gr6Beren schwarzlichen Pli~ttchen, an denen noch die Form der Pul- verplattchen zu erkennen ist, und die sich in konzentrierter Kali- lauge oder Schwefelsiiure nicht verandern.

Ob ein NahschuB oder FernschuB vorliegt, ist dutch die Unter- suchung der Kleidung auf Pulverbestandteile zu ermitteln, aber zur genauen Bestimmung der SchuBentfernung muB das Ergebnis yon SchieB- versuchen auf gleiehartiges Material 4) ~) mit dem Aussehen des Kleider- einschusses in bezug auf GrSBe und Ausdehnung yon Pulverschmauch und Pulvereinsprengungen verglichen werden. Wir lassen uns daher, wenn irgend angangig, in forensischen Fallen stets die benutzte Waffe und Munition ffir SchieBversuche zusenden.

SchieBsachverstAndige mSgen vom Richter fiber schieBtechnische Fragen, nicht aber fiber Fragen vernommen werden, ffir deren Be- antwortung gerichtsarztliche Kenntnisse und Effahrungen notwendig sind wie zur Bestimmung yon SchuBrichtung und SehuBentfernung. Ihr Gutaehten kann sonst, wenn es dem Richter zutreffend erscheint, obwohl es an sich unrichtig ist, verhangnisvolle Wirkung haben. Vor kurzem hatte ich einen derartigen Fall zu begutaehten. X., der einen andern dutch einen BrustschuB get6tet hatte, verteidigte sich damit, er habe aus Notwehr geschossen, weft der Erschossene mit einem Messer auf ihn losgegangen sei. Bei der Obduktion wurde festgestellt, dab der t6dliche SchuB auf der linken Brustseite eingedrungen, auf der rechten Rfickenseite herausgekommen war und Lungensehlagader, Aorta und rechte Lunge getroffen hatte. In dem vorl~Lufigen Gutachten hieB es: , ,Anhaltspunkte ffir einen SchuB aus unmittelbarer Nahe habe die Obduktion nicht ergeben. Ebenso lieBe die Besiehtigung yon Rock und Weste keine Verbrennungserscheinungen erkennen." - - Unter der irrtfimlich gewahlten Bezeiehnung ,,Verbrennungserseheinungen" dfirften wohl NahschuBzeichen zu verstehen sein. Ein. SehieBsach- verstandiger, darfiber vernommen, ob vom schiel3technischen Stand- punkte angenommen werden k6nne, dab der Angeschuldigte sich in N'otwehr befunden habe, erkli~rte, ,,bei der Obduktion seien weder in der Kleidung noch in der Leiche eingesprengte Pulverk6rner gefunden worden. Wenn der Angeklagte sich in der Verteidigung befunden und gegen einen Messerangriff verteidigt hi~tte, mfiBte der SchuB auf ganz nahe Entfernung abgegeben worden, sein, und in diesem Falle

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wgren zum mindesten in der Kleidung einige Pulverk6rner vorgefunden worden. Er halte es deshalb f i i r ausgcschlossen, dab der Angeklagte in der Notwehr gehandelt habe". Diese Sclfluftfolgerung is t aus ver- schiedenen Griindcn unrichtig. Eine Untersuchung der Kleider - - es handelte sich um einen alten verschmutzten dunkelblauen Rock - - auf Pulverbestandteile h a t t e nicht stattgefunden, sondern der Rock war yon den Obduzenten nur besichtigt worden und hatte dabei auBerlich keine Nahschul~zeichen aufgewiesen.

Als ich sp~tter gleichfalls ein Gutachten iiber die Frage der Natwehr arstatten sollte, und, um die Entfcrnung des Schusses festzustcllen, um ldbcrsendung des Rockes bat, war dieser nicht mehr aufzufinden. Probeschiisse mit der fraglichen Waffe, einer 7,65-mm-Pistole Sauer & Sohn, guf ein ghnliches dunkles Wolltueh, wie es der Verstorbena am Todestage getragen hatte, lielten bci 15 cm Entfernung den Schmauchhof eben noch fiir ein geiibtes Auge erkennen. Eingcsprengte Pulverpl~ttchen waren bai Lupenbetrachtung weder bei einem Schuft aus 15, noch aus 30 cm Entfernung zu erkennen, weft sie sich yon der Farbe des Rockes nicht abhoben. Der stark positive Ausfall der Diphenylaminreaktion mit dam ausgeldopften Staub aus der Einschuftgagend und die mikro- skopische Untersuchung der ausgeklopften Staubteilchen ergab jedoch, dal~ tats~chlich reichlich eingesprengte Pulverpl~ttchan vorhandan waren. Selbst wenn also die Besichtigung der Kleidung im Falle X, yon dcr ich annehmen will, dal~ sie sorgf~tltig mit der Lupe vorgenommen worden ist, Nahschul~zeichen nicht arkennen lief~, so hgtte trotzdem die mikroskopische und chemische Un~ersuehung einen NahsehuB ergeben k6nnen. - - Gegen einen drohenden Messerangriff kann in der Notwehr aber sicher ein Schul~ aus 20 oder 30 cm Entfernung, oder aus noch gr6fterer Entfernung abgegeben werden, Entfernungen, bei denen vorhandene Pulvereinsprengungen yon den Obduzenten auf dem Rock kaum gcsehen werden konnten; denn Notwehr ist die Ver- teidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwartigen rechtswidrigen Angriff yon sich oder einem anderen ~bzuwehren (w 58 St. G.B.). Es kann nicht ausgeschlossen warden, dab eine Notwehr vorlag, nur weft ein NahschuB nicht bei der Besichtigung der Kleidung zu erkennen war. Veto schiel~technischen Standpunkt aus ist diese Frage gar nicht zu beantworten. Dazu gah6rt neben der Bestimmung der SchuBentfernung, die ja bier gar nicht vorgenommen worden war, noch die Beriicksichtigung zahlreicher anderer Umst~tnde, tier Zeugenaussagen, des ganzen psychi- schen Verhaltens des Schiitzen, seiner geistigen und k6rperlichen Ver- fassung vor und bei der Tat u. a. (iVippe5). In diesem Falle, wa die Zeugenaussagen und die Aussagen des Schiitzen sich viclfach wider- sprachen, konnta, da die Entfernung des abgegabenen Schusses nicht sicher festzustellen war, die tCrage, ob No~wehr vorge]egen habe, aueh

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von gerichtlich-medizinisehen Gesichtspunkten aus nicht beantwortet werden.

DaB in allen Fallen, in denen die Kleidung getroffen wurde, die Untersuchung der HautschuBwunde ftir die Beurteilung der Sehul3- entfernung yon geringe~ Bedeutung und nur dalm yon Wert ist, wenn

' ein SchuB mit aufgesetzter Waffr oder aus Mlern~ehster N~ihe abgegeben Wurde, wobei Pulverbestandteile die Kleidung durchdringen und sich auch:in der Umgebung des Hauteinsehusses-linden k6nnen, wird immer noch nicht genfigend beachtet e).

l~ber die Best immung der Sehul3rich~ung gibt die Besichtigung und Untersuehung der Kleidung meis~ nilr dann sicheren Aufschlul~, wenn ein Nahsehul~ vorliegt und die NahschuBzMchen sich auf der Kleidting linden. Bei Schiissen aus weiterer Entfernung ist Aussehen und GrS~e der SchuB15eher in der K1Mdung ffir die Best immung yon Ein- und ~ AusschuB wenig verwertbar. Die GrSBe der SehuB15cher wechselt aul3erordentlich und nut selten finde~ sich an der Austritts- s te l le des 'Geschosses eine so deut l iche Ausstiilpung der Fasern des SehuBrandes in der SchuBrichtung, dab daraus auf Ein- oder AusschuB gesehlossen werden kSnnte (Lochte, Meixner 13). Meist sind diese Befunde, Wenn die Kleider zur Untersuchung kommen, verwischt, zu geringffigig oder fiberhaupt nieht mehr erkennbar, ja sie kSnnen sich an der Ein- oder Austrittsstelle sogar umgekehrt verhalten~ so dM3 sie fiber die Frage der Sehul~riehtung keine Aufkl/irung geben.

Zusammen]assung: Zur Aufkli~rung fiber die Schul3entfernung miissen in allen Fi~llen tSdlieher Schul3verletzungen, in denen die Kleidung getroffen wurde, die Kleider des Ersehossenen besiehtigt und ihre Be- schlagnahme durch den I~ichter, yon den Obduzenten sehon bei der Sektion veranlaffr~ werden. E i n e entsl0reehende Bes~immung sollte in die Sektionsvorsehriften eingeffigt werden. Die Untersuchung auf t)ulverbestandteile sowie die notwendigen SchieBversuche sollten ebenso wie alle ~orensischen Slourenuntersuchungen nur in den gerichtlich- medizinisehen Inst i tu ten ausgeffihrt werden.

Literatur. 1) Lochte, ~rien. reed. Wochenschr. 1910, Ni'. 5 0 . - ~)Lochte, Vier~eljahrschr.

f. gerichtl. Med. u. 5ff. Sanit~tswesen 19i2 und 1913, Supplement. --- 3) Jansch und Meixner, Beitr. z~ gerichtl. IVied. 3. 1919.-- 4) v. Neureiter, Dtsch. Zeitschr. f. d. ges. gerichtl. IVied. 1922, Heft 10/11. - - 5)Nippe, Ebendort, Heft 12. - - e) Straflmann, G., ~_rztl. Sachverst.-Zeit. 1922, Nr. 9. - - 7) Straflmann, G., Wien. klin. Wochenschr. 1922, Nr. 26. - - s) Ziemke, Zeitsehr. f. Medizinalbeamte 1900. _ _ 9) Fraenckel, P., Viertelj~hl'essehr. f. gerichtt. IVied. u. 6ff. San~itgtswesen 1908, Suppl. - - 10) Puppe, Zeitsehr. f. MedizinMbeamte 1922, Nr. 11. - - 11) Besserer und G. Straflmann, Arch. f. Kriminol. 1922, Heft 4. 12) Meixner, Arch. f. Kri- minol. 1923, H. 2.