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G. H. Miiller, Die versaumte Extrak~ion 123 A us der Klinik und Poliklhlik fiir Mund-, Z~hn- urld Kieferkrankheiten Boom (Kommiss. Leiter: Prof. Dr. E. Sanerwein) Die vers/iumte Extraktion Von G. II. Miiller, Bonn Mit 18 Abbitdungen Soll ein zu enger Zahnbogen durch Erweitern oder durch Extraktion einzelner seiner Glieder korrigiert werden? So stellt sich die Frage nach der LSsutlg eines kieferorthopi~dischen Kardinalproblems. Die Antworten fallen unterschiedlich aus, mid soIange keine klaren Vorstellungen dariiber bestehen, weshalb die Implosion des Gebisses beim Zivilisierten praktisch die gegel ist, solange muB die gefiihrte Polemik in Mif3behagen enden. Gehen wir aus yon einem typischen Kompressionsfall mit frontalem Engstand (Abb. 1) : Bei einer S I yon 34 Inm lag ein transversales I)efizit yon etwa 12 mm vor, verbunden mit Verktirzung der Zahnb6gen (getrusion der Front, Mesial- wanderung der Sechsjahrmolaren). MAt aktiven Platten walrden die Fehlmai3e ausgeglichen und bis zu 4 mm fiberkompensiert, so daL~ im Frontbereieh beider Kiefer LtiCken entstanden (Abb. 2). Die aktive Beband]ung erstreekte sich im Oberkiefer auf 4 Jahre, im Unterkiefer auf 5 Jahre. Unter Verwendung des Akti- vators schloi] sich eille 3- bzw. 2jahrige l~etentions- und Abgew6hnungszeit an. Abb. 3 l'agt erkennen, d aI] trotz dieses ~ulterst bed~chtigen Vorgehens in 7j~thri- gem Bemiihen bei ansgezeichneter MAtarbeit des Patienten es nicht gelungen ist, stabile Gebil~verhaltnisse zu erreichen. Dabei war es zweifellos nicht zu einem alveo- l~ren Kippen der Zahne in. das Vestibulum gekommen, sondern za einer breitbasi- gen Verankerung des Gebisses. Weniger als ein Jahr nach dem endgiiltigen Ab- setzen der Behandlungsger~te trat in allen Absehnitten ein erneutes Breitendefizit ein, maximal im oberen Pr~molarengebiet mit 4 m m, d. h. unter Berticksichtigung der vorherigen l~berdehnung ein Gesamtrfickgang um 8 ram. Die Schilderung eines derartigen Behandlungs~erlaufes w'~re uninteressant, wenn es sich um einen Einzelfall handelte. Eigene ldinische Erfahrungen und zahlreiche Hinweise aus der Literatur -- in letzter Zeit z. B. durch ]3roekman, Schmuth u. a. -- zeigen aber, dal3 ein go unbefriedigender Ausgang h~ufig befiirehtet werden Inul3. Es stellt sich die Frage, aug welchen Ursachen das Gebil3 sich striiubt, trotz der ihm gew~hrten basalen Entwicklungshilfe in seiner Struktur zu ,,gesunden". Man miif~te doch annehmen, daft die Z~hne, einmal in ihre ,,normale" Anordnung zueinander gebracht und dort eine Weile gehalten, in dieser offenbar yon der Na- fur vorgesehenen Stellung auch verharren. Einen wesentlichen Faktor ftir die Instabilit~t des Erreichten erkannte P. lg. Begg in des -- im Gegensatz zum .Primitiven -- mangelnden Abrasion des Ge- bisses beim Zivilisierten. Nach seinen Messungen am australischen ,,Stone Age Man" kommt es bei diesem dutch approximale Abrasion bereits bis zur Zeit kurz nach Durchbruch der zwei*en ~olaren zu einer Verkfirzung des Zahnbo-

Die versäumte Extraktion

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G. H. Miiller, Die versaumte Extrak~ion 123

A us der Klinik und Poliklhlik fiir Mund-, Z~hn- urld Kieferkrankheiten Boom (Kommiss. Leiter: Prof. Dr. E. Sanerwein)

Die vers/iumte Extraktion

Von G. II. Miiller, Bonn

Mit 18 Abbitdungen

Soll ein zu enger Zahnbogen durch Erweitern oder durch Extrakt ion einzelner seiner Glieder korrigiert werden? So stellt sich die Frage nach der LSsutlg eines kieferorthopi~dischen Kardinalproblems. Die Antworten fallen unterschiedlich aus, mid soIange keine klaren Vorstellungen dariiber bestehen, weshalb die Implosion des Gebisses beim Zivilisierten praktisch die gegel ist, solange muB die gefiihrte Polemik in Mif3behagen enden.

Gehen wir aus yon einem typischen Kompressionsfall mi t frontalem Engstand (Abb. 1) : Bei einer S I yon 34 Inm lag ein transversales I)efizit yon etwa 12 m m vor, verbunden mit Verktirzung der Zahnb6gen (getrusion der Front, Mesial- wanderung der Sechsjahrmolaren). MAt aktiven Plat ten walrden die Fehlmai3e ausgeglichen und bis zu 4 m m fiberkompensiert, so daL~ im Frontbereieh beider Kiefer LtiCken entstanden (Abb. 2). Die aktive Beband]ung erstreekte sich im Oberkiefer auf 4 Jahre, im Unterkiefer auf 5 Jahre. Unter Verwendung des Akti- vators schloi] sich eille 3- bzw. 2jahrige l~etentions- und Abgew6hnungszeit an. Abb. 3 l'agt erkennen, d aI] trotz dieses ~ulterst bed~chtigen Vorgehens in 7j~thri- gem Bemiihen bei ansgezeichneter MAtarbeit des Patienten es nicht gelungen ist, stabile Gebil~verhaltnisse zu erreichen. Dabei war es zweifellos nicht zu einem alveo- l~ren Kippen der Zahne in. das Vestibulum gekommen, sondern za einer breitbasi- gen Verankerung des Gebisses. Weniger als ein Jahr nach dem endgiiltigen Ab- setzen der Behandlungsger~te t ra t in allen Absehnitten ein erneutes Breitendefizit ein, maximal im oberen Pr~molarengebiet mit 4 m m, d. h. unter Berticksichtigung der vorherigen l~berdehnung ein Gesamtrfickgang um 8 ram.

Die Schilderung eines derartigen Behandlungs~erlaufes w'~re uninteressant, wenn es sich um einen Einzelfall handelte. Eigene ldinische Erfahrungen und zahlreiche Hinweise aus der Li tera tur - - in letzter Zeit z. B. durch ] 3 r o e k m a n , S c h m u t h u. a. - - zeigen aber, dal3 ein go unbefriedigender Ausgang h~ufig befiirehtet werden Inul3.

Es stellt sich die Frage, aug welchen Ursachen das Gebil3 sich striiubt, t rotz der ihm gew~hrten basalen Entwicklungshilfe in seiner Struktur zu ,,gesunden". Man miif~te doch annehmen, daft die Z~hne, einmal in ihre , ,normale" Anordnung zueinander gebracht und dort eine Weile gehalten, in dieser offenbar yon der Na- fur vorgesehenen Stellung auch verharren.

Einen wesentlichen Faktor ftir die Instabili t~t des Erreichten erkannte P. lg. B e g g in des - - im Gegensatz zum .Primitiven - - mangelnden Abrasion des Ge- bisses beim Zivilisierten. Nach seinen Messungen am australischen ,,Stone Age Man" kommt es bei diesem dutch approximale Abrasion bereits bis zur Zeit kurz nach Durchbruch der zwei*en ~ola ren zu einer Verkfirzung des Zahnbo-

124~ Fortsehritte der KielerorthopSdie Bd. 29 (1968) Heft 1

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3

Abb. 1 bis 3. Fall P. W., Kieferkompression mit frontalem Engstand Abb. 1. Zustand bei Behandlungsbegilm

Abb. 2; Zustand naeh 5j~hriger aktiver Behandlung _4.bb. 3. Rezidiv knapp ein Jahr nach Beendigung der Retention, 8 Jahre naeh Behandlungs-

beginn

gens nm anns 10% (urn 5,28 m m pro Unterkieferhalf~e yon ursprtinglich 56,78 ram, im ObGrldGfer etwa I m m welliger).

Vm diese Verg.nderungen naGhzuprtifen, dig naeh ]~egg zwangsl&ufig zur ,,wh'klieh normalen': Gebil3entwicklung geh6ren, mfissen wir night nnbedingg die ml~er Steinzei~verh&ltnissen leben.den An~ipode~l untersuehen, sondern wollen uns mit der Bet.rachtung dreier ehemaliger Bewohner des Donner g a u m e s be- gntigen, die aus der Hallstat~zeit s tammend (etwa 400 v. u.Z.) , vor kurzem aus- gegraben worden sind. - - Die S~hgdG1 geh6ren der Sammlung yon Prof. S a u e r - w e i n an, und wir m6eh~en ftir deren Uberlassung aneh an dieser Stelle unsereI1 verbindliehen Dank zum Ausdruck bringGn.

Sela/~del Nr. I (53104), Lebensalter etwa 22 his 26 Jahre, (Abb. 6), la13g neben Abkauung der okklusalen F1/~ehen besonders im Oberkiefer erhebliehe abrasions- bedingte Abflaehungen an den Approximalseiten der Z~Lhne erkenrten; dutch die darauf zurtiekzufiihrende VGrldirzung der Zahnreihen erhielten die V~'eisheitszahne g a u m zur Einstellung, u n d die untere Front s~eht jetzt ltiekig. (Verlust yon 8 1 ~J- 1 und yon - -2 postmortal .)

Seh~del Nr. I f (53102a), Lebensalter e~wa 17 bis 20 Jahre, (Abb. 5), zeigg seiner Jugend entspreehende Abrasion; die Weisheitszahne sind nieht angelegg, h~tten abet in beiden Kieiern gentigend Platz zur Einstellnng. Aneh hier resultiert, wahrschei~lieh in Zusammenhang mit der approximalen Abrasion, ein frontaler Liiekenstand. (Verlusg yon -/1 postmortal.)

Seh/Ldel Nr. I I I (53 IOiC), Lebensalter etWa 23 his 25 Jahre, (Abb. 6), weis~ besonders ausgepr&gte Abrasionsmerkmale anti ])rei Weisheitsz&hne fanden Pla~z

G. I~. 3/[filler, Die vers~um~e Extraktion 125

zu korrekter Einstellung, der ]inke obere fehlt. Interessanterweise besteht aber in diesem Halle trotz der starken approximalen Abrasion frontaler Engstand. Wit schliel3en ans diesem Ph~nomen, dal3 neben dem yon Beg g herausgestellten Abra- sionsfaktor n,och mindestens e ine andere Ursache fiir die Zahnbogenimplosion vorliegen toni3. Betrachten wir in nnserem Halle den massiven Sehwund des Alveo- larknochens, so bietet sieh die Vermutung an, dieser Mensch sei wghrend der letz- ten. Zeit seines Lebens dureh entzfindliche Prozesse in der MundhShle kaufunktio- nell betr~chtlich gest6rt gewesen. Unterwertige Kaufunktion bedentet aber, wie wir i~ einer frfiheren Arbeit ausffihrlich darlegten (1963), zu geringe Aktivit~t des Zungenmuskels und damit dessen Volumenminderung. Die zn klein gewor- dene Zunge wirkt wie ein fiberm/~l~ig zurfiekgesehraubter Aktivator, und die Zahn- reihen breehen naeh lingual zusammen, bis wieder ausgegliehene Druckverh~lt- nisse herrsehen.

Abb. 4 bis 6. Drei Seh'~del yon Menschen dcr Hallstattzei~ (etwa 400 v. u. Z.), ausgegraben in Wesseling be i Bonn (S~mmlg. E. Sauerwein)

Abb. 4. Schgdel ~r. I (53104), etwa 22 bis 26 Jahre. Neben dcr okklusalen auch starke approxi- male Abrasion: dadurch liickige Front und Ranm fiir die Weisheitszglme. (Verlust yon 8 1~-1

and yon - - 2 postmortal)

126 Fortsehritte der Kieferorthopiidie Bd. 29 (1968) Heft 1

F/Jr diese Anffassung sprieht am vorliegenden Schgdel u.a. , dal3 gewisse Sehneidezahnpartien, die uttter physiologiseh zu erwartenden Kaubewegungen kaum mehr in Kor~t, akt mit ihren Antago~fistea gelangen; offenbar volt frtiher her deutliche Abkauungen aufweisen.

Die folgenden schematisehen Darstellungen m5gen die geschilderten Zusammen- h~nge besser verstehen lassen (Abb. 7 bis 18) :

A bb. 7 brin.gt die Verh~ltnisse ir~ dem nachBegg einzig zu Recht mit ,,normM" bezeiehneten Gebig, dem abgekauten GebiB des Primitiven: Der in der Zeiehnung wix'kliehkeitsgetreu urn. etwa 10% verkfirzte Zahn.bogen liegt stabil eingebettet z~visehen peripherer Weiehteilh/ille und Zunge.

Abb. 5 Abb. 6

Abb. 5. Seh~del Nr. II (53102d), etw~ 17 bis 20 Jahre. Dem Alter entspreehend etwas ge- ringere Abrasion sis bei 2NT1 ". I. Wiederum ltiekige Front: Weisheitsz~hne nieht angelegt, aber

geniigend Platz. (Verlust yon @i postmortal)

Abb. 6. SehSdel Nr. I I I (53101e), etwa 23 his 25 Jahre. Trotz uusgepr~gter Abrasion frontaler Engstand, der als (SpEt-)Folge yon Unterfunktion (mit sekund~rer Reduktion des Zungen- volumens) gedeutet wird: Der massive Abbau des Alveolarknoehens lagt umfangreiehe ent-

ziindliehe Prozesse in der MundhShle vermuten

G. tI. l~[filler, Die versgum%e Extraktion ]27

Abb. 7 his 18. Sehematische Darstellung der Abh~ngigkeit der Zahnbogenform yon Abrasion und ZungengrSBe

Abb. 7 Abb. 8 Abb. 7. Der wi rk l i ch normale Zahnbogen des erwachsenen Menschen - - unter Primitiv- Funktion mit approximaler Abrasion yon etwa 10% -- , druckstabil zwischen/iuBeren Weich-

teilen nnd (volumh~Sser) Zunge eingebettet Abb. 8. Theoretisehe Zahnbogenform bei Ausbleiben der approximalen Abrasion: Druckver-

h~iltnisse der Weiehteile nicht ausgeglichen

Abb. 9 Abb. 10 Abb. 9. Implosion des Zahnbogens yon Abb. 8 (hier in 1%rm des Eckzahnaugenstandes) his zum Erreiehen stabiler Druckverh~ltnisse zwischen inneren und/s Weichteilen

Abb. 10. Zus~tzliche Instabilitgt dureh den infolge yon Hypofunktion zu kleinen Zungenmuskel

Bei Ausbleiben der Abras ion mi ig te sieh die Zahnreihe gemaB Abb. 8 auf- bl/~hen u n d k/~me weitab yon der Zunge zu liegen. Die Druekverhal tnisse wiirden ins tabi l u n d m/igten den Zahnbogen zwangsl'~ufig zur Implosion zwingen.

Es k6nnte dabN z. B. die hs anzutreffende Form des Eekzahnaul~enstandes e in t re ten (Abb. 9), es kSnnte abet aueh dureh Abweiehen an.derer Glieder aus der Zahnreihe wieder ein druckstabi ler Zus t and erreieht werden.

128 :Fortsehritte der Kieferorthopgdie Bd. 29 (1968) I-left 1

Zu den allein ~uf m~ngelnde Abkauung zurfiekgefiihrte~ Vergndermlgen treten die Einflit~e der infolge Itypofunktion zu ldeinen Zunge. Abb. 10 deutet d~s d~r- ~us resultierende zusgtzliche Instabilwerden des vorigen Zustandes an.

Notgedrtmgen rutscht der Zahnbogen welter nach lingual zusammen (Abb. 11), hier angermmmen mit restlichem L/ickenschlufi im Eckzahngebiet and mit Dis~al' stand der Achter.

Zur Behebung derartiger Anomalien bieten sich, wie bereits am Aafang unserer t~berlegtmgea zum Ausdruck gebracht, zwei M5glichkeitea an: Erstens kann

Abb. !1 Abb. 12

Abb. 11. Weitm'e Implosion des Zahnbogens, wiederum his zum Druckausgleich (hier mit SchluB der Restlticken bei 3 d- 3 and Dista]stand der Weisheitszghne)

Abb. 12. Therapeutischer Ausgleich des Zustandes in Abb. 11 dttrch Entfernen je eines Zahnes auf jeder Kieferseite. (Hier lediglich verbleibender Platzmangel f~r die Achter)

Abb. 13 Abb. 14~

Abb. 13. Ther~peutischer Ausgleich des Zustandes in Abb. 11 dnrch Einbringen einer kiefer- orthop-~dischert Appar~ur, d. h. eines artifizidlen, Zusitzlichen Zungenvolumens

Abb. 14. Instabiler Zustand des erwei~erten Zahnbogens nach Entfernen der Apparatur

G. K. ~iiller, Die versgumte Extraktion 129

dutch Entfernen eines Zahnes auf jeder Seite Platz gesehafft werden (Abb. 12). Die wohlgeordnete Zahm'eihe nimmt dann, zwischen peripherem Muskelschlaueh und Zunge unter Druekausgleieh eingebettet, wieder eine stabile Lage ein. (Le- diglich die Aehter haben in unserem Falle noeh nicht genfigend gaum.)

Zweitens kan:a der implodierte Zahnbogen abet aueh - - ohne Extrakt ion - - dureh Erweitern in eine formm~gig korrekge Stellung gebraeht werden (Abb. 13), wie dies bei unserem eingangs vorgestellten Patienten gesehehen war. Solange die eingegliederte Apparatur dann im Munde belassen wird, liegt aueh bei diesem Vorgehen am Ende ein stabiler Zustand vor.

Das Verh~ltnis ~ndert sieh aber grundlegend mit dem Absetzen des Ger~tes (Abb. 14), ganz gleich, weleher Art dieses auch sein m6ge: Stets wird der 1Vfur~d- h6hle kfinstliehes Zungeavolumen bzw. Quasivolumen (Feder~'af~e, vestibular enthemmende Behelfe) entnommen, das einem erhebliehen P.rozents~tz des natfir- lichen Zungenvolumens entspricht. Wit hat ten ffir Aktivatoren ein Durehschnitts- volumen yon etwa l0 em a ermittelt, ffir zw~i aktive Platten yon etwa 7 em a (Mfiller 1963), bei einem Durehsehnittsvolumen der Erwaehsenenzunge yon etwa 50 bis 60 em~ ( Je lonek) . - - In Anbetraeht dieser Zusammenh/~nge sollte man sieh nieht fiber eintretende Rezidive wundern, sondern eher fiber deren fallweises Aus- bleiben. '

Zu den bisher erwghnten Ursaehen ffir dis Zahnbogeneinengung kommt als weiterer Faktor hinzu die mangehlde o k k l u s a l e Abrasion in Verbindung m i t dem kontinuierlieh weiterlaufenden physiologisehen Zahndurehbrueh, der naeh 3 ~ u r p h y nieht nur dm'eh vertikalen Alveolarsehwund vorget/~useht wird und beim Primitivea in der VertikMabrasion seinen Ausgleieh finder, beim Zivilisierten jedoeh zu einer permanenten l~berh6hung des IJntergesiehtes ffihrt.

Das Schema in Abb. 15 zeigt den Zastand eines Erwaehsenengebisses mit okklusaler Abrasion. Das stabile Verh/iltnis der Zahnbogenh6he zur Vertikalaus- dehnung der Yrimitiv-Zunge ist dureh die auf gleiehem Niveau liegende obere Ab- sehluBlinie angedeutet.

Bleibt dagegen die okklusale Abrasion unter Fortbestehen des physiologisehen Durehbruehs der Z/ihne aus, entsteht ein Draekdefizit des Ztmgenmuskels auI die Umgebung, als zusgtzliehe - - vertJkale - - Ursaehe f/it die Implosion des Gebisses (Abb. 16).

I~inzu tr i t t beim Zivilisierten wieder der verstgrkende Effekt dnreh die auf Unterfunktion beruhende Zungen*Hypotrophie (Abb. 17).

Aueh die gesamte auf Vertika.lfaktoren beruhende Instabilit/~t kam~ zu- n/~ehst dureh Einbringen kieferorthop~diseher Gergte abgefangen werden, analog zu unseren Ausftihrungen fiber dis horizontale Dimension (Abb. 18).

Die gleiche l~bereinstimmnng besteht da~m aiIerdings aueh bez~glJeh tier Aus- wirknngen beim Absetzen der Behe]fe : Das intraorale Drucksys%em wh'd instabil, das gezidiv ist zu erwarten; denn die beiden Mer erSrterten g~iologisehen Faktoren ffir dis Zahnbogenenge, mangelnde Abkannng und reduziertes Zangenvolamen, werden dutch unsere Erweiterungsmagnahmen nieht vergndert, such nieht dureh die sogenannte Funktionskieferorthopgdie.

Absehliegend sei bemerkt, dab wit hoffen, mit unseren Ansffihrungen das Ge- wissen ma~ehes kieferorthopgdiseh tgtigen Kollegen zu entlasten, so ~vie wk" unser eigenes ber uhigen konnten: Es ist ein gewaltiger Untersehied, ob man bei Fallen mit Zahnbogenenge die Extraktion als ein anseheinend natm'widriges Verfahren anwendet ~ in dem geffihl Meferorthopgdiseh-orthodontisehen Unverm6gens zu etwas Besserem, oder ob man die Extrakti0nsmethode in der I~berzeugung 9 t~'ortschritte dee Kieferorthog~idie Bd. 29 :H. 1

180 Fortsehritte der Xieferorthopadie Bd. 29 (1968) Heft 1

Abb. 15

Abb. 16

Abb. 17

Abb. 18

Abb. 15. Okkludierende Zahm'eihen mit Abrasion: Anpassung der vertikalen Zungeirmage angedeutet dutch gMehe obere Grenzlinie

Abb. 16. Instabiler Zustand zwisehen Zungen- und Zahureihenh6he infolge ausgebliebener Abrasion

Abb. I7. Zus~tzliche Instabilitgt dutch den infolge Ifypofunk~ion zu niedrigen Zangenmuskel Abb. 18. Therapeutiseher Ausgleich des Zustandes in Abb. 17 durch Einbringen eiuer kiefer- orthop~dischen Apparatur, d.h. eines artifiziellen, zusgtzliehen Zungenvolumens, (Nach dessert Entnahme ist wieder die Instabilit~t des Zustandes yon Abb. 17 zu erwarten)

w/~hlt, dami t das Logische zu tun . Aus der gewonnenen Sicht ist die hier angespro- chene Zahnen t fe rnung keine fach]iche BankrotSerkl/~rung, sondern nicht selten eine k~usal fundier te Notwendigkeit .

Sehriittum

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Anschrift. d. Verf.: Priv.-Doz. Dr. Gerhard If. Ni i l ler , 53 Bonn, Hans-B6ekler-StraSe 5