9
Originalarbeit Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial 339 Zusammenfassung Wasserkraftschne- cken werden seit 2001 zur kommerziellen Stromerzeugung verwendet. Durch die vergleichsweise geringe Verbreitung gilt diese neue Niederdrucktechnologie noch als Nischenprodukt. Die vorliegende Arbeit fasst auf Basis einer Betreiberbe- fragung, umfangreichen Feldmessungen und Laborversuchen den Entwicklungs- stand zusammen und bestätigt die Qua- lität der Technologie. In umfangreichen Labormessungen wurden Wirkungsgrade für sieben Schneckentypen bei unter- schiedlichsten Drehzahl-/Durchfluss- Kombinationen und Achsneigungen ge- messen und verglichen. Dabei zeigten sich sowohl ausgezeichnete Wirkungs- grade als auch die unterschiedlichen Auswirkungen von veränderten Gestalt- parametern. Es konnte auch deutliches Verbesserungspotenzial zum Stand der Technik aufgezeigt werden. Künftige Kleinwasserkraft-Anlagenbetreiber be- kommen mit diesen Ergebnissen zusätz- liche Entscheidungsgrundlagen, um die für ihre Randbedingungen passendste Technologie auswählen zu können. Die Wasserkraftschnecke ist eine hocheffi- ziente, wartungsarme und ökologisch in- teressante Niederdrucktechnologie. The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential Abstract Since 2001 Archimedean screws have been used for commercial power generation. However, due to a lack of distribution, this comparatively new, ultra-low-head technology is essentially still a niche product. is work examines their potential, combining an operator survey, field measurements as well as laboratory tests. In extensive lab experiments, efficien- cies were measured and compared for seven different screw types at varying speed-to-flow-rate combinations and in- clination angles. Here, both excellent ef- ficiencies and the impact of different pa- rameters were observed and significant potential for improvement on the state of the art was found. is article summarizes the area of application, practical experience to date, and the latest developments concerning this highly efficient, low-maintenance, and ecologically promising low-head technology. In doing so, it also provides a well-founded basis for decision-mak- ing involving turbine selection at small hydropower sites. 1. Hintergrund und Konzept Die Schneckenpumpe zur Wasser- hebung wurde bereits von Archimedes (287–212 v. Chr.) beschrieben, weshalb sie auch als „archimedische Schraube“ bezeichnet wird (Nagel und Radlik 1988). In der Antike hauptsächlich zur Bewäs- serung verwendet, wurde sie in der Neu- zeit vermehrt für Entwässerungszwecke eingesetzt. Das gleiche Prinzip kommt in Schneckenförderern zum Schüttguttrans- port zur Anwendung. Die Wasserkraftschnecke (WKS) ist die logische Umkehr des jahrtausendealten Prinzips der archimedischen Schraube und wurde 1991 von Karl-August Radlik zum Patent angemeldet und im darauf- folgenden Jahr offengelegt (Radlik 1992). Radlik unterstützte auch Karel Brada, der von 1995 bis 1997 an der TU Prag die ers- ten Messungen an einer WKS durchführte (Brada 1999). Noch im Jahr 1997 wurde die Versuchsschnecke an der Eger in Auf- hausen (D) eingebaut, wo sie seither mit 4 kW Generatorleistung läuft. Im Jahr 2001 gingen dann die ersten beiden kom- merziellen Anlagen in Betrieb. Die Rö- dermühle mit 7,5 kW an der Fränkischen Saale in Diebach bei Hammelburg (D) und eine Anlage mit 18,5 kW an der Net- he in Höxter-Godelheim (D). Inzwischen kann die Zahl der Anlagen nur geschätzt werden, da es mindestens sieben Herstel- ler gibt. Im Sommer 2013 kann laut Her- stellergesprächen von weltweit gut 250 fertigen Anlagen ausgegangen werden. Etwa dieselbe Anzahl befindet sich in unterschiedlichen Vorbereitungsstadien. Die meisten Anlagen stehen in Deutsch- land, Großbritannien, Österreich, Italien, Frankreich, Luxemburg und der Tsche- chischen Republik. Wegen der steigenden Beliebtheit die- ser „jungen“ Niederdruck-Technologie wurde im März 2010 das Projekt „WKS- opt“ (Verbesserung der Strömungs- eigenschaften sowie Planungs- und Betriebsoptimierung von Wasserkraft- schnecken) begonnen. Es sollte die unterschiedlichen Wirkungsgradangaben auf wissenschaftlicher Basis objektivieren und gleichzeitig Verbesserungspoten- ziale aufzeigen. Auch Angaben zum Be- trieb sollten aus einzelnen positiven wie negativen Erfahrungen herausgehoben, objektiviert und zusammengefasst wer- den. Dazu wurden in zweieinhalb Jahren Forschungsarbeit am Institut für Wasser- wirtschaft, Hydrologie und konstruktiven Wasserbau der Universität für Bodenkul- tur Wien (BOKU) drei aufeinander auf- bauende Arbeitspakete durchgeführt: eine Betreiberbefragung und Wir- kungsgradmessungen an bestehenden Anlagen. Vergleichsmessungen zum neuen Kon- zept der Drehrohrschnecke (geschlos- sener, mitdrehender Trog). Auswirkungen von variierten Gestalt- parametern (Abb. 1) im Großversuch – Neigungswinkel, Steigung, Innen- durchmesser und Gangzahl. Österr Wasser- und Abfallw (2013) 65:339–347 DOI 10.1007/s00506-013-0106-2 Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial Alois Lashofer · Werner Hawle · Florian Kaltenberger · Bernhard Pelikan ao.Univ.-Prof. DI B. Pelikan () · DI A. Lashofer · DI W. Hawle · DI F. Kaltenberger Department Wasser – Atmosphäre – Umwelt, Institut für Wasserwirtschaft, Hydrologie und konstruktiven Wasserbau, Universität für Bodenkultur Wien, Muthgasse 18, 1190 Wien, Österreich E-Mail: [email protected] DI A. Lashofer E-Mail: [email protected] Online publiziert: 3. September 2013 © Springer-Verlag Wien 2013

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial 339

Zusammenfassung Wasserkraftschne-cken werden seit 2001 zur kommerziellen Stromerzeugung verwendet. Durch die vergleichsweise geringe Verbreitung gilt diese neue Niederdrucktechnologie noch als Nischenprodukt. Die vorliegende Arbeit fasst auf Basis einer Betreiberbe-fragung, umfangreichen Feldmessungen und Laborversuchen den Entwicklungs-stand zusammen und bestätigt die Qua-lität der Technologie. In umfangreichen Labormessungen wurden Wirkungsgrade für sieben Schneckentypen bei unter-schiedlichsten Drehzahl-/Durchfluss-Kombinationen und Achsneigungen ge-messen und verglichen. Dabei zeigten sich sowohl ausgezeichnete Wirkungs-grade als auch die unterschiedlichen Auswirkungen von veränderten Gestalt-parametern. Es konnte auch deutliches Verbesserungspotenzial zum Stand der Technik aufgezeigt werden. Künftige Kleinwasserkraft-Anlagenbetreiber be-kommen mit diesen Ergebnissen zusätz-liche Entscheidungsgrundlagen, um die für ihre Randbedingungen passendste Technologie auswählen zu können. Die Wasserkraftschnecke ist eine hocheffi-ziente, wartungsarme und ökologisch in-teressante Niederdrucktechnologie.

The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential

Abstract Since 2001 Archimedean screws have been used for commercial

power generation. However, due to a lack of distribution, this comparatively new, ultra-low-head technology is essentially still a niche product. This work examines their potential, combining an operator survey, field measurements as well as laboratory tests.

In extensive lab experiments, efficien-cies were measured and compared for seven different screw types at varying speed-to-flow-rate combinations and in-clination angles. Here, both excellent ef-ficiencies and the impact of different pa-rameters were observed and significant potential for improvement on the state of the art was found.

This article summarizes the area of application, practical experience to date, and the latest developments concerning this highly efficient, low-maintenance, and ecologically promising low-head technology. In doing so, it also provides a well-founded basis for decision-mak-ing involving turbine selection at small hydropower sites.

1. Hintergrund und Konzept

Die Schneckenpumpe zur Wasser-hebung wurde bereits von Archimedes (287–212  v.  Chr.) beschrieben, weshalb sie auch als „archimedische Schraube“ bezeichnet wird (Nagel und Radlik 1988). In der Antike hauptsächlich zur Bewäs-serung verwendet, wurde sie in der Neu-zeit vermehrt für Entwässerungszwecke eingesetzt. Das gleiche Prinzip kommt in Schneckenförderern zum Schüttguttrans-port zur Anwendung.

Die Wasserkraftschnecke (WKS) ist die logische Umkehr des jahrtausendealten Prinzips der archimedischen Schraube und wurde 1991 von Karl-August Radlik zum Patent angemeldet und im darauf-folgenden Jahr offengelegt (Radlik 1992). Radlik unterstützte auch Karel Brada, der von 1995 bis 1997 an der TU Prag die ers-ten Messungen an einer WKS durchführte (Brada 1999). Noch im Jahr 1997 wurde die Versuchsschnecke an der Eger in Auf-

hausen (D) eingebaut, wo sie seither mit 4  kW Generatorleistung läuft. Im Jahr 2001 gingen dann die ersten beiden kom-merziellen Anlagen in Betrieb. Die Rö-dermühle mit 7,5 kW an der Fränkischen Saale in Diebach bei Hammelburg (D) und eine Anlage mit 18,5 kW an der Net-he in Höxter-Godelheim (D). Inzwischen kann die Zahl der Anlagen nur geschätzt werden, da es mindestens sieben Herstel-ler gibt. Im Sommer 2013 kann laut Her-stellergesprächen von weltweit gut 250 fertigen Anlagen ausgegangen werden. Etwa dieselbe Anzahl befindet sich in unterschiedlichen Vorbereitungsstadien. Die meisten Anlagen stehen in Deutsch-land, Großbritannien, Österreich, Italien, Frankreich, Luxemburg und der Tsche-chischen Republik.

Wegen der steigenden Beliebtheit die-ser „jungen“ Niederdruck-Technologie wurde im März 2010 das Projekt „WKS-opt“ (Verbesserung der Strömungs-eigenschaften sowie Planungs- und Betriebsoptimierung von Wasserkraft-schnecken) begonnen. Es sollte die unterschiedlichen Wirkungsgradangaben auf wissenschaftlicher Basis objektivieren und gleichzeitig Verbesserungspoten-ziale aufzeigen. Auch Angaben zum Be-trieb sollten aus einzelnen positiven wie negativen Erfahrungen herausgehoben, objektiviert und zusammengefasst wer-den. Dazu wurden in zweieinhalb Jahren Forschungsarbeit am Institut für Wasser-wirtschaft, Hydrologie und konstruktiven Wasserbau der Universität für Bodenkul-tur Wien (BOKU) drei aufeinander auf-bauende Arbeitspakete durchgeführt:■ eine Betreiberbefragung und Wir-

kungsgradmessungen an bestehenden Anlagen.

■ Vergleichsmessungen zum neuen Kon-zept der Drehrohrschnecke (geschlos-sener, mitdrehender Trog).

■ Auswirkungen von variierten Gestalt-parametern (Abb.  1) im Großversuch – Neigungswinkel, Steigung, Innen-durchmesser und Gangzahl.

Österr Wasser- und Abfallw (2013) 65:339–347DOI 10.1007/s00506-013-0106-2

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und PotenzialAlois Lashofer · Werner Hawle · Florian Kaltenberger · Bernhard Pelikan

ao.Univ.-Prof. DI B. Pelikan () · DI A. Lashofer · DI W. Hawle · DI F. Kaltenberger Department Wasser – Atmosphäre – Umwelt, Institut für Wasserwirtschaft, Hydrologie und konstruktiven Wasserbau, Universität für Bodenkultur Wien, Muthgasse 18, 1190 Wien, ÖsterreichE-Mail: [email protected]

DI A. Lashofer E-Mail: [email protected]

Online publiziert: 3. September 2013© Springer-Verlag Wien 2013

Page 2: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

340 Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial

Das Ziel dieses Beitrags ist die Zusam-menfassung der wesentlichen Ergebnisse des Gesamtprojekts. Einzelne Teilergeb-nisse wurden zeitnah in unterschiedli-chen Medien publiziert und können dort detaillierter nachgelesen werden.

2. Methodik

Um einen ersten Überblick über die Verbreitung und grundlegende Anla-genkennwerte zu bekommen, wurden Internetrecherchen und Wasserbuch-abfragen durchgeführt. Weitere Betrei-berkontakte ergaben sich über Weiterempfehlungen. Es war den Ver-fassern wichtig, Anlagen aller Fabrikate einzubinden.

Die Betreiber wurden kontaktiert und eingeladen, an einer Befragung teilzu-nehmen, um die Einsatzbereiche von und Betriebserfahrungen mit WKS zu do-kumentieren. Der erste Teil des Fragebo-gens ging auf Planung, Kosten, Bau und Inbetriebnahme der Anlage, die Schne-ckengeometrie und die Betriebsparame-ter ein. Der zweite Fragenteil mit offenen Fragen zum Betrieb gab Aufschluss über Vereisungsprobleme, Lärmentwicklung, Rechenanlage, Teillastbetrieb, Treibgut-problematik und Wartung.

Parallel dazu wurden Wirkungsgrad-messungen an bestehenden Anlagen durchgeführt. Wo es anlagentechnisch möglich war, wurden unterschiedliche Betriebszustände eingestellt. In jeder Einstellung wurden Durchfluss, Was-serspiegeldifferenz (Fallhöhe), elektri-sche Leistung und Schneckendrehzahl ermittelt. Der Durchfluss wurde bei quasi-stationären Verhältnissen über elektromagnetische Fließgeschwin-digkeitsmessungen im gewählten

Querschnitt bestimmt (Mid-Section-Ver-fahren). Dabei wurde die 3-Punkt-Metho-de mit mehreren Messlotrechten – je nach Kanalbreite – angewendet. Die Fallhöhe errechnete sich aus einem anfänglichen Nivellement zwischen Bauwerkskan-ten im Ober- und Unterwasser und Ab-standsmessungen zur Wasseroberfläche zu Beginn und Ende jeder Wirkungsgrad-messung. Die elektrische Arbeit wurde zumeist vom geeichten Einspeisezähler abgelesen. Aus den gemessenen Werten wurde die hydraulische Leistung ermit-telt. Der Anlagenwirkungsgrad ist der Quotient von berechneter elektrischer Einspeiseleistung zur gemessenen hyd-raulischen Leistung. Die Messunsicher-heit der Wirkungsgradergebnisse ist nur schwer abzuschätzen. Aufgrund der feh-lenden Beruhigungsstrecken (Turbulen-zen), der unruhigen Wasseroberflächen, der gewählten Messmethode und weite-ren Erschwernissen ist von einem mittle-ren Messfehler von ± 5 % auszugehen.

Das gleiche Berechnungsprinzip wur-de bei den nachfolgenden Messungen im Wasserbaulabor der BOKU angewandt. Die Anspeisung erfolgte über bis zu drei getrennt einstellbare Rohrzuleitungen (Abb. 2, 2.A). In diesen passiert das Was-ser die induktiven Durchflussmessgerä-te (IDM), bevor es in das Einlaufbecken gelangt (OW-Becken 2.B). Im Becken wurden Turbulenzen und Wirbel mittels eines Gitters beruhigt.

Die Wasserspiegellage in den Becken wurde kontinuierlich über Ultraschall-sensoren (2.D & E) erfasst. Der Ober-wasserspiegel stellte sich abhängig von Durchfluss und Drehzahl selbständig ein. Im Unterwasser (UW, 2.C) wurde über eine Wehrklappe der Wasserstand eingestellt. Für die Vergleichsmessun-

gen wurde der Wasserstand bei 55 % des Schneckenaußendurchmessers fixiert. Dieser Wert ergab sich als optimiertes Mittel über verschiedene Arbeitsbereiche. Die Neigungsanpassung erfolgte über das höhenverstellbare Einlaufbecken. Dafür wurde der Schneckentrog drehbar am Bo-den des Einlaufbeckens gelagert und mit beweglichen Dichtungen versehen.

Der Durchfluss trieb die Schnecke und über einen kombinierten Drehmoment-/Drehzahlsensor (2.F) und ein Getriebe (2.G) die regelbare Wirbelstrombremse (2.H) an. Anhand von Drehmoment M und Drehzahl n an der Schneckenwelle konnte die mechanische Leistung P

ab er-

mittelt werden. Die Reibungswiderstände der Lager wurden nicht separat ausge-wiesen. Aus dem gemessenen Durchfluss Q und der Fallhöhe H errechnet sich die potenzielle Leistung P

zu. Der Quotient der

beiden ergibt den Wirkungsgrad.

Die hohen Oberwasserspiegel ergaben einen maximalen Durchfluss von 220  l/s am Versuchsstand. Durch die gewünschte Mehrbeaufschlagung von 30 % wurde ein Schneckenaußendurchmesser von 806 mm mit einem Auslegungsdurchfluss von 165 l/s festgelegt. Mit einer gewählten Länge von 3000 mm ergab sich ein redu-ziertes Verhältnis von Durchmesser zu Länge. Damit verringert sich der Einfluss der Ein- und Austrittsverluste im Ver-gleich zu den Verlusten in der Schnecke geringfügig.

In den Versuchen wurden Schnecken-typ (Gangzahl, Radienverhältnis, Stei-gung), Neigung, Durchfluss und Drehzahl variiert. Eine viergängige Schnecke mit einer Steigung gleich ihrem Aussendurch-messer und einem Radienverhältnis von 0,5 wurde als zentrales „Standard“-De-sign für die Versuchsreihen gewählt. Um ein vollständiges Bild des Wirkungsgrad-verhaltens zu bekommen, wurden für je-den der sieben Schneckentypen (Abb. 3) und jede der acht Neigungen (18 bis 32° in 2°-Schritten) eine Vielzahl an Durch-fluss-/Drehzahl-Kombinationen (Q/n) gemessen. Die Durchflüsse wurden mit einer Schrittweite von 20  l/s beginnend bei 20  l/s bis 220  l/s variiert. Zu jedem Durchflusswert wurde die Drehzahl in einem Bereich von 20 bis 80 Umdrehun-gen pro Minute geregelt. Die Einstellung erfolgte über die Wirbelstrombremse in Schritten von 5 U/min.

Die Messungen wurden unter sta-tionären Verhältnissen durchgeführt

η=pab

pzu=

2πMn

pgHQ[/]

Abb. 1 Gestaltparameter der WKS. (3-gängige Schnecke; Lashofer et al. 2011)

Page 3: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial 341

(keine Durchflussänderungen etc.). Die Datenaufzeichnung erfolgte bei jeder Einstellung 100  s mit einer Abtastfre-quenz von 10  Hz. Die Datenauswertung erfolgte automatisiert in R project, einer freien Programmiersprache für Statis-tikanwendungen. Alle Werte außerhalb der 1,5-fachen Interquartilsabstände wurden entfernt und die verbleibenden Daten mithilfe von Box-Whisker-Plots auf Plausibilität geprüft. Danach wurde auf Grundlage der bereinigten Mittel-werte (Moment, Drehzahl, Wasserstand OW und UW, Durchfluss) der Wirkungs-grad ermittelt. Aus den 5648 Einzelwer-

ten wurden Wirkungsgraddiagramme für jeden der 56 Messzyklen erstellt. Je nach Q/n-Kombination ergaben sich Absolut-fehler zwischen 0,8 und 3,7 Prozentpunk-ten. Der durchschnittliche Absolutfehler über den gesamten Messbereich betrug ± 1,45 %. Im sechsmonatigen Messzeit-raum zeigte sich ein mittlerer Wiederhol-fehler kleiner 0,4 %.

Um den Arbeitsbereich der Wasser-kraftschnecke in Bezug auf die immer noch gebräuchliche spezifische Drehzahl zu bestimmen, wurde diese zu jedem Messwert nach Quantz und Meerwarth (1963) berechnet.

Durch Berechnung der dimensionslo-sen Laufzahl σ und der dimensionslo-sen Durchmesserzahl δ nach Bohl und Elmendorf (2013) können die einzelnen Betriebspunkte auch in das Cordier-Dia-gramm eingeordnet werden.

nq =n

√Q

H 3/4[min−1]

σ =n

√Q

(2gH )3/4 2√

π [/]

δ=D 4

√2gH

Q2

√π

2[/]

3. Ergebnisse

3.1. Anlagenerhebung

Es wurden 74 Anlagen an 71 Standorten in Europa aufgelistet (Stand 2010). Der Ausbaudurchfluss lag zwischen 0,1 und 6,0  m3/s, was einer Bandbreite von 1:60 entspricht. Die Fallhöhe weist mit 1 bis 6 m ebenfalls eine große Variabilität auf, wobei der größere Teil (81 %) in der unte-ren Hälfte dieser Spannweite angesiedelt ist (< 3,5  m). Aus diesen Kennwerten ergeben sich hydraulische Leistungen zwischen 2 und 181,5  kW. Die Vertei-lung der Anlagengrößen war im Sommer 2010 noch eingipflig um einen Median von 25,5  kW. Durch die Erfolge und das gewachsene Vertrauen in die Techno-logie werden mittlerweile hauptsächlich große Anlagen gebaut, und so stellt sich die aktuelle Verteilung sicher mit einem zweiten Maximum um 140 kW dar. Dazu liegen jedoch keine genaueren Daten vor. Die größten gebauten Anlagen bewegen sich aktuell bei über 200 kW.

3.2. Betreiberbefragung

Im zweiten Halbjahr 2010 wurden 31 Betreiber in sechs europäischen Ländern

Abb. 2 Versuchsanlage – Überblick (links), Mess - und Regelaufbau (rechts oben), Versuchsschnecken (rechts unten)

Abb. 3 Variierte Gestaltparameter für die sieben Schneckentypen. (Lashofer et al. 2013)

Page 4: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

342 Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial

(AT, IT, DE, GB, IE und CH) befragt. Dem-nach wurde die Wasserkraftschnecke hauptsächlich als Flusskraftwerk geplant (65 %). Die WKS wird in gut der Hälfte der Anlagen als Hauptturbine, in einem Drit-tel zur Nutzung der Restwasserabgabe und in 15 % zur Nutzung des Überwassers eingesetzt.

Zur Auslegung muss das Verhältnis von Steigung zu Aussendurchmesser (S/D) festgelegt werden. Nagel und Rad-lik (1988) empfehlen den Wert 1,00 für Wasserhebeschnecken. Dieser wird bei zwei Drittel der Wasserkraftschnecken eingehalten (± 3 %). Auch die Verhältnis-zahl von Innen- zu Aussenradius (Ri/Ra) liegt am häufigsten im Bereich des von Nagel und Radlik empfohlenen Wertes für Wasserhebeschnecken von 0,5. Beide Gestaltparameter weichen in speziellen Einbausituationen ab. Diese sind vor al-lem vom Durchschnittswert (22°) differie-rende Neigungswinkel (β).

Die Hälfte der betrachteten Anlagen wurde innerhalb von 4 Monaten nach Beginn der Erdbauarbeiten bereits in Betrieb genommen. Diese kurze Bau-zeit wird durch die nahezu ausschließ-liche Ausführung der Schnecken mit vorgefertigtem Stahltrog unterstützt. Nur die älteste der betrachteten Schnecken (Rödermühle) hat einen Betontrog. Drei Schnecken mit Durchmessern unter 1,6  m sind mit geschlossenem Stahltrog (Stahlrohr) ausgeführt.

Drei Viertel der Anlagen arbeiten mit einem Vertikalrechen ohne automatische Rechenreinigung und lichten Stabweiten zwischen 10 und 15 cm. Durchschnittlich nimmt die Wartung (Rechenkontrolle) eine Stunde pro Woche in Anspruch.

Nahezu alle befragten mitteleuropäi-schen Schneckenbetreiber haben Erfah-rungen in Bezug auf die Vereisung ihrer Anlage. Die Beschreibungen reichen von „leichtem Aneisen“ bis zum Stillstand

wegen „Kratz- und Schleifgeräuschen“. Zum Abschalten der Anlage kommt es am häufigsten bei Temperaturen unter − 10 °C, wobei 55 % der Anlagenbetreiber das Problem durch eine ständige oder temporäre Einhausung mit Holzbohlen lösen konnten. Ein Fünftel der Betreiber hat keine Probleme festgestellt (vor allem im englischsprachigen Raum) und 10 % hatten zum Zeitpunkt der Befragung noch keinen Winterbetrieb gehabt.

Als Ursache der Lärmentwicklung wird am häufigsten das Geräusch der Schneckenflügel beim Eintauchen in das Unterwasser beschrieben („Blattschla-gen“), das verstärkt bei niedrigen Unter-wasserständen auftreten kann (Abb. 4).

Bei der Hälfte der Anlagen kommt es zu keinen Problemen mit AnrainerInnen. Diese Standorte sind leise, abgeschieden oder es existieren andere, stärkere Lärm-quellen. Wie schon bei der Vereisungs-problematik hat sich die Einhausung auch in Bezug auf die ganzjährige Lärm-entwicklung bewährt. Die Hälfte der Be-troffenen hat so das Lärmproblem gelöst, wobei 10 % der Betreiber die zusätzliche Anbringung einer aufschwimmenden Gummiabdeckung im Auslauf als hilf-reich beschreiben.

Um die Auslegungspraxis der WKS-Hersteller abzubilden, wurden Dreh-zahl und Außendurchmesser in Relation zum Ausbaudurchfluss aufgetragen. Zum Vergleich wurden die nach Nagel und Radlik (1988) ermittelten Werte für die Schneckenaußendurchmesser und die Drehzahlen nach Mysken gegen den wirklichen Förderstrom für die am häu-figsten gebaute WKS (dreigängig mit β = 22° und Ri/Ra = 0,5) berechnet und ebenfalls aufgetragen. Die errechneten Kurven gleichen nahezu perfekt den Aus-gleichskurven der Befragungswerte (Las-hofer et al. 2011). Die Drehzahlkurve hat einen geringen parallelen Versatz, der

sich durch den höheren Förderstrom der WKS gegenüber der Wasserhebeschnecke ergibt. Um den effektiven Förderstrom (Ausbaudurchfluss) zu erhalten, werden die Spaltverluste zum energetisch nutz-baren Förderstrom der WKS addiert, wo-hingegen die Spaltverluste beim Heben von Wasser vom nominellen Förderstrom abgezogen werden müssen.

Um erste Anhaltswerte für die In-vestitionskosten zu erhalten, wurden in Abb.  5a die spezifischen Investitionskos-ten bezogen auf die Leistung als Funktion der Anlagenleistung dargestellt. Abb.  5b zeigt die spezifischen Investitionskosten bezogen auf das Regelarbeitsvermögen als Funktion der Anlagenleistung. Beide Diagramme enthalten Regressionslinien für die Kosten ungeregelter Anlagen und für Anlagen mit Drehzahlregelung (Be-zugsjahr 2010 – Inflation über nationale Verbraucherpreisindizes angenähert). Die tatsächlichen Kosten sind stark von den individuellen Gegebenheiten ab-hängig. Der Querbauwerksbestand, und -zustand, Fördermöglichkeiten, Unter-grundverhältnisse, Behördenauflagen und viele weitere Faktoren machen eine einheitliche Betrachtung unmöglich.

3.3. Wirkungsgradmessung an bestehenden Anlagen

Im Sommer 2010 wurden an 14 Anlagen in Österreich, Südtirol und Deutsch-land Wirkungsgradmessungen durchge-führt. Der Mittelwert der 36 gemessenen Anlagenwirkungsgrade liegt bei 69 %. Sechs Anlagen erreichten Spitzenwir-kungsgrade über 75 %. Diese Kraftwerke zeigten mehrere überdurchschnittliche Wirkungsgradergebnisse.

Um die gemessenen Werte aussage-kräftiger darzustellen, wurden sie nach der Regelungsart in Anlagen mit■ Frequenzumrichter – stufenlose Dreh-

zahlregelung,■ Polumschaltbarem Generator – stufen-

weise Regelung und■ Fixdrehzahl – ungeregelt

unterteilt. Die Wirkungsgrade werden in Abb.  6 als Funktion des Beaufschla-gungsverhältnisses dargestellt. Diese Verhältniszahl ist der Quotient vom Durchfluss zum Messzeitpunkt und dem Ausbaudurchfluss.

Die Wirkungsgrade zeigten für jede Einzelanlage gleichmäßige Verläufe. Die großen vertikalen Streuungen ergeben sich durch die qualitativ unterschiedli-chen Anlagen.

Abb. 4 Lärmentwicklung im Betrieb. (Lashofer et al. 2011)

Page 5: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial 343

Bei ungeregelten Anlagen gibt es nur einen optimalen Betriebspunkt, wo Dreh-zahl und Durchfluss zusammenpassen und sich ein hoher Wirkungsgrad ergibt. Dieser liegt beim Ausbaudurchfluss, da sich bei abweichenden Beaufschlagun-gen ungünstige Betriebszustände er-geben. Bei geringerer Beaufschlagung erhöht sich der relative Anteil der Spalt- und Reibungsverluste, bei höherer Be-

aufschlagung vermindert vor allem das Überlaufen über den Trog bzw. über das Zentralrohr den Wirkungsgrad.

Bei Anlagen mit polumschaltbarem Generator kann bei verminderten Durch-flüssen die Drehzahl halbiert werden. Die bei ungeregelten Anlagen erläuterten Faktoren wirken sich durch den zweiten optimalen Betriebspunkt geringer aus (Nuernbergk et al. 2013).

Anlagen mit Frequenzumrichter hin-gegen können stufenlos an geänder-te Durchflussverhältnisse angepasst werden. Grundlegende Voraussetzung für einen optimalen Betrieb ist eine ent-sprechend gestaltete Regelelektronik. Die Anlagen haben einen zusätzlichen Wirkungsgradverlust von ≥ 3 % durch die Frequenzumrichtung. Dieser Nachteil wird jedoch durch die deutlich höheren Wirkungsgrade bei geringen und hohen Beaufschlagungsverhältnissen mehr als aufgewogen.

3.4. Wirkungsgradmessungen im Labor – Vorversuch

Um Erfahrungen an einem kleineren Modell zu sammeln, wurde im ersten Halbjahr 2011 eine erste Messreihe durch-geführt. Die vergleichenden Versuche zum experimentellen Design der soge-nannten Drehrohrschnecke (geschlos-sener, mitdrehender Trog) haben leider keine zufriedenstellenden Ergebnisse gezeigt. Bei sehr geringen Durchflüssen wurden gute Werte gemessen, aber nur in einem einzigen Vergleichspunkt zeigte sie geringe Vorteile gegenüber der Trogbau-art. Damit wurde die weitere Forschung an der Drehrohrschnecke eingestellt.

3.5. Wirkungsgradmessungen im Labor

Alle sieben getesteten Schneckentypen zeigten in allen acht Neigungen einen eindeutigen, geometrisch ähnlichen Wir-kungsgradverlauf. Abb.  7 zeigt eines der 56 entstandenen Kennfelder. Die Wir-kungsgrade sind als schwarze Isolinien dargestellt. Die Isolinien der Zulaufhöhe (in % vom Durchmesser) sind in Rot ein-gezeichnet. Das Maximum liegt im Bei-spiel bei etwa 65  l/s und 30  U/min, mit einer Zulaufhöhe von 36 % von D.

Nach Auslegungspraxis der Produ-zenten wären ein Ausbaudurchfluss von 165 l/s und eine Drehzahl von 62 U/min für die Versuchsschnecke vorgesehen. Dabei würde sich statt des Spitzenwir-kungsgrades von über 89 % ein typischer Wirkungsgrad bei Nenndurchfluss von 81,5 % einstellen, falls die Anlage auch wirklich im richtigen Drehzahlbereich betrieben wird. Bei schlechter oder feh-lender Regelung wird der geringere Wert abermals unterschritten.

In allen Kennfeldern lässt sich eine Li-nie der maximalen Wirkungsgrade (grü-ne Linie) als Funktion des Durchflusses ausweisen. Sie schneidet die Gerade der rechnerischen Vollfüllung (dicke blaue Gerade) in Abb. 7 bei etwa 130 l/s. Bei ge-

Abb. 5a, b Spezifische Investitionskosten in Abhängigkeit von der Anlagenleistung

Abb. 6 Anlagenwirkungsgrad in Abhängigkeit vom Beaufschlagungsverhältnis und der Art der Regelung

Page 6: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

344 Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial

ringeren Durchflüssen ergibt damit eine Teilfüllung der Kammern optimale Wir-kungsgrade, bei Mehrbeaufschlagungen hingegen eine Überfüllung der Kammern. Die Erklärung dafür liegt im Zusammen-spiel von Reibungskräften, Spaltverlus-ten, Ein- und Auslaufverlusten.

Der Wirkungsgrad fällt vom beschrie-benen Optimum nach allen Seiten mit unterschiedlichen Gradienten. Die Unter-schiede zwischen den Schneckentypen und den unterschiedlichen Neigungen liegen in der Höhe des Maximums (Spit-zenwirkungsgrad), der Ausrichtung und den Gradienten der Linie der maximalen Wirkungsgrade (hohe Q oder n vorteilhaf-ter) sowie des gesamten Kennfeldes.

Die Wirkungsgradmessungen im La-bor bestätigen die aus den Feldmessun-gen vermuteten Zusammenhänge. In der Auswertung wurde angenommen, dass bei Teillast der Wirkungsgrad steigt, wenn die Anlage drehzahlgeregelt wird – also bei angestrebter Vollfüllung der Kammer die Drehzahl kleiner wird und der Schne-ckendurchmesser für diesen Durchfluss nach dem Stand der Technik „überdi-mensioniert“ ist.

3.6. Einordnung Fluidenergiemaschinen

Die Wasserkraftschnecke ist keine Strö- mungsmaschine, da in ihr keine Druck-änderungen stattfinden und sie die Ge- schwindigkeitskomponente des Arbeits-mittels nur in geringem Ausmaß am Einlauf umsetzt. Es finden 4 Impulsän-derungen statt: a) Beschleunigung am Übergang Zulauf zu Trog, b) Verzögerung auf Vorschubgeschwindigkeit der Schne-cke, c) Beschleunigung bei der Freigabe des Wasserschubes in das Unterwasser, d) Verzögerung auf die Geschwindigkeit im Auslauf;

Eine Richtungsänderung erfolgt je-weils am Ein- und Austritt des Troges, um den Betrag des Neigungswinkels der Schnecke. Die Strömungsimpulsbeträge und -änderungen sind allerdings auf-grund der geringen Geschwindigkeiten im Ein- und Auslauf und der verblei-benden Vorschubgeschwindigkeit in der Schnecke sehr gering. Diese anteilsmäßig geringe hydrodynamische Komponen-te ergänzt das hydrostatische Arbeits-prinzip. Deshalb ist auch die englische Bezeichnung „hydrodynamic screw“ irre-führend.

Die Energieumwandlung erfolgt unter Atmosphärendruck (Gleichdruck), lässt sich aber auch nicht in Anlehnung an ein

oberschlächtiges Wasserrad beschreiben, da dieses wiederum nur die Gewichts-kraft des Wassers nutzt und nicht den hy-drostatischen Druck der Wassersäule.

An den Schneckenblättern (Wendeln) wirken der hydrostatische Druck des oberhalb anliegenden Wasserschubes und der Gegendruck des vorangehen-den Schubes. Die resultierende Druck-differenz erzeugt das Drehmoment und folglich die Drehbewegung. Abflüsse in die untere Kammer (Spaltverluste) glei-chen sich hydrostatisch gesehen durch Zuflüsse der oberhalb liegenden Kam-mer (Spaltgewinne) aus. Da sich die Vorschubrichtung der WKS mit der gra-vitationsbedingten Bewegungsrichtung des Wassers deckt, fallen die Spaltverluste geringer aus („Spalt läuft davon“) als bei der Wasserförderschnecke. Sie sind zum energetisch nutzbaren Förderstrom zu addieren, um den effektiven Förderstrom zu erhalten. Durch die Flüssigkeitsrei-bung des bewegten Wasserschubes ent-stehen Turbulenzen in den Kammern, deshalb kann streng genommen nicht von einem vollkommen hydrostatischen Prinzip gesprochen werden.

Die WKS ist eine quasi-hydrostatische Gleichdruck-Fluidenergiemaschine und steht in ihrer Wirkungsweise zwischen

Abb. 7 Isolinien des Wirkungsgrades (in %) und der Zulaufhöhe. (in % von D)

Page 7: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial 345

den Verdränger- und den Strömungsma-schinen.

Um Ergebnisse von Modellversuchen wie den vorliegenden auf geometrisch ähnliche Maschinen übertragen zu kön-nen, wurden Kenngrößen entwickelt. Die spezifische Drehzahl ist eine solche, lei-der dimensionsbehaftete Kenngröße, die anhand der Ähnlichkeitsgesetze jede Tur-bine auf eine Fallhöhe von 1 m und einen Durchfluss von 1  m3/s bezieht. Zur Be-stimmung der spezifischen Drehzahlen wurden 5312 Werte aus den Labormes-sungen und 36 Werte aus den vorange-gangenen Feldmessungen verwendet.

Die spezifischen Drehzahlen liegen zwischen 2 und 45  U/min. Die höchsten Werte des Wirkungsgrades stellten sich bei geringen spezifischen Drehzahlen zwischen Werten von 3 bis 15 U/min ein. Die schlechten Werte unter 15  U/min wurden von Messungen mit hohen Nei-gungswinkeln und hohen Durchflüssen bei zu geringen Drehzahlen verursacht. Darüber wurden weder im Labor noch im Feld gute Wirkungsgrade beobachtet.

Durch die Ermittlung des Kennwert-bereiches ist es auch möglich, die Wasser-kraftschnecke bezüglich der spezifischen Drehzahl im Verhältnis zu anderen Was-serkraftmaschinen einzuordnen. (Abb. 8)

Die WKS arbeitet im gleichen Fallhö-henbereich, aber in einem niedrigeren spezifischen Drehzahlbereich als die Ka-plan-Rohrturbinen (250–500  U/min). Im

Vergleich zu Wasserrad und Durchström-turbine überschneiden sich sowohl Fall-höhen- als auch Drehzahlbereich zum Teil.

Otto Cordier publizierte 1953 das Er-gebnis seiner Bemühungen, sich durch Berechnung der dimensionslosen Lauf-zahl σ und der dimensionslosen Durch-messerzahl δ einen Überblick über die Qualität von Strömungsmaschinen zu verschaffen (Cordier 1953). Er entdeckte empirisch, dass sich bei doppellogarith-mischer Darstellung alle im optimalen Wirkungsgradbereich betriebenen Ma-schinen in einem gering streuenden Feld abbilden. Aufgrund der Vermutung, dass sich auch die Wasserkraftschnecke im Cordier-Diagramm abbilden lässt, wur-den die Kennwerte für 5312 Werte aus den Labormessungen und 36 Werte aus den vorangegangenen Feldmessungen berechnet. In Abb. 9 werden die berech-neten Kennwerte mit den typischen Be-reichen für unterschiedliche Turbinen (Willinger und Bauer 2010) und Pumpen/Verdichter (Grabow 2002) dargestellt.

Jeder Betriebspunkt bildet sich in einem Datenpunkt ab. In der Darstellung aller vorhandenen Labor und Feldmes-sungen ist erkennbar, dass sich die Werte nach dem Wirkungsgrad gruppieren. Da-raus kann geschlossen werden, dass die Kennwertkombination indirekt auch jene Parameter mit berücksichtigt, welche die

spezifische Drehzahl nicht zufriedenstel-lend abbilden konnte (Q/n-Verhältnis, Neigung etc.). Das Cordier-Diagramm ist entgegen aller Erwartung (Nuernbergk 2012) auch für Wasserkraftschnecken sehr zufriedenstellend anwendbar. Die Kennwerte der Anlagenmessungen lie-gen wie erwartet großteils im unteren bis mittleren Wirkungsgradbereich. Nur ein-zelne Messungen (Teillast) kommen dem elliptisch umrandeten Optimalbereich im Diagramm nahe.

3.7. Verbesserung der Zuströmbedingungen

Es wurden auch unterschiedliche Bau-formen zur besseren Ausgestaltung des Übergangs Einlaufgerinne zu Trog unter-sucht. Dazu wurden fünf Varianten getes-tet, welche sich aus unterschiedlichen Einbauten zusammensetzten. Bei der Gegenüberstellung der Ergebnisse zeig-ten sich bei der Kombination mittlerer Durchflüsse bei sehr hohen Drehzahlen Wirkungsgradsteigerungen bis 4 %. Bei der Kombination von hohen Durchflüs-sen mit niedrigen Drehzahlen stellten sich weder Verbesserungen noch Ver-schlechterungen ein. Entlang der Linie des höchsten Wirkungsgrades ergaben sich maximale Verbesserungen um 2 % über den gesamten Betriebsbereich. Damit können auch Altanlagen je nach vorhandener Geometrie verbessert wer-

Abb. 8 Einsatzbereiche unterschiedlicher Turbinen bezogen auf ihre spezifische Drehzahl

Page 8: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

346 Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial

den. Bei neuen Anlagen sollte bereits in der Planung auf gute Zuströmbedingun-gen geachtet werden.

3.8. Literaturrecherche zur Fischverträglichkeit

Die Literaturstudie lässt, vor allem im Vergleich zu herkömmlichen Turbinen, prinzipiell auf eine hohe Fischverträg-lichkeit schließen (Späh 2001; Fishtek 2007; Schmalz 2010). Artenspezifisch (Plötze, Blei, Schleie) ergeben sich jedoch Verletzungshäufigkeiten, deren Ursachen noch nicht eindeutig geklärt sind. Schmalz hält jedoch fest, dass eine Reduktion des Rechenabstandes (auf bei-spielsweise 10  mm) zu keiner Vermin-derung der Verletzungsraten führt, da diese Verminderung kein Hindernis für die betroffenen Tiere darstellt. Schmalz stellt in einer späteren Publikation (2011) auch einen Zusammenhang mit dem Eintauchen der Schneckenflügel, dem Spaltmaß, und eventuellen Austritts-hindernissen her. Er betont, dass Kons-truktion, spezifische Anpassung an die betroffenen Fischarten und Wartung starken Einfluss auf die Verletzungsraten beim Passieren der Schnecke haben und

diese nicht per se als fischfreundlich ein-gestuft werden kann. Gleichzeitig hat sie aufgrund der Strömungsverhältnisse das höchste Potenzial, einen sicheren Abstieg zu gewährleisten und vom Fischbestand angenommen zu werden.

4. Zusammenfassung und Diskussion

Die vorliegende Arbeit gibt den aktuellen Entwicklungsstand und Verbesserungs-möglichkeiten der Wasserkraftschnecke wieder. Dazu wurden 31 Betreiberbe-fragungen, 36 Wirkungsgradmessungen an 14 Anlagen im Feld, intensive Labor-messungen und eine Literaturstudie zur Fischverträglichkeit durchgeführt.

Die Mehrzahl der befragten Betreiber äußerte sich sehr zufrieden mit der WKS. Probleme mit Vereisung und Lärment-wicklung wurden oft erst im Betrieb ernst genommen, aber bei fast allen Anlagen durch ähnliche Maßnahmen (wie Ein-hausung oder temporäre Abdeckung) kostengünstig gelöst.

Die in der Betreiberbefragung erho-benen Gestaltparameter orientieren sich stark an der Wasserhebeschnecke und lassen eher auf eine empirische Verbesse-

rung, denn eine analytische Optimierung schließen. Diese Praxis wurde in mehre-ren Herstellergesprächen bestätigt.

Die Wirkungsgradmessungen zeigten für jede Einzelanlage gleichmäßige Ver-läufe. Sechs überdurchschnittliche An-lagen erreichten Spitzenwirkungsgrade über 75 %. Bei Durchflüssen unter dem Auslegungsdurchfluss zeigten drehzahl-geregelte Anlagen mit Frequenzumrichter Vorteile in Bezug auf den Wirkungsgrad. Beim Auslegungsdurchfluss und bis 15 % darüber haben Anlagen mit Fixdrehzahl die besseren Wirkungsgrade, weil sie hy-draulisch fast gleich effizient sind und ohne die Verluste eines Frequenzumrich-ters arbeiten.

Die unterschiedlichen Anpassungs-möglichkeiten der Drehzahl haben in-dividuelle Vor- und Nachteile. Je nach Standort kann bei konstanter Restwas-serdotation oder in Transportkanälen eine fixe Drehzahl, bei saisonabhängiger Restwasserdotation ein polumschaltba-rer Asynchrongenerator oder bei Einsatz als Hauptturbine eine Kombination mit Frequenzumrichter die beste Wahl sein.

Die vergleichenden Versuche zum experimentellen Design der Drehrohr-

Abb. 9 Optimalbereiche unterschiedlicher Turbinen bezogen auf ihren Wirkungsgrad

Page 9: Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial; The Archimedean screw turbine: Practical experience, testing and potential;

Originalarbeit

Die Wasserkraftschnecke – Praxis, Prüfstand und Potenzial 347

schnecke haben leider keine zufrieden-stellenden Ergebnisse gezeigt.

Die Messungen an sieben unter-schiedlichen Schneckengeometrien der konventionellen Bauart (Trogschnecke) zeigten hingegen erstaunlich hohe Wir-kungsgrade und auch Verbesserungs-potenziale des gegenwärtigen Stands der Technik auf. Für ungeregelte und polum-schaltbare Anlagen ist es besonders wich-tig, gleichmäßig hohe Wirkungsgrade bei unterschiedlichen Durchflüssen und konstanter Drehzahl zu erzielen, um über einen großen Durchflussbereich vernünf-tig operieren zu können. Hier bieten die 56 erhobenen Kennfelder die Vorausset-zung für die Auswahl der geeigneten Geo-metrie.

Einzelwirkungsgrade sind ein Qualitätskriterium für eine Wasser-kraftmaschine, jedoch nicht für eine Wasserkraftanlage. Um die optimale Di-mensionierung zu erreichen, ist unter Berücksichtigung der Investitionskosten, der ökologischen Randbedingungen und des Arbeitsvermögens der finanzielle Gewinn zu maximieren. Die Wirkungs-gradangaben liefern eine notwendige Grundlage für diese Rechnung, sind je-doch für sich stehend nicht aussagekräf-tig genug.

Die grafische Darstellung der Wir-kungsgradwerte als Funktion der spezi-fischen Drehzahl hat gezeigt, dass eine eindeutige Identifikation guter Anlagen nicht möglich ist und die spezifische

Drehzahl sich nicht als Dimensionie-rungs- oder Auswahlwerkzeug eignet.

Das Cordier-Diagramm hingegen eignet sich als Prüfwerkzeug und zur Wirkungsgradabschätzung, da sich die Wirkungsgrade um einen zentralen Be-reich optimaler Betriebs- und Parame-terkombinationen in sinkenden Werten gruppieren.

Die Versuche zur Verbesserung der Zuströmbedingungen waren erfolgreich. Je nach vorhandener Geometrie und Be-triebsweise können Altanlagen bis zu 2 % höhere Wirkungsgrade erzielen.

Jede bestehende Schnecke kann in ihren individuellen Bedingungen optimal betrieben werden. Die maximale Jahres-arbeit an einem gegebenen Standort er-bringt eine WKS hingegen nur, wenn ihr Durchmesser und damit Durchfluss und Drehzahl aufeinander abgestimmt sind und in der Vorauswahl die Blattzahl, Nei-gung, Steigung und das Radienverhältnis für ihren besonderen Anwendungsfall sinnvoll gewählt wurden (Lashofer et al. 2013). Für eine rasche Amortisation müs-sen die Ausbau- (Q) und die Baugröße (D) in einer betriebswirtschaftlichen Rech-nung zwischen Baukosten und Stromer-trägen optimiert werden.

5. Ausblick

Durch die Vorschreibung bzw. Anhebung von Restwasserabgaben im Zuge der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie

(WRRL) steigt die Nachfrage nach WKS enorm an. Auch die Problematik von Fischabstieg und Rechengutmengen wird den Einsatz der Wasserkraftschnecke vorantreiben, da die Schnecke aufgrund der großen Rechenstababständen tech-nische und finanzielle Vorteile gegenüber herkömmlichen Niederdruckturbinen bietet. Aufgrund der wachsenden Kon-kurrenz und dem vorhandenen Verbes-serungspotenzial entwickelt sich bei den Herstellern langsam die Bereitschaft, in Forschung zu investieren. Gemeinsam mit Mitarbeitern der TU Wien wird der-zeit an den theoretischen Grundlagen für die Lage im Cordier-Diagramm gearbei-tet. Die Wasserkraftschnecke ist die Tur-bine/Fluidenergiemaschine mit dem größten Wachstumspotenzial im kom-menden Jahrzehnt.

6. Danksagung

Die Autoren bedanken sich für die enga-gierte Mitarbeit der Studentinnen und Studenten, die die umfangreichen Mes-sungen erst ermöglicht haben. Es war eine Freude, ihnen die Schnecke näher-zubringen und sie bei ihren Abschluss-arbeiten zu begleiten.

Dieses Projekt wurde aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und im Rahmen des Programms „NEUE ENERGIEN 2020“ durchgeführt. ■

Literatur

Bohl, W. (2013): Strömungsmaschinen. 10. Auf-lage. Vogel, Würzburg.Brada, K. (1999): Wasserkraftschnecke ermög-licht Stromerzeugung über Kleinkraftwerke. In: Maschinenmarkt, 14, S 52–56.Cordier, O. (1953): Ähnlichkeitsbedingungen für Strömungsmaschinen. In: Brennstoff-Wär-me-Kraft, Zeitschrift für Energiewirtschaft und technische Überwachung, Fachheft Strömungs-maschinen, 5(10), S 337–340.FISHTEK Consulting (2007): Fish Monitoring and Live Fish Trials. Archimedes Screw Turbine, River Dart- Phase 1 Report: Live fish trials, smolts, lea-ding edge assessment, disorientation study, out-flow monitoring. Moretonhampstead.Grabow, G. (2002): Optimalbereiche von Fluid-energiemaschinen – Pumpen und Verdichter. In: Forschung im Ingenieurwesen, 7, S 100–106.Lashofer, A., Kaltenberger, F., Pelikan, B. (2011): Wie gut bewährt sich die Wasserkraftschnecke in der Praxis? In: Wasserwirtschaft, 101(7–8), S76–81.

Lashofer, A., Hawle, W., Pelikan, B. (2013): Betriebsbereiche und Wirkungsgrade der Was-serkraftschnecke. In: Wasserwirtschaft, 103(7–8), S29–34.Nagel, G., Radlik, K (1988): Wasserförderschne-cken – Planung, Bau und Betrieb von Wasser-hebeanlagen. Udo Pfriemer Buchverlag in der Bauverlag GmbH, Wiesbaden, Berlin.Nuernbergk, D. (2012): Wasserkraftschnecken: Berechnung und optimaler Entwurf von archime-dischen Schnecken als Wasserkraftmaschine. 1. Auflage. Schäfer, Detmold.Nuernbergk, D., Lashofer, A., Hawle, W., Peli-kan, B. (2013): Betriebsarten von Wasserkraft-schnecken. In: Wasserwirtschaft, 103(7–8), S35–40.Quantz, L., Meerwarth, K. (1963): Wasserkraftma-schinen. 11. Auflage. Springer, Berlin-Heidelberg.Radlik, K. A. (1992): Schutzrecht, Patentschrift DE 4139134 C2. Wasserkraftschnecke zur Energie-umwandlung. 11.06.1992.

Schmalz, W. (2010): Untersuchungen zum Fisch-abstieg und Kontrolle möglicher Fischschäden durch die Wasserkraftschnecke an der Wasser-kraftanlage Walkmühle an der Werra in Meiningen – Abschlussbericht. Breitenbach.Schmalz, W. (2011): Fischabstieg durch eine Was-serkraftschnecke an einem Ausleitungskraftwerk, In: Wasserwirtschaft, 101(7–8), S82–87.Späh, H. (2001): Fischereibiologisches Gutachten zur Fischverträglichkeit der patentgeschützten Wasserkraftschnecke der Ritz-Atro Pumpwerks-bau GmbH. Bielefeld.Willinger, R., Bauer, C. (2010): The CORDIER-Diagram for Hydraulic Turbines: A Theoretical Investigation Based on Head Curves. In: Procee-dings of the 16th International Seminar on Hydro-power Plants, Laxenburg, Austria, S 191–202.