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1I[2!] VOMFACH Die wohltemperierte Ciitarre VonChristian Stoll In dieser Kolumne haben wir mehrfach über verschiedene Systeme berichtet, mit deren Entwicklung findige Zeitgenossen versuchen, die Unzulänglichkeiten unseres zwölftönigen Musiksystems für sensible Ohren auf ein erträgliches Maß zu bringen. E ine weitere Entwicklung in diese Richtung wurde auf der Sanden VRB- TT Steelstring eingearbeitet: DasTrue Temperament Griffbrettsystem. Einen Test dieses Instrumentes aus Sicht des Gitarristen ist in dieser Ausgabe zu lesen. Quintenzirkel Um zu erkennen, warum solche Intonations- Maßnahmen nötig sind, muss man über ge- wisse theoretische Grundlagen verfügen: Die mathematisch korrekte Stimmung entsteht durch das Übereinanderschichten von zwölf reinen Quinten. Dieses System ermittelt die zwölf Halbtöne der chromatischen Stimmung und wird Quintenzirkel genannt. Rein rechnerisch müsste der letzte dabei ent- Bauteile ... 11B AKUSTIK GITARRE 1/08 N 5 ~ 2 2 Sanden VRB-TT Modell stehende Ton genau sieben Oktaven höher sein als der Ausgangston. Da aber jede ein- zelne Quinte um ungefähr 1,8 cent zu groß ist, ist der Endton eben nicht sieben Oktaven, sondern sieben Oktaven und 22 cent höher als der Ursprungston. Zum Verständnis die- ser Abweichung sei gesagt, dass die Oktave in 1200 cent unterteilt wird, das sind 100 cent für jeden Halbtonschritt. Der letzte Ton der Reihe liegt also fast um ein Viertel eines Halbtonschrittes daneben. Solange man nur Einzeltöne spielt, kann man mit dieser Abwei- chung leben. Sobald aber Harmonien wichtig werden, können die Dissonanzen, die durch eine Tonabweichung dieser Größenordnung entstehen, sehr störend sein. Die temperierte Stimmung Andreas Werckmeisters temperierte Stimmung aus dem siebzehnten Jahrhundert weicht von der mathematisch korrekten Stimmung des Quintenzirkels dahingehend ab, dass sie nur ein einziges reines Intervall zulässt: Die Oktave. Die dazwischen liegenden Töne und Intervalle werden nach dem Sy- stem der gleichschwebend tem- perierten Stimmung ausgemit- telt. Das bedeutet, vereinfacht gesagt, dass die vorher ange- sprochene Unstimmigkeit von 22 cent gleichmäßig auf die 12 Quinten verteilt wird. Jede ein- zelne Quint wird um 22/12 cent verringert. Danach stimmt dann die Oktave, aber alle anderen In- tervalle sind in einem geringen Maße unrein. Diese Unreinheit ist so gering, dass man sie in der Regel nicht hört. Beim Klavier, wo jeweils drei Saiten für einen Ton angeschlagen werden, kann der Stimmer diese Unreinheit noch mehr "verwischen", indem er die drei Saiten nicht genau unisono, sondern mit einer mini- malen Abweichung voneinander stimmt. Bei der Gitarre ist alles anders Hier haben wir es mit verschie- denen Faktoren zu tun, die die ganze Sache komplizieren. Da sind zum einen sechs ein- zelne Saiten, die verschiedene Dehnungsei- genschaften haben, zum anderen ist da ein Griffbrett, in das - auf Basis der temperierten Stimmung- parallelzueinandereine Anzahl Bundstäbchen eingelassen wurden. Wie wir alle wissen, ändert sich die Spannung der Saite durch Niederdrücken am Bundstäbchen. Genau hier, am Bundstäbchen, setzt das "True Temperament"-Griffbrettsystem des Schwe- den Anders Thidell an. Thidell ist Gitarrist und war seit langem mit der herkömmlichen Temperierung der Stimmung unzufrieden. Aus dieser Unzufriedenheit heraus entwickelte er für sich eine Elektrogitarre mit einer überlan- gen Mensur (30 Zoll, das entspricht etwa 76 cm) sowie 56 in Kurven gelegten Bünden. Die Bünde liegen nicht nur an den uns bekannten Positionen, sondern auch dazwischen. Um auf einem solchen Instrument spielen zu können, muss man tatsächlich noch einmal von Neuem

Die wohltemperierte Gitarre

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Page 1: Die wohltemperierte Gitarre

1I[2!]VOMFACH

Diewohltemperierte Ciitarre

VonChristianStoll

In dieser Kolumne haben wir mehrfach über verschiedene Systeme berichtet, mit deren

Entwicklung findige Zeitgenossen versuchen, die Unzulänglichkeiten unseres zwölftönigen

Musiksystems für sensible Ohrenauf ein erträgliches Maßzu bringen.

Eine weitere Entwicklung in dieseRichtung wurde auf der Sanden VRB-TTSteelstring eingearbeitet: DasTrueTemperamentGriffbrettsystem.

Einen Test dieses Instrumentes aus Sicht des

Gitarristen ist in dieser Ausgabe zu lesen.

QuintenzirkelUm zu erkennen, warum solche Intonations-

Maßnahmen nötig sind, muss man über ge-wisse theoretische Grundlagen verfügen: Diemathematisch korrekte Stimmung entstehtdurch das Übereinanderschichten von zwölf

reinen Quinten. Dieses System ermittelt diezwölf Halbtöne der chromatischen Stimmungund wird Quintenzirkel genannt.Rein rechnerisch müsste der letzte dabei ent-

Bauteile ...

11B AKUSTIK GITARRE 1/08

N

5~22

Sanden VRB-TT Modell

stehende Ton genau sieben Oktaven höhersein als der Ausgangston. Da aber jede ein-zelne Quinte um ungefähr 1,8 cent zu großist, ist der Endton eben nicht sieben Oktaven,sondern sieben Oktaven und 22 cent höher

als der Ursprungston. Zum Verständnis die-ser Abweichung sei gesagt, dass die Oktavein 1200 cent unterteilt wird, das sind 100

cent für jeden Halbtonschritt. Der letzte Tonder Reihe liegt also fast um ein Viertel einesHalbtonschrittes daneben. Solange man nurEinzeltöne spielt, kann man mit dieser Abwei-chung leben. Sobald aber Harmonien wichtigwerden, können die Dissonanzen, die durcheine Tonabweichung dieser Größenordnungentstehen, sehr störend sein.

Die temperierte StimmungAndreas Werckmeisterstemperierte Stimmungaus dem siebzehnten Jahrhundert weicht von

der mathematisch korrekten Stimmung des

Quintenzirkels dahingehend ab,dass sie nur ein einziges reinesIntervall zulässt: Die Oktave. Die

dazwischen liegenden Töne undIntervalle werden nach dem Sy-stem der gleichschwebend tem-perierten Stimmung ausgemit-telt. Das bedeutet, vereinfacht

gesagt, dass die vorher ange-sprochene Unstimmigkeit von22 cent gleichmäßig auf die 12Quinten verteilt wird. Jede ein-zelne Quint wird um 22/12 centverringert. Danach stimmt danndie Oktave, aber alle anderen In-tervalle sind in einem geringenMaße unrein. Diese Unreinheit

ist so gering, dass man sie in derRegel nicht hört. Beim Klavier,wo jeweils drei Saiten für einenTon angeschlagen werden, kannder Stimmer diese Unreinheitnoch mehr "verwischen", indem

er die drei Saiten nicht genauunisono, sondern mit einer mini-

malen Abweichung voneinanderstimmt.

Bei der Gitarre istalles andersHier haben wir es mit verschie-

denen Faktoren zu tun, die die ganze Sachekomplizieren. Da sind zum einen sechs ein-zelne Saiten, die verschiedene Dehnungsei-genschaften haben, zum anderen ist da einGriffbrett, in das - auf Basis der temperiertenStimmung- parallel zueinandereine AnzahlBundstäbchen eingelassen wurden. Wie wiralle wissen, ändert sich die Spannung derSaite durch Niederdrücken am Bundstäbchen.

Genau hier, am Bundstäbchen, setzt das "TrueTemperament"-Griffbrettsystem des Schwe-den Anders Thidell an. Thidell ist Gitarrist

und war seit langem mit der herkömmlichenTemperierung der Stimmung unzufrieden. Ausdieser Unzufriedenheit heraus entwickelte er

für sich eine Elektrogitarre mit einer überlan-gen Mensur (30 Zoll, das entspricht etwa 76cm) sowie 56 in Kurven gelegten Bünden. DieBünde liegen nicht nur an den uns bekanntenPositionen, sondern auch dazwischen. Um aufeinem solchen Instrument spielen zu können,muss man tatsächlich noch einmal von Neuem

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True Temperament Bundierung

g:'3§

Stark korrigierte Bünde in den tiefen Lagen

anfangen zu lernen. Daher scheidet diese Lö-sung für die Serienfertigung aus. Auf BasisderErfahrungen, die Thidell mit dem 56-bündigenInstrument machte, entwickelte er in Zusam-

menarbeit mit dem in Stockholm ansässigenGitarrentechniker Paul Guy Griffbretter mit derherkömmlichen Anzahl von Bünden, die auchan den gewohnten Stellen platziert sind. DerUnterschied: Die Bünde sind nicht gerade,sondern in Kurven gelegt.

wie wird das gemacht?Der Weg dahin war weder kurz noch leicht.Nach Thidells Aussage werden Positionen dereinzelnen Bünde nicht mathematisch, sondernempirisch ermittelt. In langen Versuchsreihenwird die für die gewollte Stimmung erforder-liche Position des Bundes für jeden einzelnenTon bestimmt. Dadurch ergeben sich zum Teilskurril aussehende Schlangenlinien (Bildi).Sind diese alle festgelegt, wird von Hand einMuster für jeden Bund gefertigt, welches alsModell für die Gussform dient. Die im Instru-ment verwendeten Bünde sind also kein Stan-dardbunddraht von der Rolle, sondern Stück

für Stück eine Einzelanfertigung. Auch dieSchlitze, in die die Bünde eingelassen werden,können natürlich nicht, wie bei der herkömm-lichen Gitarre, einfach gesägt werden: sie wer-den mit haarfeinen Fräsern mit CNCTechnolo-

gie in das Griffbrett eingefräst.

Nachdem Anders Thidell an elektrischen Gi-

tarren schon 15 Jahre Erfahrung mit seinenTrue-Temperament-Griffbrettern mitbrachte,fertigte er nun erstmals für die akustischenStahlsaitengitarren von Michael Sanden tem-perierte Griffbretter an. Da Bronzesaiten aufakustischen Gitarren völlig anders reagierenund die Mensur um wenige Millimeter vonderjenigen der bisher bearbeiteten E-Gitarrenabwich, musste dafür die Position für jedeneinzelnen Ton neu bestimmt werden. Eine be-

sondere Herausforderung war die umsponneneG-Saite, wie auf Bild 2 zu sehen ist. Bei einersolchen Saite ist der Kerndurchmesserwesent-

lich kleiner als bei einer nicht umsponnenenSaite. Sie ist daher weniger steif, Schwin-gungs- und Dehnungsverhalten ähneln eherder D-Saite als der ebenfalls relativ steifen H-

Saite. Entsprechend ergeben sich Differenzenin den Auflagepunkten.

Auswirkungenauf den KlangNatürlich haben diese Maßnahmen auch einen

Einfluss auf den Klang des Instruments. Umdas näher zu erläutern, erlaube ich mir ei-nen kleinen Ausflug in die Welt der Obertöne:Diese, auch Teiltöne genannt, bestimmen dieKlangfarbe eines Instruments. Würden Musik-instrumente nur den reinen Grundton erzeu-gen - ohne Obertöne -, wäre dies ein Sinu-

ston. Damit klängen alle Instrumente gleich.Allerdings schwingt ein elastischer Körper(hier: Saite) nicht nur in seiner gesamtenLänge, sondern auch in Teilstrecken, wie derHälfte, einem Drittel, Viertel und so weiter.Diese anderen Töne sind nicht einzeln hör-bar. Ihre Reinheit und Intensität wird durch

verschiedene Eigenschaften des Instrumentsbestimmt. Das sind neben den verwendeten

Materialien und deren Eigenresonanzen, derArt der Tonerzeugung und anderen materiellen

Einflüssen auch die Reinheit der Stimmung.Je genauer ein Einzelton stimmt, umso le-bendiger bestimmt das Obertonspektrum dasKlangbild.

PraxisEine Überraschung ist die Tatsache, dass die-ses aufgrund der Schlangenlinien der Bündewirklich abenteuerlich aussehende Griffbrett

absolut keine Einschränkung der Spielbarkeitmit sich bringt: Diese Gitarre spielt sich wiegewohnt einfach. Wie bei allen anderen Op-timierungen der Tonreinheit muss man aller-dings auch hier damit rechnen, dass bei einerÄnderung der Saitenstärke wenigstens ein Teilder Vorteile wieder verloren geht. Auch eineNeubundierung wird natürlich deutlich auf-

wändiger sein. Ersatzbünde gibt es wegen derkomplizierten Fertigungstechnik ausschließ-lich beim Hersteller.

Die oben erwähnte Lebendigkeit der Obertöneist bei der vorliegenden Sanden-Gitarre starkausgeprägt. Wer also schon immer mit der In-tonation seiner Gitarre gehadert hat und end-lich einmal sich selbst und seinen Zuhörern

einen (im wahrsten Sinne des Wortes) reinenHörgenuss verschaffen möchte, ist mit dem

True-Temperament-Systemund entspre- l"IliIchender Bundierung gut bedient. Lf...:'J

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