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Differenzierung / Individualisierung
"Was wir zu lernen haben, ist so schwer und doch so einfach und klar: es ist normal, verschieden zu sein"
(Richard von Weizäcker 1993)
1. Definition: Differenzierung ist ein Sammelname für alle Maßnahmen, mit deren Hilfe die Schule den
unterschiedlichen Fähigkeiten und Neigungen der SchülerInnen ( pädagogische Aufgabe) und den
vielfältigen Anforderungen der Gesellschaft ( Organisationsprinzip / Funktionen der Schule ) gerecht werden soll. Differenzierung ist zu verstehen als variierendes Vorgehen in Darbietung und Bearbeitung von Lerninhalten z. Tl. durch Zugehörigkeit zu nach bestimmten Kriterien (Interesse, Kenntnisse, Fähigkeiten, Alter, Geschlecht, Religionszugehörigkeit...) zusammengestellten Lerngruppen. Angewandte differenzierende Maßnahmen münden in eine individuelle Förderung, die darauf abzielt, jedem Lerner die Chance zu geben, sein Potential umfassend zu entwickeln und ihn dabei durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.
2. Arten der Differenzierung: Schulische Differenzierung: (=institutionelle Differenzierung) in Form der Schulart
(Ausnahmen: IGS, Kombination: RegS / DOS, gem Oberstufen), Schulprofil
Äußere Differenzierung: Kriterien s.o. / evtl. klassenübergreifend, klassisch: A-B-Kurse, ev /
kath., Fremdsprache
Innere Differenzierung: unterschiedliche Untergruppierungen innerhalb einer Klasse (z.B. PA / GA)
methodische Varianten
unterschiedliche mediale Hilfen (Computer-Programme, Arbeitsblätter, Lehrerzeit, Tutorien...)
nach Lernvoraussetzungen: Lernstil, Tempo, Lernbereitschaft, Lerninterssen
Inhalte, Schwierigkeitsanspruch, Zielanspruch, Abstraktionsniveau (qualitative Diff.)
stofflicher Umfang, Zeitvorgabe (quantitative Diff.)
3. Vorteile: Jeder einzelne Schüler kann individuell maximal gefordert und damit optimal gefördert werden
Starke und schwache SchülerInnen profitieren voneinander (tutoring, effektive Erklärungen durch Schülersprache)
Gemeinsames Lernen heterogener Gruppen insgesamt bessere Ergebnisse
soziale Intelligenz steigt
Lerner wird befähigt, sich und seine Fähigkeiten einzuschätzen
Unter-Überforderung wird entgegengewirkt
Jeder Lernende steht im Mittelpunkt seines eigenen Lernprozesses
Schüler tragen eine (Mit)Verantwortung für ihre individuelle Förderung und können Lernziele selbst bestimmen
Erhalt der Klasse als Lerngruppe
Staatliches Studienseminar für das Lehramt an Grundschulen Simmern
4. Grenzen/Schwierigkeiten/Gefahren: Herausforderung /Überforderung der L. durch Notwendigkeit individuellerer Curricular für einzelnen
Schüler / Schülergruppen
Es muss sehr viel Zeit und methodische Vielfalt eingesetzt werden, um mit den Schülerinnen und Schülern selbstständige, selbst gesteuerte und selbst verantwortete Formen des Lernens konsequent einzuüben, damit sie für jeden zielgerichtet nutzbar gemacht werden können
Ungenaue Einschätzung der Schüler
Verharren in lehrerzentrierten Unterrichtsformen, die keinen Raum für individuelles Lernen lassen
Äußere Gegebenheiten (vorgegebene Curricula, Schulstundentaktung, Einsatz von "Fachlehrern", Einfluss der Eltern,...)
Gefühl der Diskriminierung / Isolation der Schwachen bei Differenzierung nach Leistungsvermögen
ein bei dem Schüler fehlendes, für die individuelle Förderung aber notwendiges Selbstbild (Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen)
Umgang mit (klassenbezogene) Leistungen ist schwierig, Problem der Notengebung, denn die objektive Norm findet keine Berücksichtigung
Gefahr zunehmender Divergenz, Rollenfixierung, Stigmatisierung
zu langes Verharren auf Lernplateaus
5. Konsequenzen: 3 Leitgedanken: Elementarisierung/ Verlangsamung/ Lerndiagnostik/ Intensivierung von Hilfen aber
auch: Enrichment (zusätzliche Lernangebote)/ Akzeleration (beschleunigtes Lernen) Wechsel der Sozialformen: EA/(Selbstkontrolle)/PA / GA Themen mit Lebensweltbezug Rhytmisierung des Unterrichtstages Offene Lernangebote wie Wochenplan / Tagesplan/ Stationenlernen/ Lerntheke Schülerpräsentationen unterschiedlichen Inhalts, unterschiedlicher Zielvorgaben systematische Beobachtung Prozessbewertung genaue, fortlaufende Beobachtung und Dokumentation VV 93 ( Förderung von Kindern mit Lernschwierigkeiten...): Noten aussetzen/
Verbalbeurteilungen...- vorhandene Möglichkeiten im Sinne des Lernenden nutzen!
6.Verankerung in Gesetzen / V-Vorschriften / Empfehlungen In SchG und SchOGS wird die Differenzierung nicht explizit genannt, aber es ist die Rede von
individueller Förderung gemäß Talenten und Begabungen In Leitlinien ( 3.2.): Der Unterricht in der Grundschule muss unterschiedliche Lernvoraus-
setzungen und –fähigkeiten der Kinder berücksichtigen und ihnen durch Differenzierung entsprechen (3.4.): Differenzierung ist nicht nur Methode, sondern vor allem ständiger pädagogischer Auftrag (bereits die individuelle Ansprache, Lob, Ermutigung sind im engen Sinne eine Differenzierungsmaßnahme)
Im Rahmenplan Grundschule wird die Differenzierung in den Qualitätsindikatoren aufgeführt (S.20)
SchOGS §26ff: Ausnahme zum Verbot von äußerer Differenzierung (Leistungsklassen) in der GS: Förderung von Kindern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Richtig schreiben u. Rechnen, Kinder mit fremder Muttersprache
V-Vorschrift (VV 1993,s.0.)
Orientierungsrahmen Schulqualität: Der Umgang mit Heterogenität und Differenzierung wird als Merkmal für Unterrichtsqualität definiert, siehe VII. Schulleben, VIII. Ziele und Strategien der schulischen Qualitätsentwicklung-Innere und Äußere Differenzierung, IX. Unterichtsqualität
7. Schulpraxis: Häufig sind immer noch vor allem Differenzierungen nach Alter (Jahrgangsklassen),Leistung (Schulformen, Leistungsgruppen) und nach Unterrichtsinhalten (Fächer) vorherrschend. Vereinzelt PA und GA (stofforientiert, nicht unbedingt schülerorientiert). Das illusorische Ziel einer Leistungshomogenität wird angestrebt, oftmals Zuordnung zu leistungsbezogenen Lerngruppierungen, maßgeblich ist nach wie vor die Steigerung fachlicher Leistungen in den „Haupt“-Fächern. Eine Durchlässigkeit ist fast nur von oben nach unten gegeben. ABER die pädagogische Aufgabe der Schule ist die Erziehung zur Selbstständigkeit und Eigenverant-wortung. Dies bedeutet auch, dass die Schüler als Akteure/Verantwortliche/Subjekte ihrer persönlichen Lernwege akzeptiert und anerkannt werden müssen! Daraus folgt:
Schüler müssen ihre Arbeit und Anstrengung als sinnvoll erfahren
Individuelle Fortschritte müssen tatsächlich bemerkt und anerkannt werden
Schüler müssen in die Entscheidungen, wie und wann differenziert wird, einbezogen werden
Maßnahmen der inneren Differenzierung haben Vorrang vor denen der äußeren
Die innere Differenzierung ist umso höher einzuschätzen, je mehr sie der Förderung des einzelnen Schülers dient, die Selbstständigkeit und Verantwortung des Schülers entfalten hilft, unterschiedliche Startbedingungen auszugleichen versucht, die Lernmotivation der Schüler erhöht, erfolgreiches Lernen fördert und dazu beiträgt, dass Schüler miteinander und voneinander lernen (soziales Lernen)
Langfristig-irrreversible Entscheidungen müssen vermieden werden
spontane, gewünschte Gruppenbildung sollen ermöglicht werden
Jahrgangsklassen, Fächerkanon, Stundentafel, äußere Organisation als „Bremsen“ der Verantwortung für differenziertes Lernen müssen zur Disposition stehen
„Die Verschiedenheit der Köpfe ist das große Hindernis aller Schulbildung. Darauf nicht zu achten ist der Grundfehler aller Schulgesetze, die den Despotismus der Schulmänner begünstigen und alles nach einer Schnur zu hobeln veranlassen.“
(Johann Friedrich Herbart, 1807)
8. Einige Voraussetzungen für gelingende Differenzierung
Rituale der Gesprächsführung
Morgendliche Begrüßung eines jeden Kindes
Einüben von Gesprächs- u. Diskussionsstrukturen
Reden und Zuhören lernen
Demokratische Mitbestimmung (bsp. Klassenrat)
Morgenkreise (Gespräche, Singen, Spielen, Vorstellen und Zeigen, Vorlesen...)
Übungen zum Tolerieren abweichender Meinungen
„Umräumrituale“ ( Gruppentische,...)
Rituale der Konfliktregelung
Wandzeitung
Lobbücher
Zielhefte
Klassenrat
Institutionalisierung einer Streitschlichtung/ präventiver Maßnahmen
Möglichkeiten der Entschuldigungen erarbeiten/ klare Konsequenzen für Fehlverhalten festlegen
Schülervertretungen
gemeinsames Spielen
Rituale der Gemeinsamkeit
Klassenfeste/ Schulfeste
Intensive Elternarbeit
gemeinsame Aktionen / Projekte
Exkursionen und Unternehmungen
Klassentagebücher
Klassenraumgestaltung
gemeinsame Präsentation von Unterrichtsergebnissen
Literatur: Bönsch,M.: Differenzieren in Schule und Unterricht Ansprüche – Formen – Strategien, München 1995 Paradies,L. & Linser H.J. : Differenzieren im Unterricht, Berlin 2001 Thurn, S.: Differenzierender Unterricht: Nötig und möglich. Erfahrungen – Überzeugungen – Anregungen. In: Pädagogik, S. 36 ff, Heft 12 / 1997 Vollstädt, W.: Differenzierungsformen im Unterricht, Prüfungswissen kompakt. In: Pädagogik, S.37 ff, Heft 12, 1997 Haußer,K.(Hg):Modelle schulischer Differenzierung. München Wien Baltimore 1981 Herber, H.J.: Innere Differenzierung im Unterricht, Stuttgart 1983 Hintz u.a.: Neues schulpädagogisches Wörterbuch, Weinheim München 1993, MeierR/ Bahns,M: Miteinander lernen. Differenzieren und Freie Arbeit in der Grundschule, Stuttgart 1987/2 Niemann,J.: Methoden der Unterrichtsdifferenzierung, Düsseldorf 1981 VBE Medien 14: Anregungen und Hilfen für die Arbeit in der Grundschule, Mainz 2009
Eine die Unterschiede zweier Unterrichtsphilosophien herausarbeitende Gegenüberstellung (Klassenun-terricht/ individualisierender Unterricht) finden Sie unter http://bildung-rp.de/pl/publikationen.html (zum Artikel: Wir sind alle gleich und alle verschieden)