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1 Messiaen Quatuor fin du temps lter Boeykens Die Kammermusik nimmt im Schaffen Olivier Messiaens einen verhältnismäßig kleinen Platz ein; das Quartett für das Ende der Zeit stellt auf diesem Gebiet das Hauptwerk dar. Es muß in einen ganz besonderen Zusammenhang gestellt werden. Dieses Werk wurde nämlich 1940 in Schlesien geschrieben, wo Messiaen in einem Kriegs- gefangenenlager inhaftiert war. Und die wenig gebräuchliche Besetzung Klavier/ Violine/Cello/Klarinette erklärt sich aus der Abhängigkeit des Komponisten von den ihm damals gerade zur Verfügung stehenden Instrumentalisten. Schon der Aufbau des Quartetts entfernt sich von den herkömmlichen Formen der Kammermusik. Acht klar von einander abgesetzte Sätze sind teils allen Instrumenten auf einmal, teils einzelnen davon gewidmet. Die Zahl acht ist kein Zufall; Messiaen klärt uns selbst darüber auf: “Sieben ist die vollkommene Zahl; der siebente, von Gott gewollte Sabbatruhetag heiligt die in sechs Tagen vollbrachte Schöpfung; die Sieben leitet über in die Ewigkeit und in die Zahl Acht des unauslöschlichen Lichts und des unverbrüchlichen Friedens.” Die dichterische und religiöse Symbolik liegt auf der Hand. Zu dem Quatuor pour la Fin du Temps hat Messiaen eine Stelle in der Offenbarung des Johannes (X, 1-7) inspiriert: “Und ich sah einen starken Engel vom Himmel herabkommen; der war mit einer Wolke bekleidet, und ein Regenbogen war auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füsse wie Feuersäulen. Und er setzte den rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde, und er hob seine Hand auf den Himmel und schwor bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, daß hinfort keine Zeit mehr sein soll... Sondern in den Tagen der Stimme des siebenten Engels, wenn er posaunen wird, soll vollendet werden das Geheimnis Gottes.” Messiaen versucht die gewaltigen Worte – “daß hinfort keine Zeit mehr sein soll” in Musik umzusetzen, indem er aus dem Zeitbegriff seinen Reflexionsgegenstand und sein Experimentierfeld macht. Vielleicht ist es auch ein Weg, die im Stalag täglich am eigenen Körper erfahrene und durchlittene Prüfung der Zeit zu überwinden. Diese Arbeit erlaubt Messiaen, ein enges Band zwischen theologischem und musikalischem Erleben anzuknüpfen. In der Vorbemerkung am Anfang des Werks gibt der Komponist seine Absicht kund: “Die Suche nach einer größtmöglich unstofflichen, geistlichen, katholischen Tonsprache”, die den Hörer der “Ewigkeit im Raum näherbringen soll” mit Hilfe einer “modalen Kompositionsweise, die melodisch und harmonisch eine Allgegenwart der Töne verwirklicht”. Auch die von ihm verwendeten rhythmischen Kunstgriffe sollen dazu beitragen, “das Zeitliche auszuschalten”. Von der traditionellen Metrik der Symmetrie und von jeder Unterordnung unter sonstige Parameter befreit, gewinnt der Rhythmus Eigenleben. Erweiterte oder ver- kürzte Rhythmen, Polyrhythmik, nicht reduzierbare Rhythmen, rhythmisierte Orgelpunkte: Im Quatuor pour la Fin du Temps gipfeln die Nachforschungen und bahnbrechenden Erneuerungen Messiaens auf dem Gebiet der Rhythmik. 1. Kristalliturgie Alle vier Instrumente Diesen in seiner Atmosphäre ganz friedvollen Satz umschreibt Messiaen folgendermaßen: “Ein einzelner Vogel improvisiert, umgeben von Klangstaub, einem Kreis von hoch in den Bäumen verlorenen Trillern.” Mit diesem Gesang wird die Klarinette betraut und in zweiter Linie die Violine; die anderen Instrumente haben nur die Aufgabe, eine Klangumwelt zu schaffen. Zum ersten Mal erscheint hier in Messiaens Schaffen das Universum des Vogelgesangs, das er von nun an intensiv erforschen wird. HMA 1951348 olivier messiaen (1908-1992) quatuor pour la fin du temps Ensemble Walter Boeykens Marjeta Korosek, Violinen Walter Boeykens, Klarinette Roel Dieltiens, Violoncello Robert Groslot, Piano

348Dieses Stück ist eine Transkription für Cello und Klavier eines Satzes aus der “Fête des Belles Eaux”; es steigert sich nach und nach zu einer Spannung, die immer glühendere

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Page 1: 348Dieses Stück ist eine Transkription für Cello und Klavier eines Satzes aus der “Fête des Belles Eaux”; es steigert sich nach und nach zu einer Spannung, die immer glühendere

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MessiaenQuatuor

pour la fin du temps

Ensemble Walter BoeykensDie Kammermusik nimmt im Schaffen Olivier Messiaens einen verhältnismäßig kleinen Platz ein; das Quartett für das Ende der Zeit stellt auf diesem Gebiet das Hauptwerk dar.Es muß in einen ganz besonderen Zusammenhang gestellt werden. Dieses Werk wurde nämlich 1940 in Schlesien geschrieben, wo Messiaen in einem Kriegs-gefangenenlager inhaftiert war. Und die wenig gebräuchliche Besetzung Klavier/Violine/Cello/Klarinette erklärt sich aus der Abhängigkeit des Komponisten von den ihm damals gerade zur Verfügung stehenden Instrumentalisten. Schon der Aufbau des Quartetts entfernt sich von den herkömmlichen Formen der Kammermusik. Acht klar von einander abgesetzte Sätze sind teils allen Instrumenten auf einmal, teils einzelnen davon gewidmet. Die Zahl acht ist kein Zufall; Messiaen klärt uns selbst darüber auf: “Sieben ist die vollkommene Zahl; der siebente, von Gott gewollte Sabbatruhetag heiligt die in sechs Tagen vollbrachte Schöpfung; die Sieben leitet über in die Ewigkeit und in die Zahl Acht des unauslöschlichen Lichts und des unverbrüchlichen Friedens.”Die dichterische und religiöse Symbolik liegt auf der Hand. Zu dem Quatuor pour la Fin du Temps hat Messiaen eine Stelle in der Offenbarung des Johannes (X, 1-7) inspiriert: “Und ich sah einen starken Engel vom Himmel herabkommen; der war mit einer Wolke bekleidet, und ein Regenbogen war auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füsse wie Feuersäulen. Und er setzte den rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde, und er hob seine Hand auf den Himmel und schwor bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, daß hinfort keine Zeit mehr sein soll... Sondern in den Tagen der Stimme des siebenten Engels, wenn er posaunen wird, soll vollendet werden das Geheimnis Gottes.”Messiaen versucht die gewaltigen Worte – “daß hinfort keine Zeit mehr sein soll” in Musik umzusetzen, indem er aus dem Zeitbegriff seinen Reflexionsgegenstand und sein Experimentierfeld macht. Vielleicht ist es auch ein Weg, die im Stalag täglich am eigenen Körper erfahrene und durchlittene Prüfung der Zeit zu überwinden. Diese Arbeit erlaubt Messiaen, ein enges Band zwischen theologischem und musikalischem Erleben anzuknüpfen. In der Vorbemerkung am Anfang des Werks gibt der Komponist seine Absicht kund: “Die Suche nach einer größtmöglich unstofflichen, geistlichen, katholischen Tonsprache”, die den Hörer der “Ewigkeit im Raum näherbringen soll” mit Hilfe einer “modalen Kompositionsweise, die melodisch und harmonisch eine Allgegenwart der Töne verwirklicht”. Auch die von ihm verwendeten rhythmischen Kunstgriffe sollen dazu beitragen, “das Zeitliche auszuschalten”. Von der traditionellen Metrik der Symmetrie und von jeder Unterordnung unter sonstige Parameter befreit, gewinnt der Rhythmus Eigenleben. Erweiterte oder ver-kürzte Rhythmen, Polyrhythmik, nicht reduzierbare Rhythmen, rhythmisierte Orgelpunkte: Im Quatuor pour la Fin du Temps gipfeln die Nachforschungen und bahnbrechenden Erneuerungen Messiaens auf dem Gebiet der Rhythmik.

1. KristalliturgieAlle vier InstrumenteDiesen in seiner Atmosphäre ganz friedvollen Satz umschreibt Messiaen folgendermaßen: “Ein einzelner Vogel improvisiert, umgeben von Klangstaub, einem Kreis von hoch in den Bäumen verlorenen Trillern.” Mit diesem Gesang wird die Klarinette betraut und in zweiter Linie die Violine; die anderen Instrumente haben nur die Aufgabe, eine Klangumwelt zu schaffen. Zum ersten Mal erscheint hier in Messiaens Schaffen das Universum des Vogelgesangs, das er von nun an intensiv erforschen wird.

HMA 1951348

olivier messiaen (1908-1992)

quatuor pour la fin du temps

Ensemble Walter Boeykens Marjeta Korosek, Violinen

Walter Boeykens, Klarinette

Roel Dieltiens, Violoncello

Robert Groslot, Piano

Page 2: 348Dieses Stück ist eine Transkription für Cello und Klavier eines Satzes aus der “Fête des Belles Eaux”; es steigert sich nach und nach zu einer Spannung, die immer glühendere

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MessiaenQuatuor

pour la fin du temps

Ensemble Walter Boeykens

2. Vokalise für den Engel, der das Ende der Zeit verkündigtAlle vier InstrumenteEingerahmt von zwei schneidend scharfen kurzen Eckteilen entfaltet sich, statisch und geradlinig, die “quasi gregorianische Melodie von Violine und Cello über den wie von fern kommenden Glockentönen des Klaviers. Das sind die nicht wahrnehmbaren Harmonien des Himmels.”

3. Abgrund der VögelKlarinetteDieser Satz für Klarinette solo besteht aus drei Abschnitten die den Kontrast darstellen sollen zwischen dem “Abgrund”, d.h. der “Zeit, und was dabei mitschwingt an Trauer und Überdruß” und, im Mittelteil, den “Vögeln, die unsere Sehnsucht nach Licht, Sternen und Jauchzen verkörpern”.Die Möglichkeiten des Instruments werden bis zum Äußersten erschöpft; die extrem langen Töne stellen an die Atemtechnik des Solisten die größten Ansprüche.Mit dieser Studie über die verschiedenen Tonparameter und der Hervorhebung aller klangli-chen Möglichkeiten eines Instruments, wobei ihm zuweilen eine regelrechte Verklärung dieses Instruments gelingt, läßt Messiaen ganz neue Dimensionen der zukünftigen Musikforschung erahnen.

4. IntermezzoAlle vier InstrumenteDieses schon früher komponierte kurze Stück in Scherzo-Form dient als Übergang. Sein rhyth-mischer und verfremdender Charakter sticht scharf ab gegen die umgebende Unstofflichkeit.

5. Lobgesang auf die Ewigkeit JesuCello und KlavierEine langhaltende beschauliche Melodie entwickelt sich in einem unerbittlich langsamen Tempo, das noch durch ein rhythmisches Ostinato am Klavier unterstrichen wird. Der Komponist benützt hier die volle Klangstärke des Cellos und auch seine Weichheit, um die Ewigkeit des Wortes Jesu heraufzubeschwören.Dieses Stück ist eine Transkription für Cello und Klavier eines Satzes aus der “Fête des Belles Eaux”; es steigert sich nach und nach zu einer Spannung, die immer glühendere Inbrust aus-drücken soll und besänftigt sich dann bis zum Symbol unendlicher Ruhe.

6. Tanz des Zorns für die sieben Trompeten“Es handelt sich dabei um eine rhythmische Studie” (nach Messiaen).In der Tat wird durch das Unisono-Spiel aller Instrumente und die dadurch fehlende harmo-nische Dichte die Aufmerksamkeit des Hörers in erster Linie auf den Rhythmus gelenkt. Die immer wiederkehrende Melodie wird rhythmisch variiert, wobei sich die zwei Parameter Tonhöhe und Tondauer völlig unabhängig voneinander entwickeln; daher der seltsame Eindruck von Erneuerung innerhalb des Unveränderlich-Bleibenden.

7. Regenbogendurcheinander für den Engel, der das Ende der Zeit verkündigtAlle vier InstrumenteDas Bild des Regenbogens taucht häufig in der musikalischen Poetik Messiaens auf. “Er ist das Symbol des Friedens, der Weisheit, von Klang- und Lichtvibration.”Dieser Satz ist sicher einer der am besten aufgebauten und ausgearbeiteten des Ganzen, wo die Stimmen der Instrumente wirklich verschmelzen. Der Stimmenaustausch ist anfangs noch zaghaft, endet aber dann mit einem “Wirbel von Farben und Klängen”.Es sind, was die Form betrifft, sich einander ablösende Variationen über zwei Themen, wobei immer wieder Reminiszenzen an vorausgehende Sätze anklingen. Die fast orchestrale Klangdichte dieses Satzes, sein Ideenreichtum und sein ekstatisches Jauchzen könnte man als die klangliche Umsetzung der “bunten Träume” betrachten, die der quälende Hunger bei Messiaen ausgelöst hat.

8. Lob der UnsterblichkeitVioline und KlavierDieses zweite Loblied auf Jesus, Jesus als Menschensohn, ist das Gegenstück zum fünften Satz für Cello und Klavier. Es stellt eine Rückkehr zur Besinnung dar. In dieser Transkription des “Diptyque pour orgue” (1930) klimmen beide Instrumente gemeinsam zur äußersten Höhe hinan. Regungslosigkeit, Erstarren, Aufhebung der Zeit.

Das Werk wurde am Kompositionsort im Januar 1941 vor 5000 Zuhörern uraufgeführt. “Nie hat man mir so aufmerksam und verständnisvoll zugehört”, schreibt der Komponist in seinen ausführlichen Aufzeichnungen zu diesem Konzert. “Es herrschte furchtbare Kälte, das Lager war unter dem Schnee begraben. Die vier Musiker spielten auf beschädigten Instrumenten: das Cello von Etienne Pasquier besaß nur drei Saiten, die Tasten meines Klaviers blieben stecken. Unsere Aufmachung war unwahrscheinlich: mich hatten sie mit einer grünen, total zerrissenen Jacke ausstaffiert und dazu trug ich Holzpantinen.”

ElisabEth bourgognE Übersetzung Peter Krauss