Die Zauberin von Ruwenda

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Das Buch Ruwenda ist ein fruchtbares, blhendes Land, das Menschen seit Urzeiten unter dem Schutz der Erzzauberin Binah bewohnen. Aber am Ende ihres langen Lebens fhlt Binah ihre Zauberkraft dahinschwinden. Ruwenda ist in groer Gefahr, wenn sich ihre Hoffnung nicht erfllt, die Rolle der Hterin weitergeben zu knnen. Ihre Hoffnung sind die drei Prinzessinnen von Ruwenda, denen die Erzzauberin die Macht der mystischen Schwarzen Lilie verleiht. Sie ist das Wappen des Knigshauses und das Symbol eines alten Zaubers, der niemanden in Ruwenda mehr bekannt ist. Wenn die Prinzessinnen Haramis, Kadiya und Anigel, die zu wunderschnen jungen Frauen heranreifen, nicht fr das Knigreich ihrer Mutter kmpfen, dann ist das Reich der Schwarzen Lilie verloren. Als die Feinde aus dem benach-barten Labornok in Ruwenda eindringen, befiehlt Binah den Prinzessinnen zu fliehen und sich auf die Suche nach drei magischen Talismanen zu begeben, die - wieder zusammen-gefgt - ihre einzige Chance sind, das Knigreich zurckzu-erobern und das Volk zu befreien. Drei der beliebtesten Fantasy-Autorinnen unserer Zeit, Marion Zimmer Bradley, Julian May und Andre Norten, haben gemeinsam einen mrchenhaften Roman geschrieben, der auf ergreifende Weise Magie und Mystik, Liebe und Leidenschaft miteinander verbindet. Jede der Autorinnen gestaltete eine der drei Frauenfiguren. Dabei entstanden so unterschiedliche Charak-tere wie die wibegierige Haramis, die leidenschaftliche Jgerin Kadiya und die liebreizende, unschuldige Anigel. Und es entstand im harmonischen Zusammenspiel so unterschied-licher Erzhltemperamente eines der bemerkenswertesten Werke der zeitgenssischen phantastischen Literatur.

Die Autorinnen Marion Zimmer Bradley ist Autorin von Bestsellern wieDie Nebel von Avalon und Die Wlder von Albion und anderen. Julian May ist Autorin des fnfbndigen Fantasy-Romans -Saga vom Pliozn-Exil. Andre Norten wurde als Autorin von Hexenwelt-Phantasien international bekannt.

MARION ZIMMER BRADLEYJULIAN MAYANDRE NORTON

DIE ZAUBERIN VON RUWENDA

RomanAus dem Amerikanischen von Marion Balkenhol

WILHELM HEYNE VERLAG MNCHENHEYNE ALLGEMEINE REIHE Nr. 01/9698

Titel der amerikanischen Originalausgabe BLACK TRILLIUMDie Originalausgabe erschien im Verlag Doubleday, New York

Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor- und surefreiem Papier gedruckt.

4. AuflageCopyright 1990 Marion Zimmer Bradley, Julian Mayund Andre NortonCopyright 1994 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, MnchenPrinted in Germany 1996Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schtz, Mnchen Umschlagillustration: Mark Harrison/Agentur Luserke, StuttgartSatz: H. Widmann, Berg Druck und Bindung: Eisnerdruck, BerlinISBN 3-453-09221-X

Fr Uwe Luserke,der das Samenkorn des schwarzen Drillingszum Keimen brachte

PrologAus der Chronik der Halbinsel, aufgezeichnet von Lampiar, dem letzten Wissenden von Labornok

Als die Knige von Ruwenda bereits seit siebenhundert Jahren die Herrschaft ber die Moorwildnis, die man Irrsmpfe nannte, innehatten, tauchten sowohl in der Geschichts-schreibung als auch in Legenden Berichte ber eine jener groen Vernderungen auf, die zuweilen das Gleichgewicht der Welt erschttern. Fr die zivilisierten Vlker der Halbinsel - in erster Linie fr uns aus dem benachbarten Labornok - war die feuchte Hochebene von Ruwenda ein bedrckendes und rckstndiges dland, das tatkrftigeren und fortschrittlicheren Vlkern nur ein Dorn im Auge sein konnte. Um die Wahrheit zu sagen, Ruwenda war alles andere als ein gut regiertes Knigreich, denn es gelang den Herrschern nie, die sonderbaren Eingeborenen, die in ihrem Herrschaftsbereich hausten, unter ihre Oberhoheit zu bringen. Statt dessen lieen die Knige von Ruwenda die gesetzlosen Enklaven der sogenannten Seltlinge bedenkenlos weiterbestehen, oftmals zum Schaden ihrer rechtmigen Untertanen, zu Lasten des Friedens im allgemeinen und der guten Ordnung im Knigreich. Zwei dieser Eingeborenenstmme, die durch die Smpfe ziehenden Nyssomu und die mit ihnen eng verwandten/aber scheueren Uisgu (kaum als menschliche Wesen zu bezeichnen und daher deutlich von der Natur dazu bestimmt, den ihnen berlegenen zu dienen), wurden sowohl vom Knigshaus als auch vom Kaufmannsstand in Ruwenda praktisch als Ebenbrtige behandelt, wenn ihnen auch nie ein Treueid abverlangt wurde. Darber hinaus ist bekannt, da es Angehrige der Nyssomu gab, die in der berhmten Zitadelle von Ruwenda ein und aus gingen, und da einige dieser unkultivierten Geschpfe sogar als hhergestelltes Dienstpersonal am kniglichen Hof zugelassen waren! Zwei weitere Stmme der Seltlinge - die in den Bergen hausenden Vispi und die halbzivilisierten Wyvilo aus den sdlichen Regenwldern - verhielten sich Menschen gegenber ausgesprochen ungastlich, lieen sich aber dazu herab, mit den Kaufleuten aus Ruwenda regelmig Handel zu treiben. Die schattengleichen Glismak hingegen, die im Dschungel lebten, der an das Gebiet der Wyvilo grenzte, hatte zu jener Zeit kaum je ein Mensch zu Gesicht bekommen. Sie waren heimtckische Wilde, die mit Vorliebe Blutbder unter den Seltlingen in ihrer Nachbarschaft anrichteten. Der letzte und grte Stamm der Seltlinge, die widerwrtigen Skritek, auch Wasserbestien genannt, lebten fast berall in den Smpfen, waren aber am hufigsten in dem weitlufigen, stinkenden Moorland im Sden der Zitadelle von Ruwenda und in der Dornenhlle im Norden des Zentralgebietes anzutreffen. Diese Unholde der Irrsmpfe wurden von Karawanen als Wegelagerer gefrchtet und berfielen einsame Landgter und menschliche Ansiedlungen. Mit Vorliebe ertrnkten sie ihre Opfer oder qulten sie mit unsglicher Grausamkeit, um sie anschlieend in den Treibsmpfen dem Tode auszuliefern. Doch auf dem Thron von Ruwenda folgte ein Knig dem nchsten, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, das Land von dieser Bedrohung zu befreien. Hinter vorgehaltener Hand war oftmals zu hren, da die Fulnis aus den Feuchtgebieten die Menschen in Ruwenda an Krper und Seele geschwcht habe. Ihre Herrscher seien ein unbekmmerter Haufen, dem es vllig an der rechten Feudaldisziplin mangele. Dann bestieg der gelehrte, aber eigenwillige Krain III. den Thron. Seine offenkundige Kurzsichtigkeit im Umgang mit den Nachbarvlkern machte deutlich, da die Zeit reif war fr aufgeklrtere und fortschrittlichere Methoden in einer grenden Situation, unter der unser groes Knigreich Labornok jahrelang gelitten hatte. Zu allem Unglck war es jedoch so, da Labornok genau die Dinge brauchte, die diese schwachen, ohnmchtigen Nach-

barn feilboten. Unsere Wlder waren schon vor langer Zeit gerodet und in Ackerland umgewandelt worden. Man war nun auf die Regenwlder in Ruwenda angewiesen, denn man brauchte sowohl Bauholz fr Schiffe, um den blhenden Handel auf dem Meer aufrechtzuerhalten, als auch wertvolle Hlzer fr die Einrichtung der stattlichen Bauten in Derorguila. Hinzu kam, da aufgrund einer unbarmherzigen Laune der Natur die Hnge des undurchdringlichen Ohoganmassivs, die nach Labornok abfielen, keinerlei Bodenschtze enthielten, whrend der Gebirgszug auf der Seite von Ruwenda Gold- und Platinminen sowie vielerlei wertvolle Edelsteine in sich barg, die von reienden Wildwassern ausgewaschen und hier und da im Gebirge abgelagert wurden. Die wertvollen Metalle und Kristalle wurden von den Vispi-Seltlingen wahllos aufgelesen und im Handel an die Uisgu weitergegeben. So gelangten sie schlielich in die Hnde der Menschen aus Ruwenda. Andere Handelsgter dieses eigenwilligen kleinen Knigreiches waren wertvolle medizinische Sumpfkruter und Kchengewrze, Felle von Wrremern und Fytoxhute sowie kuriose antike Gegenstnde, die die Seltlinge aus Ruinenstdten in den unzugnglichsten Sumpfgebieten holten. Doch auch in den besten Zeiten war der Handel zwischen Labornok und Ruwenda ein unbefriedigendes und bisweilen gefhrliches Unterfangen. So mancher unserer ruhmreichen Knige hatte schon - erzrnt ber eine neue Unverschmtheit der Ruwendianer - an seinem kniglichen Schnurrbart genagt und seine Generle aufgefordert, einen Plan zur Eroberung der kleineren Nation zu entwerfen! Aber es ist schwierig, in ein Land einzudringen, zu dem es nur einen Zugang gibt - den steilen, schmalen Vispir-Pa ber das Ohoganmassiv, der von gut plazierten Befestigungsanlagen der Ruwendianer berwacht wird. All die unglckseligen Knige von Labornok, die den Versuch unternommen haben, kehrten nie zurck. berlebende ihrer geschlagenen Armeen wuten von dmonischen, eiskalten Nebeln zu berichten, von Wirbel-strmen, aus denen gespenstische Augen zu starren schienen, von berraschend aufkommenden Strmen im Gebirge mit

Schnee, Graupel und Hagel, von gewaltigen Bergrutschen, von explosionsartig sich ausbreitenden Seuchen, die alle Kriegsfronler hinwegrafften, sowie von anderen Unbilden, die ber sie hereingebrochen waren. Es hatte fast den Anschein, als htte man bernatrliche Krfte gegen die Invasionen zu Hilfe gerufen. Doch selbst wenn die Vorposten auf dem Pa htten eingenommen werden knnen, das aufgeweichte Sumpfland dahinter htte ein noch greres Hindernis dargestellt. Das wute jeder Handelsmeister aus Labornok nur zu gut. Diese wagemutigen, unabhngigen Mnner der Handelsgilde, die ihre Privilegien und gewisse lebensrettende Zauberformeln vom Vater auf den Sohn vererbten, waren die einzigen Brger unseres Knigreichs, die den geheimen Weg in das Herz von Ruwenda kannten. Mancher General von Labornok hegte in seiner Wut und Enttuschung ber die vergeblichen Versuche, den wenig mitteilsamen Zunftmeistern die geeigneten Wegstrecken oder auch nur eine ntzliche Landkarte zu entlocken, den Verdacht, da schwarze Magie im Spiele war, die die Lippen dieser Mnner whrend der Befragungen verschlo. Am Ende sollte der Weg jedoch durch eine List des mchtigen Zauberers Orogastus, auf den wir noch nher eingehen werden, entdeckt werden. In den alten Zeiten jedoch behielten die Handelsmeister ihr Geheimnis wohlweislich fr sich und genossen ihr eintrgliches Monopol ebenso wie ein betrchtliches Ma an politischer Macht. Eine typische Karawane, angefhrt von vier Meistern der Handelsgilde, war klein und bestand aus nicht mehr als zwanzig Wagen, vor die man Volumner gespannt hatte, und aus vielleicht fnfzig Mnnern. Nachdem die Meister den Befehlshabern der Festungen in den Bergen entsprechende Parolen genannt hatten, fhrten sie den Wagenzug auf einem nicht markierten und trgerisch erhhten Fahrdamm in die Smpfe. Nur wenige Stellen auf der zweihundert Meilen langen Strecke zwischen den bergigen Grenzgebieten und der Zitadelle von Ruwenda waren mit festem, nicht schwankenden Boden gesegnet. Im Osten der Handelsstrae lag das grte Trockengebiet, das Dylex-Land, wo in Poldern oder auf eingedeichten, trockengelegten Feldern neben ertragreichen Farmen und ausgedehntem Weideland auch vereinzelte Ortschaften zu finden waren. In Virk, der grten dieser Ansiedlungen, erhielten Mineralien, die von den Uisgu oder den Nyssomu geliefert wurden, den ersten Schliff. Virk wurde somit zu einem zweiten Handelszentrum fr Edelsteine und wertvolle Metalle in Ruwenda. In weit grerem Umfang wurde jedoch in der Zitadelle, der Hauptstadt von Ruwenda, mit diesen Materialien gehandelt. Sie thronte auf einem ansehnlichen Felssockel, der sich inmitten der Irrsmpfe erhob. Sobald die Handelsmeister in der Zitadelle angekommen waren, entrichteten sie den kniglichen Wegezoll. (Zustzlich zahlten sie vor ihrer Abreise eine willkrlich festgesetzte Warensteuer - das gehrte zu den wunden Punkten in den Beziehungen zwischen Labornok und Ruwenda.) Dann war es ihnen freigestellt, ihre Handelsgter auf dem groen Markt der Zitadelle zu verkaufen, um anschlieend Waren gegen Mineralien oder Nutzholz zu tauschen. Das Holz bezogen Zwischenhndler aus Ruwenda von den in den Wldern hausenden Wyvilo. Handelsmeister, die auf der Suche nach ausgefalleneren Gtern waren, reisten in den fr Ruwenda typischen viereckigen Fluschiffen oder in Plattbooten auf dem trge dahinflieenden Unteren Mutar einige hundert Meilen weiter fluaufwrts ins Land hinein bis zur Mndung des Vispar. Dort lag die Ruinenstadt Trevista - und auf ihren Pltzen fanden die legendren Jahrmrkte der Seltlinge statt. Diese Mrkte wurden nur whrend der Trockenzeit abgehalten, da die Monsune, die vom Meer im Sden heraufbrausten, die Wasserstraen des Sumpflandes unpassierbar machten. Allein die Seltlinge wagten sich dann noch in die Irrsmpfe, denn sie kannten die Wege und verfgten ber Methoden der Fortbewegung, die sie vor vielen Jahrhunderten entwickelt hatten. Trevista ist und bleibt eines der groen Geheimnisse unserer Halbinsel. Der Ort ist unvorstellbar alt und auch in seinem gegenwrtigen Zustand des beinahe vollstndigen Zerfalls noch immer von atemberaubender Schnheit. Das Labyrinth der Kanle, die zerbrckelnden Brcken und die erhabenen

Ruinen der Gebude sind von einer Vielzahl seltener Dschungelblumen berwuchert. Von der ursprnglichen Stadtanlage ist immerhin noch so viel briggeblieben, da man die Kunstfertigkeit und das technische Knnen ihrer Erbauer erkennen kann, die weit ber den Fhigkeiten der meisten fortgeschrittenen Kulturen der Halbinsel lagen. Diejenigen, die sich fr solche Dinge interessieren, gehen davon aus, da Ruwenda einst ein riesiger, von einem Gletscher gespeister See war, aus dem sich vereinzelt Inseln erhoben, die heute nur noch als leichte Anhhen im Sumpf auszumachen sind. Von vielen dieser Erhebungen heit es, da sie von hnlichen Ruinen bedeckt seien. Auch die Seltlinge knnen sich die alten Stdte nicht erklren. Ihrer Ansicht nach wurden sie vom Versunkenen Volk errichtet und existierten noch, als ihre eigenen Vorfahren ins Sumpfland kamen. Auch die Zitadelle von Ruwenda, ein wahrer Berg aus verschlungenen Steinmauern, Bollwerken, Bergfrieden, Trmen und miteinander verbundenen Gebuden, existiert schon seit uralten Zeiten. Es heit, sie sei Sitz der ursprnglichen Herrscher der Halbinsel gewesen, wer immer das gewesen sein mag. Aus den abgelegeneren Ruinen, zu denen nur die Eingeborenen Zugang hatten, stammten die begehrtesten Handelsgter - antike Kunstgegenstnde und mysterise kleine Apparate, die sowohl bei Sammlern in Labornok, als auch bei Mchtegern-Studenten okkulten Wissens in den entlegensten Winkeln der uns bekannten Welt hohe Preise erzielten. Aus Grnden, die noch ersichtlich werden, erlahmte dieser Handel, nachdem Kronprinz Voltrik Thronerbe von Labornok wurde und Ereignisse in Gang setzte, die den heiersehnten Sieg ber diese Pestbeule, unseren kleinen Nachbarn im Sden, herbeifhren sollten. Voltrik mute wohl oder bel sehr lange auf seine Krone war-ten, denn sein Onkel, Knig Sporikar, lebte entschieden lnger als die ihm zugedachten einhundert Jahre. Seine Wartezeit vertrieb sich Voltrik damit, da er die Usurpierung einer weiteren Krone plante und weite Reisen unternahm. Von einer dieser Expeditionen in die Lnder nrdlich von Raktum brachte er einen neuen Begleiter mit, der ihm den Schlssel zum Knigreich Ruwenda liefern sollte - den Zauberer Orogastus. Voltrik war damals in seinem dreiig-und-achten Jahr, eine uerst stattliche Erscheinung, mit schwarzem Bart und von granitener Schnheit. Sein Temperament war unberechenbar und erschreckend wie ein Donnerschlag. Seine erste Gemahlin, Prinzessin Janeel, die er ber alles liebte, starb bei der Geburt des einzigen Sohnes Antar. Seine zweite Gemahlin, Shonda, verschwand unter mysterisen Umstnden whrend einer Lossok-Jagd. Sie hatte in zehn Jahren Ehe keine Kinder zur Welt gebracht. Die leichtfertige Prinzessin Narice, seine dritte Gemahlin, wurde des Hochverrats bezichtigt, nachdem sie versucht hatte, mit einem Stallmeister durchzubrennen. Man steckte sie zusammen mit ihrem Geliebten in einen Sack aus Dornenvlies und verbrannte die beiden bei lebendigem Leibe. Der Zauberer Orogastus wurde Voltriks Erster Ratgeber und schaffte es binnen kurzem, da man ihn in ganz Labornok respektierte und frchtete. Er war es auch, der dem Prinzen den dringenden Rat gab, den rechten Augenblick abzuwarten, ehe er sich eine vierte Braut nhme, und sich in Geduld zu ben, wenn er seine ehrgeizigen Plne erfllt sehen wolle. (Klugerweise enthllte der Zauberer dem ungestmen Prinzen nicht, da er noch weitere siebzehn Jahre warten mte, bis der senile Knig Sporikar strbe.) In der Zwischenzeit errichtete Orogastus hoch oben an der Nordseite des Ohoganmassivs am Hang des Mount Brom eine Festung, wo er sich der Vervollkommnung seiner Zauberknste widmete. Jedes ungewhnliche Kunstobjekt aus vorgeschichtlicher Zeit, das die Handelsmeister von Labornok sich bei den Eingeborenen der Smpfe verschafft hatten, wanderte jetzt unverzglich in seine Hnde, denn eine Vision hatte ihm gezeigt, da einigen dieser sonderbaren Gegenstnde eine ungeheure Macht innewohnte, die man sich zunutze machen knnte. Spter ernannte Orogastus drei finstere Gestalten zu seinen Dienern, die als seine Stimmen bekannt wurden. Sie dienten ihm als Gehilfen und verlngerter Arm und waren beinahe ebenso gefrchtet wie ihr Meister. Auf der anderen Seite des mit Eis bedeckten Ohoganmassivs, in den

Vorgebirgen Ruwendas, dort, wo der Nothar seinen schnellen Lauf verlangsamte und sein Flubett verbreiterte, lebte noch eine Person, die sich mit Magie beschftigte. Es war die Erzzauberin Binah, bekannt auch unter dem Namen Weie Frau, die seit ungezhlten Jahren in den Ruinen von Noth wohnte, einer der alten Stdte des Versunkenen Volkes. Sie war fr die menschliche Bevlkerung von Ruwenda nur wenig mehr als eine Legende, denn gewhnliche Sterbliche hatten sie nie zu Gesicht bekommen. Gleichwohl beschworen sie die Weie Frau nach wie vor in Zeiten der Gefahr und verehrten sie von alters her als Hterin ihres Landes. Einzig und allein die Seltlinge und das Knigshaus von Ruwenda kannten die Wahrheit, die hinter dieser Legende steckte: Es war Binahs wohlmeinendem Zauber zu verdanken, nicht dem schwer zugnglichen Terrain, da die Irrsmpfe vor mglichen Plnderern bewahrt wurden. Aber das Gewicht der Jahre beugt jene, die sich mit Zauberei befassen, ebenso wie jene, die keine Zauberkraft besitzen. Whrend der Herrschaft Krains III. fiel es Binah zunehmend schwerer, die geheimen Schutzwlle, die sie um Ruwenda errichtet hatte, aufrechtzuerhalten. Und in dem Mae, wie ihre Fhigkeiten dahinschwanden, nahmen die des teuflischen Orogastus an Wirkungskraft zu.

Es geschah aber, da Kalanthe, die Knigin von Ruwenda, nach vielen Jahren der Unfruchtbarkeit endlich niederkam. Indes, nichts verlief so, wie es sein sollte. Knig Krain kniete neben seiner gepeinigten Gemahlin und beschwor Mchte, die im Laufe der Zeit beinahe in Vergessenheit geraten waren und die er seit seiner Kindheit nicht mehr beim Namen genannt hatte. Aus der dunklen Nacht, die dicht und trge ber dem groen Sumpf hing, tauchte ein Vogel auf, der so gewaltig war, da er mit den ausgebreiteten Flgeln das Dach des Hohen Turms der Zitadelle htte bedecken knnen. Ohne jeden Zweifel war es einer der furchteinflenden Lmmergeier, die auf den unzugnglichsten Klippen des

Ohoganmassivs hausten. Die Erzzauberin Binah stieg von seinem Rcken, und alle, die Wache hielten oder in den Hallen Dienst taten, fielen bei ihrem Anblick ehrfrchtig auf die Knie. Von ihrer ueren Erscheinung her schien sie nur eine alte Frau zu sein, eingehllt in einen mit silbernen Ornamenten eingefaten weien Mantel, der bei der leisesten Bewegung die blablaue Farbe berschatteter Schneefelder annahm; aber sie hatte etwas an sich, das alle Fragen verstummen lie. Es war undenkbar, da jemand versuchen knnte, ihr auf dem raschen Weg zum Bett der Knigin Einhalt zu gebieten. Alle, die ihrer leidenden Herrin beistanden, weinten, seufzten und beteten laut, denn es war offensichtlich, da Kalanthe das neue Leben, das in ihr um seine Existenz kmpfte, nicht hervorbringen konnte und dem Tode nahe war. Ihr wunderschnes rostbraunes Haar klebte ihr dunkel vom Schwei ihrer Qualen am Kopf, und sie ergriff Knig Krains Hand wie eine Ertrinkende, die sich an ein rettendes Seil klammerte. Die Erzzauberin trat nher und sagte: Seid ganz ruhig. Alles wird gut werden. Kalanthe, geliebte Tochter, sieh mich an. Die Knigin ri die Augen weit auf und hrte auf zu sthnen. Der arme Krain wollte nicht von der Seite seiner Gemahlin weichen, aber eine einzige Handbewegung der Erzzauberin erfllte ihn pltzlich mit Hoffnung. Er trat ein paar Schritte zurck und bewegte die Hflinge und Kammerzofen der Knigin, der Besucherin Platz zu machen. Die knigliche Hebamme, eine Eingeborene namens Immu, stand neben dem Bett und hielt einen Becher mit einem Krutertrank in der Hand, den sie der Knigin nicht hatte einflen knnen. Die Erzzauberin Binah gab dem kleinen nichtmenschlichen Weiblein ein Zeichen, vorzutreten und den Becher zu heben. Und dann geschah ein groes Wunder. Alle Anwesenden, die sterbende Knigin eingeschlossen, stieen Rufe der Verwunderung aus, denn Binah hielt eine schwarze Drillingslilie ber den Becher - mit Wurzel, Blttern und einer einzelnen, dreiblttrigen Blte -, ein sagenumwobenes Sumpfkraut, das so selten war, da nicht einmal die Seltlinge im Palast sagen konnten, wo und ob es berhaupt noch zu finden war. Diese Pflanze aber war das Zeichen des

Knigshauses von Ruwenda, und zu den wertvollsten Kronjuwelen gehrten Bernsteine, in denen winzige Versteinerungen dieser Blte eingeschlossen waren, nicht grer als der Kopf einer Stecknadel. Aber diese Blume war nicht klein. Sie war so breit wie die Handflche der Erzzauberin und von einem Schwarz, tiefer als Seidensamt. Binah pflckte die Blte der Drillingslilie und lie sie in den Becher fallen, die Pflanze selbst versteckte sie unter ihrem Umhang. Sie wartete noch zehn Atemzge, bis die Blume sich aufgelst hatte, dann nahm sie den Becher mit dem Heiltrank aus den Hnden der Hebamme und gab dem Knig ein Zeichen. Geschwind eilte Krain herbei, nahm seine geliebte Gemahlin in den Arm und sttzte sie, whrend sie an dem Getrnk nippte, um dann Zug um Zug den Becher zu leeren. Nun legte sich die Knigin wieder in ihre Kissen zurck. Pltzlich stie sie einen mchtigen Schrei aus - eher triumphierend denn schmerzvoll -, und die Hebamme Immu sagte: Sie kommt nieder! Rasch hintereinander kamen drei kleine Prinzessinnen zur Welt. Und das war ein groes Wunder, da Mehrfachgeburten in der menschlichen Aristokratie nur selten vorkommen. Die Kleinen brllten krftig und waren, wenn auch klein, so doch vollkommen geformt, eine jede in Gestalt und Hautfarbe ein wenig anders als die anderen beiden. Als die Prinzessinnen behutsam in ein bereitliegendes Tuch gelegt wurden, nannte die Erzzauberin jeweils einen Namen und legte dem kleinen Wesen einen sonderbar verschnrkelten goldenen Anhnger auf die Brust, in den Honigbernstein eingelegt war, der eine Knospe der Drillingslilie enthielt. Haramis, sagte sie zum ersten Kind, wie man einen lieben Freund oder Schtzling willkommen heit, Kadiya, grte sie die zweite, whrend sie die dritte mit Anigel empfing. Dann blickte sie ber die Kinder hinweg auf den Knig und die Knigin, die ihrem Tun staunend zusahen, und sagte in der Art, wie man Prophezeiungen verkndet, als wollte sie ihre Worte allen, die sie hrten, tief ins Gedchtnis einprgen:

Die Jahre kommen und gehen geschwind. Was oben ist, wird fallen, was zrtlich geliebt wird, geht verloren, was verborgen ist, mu, wenn die Zeit gekommen ist, aufgedeckt werden. Und dennoch sage ich Euch, da alles sich zum Guten wenden wird. Meine Tage neigen sich dem Abend zu, wenn ich auch tun werde, was ich tun mu und tun kann, ehe die Nacht endgltig hereinbricht. Diese drei Bltter des Lebenden Drillings, Kinder aus Eurem Hause, Krain und Kalanthe, erwartet ein grausames Schicksal, und schreckliche Aufgaben liegen vor ihnen, doch die Zeit dafr ist noch nicht gekommen. Noch ehe der Knig und die Knigin nach der Bedeutung ihrer Warnung fragen konnten, drehte sich die Erzzauberin Binah um und entschwand. Die Kammerzofen und die Hebamme Immu waren vllig von den schreienden Suglingen und den notwendigen Pflichten bei der Niederkunft der Knigin in Anspruch genommen, whrend der Knig hinausging, um die freudige Nachricht zu verknden und eine Zeit des Feierns auszurufen. Die magischen Drillingsamulette wurden an feine Goldkettchen gehngt, die die Prinzessinnen von nun an Tag und Nacht um den Hals trugen.

Wie die Erzzauberin vorausgesagt hatte, zog die Zeit ins Land; und mit ihr ging auch eine gewisse Vergelichkeit einher. Die drei Prinzessinnen wuchsen zu starken, wunderschnen Mdchen heran, die von ihren Ammen und von den Eltern oft die Geschichte jener sonderbaren Szene ihrer Geburt zu hren bekamen. Den Mdchen erschien es jedoch mehr und mehr wie ein Mrchen, vor allem die unheilverkndende Warnung, denn es gab nichts, was ihr Wohlbefinden in der Zeit ihres Heranwachsens getrbt htte, und wie die meisten jungen Menschen interessierten sie sich mehr fr die Gegenwart als fr die Vergangenheit. Prinzessin Haramis war der Liebling ihres gelehrten Vaters. Schon als kleines Kind verlangte sie nach Wissen, wie es in Bchern zu finden ist, plagte die kniglichen Schreiber und Weisen mit Fragen, die sich fr weibliche Angehrige des Knigshauses nicht ziemten. Auch Musik verzauberte sie, vor allem Fltenmusik und die Klnge der Harfe aus dem Holz des Ladubaumes. Sie war oft mit dem Seltling Uzun zusammen, der ein berhmter Snger und Geschichtenerzhler war. Er konnte mit seinen lustigen Fabeln und seinem weisen Rat tiefe Melancholie in ausgelassene Frhlichkeit verwandeln. Prinzessin Kadiya erwies sich schon frh als Liebhaberin von Tieren und Vgeln, vor allem der sonderbaren Geschpfe tief in den Smpfen. Sie liebte es, unter freiem Himmel zu leben und die entlegenen Gebiete des Knigreiches zu erforschen. Ihr Fhrer und Lehrer in naturgeschichtlichen Dingen war der Seltling Jagun, kniglicher Tierhter und Erster Jger der Zitadelle. Prinzessin Anigel, zart und empfindsam wie eine der Blumen, die sie so sehr liebte, war ein schchternes Kind, wenn sie auch gern lachte, und sie hatte ein weiches Herz, das beim Anblick kranker oder leidender Kreaturen nur so dahinschmolz. Zur groen Freude von Knigin Kalanthe fand sie Gefallen an huslichen und zeremoniellen Pflichten, die ihre Schwestern verachteten. Ihre engste Vertraute war jene Immu, die Hebamme der Knigin und ihre Amme gewesen war. Jetzt war sie Apothekerin in der Zitadelle und stellte nicht nur Mixturen und Essenzen aus Heilkrutern her, sondern auch kstliche Duftwsserchen, Konditoreizutaten und ausgezeichnetes Bier. Es kam die Zeit, da die Prinzessinnen das heiratsfhige Alter erreichten. Ruwenda war siebzehn Jahre lang auf Kosten von Labornok zu Wohlstand gekommen. Auf Gehei des Zauberers Orogastus hielt Kronprinz Voltrik um die Hand von Haramis, der Thronerbin, an. Sehr zu seinem Verdru wurde er abgelehnt, da Knig Krain in Ermangelung eines mnnlichen Thronerben bereits beschlossen hatte, am bevorstehenden Fest des Dreigestirns seine lteste Tochter mit dem zweiten Sohn des Knigs Fipdelon von Var zu verloben. Dieser Prinz mit Namen Fiomakai wrde den Thron von Ruwenda als Mitregent mit Haramis teilen. Das Volk von Var im Sden des Tassaleyo-Waldes in der fruchtbaren Ebene des Groen Mutar pflegte weder auf dem Gebiet des Handels noch auf diplomatischer Ebene regen Austausch mit Ruwenda. (Es war jedoch ein ernstzunehmender Gegner von Labornok, was den Seehandel betraf!) Doch wenn es je gelnge, die wilden Glismak zu unterwerfen und den Groen Mutar fr die Handelsschiffe aus Var zu ffnen, knnte dem lukrativen Handel Labornoks mit Ruwenda durchaus der Boden unter den Fen entzogen werden ... An diesem kritischen Wendepunkt in der Geschichte der Halbinsel schlo der alte Knig Sporikar schlielich die Augen vor der Welt, und Voltrik wurde Knig von Labornok. Auf Drngen von Orogastus, seinem neu ernannten Truchse, rief Voltrik seinen erwachsenen Sohn, Kronprinz Antar, und den Obersten Befehlshaber Labornoks, General Hamil, zu sich. Er gab ihnen den Befehl, die sofortige Invasion Ruwendas vorzubereiten.

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Abermals zuckte unten ber den ueren Festungsanlagen der belagerten Zitadelle ein blulich-weier Blitz und blendete die Knigsfamilie und ihre Hflinge und Lehnsmnner, die sich in einem Erker auf halber Hhe des groen Bergfrieds versammelt hatten, um den Lauf der Ereignisse zu verfolgen. Im Bruchteil einer Sekunde traf der anschlieende Donnerschlag ihre Ohren. Voller Verzweiflung sthnte Knig Krain laut auf. Bei der Weien Frau, diesmal kann es keinen Zweifel geben! Zauberer Orogastus hat in der Tat aus heiterem Himmel den Blitz herabgerufen und mit diesem Schlag eine Bresche zur inneren Festung geschlagen! Zu Hunderten drangen Fusoldaten aus Labornok durch die breite, neu entstandene ffnung. In dichtem Abstand folgten ihnen Berittene, allen voran der erbarmungslose General Hamil. Die tapferen Verteidiger der Zitadelle fielen unter den Streichen der Angreifer wie Rhricht im Orkan. Sekunden spter leuchtete ein drittes magisches Feuer auf, dann ein viertes, und nach jedem Aufleuchten strmte der Feind in Horden durch die frisch geschlagenen ffnungen in den Festungsmauern. Das ist das Ende, sagte der Knig. Wenn Orogastus mit seinen ungeheuren Blitzen jene Wehrmauer aus alter Zeit mit ihren unzhligen Bollwerken durchbrechen kann, dann bietet auch der groe Bergfried keine Sicherheit mehr. Er wandte sich einem seiner Lehnsmnner zu. Lord Sotolain, holt mir meine Rstung. Und Euch, Lord Manoparo, betraue ich mit der Sicherheit unserer geliebten Knigin und der

Prinzessinnen. Bringt sie in den verborgenen Raum, wo Ihr sie mit Euren Rittern bis zum letzten Blutstropfen verteidigen mt. Die anderen bereiten sich darauf vor, an meiner Seite den Gegner aufzuhalten. Knigin Kalanthe nickte ergeben; Prinzessin Anigel jedoch erhob ein herzergreifendes Wehklagen, und mit ihr weinten die Kammerzofen. Prinzessin Haramis war zu einer finster dreinblickenden Marmorstatue erstarrt. Nur die groen blauen Augen und die glnzenden schwarzen Locken linderten den farblosen Eindruck ihrer blassen Haut und ihrer weien Gewnder. Prinzessin Kadiya, die in ihrem grnledernen Jagdanzug sehr unweiblich gekleidet wirkte, zog ihren Dolch aus der Scheide und schwang ihn ber dem Kopf. Eure Majestt - Heber Vater - lat mich kmpfen und an Eurer Seite fallen! Das ist mir tausendmal lieber, als mich mit flennenden Weibern zu verkriechen, whrend diese Bastarde aus dem Flachland Ruwenda erobern! Die Knigin und die Adligen rangen nach Luft; Prinzessin Anigel und die Zofen lieen von ihren Klagen ab und blickten verblfft auf. Prinzessin Haramis lchelte nur kalt. Ich glaube, Schwester, da du dein kmpferisches Knnen zu hoch einschtzt. Du hast es hier nicht mit larvenhnlichen Reffinchen zu tun, die bei der Jagd vor deinen Spielzeugspeeren die Flucht ergreifen, sondern es sind bewaffnete Anhnger des Knigs Voltrik, die durch den Bann eines bsen Zauberers geschtzt sind. Die Seltlinge behaupten, da eine Frau aus dem Knigshaus von Ruwenda einst Labornok zu Fall bringen wird, indem sie seinen garstigen Knig erschlgt! entgegnete Kadiya scharf. Und du selbst hast dich zu unserer Retterin erkoren? Haramis lachte verbittert auf, doch dann fllten sich ihre Augen mit Trnen, und sie glitzerten wie ein Strom, der blaues Gletschereis umsplt. Sie schrie: Hr auf, dumme Gans! Erspar uns deinen albernen Auftritt. Siehst du nicht, wie du unsere Mutter qulst? Die Knigin richtete sich stolz auf. Sie trug, hnlich wie Anigel, das traditionelle hfische Tageskleid von Ruwenda aus

schlichtem Satin, dessen rmel und Mieder gitterfrmig gefltelt waren. Das Kleid der Prinzessin war zartrosa; die Knigin hingegen hatte an diesem Morgen ihre Dienerinnen angewiesen, sie mit blutrotem Gewand und Umhang herauszuputzen. Kalanthe sagte: Mein Herz ist voll Sorge und Angst um uns alle, doch ich kenne meine Pflicht. Kadiya, baue nicht auf die Prophezeiungen der Seltlinge. Unsere Diener vom Stamm der Nyssomu sind aus der Zitadelle geflohen und haben sich in die Sicherheit der Irrsmpfe begeben. Nun drfen wir uns allein dem Feind stellen. Was deine kriegerischen Ambitionen betrifft ... Sie mute husten, denn Rauchschwaden stiegen an der Mauer empor, nachdem die Eindringlinge mit anderen Zaubermaschinen Feuerblle auf die Holzgebude im inneren Burghof geschleudert hatten, die sofort in Flammen aufgingen. Du mut bei uns bleiben, wie es sich fr deinen Rang und deine Stellung geziemt. Dann will ich Euch verteidigen, rief Prinzessin Kadiya, und meine Schwestern. Denn wenn Knig Voltrik die Prophezeiung der Seltlinge bekannt ist, wird er es nicht wagen, eine von uns Frauen aus dem Knigshaus am Leben zu lassen. Ich will mein Leben teuer verkaufen, und ich werde mich Lord Manoparo und den Lehnsmnnern anschlieen, die Euch beschtzen, und mit ihnen sterben, wenn das Schicksal es bestimmt. Oh, Kadi, das kannst du nicht tun! schluchzte Prinzessin Anigel. Wir mssen uns verstecken und beten, da die Weie Frau uns errettet! Die Weie Frau ist eine Legende! sagte Kadiya. Nur wir selbst knnen uns retten. Sie ist keine Legende, murmelte Anigel so leise, da ihre Stimme im Lrm des Kampfes, der sich zwanzig Ellen unter ihnen abspielte, unterging. Das mag sein, wie es will, gab Haramis zu. Immerhin scheint sie es aufgegeben zu haben, dieses unglckliche Land zu beschtzen. Wie sonst htte der Feind aus Labornok ungestraft den Pa berwinden, den Sumpf durchqueren und die Zitadelle berfallen knnen? Schweigt, Tchter! mahnte der Knig. Der Feind kann in jedem Augenblick den Bergfried angreifen, und ich mu euch bald verlassen. Er befahl ihnen, sich vom offenen Erker ins Innere des Bergfrieds zurckzuziehen, in den Raum, der einst als Sonnenzimmer fr die Frauen der kniglichen Familie eingerichtet worden war. Die hellen Seidenkissen und die vergoldeten Sthle waren achtlos von gepanzerten Fen zur Seite getreten worden, und der Rahmen eines Wandteppichs lag in einem traurigen Haufen neben der kalten Feuerstelle, zusammen mit weggeworfenen Bchern und einer Zimbel, deren Resonanzboden zersplittert war. Der Knig wandte sich jetzt an seine zweite Tochter und sprach mit groem Ernst. Kadiya, es ist nicht recht, wenn du deine Mutter und deine Schwestern mit deinem tollkhnen Benehmen und dem Gerede ber den Unsinn, an den die Seltlinge glauben, qulst. Htte Knig Voltrik um die Hand deiner Schwester Haramis angehalten, wenn er an dieses Mrchen ber weibliche Krieger glaubte? Als Herrscher ber dieses Knigreich ist es meine Pflicht, es zu verteidigen oder im Kampf umzukommen. Aber deine Pflicht besteht darin, zu leben und deine Mutter und deine Schwestern zu trsten. Und du kannst sicher sein, da deine Last leichter ist als die deiner armen Schwester Haramis, die sich Voltrik ohne Zweifel am Ende unterwerfen mu. Bei diesen Worten brachen alle Kammerzofen abermals in Wehklagen aus, und die Ritter riefen laut: Mitnichten, niemals! Es herrschte ein solcher Tumult aus Klagen und Rufen, da die neuerliche Salve von kleineren, nicht zu ortenden Explosionen, das Waffengeklirr und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden kaum zu ihnen hereindrangen. Still! Ihr alle seid jetzt still! schrie Knig Krain. Doch sie hrten nicht auf ihn, denn er war kein absolutistischer Monarch, der durch die Macht seiner Persnlichkeit herrschte. Er hatte im Gegenteil seine Untertanen ermutigt, ihn als Vater und Ratgeber zu betrachten. Seit vierhundert Jahren, seitdem die Invasion Knig Pribiniks des Tollkhnen aus Labornok fehlgeschlagen war, hatte das Volk in Ruwenda in Frieden gelebt. Verbrechen und innere

Zwietracht hatte es in Ruwenda kaum gegeben - wenn man einmal absah von einem gelegentlichen Diebstahl oder einem geisteskranken Mrder oder den saisonbedingten Plnderungen der widerwrtigen Skritek, die eine willkommene Rechtfertigung fr Ritterzge lieferten. In dieser lange whrenden Friedenszeit hatte die Kriegskunst gelitten, und die Lehnsmnner hatten alles vergessen, was sie je ber Strategie oder Taktik gehrt hatten. Die Knige von Ruwenda lieen ihre Untertanen nach Gutdnken schalten und walten, vorausgesetzt, da im allgemeinen Gerechtigkeit und Ruhe vorherrschten und die blichen Staatseinnahmen in die knigliche Kasse gelangten. Ruwenda hatte seit alters noch nie ein stehendes Heer gehabt. Die Lehnsmnner waren dazu ausersehen, der vollstreckende Arm des Thrones zu sein, und die Festungen auf den Bergen wurden wechselweise mit Truppen freier Brger aus dem Dylex-Land besetzt, die als Gegenleistung dafr von Steuern befreit waren. Die Gutsherren in Ruwenda folgten dem Beispiel des Knigshauses und regierten ihre Lehnsgter mit leichter Hand. Und das hatte allen Vorteile gebracht, ausgenommen den Faulen, die es ohnehin nicht besser verdienten. Das abgeschiedene kleine Ruwenda war offenbar das glcklichste Land auf der gesamten Halbinsel gewesen, wenn nicht in der gesamten bekannten Welt, bis ... ja, bis die Zaubersprche von Orogastus den Vispir-Pa fr das habgierige Labornok ffneten und der geheime Weg entdeckt wurde, auf dem die Armee Knig Voltriks durch die Irrsmpfe zur Zitadelle marschierte. Alles in allem hatte es nur zehn Tage gedauert. Weder Zauberstrme noch Nebelgeister noch andere Katastrophen, die Knig Pribinik eine Niederlage beigebracht hatten, machten Voltrik zu schaffen. Gerchten zufolge sollten sich sogar die widerwrtigen Skritek mit ihnen verbndet haben! Unter der gide des Zauberers Orogastus hatten die Streitkrfte aus Labornok die Festungen auf den Bergen in Windeseile in Schutt und Asche gelegt, die Dylex-Ortschaften in der Nhe geplndert und ihre Bewohner in die entlegenen stlichen Landesteile verjagt. Sie hatten die ueren Bollwerke der Zitadelle nahezu ohne Gegenwehr erreicht. Schon bald wrde sie sich Voltrik ergeben, und mit ihr das gesamte Knigreich. Whrend die Knigsfamilie mit ihren Hflingen die Belagerung beweinte und mit ihrem Schicksal haderte, wurde es pltzlich erneut gleiend hell, und ein ohren-betubender Knall lie die dicken Mauern des Bergfrieds erzittern wie eine Strohhtte im Wintermonsun. Fr eine Schrecksekunde trat in und auerhalb der Zitadelle absolute Stille ein. Dann erscholl von unten ein Gebrll aus zehntausend Kehlen und der triumphierende Klang von Signalhrnern. Allen war klar, was das bedeutete: Das Tor des mchtigen Zentralbaus war aufgesprengt worden, und die Invasoren drangen ein. Lord Sotolain kam nun mit der Rstung und half dem Knig, sie rasch anzulegen. Krain seufzte, als er das wuchtige Schwert seines Ur-Ur-Urahnen Karaborlo emporhob. Er wute ebenso gut wie seine Lehnsmnner, da er es tapfer, aber ohne Erfolg einsetzen wrde. Weder die prachtvolle Rstung aus glnzendem, mit Saphiren besetztem Stahl noch der mit einer Krone geschmckte Kampfhelm, den die Nachbildung eines Lmmergeiers aus Platin zierte, konnten aus Knig Krain mehr machen, als er tatschlich war - ein gutmtiger Mann in mittleren Jahren, groherzig und von edlem Sinn, doch als Krieger hoffnungslos ungeeignet. Nachdem er den Helm festgebunden hatte, nahm er von seiner Familie Abschied. Ich war stets ein Gelehrter und kein Kmpfer, und das bereue ich nicht. Viele Generationen lang hat unser geliebtes Land nur Frieden gekannt. Wir standen unter dem Schutz - so hat man uns zumindest glauben gemacht - der Erzzauberin Binah: sie, die man die Weie Frau nennt, die Frau von der Blume, die Beschtzerin, die Hterin der Schwarzen Drillingslilie. Viele von uns, die wir hier an diesem unglckseligen Tage stehen, haben sie gehrt und gesehen, als sie bei der Geburt unserer drei Prinzessinnen ein wahres Wunder vollbrachte. Die Erzzauberin sagte uns voraus, da alles gut ausgehen werde, aber sie sprach auch geheimnisvoll von einer bestimmten Vorsehung und von schrecklichen Aufgaben, die auf die Knigstchter warteten. Wir verstanden ihre Worte nicht, und die meisten von uns zu denen auch ich zhle - knnen sich kaum daran erinnern. Doch sollten wir sie in diesem Augenblick bedenken, denn sie knnen uns ein Fnkchen Hoffnung geben. Ehrlich gesagt, ich wei nicht, woher ich sie sonst nehmen sollte. Trotz seiner sthlernen Rstung nahm er die Knigin zrtlich in den Arm und kte sie. Dann wandte er sich Haramis zu - sie war die einzige, deren Gesicht noch nicht trnenberstrmt war - und Kadiya, die sich schlielich gefgt hatte, und der goldhaarigen Anigel, die nicht aufhren konnte zu weinen. Nachdem er von seinen Freunden Abschied genommen hatte, verpflichtete er noch einmal hchst feierlich den ehrwrdigen Lord Manoparo und die vier Ritter an seiner Seite auf ihr Ehrenwort, und sie schlugen sich mit einer Geste der Lehnstreue an die gepanzerte Brust und zogen ihre Schwerter. Dann wandte sich der Knig ab. Mit seinem hochgeborenen Knappen Barnipo, der den kniglichen Schild vor ihm hertrug, ging er zur Tr des Sonnenzimmers hinaus, und die meisten Lehnsmnner folgten ihm. Die Zeit war gekommen, da er seine Bestimmung erfllte, und unter den Zurckgebliebenen zweifelte niemand daran, wie sie aussehen wrde. Als nach diesem Tag der Eroberung die Nacht hereinbrach, erloschen die Feuer in der Zitadelle, und ihr Rauch vermischte sich mit den ungesunden Dmpfen, die aus den Smpfen heraufzogen. Die Bergkuppe, auf der die Hauptstadt von Ruwenda stand, erschien wie eine Insel inmitten eines wogenden Wolkenmeeres. Ritter von Labornok unter der Fhrung von General Hamil, die die letzte Abwehr der Lehnsmnner von Ruwenda siegreich berwunden hatten, zerrten den geschlagenen Knig Krain und seinen Knappen Barnipo vor Knig Voltrik, Kronprinz Antar und den Zauberer Orogastus. Im Thronraum befanden sich bereits etliche Gefangene allesamt Angehrige des ruwendianischen Adels, an Hnden und Fen gefesselt und gut bewacht -, damit sie Zeuge der Kapitulation ihres Volkes wurden. Das Banner Labornoks, scharlachrot mit drei gekreuzten, goldenen Schwertern, hing an der Wand hinter dem Thron, auf dem Voltrik nun sa. Krain war inzwischen dem Tode nah. Er blutete heftig aus tiefen Wunden im rechten Arm und in der Leiste und mute von zwei Rittern aus Hamils Gefolge gesttzt werden, als man ihn vor Knig Voltrik fhrte und auf die Knie zwang. Einer seiner Hscher schleuderte Krains zerschmetterten himmel-blauen Schild zu Boden. Das Bild der Schwarzen Drillingslilie war nahezu ausgelscht. Der andere Krieger warf das zerbrochene Schwert des Knigs hinterher. Hamil selbst ri dem Knig den Helm vom Kopf, entfernte die mit Saphiren und Bernstein besetzte Knigskrone aus Platin und hielt sie fr alle sichtbar in die Hhe. Den Knappen Barnipo berlief hinter seinem Lehnsherrn ein Zittern. Er war unverletzt und nicht gefesselt, doch Lord Osorkon, der stellvertretende Kommandeur Hamils, ein riesenhafter Ritter in blutbefleckter, schwarzer Rstung, hatte ihn fest im Griff. Ihr kommt mir wie gerufen, kniglicher Bruder, sagte Voltrik zu Krain. Sein mit Fangzhnen besetztes Visier war geffnet, und es sah aus, als lchelte er den besiegten Monarchen von Ruwenda aus dem offenen Maul eines phantastischen, ber und ber mit Juwelen bedeckten Sauriers an. Voltriks ziselierte, reich verzierte Rstung aus vergoldetem Stahl glnzte und glitzerte im Licht der Kerzen. Er hatte beide Arme in die Seiten gestemmt, ein Bein lssig ber das andere gelegt und rekelte sich auf dem Thron von Ruwenda. Und, ergebt Ihr Euch nun? Es sieht nicht so aus, als htte ich eine andere Wahl, flsterte Krain heiser. Ihr ergebt Euch bedingungslos, forderte Voltrik und stie dem geschlagenen Herrscher die Krone Ruwendas unter die Nase. Denn Ihr mt wissen, da die Adligen und die gewhnlichen Einwohner Eurer eroberten Zitadelle nur dann dem Tode entgehen werden! Ich ergebe mich ... wenn Ihr auch die Knigin und meine drei Tchter am Leben lat. Das ist unmglich, sagte der Zauberer Orogastus. Seine Stimme klang so unerbittlich wie die Schlge eines Totengong. Sie sind des Todes, genauso wie Ihr. Und als Bestandteil Eurer Unterwerfung werdet Ihr uns sagen, wo sie sich in diesem groen Kaninchenstall aus zerfallendem Mauerwerk verborgen halten.

Niemals, erwiderte Krain. In diesem Augenblick trat Kronprinz Antar beherzt vor und stellte sich vor seinem Vater auf. Aber Vater, wir fhren doch nicht Krieg gegen hilflose Frauen! Sie mssen sterben, wiederholte Orogastus entschieden. Und Knig Voltrik nickte zustimmend. Euer Hexenmeister frchtet sich vor ihnen wegen der lcherlichen Prophezeiung der Seltlinge! rief Krain aus. Aber das ist ausgemachter Unsinn, Voltrik, ein Ammenmrchen! Noch vor wenigen Monaten wolltet Ihr meine lteste Tochter Haramis zur Frau nehmen. Ihr aber habt eine Verbindung mit Labornok abgelehnt, sagte Voltrik milde und lie die Krone unaufhrlich wie einen Stickrahmen um seinen Finger kreisen. Und Dir habt auf meine schmeichelhafte Werbung mit hochmtiger Verachtung reagiert. Takt war noch nie eure starke Seite, ihr eingebildeten Ruwendianer, warf General Hamil grinsend ein. Mgt ihr jetzt ersticken an der Frucht eurer berheblichkeit, die ihr so lange gehegt habt. Die versammelten Ritter und Adligen von Labornok brllten vor Lachen, bis Knig Voltrik die Hand erhob. Ich vertraue dem mchtigen Orogastus, meinem Truchse und Kniglichen Magier. Er ist es, der ein Unglck fr mein Haus durch die Hnde einer Frau aus dem Knigshaus Ruwenda vorausgesehen hat, nicht ein Geschichtenerzhler der schleimigen Seltlinge. Also mssen Eure Gemahlin und Eure Tchter sterben, Bruder Krain, so wie Ihr. Aber wenn Ihr Euch mir in aller Demut unterwerft und sie mir ausliefert, wird Euer Hinscheiden und das Eurer Weiber gndig ausfallen, mit einem einzigen Schwerthieb, und diejenigen Eurer Anhnger, die Labornok den Treueid schwren, sollen am Leben bleiben. Krain hob sein zerschundenes Kinn. Ich werde mich nicht unterwerfen, und ich werde Euch meine Frauen nicht ausliefern. Voltrik hielt die Krone in die Hhe, und dann zerquetschte er sie zwischen seinen mit Panzerhandschuhen bewehrten Hnden zu einer unfrmigen Masse, die er vor den knienden Knig warf. Wit Ihr, welches Schicksal Eure Familie erwartet, wenn Ihr Euch mir nicht unterwerft? Und Eure Ritter, die hier in Ketten versammelt sind? Knig Krain antwortete nicht. Voltriks zerfurchte Stirn wurde vor Wut dunkelrot, und er trommelte ungeduldig auf seinen goldglnzenden Beinharnisch. Da der Knig von Ruwenda beharrlich schwieg, befahl Voltrik: Fhrt vier Fronler herein! Ein Offizier aus Labornok eilte hinaus, um den Befehl auszufhren. Ein Raunen des Entsetzens lief durch die Reihen der Gefangenen. Der Knappe Barnipo wurde kreidebleich vor Angst und wand sich im Griff seines Bewachers. Ho, ho! lachte General Hamil. Dieser kleine Hosenscheier hier wei nur zu gut, welche Todesart diejenigen erwartet, die Labornok verhhnen. Seht doch nur, wie unbefleckt seine Rstung ist - er ist ein Feigling, ohne Zweifel. Es wre vielleicht ganz heilsam, wenn er als erster in den Genu dieser kleinen Demonstration einer gerechten Bestrafung durch Unsere Majestt kme. Nein! Nein! kreischte Barnipo. Oh, Gott und alle Herrscher der Lfte, habt Erbarmen mit mir! Er schlug wie wild um sich, bis der schwarzgepanzerte Lord Osorkon ihm schlielich mit der blanken Faust ins Gesicht schlug, woraufhin der Junge weinend und sthnend zusammenbrach. In diesem Augenblick kam der Offizier aus Labornok mit vier Pferdeknechten wieder in den Thronsaal. Sie fhrten vier groe gesattelte und aufgezumte Kriegsfronler herein. Die Reittiere rollten wtend die blutunterlaufenen Augen, schttelten das vergoldete Geweih und schnaubten und stampften, da ihre mit Metallkappen geschtzten, gespaltenen Hufe auf dem Marmorboden drhnten. Nein! schrie Barnipo. Doch, sagte Knig Voltrik ruhig. Sein Blick begegnete dem Krains. Ich werde Euch genau zeigen, kniglicher Bruder, welches Schicksal Euch und die Euren erwartet, wenn Ihr Euch fernerhin meinem Willen widersetzt. Und an den Offizier gewandt fuhr er fort: Nehmt die Memme und bindet sie mit

Hnden und Fen an je einen Sattelknauf. Dann treibt die Tiere auseinander, bis sie sauber gevierteilt ist. Barnipo heulte verzweifelt auf und krmmte sich in Osorkons Armen, whrend die Ritter aus Ruwenda Voltrik mit lauten Flchen bedachten, bis die Dolche, die man ihnen an die Kehle setzte, sie zum Schweigen brachten. Knig Krain sagte: Lat von dem armen Kerl ab und ttet lieber mich auf diese Weise. Der Zauberer Orogastus erklrte: Wir werden den Jungen freilassen und Euch einen ehrenhaften Tod gewhren, statt Euch die Schmach anzutun, in Stcke gerissen zu werden, wenn Ihr uns das Versteck Eurer Frauen verratet. Nein, sagte Krain. Euer Gnaden? meldete sich General Hamil zu Wort. Der Knig von Labornok erhob sich umstndlich. Sein wallender rotvioletter Umhang spiegelte sich in seiner prunkvollen goldenen Rstung. Krain von Ruwenda, Ihr habt Euren Tod selbst gewhlt. Bindet ihn fest an die Tiere. Sire, Majestt! weinte der Junge. Nehmt mich! Vergebt mir meine Feigheit! Ich vergebe dir von ganzem Herzen, Barni, sagte Krain. Die Lakaien ergriffen den Knig, nahmen ihm die Rstung ab und legten ihn mit dem Gesicht nach oben in die Mitte des groen Thronsaales. Als sie begannen, ihn mit Lederstreifen festzubinden, scho das Blut aus seinen erneut aufgerissenen Wunden und bildete schnell eine groe Lache unter ihm. Whrend all dies geschah, bewahrte Krain eine gelassene Haltung, ungeachtet der wtenden Rufe der gefangenen Ruwendianer und des reuevollen Geplrrs des Schildknappen Barnipo. Nachdem alles vorbereitet war, stellten sich die vier groen, antilopenartigen Reittiere auf die Hinterbeine und wieherten aufgeregt, so da fr jedes Tier drei Mnner bentigt wurden, um es festzuhalten. Der Offizier stand in Habachtstellung und wartete auf Voltriks Befehl. In diesem Augenblick flsterte Orogastus dem Knig etwas zu. Dieser nickte und gab Lord Osorkon ein Zeichen, er mge den halb ohnmchtigen Schildknappen vor den Thron bringen.

Mein Junge, sagte der Zauberer und starrte den zu Tode erschrockenen Barnipo mit durchdringendem Blick an. Es liegt in deiner Macht, deinen Lehnsherrn vor diesem schmhlichen Ende zu bewahren. Und deine eigene Haut und die der anderen Gefangenen zu retten. Barnipo brachte kaum ein Wort ber die Lippen. Ich, Herr? Ja, du, sagte Orogastus. Der Zauberer war der einzige Eindringling ohne Rstung; er war unter einem schwarzen Kapuzenmantel in einfache weie Gewnder gekleidet. Um den Hals trug er eine Platinkette, an der ein schweres, mit einem vielstrahligen Stern graviertes Medaillon hing. Er streifte jetzt seine Kapuze ab und enthllte schne, ebenmige Gesichtszge, wenngleich seine langen Haare schneewei waren. Sein Gesicht nahm einen gtigen Ausdruck an, als er sich an den Schildknappen wandte. Hr mir gut zu, mein Junge. Tu, was ich dir sage, und du kannst sogar das Leben der Knigin und der drei Prinzessinnen retten. Ich gestehe, da mich der Mut, den Knig Krain an den Tag legt, erstaunt, und ich halte es fr angemessen, wenn mein gtiger Herr eure Prinzessin Haramis am Ende doch heiratet, da die Tochter die Tugenden des Vaters sicher geerbt hat und sie an ihre Shne weitergeben wird. Wirklich, Herr? Ein Hoffnungsschimmer lie das Gesicht des Schildknappen erstrahlen. In der Tat, ja. Und damit Prinzessin Haramis die Vermhlung bereitwillig akzeptiert, habe ich Seiner Majestt den Rat gegeben, alle Frauen der Knigsfamilie Ruwendas am Leben zu lassen. Das einzige, was du zu tun hast, damit diese glckliche Lsung zustande kommt, ist, uns zu sagen, wo sie sich versteckt halten. Die Blicke des Jungen schssen unentschlossen zwischen Zauberer und Knig hin und her. Er zgerte. Ihr werdet auch mich am Leben lassen? Ich schwre bei meiner Krone, da du leben wirst, sagte Voltrik und berhrte die Krone auf seinem furchterregenden Helm. Doch zaudere nicht, die Fronler werden unruhig. Und unser Knig?

Er mu sein Leben lassen, erklrte Orogastus, denn so lautet unser Gesetz. Aber du kannst versichert sein, da sein Dahinscheiden schnell und schmerzlos sein wird. Du mut nur reden. Trnen rannen dem Jungen ber die Wangen. Und gebt Ihr mir Euer Ehrenwort? Ich schwre es bei den Herrschern der Lfte, sagte Orogastus. Barnipo atmete tief ein. Wenn dem so ist... sie halten sich in einem verborgenen Raum im Kapellenstockwerk des groen Bergfrieds versteckt. Man erreicht ihn ber einen Geheimgang im Dachboden ber dem Chor, der sich ffnet, wenn man die mittlere Erhebung der groen Drillingsblume, die in die Wand geschnitzt ist, drckt. Lord Manoparo und vier Lehnsmnner beschtzen sie. Die tiefliegenden Augen des Zauberers leuchteten auf. Ah! Und Ah! tnte es wie ein Echo aus Knig Voltriks und General Hamils Mund. Ihr habt versprochen, sie nicht zu verletzen! Das trnenberstrmte Gesicht des Jungen wurde rot, und seine Lippen zitterten. Bei den Herrschern der Lfte ... Ein vorzglicher Eid, sagte Orogastus obenhin, fr alle, die an diese Erscheinungen glauben. Aber auch Ihr habt einen Eid geleistet! sagte Barnipo auer sich zu Knig Voltrik. Dein kmmerliches Leben zu retten, ja, sagte Voltrik. Und das werde ich, damit du den Rest deiner elenden Tage als Abtrittsklave dienen kannst. Und er schlug den entsetzten Jungen so heftig mit seinem gepanzerten Handschuh, da dieser zusammenbrach, von der Estrade strzte und wie tot liegenblieb. Mein Knig, sagte General Hamil. Ich werde einen Trupp zusammenstellen und nach der kniglichen Hexe und ihren drei Welpen suchen lassen. Nein, antwortete Voltrik. Mein Sohn und ich werden den Suchtrupp anfhren. Ihr werdet Euch um den ruwendianischen Abschaum kmmern, der hier versammelt ist... und um ihren wertlosen Anfhrer.

Er gab Prinz Antar ein Zeichen und stieg von der Estrade. Er rief eine Gruppe von zwanzig Rittern zu sich, und sie verlieen den Saal ber die groe Wendeltreppe, die zur Kapelle hinauffhrte. Hamil, die gepanzerten Fuste auf die gepanzerten Hften gestemmt, lie den Blick ber den Thronsaal, das Gesindel aus Labornok und ihre an der Wand aufgestellten, unglckseligen Gefangenen gleiten. Mitten im Thronsaal lag Knig Krain, noch immer an die scheuenden Kriegsfronler gebunden. Es ist langweilig, sich in Ketten liegende Gefangene vom Hals zu schaffen, sagte Hamil zu Osorkon. Und es war ein anstrengender Tag. Lat uns zuerst ein wenig fr Unterhaltung sorgen. Dann rief er: Knechte! Gebraucht eure Peitschen! Angesichts der Greuel, die nun folgten, erholte sich Barmpo rasch von seiner vorgetuschten Ohnmacht, machte sich ungesehen davon und eilte ber eine Hintertreppe hinauf, um die Knigin und die Prinzessinnen vor der drohenden Gefahr zu warnen.

2

Barni rannte. Sein Atem flog. Seitenstechen qulte ihn wie eine Messerwunde, und der Kopf schmerzte ihm nach dem Schlag, den ihm Knig Voltrik versetzt hatte, so stark, da er alles doppelt sah. Als er jetzt die enge kleine Treppe zum Dachboden ber dem Chor hinaufwankte, vernahm er von weitem das rhythmische Klirren dahineilender, gepanzerter Fe und eine Stimme, die den anderen zurief: Hier entlang! In der Kapelle war es bis auf ein paar flackernde Votivlmpchen nahezu stockfinster, und die Treppe lag vllig im Dunkeln. Das nderte sich in dem Augenblick, als Knig Voltrik und seine fackeltragenden Ritter durch die Mitteltr hereinstrmten und sich in den Vorraum drngten. Von Panik ergriffen, strauchelte der Schildknappe, fiel, als er fast schon am Ende der Treppe angelangt war, der Lnge nach hin und stie sich den ohnehin angeschwollenen Kopf. Die letzte Kraft drohte ihn zu verlassen. Sollte es ihm abermals milingen, seiner Pflicht nachzukommen? Weie Frau! schluchzte er laut auf. Hilf mir. Hilf unserer armen Knigin und den Prinzessinnen. Frische Luft drang ihm in die eingesunkenen Lungen, und sein Blick wurde klarer. Er hatte noch immer heftige Schmerzen im Kopf, doch er konnte sich wieder bewegen. Als er die letzten Stufen hinaufkroch und ber die zersplitterten Bodendielen auf die Wand hinter dem Chorgesthl zurobbte, glich er eher einem vielbeinigen Wurrem als einem Mann. Die Mauer war aus behauenem Stein, in den ein Feld mit dem farbigen Knigswappen von Ruwenda eingemeielt war: eine schwarze Drillingslilie auf azurblauem Feld, in deren Mitte sich ein goldener Knopf befand. Barni kroch darauf zu und drckte mit beiden Hnden auf den Knopf. Sogleich schwenkte der Steinquader nach innen und lie einen kleinen Durchgang frei, durch den sich ein Mann nur mit Mhe hindurchzwngen konnte. Kaum hatte er das Innere betreten und den Steinquader wieder an seinen Platz geschoben, traten auch schon der graubrtige Lord Manoparo und zwei andere Ritter Ruwendas, Korban und Wederal, mit gezckten Waffen aus einem erleuchteten Gemach im Inneren in den schmalen Geheimgang. Haltet ein, ich bin's nur! krchzte der Schildknappe und erhob sich auf die Knie. Bei der Heiligen Blume! Der kleine Barni! Manoparo steckte sein Schwert in die Scheide und stellte den verschmutzten Jungen auf die Beine. Wohlan, mein Junge ... Schnell! Wenn Ihr die Frauen retten wollt, verriegelt die uere Tr, so fest Ihr knnt, und zerstrt den ffnungsmechanismus, damit der Feind nicht hereinkommen kann! Unter Flchen stieen Korban und Wederal hastig vier groe, sthlerne Gleitbolzen in die dafr vorgesehenen Widerlager und zerschlugen den hlzernen Mechanismus der Geheimtr mit den Schwertern. Kaum hatten sie das vollbracht, ertnten von auen heftige Schlge, begleitet von kampflustigem Geschrei. Doch abrupt hrten die Ste auf, was noch unheimlicher war. Sie holen einen Rammbock, sagte Wederal. Wohl eher den Zauberer! fauchte Manoparo. Zurck in den verborgenen Raum! Sie zogen den Schildknappen hinter sich her in das geheime Gemach, das etwa sieben Ellen im Quadrat ma und fr den Fall einer Belagerung mit einer massiven Tr aus schwerem, mit Eisen beschlagenem Holz des Gondabaumes ausgerstet war, die mit drei dicken Holzbalken verriegelt wurde. An den Wnden hingen alte Wandbehnge, und auf dem Boden lagen dicke Teppiche mit Schlafmatten. Der Raum war fensterlos bis auf zwei Schiescharten weiter oben, die so schmal waren, da kaum ein Finger durch den Schlitz pate. In dem Zimmer standen ein kleiner Tisch und ein Stuhl, auf dem Knigin Kalanthe sa, bewacht von einem vierten Ritter, Lord Jalindo. Zu beiden Seiten einer kleinen Feuerstelle, kaum grer als ein Kohlenbecken, befanden sich Regale mit Nahrungsmitteln und Fssern mit Wein und Wasser. Die Kerzen auf einem abgenutzten Bodenstnder aus vergoldetem Silber und in Wandleuchtern tauchten die Szene in flackerndes, gespenstisches Licht. Lord Manoparo grte die Knigin, die bla und ruhig dasa, mit Ehrerbietung. Ihre drei Tchter hatten sich zusammengekauert zu ihren Fen niedergelassen. Sie hatte die groe Staatskrone aufgesetzt, ber deren funkelnden Smaragden und Rubinen eine Rosette aus Diamanten glitzerte, in deren Mitte ein tropfenfrmiger Bernstein, gro wie ein Ei, prangte. Im Herzen des Bernsteins war eine versteinerte Drillingslilie, nicht grer als ein Daumennagel, eingeschlossen. Meine Knigin, der Feind hat uns entdeckt, sagte Manoparo und deutete auf Barnipo, der mit hngendem Kopf vor ihr stand. Dieser Schildknappe hat uns gewarnt, und wir haben es noch geschafft, den Durchgang, so gut es ging, zu blockieren. Zweifelsohne werden sie jedoch den Zauberer herbringen, damit er die Tren mit seiner schwarzen Magie aufbricht und uns den Rest gibt. Die kleine Prinzessin Anigel stie einen gellenden Schrei des Entsetzens aus und wre hysterisch geworden, wenn ihre Schwester Kadiya ihr nicht einen heftigen Schlag versetzt und sie ermahnt htte, still zu sein. Haramis nahm das schluchzende Mdchen in den Arm, whrend die Knigin Barnipo ausfragte. Was ist mit meinem kniglichen Gemahl? Der Schildknappe fiel vor ihr auf die Knie, Trnen rannen ihm ber die Wangen. Oh, Herrin, er ist tot und unser armes Ruwenda dem Untergang geweiht. Die vier Ritter sthnten, und die Knigstchter waren bestrzt. Knigin Kalanthe neigte nur das Haupt und fragte: Wie ist mein Herr gestorben? Weh mir! rief der Junge. Gott und die Herrscher der Lfte mgen mir verzeihen, denn es war alles meine Schuld. Und er fuhr in diesem Ton fort, sich selbst zu bezichtigen, bis Lord Jalindo ihm eine Hand auf die Schulter legte. So beruhige dich doch. Du bist noch keine fnfzehn Jahre alt, und keiner von uns kann glauben, da ein Jngling in diesem zarten Alter den Tod von Knigen herbeifhrt. Sag uns genau, was geschehen ist! Barni erzhlte. Und als er berichtete, welch schmachvollen Todes Knig Krain gestorben war, fiel Prinzessin Anigel auf der Stelle in Ohnmacht und sank in die Arme ihrer Schwester Haramis. Prinzessin Kadiya rief mit gebrochener Stimme: Dafr sollen sie bezahlen! Aber die Knigin blieb ruhig, starrte auf die verbarrikadierte Tr an der gegenberliegenden Wand und hielt den verschwitzten, blutbefleckten Kopf des kniglichen Schildknappen in ihrem Scho. Der Junge weinte, als brche ihm das Herz. Es ist nicht deine Schuld, armer Barni, beruhigte sie ihn. Der heimtckische Orogastus hat dich betrogen. Niemand brdet dir die Last der Verantwortung auf. Schuldig sind allein der Zauberer und Knig Voltrik, nicht zu vergessen das Scheusal Hamil, der den Befehl gab, meinen geliebten Gemahl in Stcke zu reien. Dafr werden sie ben, flsterte Kadiya, doch niemand auer Haramis hrte es. Pltzlich gab es eine gewaltige Erschtterung. Die Ritter zogen ihre Schwerter und stellten sich in einer Reihe vor den Frauen auf. Die Knigin sprang auf und lie den Schildknappen auf den mit Teppichen belegten Boden gleiten. Eine Frau aus unserem Hause, sagte Kalanthe, und ihre Augen leuchteten vor Entschlossenheit. Das ist es, wovor sich der teuflische Voltrik frchtet! Also ist die Prophezeiung am Ende doch nicht nur ein Mrchen der Seltlinge, wenn sogar der Wahrsager aus Labornok es besttigt! Sie blickte ihre Tchter an. Anigel war wieder zu sich gekommen, und drei Augenpaare waren auf die Mutter gerichtet. Der Fall von Labornok soll durch eine Frau aus unserem Hause vollbracht werden. Ihr, meine Tchter, werdet am Leben bleiben und die Prophezeiung erfllen. Inzwischen schlug der Feind mit Knppeln und xten gegen die Tr des verborgenen Raumes, da Orogastus seine zerstrerischen

Zaubergeschosse auf so beengtem Raum nicht einsetzen konnte, aus Furcht, die Wnde zum Einsturz zu bringen. Knigin Kalanthe zog einen der Wandteppiche zur Seite, der aus uraltem Material hergestellt war, wie man es hier und da in der Zitadelle noch fand. Er hatte jene berdauert, die den riesigen Gebudekomplex errichtet und den Menschen Ehrfurcht eingeflt hatten, fr die dieser Ort achthundert Jahre lang ein Zuhause gewesen war. Der Stoff war von eintnigem Grau, doch als die Knigin ihn zur Seite schob, verwandelte sich seine Farbe in ein Blau, auf oder in dem sich Schatten bewegten, von denen niemand htte sagen knnen, was sie darstellten. Hinter diesem wundersamen Vorhang kam eine husliche Notwendigkeit zum Vorschein, der Abtritt des verborgenen Raumes - eine winzige Kammer, gerade gro genug fr eine Person. Kalanthe ri die kleine Tr auf und befahl: Tchter, hier hinein! Haramis beeilte sich und zog Anigel mit sich, deren zarter Krper erneut von Schluchzern geschttelt wurde. Das Versteck war schon fr zwei Personen recht eng. Daher zog Kadiya ihren Dolch und sagte: Das macht nichts. Ich bleibe bei dir, Mutter! Hinein! befahl die Knigin mit furchterregender Stimme, wie die Mdchen sie an ihr nicht kannten. Kadiya starrte sie sprachlos an, dann beeilte sie sich, die beiden anderen so lange hin und her zu schieben, bis auch sie gerade genug Platz hatte. Dennoch konnte die Tr nicht fest verschlossen werden. Noch ein Letztes, sagte die Knigin und nahm die Krone vom Kopf, die sie Haramis in die ausgestreckten Hnde legte. Und nun betet, meine Lieblinge, da wir uns in einer glcklicheren Welt wiedersehen mgen. Sie lie den staubigen Wandbehang fallen. Zwischen Teppich und Wand blieb noch ein kleiner Spalt, durch den die drei Prinzessinnen sehen konnten, was geschah. Die Tr aus Gonda-Holz war inzwischen unter den Schlgen feindlicher Kriegsbeile zersplittert. Sie hieben auf den Trrahmen ein, bis die Scharniere, die die Metallbnder hielten, nachgaben und die Holzbalken herabfielen. Dann begann das abschlieende Handgemenge. Prinz Antar, in glnzend blauer Rstung und einem geflgelten Helm, war unter den ersten, die durch die zerbrochene Tr traten. Er griff Lord Manoparo an, und die beiden schlugen sich mit Zweihndern, die wie Glocken klangen, wenn sie mit voller Wucht aufeinanderprallten. Immer mehr Ritter aus Labornok drangen in den Raum und fielen ber die anderen vier Lehnsmnner her, whrend Knig Voltrik und Orogastus abseits standen. Die Knigin hatte sich an die Feuerstelle zurckgezogen, so weit wie mglich von dem Ort entfernt, an dem sich ihre Tchter verborgen hielten. Die Mdchen konnten sie aus ihrem Versteck ebenso gut sehen wie die offene Schlacht, die sich in dem Raum abspielte. Lord Manoparo versetzte dem geflgelten Helm des Prinzen Antar einen wuchtigen Hieb. Die Bnder rissen entzwei, und er fiel ihm vom Kopf. Sonderbarerweise spiegelte das Gesicht des Prinzen nicht Kampfeslust wider, sondern war eher qualvoll verzerrt. Gleichwohl parierte Antar die Schlge seines Feindes kraftvoll und mit groer Geschicklichkeit, und in einem gnstigen Augenblick erwischte er Lord Manoparo ungedeckt, hob sein riesiges Schwert hoch ber den Kopf und lie es mit einer solchen Wucht niedersausen, da der Kopf des Ruwendianers mitsamt Helm in der Mitte gespalten wurde. Dann wurden Korban und Wederal tdlich verwundet und entwaffnet. Allein Lord Jalindo kmpfte noch, bis er der bermacht der Ritter aus Labornok erlag. Als der letzte Lehnsmann gefallen war, begannen die Sieger, ihn und seine gefallenen Kameraden in Stcke zu hacken. Oh, diese Greuel! Prinzessin Kadiyas Augen brannten, und im stillen fauchte sie aus hilfloser Wut wie ein stummes Lossok-Kitz, das man von der Brust seines erschlagenen Muttertiers gerissen hatte, um es zu zhmen. Die elenden Barbaren hatten offensichtlich Spa daran, die gefallenen Ruwendianer zu zerstckeln, und sie machten sich obendrein noch lustig ber deren Todesschreie. Kadiya wurde berwltigt von dem Verlangen, aus dem Versteck auszubrechen und Rache zu ben. Sie griff nach ihrem Schwert, das zwischen ihren Schwestern eingeklemmt war, und spannte jeden Muskel an, bereit zum Sprung.

Bleib! zischte Haramis ihr zu. Bei der Heiligen Blume, bleib, wo du bist! Willst du uns alle umbringen? Anigel hatte ihr Drillingsamulett an der Kette aus dem Mieder gezogen und prete es an die Lippen. Betet zur Weien Frau, der Hterin unseres Landes! Betet, da diese Teufel in Menschengestalt uns nicht finden, murmelte Haramis, die ihr Amulett ebenfalls in der Hand hielt. Betet, da jemand kommt, der uns rettet, drngte Anigel. Wenngleich Kadiya auch vor Angst und Wut zitterte, so sprte sie doch, wie sich ihr Griff um den Schwertknauf lockerte. Fast ohne es zu wollen, fuhr sie mit der Hand verstohlen an den Halsausschnitt ihres Wamses. Da war das Amulett unter ihrem Seidenhemd, warm lag es an ihrem wild klopfenden Herzen. Ich bete, da ich diejenige sein mge, flsterte sie. Diejenige, die Voltrik und Antar und General Hamil und den Zauberer mit ihrem Blut fr die Taten am heutigen Tag zahlen lassen wird! Bitte auch um mehr Selbstbeherrschung, sagte Haramis, sonst wird dein tollkhner Mut am Ende uns allen den Untergang bringen. Und hr endlich auf, so zu zappeln, die Pest soll dich holen, sonst landen wir alle noch da drauen zu Voltriks Fen! Seh! Seh! Sie werden uns hren, bat Anigel flehentlich. Das scheuliche Hackgerusch und das boshafte Gelchter der Ritter waren verstummt, und Knig Voltrik hatte das Wort ergriffen. Gegen ihren Willen murmelte Kadiya leise eine Bitte um Selbstbeherrschung vor sich hin. Die Wut brannte noch in ihr, wurde jedoch allmhlich berlagert, so wie man Kohlen in einem Lagerfeuer belegt, damit die Flammen zu gegebener Zeit wieder angefacht werden knnen. Seht nur! flsterte Anigel, deren Stimme vor Entsetzen fast versagte. Unsere Mutter! Knig Voltrik hatte sich an die Knigin gewandt, offensichtlich mit der Frage nach dem Verbleib der

Prinzessinnen. Der verborgene Raum war stickig und verruchert. Die Kerzen in den Wandleuchtern tropften, und ein paar Bodenmatten, die der groe, umgestrzte Leuchter in Brand gesetzt hatte, schwelten noch. Der Knig hatte seinen Helm abgenommen und die Panzerhandschuhe ausgezogen. Dem wtenden Stirnrunzeln, das seine Miene verfinsterte, war zu entnehmen, da Knigin Kalanthe ihm Widerstand entgegengesetzt hatte. Sie stand aufrecht vor ihm, den bel zugerichteten Schildknappen Barnipo zusammengekauert und halb benommen zu ihren Fen, und sagte: Niemals werdet Ihr von mir erfahren, wo meine Tchter sind. Orogastus, bringe sie zum Reden! brllte Voltrik. Oder benutze dein weitsichtiges Auge, um die knigliche Brut auszukundschaften! Ich kann ihren Willen nicht brechen, mein Knig, antwortete der Zauberer. Sie ist jenseits von jeglicher Furcht. Und ich kann die drei Verborgenen nicht ausfindig machen, so wie ich es unten im Thronsaal schon nicht konnte. Diese uralte Zitadelle mu von einem geheimnisvollen Zauber durchdrungen sein, der mein suchendes Auge blockiert. Ich besitze ein Zaubergert, das dieser Aufgabe ohne Rcksicht auf Hindernisse gleich welcher Art gerecht wrde, doch es ist unhandlich und zu schwer und kann nicht von meinen luftigen Hhen auf dem Mount Brom herabgeholt werden. Dann mssen wir eben andere Methoden anwenden, um die Zunge der Lady zu lsen. Knig Voltrik ging langsam mit gezcktem Schwert auf die Knigin zu und umklammerte ihr rechtes Handgelenk. Genug davon, knigliche Hexe! Ihr werdet mir jetzt rasch sagen, wo die Mdchen sind, oder ich werde Euch die Hand abschlagen. Und wenn Ihr dann immer noch nicht redet, werde ich die andere Hand abschlagen und mit Euren Fen fortfahren, und so weiter Stck fr Stck, bis Ihr uns antwortet, denn so zahlt Labornok seinen Feinden ihre berheblichkeit heim. Vater! rief Prinz Antar mit schreckgeweiteten Augen. Sie ist eine Knigin, und das ist eine Bestrafung fr aufsssige Sklaven! Ruhe! donnerte Voltrik. Ein Raunen lief durch die Reihen der anderen Mnner, das aber sogleich erstarb, als der Knig sein Schwert erhob. Willst du reden, Frau? Dann geschah etwas, das fr die anwesenden Ritter und den Prinzen unfabar war. Allein die Prinzessinnen konnten es deutlich sehen. In den kraftlosen Schildknappen Barnipo kam pltzlich Leben. Wie ein wildgewordener Fytox, der seine Beute auf einem Bauernhof angreift, sprang er Knig Voltrik an. Da er kein Schwert hatte, grub er seine Zhne in die linke Hand des Knigs, mit der dieser die Knigin festhielt. Voltrik stie einen Schmerzensschrei aus und wich zurck. Der Junge hing immer noch an ihm. Der Knig schlug wahllos mit seinem groen Schwert um sich, und durch ein Migeschick schlitzte er der Knigin den Hals auf. Sie fiel vornber und verblutete ber der Feuerstelle. Die Ritter aus Labornok begannen zu schreien und mit ihren Schwertern auf den immer noch klammernden Jungen einzustechen doch sehr behutsam, damit der um sich dreschende Monarch nicht auch sie versehentlich mit dem Schwerte traf. Der Schildknappe Barnipo wurde von einem Dutzend Schwertern zerstckelt und fiel schlielich von der Hand des Knigs ab, noch lachend in seinem Schmerz, bis der Knig selbst den Kopf des tapferen Jungen abtrennte. Dann lie Voltrik seiner rasenden Wut freien Lauf, denn Knigin Kalanthe war ebenfalls tot und konnte nicht mehr zum Reden gezwungen werden, und die drei Prinzessinnen waren noch immer auf freiem Fu, und er fluchte so abstoend, da sogar seine Gefolgsleute zurckschreckten. Was sollen wir tun? fragte Prinz Antar. Orogastus sagte: Sie knnen nicht weit sein. Es ist anzunehmen, da sie mit ihrer Mutter hier oben waren, bis dieser kleine Bastard bei diesem Wort trat er gegen die Leiche des Schildknappen - unbemerkt aus dem Thronsaal lief und sie warnte. Wir mssen den gesamten Bergfried durchsuchen lassen. Voltrik, der sich wieder ein wenig beruhigt hatte, sagte: Orogastus hat recht. Ihr, Milotis, werdet gemeinsam mit diesen Rittern hier die Kapelle und ihre Umgebung durchsuchen. Achtet auf Geheimgnge und Treppenaufgnge im Mauerwerk! Anschlieend durchsucht Ihr das obere Stock- werk des Bergfrieds. Antar und Orogastus, ihr kommt mit mir. Wir werden den Rest unserer Kameraden hinaustreiben und alle Gebude von der obersten Brustwehr bis hinunter zum tiefsten Verlies durchsuchen. Dann begann der Knig, die Seele des kleinen Barnipo zu verwnschen, der ihm ein ordentliches Stck Fleisch aus dem Handballen gerissen hatte, denn die Wunde schmerzte zunehmend. Orogastus bernahm es, die Wunde zu verbinden, und gab Voltrik den Rat, gut darauf zu achten, da menschliche Bisse hufig gefhrliche Infektionen nach sich zgen. Mge die Hand brandig werden, murmelte Kadiya grimmig. Und mge das vergiftete Blut in Voltriks ohnehin verrottetes Herz steigen! Und mgen die Herrscher der Lfte den armen Barni in den hchsten Himmel tragen, hauchte Haramis, denn mit seiner tapferen Tat hat er unserer Mutter Qualen erspart und uns Zeit geschenkt, unser Leben zu retten. Der Knig, sein Sohn und der Zauberer verlieen den Raum; und nach kurzer Durchsuchung des Geheimgangs vor dem verborgenen Raum zogen sich auch Sir Milotis und seine Mannen zurck, um den Dachboden ber dem Chor zu durchstbern. Sie klopften laut rufend gegen Wnde, warfen Mbelstcke um und gingen dann gemeinsam die Treppe hinunter, um die Kapelle zu berprfen. Kadiya sagte: Ich glaube, die Luft ist rein. Also krochen sie mit steifen Gelenken und zitternden Knien aus dem Schrank in die Kammer, in der es wie auf einem Schlachtfeld aussah. Der ganze Ernst ihrer Lage traf sie wie ein Gu eiskalten Wassers. Anigel klammerte sich an Haramis' Hand und bi sich auf die Unterlippe, bis ihr das Blut bers Kinn rann. Kadiya stieg ber die kreuz und quer liegenden Leichen zu der gefallenen Knigin. Offenbar hat sie ihren Frieden gefunden, sagte das Mdchen verwundert. Ihre Augen sind geschlossen, und der Gesichtsausdruck wirkt sanft. Sie nahm einen schwarzen

Seidenmantel, den jemand hatte fallen lassen, und wollte den Krper ihrer Mutter damit zudecken, aber Haramis hielt sie ab. Dummkopf! Was ist, wenn einer von ihnen zurckkommt und es sieht? Gekrnkt gab Kadiya zu: Du bist klger als ich, Schwester. Gib mir den Mantel, sagte Haramis. Ich will die Krone darin einwickeln. Ich werde sie mitnehmen - obgleich ich kaum eine Mglichkeit sehe, sie je tragen zu knnen. Anigel stie einen gedmpften Angstschrei aus. Sie hatte die saphirblauen Augen weit aufgerissen und deutete wortlos in eine Ecke des Raumes schrg gegenber der Tr. Dort lagen keine Leichen, und doch bewegten sich die Kissen, die dort aufgestapelt waren. Bleibt hinter mir, befahl Kadiya, zog ihren Dolch und machte ein paar Schritte vorwrts. Mit der Spitze ihres Schwertes hob sie die Kissen nacheinander herunter und warf sie zur Seite, bis der Teppich zum Vorschein kam, der wie ein Zelt aufragte und in diesem Augenblick noch hher gehoben wurde. Bei der Heiligen Blume, eine Falltr! sagte Haramis. Schnell, Kadi, zieh den Lufer zur Seite. Aber pa auf, schrie Anigel. Vielleicht ist es der Feind! Feind Feind Feind, ich glaube es wohl! ertnte ein mrrisches Stimmchen. Spute dich, Mdchen, sonst werden sie uns den Fluchtweg abschneiden! Die drei Prinzessinnen schnappten nach Luft, und als Kadiya die Falltr aufdeckte, stand in der ffnung ein kleines Weiblein in sauberem Barchent-Gewand mit einem gefltelten grnen Schal und einer Lederschrze. Sein fahles Gesicht war breit, ebenso sein Mund, und seine wunderschnen goldenen Augen traten auf nichtmenschliche Art ber zwei winzigen Nasenschlitzen aus den Hhlen. Schmale, spitz zulaufende Ohren mit schweren silbernen Gehngen bohrten sich durch die Falten seines batistenen Kopfputzes. Seine breiten, zweifingrigen Hnde mit jeweils einem abstehenden Daumen waren von den vielen Jahren des Mischens fremdartigen Gebrus verschmutzt und rissig. Immu! schrie Anigel, auer sich vor Freude und Erleichterung. Liebste Immu, du bist gekommen, um uns am Ende doch noch zu retten! Wir dachten, du seist mit den anderen Seltlingen geflohen! Geflohen geflohen geflohen! So ein Unsinn! Immu stieg in die Kammer empor und deutete mit dramatischer Geste in das Loch. Ihr steigt jetzt die Leiter hinunter, denn ich mu mir noch ausdenken, wie wir die Falltr hinter uns wieder zudecken knnen. Haramis und Anigel rafften ihre langen Rcke und stiegen unbeholfen hinunter, whrend Kadiya behende wie ein Eichhrnchen hinabkletterte. In dem holprigen, gewlbten Gang am Fue der Leiter wartete eine neue berraschung auf sie. Uzun! rief Haramis. Und auch du, Jagun! Zwei kleine Gestalten standen dort mit grnlich schimmernden Laternen, in denen Leuchtwrmer aus den Smpfen eingeschlossen waren. Es waren Mnner aus demselben Nyssomu-Stamm, zu dem auch Immu gehrte. Jagun trug einen Jgerhut aus Fytoxhaut und braune Lederhosen, die ganz hnlich geschnitten waren wie die Kadiyas, whrend der Musiker Uzun wie blich in seinem bestickten kastanienbraunen Samtkittel steckte. An seinem goldenen Brokatbarett klebten die schwarzen Netze der Weberlinge, die berall im Gang von der Decke hingen. Kadiya umarmte ihren kleinen Mentor. Du hast uns nicht verlassen, Jagun! Verlassen? Verlassen? Der Knigliche Tierhter war emprt. Wir haben uns nur versteckt, was wohl das klgste war. Nur ihr Menschen seid dumm genug, wie hypnotisiert stillzuhalten wie dumme Togense bei Vollmond und zuzusehen, wie der Tod die Chaussee entlang geradewegs zur Haustr hereinkommt! Die Ehre verlangte es von uns, die Zitadelle zu verteidigen, sagte Kadiya aufgebracht. Nun, seht, wohin Euch Eure Ehre gebracht hat, sagte Uzun, der Musikant. Wenn Ihr doch nur in die Irrsmpfe gegangen wrt, zu unserem Volk in Trevista, wir htten Euch aufgenommen. Und was dann? fragte Kadiya.

Dann ..., der Tierhter hob die schmalen Schultern. Ihr httet bei uns leben knnen. Aber das hier ist unser Zuhause, protestierte Anigel sanft. Und jetzt gehrt es ihnen, sagte Immu schroff. Sie hatte ihre Tarnungsarbeiten beendet, kam behende die Leiter herunter und nahm ihre Laterne zur Hand. Und sie sind wild entschlossen, Euch zu tten. Und uns auch, wenn sie uns fangen. Aber ihr seid trotzdem gekommen, um uns zu retten, sagte Anigel herzlich. Sie hielt ihr Drillingsamulett fest. Die Weie Frau hat unsere Bitten erhrt. So ist es. Uzun malte ehrfrchtig ein mysterises, dreilappiges Zeichen in die Luft. Wie Ihr wit, werte Prinzessinnen, sind meine persnlichen Kenntnisse in huslicher Zauberei unbedeutend. Es liegt mir viel mehr, Harfe und Pfropfflte zu spielen! Aber gestern habe ich im Wasserglas gelesen und nach etwas gesucht, das uns drei Nyssomu sagen wrde, ob das Schicksal uns an die Menschen bindet, denen wir so lange Jahre gedient haben, oder an unser eigenes Volk. Und die Erzzauberin hat gesprochen. Haramis sagte: Erzzauberin! So wird die Weie Frau genannt. Frau Frau Frau! schimpfte Immu. Sei still, Kind, und la Uzun erklren, denn wir mssen sofort weg von hier. Haramis senkte den Kopf. Sprich, Freund Uzun. Die Weie Frau heit in Wirklichkeit Binah. Erzzauberin ist ihr Titel, denn sie ist eine Hexe, die mchtigste auf unserer Halbinsel. Zumindest war sie es, sagte Jagun finster. Sie stirbt, denn sie zhlt unendlich viele Lenze, und ihre dahinschwindenden Krfte waren denen des scheulichen Orogastus nicht gewachsen. Sie bat uns, Euch zu ihr zu bringen, sagte Uzun. Warum? fragte Kadiya recht ungehalten. Wenn sie stirbt, kann sie uns keine groe Hilfe sein, und es ist wohl kaum die rechte Zeit fr Krankenbesuche. Und Haramis ergnzte: Wir tten besser daran, so scheint mir, nach Trevista zu gehen und dort auf den Winterregen zu warten, der in wenigen Wochen einsetzen wird. Vielleicht knnen wir uns spter dann verbergen und uns einer Kara- wane anschlieen, die uns zur Kste bringen wird, wo wir ein Schiff nach Var besteigen werden. Dort wird uns Knig Fiodelon sicher Obdach gewhren. Uzun sprach mit schlichter Wrde. ber eine solche Handlungsweise ist mir nichts bekannt. Die Erzzauberin hat uns beauftragt, Euch zu ihr zu bringen - so wie sie uns drei vor vielen, vielen Jahren den Auftrag gegeben hat, in dieser Menschenburg zu dienen und auf den Tag zu warten, der fr alle Lebewesen in den Irrsmpfen von beraus groer Bedeutung sein wrde. Und dieser Tag ist heute, sagte Immu, oder ich bin ein ringelschwnziger Volumner! Sie prete die breiten Lippen aufeinander und neigte aufmerksam lauschend den Kopf zur Seite, die langen, empfindsamen Ohren drehten sich nach allen Seiten, so da ihre silbernen Schmuckstcke im lebendigen Lampenlicht funkelten. Sie verlassen die Kapelle, sagte sie schlielich. Aber auf Knig Voltriks Befehl wird ein neuer Schwrm von Schnfflern in den Bergfried kommen. Und mit ihnen die drei Lakaien des Zauberers, seine sogenannten Stimmen, die mit den Skritek gemeinsame Sache machen! Es wird Zeit, da wir von hier verschwinden! Haramis, lteste Tochter des Knigs, Ihr geht mit mir, sagte Uzun. Jagun und Immu werden Eure Schwestern ber einen anderen Weg geleiten. Das hat die Erzzauberin so angeordnet. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte Haramis sich weigern. Sie sollte sich von ihren Schwestern trennen? Sie fhrte ihre Hand an die Brust und umschlo das Amulett, das sie seit der Stunde ihrer Geburt nicht abgelegt hatte. Aber ich kann sie nicht verlassen! Ich bin die lteste und als Thronerbin fr sie verantwortlich. Und wenn die Umstnde es erforderten, war immer ich es, die fr uns alle eine Entscheidung getroffen hat. Hara, tu, was sie sagen, drngte Anigel. Hab Vertrauen zu der Weien Frau.

Schwestern, das gefllt mir ganz und gar nicht, sagte Kadiya. Sie hatte die gebrunte Stirn in Falten gelegt, und die Haare, rostbraun wie die der Knigin, standen ihr wirr vom Kopf und hatten nichts mehr gemein mit sauber geflochtenen Zpfen. Wenn wir zusammenbleiben, bietet mein Schwert uns allen einen gewissen Schutz. Mit Freuden wrde ich mein Leben lassen ... Leben Leben Leben! Immu war vllig auer sich. Warum seid Ihr immer so ein Hitzkopf? Und warum mu Haramis die Entscheidungen fllen? Anigel ist nicht so energisch wie ihr beiden, und doch ist sie es, die am meisten Weisheit zeigt! Sag es ihnen, Uzun! Sag ihnen, was die Erzzauberin noch gesagt hat. Ich habe es nicht erwhnt, weil ich Euch nicht erschrecken wollte, gab der Musiker verzagt zu. Die Erzzauberin Binah bittet Euch, zu ihr zu kommen, weil Ihr noch nicht bereit seid, Eurer groen Bestimmung zu folgen. Ihr habt sie noch nicht einmal erkannt. Haramis und Kadiya warfen bei diesen Worten unwillig den Kopf zurck, aber Uzun fuhr fort: Euch dreien, den Bltenblttern der Lebendigen Drillingslilie, ist es bestimmt, dieses Land von der unterdrckenden Herrschaft Knig Voltriks und seines Zauberers Orogastus zu befreien, doch Ihr knnt nur dann Erfolg haben, wenn Ihr Eure Fehler und Schwchen besiegt. Die Erzzauberin wird Euch sagen, wie Ihr das erreichen knnt, wenn Ihr zu ihr kommt. Anigel nahm ihre beiden Schwestern bei der Hand. Hara ... Kadi... bitte! Kadiya schlug die braunen Augen, in denen noch immer Wut aufblitzte, nieder und nickte langsam. Gleich darauf sagte Haramis: Nun gut. Bei der Heiligen Blume, es wird aber auch Zeit! rief Immu ungeduldig und fuhr fort: Haramis, Ihr mt Uzun folgen. Anigel und Kadiya, Ihr kommt mit Jagun und mir. Mit diesen Worten zog die Eingeborene Anigel mit sich fort, den schmalen, staubigen Gang entlang, und der Jger folgte ihr, Kadiya vor sich her scheuchend wie eine Bauersfrau ihre Togense. Im Nu war das Licht ihrer lebendigen Laternen in der undurchdringlichen Dsternis verschwunden.

Und wir beide mssen uns gemeinsam aufmachen, sagte Haramis zu dem Musiker. Guter Freund, ich hoffe, die Weie Frau hat deine schwache Zauberkraft gestrkt, denn deine Fltentne, so schn sie sind, werden die Krieger von Labornok oder ihren ber Strme gebietenden Zauberer nicht lange aufhalten. Auch ich habe Angst, Prinzessin, gab Uzun zu. Aber ich vertraue der Erzzauberin, und das sollt Ihr auch. Sie hat befohlen, da Ihr auf den hohen Turm des Bergfrieds gebracht werdet. Das Mdchen wurde vor Entsetzen leichenbla Die blauschwarzen Haare, die ihr Gesicht umrahmten, verliehen ihr in der Dunkelheit ein geisterhaftes Aussehen. Da oben sitzen wir in der Falle! Die Kundschafter werden uns bestimmt entdecken! Oh, warum habe ich nur nicht auf Kadi gehrt? Kommt, sagte Uzun unnachgiebig und eilte mit der Laterne voraus. Haramis blieb nichts anderes brig, als ihm zu folgen.

3

Kadiya, Anigel und die beiden Seltlinge flohen durch dunkle, enge Hohlrume in den Mauern des Bergfrieds und passierten zuweilen weitere Geheimtren, auf deren Scharnieren der pelzige Staub der Jahrhunderte lag. Schlielich kamen sie, nachdem sie eine steile Treppe hinabgestiegen waren, in einen Gang, der hinter dem Thronsaal vorbeifhrte. Durch ein Loch in der Wand konnte man hineinsehen. Jagun warf einen Blick in den Raum, in dem inzwischen Totenstille eingekehrt war. Nach ihm schaute Immu durch das Loch, dann Kadiya, die vor Kummer leise aufsthnte und mit den kleinen Fusten gegen die Mauer schlug, whrend sie lautlos vor sich hin weinte. Sie baten Prinzessin Anigel, nicht hineinzuschauen, denn sie befrchteten, der entsetzliche Anblick werde ihr das Bewutsein rauben, doch sie wollte keinen Schritt weitergehen, bis Jagun schlielich zur Seite trat. Sie beugte sich zu dem Loch in der Wand vor und sah von oben auf die verstmmelten berreste der gefangenen Lehnsmnner und Knig Krains. Die anderen staunten, als sie weder ohnmchtig wurde noch anfing zu weinen, sondern nur die Augen schlo und sich an ihrem Amulett festhielt. Nach einer Weile seufzte sie schwer und fragte: Immu, du bist alt und weise. Sag mir, warum die Krieger aus Labornok das getan haben, obwohl unser Vater und seine Ritter bereits in ihrer Gewalt waren und sich unterworfen hatten? Fr jemanden wie Euch ist das schwer zu verstehen, Kindchen. Ihr seid freundlich und liebt Euch selbst, und Ihr

habt nichts auer Liebe und Freundlichkeit in Eurem Leben erfahren. Aber es gibt auch Menschen, denen Grausamkeit eine dunkle Erregung verschafft, ein kurzes Gefhl der Macht. Gerade die Kleingeistigen und Furchtsamen fallen, sobald sie selbst unter Druck gesetzt werden und auch sonst nicht gerade glcklich sind, dem schlimmsten aller Gelste zum Opfer - dem Vergngen daran, andere zu qulen und zu vernichten. Der Grausame fhlt sich durch seine Taten beschwingt. Er fhlt sich lebendiger, wenn er andere sterben sieht. Er widersetzt sich dem Schpfer, indem er die Schpfung zerstrt. Er verachtet die Liebe und gibt sich dem Ha hin, der allein seine kalte, erstarrte Seele entflammt. Der Frevler kennt weder Mitleid noch ein schlechtes Gewissen noch Reue. Er giert einzig und allein nach immer neuen Grausamkeiten, weil er niemals genug hat. Es mag sein, da friedliebende Lebewesen ihnen nicht ungeschoren in Frieden begegnen knnen, denn die Bsen wissen nicht, was Liebe ist, und verwechseln sie mit Schwche. Deshalb mt Ihr, die Ihr eine milde und liebenswerte Prinzessin seid, einen Weg finden, mit solchen Menschen unnachgiebiger zu verfahren. Oh, das knnte ich nicht, sagte Anigel und zitterte. Niemals - nicht einmal nach diesem schrecklichen Anblick! Prinzessin Kadiya schlo ihre Schwester in die Arme. Mach dir nichts daraus, Ani, du Liebe. Ich werde dafr sorgen, da diese Scheusale bekommen, was ihnen zusteht. Jagun drngte weiter, und sie gingen immerfort, tiefer und tiefer in die unteren Stockwerke der Zitadelle hinab, bis der Geheimgang schlielich vor einer Wand aus neueren Ziegelsteinen in einer Sackgasse endete. Anigel begann vor Panik zu wimmern, doch Immu beruhigte sie, whrend Jagun seine Lampe nah an die Wand hielt und mit den Fingern auf der Mauer spielte, zunchst in die eine Richtung, dann in die andere. Pltzlich glitt ein Teil der Ziegelmauer zur Seite. Vor sich sahen sie Kerzenlicht, und den Mdchen drang der vertraute Geruch nach Malz in die Nase. Da wuten sie, wo sie sich befanden. Sie eilten zwischen Reihen von Fssern und groen Kupferkesseln hindurch, unter denen sich Bierlachen gebildet hatten, denn dies war die Brauerei der Zitadelle, die

Immu unterstanden hatte. Inzwischen waren jedoch alle Arbeiter geflohen, die Feuer verloschen und das riesige Wrzfa unbeaufsichtigt. Immu ging ihnen jetzt voran, und sie betraten das Getreidelager, in dem die beiden Seltlinge und die Mdchen einen groen Stapel Scke beiseite rumen muten. Dahinter

befand sich eine vermoderte Holztr, die laut und anhaltend quietschte, als Jagun sie mit einem Feuerhaken ffnete. Die Tr fhrte zu einer steil abfallenden, aus dem rohen Fels gehauenen Treppe, deren Stufen vom Wasser, das aus den Felsspalten ber ihren Kpfen herabtropfte, na und glitschig waren. Sie stiegen hinab. Die Wnde schimmerten im fahlen Licht der Laternen, das hin und wieder im schmutzigen Schlamm eines Abflusses reflektiert wurde. Dieser Weg fhrte in die tiefsten Tiefen der Zitadelle, sagte Jagun, zu Kerkern und Verliesen, Zisternen und Kanlen, die kein Einwohner von Ruwenda je erblickt hat. Sie wurden vom Versunkenen Volk erbaut. In den oberen Gngen hatten sie ein paar Weberlinge angetroffen, winzige, harmlose Kreaturen, die sich von Hauskfern ernhrten. Am Fue der Treppe gelangten sie in eine niedrige Kammer, von deren Decke tropfende Schlammstalaktiten hingen. Die zwischen ihnen lebenden Weberlinge waren viel grer und hatten hliche Zhne. Diese Kreaturen webten unfrmige, klebrige Netze, schwarzen Bettlaken gleich, und Jagun und Kadiya zogen ihre Schwerter und schlugen die Netze ab, die ihnen im Weg hingen. Anigel schrak angeekelt zurck, als Immu die aufgebrachten, von ihrem Platz vertriebenen Weberlinge zur Seite trat. Sie piepsten und quietschten und versuchten, die Eindringlinge durch Schuhe und Stiefel hindurch zu beien. Nachdem sie dieses Hindernis berwunden hatten, muten sie erneut ber eine roh aus dem Fels geschlagene Treppenflucht hinabsteigen, und der Geruch fauligen Wassers verschlug ihnen den Atem. Sie gelangten an ein verrostetes Tor, das halb offenstand. Dahinter ffnete sich ein breites Portal, und die leeren Kerzenleuchter an den Wnden und die Haken, an

denen Schlsselbunde hingen, waren von Grnspan so angefressen, da sie zu grnlichen Klumpen zerfielen, als Kadiya sie zufllig berhrte. Auf dem Boden hatten sich Wasserlachen gebildet, und der Gang, durch den sie nun kamen, wurde allmhlich immer schlammiger. Dann wurde es heller, und sie konnten vor sich