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Untersuchung und Diagnose- bildung bei kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) Oliver Schierz Zahnmedizin up2date 1 · 2017 Kraniomandibuläre Dysfunktion 5 DOI: 10.1055/s-0042-115054 Zahnmedizin up2date 2017; 11 (01): 5982 ISSN 1865-0457 © 2017 Georg Thieme Verlag KG Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

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Untersuchung und Diagnose-bildung bei kraniomandibulärenDysfunktionen (CMD)

Oliver Schierz

Zahnmedizin up2date

1 · 2017

Kraniomandibuläre Dysfunktion 5

DOI: 10.1055/s-0042-115054

Zahnmedizin up2date 2017; 11 (01): 59–82

ISSN 1865-0457

© 2017 Georg Thieme Verlag KG

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In dieser Rubrik sind bereits erschienen:

Verbreitung und Ätiologie von kraniomandibulären Dysfunk-tionen (CMD) im Kindes- und Jugendalter C. HirschHeft 6/2016

Zahnärztliche Schienentherapie G. Meyer, H. Schülein,O. Bernhardt Heft 3/2016

Bruxismus: Prävalenz und Risikofaktoren M. OmmerbornHeft 6/2013

Psychosoziale Aspekte bei Bruxismus A. Wolowski, H. RepgesHeft 4/2013

Bruxismus und Implantate D. Manfredini Heft 3/2013

Diagnostik von Bruxismus N. Giannakopoulos, M. SchmitterHeft 2/2013

Physiotherapeutische Untersuchung und Behandlung bei kra-niomandibulärer Dysfunktion M. Sander Heft 1/2013

Untersuchung und Behandlung von Patienten mit Funktions-beschwerden im Kausystem – ein skandinavisches ModellM. Gnauck, M. Helkimo Heft 4/2012

Physikalische Therapie und Schmerzmedikation bei derkraniomandibulären Dysfunktion M. Stiesch, M. Karst, M. FinkHeft 1/2010

Okklusionsschienen und ihre Indikationen I. Peroz Heft 3/2009

Identifikation funktionsgestörter Patienten M. Ahlers,H. Jakstat Heft 2/2008

Registrate in der Funktionslehre S. Reich, T. Reiber Heft 1/2008

Bildgebende CMD‐Diagnostik M. Schmitter Heft 1/2007

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Zahnmedizin up2date 2017; 11

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Untersuchung und Diagnosebildung beikraniomandibulären Dysfunktionen (CMD)

Oliver Schierz

Mittelwert

Reliabilität

Validität

▶ Abb. 1 Zusammenhang zwischen Reliabilität undValidität.

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Einleitung

Auf dem Weg zur Diagnose einer Erkrankung wird in derRegel aus den gewonnenen Informationen eine Arbeits-hypothese gebildet, die dann durch konfirmatorischeTests bestätigt bzw. zugunsten von Differenzialdiagnosenwiderlegt werden kann. Insofern ist die finale Diagnose einkonduktiver Prozess. Dieser beginnt mit Informationenaus dem Auftreten und der Haltung des Patienten beimVortragen des Anliegens sowie der Beschwerden und ge-neriert eine oder mehrere hypothetische Diagnose(n).Diese werden beständig mit den durch die Anamnese,Tests und bildgebenden Verfahren gewonnenen Informa-tionen und entsprechend dem Wissen und den Erfahrun-gen des Untersuchers korrigiert bzw. präzisiert. DieserProzess erfolgt in der Regel so lange, bis relevante Diffe-renzialdiagnosen ausgeschlossen und die Diagnose mithinreichend genauer Wahrscheinlichkeit bestätigt wurde.

MerkeDie Diagnose ist dann mit hinreichend genauerWahrscheinlichkeit gefunden, wenn eine weitereSubdifferenzierung keine Änderung des therapeuti-schen Vorgehens bewirkt.

Die Grenze der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist da-bei abhängig davon, ob eine weitere Subdifferenzierungeine Änderung des therapeutischen Vorgehens bewirkenwürde und wie invasiv die angestrebte Therapie ist. Idea-lerweise ist dieser diagnostische Prozess einfach und einepräzise Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich.Insbesondere im Bereich der kraniomandibulären Dys-funktionen ist der diagnostische Prozess leider seltensimpel. Es gibt eine Vielzahl klinischer und instrumentel-ler Verfahren, die hier den Untersucher bei der Diagnose-findung unterstützen sollen. Doch wie können die ver-fügbaren Techniken dabei helfen, eine Diagnose zu stel-len, und welche Anforderungen müssen diese Verfahrenhierbei erfüllen?

Anforderungen an ein diagnostischesInstrument

Ein ideales diagnostisches Instrument würde unabhängigvon der durchführenden Person oder Situation immer dasgleiche Ergebnis liefern. Es hätte demzufolge eine perfek-

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

te Wiederholgenauigkeit, die in der wissenschaftlichenLiteratur als Reliabilität bezeichnet wird. Dies bedeutetdabei aber nicht, dass es auch den wahren Wert erfasst.Hierfür steht die Validität. Diese beschreibt, dass der wah-re Wert im Mittel getroffen ist. Da bekanntlich knapp da-neben auch vorbei ist, kann demzufolge ein valides In-strument im individuellen Fall erhebliche Ungenauigkei-ten beinhalten, wenngleich es im Mittel misst, was esmessen soll. Insofern wird bei der Individualdiagnostikein sowohl hinreichend reliables als auch valides Instru-ment benötigt (▶ Abb. 1).

Dies bedeutet immer noch nicht, dass der mit diesem re-liablen und validen Instrument erfasste Parameter Er-krankte von Gesunden perfekt abgrenzen kann. Wün-schenswert wäre demzufolge ein Instrument, das jede er-krankte Person als erkrankt markiert (perfekte Sensitivitätbzw. keine falsch negativen Personen) und dabei keinegesunde Person als erkrankt markiert (perfekte Spezifitätbzw. keine falsch positiven Personen). Für die Sensitivitätund Spezifität wird hierbei prozentual angegeben, wieviele erkrankte bzw. nicht erkrankte Personen richtig er-kannt wurden. Im Idealfall lägen die Werte für Sensitivitätund Spezifität demzufolge bei 100%. Da es solche idealen

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▶ Tab. 1 Gütekriterien diagnostischer Instrumente.

Kriterium Beschreibung

Reliabilität Beschreibt die Zuverlässigkeit. Unter gleichen Rahmenbedingungenmüssen immer die gleichen Ergebnisse erzeugt werden.

Validität beschreibt, ob das Testverfahren imMittel den Parameter des Interesses korrekt erfasst

Sensitivität gibt den Prozentsatz erkrankter Patienten an, bei denen die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlicherkannt wird

Spezifität gibt den Prozentsatz nicht erkrankter Personen an, die im Test auch als nicht erkrankt erkannt werden

Vorhersagewert dient der Einschätzung der Aussagekraft von medizinischenTestverfahren unter Verwendung der Sensitivität und Spezifitätund zusätzlicher Berücksichtigung, wie viele Personen in der jeweiligen Population tatsächlich erkrankt sind (Prävalenz)

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Instrumente für die Diagnostik kraniomandibulärer Dys-funktionen – wie auch in den meisten anderen Bereichender Medizin – nicht gibt, wird empfohlen, dass die ver-wendeten Instrumente mindestens eine Sensitivität undSpezifität von jeweils 70% aufweisen [1].

MerkeDiagnostische Verfahren für kraniomandibuläreDysfunktionen sollten eine hohe Reliabilität undValidität, klar definierte Messvorgänge und eineSensitivität sowie Spezifität von ≥ 70% aufweisen.

Weiterhin gibt es zur Beschreibung der Güte von diagnos-tischen Instrumenten bzw. Testverfahren den Vorher-sagewert eines Instruments (▶ Tab. 1). Dieser bezeichnetdie Wahrscheinlichkeit, dass ein Erkrankter als krank mar-kiert (= positiver Vorhersagewert) bzw. ein nicht Erkrank-ter als nicht krank markiert wird (= negativer Vorher-sagewert). Im Gegensatz zu Spezifität und Sensitivitätwird hier zusätzlich berücksichtigt, wie häufig eine Er-krankung in der untersuchten Personengruppe vorliegt(Prävalenz). Dies wird umso wichtiger, je seltener die Er-krankung in dieser Personengruppe vorkommt.

Leider ist zur Diagnostik kraniomandibulärer Dysfunktio-nen kein ideales Instrument vorhanden. Alle bisher ver-fügbaren und dahingehend untersuchten diagnostischenVerfahren haben einen mehr oder weniger stark fehler-behafteten prädiktiven Wert. Zugegebenermaßen ist die-se Vielzahl an Parametern verwirrend. Es ist jedoch wich-tig, zu erkennen, dass ein z.B. als reliabel beworbenes In-strument nicht zu der Annahme verleiten sollte, dass die-ses zuverlässig erkrankte von nicht erkrankten Personenunterscheiden kann. Die Angabe der Sensitivität und Spe-zifität von Testverfahren für die jeweilige Erkrankung istdemzufolge sehr wichtig, um die Testqualität einschät-zen zu können.

Die Angabe dieser Gütekriterien ist im Bereich der Zahn-medizin im Allgemeinen, aber insbesondere bei Verfah-ren zur Diagnostik kraniomandibulärer Dysfunktionen,leider noch eine Rarität. Oftmals wird eminenzbasierteine Meinung oder ein Verfahren postuliert, ohne nach-

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zuweisen, dass dieses Verfahren Erkrankte von Gesundenbzw. behandlungsbedürftige von nicht behandlungs-bedürftigen Personen unterscheiden kann.

Aufgrund einer hohen Vielfalt an Testverfahren zur Diag-nostik kraniomandibulärer Dysfunktionen (Palpation,Auskultation, diverse klinische Tests, instrumentelle Ver-fahren, Fragebögen) ist es ad hoc schwer überschaubar,welche sinnvoll und wichtig, welche ergänzend einsetz-bar und welche im besten Fall nutzlos bzw., bedingtdurch einen erhöhten Anteil falsch positiver Vorhersageneiner Behandlungsbedürftigkeit, sogar schädigend sind.

Leider ist festzustellen, dass für viele Testverfahren imBereich der kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD)Gütekriterien für deren diagnostischen Wert fehlen. Überden Wert dieser Verfahren kann deshalb oft nur kontro-vers spekuliert werden.

Im Jahr 2006 veröffentlichte der Interdisziplinäre Arbeits-kreis für Mund- und Gesichtsschmerzen der DeutschenSchmerzgesellschaft e.V. (DGSS) aktualisierte Empfehlun-gen zur Diagnostik von Patienten mit Schmerzen im Be-reich der Kaumuskulatur und/oder Kiefergelenke [2]. Die-se Empfehlungen untergliedern sich in eine Standard-und eine erweiterte Diagnostik (▶ Abb. 2). Da der zeitli-che Zusatzaufwand der Standarddiagnostik gegenüberder Mindestdiagnostik minimal ist, sollte heutzutage beiPatienten mit Verdacht auf CMD generell die Standard-diagnostik Anwendung finden. Dies beugt auch dem Pro-blem vor, dass der Patient erst nach dem Versagen einertherapeutischen Intervention hinsichtlich psychologi-scher Variablen befragt wird und dies als „Abschieben indie Psychoecke“ wahrnimmt.

Die Achsen der CMD-Diagnostik

Während viele Befunderhebungssysteme vor allem einestrukturierte Sammlung physischer Befunde darstellen(gemäß DC/TMD als Achse-I-Befunde bezeichnet) wurdemittlerweile in zahlreichen Untersuchungen nachgewie-sen, dass psychosoziale Befunde (als Achse-II-Befunde be-zeichnet) einen erheblichen Einfluss auf den Therapie-erfolg, aber auch die Ausprägung der Beeinträchtigung

. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

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Schmerzen in Kaumuskulatur/

Kiefergelenken

starke schmerzbezogene

Beeinträchtigung

(dysfunktionaler Schmerz)

schmerzbezogene Anamnese

depressiver Verstimmung

Erfassung weiterer schmerz-

assoziierter Parameter

anamnestische Hinweise

auf psychosoziale Belastung

klinische Befundung des

Kausystems

unspezifischen Beschwerden

weitere bildgebende Verfahren

keine Besserung nach

4-wöchiger Behandlung

alio loco

Panoramaschichtaufnahme

manuelle Funktionsanalyse

instrumentelle Okklusions-

analyse

Schmerzen > 6 Monate

Graduierung chronischer

Schmerzen

klinische Okklusionsanalyse

instrumentelle Funktionsanalyse

bei besonderen Fragestellungen

zusätzlich:

Bestimmung des Ausmaßes von

Mindestdiagnostik

erweiterte DiagnostikStandarddiagnostik

zusätzlich je nach Bedarf:

▶ Abb. 2 Diagnostisches Stufenschema der DGSS für Patienten mit Kaumuskel- und Kieferschmerzen.

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physische Befunde

(Kiefergelenkgeräusche, Schmerzen,

Funktionseinschränkungen)

genetische Faktoren

hormonelle Faktoren

Hirnaktivität

Achse III

Achse II

Achse I

▶ Abb. 3 Achsen der CMD-Diagnostik. Patienten mit physisch sehr aus-geprägten Befunden können eine nur geringe Beeinträchtigung zeigen,während andere mit physisch geringen Auffälligkeiten eine hohe Beein-trächtigung aufweisen (Sterne).

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und damit das Gesamterscheinungsbild beim Individuumhaben (▶ Abb. 3).

In den letzten Jahren ist zu diesen beiden Achsen nocheine 3. hinzugekommen, die sich mit genetischer Prädis-position, Hirnaktivitäten und hormonellen Einflüssen be-schäftigt. Bei den Befunden der „Achse III“ hat sich zwarin den letzten Jahren das Wissen erheblich erweitert unddas Verständnis für die interindividuell unterschiedlicheAusprägung von Erkrankungen verbessert, für einen rou-tinemäßigen Einsatz mit daraus folgenden therapeuti-schen Konsequenzen sind diese Informationen aber der-zeit noch nicht geeignet [3].

Hintergrund der Einteilung in die verschiedenen Achsenist, dass einerseits Patienten mit physisch sehr aus-geprägten Befunden eine geringe Beeinträchtigung zei-gen können, während andere mit physisch geringen Auf-fälligkeiten eine hohe Beeinträchtigung aufweisen. DieseDiskrepanz kann durch unterschiedliche Schmerzwahr-nehmung und ‑verarbeitung erklärt werden, die auf zen-tralnervöser Ebene stattfinden.

61Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

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MerkeFür die Diagnose bei kraniomandibulären Dysfunk-tionen ist sowohl die Erhebung physischer als auchpsychosozialer Befunde obligat. Physische Befundewerden auch als „Achse-I-Befunde“ und psychosozi-ale Befunde als „Achse-II-Befunde“ bezeichnet. DieBefunde der „Achse III“ sind im klinischen Einsatzam Individuum noch nicht sinnvoll integrierbar unddienen derzeit primär Forschungszwecken.

Vorsorgeuntersuchung (Screening)

Da vor umfangreichen prothetischen Maßnahmen imRahmen der Voruntersuchung auch der Ausschluss desVorliegens kraniomandibulärer Dysfunktionen (CMD) ob-ligat ist, sollte sowohl anamnestisch als auch klinisch einScreening erfolgen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es hierbei vollkommenausreichend, folgende Frage zu stellen: „Haben SieSchmerzen in der rechten Gesichtshälfte, in der linkenoder in beiden?“. Mit einer Sensitivität von 98% bzw. Spe-zifität von 97% kann diese Frage nachweislich hervor-ragend schmerzhafte und damit behandlungsbedürftigeCMD von nicht behandlungsbedürftigen unterscheiden[4]. Allerdings werden dabei Personen mit schmerzfreienFunktionseinschränkungen (z. B. tumorbedingte Mund-öffnungseinschränkung bzw. Änderungen der Okklusion)und asymptomatische Personen nicht erfasst, was vorumfangreichen zahnärztlichen Rehabilitationen die Er-gänzung um grundlegende klinische Befunde (asym-metrische Mundöffnung, Kiefergelenkgeräusche, druck-schmerzhafte Muskulatur, Mundöffnungskapazität) not-wendig macht.

Im klinischen Alltag findet in Deutschland der CMD-Checkvon Ahlers und Jakstat häufig Anwendung, der auf klinischerhobenen Daten beruht (asymmetrische Mundöffnung,Kiefergelenkgeräusche, druckschmerzhafte Muskulatur,Mundöffnungskapazität, Okklusionsgeräusche, traumati-sche exzentrische Okklusion). Diese Kriterien wurden aufBasis von Expertenmeinungen festgelegt. Der Screening-index weist bei einem Grenzwert von ≥ 2 eine Sensitivitätvon 92% und Spezifität von 79% auf [5]. Die Reliabilitätund Validität der Kriterien „Okklusionsgeräusche“ und„traumatische exzentrische Okklusion“ erscheinen aller-dings fraglich.

Es existieren noch viele weitere proprietäre Screening-instrumente, für die aber in der Regel keine Gütekriterienbekannt sind bzw. publiziert wurden.

Erst durch Dokumentation grundlegender Befunde kanngemäß dem Sorgfaltsprinzip aktuell von einer rechts-sicher ausreichenden Voruntersuchung zum Ausschlussvon behandlungsbedürftigen CMD vor umfangreichenzahnärztlichen Rehabilitationsmaßnahmen ausgegangenwerden. Patienten, die aufgrund von unspezifischen

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Schmerzen im Gesichtsbereich, schmerzhaften oder be-einträchtigenden Geräuschen in den Kiefergelenken, Ein-schränkungen in der Mundöffnungskapazität oder Verän-derungen des Bisses beim Zahnarzt vorstellig werden,sollten direkt einer Standarddiagnostik zugeführt wer-den.

Standarddiagnostik

Die zur Standarddiagnostik gehörenden Instrumente ver-fügen über einen nachgewiesenen allgemeinen diagnos-tischen Wert im Rahmen der Befunderfassung bei CMDund sind nach heutigem Wissensstand für eine zuverläs-sige Diagnosebildung bzw. Differenzialdiagnostik uner-lässlich. Alle Verfahren, die zur weiteren Verfeinerungder Diagnose oder Diagnosesicherung in speziellen Sub-gruppen Anwendung finden bzw. einen nicht oder unzu-reichend nachgewiesenen diagnostischen Wert besitzen,sind der erweiterten Diagnostik zugeordnet.

Anamnese

Die schmerzbezogene Anamnese ist gemeinsam mit derklinischen Untersuchung der wichtigste Baustein einersuffizienten Diagnostik. Während bis vor 20 Jahren dieDiagnosestellung bzw. Therapie primär auf physischenBefunden aufbaute, hat sich heutzutage weitgehend dieErkenntnis durchgesetzt, dass das Gespräch mit dem Pa-tienten eine sehr wichtige Basis darstellt. Auch in der all-gemeinen Schulmedizin galten die messbaren Labor-parameter lange Zeit als das Maß aller Dinge und das Ge-spräch mit dem Patienten verlor immer mehr an Bedeu-tung. Hintergründe lagen einerseits in einer Technikgläu-bigkeit, einem fehlenden Verständnis für körperlich-see-lische Zusammenhänge und in der schlechten Honorie-rung der „sprechenden“ Medizin. Heutzutage hat die„sprechende“ Medizin wieder erheblich an Bedeutunggewonnen. Die Anamnese sollte▪ allgemeine,▪ spezielle, problemspezifische und▪ soziale Informationen erfassen.

Zur allgemeinen Anamnese gehört die übliche Erfassungvon Allgemeinerkrankungen, wobei hier vor allem Tu-morerkrankungen, den Kopf-Hals-Bereich betreffende Er-eignisse (z. B. Schleudertrauma, Bandscheibenvorfall)und systemische Erkrankungen (rheumatischer Formen-kreis, Schuppenflechte bzw. Psoriasis, Fibromyalgie, Ar-throsen anderer Gelenke), aber auch Medikamente vonInteresse sind. Dabei können teilweise ursächliche, aberauch begünstigende Faktoren gefunden werden. Dies ge-schieht in der Regel mittels der üblichen Anamnesebö-gen.

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PRAXIS

Aspekte der schmerzbezogenen Anamnese

▪ zeitliches Auftreten, z.B. kontinuierlich, periodisch, anfallsartig

▪ Zeitraum seit erstmaligem Auftreten der Beschwerden

▪Qualität, z. B. stumpf, stechend, quälend

▪ Intensität, z. B. mittels visueller oder numerischer Analogskala

(NAS, VAS)

▪ Lokalisation und Ausstrahlung, z. B. mittels Zeichnung

▪ Begleitzeichen, z.B. Rötung, Schwellung, Erwärmung

▪modifizierende Faktoren, z.B. Wärme, Kälte, Stress, Ruhe

▪ provozierende Faktoren, z. B. weite Mundöffnung, festes

Zubeißen

▪ bisherige Behandlungsversuche und ‑erfolge bzw. ‑misserfolge

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Zur speziellen Anamnese gehören in diesem Zusammen-hang die spezifische Erfassung von▪ Mundgesundheitsproblemen,▪ Parafunktionen und oralen Habits,▪ Schmerzen.

Mundgesundheitsprobleme lassen sich am effektivsten sys-tematisch mit entsprechenden Fragebögen erfassen. Dieeinzelnen Fragen sollten die 4 Problembereiche (Funk-tion, Schmerz, Ästhetik und psychosozialer Einfluss) derwahrgenommenen Mundgesundheit systematisch undunspezifisch abdecken und können auch zur Messungdes Therapieerfolgs herangezogen werden. Der in die-sem Zusammenhang am besten etablierte und unter-suchte Fragebogen ist das Oral Health Impact Profile(OHIP), das mittels 14 Fragen alle zahnmedizinisch rele-vanten Bereiche abbildet [6]. Es gibt hierfür gute Inter-pretationshilfen (Normen und der kleinste relevante Un-terschied) und der Summenwert lässt sich einfach zurVerlaufsbeobachtung verwenden. Das OHIP ist onlinekostenfrei verfügbar und nähere Informationen aufwww.wikipedia.de abrufbar. Damit identifizierte, oft odersehr oft auftretende Probleme können anschließend ge-zielt und damit zeiteffizient mit dem Patienten verbalpräzisiert werden.

MerkeDie systematische Erhebung anamnestischer Infor-mationen mittels standardisierter Fragebögen sorgtfür eine zeiteffektive, aber trotzdem umfangreicheErfassung potenziell relevanter Informationen ausder allgemeinen und speziellen Anamnese. Hierdurchkann die Gesprächszeit besser für die den Patientenbeeinträchtigenden Probleme oder im Zusammen-hang mit der Erkrankung relevanten Parameter ge-nutzt werden.

Okklusale parafunktionelle Aktivitäten (Pressen und Knir-schen) können, insbesondere wenn diese tagsüber undnachts ausgeübt werden, CMD erheblich intensivieren[7]. Eine Erfassung erfolgt üblicherweise multimodal, wo-bei die anamnestische Angabe ein zentrales Kriteriumdarstellt. Allerdings erweisen sich Suggestivfragen hierals problematisch. Deshalb wird empfohlen, die folgende

▶ Tab. 2 Empfehlungen zur Diagnosebildung bei Bruxismus der Deu

Diagnose

möglicher Schlaf- oder Wachbruxismus

wahrscheinlicher Schlaf- oder Wachbruxismus

definitiver Schlaf- oder Wachbruxismus

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

Fragestellung zu verwenden: „Hat Sie schon mal jemandim Schlaf knirschen gehört?“. Diese weist mit einer Sensi-tivität von 78% und einer Spezifität von 98% sehr gute Ei-genschaften auf [8]. Das anamnestische Erfassen desPressens ist derzeit nicht zeugenbasiert möglich unddemzufolge unzuverlässig in der Aussage.

Daneben zählen klinische Anzeichen als ein wesentlichesIndiz für okklusale Parafunktionen [9]. Hierzu gehörenokklusaler Zahnhartsubstanzverlust, Zahnhalsdefekteoder Zerstörungsspuren und Gravuren des Okklusions-pfads am Zahnersatz oder Aufbissbehelf. Allerdings las-sen sich aktuelle Defekte bzw. Spuren nur unzulänglichvon denen aus der Vergangenheit unterscheiden. Sie bil-den also nicht zwingend die Ist-Situation ab. Auch die ge-genseitige Verstärkung von Abrasion und Erosion bietetHerausforderungen in der Diagnostik.

Eine weitere Möglichkeit der Erfassung besteht über dieElektromyografie. Diese Methode weist aber ohne zeitglei-che Erfassung der Herzfrequenz eine hohe falsch positiveRate auf. Der einzige Beweis und damit der Goldstandardist die Polysomnografie, die für den nicht wissenschaftli-chen Bereich aber in einem unangemessenen Aufwand-Nutzen-Verhältnis steht (▶ Tab. 2).

tschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und ‑therapie (DGFDT).

Diagnosekriterien

Selbstangabe oder Anamnese (+)

Selbstangabe (+) und klinische Untersuchung (+)

Selbstangabe (+) und klinischeUntersuchung (+) und Polysomnografie (+)

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rechts

rechts rechts

links

links

Schmerzlokalisation

Haben Sie auch wirklich alle Schmerzorte eingezeichnet?

▶ Abb. 4 Schmerzzeichnung der DGSS, Erfassung der Schmerzlokalisation und Schmerzausstrahlung.

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Schmerz

▶ Abb. 5 N

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Einer umfassenden Schmerzanamnese sollte besondereAufmerksamkeit geschenkt werden.

Auch hier sollten Suggestivfragen vermieden und mög-lichst offene Fragen gestellt werden. Dies erfordert eingewisses Maß an Kommunikationstraining. Auch solltenteilweise befremdlich anmutende Schilderungen undKausalvorstellungen bzw. kürzere Gesprächspausen ohneeigene Kommentare zugelassen werden.

Ganzkörperzeichnungen bieten den Vorteil, dass der Pa-tient sich in seiner Darstellung nicht nur auf den Kopf-bereich beschränkt, sondern auch Auskunft über weitere

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unerträg-

licher

Schmerz

umerische Analogskala zur Erfassung der Schmerzintensität.

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schmerzhafte Regionen erteilt (▶Abb. 4). Dies ist inso-fern wichtig, da lokale – z. B. auf den Gesichtsbereich be-schränkte – Schmerzphänomene oftmals auf lokale The-rapien (Aufbissbehelfe, manuelle Therapie) gut anspre-chen, multilokale hingegen nicht [10]. Auch können überdie Ausstrahlungspfade teils Hinweise auf den Ort derSchmerzentstehung gezogen werden.

Die Erfassung der Schmerzintensität erfolgt bevorzugtmit visuellen oder numerischen Analogskalen (▶ Abb. 5),da diese eine Verfolgung der Schmerzintensität über dieZeit erlauben und damit zur Verlaufskontrolle verwendetwerden können.

Als standardmäßig applizierte Minimaldiagnostik sollteder Status zur Graduierung chronischer Schmerzen (GradedChronic Pain Scale, GCPS) Anwendung finden. Neben derErfassung der Schmerzintensität wird hier als psycho-sozialer Parameter die Schmerzbeeinträchtigung erfasst.Mittels eines Auswertungsbogens kann eine Kategorisie-rung in Patienten mit funktionalem und dysfunktionalemchronischem Schmerz vorgenommen werden, wobeiletztere dringend einem genaueren psychologischenScreening zugeführt werden sollten [11].

. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

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Als generisches Instrument, welches die strukturierteSchmerzanamnese unterstützen kann, steht der DeutscheSchmerzfragebogen der Deutschen Schmerzgesellschafte.V. (DGSS) zur Verfügung, der zuletzt 2015 aktualisiertwurde. Dieser ist allerdings unspezifisch verfasst und aufallgemeinmedizinische Belange fokussiert. Der DeutscheSchmerzfragebogen enthält neben einer Schmerzzeich-nung auch den Status zur Graduierung chronischerSchmerzen (GCPS). Türp und Marinello stellten 2002 ei-nen deutschsprachigen Schmerzfragebogen für Patientenmit chronischen orofazialen Schmerzen vor, der eine aufCMD-Patienten zugeschnittene, systematische schmerz-bezogene Anamnese erlaubt und auf einer älteren Ver-sion des Deutschen Schmerzfragebogens basiert [12].

Die soziale Anamnese gibt einen Überblick über das sozia-le Umfeld und die damit verbundenen potenziellen Prob-leme und Lebensumstände. So sind in bestimmten Be-rufsgruppen typische Fehlhaltungen zu finden, dieschmerzhafte CMD intensivieren können, z.B. bei Musi-kern oder bei unergonomischen und einseitigen Arbeits-haltungen. Auch Stressfaktoren wie chronische berufli-che oder familiäre Überforderung sowie Mobbing undScheidungen sind bekannte krankheitsauslösende und‑modifizierende Faktoren. Bei der sozialen Anamnesewerden oftmals Informationen gewonnen, welche dieGrundlage für spätere Empfehlungen zu Verhaltensände-rungen oder Modifizierung der Lebensumstände bzw. dasAnnehmen von Hilfsangeboten sind.

MerkeAm Ende des anamnestischen Gesprächs sollte derUntersucher einen umfassenden Überblick über denallgemeinen Gesundheitszustand, die allgemeinenund speziellen Probleme, die vom Patienten empfun-denen Schmerzen und Beeinträchtigungen sowie diebisherigen misslungenen und erfolgreichen Thera-pieversuche haben, um sich in die Gedanken- und Er-lebniswelt des Patienten hineinversetzen zu können.

Psychologisches Screening (Achse II)

Das psychologische Screening soll helfen, Patienten mitden Therapieerfolg beeinträchtigenden psychologischenKomorbiditäten (zusätzliche Erkrankungen) herauszufil-tern und einer adäquaten Therapie zuzuführen. Wichtigist, zu erwähnen, dass der Zahnarzt keine dies betreffen-den Diagnosen stellen kann und darf, sondern nur Auffäl-ligkeiten feststellen kann, die durch einen psychologischgeschulten Arzt bestätigt werden müssen. Leider ist einedirekte Überweisung an einen Psychologen bzw. Facharztfür psychosomatische Medizin und Psychotherapie durchden Zahnarzt nicht möglich und erfordert den Umwegüber einen Facharzt (z.B. den Hausarzt).

Insbesondere in spezialisierten Praxen und Zentren sollteaufgrund der vorselektierten Patienten mit einem deut-lich höheren Anteil chronischer Schmerzen und voran-

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

gegangener erfolgloser Behandlungsversuche obligateine Erfassung wichtiger psychologischer Parameter er-folgen. Hier kommt vor allem der Erfassung depressiverSymptome und unspezifischer Schmerzen eine hohe Be-deutung zu.

Screening nach depressiven Symptomen

Depressionen haben im Zusammenhang mit CMD bezüg-lich der Ätiopathogenese keine bekannte klinisch relevan-te Bedeutung. Allerdings ist das Vorliegen einer Depres-sion generell ein ungünstiger prognostischer Faktor beichronischen Schmerzerkrankungen. Zum einen verstärkteine Depression das Schmerzerleben und andererseitsverstärken anhaltende Schmerzen eine vorhandene De-pression. Dabei entsteht ein Circulus vitiosus, der durch-brochen werden muss, um die therapeutischen Erfolgs-chancen zu verbessern.

Zur Erfassung einer vorliegenden Depression stehen viel-fältige, gut validierte und untersuchte Instrumente zurVerfügung. Ein klassisches Instrument zur Erfassung de-pressiver Symptome ist die Allgemeine Depressionsskala(ADS‑L), die recht einfach zu erfassen ist und durch dieeingebauten inversen Kontrollfragen auch erkennenlässt, ob sich der Patient mit den Fragen angemessen be-schäftigt hat.

Alternativ sind kombinierte Skalen anwendbar. So istauch die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) zurzeitgleichen Erfassung von Angst und Depression bei Pa-tienten mit physisch oder/und psychisch bedingten Kör-perbeschwerden geeignet. Ein weiteres geeignetes Kom-binationsinstrument sind die im Deutschen Schmerzfra-gebogen enthaltenen und kostenfrei verfügbaren Depres-sions-Angst-Stress-Skalen (DASS) [13].

Die Wahl des Instruments kann sich primär daran orien-tieren, ob die enthaltenen Zusatzinformationen ge-wünscht sind. Ein wissenschaftlicher Nachweis des Nut-zens der über die Depression hinausgehenden Informa-tionen steht für CMD-Patienten allerdings noch aus.

Screening nach unspezifischen Symptomen

Dieses Screening ist ein Selbstbeurteilungsverfahren zurErfassung der subjektiven Beeinträchtigung durch unspe-zifische körperliche Symptome bzw. Allgemeinbeschwer-den. Ein häufig angewendetes und bewährtes Instrumentist die durch von Zerssen erstellte und 2011 revidierteBeschwerden-Liste (B‑LR). Alternativ kann die FreiburgerBeschwerdenliste (FBL) oder der Gießener Beschwerdebogen(GBB) verwendet werden.

Vergleichbar mit dem in der Anamnese beschriebenenOHIP kann der Patient bei diesen Gesundheitsbelastungs-indizes markieren, wie häufig welche Beschwerden auf-treten. Diese sind z. B. innere Unruhe, Kurzatmigkeit,Grübelei, Müdigkeit und ein Kloßgefühl im Hals. Eine

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▶ Tab. 3 Bezugsquellen der verschiedenen Erhebungsbögen.

Erhebungsbogen Bezugsquelle

Oral Health Impact Profile (OHIP) https://de.wikipedia.org/wiki/OHIP

Schmerzfragebogen für Patientenmit chronischen orofazialenSchmerzen

http://qos.quintessenz.de/qos/downloads/schmerzfragebogen.pdf

Deutscher Schmerzfragebogen der DGSS http://www.dgss.org/deutscher-schmerzfragebogen/

Status zur Graduierung chronischer Schmerzen (GCPS) www.fomt.info/Frageboegen/GCPS.pdf

www.dentaconcept.de

Allgemeine Depressionsskala (ADS) https://www.testzentrale.de/shop/allgemeine-depressionsskala.html

Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) https://www.testzentrale.de/shop/hospital-anxiety-and-depression-scale-deutsche-version-69320.html

Depression, Anxiety and Stress Scale (DASS) www.dgss.org

www.dentaconcept.de (inkl. Auswertungshilfe)

Beschwerden-Liste https://www.testzentrale.de/shop/beschwerden-liste-revidierte-fassung.html

DEFINITION

Deflexion = Seitenabweichung des Inzisalpunkts des

Unterkiefers bei maximaler aktiver Mundöffnungs-

bewegung von der Mitte ummehr als 2mm, ohne zu

dieser zurückzukehren

Deviation = Seitenabweichung des Inzisalpunkts des

Unterkiefers bei maximaler aktiver Mundöffnungs-

bewegung von der Mitte ummehr als 2mm, wobei

dieser terminal zur Mitte zurückkehrt

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Häufung dieser unspezifischen Symptome ist ein Hinweisauf eine unzureichende Trennung von psychischen Pro-blemen und physischen Beschwerden, was den betroffe-nen Personen in der Regel nicht bewusst ist.

Eine verminderte Fähigkeit, Gefühle von körperlichenSensationen zu unterscheiden, sollte Anlass sein, die be-troffenen Patienten an einen Facharzt für psychosomati-sche Medizin und Psychotherapie zur näheren Diagnostikzu überweisen. Eine Übersicht zu den Bezugsquellen wirdin ▶ Tab. 3 gegeben.

Klinische FunktionsanalyseBefunderhebung

Bei der klinischen Funktionsanalyse sollen alle für dieDiagnostik und die Differenzialdiagnostik von CMD not-wendigen klinischen Befunde erhoben werden. Hierzugehört die Erfassung der:▪ Bewegungskapazität des Unterkiefers▪ Palpationsempfindlichkeit der Kaumuskulatur▪ Palpationsempfindlichkeit der Kiefergelenke▪ Gelenkgeräusche

Bewegungskapazität des Unterkiefers

Bei der Bewegungskapazität des Unterkiefers sollten min-destens folgende Kriterien untersucht werden:▪ maximal mögliche Mundöffnung (Schneidekantendis-

tanz und Overbite)– aktiv ohne Schmerz– aktiv, auch wenn Schmerzen provoziert oder inten-

siviert werden– passiv, das heißt durch den Untersucher

▪ die Form der Bewegungsbahn des Inzisalpunkts beiMundöffnung (gerade, Deflexion bzw. Deviation nachlinks oder rechts; s. ▶Abb. 6)

▪ die maximale Beweglichkeit des Unterkiefers nachrechts und links (Laterotrusion)

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▪ die maximale Beweglichkeit des Unterkiefers nachvorne (Protrusion)

Die Verwendung eines Lineals ist ausreichend, um dieseWerte zuverlässig erfassen zu können. Insbesondere dieMundöffnung ist auch durch unerfahrene Untersucherzuverlässig zu beurteilen (Korrelationskoeffizient 0,90).Die Laterotrusionsbewegung ist dagegen weniger zuver-lässig, aber immer noch ausreichend genau messbar(Korrelationskoeffizient 0,65) [14].

Es sollten eine Mundöffnung von mindestens 40mm (imMittel bei Gesunden 55mm) und eine Bewegungskapazi-tät in der Laterotrusion von mindestens 5mm (im Mittelbei Gesunden 10mm) vorliegen. Der Unterschied zwi-schen aktiver und passiver Mundöffnung sollte wenigerals 5mm (im Mittel bei Gesunden 1–2mm) betragen.

Palpationsempfindlichkeit der Kaumuskulatur

Die Prüfung der Palpationsempfindlichkeit der Kaumus-kulatur sollte mindestens die Mm. masseterici undMm. temporales umfassen. Leider variiert gerade bei Pal-pationsmaßnahmen der applizierte Druck ohne vorherigeKalibrierung sehr stark. Deshalb wird empfohlen, vorher

. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

Page 11: Untersuchung und Diagnose- bildung bei kraniomandibulären ...€¦ · Untersuchung und Diagnose-bildung bei kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) Oliver Schierz Zahnmedizin up2date

▶ Abb. 6 a–f Deviation und Deflexion bei der Mundöffnungsbewegung. Zur Orientierung kann ein Lineal oder ein schmaler Instrumentengriff alsHilfe für den „normalen“ Bewegungskorridor (± 2mm) genutzt werden (© Universitätsklinikum Leipzig AöR/Fotograf: I. Riemer).

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und ggf. auch während der Untersuchung den Palpa-tionsdruck auf einer haushaltsüblichen Küchenwaage zuüberprüfen.

Alternativ kann ein Algometer verwendet werden. Für dieKieferschließer (M. masseter und M. temporalis) wird da-bei eine Druckapplikation von 1 kg mit der flachen Fin-gerkuppe für 3–5 Sekunden empfohlen. Die Finger soll-ten dabei etwa in einem Winkel von 45° angesetzt wer-den. Submandibulär und retromandibulär sollte derDruck auf 500 g reduziert werden.

Der Palpation unzugängliche Muskeln und Sehnen kön-nen mittels isometrischer Tests überprüft werden.

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

Palpationsempfindlichkeit der Kiefergelenke

Die Palpationsempfindlichkeit der Kiefergelenke solltevon lateral mit einem Druck von 500 g und von dorsaloder laterodorsal mit 1 kg geprüft werden. Eine Palpationdes dorsalen Bereichs kann über den äußeren Gehörgangerfolgen. Für die alternative Möglichkeit, den Kondylusbzw. die Kapsel von laterodorsal zu palpieren, muss sichder Unterkiefer in einer leicht protrusiven Position befin-den. Hierdurch wird der dorsolaterale Kondylenpolpräaurikulär erreichbar.

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Gelenkgeräusche

Gelenkgeräusche werden durch druckarme Palpation deslateralen Kondylenpols erfasst. Dies erfolgt in der Regelwährend Ausführung der Grenzbewegungen (Mundöff-nung, Protrusion, Laterotrusion), wobei die Bewegungimmer ausgehend von der maximalen Interkuspidationgestartet werden sollte. Hierbei wird auf pathologischeGeräusche geachtet. Diese sind in der Regel einem Kna-cken oder Reiben zuordenbar. Die Verwendung von Hilfs-mitteln (Mikrofon oder Stethoskop) wird nicht empfohlen[15].

Befunderfassung

Generell ist eine Erfassung von Befunden mittels struktu-rierter Erhebungsbögen sinnvoll. Dies beugt einer vor-schnellen Diagnosestellung auf Basis einer 1. Verdachts-diagnose ohne umfassende Würdigung aller relevantenBefunde vor. Das konkrete Erhebungsprozedere und diedetaillierten Vorgehensweisen sind in den entsprechen-den Manualen bzw. Büchern beschrieben und werden inpraktischen Kursen vermittelt. Diese Befundsammlungenbzw. Erhebungsbögen sind in vielfältiger Anzahl und mitvariablen Schwerpunkten verfügbar und ermöglicheneine systematische Erfassung.

Bekannt und weitverbreitet sind der Funktionsstatus derDeutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und ‑thera-pie (DGFDT) und die Befundbögen von DentaConcept®.Nahezu alle in Deutschland üblichen Erhebungsbögensind für eine systematische Befundsammlung geeignetund enthalten die oben genannten Mindestbefunde. Alssehr angenehm für den funktionsdiagnostisch unerfahre-nen Zahnarzt sind bei DentaConcept® die digitale Erfas-sung der Messwerte und Hilfestellungen zu erwähnen.

Diagnosefindung

Leider sind oftmals weder eindeutige Anweisungen zurErhebung der Befunde vorhanden (bzw. werden diesenur in sehr kostenintensiven Kursen vermittelt), noch be-stehen validierte Möglichkeiten, aus diesen Befundenmittels eines Entscheidungsbaums Diagnosen zu bilden.Dieser Problematik hat sich ein internationaler Forscher-verbund angenommen, der 1992 die Research DiagnosticCriteria for Temporomandibular Disorders (RDC/TMD) ge-schaffen hat [16]. Für die darauf basierende Befund-sammlung liegen in deutscher Sprache eindeutige An-weisungen zum verbalen und praktischen Vorgehen vor.Zusätzlich wurden für grundlegende Diagnosen Entschei-dungsbäume erstellt, die bei der Diagnosefindung unter-stützen.

Diese Kriterien wurden auf Basis der inzwischen neu ge-wonnenen Erkenntnisse grundsätzlich überarbeitet und2014 in einer revidierten Fassung publiziert. Die durchdas Entfernen des „Research“ in DC/TMD umbenanntenKriterien stellen momentan die einzige zur Verfügungstehende Befundsammlung mit validierter Diagnosebil-

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dung dar [17]. Derzeit erfolgt eine durch die Deutsche Ge-sellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde geförderteÜbersetzung und Validierung für den deutschsprachigenRaum und wird bald unter www.rdc-tmdinternational.org abrufbar sein. Konkrete und detaillierte Handlungs-anweisungen zum klinischen Vorgehen und ein Videoeines exemplarischen Untersuchungsablaufs solltendemnächst ebenfalls in deutscher Sprache verfügbarsein. Leider steht derzeit nur eine papierbasierte Erfas-sungsoption zur Auswahl. Eine Integration in Software-lösungen ist entsprechend wünschenswert.

Klinische Okklusionsanalyse

Auch wenn derzeit der Einfluss der Okklusion auf CMDkritisch bewertet wird, sollten doch einige Basisparame-ter erfasst werden:▪ Zahnstatus▪ Attrition und keilförmige Defekte (als Anzeichen ok-

klusaler Parafunktionen)▪ Zahnkontakte in statischer (maximale Interkuspida-

tion bzw. zentrische Kondylenposition) und dyna-mischer Okklusion

Insbesondere bei Auftreten von Anzeichen kraniomandi-bulärer Dysfunktionen im zeitlichen Zusammenhang mitprothetischen Neuversorgungen sollte diesem Aspektverstärkt Aufmerksamkeit geschenkt und diese Analyseggf. um eine instrumentelle Okklusionsanalyse erweitertwerden.

Panoramaschichtaufnahme

Als Standardinstrument zur bildgebenden Diagnostik beiCMD hat sich die Panoramaschichtaufnahme (PSA), auchunter der Bezeichnung Orthopantomogramm bekannt,etabliert. Bekanntermaßen sind hierbei nur die knöcher-nen Anteile des Gesichtsschädels in einer begrenztenSchicht zweidimensional beurteilbar. Dies bedeutet imUmkehrschluss, dass muskuläre und knorpelbasierte Ge-webe nicht direkt sichtbar sind. Wenn wir berücksichti-gen, dass 80% der CMD-Patienten myofasziale Schmer-zen aufweisen, stellt sich zunächst die Frage, wozu dieAnfertigung einer PSA denn dann überhaupt sinnvoll ist.

Ein direkter diagnostischer Wert für die Bestätigung vonCMD-bezogenen Diagnosen besteht nur für osteoarthroti-sche Veränderungen. Während initiale Veränderungenkaum erkennbar sind, können fortgeschrittene Stadienzuverlässig diagnostiziert werden. Hierzu gehören kon-dyläre Formveränderungen wie die Abflachung des Kon-dylus und Knochenapposition am anterioren Kondylen-pol, ein Fehlen der kortikalen Verschattung und zystischeAufhellungen im und unterhalb des Kontaktbereichs. Beiin der PSA erkennbarem Auftreten dieser Veränderungenkann mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer osteo-arthrotischen Veränderung im betreffenden Gelenk aus-gegangen werden (Spezifität: 99%). Da frühe Stadien(Verdickung und zackenförmige Ausläufer der kortikalen

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Page 13: Untersuchung und Diagnose- bildung bei kraniomandibulären ...€¦ · Untersuchung und Diagnose-bildung bei kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) Oliver Schierz Zahnmedizin up2date

▶ Abb. 7 a–h Beispiele für die Formenvielfalt humaner Kondylen (© Universitätsklinikum Leipzig AöR/Fotograf: I. Riemer; Bildmaterial: Landesamtfür Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle [19]).

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Verschattung) nicht sicher erkannt werden können, istdie Falsch-negativ-Rate entsprechend hoch (Sensitivität:26%) [18].

Gerne wird die PSA auch verwendet, um über die Breitedes sichtbaren Gelenkspalts auf Verlagerungen des Gelenk-köpfchens oder Verlagerungen bzw. Verschleiß des Dis-cus articularis zurückzuschließen. Dies wurde vor einigenJahrzehnten bereits erfolglos an den mittlerweile obsole-ten Aufnahmen nach Schüller bzw. Parma versucht. DieDarstellung des Gelenkspalts ist stark abhängig vomStrahlengang. Ein verengter Gelenkspalt kann also ge-nauso aus einem ungünstigen Strahlengang resultieren.Eine Bewertung der Dimension des Gelenkspalts solltedeshalb nicht auf Basis einer PSA erfolgen.

Auch kommen interindividuell erhebliche Varianzen in derKondylenform vor. Hier ist vor allem die Seitensymmetrieein entscheidender Anhaltspunkt und weniger die indivi-duelle Form. Beispiele für die hohe Formenvielfalt derKondylen sind in ▶ Abb. 7 dargestellt.

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

Viel wichtiger und den Routineeinsatz rechtfertigend istdie Verwendung als differentialdiagnostisches Ausschluss-verfahren. So können hier eine Dentitio difficilis, (infizier-te) Zysten, auf eine Osteolyse hindeutende Umbauvor-gänge oder auch Frakturen erkannt werden (▶Abb. 8).

Insbesondere in den folgenden klinischen und anamnes-tischen Situationen sollte eine Anfertigung obligat erfol-gen [20]:▪ erfolglose konventionelle Behandlung▪ faziale Asymmetrie, einseitig offener Biss (Tumoraus-

schluss)▪ Trauma (Frakturausschluss)▪ stark eingeschränkte Mundöffnung▪ Ausschluss von Metastasen (Tumorerkrankung alio

loco in den letzten Jahren)▪ bekannte bzw. Verdacht auf eine systemische Gelenk-

erkrankung (rheumatoide Arthritis, Psoriasisarthritis,ankylosierende Spondylitis)

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Page 14: Untersuchung und Diagnose- bildung bei kraniomandibulären ...€¦ · Untersuchung und Diagnose-bildung bei kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) Oliver Schierz Zahnmedizin up2date

▶ Abb. 8 Darstellungen unterschiedlicher Kasuistiken im Bereich der Kondylen. a Normales Kiefergelenk, b Hypoplasie, c Arthrose, d Chondro-matose mit Kalzifizierungen (siehe punktuelle Aufhellungen im Bereich der Position des Discus articularis), e Kollumfraktur.

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Erweiterte Diagnostik

Die erweiterte Diagnostik enthält Instrumente, die nurbei speziellen diagnostischen Fragestellungen zur Diag-nosesicherung benötigt werden oder keinen gesichertendiagnostischen Wert bzw. Therapierelevanz haben. Hier-zu gehören Verfahren zur Erfassung weiterer physischerParameter (z. B. bildgebende Verfahren, manuelle Struk-turanalyse, instrumentelle Analyseverfahren) sowie zurEvaluierung psychosozialer Parameter (z. B. Lebensquali-tät, Schmerzverarbeitung, Stressaufkommen und Stress-verarbeitung).

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Physische Instrumente

Resilienztest nach Gerber

Dieser Test wurde bereits 1971 von Gerber vorgestellt.Ziel ist es, durch eine einseitige Bisserhöhung mittelsZinnfolie verschiedener Stärken (0,3 mm; 0,6mm;0,9mm) im Bereich der Prämolaren eine Aussage überdas Kompensationsvermögen des kontralateralen Kiefer-gelenks zu erlangen (▶Abb. 9). Allerdings ist nur bei ge-zielter Anspannung der Adduktoren eine klinisch ver-wertbare Aussage möglich.

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▶ Tab. 4 Diagnosezuordnung zum Ergebnis des Resi-lienztests nach Gerber.

Diagnose Testergebnis

Kompressionsgelenk Prüffolie wird bei 0,3mmnicht gehalten.

normal resilientes Gelenk Prüffolie wird bei 0,3 und0,6 mm gehalten.

Distraktionsgelenk Prüffolie wird bei 0,9mmgehalten.

▶ Abb. 9 Resilienztest nach Gerber für das linke Kiefer-gelenk (grün: Zinnfolie; rot: Prüffolie).

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Es wird hierfür folgendes Vorgehen empfohlen [21]:▪ einseitiges Aufbeißen auf eine Zinnfolie (PM-Bereich)

auf der dem zu prüfenden Gelenk gegenüberliegen-den Seite

▪ Anweisung: „Fest auf die dicke Folie beißen und ver-suchen, die Prüffolie festzuhalten.“

▪ prüfen, ob kontralateral die Prüffolie (z. B. Shimstock-Folie) im hinteren Molarenbereich gehalten wird

Je nach Kompensationsfähigkeit kann das kontralateralzur Zinnfolie liegende Gelenk in Kompressions-, normalresilientes und Distraktionsgelenk unterschieden werden(▶ Tab. 4).

Orthopädische Testverfahren

Zur Berücksichtigung möglicher aufsteigender, CMDmodifizierender, bzw. absteigender, die Körperhaltungbeeinflussender, orthopädischer Faktoren können ver-schiedene Testverfahren und Messungen durchgeführtwerden. Unter anderem können die Kopfhaltung, Ver-krümmungen der Wirbelsäule und Schulter- bzw. Be-ckenschiefstände erfasst werden. Auch orthopädischeTests von Beinlängendifferenzen und zur Beweglichkeitder Iliosakralgelenke finden teilweise Anwendung.

Die Prüfung eines potenziellen absteigenden Einflussesokklusaler Faktoren auf die Position des Beckens bzw. die

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

Körperhaltung im Allgemeinen kann mithilfe des Watte-rollentests nach Meersemann erfolgen [22].

Für alle diese Testverfahren wurde bislang eine therapeu-tische Relevanz bezüglich der Behandlung von CMD nichtnachgewiesen [23]. In der Literatur finden sich vorwie-gend Einzelfallberichte mit empirisch gewonnenen Be-hauptungen. Die einzigen, wissenschaftlich fundiertenBelege finden sich bislang im Zusammenhang mit derKorrektur einer protrusiven Kopfhaltung [24]. Die Effekt-stärken orthopädischer Korrekturen auf schmerzhafteCMD erscheinen bislang gering.

Physiotherapeutische Untersuchungstechniken

Die Untersuchungstechniken der Manuellen Strukturana-lyse (MSA) entstammen physiotherapeutischen Verfahrenund ergänzen die Palpation der Muskulatur und Kieferge-lenke durch isometrische Belastungstests. Synonym wirdhierfür auch der Begriff Manuelle Funktionsanalyse (MFA)verwendet. Hierzu gehören isometrische Belastungstestsder Muskulatur (= ohne Längenänderung des Muskels)bei Mundöffnung, Mundschluss, Laterotrusion und Pro-trusion. Es werden im Gegensatz zur Palpation nichtexemplarische Muskelanteile auf Druck, sondern Muskel-gruppen auf Schmerzhaftigkeit unter Belastung geprüft.Weiterhin kann eine Abschätzung des Trainingszustandsder Muskulatur (normal, hypertroph, hypotroph) erfol-gen. Darüber hinaus ist es möglich, im Rahmen der iso-metrischen Muskeltests die Muskelkraft zu eruieren.Während der Palpation kann zusätzlich der Muskeltonusbewertet werden (normal, verhärtet).

Durch Kompression oder Distraktion der Kiefergelenkeunter aktiver Funktion kann deren Gleitverhalten hin-sichtlich Veränderung der Intensität oder/und des Zeit-punkts von Gelenkgeräuschen beurteilt werden. Durchmanipulative Techniken wird die Gelenkkapsel passiv aufentzündliche Veränderungen hin untersucht. Hierbei ste-hen je nach Schule unterschiedliche, mehr oder wenigerkomplexe Grifftechniken zur Verfügung, um die Gelenkenach dorsal, dorsokranial, kranial, lateral, medial und an-terior zu bewegen und auf Schmerzhaftigkeit entspre-chender Gelenkareale zu testen. Durch Traktion der Kie-fergelenke kann die Elastizität der Gelenkkapsel geprüftwerden. Auch können ergänzend Informationen über ak-tive bzw. passive Bewegungseinschränkungen der Hals-wirbelsäule erfasst und neurodynamische Tests durch-geführt werden. Insbesondere Letzteres ist eher dem ge-schulten Physiotherapeuten zu überlassen.

Instrumentelle Okklusionsanalyse

Die instrumentelle Okklusionsanalyse beschreibt die Si-mulation der okklusalen Verhältnisse im Artikulator. Die-se bietet gegenüber der klinischen OkklusionsanalyseVor- und Nachteile (▶ Tab. 5). Insbesondere aufgrunddes Risikos von Übertragungs- und Simulationsfehlernmüssen die daraus gewonnenen Erkenntnisse immer kli-

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▶ Tab. 5 Vor- und Nachteile der instrumentellen Okklusionsanalyse.

Vorteile Nachteile

▪ Beurteilung der okklusalen Interaktion von dorsal▪ keine Resilienz der Strukturen (Parodont, Gelenke)▪ bessere Reproduzierbarkeit▪ einfachere Beurteilung von Abrasions- und Erosionsspuren

(insbesondere imMolarenbereich), Zahnposition

▪ eingeschränkte Bewegungssimulation▪ Übertragungsfehler (Modellfehler, Montagefehler)

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nisch auf Plausibilität geprüft werden. Die Modelle wer-den hierfür oftmals mittels Zentrikregistrat montiert. Beider dabei vorgehensbedingt notwendigen Absenkungder vertikalen Kieferrelation für die Okklusionsanalysetreten bei nicht scharnierachsengerechter Montage ver-stärkt Simulationsfehler auf. Um diese Fehler zu reduzie-ren, wird der Oberkiefer oftmals unter Zuhilfenahmeeines Gesichtsbogens montiert. Zur Reduktion der Fehlerbei der Simulation der dynamischen Okklusion kann zu-sätzlich die Gelenkbahn des Artikulators individualisiertwerden.

Instrumentelle Funktionsanalyse

Unter dem Oberbegriff instrumentelle Funktionsanalysewerden im Bereich der Zahnmedizin Untersuchungs-methoden verstanden, bei denen spezielle Geräte zumEinsatz kommen. Mithilfe dieser Geräte können folgendeAspekte untersucht werden:▪ kinematische Bewegungen des Unterkiefers▪ Veränderungen der Kondylenposition▪ elektrische Muskelaktivität

RUND

t der instrumentellen Funktionsanalyse

r auf den ersten Blick technisch interessanten Möglich-

weiterhin empfohlen, die Diagnostik von CMDprimär auf

nen aus der Anamnese, klinischen Untersuchung und

en Verfahren zu stützen, da Verfahren zur instrumentel-

nsanalysebisher den Standards bezüglich Sensitivität und

icht genügen bzw. ein derartiger Nachweis aussteht [15].

eutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Infor-

DI) rügte in seinemBericht (HTA-Report 101; 2010), dass

len, welche die instrumentelle Funktionsanalyse zur

on kraniomandibulären Funktionsstörungen im Vergleich

en Funktionsanalyse beurteilen.

ellen S2k-Leitlinie der DGFDT von 2015 zur instrumentellen

hen Funktionsanalyse ist vermerkt, dass die klinische der

ellen Funktionsanalyse vorausgehen sollte und die in-

le Bewegungsanalyse als Screeninginstrument für in-

e Störungen nicht geeignet ist.

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Bewegungen des Unterkiefers

Die Bewegungsanalyse dient der Aufzeichnung und gra-fischen Darstellung der Unterkieferbewegungen. Primärerfolgt eine Berechnung der Steilheit, Form und Längeder individuellen Gelenkbahn in der sagittalen und trans-versalen Richtung im räumlichen und zeitlichen Zusam-menhang. Im deutschsprachigen Raum bekannt sind hiervor allem das CADIAX der Firma GAMMA, das JMA-Systemder Firma Zebris und das weitgehend baugleiche ARCUS-digma der Firma KaVo [25].

Anhand der Form und Länge der Gelenkbahn können In-formationen zu Bewegungsanomalien gesammelt wer-den. Die darauf basierende Berechnung der Steilheit derGelenkbahn sowie des Gelenkspiels können zur Individua-lisierung von Artikulatoren verwendet werden. Auchkann darüber die zeitliche Kongruenz von Bewegungenin beiden Kiefergelenken erfasst werden.

Kondylenposition

Die Analyse vergleicht die Kondylenposition der Kieferge-lenke bei unterschiedlichen okklusionsnahen Positionenrelativ zueinander. Dies kann z.B. zwischen zentrischerKondylenposition oder therapeutischer Position und derPosition in habitueller Bisslage stattfinden.

Elektrische Muskelaktivität

Eine weitere Option ist die elektromyografische Aufzeich-nung von evozierten Muskelpotenzialen. Diese bietetMöglichkeiten, die neuromuskuläre Situation des Patien-ten besser zu verstehen. Auch kann mittels entsprechen-der Instrumente die Beißkraft der Personen erfasst wer-den. Es zeigen jedoch auch gesunde Personen eine Sei-tendifferenz, sowohl der motorisch evozierten Muskel-potenziale als auch der maximalen Beißkraft. Folglichsind diese Methoden derzeit eher zur Verlaufskontrolleals zur Unterstützung der Therapieentscheidung geeig-net.

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Bildgebende Verfahren

Konventionelle transkranielle Röntgenaufnahmetech-niken (z.B. nach Schüller) gelten heute für funktionsdiag-nostische Zwecke als obsolet. Als einziges zweidimensio-nales, röntgenbasiertes Verfahren wird derzeit die bereitsin der Standarddiagnostik beschriebene Panorama-schichtaufnahme empfohlen. Heute in der CMD-Diag-nostik gebräuchliche dreidimensionale röntgenbasierteVerfahren sind die dentale digitale Volumentomografieund die Computertomografie. Zu den röntgenstrah-lungsfreien Verfahren gehören das Magnetresonanz-tomogramm und die Sonografie.

Digitale Volumentomografie (DVT)

Die dentale digitale Volumentomografie (DVT) ist inzwi-schen vielerorts verfügbar und bietet die Möglichkeit derdreidimensionalen Darstellung knöcherner Strukturen.Die Strahlenbelastung ist dabei je nach Gerät und unter-suchtem Volumen zwischen der PSA und dem CT anzu-siedeln. Nachteilig bei der DVT ist die nur undifferenziertdarstellbare Situation der Weichgewebe. Bei geeigneterAuswahl des Untersuchungsvolumens, sowie der Exposi-tionsparameter, lässt sich in den meisten Fällen die Dosis-belastung geringer als im CT gestalten. Zum Teil ist dieAuflösung der knöchernen Strukturen im DVT etwas bes-ser als bei der CT.

▶ Abb. 10 DVT des linken Kiefergelenks, Fragment einer alten Kond

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Bedingt durch den eingeschränkten Aufnahmebereichund weitgehende Beschränkung auf die Darstellung knö-cherner Strukturen begrenzt sich die Indikation für dieAnfertigung eines DVT im funktionsdiagnostischen Be-reich auf lokale knöcherne Veränderungen wie solcheder Kondylenform (Osteoarthrose, Tumoren), Ankylose,Entwicklungsanomalien (Hypo- und Hyperplasie) oderFrakturen (▶Abb. 10). Da die individuelle Form der Kie-fergelenkköpfchen sehr stark variiert, sollte zum Ver-gleich das kontralaterale Gelenk ebenfalls erfasst werden.

Entsprechend den Leitlinien der DGZMK ist die dentaleDVT zur Diagnostik erosiver kondylärer Veränderungenund degenerativer knöcherner Kiefergelenkerkrankun-gen der zweidimensionalen Aufnahme deutlich über-legen und das diagnostische Hilfsmittel der 1. Wahl.

Computertomografie (CT)

Im Gegensatz zur DVTwerden im Computertomogrammauch Weichgewebe differenziert dargestellt, wenngleicheine Beurteilung der hyalinen Strukturen des Kieferge-lenks (Gelenkknorpel) und der Bänder nicht möglich ist(▶ Abb. 11). Aufgrund des größeren Sichtfelds und derzusätzlichen Darstellung von Weichgewebe eignet sichdie CT sehr gut zur Ausschlussdiagnostik von raumfor-dernden Veränderungen oder Frakturen.

ylusfraktur.

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▶ Abb. 11 Darstellung beider Kiefergelenke in der CT in koronalerSchnittrichtung. Subkortikale Sklerose im rechten Kondylus (man beachtedie weißen Ausziehungen aus der Kortikalis als Anzeichen einer interme-diären Osteoarthrose) und verminderter Gelenkspalt im rechten Kiefer-gelenk, linkes Kiefergelenk normal (gut gerundeter Kondylenkopf mit gutdefiniertem kortikalem Rand).

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MerkeInsofern sich die Fragestellung zur dreidimensionalenStruktur auf die knöchernen Bestandteile der Kiefer-gelenke beschränkt, ist die DVT aus Gründen desStrahlenschutzes Mittel der 1. Wahl. Aufgrund dergenannten Limitationen (Strahlenbelastung, keineDarstellung von Knorpel) kommen im Rahmen derDiagnostik von CMD sowohl CT als auch DVT eherselten zur Anwendung.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Die MRT, auch Kernspintomografie genannt, ist aufgrundder Freiheit von Röntgenstrahlung, der geringen Neigungzur Artefaktbildung und der dreidimensionalen Darstel-lung von Knorpel- und Weichgewebe der Goldstandardder dreidimensionalen bildgebenden Verfahren in derzahnärztlichen Funktionsdiagnostik, wenngleich das Auf-lösungsvermögen geringer als bei der CT ist.

Die MRT basiert auf der Darstellung von magnetinduzier-ten Auslenkungseffekten des Eigenimpulses von Wasser-stoffprotonen. Wasserstoffarme Gewebe, wie die Korti-kalis, werden entsprechend signalarm (= dunkel), Fett-gewebe signalreich (= hell) abgebildet. Muskulatur undKnorpel haben eine intermediäre Signalintensität.

▶ Tab. 6 Empfohlene Schnittrichtungen, Kieferposition und Wichtungelenkstrukturen.

Schnittrichtung Mund geschlossen

parasagittal-oblique T1 und T2

koronal T1 und T2

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Um die Strukturen im Kiefergelenkbereich mit hinrei-chender Schärfe aufzeichnen zu können, ist es sinnvoll,Oberflächenspulen im Bereich der Kiefergelenke wäh-rend des Aufnahmevorgangs zu platzieren.

Je nach Aufnahmeparameter können Strukturen selektivhervorgehoben werden (Gewichtung):▪ In der T1-gewichteten Aufnahme erscheint Fett hyper-

intens (signalreich, hell) und damit auch fettreiche Ge-webe (z. B. Knochenmark). Diese faserbetonte Ge-wichtung eignet sich gut zur anatomischen Darstel-lung des Discus articularis.

▪ In der T2-gewichteten Aufnahme erscheinen stationäreFlüssigkeiten hyperintens, sodass flüssigkeitsgefüllteStrukturen (z. B. Gelenkerguss, Zysten) signalreichund damit hell erscheinen.

▪ Als 3., in der CMD-Diagnostik eher weniger gebräuch-liche Option ist die Protonendichtewichtung (PD-Wich-tung) verfügbar. Diese vermeidet die T1- und T2-be-dingten Kontrastbildungen.

Jedoch nicht nur die Wichtung, sondern auch die Positiondes Unterkiefers ist relevant. So ist oftmals nicht nur dieDarstellung bei geschlossener Zahnreihe, sondern auchin therapeutischer oder in maximal weit mundoffener Po-sition hilfreich bei der Beurteilung der artikulären Struk-turen (▶ Tab. 6).

Die Indikation im Bereich der zahnärztlichen Funktions-diagnostik liegt primär in der Abklärung der Lage undForm des Discus articularis und seiner umgebenden Ge-webe. Auch die Position des Gelenkköpfchens innerhalbder Fossa articularis kann beurteilt werden.

Zur einfacheren Abgrenzung der Strukturen hat es sichals hilfreich erwiesen, Bewegungssequenzen (Cine-MRT)anzufertigen, da hierbei die dynamischen Abläufe desDiskus-Kondylus-Komplexes besser visualisiert werden(▶ Abb. 12). Die Detaildarstellung ist bei diesen Sequen-zen allerdings eingeschränkt.

Gemäß dem Bundesmantelvertrag-Ärzte § 28 kann dieBeauftragung formlos (gemäß § 13 Abs. 4 als Anspruchs-nachweis ausreichend) oder auf einem Rezeptformularmit der Verdachtsdiagnose und den geforderten Parame-tern erfolgen.

g für die Anforderung eines MRT zur Beurteilung der Kiefer-

Mund offen

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▶ Abb. 12 MRT des Kiefergelenks mit anteriorer Diskusverlagerung ohne Reposition (T1-Wichtung, Schnittführung parasagittal-oblique) ingeschlossener (a), halboffener (b) und maximal offener Mundöffnungsposition (c). Kreuz: Kondylus; Strichlinie: Diskus.

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Sonografie

Die Ultraschalldiagnostik ist eine eingeschränkt geeig-nete Alternative zur bildgebenden Darstellung des Dis-kus-Kondylus-Komplexes in Bewegung. Insbesondere diemedialen Anteile des Gelenkkomplexes sind durch dieknochenbedingte Verschattung nicht visualisierbar.Größter Vorteil ist die Darstellung intraartikulärer Bewe-gungen in Echtzeit. Auch kann die Ultraschalldiagnostikzur Messung der Dicke und Darstellung der Struktur derHauptkaumuskeln bei Auffälligkeiten (z.B. unilateraleMasseterhypertrophie) eingesetzt werden. Aufgrund derschwierigen Handhabung und Interpretierbarkeit der Bil-der ist die Anwendung und Auswertung entsprechendausgebildeten Spezialisten vorbehalten.

Psychosoziale Messinstrumente

Neben den bereits in der Standarddiagnostik erfasstenParametern Schmerzbeeinträchtigung, Depression undunspezifische körperliche Symptome können weitere Pa-rameter erfasst werden. So können Angsterkrankungen(z. B. mittels des State Trait Anxiety Inventory, STAI), Stress-belastung und Anzeichen auf eine posttraumatische Be-lastungsstörung abgeklärt werden. Des Weiteren kann,um das Schmerzerleben des Patienten besser zu verste-hen, die Hamburger Schmerz-Adjektiv-Liste (HSAL) Anwen-dung finden. Auch die psychologische Resilienz und dieHaltung zur Dankbarkeit können bei Personen mit chro-nischen Schmerzen von Interesse sein [26].

Interdisziplinäre Diagnostik

Wie an der Vielzahl potenzieller Faktoren erkennbar, kannder Zahnarzt alleine oftmals nur ein Screening leisten. BeiHinweisen auf außerhalb seiner Expertise liegende krank-heitsverursachende oder ‑unterhaltende Faktoren sollteer Spezialisten anderer Fachgebiete hinzuziehen. In einerVielzahl der Fälle wird der Partner der Physiotherapeutsein.

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

Auch eine nähere Abklärung durch einen psychologischgeschulten Arzt bei erheblichen Auffälligkeiten im psy-chologischen Screening ist oftmals sinnvoll, wenngleichdem Patienten nicht einfach zu vermitteln. Die Kunst be-steht hierbei, den Patienten auf seiner somatischenWahrnehmungsebene abzuholen [27].

Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, bei orthopädi-schen Auffälligkeiten die gesamtstatische körperliche Si-tuation durch einen Orthopäden beurteilen zu lassen. BeiVerdacht auf systemische Erkrankungen ist die Einbezie-hung eines Internisten zur weiteren Abklärung dringendzu empfehlen. Auch andere Fachärzte wie Neurologe, Au-genarzt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Mund-Kiefer-Ge-sichts-Chirurg können je nach abzuklärender Fragestel-lung konsultiert werden.

Diagnosebildung

Kraniomandibuläre Dysfunktionen sind eine heterogeneGruppe von Erkrankungen der Kiefergelenke und derKaumuskulatur. Die übergeordnete Diagnose „kranio-mandibuläre Dysfunktion“ ist demzufolge therapeutischwenig hilfreich. Eine weitere Subklassifizierung ist zurWahl der Therapie sinnvoll.

Eine Übersicht über die heute im Rahmen kraniomandi-bulärer Dysfunktionen möglichen Diagnosen gibt die er-weiterte Taxonomie der DC/TMD (▶ Tab. 7) [28]. Allerdingsist eine der größten Herausforderungen die Bildung jenerDiagnosen aus den gewonnenen Informationen. Wieauch andere Versuche der taxonomischen Erfassung set-zen diese Übersichten auf Vollständigkeit der Erfassungpathologischer Veränderungen. Hierbei bleiben derenHäufigkeit, diagnostische Abgrenzbarkeit und therapeu-tische Relevanz unberücksichtigt. Dadurch leidet dieÜbersichtlichkeit erheblich, weshalb diese Übersichtenfür den täglichen Gebrauch nur bedingt geeignet sind.

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▶ Tab. 7 Erweiterte physische Taxonomie der DC/TMD nach Peck [28].

Kiefergelenkserkrankungen Gelenkschmerz ▪ Arthralgie▪ Arthritis

Gelenkstörungen ▪ Diskusverlagerung (DV):▪ mit Reposition▪ mit Reposition mit intermittierender Blockade▪ ohne Reposition mit eingeschränkter Mundöffnung▪ ohne Reposition ohne eingeschränkte Mundöffnung

Hypomobilitätsstörungen außerDiskusstörungen

▪ Adhäsion▪ Ankylose (fibrös/knöchern)

Hypermobilitätsstörungen ▪ Dislokation (Subluxation/Luxation)

degenerative Gelenkerkrankungen ▪ Osteoarthrose▪ Osteoarthritis▪ systemische Arthritiden▪ Kondylolyse/idiopathische Kondylusresorption▪ Osteochondritis dissecans▪ Osteonekrose▪ Neoplasie▪ synoviale Chondromatose

Frakturen –

kongenitale Entwicklungsstörungen ▪ Aplasie▪ Hypoplasie▪ Hyperplasie

Kaumuskelerkrankungen Muskelschmerzen ▪ Myalgie▪ lokale Myalgie▪ myofaszialer Schmerz▪ übertragener myofaszialer Schmerz▪ Tendinitis▪ Myositis▪ Spasmus

Kontraktion –

Hypertrophie –

Neoplasie –

Bewegungsstörungen ▪ orofaziale Dyskinesie▪ oromandibuläre Dystonie

systemisch/zentral bedingte Schmerzen derKaumuskulatur

▪ Fibromyalgie▪ Widespread Pain

Kopfschmerzen CMD-assoziierter Kopfschmerz(s. a. ICHD-3)

assoziierte Strukturen koronoidale Hyperplasie –

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Dem stehen Taxonomien gegenüber, die sich auf Patho-logien mit relevanter Häufigkeit beschränken. Hierzuzählt im deutschsprachigen Raum die 1991 erstmals pu-blizierte und 2006 aktualisierte Nomenklatur der Deut-schen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und ‑therapie(DGFDT), die sich an der Grundstruktur der InternationalenKopfschmerz-Klassifikation der International Headache So-ciety (IHS) orientiert (▶ Tab. 8).

Bis jetzt ist es hierfür allerdings noch nicht gelungen, ei-nen nachgewiesen zuverlässigen diagnostischen Pfad vonden einzelnen Befunden zur konkreten Diagnose zu bil-den. Ahlers und Jakstat versuchten, mittels typischen,wahrscheinlichen und begleitenden Befunden bzw.Symptomen und einem Diagnosepiloten, diese Proble-matik anzugehen. Die Operationalisierung – und damit

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

eine von der individuellen Meinung und Erfahrung weit-gehend unabhängige, von subjektiver Bewertung los-gelöste Diagnosestellung – gelang ihnen aber nicht [5].Damit bieten sie einen Mehrwert gegenüber der über-wiegenden Mehrzahl der in Deutschland verfügbaren Be-funderhebungssysteme, die oftmals nur eine strukturier-te Erfassung relevanter Daten, aber nicht deren operatio-nalisierte Wandlung in Diagnosen unterstützen. Die Bil-dung einer konkreten Diagnose unterliegt jedoch weiter-hin dem Ermessen des individuellen Zahnarztes und isthierdurch erheblich von dessen bisheriger Erfahrung undseinem Wissen abhängig.

In Kenntnis dieses Problems wurden vor über 20 Jahrenvon diversen internationalen Fachgesellschaften, darun-ter auch der European Academy of Craniomandibular Dis-

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▶ Tab. 8 Diagnosen gemäß der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und ‑therapie [31].

Okklusopathien gestörte statische Okklusion

gestörte dynamische Okklusion

Pressen

Knirschen

Myopathien Druckdolenz einer oder mehrerer funktioneller Muskelgruppen

Arthropathien Diskusverlagerung ▪ mit Reposition▪ ohne Reposition

Arthrose ▪ aktiviert▪ inaktiv

Kapsulitis

Kondylusverlagerung ▪ nach kranial▪ nach kaudal

Kondylushypermobilität

Kondylusluxation

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orders, Anstrengungen unternommen, für die häufigstenDiagnosen reliable Kriterien zu schaffen. Dies resultiertein den Research Diagnostic Criteria for TemporomandibularDisorders (RDC/TMD), die 1992 publiziert wurden [16].Diese Kriterien waren primär zur Erlangung einer bes-seren Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse ge-dacht und haben sich zum De-facto-Standard in der inter-nationalen CMD-Forschung entwickelt.

Im Jahr 2014 wurde nach langem Ringen die Nachfolge-version, die um das „Research“ gekürzten DC/TMD, pu-bliziert [17]. Diese Version befindet sich derzeit in Über-setzung in die deutsche Sprache und kann nach erfolgrei-cher Validierung unter www.rdc-tmdinternational.comkostenfrei bezogen werden.

Grundsätzlich stellen die DC/TMD ebenfalls eine struktu-rierte Erfassung spezifischer Befunde dar, bieten aber 2derzeit einzigartige Vorteile: Es bestehen einerseits prä-zise Anweisungen, wie, wo und mit welcher Kraft die Un-tersuchungen erfolgen sollen. Andererseits existierenoperationalisierte Diagnosekriterien, die eine nach demaktuellen Wissensstand möglichst zuverlässige Bildungder häufigsten Diagnosen ermöglichen (▶ Tab. 9). Einedetaillierte Darstellung der Diagnosealgorithmen wurdebereits in deutscher Sprache publiziert [29, 30].

Insbesondere die Algorithmen sind ein Meilenstein beider Diagnosebildung von CMD. Dabei sollte aber nichtunberücksichtigt bleiben, dass neben diesen häufigenund abgrenzbaren Diagnosen viele Differenzialdiagnosenbestehen, deren Abgrenzung mittels operationalisierterdiagnostischer Kriterien noch nicht gelungen ist. Deshalbkann auf diese Diagnosekriterien nicht blind vertraut wer-den, da eine Sensitivität und Spezifität von nahezu 100%bei vielen der Diagnosen noch nicht erreicht wurden. Dieindividuelle klinische Erfahrung wird deshalb weiterhineine erhebliche Rolle spielen.

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

Leider lehnen einige Meinungsbildner eine Standardisie-rung der Diagnosebildung mit der Begründung der Indivi-dualität des Patienten vehement ab. Ohne Standardisie-rung der Diagnosebildung sind jedoch der Vergleich vonTherapieerfolgen und die Wahl der passenden Therapieerheblich erschwert.

MerkeDurch die Operationalisierung der Diagnosebildungwird eine vom individuellen Behandler weitgehendunabhängige und damit interindividuell vergleich-bare Diagnose mit bekannten Gütekriterien erlangt.

Abrechnung

Entsprechend § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V dürfen diegesetzlichen Krankenkassen die Kosten für funktionsana-lytische Leistungen (Analyse der Kiefergelenke, der Kau-muskulatur und umgebender Strukturen) nicht überneh-men. Eine Diagnose ist für die Veranlassung einer Thera-pie aber eine Conditio sine qua non. Damit eine medizi-nisch sinnvolle Diagnostik, insbesondere eine umfassen-de Anamnese, erfolgen kann, ist aus wirtschaftlicherSicht eine Privatliquidation dieser Leistungen unumgäng-lich. Die Berechnung dieser Leistungen erfolgt aus die-sem Grund auch für GKV-Versicherte nach der Gebühren-ordnung für Zahnärzte (GOZ, Stand: 2012).

In der Regel werden bei der Erstvorstellung eines Patien-ten mit Verdacht auf CMD eine Kontrolluntersuchung,Aufklärung, Kosteninformation sowie die Anfertigungeiner Panoramaschichtaufnahme erfolgen, Leistungen,die auch im Rahmen der GKV liquidiert werden können.In einer nachfolgenden Sitzung erfolgen dann eine aus-führliche Anamnese und eine Ergänzung der bereits er-hobenen Befunde zur Komplettierung der Standarddiag-nostik.

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▶ Tab. 9 Kriterien für Diagnosen der Achse I gemäß den DC/TMD [17].

Diagnose Anamnese Befunde

Schmerzhafte Diagnosen

Myalgie (Sensitivität: 90%; Spezifität: 99%) Schmerzen im Kausystem, die sich durchKieferbewegungen, unter Belastung oder beiparafunktionellen Aktivitäten beeinflussenlassen

Angabe von bekannten Schmerzen im Bereichder Mm. temporales odermasseterici bei

▪ Palpation dieser Muskeln▪ maximaler aktiver oder passiver Mund-

öffnung

myofaszialer Schmerz mit übertragenemSchmerz (Sensitivität: 86%; Spezifität: 98%)

siehe Myalgie Angabe von bekannten Schmerzen auf Palpa-tion im Bereich der Mm. temporales odermas-seterici. Angabe von Schmerzen außerhalb deranatomischen Grenzen des palpierten Muskels(z. B. übertragen zu einem Zahn)

Arthralgie (Sensitivität: 89%; Spezifität: 87%) siehe Myalgie Angabe von bekannten Schmerzen im Kiefer-gelenk bei

▪ Palpation der Kiefergelenke▪ maximaler aktiver oder passiver Mund-

öffnung, Seitwärts- oder Protrusions-bewegung

CMD-assoziierter Kopfschmerz (Sensitivität:89%; Spezifität: 87%)

Kopfschmerzen im Temporalisbereich, die sichdurch Kieferbewegungen, unter Belastungoder bei parafunktionellen Aktivitäten beein-flussen lassen

Angabe von bekannten Kopfschmerzen imBereich der Schläfen bei

▪ Palpation der Mm. temporales▪ maximaler aktiver oder passiver Mund-

öffnung, Seitwärts- oder Protrusions-bewegung

Anmerkung: Zusätzlich muss eine weitereschmerzhafte CMD-Diagnose vorliegen.

Schmerzfreie Diagnosen

Diskusverlagerung mit Reposition(Sensitivität: 34%; Spezifität: 92%)

Geräusche in den Kiefergelenken knackende Geräusche bei

▪ Mundöffnung undMundschluss▪ Mundöffnung oderMundschluss und bei

Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

Diskusverlagerung mit Reposition und inter-mittierender Mundöffnungseinschränkung(Sensitivität: 38%; Spezifität: 98%)

Geräusche in den Kiefergelenken undtemporäre Mundöffnungsbehinderung

knackende Geräusche bei

▪ Mundöffnung undMundschluss▪ Mundöffnung oderMundschluss und bei

Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

Diskusverlagerung ohne RepositionundmitMundöffnungseinschränkung(Sensitivität: 80%; Spezifität: 97%)

Mundöffnungseinschränkungmit aktuelleroder früherer Behinderung der Fähigkeit zuessen

maximale passive Mundöffnung unter 40mm

Diskusverlagerung ohne Repositionund ohneMundöffnungseinschränkung(Sensitivität: 54%; Spezifität: 79%)

Mundöffnungseinschränkungmit aktuelleroder früherer Behinderung der Fähigkeit zuessen

maximale passive Mundöffnung 40mm odermehr

degenerative Gelenkerkrankung(Sensitivität: 55%; Spezifität: 61%)

vorhandene Geräusche in den Kiefergelenken Reiben während der maximalen aktivenMundöffnung, Seitwärts- oder Protrusions-bewegung

Subluxation (Sensitivität: 98%;Spezifität: 100%)

Mundschlussbehinderung in weit geöffneterPosition, die sich durch Manipulation lösenlässt

Bei klinischem Vorliegen der Störung ist einManöver zur Deblockade notwendig.

78 Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

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▶ Tab. 10 Gemäß dem Kommentar der BZÄK (Stand: Juli 2016) zusätzlich zur GOZ 8000 berechnungsfähige Leistungen.

Leistungen Abrechnungsziffer

eingehende Untersuchung GOZ 0010, alternativ GOÄ 6

Beratung GOÄ 1

symptombezogene Untersuchung GOÄ 5

Röntgenuntersuchungen GOÄ 5000 ff

Abformung für Situationsmodelle GOZ 0060

Vitalitätsprüfung GOZ 0070

Parodontalstatus GOZ 4000

manuelle Strukturanalyse GOZ § 6 Abs. 1

Tests zur Aufdeckung orthopädischer Cofaktoren GOZ § 6 Abs. 1

Tests zur Aufdeckung psychosomatischer Cofaktoren GOZ § 6 Abs. 1

CMD-Screening zur Überprüfung des Vorhandenseins spezifischer Symptomekraniomandibulärer Dysfunktionen

GOZ § 6 Abs. 1

FAZIT

Diagnostische Instrumente bzw. Verfahren zur Diagnosebildung

sollten zumWohl des Patienten eine zuverlässige Diagnosebildung

ermöglichen. Die Diagnose sollte daher primär auf den Informatio-

nen aus der Standarddiagnostik basieren. Dazu zählen eine umfas-

sende schmerzbezogene Anamnese, eine psychosoziale Diagnostik,

eine klinische Funktionsanalyse, eine klinische Okklusionsanalyse

und eine Panoramaschichtaufnahme.

Die Untersuchungsmethoden der erweiterten Diagnostik eignen

sich derzeit mangels ungeklärter Fragen hinsichtlich ihrer Gütekrite-

rien bzw. der therapeutischen Relevanz nicht für den Routineeinsatz

und sollten spezifischen Fragestellungen bzw. in der Funktionsdiag-

nostik sehr erfahrenen Personen vorbehalten bleiben, da ansonsten

das Risiko einer Fehlversorgung besteht. Auch die Diagnosebildung

sollte, insofern derzeit möglich, auf Algorithmen basieren, die be-

kannte Gütekriterien aufweisen.

Nichtsdestotrotz ist das Wissen des Untersuchers zur differenzial-

diagnostischen Abklärung und Prüfung der Plausibilität im Einzelfall

unverzichtbar. Insbesondere die differenzialdiagnostische Abklä-

rung bzw. die Suche nach auslösenden und unterhaltenden Faktoren

erfordert oftmals eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und viel

Fingerspitzengefühl bei der ausführlichen Anamnese.

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Für die klinische Funktionsanalyse inklusive Dokumenta-tion ist die Position GOZ 8000 vorgesehen. Die Leistungnach GOZ 8000 umfasst die prophylaktische, protheti-sche, parodontologische und okklusale Befunderhebung,funktionsdiagnostische Auswertung von Röntgenaufnah-men des Schädels und der Halswirbelsäule sowie klinischeReaktionstests (z. B. Resilienztest, Provokationstest), wo-bei die BZÄK in ihrem Kommentar zur GOZ eine form-gebundene Dokumentation (z.B. mittels der bereits er-wähnten Erhebungsbögen) empfiehlt.

Eine CMD-Vorsorgeuntersuchung (Screening) erfülltnicht die Anforderungen an die GOZ 8000. Eine Übersichtzu zusätzlich berechnungsfähigen Leistungen ist in▶ Tab. 10 dargestellt. Diese ist nicht konform mit derAuffassung des Verbands der privaten Krankenversiche-rung, der ein psychosomatisches Screening und dasScreening des kraniozervikalen Systems als Bestandteileder klinischen Funktionsanalyse und damit der GOZ 8000ansieht. Das CMD-Screening wird vonseiten des Verbandsals Bestandteil der GOZ 0010 betrachtet (Stand: April2016).

Für weiterführende Maßnahmen zur klinischen Funk-tionsanalyse (z.B. manuelle Strukturanalyse) wird vomVerband der privaten Krankenversicherungen zur analo-gen Verwendung die Position 8000 empfohlen.

Je nach Komplexität der Krankengeschichte sollte für dieStandarddiagnostik inklusive Aufklärungsgespräch 60(schmerzfreies Knacken) bis 90 Minuten (multiple Vor-behandlungen, psychosomatisch auffällige Personen)eingeplant werden. Um den Zeitaufwand planbarer zugestalten, ist es ratsam, dem Patienten bei der Erstvor-stellung bereits die Fragebögen zur Anamnese und psy-chosozialen Diagnostik auszuhändigen, die dieser abererst einen Tag vor dem Untersuchungstermin komplet-

Schierz O. Untersuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–8

tieren und dann zum Termin mitbringen soll. Dies erlaubtsowohl eine strukturierte und zeiteffektive Anamnese alsauch eine objektivierte Bewertung der psychosozialenParameter.

Danksagung

Ich danke Herrn Ingolf Riemer für die Unterstützung beider Anfertigung und Bearbeitung der fotografischen Auf-nahmen.

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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Über die Autoren

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Oliver Schierz

Dr. med. dent.; 1995–2000 Studium der Zahn-medizin an der Universität Leipzig. Seit 2000wissenschaftlicher Mitarbeiter der Poliklinik fürZahnärztliche Prothetik undWerkstoffkunde ander Universität Leipzig. 2005 Ernennung zumOberarzt und Leitung der klinischen studenti-

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schen Ausbildung. Schwerpunkte: Funktionsdiagnostik, mund-

gesundheitsbezogene Lebensqualität, klinische Forschung.

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Korrespondenzadresse

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Dr. med. dent. Oliver Schierz

Universitätszahnmedizin LeipzigPoliklinik für Zahnärztliche Prothetik und WerkstoffkundeLiebigstr. 12, 04103 LeipzigTel.: 0341/9721300, Fax: 0341/[email protected]

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Schierz O

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Bibliografie

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DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0042-115054Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New YorkISSN 1865-0457

rsuchung und Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

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Frage 1

Welche der folgenden Definitionen ist nicht korrekt?A Die Reliabilität beschreibt den klinischen Nutzwert eines Un-

tersuchungsverfahrens.B Die Validität beschreibt, ob das Testverfahren im Mittel den

Parameter des Interesses korrekt erfasst.C Die Sensitivität gibt den Prozentsatz erkrankter Patienten an,

bei denen die jeweilige Krankheit durch die Anwendung desTests tatsächlich erkannt wird.

D Die Spezifität gibt den Prozentsatz nicht erkrankter Personenan, die im Test auch als nicht erkrankt erkannt werden.

E Der Vorhersagewert dient der Einschätzung der Aussagekraftvon medizinischenTestverfahren unter Verwendung der Sen-sitivität und Spezifität.

Frage 2

Was zählt nicht zur Standarddiagnostik bei CMD?A schmerzbezogene AnamneseB psychologisches ScreeningC instrumentelle FunktionsanalyseD klinische FunktionsanalyseE Panoramaschichtaufnahme

Frage 3

Welche diagnostischen Kennwerte hat die Panoramaschichtauf-nahme für osteoarthrotische Veränderungen der Kiefergelenke?A Sensitivität: 24%, Spezifität: 76%B Sensitivität: 99%, Spezifität: 26%C Sensitivität: 49%, Spezifität: 51%D Sensitivität: 26%, Spezifität: 99%E Sensitivität: 100%, Spezifität: 100%

Frage 4

Was bezeichnet die Achse II der DC/TMD?A die Achse der Kiefergelenke bei RotationB die Achse der Kiefergelenke bei TranslationC klinische FunktionsbefundeD psychosoziale Parameter bei CMDE genetische Faktoren von CMD

Diagnosebildung… Zahnmedizin up2date 2017; 11: 59–82

Frage 5

Was beschreibt der Gerber-Test?A die Differenz zwischen habitueller und zentrischer Kondylen-

positionB einen dynamischen GelenktestC einen isometrischen MuskeltestD einen Resilienztest der KiefergelenkeE die Differenz der Kondylenposition bei leichtem und festem

Zubeißen

Frage 6

Welche Aussagen zur Magnetresonanztomografie sind richtig?A Die MRT ist ein Verfahren zur dreidimensionalen Bildgebung.B Diese faserbetonte Gewichtung (T1) eignet sich gut zur ana-

tomischen Darstellung des Discus articularis.C In der T2-gewichteten Aufnahme erscheinen stationäre Flüs-

sigkeiten hyperintens (z. B. Gelenkerguss, Zysten).D Die Indikation im Bereich der zahnärztlichen Funktionsdiag-

nostik liegt primär in der Abklärung der Lage und Form desDiscus articularis und seiner umgebenden Gewebe.

E Eine MRT der Kiefergelenke kann nur durch Fachärzte ver-anlasst werden.

Frage 7

Für die Diagnose eines wahrscheinlichen Bruxismus werden fol-gende Befunde benötigt:A Bruxismusanamnese positivB Bruxismusanamnese positiv und Polysomnografie positivC klinische Befunde positiv und Polysomnografie positivD klinische Befunde positiv und Elektromyografie positivE Bruxismusanamnese positiv und klinische Befunde positiv

▶ Weitere Fragen auf der folgenden Seite…

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Frage 8

Welche Untersuchung zählt nicht zur klinischen Funktionsana-lyse?A Palpation der KaumuskulaturB Palpation der LymphknotenC Palpation der KiefergelenkeD Messung der MundöffnungskapazitätE Messung der Laterotrusionsbewegung

Frage 9

Welche Diagnose wird durch die folgenden Kriterien charakteri-siert: Die Anamnese ergibt Geräusche in den Kiefergelenken, dieUntersuchungsbefunde sind knackende Geräusche bei Mund-öffnung und/oder Mundschluss und bei Seitwärts- oder Protru-sionsbewegung.A ArthralgieB OsteoarthroseC MyalgieD Diskusverlagerung ohne RepositionE Diskusverlagerung mit Reposition

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Frage 10

Welche Diagnose wird durch folgende Befunde charakterisiert:Schmerzen im Kausystem, die sich durch Kieferbewegungen,unter Belastung oder bei parafunktionellen Aktivitäten beein-flussen lassen. Angabe von bekannten Schmerzen im Bereichder Mm. temporales oder Mm. masseterici bei Palpation dieserMuskeln und maximaler aktiver oder passiver Mundöffnung.A ArthralgieB OsteoarthroseC MyalgieD Diskusverlagerung ohne RepositionE Diskusverlagerung mit Reposition

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