24
Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland Herausgegeben von Tom Graber LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH 2005

Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Diplomatische Forschungenin Mitteldeutschland

Herausgegeben von Tom Graber

LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH2005

Page 2: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen
Page 3: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

HENNING STEINFÜHRER

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischenStädte im Spätmittelalter'

l.

Es konne anders nicht gesein, so ein stadschreiber des rats vnd ouch der scheppenwarten solle, es muste vorgeß oder vorsewmlichkeit in den dingen gescheen? Dieseeindringliche Klage brachte der Leipziger Oberstadtschreiber Magister JohannSchober im Winter des Jahres 1472 vor. Die aufgetretenen Unregelmäßigkeiten inder GeschäftsfUhrung suchte er durch eine übermäßige dienstliche Belastung zurechtfertigen. Der Leipziger Rat beschloss daraufhin, eine neue "Stelle" zu schaffenund ein spezielles Schöffenschreiberamt einzurichten. Der Hintergrund dieser Ent-scheidung waren ernsthafte Differenzen innerhalb des Rates über die nicht korrekterfolgte Rechnungslegung für das Jahr 1471.

Die zitierte Beschwerde Johann Schobers' hatte insofern ihre Berechtigung, alser im Grunde zwei Kanzleien leitete, zum einen die Ratskanzlei, welche man im spä-ten Mittelalter mit einigem Recht als das Herz der städtischen Verwaltung bezeich-nen kann, zum anderen lag auch die Erledigung der beim Schöffengericht anfallen-den Schreibarbeiten in seiner Hand. Als Vorstand der städtischen Kanzlei hatteMagister Schober die Aufsicht über das umfangreiche Schriftwerk des Rates inneund war somit für die Ausfertigung der Urkunden und Briefe, die Führung der ver-schiedenen Stadtbuchreihen sowie für alle übrigen Angelegenheiten, die von rats

Der vorliegende Beitrag versteht sich als Aufriss einer im Entstehen begriffenen monographischenStudie, die sich unter dem Titel "Stadt und Schriftlichkeit. Das Urkunden- und Kanzleiwesen dersächsischen Städte im Mittelalter" dem Thema in ausführlicher Form widmen wird. Der Text des am20. Oktober 2000 in Meißen gehaltenen Vortrages wurde im Wesentlichen beibehalten und durchNachweise ergänzt.Der Eintrag über die Trennung der Ämter von Oberstadt- und Schöffenschreiber ist im LeipzigerRatsbuch (1466-1500) überliefert. Druck: Urkundenbuch dcr Stadt Leipzig, Bd. 1-3, hrsg. von KarlFriedrich von Posern-Klett (Bd. 1/2) und JosefFörstemann (Bd. 3) (Codex diplomatic us Saxoniaeregiae, im Folgenden zitiert als COS 1118-10), Leipzig 1868/94, hier Bd. I,S. 386 f., Nr. 460; Regest:HENNINGSTEINFÜHRER,Die Leipziger Ratsbücher (1466-1500). Forschung und Edition, T. 1/2 (Quel-len und Materialien zur Geschichte der Stadt Leipzig 1), Leipzig 2003, hierT. 1, S. 120, Nr. 309.Zur Person des Johann Schober vg!. LUDwlG ERlCHSCHMITI, Untersuchungen zu Entstehung undStruktur der "neuhochdeutschen Schriftsprache", Bd. I:Sprachgeschichte des Thüringisch-Ober-sächsischen im Spätmittelalter. Die Geschäftssprache 1300 bis 1500 (Mitteldeutsche Forschungen36/ I), Köln/Wien '1982; STEINfÜHRER,Leipziger Ratsbücher 1 (wie Anm. 2), S. XLVII.

Page 4: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

164 Henning Steinführer

wegen not were[n] zu beschreiben, verantwortlich: Als Schreiber des Schöffenge-richtes fertigte er Schöffensprüche und sonstige Gerichtsurkunden aus und besorgtedie Führung der Schöffenbücher. Die Erledigung der Schreibarbeiten übernahm derLeipziger Oberstadtschreiber in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einemguten Teil noch selbst. Zahlreiche Urkunden sowie Rats-, Schöffen- und Steuer-bücher zeigen seine Handschrift.' Neben der Kanzleitätigkeit im engeren Sinne hatteder Stadtschreiber als rechtskundiger Bediensteter des Rates noch eine Reihe weite-rer Aufgaben zu erfüllen. So war bei einer Vielzahl von Ratsgeschäften inner- undaußerhalb Leipzigs seine Anwesenheit erforderlich. Zugleich gehörte der Kanzlei-vorstand neben den Bürgermeistern zu den wichtigsten Repräsentanten der Stadt inäußeren Angelegenheiten, die sowohl Johann Schober als auch seine Vorgänger undNachfolger im Amt zu häufigen Reisen, etwa zu den Landtagen, zwangen.'

In der Kanzlei stand dem Oberstadtschreiber mit dem so genannten Unterschrei-ber Caspar von Schkölen lediglich eine qualifizierte Fachkraft zur Seite.' Darüberhinaus beschäftigte der Rat in seinen Ämtern und Kommissionen noch eine Reiheweiterer Skriptoren, die der als Verwaltungszentrale fungierenden Ratskanzlei zuar-beiteten." Ein anschauliches Beispiel für diese arbeitsteilige Verwaltung ist die Er-stellung der Jahreshauptrechnungen, die zu einem wesentlichen Teil auf den in deneinzelnen Verwaltungszweigen, etwa in der Waage, im Ratskeller oder bei denMarktmeistern, geführten Registern und Abrechnungen beruhten und am Ende einesjeden Rechnungsjahres in der Ratskanzlei zusammengeführt wurden." Mit reinenAbschreibearbeiten betraute der Rat Lohnschreiber. Einer von ihnen war ein gewis-ser Ambrosius Stulschreiber, der vom Rat im Jahr 1472 acht Groschen dafür erhielt,das er die gesetz und ordenungen des rats abe copirte:"

CDS W8 (wie Anm. 2), S. 386 f., Nr. 460 (Zitat). Über die Aufgaben des Leipziger Stadtschreibersvg!. WALTHERRACHEL,Verwaltungsorganisation und Ämterwesen der Stadt Leipzig bis 1627 (Leip-ziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 8/4), Leipzig 1902, S. 52 f.Vg!. dazu STEINFÜHRER,Leipziger Ratsbücher I(wie Anm. 2), S. XLVII.Über die dienstliche Reisetätigkeit der Leipziger Stadtschreiber liefern die seit 1471 erhaltenen Leip-ziger Jahreshauptrechnungen unter der Rubrik Zerung zahlreiche Belege. Vg!. Stadtarchiv Leipzig,Jahreshauptrechnungen, 1471 if.Zur Person des Caspar von Schkölen, der 1473 als Oberstadtschreiber nachweisbar ist und kurz dar-auf als Geleitsmann in landesherrliche Dienste übertrat, vgl. STEINFÜHRER,Leipziger Ratsbücher I(wie Anm. 2), S. XLVII.Vgl. dazu RACHEL,Verwaltungsorganisation (wieAnm. 4), S. 49-57.Reste dieser so genannten" Vorrechnungen" haben sich in dem Bestand Teilrechnungen (1462-1519)im Stadtarchiv Leipzig erhalten. Zu den Leipziger Stadtrechnungen vgl. weiterhin HARALDSCHIECKEL,Das Kanzleiwesen der Stadt Leipzig bis zum Jahre 1543, in: Archivmitteilungen 7(1957), So 71-76, hier S. 75 fo; NADlNESOHR, Die Leipziger Jahreshauptrechnungen 1481-1491, in:Leipziger Kalender 2000, So81-91, hier S. 87-91.

'0 Vg!. Stadtarchiv Leipzig, Jahreshauptrechnung 1471/72, fol. 107 verso. Zu Ambrosius Stuhlschrei-ber, der auch als öffentlicher Notar in Leipzig wirkte, vgl. HENNINGSTElNFÜHRER,Leipziger Bürger-

Page 5: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 165

Verallgemeinernd lässt sich für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts von einer dif-ferenzierten, aufbreiter Schriftlichkeit beruhenden Verwaltungstätigkeit des Leipzi-ger Rates sprechen, in deren Zentrum die städtische Kanzlei stand.

Die hier geschilderten Leipziger Verhältnisse können mutatis mutandis als reprä-sentativ für das Urkunden- und Kanzleiwesen zumindest der größeren sächsischenStädte im späten Mittelalter gelten. Die Entstehung eines eigenständigen administra-tiven städtischen Schriftwesens war Teil des so genannten Verschriftlichungsprozes-ses," einer gesamteuropäischen Entwicklung, die von Italien ausgehend im 12. und13. Jahrhundert weite Teile Europas erfasste. Zu den wichtigsten Merkmalen diesesProzesses gehörten der Übergang der Schriftlichkeit vom Klerus auf die Weit derLaien und das Eindringen der Landessprachen in die Schrift. Eine wesentliche Rollespielten in diesem Zusammenhang die Städte, in denen der Schriftgebrauch sowohlfür den Bereich der politischen Organisation als auch auf dem Gebiet der städtischenWirtschaft unverzichtbar wurde."

Im Folgenden soll ein Überblick über die Entwicklung und die Träger des Urkun-den- und Kanzleiwesens der sächsischen Städte" im Spätmittelalter gegeben wer-

urkunden des späten Mittelalters, in: Leipzig, Mitteldeutschland und Europa. Festgabe für ManfredStraube und Manfred Unger zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hartmut Zwahr, Uwe Schirmer undHenning Steinführer, Beucha 2000, S. 23-33, hier S. 29.

11 Zum Verschriftlichungsprozess vg!. HAGENKELLERlFRANZJOSEF WORSTBROCK,Träger, Felder,Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter. Der neue Sonderforschungsbereich 231 an derWestfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen Studien erschienenen Tätigkeitsberichte des Son-derforschungsbereichs; weiterhin HAGENKELLER,Die Entwicklung der europäischen Schriftkulturim Spiegel der mittelalterlichen Überlieferung. Beobachtungen und Überlegungen, in: Geschichteund Geschichtsbewußtsein. Festschrift Karl-Ernst Jeismann zum 65. Geburtstag, hrsg. von PaulLeidinger und Dieter Metzler, Münster 1990, S. 171-204; DERS., Pragmatische Schriftlichkeit imMittelalter, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungs-stufen, hrsg. von Hagen Keller, Klaus Grubmüller und Nikolaus Staubach (Münstersehe Mittelalter-Schriften 65), München 1992, S. 1-7; zuletzt der Sammelband: Schriftlichkeit und Lebenspraxis imMittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern, hrsg. von Hagen Keller, Christel Meier und ThomasScharfT(Münstersche Mittelalter-Schriften 76), München 1999.

12 Vg!. HENRYKSKRZYPCZAK,Stadt und Schriftlichkeit im deutschen Mittelalter. Beiträge zur Sozial-geschichte des Schreibens, Diss. (masch.) Berlin (Freie Universität) 1956; ERNSTPITZ, Schrift- undAktenwesen der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter. Köln-Nürnberg-Lübeck. Beitrag zur ver-gleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde (Mitteilungen aus dem Stadt-archiv von Köln 45), Köln 1959; Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Über-lieferung, hrsg. von Hagen Keller und Thomas Behrmann (Münstersehe Mittelalter-Schriften 68),München 1995.

13 Unter Sachsen wird dabei der wettinische Herrschaftsbereich zwischen Saale und EIbe verstanden,der sich im Wesentlichen aus der Markgrafschaft Meißen, dem Osterland, dem ehemaligen, seitBeginn des 14. Jahrhunderts wettinischen Reichsland Pleißenland und dem 1423 gemeinsam mit derKurwürde an die Wettiner gelangten Herzogtum Sachsen- Wittenberg zusammensetzte. Fortan wurdedie Bezeichnung Sachsen für dieses von den Wettinern beherrschte Gebiet schnell gebräuchlich.Dazu grundlegend MANFREDKOBvcH, Der Weg des Namens Sachsen, in: Die Wettiner. Chancen und

Page 6: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

166 Henning Steinführer

den." Vorausgeschickt sei, dass die Eigenart des städtischen Kanzleiwesens dazuzwingt, die Untersuchung nicht nur auf das urkundliche Material zu beschränken,sondern in größerem Umfang auch die buchförmige Überlieferung, die so genann-ten Stadtbücher, mit einzubeziehen. Bevor jedoch das kommunale Urkunden- undKanzleiwesen behandelt wird, seien einige allgemeine Bemerkungen zum sächsi-schen Städtewesen vorangestellt.

II.

Die ersten Städte entstanden in Sachsen im 12. und 13. Jahrhundert entlang der wich-tigen Handelsstraßen. Den Anfang ihrer Entwicklung markiert dabei kein stadtherr-licher Gründungsakt, die Stadtwerdung vollzog sich vielmehr in einem mehrstufigenProzess, der von einer genossenschaftlich organisierten Kaufleutesiedlung über städti-sche Vor- und Frühformen bis hin zur Ausprägung der vollgültigen Rechtsstadt reich-te." Eine Verdichtung erfuhr das zunächst relativ weitmaschige Städtenetz zwischen

14

Realitäten, Dresden 1989, S. 30-35. Die wichtigen Städte der Oberlausitz wie Gör1itz, Bautzen,Zittau oder Kamenz, die über ein gut entwickeltes städtisches Kanzleiwesen verfügten, bleiben hieraußerhalb der Betrachtung, da sie im Spätmittelalter und weit darüber hinaus zum böhmischen Herr-schaftsbereich und folglich in einen anderen historischen Kontext gehörten. Zur Geschichte der Ober-lausitz vg!. zuletzt mit weiterführenden Literaturangaben: Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft,Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, hrsg. von JoachimBahlcke, Leipzig 2001.Forschungen zum städtischen Kanzleiwesen konnten bisher keinen zentralen Platz in der Mediävistikbeanspruchen. Ein guten Überblick zum Stand der europäischen Forschung bietet der Sammelband:La diplomatique urbaine en Europe au moyen age. Actes du congres de la Commission internationalede Diplomatique, hrsg. von Waiter Prevenier und Therese de Hemptinne, LeuvenJApeldoom 2000.Darin zum deutschsprachigen Raum KARL-OTIo AMBRONN,Entstehung und Anfänge der städtischenKanzlei in Regensburg vor dem Hintergrund der wechselnden stadtherrlichen Verhältnisse, S. 5-22;PETERCs ENDES,Die Anfänge des städtischen Urkundenwesens in Österreich, S. 93-99; INGOKRo-PAc/SuSANNEKROPAC,Prolegomena zu einer städtischen Diplomatik des Spätmittelalters: DasBeispiel Regensburg, S. 229-265; MARKMERSIOWSKY,Städtisches Urkundenwesen und Schriftgut inWestfalen vor 1500, S. 321-356. Speziell das Urkundenwesen der sächsischen Städte bis zum Endedes 14. Jahrhunderts thematisiert ausführlich THOMASVOGTHERR,Die Anfange des städtischen Urkun-denwesens in Sachsen, S. 535-557.Zur Frühgeschichte der sächsischen Städte sei hier nur auf wenige grundlegende Arbeiten verwiesen:WALTERSCHLESINGER,Die Anfänge der Stadt Chemnitz und anderer mitteldeutscher Städte, Weimar1952; KARLHEINZBLASCHKE,Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990, S. 111-136; DERs.,Stadtgrundriß und Stadtentwicklung. Forschungen zur Entstehung mitteleuropäischer Städte. Ausge-wählte Aufsätze, unter Mitarbeit von Uwe John hrsg. von Peter Johanek (Städteforschung, Reihe A,DarsteIlungen 44), Köln/WeimarlWien '200 I. An neueren Arbeiten seien genannt: MANFREDKOBUCH,Die Anfange der Stadt Boma, in: Zur Kirchen- und Siedlungsgeschichte des Leipziger Raumes, hrsg.von Lutz Heydick, Uwe Schirmer und Markus Cottin (Leipziger Land - Jahrbuch für historischeLandeskunde und Kulturraumforschung 2 [2001]), S. 69-88; DERs., Noch einmal: die Anfänge derStadt Chemnitz, in: Zur Entstehung und Frühgeschichte der Stadt Chemnitz (Aus dem Stadtarchiv

IS

Page 7: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 167

dem ausgehenden 13. und dem 15. Jahrhundert." Mit dem Wachsen von Größe undZahl der Städte nahm der Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung stetigzu. Am Ausgang des Mittelalters lebte in den ca. 150-180 sächsischen Städten bereitsetwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung."

Als größte und wirtschaftlich stärkste Kommune nahm zunächst Freiberg eineherausgehobene Stellung ein. Die Bedeutung der Stadt, die um 1300 etwa 5000 Ein-wohner zählte," gründete vor allem auf dem Silberbergbau im Erzgebirge, dessenErträge Freiberg wohlhabend und für Zuwanderung attraktiv machten." Dagegenfielen die übrigen Städte deutlich ab, die größeren unter ihnen, wie Leipzig, Zwickauoder Altenburg, zählten zu dieser Zeit kaum 3000 Einwohner. Im 15. Jahrhundertgingen die Erträge der Freiberger Gruben jedoch zurück, und so musste die Berg-stadt, die zusätzlich noch durch verheerende Stadtbrände geschädigt wurde," ihreführende Position an die aufstrebende Handelsstadt Leipzig abtreten." Der wirt-

Chemnitz 6), Chemnitz 2003, S. 26-35; KARLHEINZBLASCHKE,Neue Wege und Erkenntnisse zurFrühgeschichte der Städte in Mitteleuropa, in: ebd., S. 12-25.

16 Zur sächsischen Stadtgeschichte im Spätmittelalter vgl. KARLHEINZBLASCHKE,Entwicklungstenden-zen im Städtewesen Sachsens zu Beginn der Neuzeit, in: Die Stadt an der Schwelle zur Neuzeit, hrsg.von Wilhelm Rausch (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 4), Linz 1980, S. 245-258;RICHARDDIETRICH,Das Städtewesen in Sachsen am Beginn der Frühen Neuzeit, in: ebd., S. 193-226;BLASCHKE,Geschichte Sachsens (wie Anm. 15), S. 232-251; zuletzt KATRINKELLER,Landesge-schichte Sachsen, Stuttgart 200 I, S. 89-100.

17 Vg!. dazu BLASCHKE,Entwicklungstendenzen (wie Anm. 16), S. 246; DERS.,Bevölkerungsgeschich-te Sachsens bis zur industriellen Revolution, Weimar 1967, S. 130-141,162 f.

18 Da sichere Grundlagen für die Berechnung fehlen, sind Bevölkerungsangaben mittelalterlicherStädte zumeist mit großen Unsicherheiten behaftet. Vg!. dazu allgemein: EBERHARDISENMANN,Diedeutsche Stadt im Spätrnittelalter 1250-1500, Stuttgart 1988, S. 29-34; für Sachsen vgl. BLASCHKE,Bevölkerungsgeschichte Sachsens (wie Anm. 17), S. 130-141; DERs., Entwicklungstendenzen (wieAnm. 16), S. 246; DIETRICH,Städtewesen (wieAnm. 16), S. 221-223.

19 Zur Geschichte der Stadt Freiberg im Mittelalter vg!. MANFREDUNGER,Stadtgemeinde und Bergwe-sen Freibergs im Mittelalter, Weimar 1963; DERs., Von den Anfängen der bäuerlichen Besiedlung biszum Ende der Machtkämpfe um den Besitz der Bergstadt 1162 bis 1307, in: Geschichte der BergstadtFreiberg, hrsg. von Hanns-Heinz Kasper und Eberhard Wächtler, Weimar 1986, S. 15-57; PETERLANGHOF,Die mittelalterliche Berghauptstadt der Wettiner bis zum Übergang vom Feudalismus zumKapitalismus 1307 bis 1470, in: ebd., S. 58-90.

20 Vg!. UWESCHIRMER,Der Freiberger Silberbergbau im Spätmittelalter (1353-1485), in: Neues Archivfür sächsische Geschichte 71 (2000), S. 1-26. Zum Rückgang der Erträge aus dem Silberbergbaukamen noch vier große Stadtbrände in den Jahren 1375, 1386, 1471 und 1484, die sich nachteilig aufdie wirtschaftliche Entwicklung Freibergs auswirkten. Vg!. LANGHOF,Mittelalterliche Berghaupt-stadt (wie Anm. 19), S. 77.

21 Zur Bedeutung des Handelsplatzes Leipzig im 15. Jahrhundert vg!. zuletzt MANFREDSTRAUBE,Mit-teldeutsche Städte und der Osthandel zu Beginn der frühen Neuzeit. Forschungsergebnisse, For-schungsmöglichkeiten, Forschungsnotwendigkeiten, in: Stadt und Handel, hrsg. von Bernhard Kirch-gässner und Hans Peter Becht (Stadt in der Geschichte 22), Sigmaringen 1995, S. 83-99; DERS.,DieLeipziger Messen zur Zeit der Privilegierungen als Mittler nach Osteuropa, in: Leipzigs Messen1497-1997. Gestaltwandel- Umbrüche - Neubeginn, hrsg. von Hartmut Zwahr, Thomas Topfstedt undGünter Bentele, Bd. 1 (Geschichte und Politik in Sachsen 9/1), KölnlWeimar/Wien 1999, S. 121-132.

Page 8: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

168 Henning Steinführer

schaftliehe Aufschwung Leipzigs wurde wesentlich durch den Aufschluss neuerErzvorkommen im Mansfelder Land und im Westerzgebirge in der zweiten Hälftedes 15. Jahrhunderts befördert, von deren Ausbeutung die Stadt profitierte. Eineregelrechte Einwanderungswelle und ein kräftiger Vermögenszuwachs unter derstädtischen Oberschicht waren die Folge." Der Stellenwert des neuen .Bergge-schreis" für die Geschichte des Landes ist außerordentlich hoch einzuschätzen, dadie Wirtschaft und insbesondere die Städte einen nachhaltigen Aufschwung erfuh-ren." An der Wende zum 16. Jahrhundert stand Leipzig mit etwas weniger als 8000Einwohnern vor Freiberg mit 5000 Einwohnern an der Spitze der sächsischen Städte.Es folgten Zwickau, Chemnitz und Dresden mit Bevölkerungszahlen zwischen 3000und 4500 Einwohnern.

Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass drei Viertel der sächsischenKommunen Klein- und Minderstädte mit unter 1000Einwohnern waren, die in wirt-schaftlicher Hinsicht auf eine Nahmarktfunktion beschränkt blieben und in denen sogenannte Ackerbürger ein bestimmendes Element bildeten. Auch gelang es währenddes gesamten Mittelalters keiner sächsischen Kommune, in den Rang einer Groß-stadt - mit mehr als 10000 Einwohnern - aufzusteigen." Es ist vielmehr ein charak-teristisches Merkmal, dass auch die größten Städte auf dem Status von Mittelstädtenverharrten,"

In verfassungsgeschichtlicher Perspektive ist für die Städte im wettinischenHerrschaftsbereich festzuhalten, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit umwettinische Gründungen handelte, deren bedeutendste Freiberg, Leipzig und Dres-den waren. Darüber hinaus war es den Wettinern während des Spätmittelalters ge-lungen, weitere Städte ihrer Herrschaft zu unterwerfen, darunter die ehemaligenpleißenländischen Reichsstädte Altenburg, Chemnitz und Zwickau." In Abhängig-

Z2 Vgl. ERNSTKROKER,Die sächsischen Bergwerke und Leipzig, in: Neujahrsblätter der Bibliothek unddes Archivs der Stadt Leipzig 4 (1908), S. 69-88; GERHARDFISCHER, Aus zwei JahrhundertenLeipziger Handelsgeschichte 1470-1650. Die kaufmännische Einwanderung und ihre Auswirkun-gen, Leipzig 1929 (ND 1978).

2l Vgl. RICHARDDIETRICH,Untersuchungen zum Frühkapitalismus im mitteldeutschen Erzbergbau undMetallhandel, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 7 (1958), S. 141-206,8(1959), S. 51-119, 9/10 (1961), S. 127-194, unter demselben Titel in einem Band zusammengefasst:HildesheimlZürichlNew York 1991; AOOLFLAUBE,Studien über den erzgebirgischen Silberbergbauvon 1470 bis 1546 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 22), Berlin '1976.

l' Vgl. ISENMANN,Stadt im Spätmittelalter (wie Anm. 18), S. 29-32.2> Vgl. BLASCHKE,Bevölkerungsgeschichte (wie Anm. 17), S. 131 f.26 Vgl. dazu WALTERSCHLESINGER,Egerland, Vogtland, Pleißenland. Zur Geschichte des Reichsgutes

im mitteldeutschen Osten, in: Forschungen zur Geschichte Sachsens und Böhmens, hrsg. von RudolfKötzschke, Dresden 1937, S. 6 I -91, Wiederabdruck in: DERS., Mitteldeutsche Beiträge zur deutschenVerfassungsgeschichte des Mittelalters, Göttingen 1961, S. 187-211; MANFREDKOBUCH,ReichslandPleißen und wettinische Territorien in der Blütezeit des Feudalismus (1156--1307), in: GeschichteSachsens, hrsg. von Karl Czok, Weimar 1989, S. 105-150; ANDRETHlEME,Die Burggrafschaft Alten-

Page 9: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 169

keit von Größe und Bedeutung war es einer Reihe von Städten seit dem 13. Jahrhun-dert gelungen, sich zumindest partiell von der Stadtherrschaft der Wettiner zu eman-zipieren und verschiedene Autonomierechte zu erlangen. In zahlreichen Städtenhatte sich eine Ratsverfassung, auf deren Entwicklungsstufen noch zurückzukom-men sein wird, herausgebildet. Die größeren Städte hatten im Verlauf des 15. Jahr-hunderts überdies die Hochgerichtsbarkeit erlangt." Am Ausgang des Mittelalterswaren die der Landesherrschaft unterworfenen Städte fest in den sich langsam aus-bildenden Territorialstaat eingebunden."

Ill.

Wenn im Folgenden das Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte in denMittelpunkt der Betrachtung gerückt wird, so ist zunächst festzuhalten, dass vorwie-gend die bedeutenderen unter ihnen über eine nennenswerte, in die Zeit vor 1400zurückreichende Überlieferung verfügen, Daher werden vor allem die Städte Alten-burg, Dresden, Freiberg, Leipzig und Zwickau im Zentrum der weiteren Ausführun-gen stehen."

Die Ursachen für die zum Teil erheblichen Überlieferungslücken liegen vorallem im schlechten Zustand des kommunalen Archivwesens in Sachsen im 19. Jahr-hundert begründet, als im Zuge der bürgerlichen Verfassungsreformen große Men-gen älteren städtischen Schriftgutes in den Augen der Zeitgenossen entbehrlich wur-den und der Vernichtung anheim fielen. Ein weiterer Grund für die Archivalien-

burg. Studien zu Amt und Herrschaft im Übergang vom hohen zum späten Mittelalter (Schriften zursächsischen Landesgeschichte 2), Leipzig 2001, besonders S. 149-296.

27 Zum Beispiel1423 Chemnitz, Döbeln, Leisnig, Mittweida und Roßwein, 1433/34 Leipzig, 1438 Dip-poldiswalde, 1444 Zwickau, 1451 Großenhain, 1464 Rochlitz, 1467 Geithain, 1478 Oschatz, 1479Freiberg sowie 1484 Dresden, vg!. DIETRICH,Städtewesen (wie Anm. 16), S. 210.

28 Vgl, HERBERTHELBIG, Der Wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Stände-wesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (Mitteldeutsche Forschun-gen 4), Münster/Köln 1955, S. 375-387; KARLHEINZBLASCHKE,Städte und Stadtherren im meiß-nisch-Iausitzischen Raum während des 14. Jahrhunderts, in: Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert.Entwicklungen und Funktionen, hrsg. von Wilhelm Rausch (Beiträge zur Geschichte der StädteMitteleuropas 2), Linz 1972, S. 55-78; HENNINGSTEINFÜHRER,Herzog Albrecht und die Städte. ZumVerhältnis zwischen Städten und Stadtherren in Sachsen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts,in: Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und Europa, hrsg. vonAndre Thieme (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner 2), Köln/Weimar/Wien 2002,S.213-231.

29 Zum Kanzleiwesen der sächsischen Städte und zu Fragen der Überlieferung vg!. HUBERTERMISCH,Die sächsischen Stadtbücher des Mittelalters, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 10 (1889),S. 83-143, 177-215; VOGTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14). Bis ins Mittelalter zurückgehendeBestände haben sich ferner für die Städte Chernnitz, Eilenburg, Grimma, Lößnitz, Oschatz, Pegau undTorgau erhalten.

Page 10: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

170 Henning Steinfiihrer

verluste sind die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs." Die in Ansehung dieser Tat-sachen noch umfänglichste urkundliche Überlieferung aus der Zeit vor 1500 habendie Städte Freiberg, Zwickau und Leipzig mit jeweils zwischen 200 und 300 im Ori-ginal oder abschriftlich erhaltenen Ratsurkunden und einer überschaubaren Zahl anStadtbüchern und Akten aufzuweisen. Für alle Städte gilt, dass gut zwei Drittel derÜberlieferung aus dem 15. Jahrhundert stammen." Der vergleichende Ansatz derUntersuchung erlaubt es jedoch, die Auswirkungen bestehender Überlieferungs-lücken abzumildern und die wesentlichen Entwicklungslinien deutlicher herauszu-arbeiten."

Das Kanzleiwesen der sächsischen Städte, darauf sei vorab verwiesen, kann kei-nesfalls dem administrativen Schriftwesen der großen und bedeutenden Städte desReiches, wie Köln, Nürnberg, Lübeck oder Erfurt, an die Seite gestellt werden. Dort

30 Vgl, u. a. ALFREDHAHN, Das Dresdner Stadtarchiv und sein Schicksal im zweiten Weltkrieg, in:Archivmitteilungen 10 (1960), S. 26-30; MANFREDUNGER, Geschichte des Stadtarchivs Leipzig(Arbeitsberichte zur Geschichte der Stadt Leipzig 12), Leipzig 1967; KARLSTEINMÜllER, Forschun-gen zur Geschichte des Stadtarchivs Zwickau, in: Archivrnitteilungen 18 (1968), S. 237-242; GABRIELEVIERTEL, Hubert Ermisch und der Schutz des kommunalen Archivwesens in Sachsen, in: NeuesArchiv für sächsische Geschichte 68 (1997), S. 185-209; JANALEHMANN,Hubert Ermisch 1850-1932. Ein Beitrag zur Geschichte der sächsischen Landesgeschichtsforschung (Geschichte undPolitik in Sachsen 14), KölnlWeimarlWien 2001, besonders S. 130-145; GABRIELEVIERTEL, ZurGeschichte des Stadtarchivs Freiberg bis 1945, in: Landesgeschichte und Archivwesen. Festschriftfür Reiner Groß zum 65. Geburtstag, hrsg. von Renate Wißuwa, Gabriele Viertel und Nina Krüger,Chemnitz 2002, S. 517-531.

31 Ein Großteil der Urkunden und eine Anzahl von Stadtbüchern ist im zweiten Hauptteil des Codexdiplomaticus Saxoniae regiae (COS II) ediert: Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster,hrsg. von Hubert Ermisch, Leipzig 1879 (COS JU6); Urkundenbuch der Städte Dresden und Pirna,hrsg. von Kar! Friedrich von Posern-Klett, Leipzig 1875 (COS W5); Urkundenbuch der Stadt Frei-berg in Sachsen, hrsg. von Hubert Ermisch, Leipzig 1883/91 (COS WII-13); Urkundenbuch derStadt Leipzig (wie Anm. 2). Weiterhin sind zu nennen: Altenburger Urkundenbuch 976-1350, bearb.von Hans Patze (Veröffentlichungen der Thüringischen historischen Kommission 5), Jena 1955 (imFolgenden: UB Altenburg); Das älteste Stadtbuch von Dresden (1404-36), hrsg. von Elisabeth Boer(Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte I), Dresden 1963; GUSTAVWUSTMANN(Hg.),Quellen zur Geschichte Leipzigs, Bd. 1/2 (Veröffentlichungen aus dem Archiv und der Bibliothek derStadt Leipzig), Leipzig 1889/95; STEINFÜHRER,Leipziger Ratsbücher (wie Anm. 2). Zur StadtZwickau, für die noch kein gedrucktes Urkundenbueh vorliegt, vgl, Urkundenbuch der StadtZwickau, bearb. von Kunz von Kauffungen, Bd. 1-4 (Typoskript im Sächsischen HauptstaatsarchivDresden sowie im Stadtarchiv Zwickau; im Folgenden: UB Zwickau), sowie Zwickauer Rechtsbuch,unter Mitarbeit von Hans Planitz bearb. von Günther Ullrieh (Germanenrechte. Neue Folge, Abt.Stadtrechtsbücher), Weimar 1941. Das Fehlen eines Zwickauer Urkundenbuches sowie der darausresultierende Mangel an neueren, auf Quellen beruhenden Arbeiten zur Zwickauer Stadtgeschichteim Spätmittelalter - von einer zusammenfassenden Darstellung ganz zu schweigen - gehören zu denDesideraten der sächsischen Landesgeschichte. Vgl, daher immer noch EMILHERZOG,Chronik derKreisstadt Zwickau, Bd. 1/2, Zwickau 1839/45 (ND 1999).

32 Zur Tragfähigkeit einer solchen Methode vergleiche die überzeugende Studie von MARK MERSIOWS·KY, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung im deutschen Nordwesten. SpätmittelalterlicheRechnungen, Verwaltungspraxis, Hof und Territorium (Residenzenforschung 9), Stuttgart 2000.

Page 11: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 171

wurden oftmals schon im 13. und frühen 14. Jahrhundert mehrere Schreiber be-schäftigt, die sich der Ausfertigung der Urkunden und Briefe sowie der Führung derverschiedenen Buchreihen widmeten. Der Stadtschreiber führte lediglich die Auf-sicht über die Kanzlei und war nur noch in Ausnahmefällen selbst mit Schreibar-beiten befasst." Urkundenproduktion und Stadtbuchführung befanden sich in densächsischen Städten demgegenüber auf einem wesentlich bescheideneren Niveau.Selbst in Freiberg oder Leipzig reichte lange Zeit ein Stadtschreiber aus, um dieBedürfnisse an schriftlicher Niederlegung der administrativen Tätigkeit zu befriedi-gen. Wie eingangs gezeigt, machte sich eine übergroße dienstliche Belastung desLeipziger Stadtschreibers erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bemerkbar.

Die Anfänge des städtischen Urkunden- und Kanzleiwesens in Sachsen liegen im13. Jahrhundert und standen in engem Zusammenhang mit der Herausbildung derRatsverfassung. Der Übergang wichtiger Autonomierechte auf die Städte machte dieeigenständige Beurkundung von Rechtsgeschäften überhaupt erst möglich und not-wendig. In Sachsen wird die Etablierung der Ratsherrschaft in der Regel seit derzweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts fassbar. Hier seien zur Verdeutlichung dieserEntwicklung einige Erstbelege städtischer Räte angeführt: Altenburg 1256 (Stadt-rechtsverleihung Heinrichs des Erlauchten)3\ Leipzig 127035, Zwickau 127336,Chemnitz 1290/9p7 und Dresden 129238.

Die ältesten Nachweise für die Inanspruchnahme der Schrift durch die städti-schen Räte sind in der Regel nur kurze Zeit später belegt. Es handelt sich dabei umvon den Räten ausgestellte Siegelurkunden - in Altenburg etwa datiert die ältesteUrkunde von 126839,in Leipzig von 128740, in Chemnitz und Zwickau von 129141

und in Dresden von 130842•

33 Vgl. ISENMANN,Stadt im Spätmittelalter (wie Anm. 18), S. 143 f.; PITZ, Schrift- undAktenwesen (wieAnm. 12); DIETERRÜBSAMEN(Hg.), Das Briefeingangregister des Nürnberger Rates für die Jahre1449-1457 (Historische Forschungen 22), Sigmaringen 1997; ALOYSSCHMIDT,Die Kanzlei der StadtErfurt bis zum Jahre 1500, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde vonErfurt 40/41 (1921), S. 1-88; SCHMITT,Neuhochdeutsche Schriftsprache (wie Anm. 3), zu ErfurtS. 200-320; lRENESTAHIlMARTINSCHIEBER(Bearb.), Die Nürnberger Ratsverlässe, (bislang) Bd. 112(Schriften des Zentralinstituts für Fränkische Landeskunde und Allgemeine Regionalforschung 23),Neustadt! Aisch 1983/95.

34 VB Altenburg (wie Anm. 31), S. 132-134, Nr. 18; HANSPATZE,Die Rechtsquellen der Städte im ehe-maligen Herzogtum Sachsen-Altenburg (Mitteldeutsche Forschungen 79), KölnlWien 1976, S. 3-7.

3' COS IU8 (wie Anm. 2), S. 6, Nr. 7.36 Vgl. VB Zwickau I (wie Anm. 31), Nr. 13 (1273 Juli 14), Original im Stadtarchiv Zwickau, A-A Il

18 Nr. 1, Abschrift im Zwickauer Rechtsbuch von 1348 (ebd., III xl Nr. 141b, fol. 5 verso, Sp. 2).)7 COS IU6 (wie Anm. 31), S. 2 f., Nr. 3.)8 COS 1115(wie Anm. 31), S. 6 f., Nr. 9.). VB Altenburg (wieAnm. 31), S. 157, Nr. 211.40 CDS WIO (wie Anm. 2), S. 16 f.,Nr. 23.41 Vgl. Anm. 37.42 CDS 1115(wie Anm. 31), S. IS f., Nr. 23.

Page 12: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

172 Henning Steinfiihrer

Etwas früher setzt die Entwicklung in Freiberg ein, wo die Ausprägung stadtbürger-licher Verhältnisse besonders weit fortgeschritten war," Bereits aus dem Jahr 1227hat sich eine Urkunde des Vogtes Heinrich erhalten, in der nicht nur erstmals einFreiberger Rat Erwähnung findet, sondern an die neben das Siegel des landesherrli-chen Amtsträgers auch das Siegel der Stadt angehängt worden ist." Es ist damitzugleich das älteste sächsische Städtesiegel überhaupt. Die erste überlieferte Frei-berger Ratsurkunde stammt allerdings erst aus dem Jahr 1298. Diese lange Zeitspan-ne könnte zum einen dadurch zu erklären sein, dass eine Reihe von Rechten erst1294 an die Stadt übergingen. Zum anderen sind auch Überlieferungsverluste, etwadurch Stadtbrände, wahrscheinlich:'

Die Zahl der überlieferten städtischen Urkunden nimmt sich bis in die erstenJahrzehnte des 14. Jahrhunderts sehr bescheiden aus: So sind aus der Zeit vor 1315für Altenburg zwölf, für Leipzig und Zwickau je zehn, für Freiberg acht, für Dresdenvier und für Chemnitz ganze drei Urkunden erhalten." Hinzuweisen ist ferner aufdie besonders in Leipzig und Altenburg bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts nach-weisbare Praxis, das Stadtsiegel an die Urkunden Dritter entweder als Mitbesiegleroder als einziges Beglaubigungsmitte! anzuhängen. Der Grund für diese Form derBesieglung liegt in der angestrebten Erhöhung der Glaubwürdigkeit der Stücke undeiner Verbesserung ihrer Rechtssicherheit."

Am Beginn des 14. Jahrhunderts kann in Sachsen noch nicht von festausgebilde-ten städtischen Kanzleien gesprochen werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handeltes sich bei den ältesten Ratsurkunden, die hinsichtlich ihrer äußeren und innerenMerkmale ein sehr unterschiedliches Erscheinungsbild aufweisen," zum großen Teilum Empfängerausfertigungen. In diesem Zusammenhang kommt besonders geistli-chen Institutionen eine wichtige Rolle zu. So waren von den zehn vor 1315 ausge-stellten Urkunden des Leipziger Rates allein neun für geistliche Empfänger bestimmt,welche zum überwiegenden Teil wohl dem Skriptorium des dortigen Augustiner-Chorherrenstifts St. Thomas zuzuweisen sind." Die frühen Urkunden der StadtGrimma sind von der Forschung aus formalen Aspekten dem Kloster Altzelle zuge-

o Vg!. UNGER,Stadtgemeinde (wie Anm. 19); DERs., Von den Anfängen (wie Anm. 19)... Vg!. CDS 11/12 (wieAnm. 31), S. 6 f., Nr. 9; UNGER,Stadtgemeinde (wieAnm. 19), S. 17-20; VOGT.

HERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 536-538, 550; WALTHERSCHELLHAS,Das älteste StadtsiegelFreibergs und Sachsens (1227), in: Sächsische Heimatblätter 25 (1979), S. 153-156 .

•, Vg!. VOGTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 537... Ebd., S. 547 f.•, Vg!. SCHIECKEL,Kanzleiwesen (wie Anm. 9), S. 74; VOGTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14),

S. 550 f... Zu den formalen Aspekten der frühen Ratsurkunden vg!. VOGTlIERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14),

S.543-546... Vg!. Orro POSSE,Die Lehre von den Privaturkunden, Dresden 1887, S. 31, 34; SCHIECKEL,Kanzlei-

wesen (wie Anm. 9), S. 72; VOGTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 540-542.

Page 13: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 173

schrieben worden, da diese Stücke Arengen enthalten, die starke Anklänge an Alt-zeller Diktat aufweisen." Am weitesten ging der Einfluss in Altenburg, hier konnteHans Patze alle 14 vor 1350 ausgestellten städtischen Urkunden der Kanzlei desBergerklosters zuordnen." Für Freiberg hat Hubert Ermisch vermutet, dass für dieAusstellung der frühen städtischen Urkunden mitunter auch landesherrliche Schrei-ber in Anspruch genommen wurden."

Endgültige Klarheit über die Frühzeit der städtischen Kanzleiverhältnisse istfreilich nicht zu gewinnen. Sichere Zuschreibungen und generalisierende Aussagenwerden durch die Lückenhaftigkeit des Materials und weithin fehlende Unter-suchungen zu einzelnen Kanzleien und Skriptorien behindert. 53 Eine Ausnahmestellt Altenburg dar, hier hat sich Hans Patze der Mühe einer eingehenden Analyseder frühen Kanzleiverhältnisse unterzogen." In anderen Fällen sind keinerlei Vorar-beiten vorhanden, etwa für das Leipziger Augustiner-Chorherrenstift St. Thomas"oder das Zisterzienserkloster Altzelle",

Der oben dargelegten Annahme, dass es noch keine permanente städtische Beur-kundungsstelle gegeben habe, steht entgegen, dass bereits um 1300 ein Leipziger libercivium Erwähnung findet. Es ist dies wohl zugleich die früheste Nennung eines Stadt-buchs in Sachsen überhaupt." Näheres über dieses Buch ist allerdings nicht bekannt.

Das älteste erhaltene Stadtbuch ist das Freiberger Stadtrechtsbuch, dessen An-lage zwischen 1296 und 1305 ebenfalls in die Frühphase des städtischen Kanzlei-

so Vgl. VOOTHERR,Urkundenwesen (wieAnm.14), S. 545 f.51 Vgl. UB Altenburg (wie Anm. 31), S. 55*.52 VgI.CDSIVI2(wieAnm.31),S.Xf.53 Auf die fehlenden Vorarbeiten - sowohl für den geistlichen als auch für den weltlichen Bereich -

gerade auch mit Blick auf das späte Mittelalter hat zuletzt Thomas Vogtherr aufmerksam gemacht. Indiesem Zusammenhang verwies er zugleich auf die bisweilen nicht gegebene Nachvollziehbarkeitder von Otto Posse (wie Anm. 49) vorgenommenen Schriftzuweisungen für die frühen Siegelurkun-den sächsischer Städte. Vgl. VOOTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 540 f.

54 Vgl. UB Altenburg (wie Anm. 31), besonders S. 32*-56*.55 Eine nähere Beschäftigung mit dem Skriptorium dieses wichtigen Stifts ist angekündigt worden von

MONlKAUNDER, Die Handschriften des Augustiner-Chorherrenstifts SI. Thomas zu Leipzig um 1300-eine Spurensuche, in: Leipzig im Mittelalter. Befunde um 1300, hrsg. von Henning Steinführer undGerhard Graf(Leipziger Hefte 16), Beucha 2004, S. 149-163, hier S. 151, Anm. 9.

56 Bedeutende Erkenntnisfortschritte sind für die Zukunft durch die Bearbeitung des Urkundenbuchesdes Klosters im Rahmen des Codex diplomaticus Saxoniae durch Tom Graber (Dresden) zu erwarten.

51 Vgl. CDS 11/9 (wie Anm. 2), S. 28, Nr. 36; dazu ERMISCH, Stadtbücher (wie Anm. 29), S. 106, 177 f.Es ist hier anzumerken, dass die bislang in der Forschung übliche Datierung der betreffenden Urkun-de, in der eine Schenkung zugunsten des Thomasstifts bestätigt wird, auf 1292 einer näheren Über-prüfung nicht standhält. Der Bearbeiter des Leipziger Urkundenbuches Kar! Friedrich von Posern-Klett hat das undatierte Stück in das Jahr 1292 gesetzt und dieses Datum aus einer vorangehenden,dasselbe Rechtsgeschäft betreffenden Urkunde (1292 Januar 8; CDS 11/9, S. 27, Nr. 35) erschlossen.Gegen diese Datierung hatte bereits 1903 Karl Koppmann aus inhaltlichen Erwägungen Bedenkenerhoben und eine Entstehung der Urkunde in den späten 1290er Jahren wahrscheinlich gemacht. Vgl.KARLKOPPMANN,Zur älteren Verfassungsgeschichte der Stadt Leipzig, in: Neues Archiv für sächsi-sche Geschichte 24 (1903), S. 307-323, hier S. 308-311.

Page 14: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

174 Henning Steinfiihrer

wesens fällt und das auch FestIegungen über die Stellung des Stadtschreibers ent-hält." Geht man von der Prämisse aus, dass die Anlage von Rechts- bzw. Geschäfts-büchern eine neue Qualität in der zunehmenden Verschriftlichung der städtischenVerwaltung darstellt und dass die Anlage, Führung und Verwahrung solcher Bücherein Mindestmaß an Kontinuität in den städtischen Kanzleiverhältnissen erforderte,ist also wenigstens in Freiberg und Leipzig schon zu dieser Zeit die Anstellung einesSchreibers durch die Stadt zu vermuten."

Betrachtet man den Inhalt der frühen Siegelurkunden, so dominieren zunächstRechtsgeschäfte mit Empfängern außerhalb der Stadtgemeinde, etwa den Landes-herren, den Bischöfen von Meißen, Merseburg und Naumburg sowie Stiftern undKlöstern. In der Regel geht es hierbei um städtische Rechte und Freiheiten sowie umStiftungen, Grundstücks- oder Zinsgeschäfte. ImVerlauf des 14. Jahrhunderts rückendann zusehends die inneren Angelegenheiten der Städte in den Vordergrund. DasSpektrum reicht von Statuten und Ordnungen bis hin zur Bestätigung privatrechtli-cher Regelungen aller Art durch den Rat."

Mit anderen Worten, nicht mehr der von außen, durch mit Schriftumgang ver-traute Parteien an die Stadt herangetragene Wunsch nach schriftlicher Fixierung löstdie Verschriftung einer Rechtshandlung aus, sondern die Städte handhabenjetzt dasWerkzeug der Schrift ganz selbstverständlich im Rahmen ihrer eigenen Geschäfts-tätigkeit.

IV.

Eine in der Breite einsetzende Verfestigung des städtischen Schrift- und Kanzlei-wesens ist seit der Mitte des 14. Jahrhunderts festzustellen. Die Ratsherrschaft hattesich etabliert, und in den Städten begann sich eine differenziertere städtische Verwal-tung herauszubilden, die in zunehmendem Maße zu einer schriftlichen Niederlegungihrer Tätigkeit überging. Rein äußerlich wird die weitere Ausformung des städti-schen Kanzleiwesens durch eine leichte Zunahme der Überlieferungsdichte unddurch das Eindringen der Volkssprache markiert, die sich seit den 1360er Jahrenendgültig in den städtischen Kanzleien durchgesetzt hatte."

" Vgl. COS IU12 (wie Anm. 31), S. XI; zuletzt MANFREDUNGER,Das Freiberger Stadtrechtsbuch derJahre 1296-1305/07, in: Rechtsbücher und Rechtsordnungen in Mittelalter und früher Neuzeit(Sächsische Justizgeschichte 9), Dresden 1999, S. 54-80, hier S. 60.

S') Schon Hubert Ermisch hatte in diesem Sinne argumentiert. Thomas Vogtherr sprach sich dagegenzuletzt für eine spätere Datierung aus. Er setzt die Anfänge des städtischen Kanzleiwesens in Sachsenin das zweite Drittel des 14. Jahrhunderts. Vgl. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29), S. 87; VOGT.HERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 556.

.. Zum Inhalt der städtischen Urkunden bis 1400 und zur Unterscheidung zwischen "externer" und"interner Kommunikation" vg!. VOGTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 538-540.

61 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass für den internen Gebrauch der Kanzlei, zumBeispiel bei Vermerken und Verweisen, weiterhin das Lateinische die Regel blieb.

Page 15: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 175

In das zweite Drittel des 14. Jahrhunderts fällt auch die Ausbildung fester Kanzlei-gewohnheiten. Die städtischen Urkunden sind, wie für spätmittelalterliche Privat-urkunden typisch, auf die notwendigen Bestandteile Intitulatio, Inscriptio, Dispo-sitio, Corroboratio und Datum beschränkt. Im Gegensatz zur Anfangszeit sind In-vocationes und Arengen nicht mehr, Zeugennennungen nur noch selten nachweisbar.Neben die großen Stadtsiegel des 13. Jahrhunderts treten in der zweiten Hälfte des14. Jahrhunderts die Geschäftssiegel der Räte, die so genannten Sekretsiegel, wobeider Gebrauch dieser Sekrete von Stadt zu Stadt unterschiedlich gehandhabt wurde."

Über die Behandlung der Urkunden ist wenig bekannt. Die empfangenen Stückevon Bedeutung, also etwa Privilegien oder Schuldverschreibungen über größere Sum-men, wurden an einem sicheren Ort verwahrt. Dafür kamen spezielle Gewölbe in denRathäusern oder, wie in Leipzig, die RathauskapeIle in Frage." Die frühesten Dorsual-vermerke, die eine archivische Behandlung anzeigen, stammen aus dem IS. Jahr-hundert. Ein Leipziger Pergamentheft aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, in demAbschriften der ältesten von der Stadt empfangenen Urkunden versammelt wordensind, könnte auf den Anfang eines Kopialbuches hindeuten. Jedoch hat dieses Unter-nehmen zunächst offenbar keine Fortsetzung gefunden." Um sichere Aussagen überdie Führung von Kopial- und Konzeptbüchern sowie Registern in den sächsischenStädten treffen zu können, sind weitergehende Forschungen nötig. In der Regel scheintdie systematische Führung derartiger Verzeichnisse erst im späten IS. Jahrhunderteingesetzt zu haben."

Neben die städtischen Siegelurkunden tritt im Verlauf des 14. Jahrhunderts eineFülle anderer Schriftgutformen." Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusam-menhang die Stadtbücher," Am Anfang der Überlieferung stehen das schon erwähnte

62 Vg!. KARLHElNZBLASCHKE,Siegel und Wappen in Sachsen, Leipzig 1960, S. 36-39; SCHELLHAS,Stadtsiegel (wie Anm. 44); VOGTHERR,Urkundenwesen (wie Anm. 14), S. 553 f.; ENNO BÜNZ,Stadtsiegel und Stadtwerdung. Zum ältesten Leipziger Stadtsiegel von 1287, in: Leipzig im Mittel-alter (wie Anm. 55), S. 49-71.

63 Vg!. die Literaturangaben in Anm. 30.64 Vg!. SCHlECKEL,Kanzleiwesen (wieAnm. 9), S. 75 f.6S Zum Beispiel haben sich Konzeptbücher in Zwickau seit 1490 erhalten. In Leipzig ist eine einiger-

maßen systematische Erfassung der ein- und ausgehenden Stücke erst ab 1507 nachgewiesen. Vgl.KARL STEINMÜllER, Die Zwickauer Stadtschreiberei von 1526-1546, in: Wissenschaftliche Zeit-schrift der Pädagogischen Hochschule Zwickau. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 4(1968), S. 58-84, hier S. 76 f.; SCHlECKEL,Kanzleiwesen (wie Anm. 9), S. 75 f.

.. Vgl. HANS PATZE,Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Derdeutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert, Bd. 1 (Vorträge und Forschungen 13/1), Sigmaringen1970, S. 9-64.

67 Zur sächsischen Stadtbuchüberlieferung vgl. neben den einleitenden Abschnitten zu den verschiede-nen Bänden des Codex diplomaticus Saxoniae vor allem HUBERTERMlSCH,Stadtbücher (wie Anm. 29),S. 83-143, 176-215; DERs., Die Zwickauer Stadtbücher und eine alte Ratsschulordnung, in: NeuesArchiv für sächsische Geschichte 20 (1899), S. 33-45; DERs., Das älteste Stadtbuch von Liebstadt, in:ebd. 23 (1902), S. 110-114; DERs., Ein Stadtbuch von Döbeln, in: ebd. 24 (1903), S. 67-78; weiterhin

Page 16: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

176 Henning Steinführer

Freiberger Stadtrechtsbuch sowie das bekannte Zwickauer Rechtsbuch von 1348.6lI

Die prächtig und aufwendig gestalteten Pergamenthandschriften zeigen augenfälligdie große Bedeutung, die der schriftlichen Fixierung des städtischen Rechts beige-messen wurde. Der Wandel hin zu einer eher nüchternen Haltung gegenüber derSchrift als Hilfsmittel der Verwaltung manifestiert sich in den Nachträgen zumZwickauer Rechtsbuch, die sich vom ursprünglichen Textbestand schon rein äußer-lich durch ihre Kursivität abheben." Neben diese Handschriften treten mit demGrimmaer Gerichtsbuch von 1346'0 sowie den Zwickauer (1367-1536) und Leipzi-ger Urfriedebüchern (1390-1480)71 weitere Bücher aus dem Bereich der Rechts-pflege.

Darüber hinaus sind aber auch Ratsbücher vermischten Inhalts entweder überlie-fert (Freiberg 1378, Grimma 1372, Lößnitz 1355, Zwickau seit 1375)72 oder durchEdition ganz bzw. teilweise bekannt (Leipzig 1359, Oschatz 1321)13. Schließlichhaben sich vereinzelt bis in das 14. Jahrhundert zurückreichende Rechnungen erhal-ten, zu nennen sind hier vor allem die seit 1370 erhaltenen Dresdner Rechnungen."

Mit den Büchern findet im 14. Jahrhundert verstärkt Papier Eingang in die städti-schen Kanzleien," das auch für Briefe und Quittungen" Verwendung fand, währendman sich bei den Urkunden in der Regel weiterhin des Pergaments bediente.

KURTPETER, Des Raths zu Dahlen Stadtbuch, in: ebd. 51 (1930), S. 20-43; BIRGITRICHTER,DasOschatzer Stadtbuch 1466-1500 und seine Edition durch Arno Ullrich, in: Leipzig, Mitteldeutsch-land und Europa (wie Anm. 10), S. 287-291; ANDREASPETTER,Mittelalterliche Stadtbücher und ihreErschließung. Grundlagen und Gestaltung quellenkundlicher Arbeiten zur mitteldeutschen Überlie-ferung, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/03), S. 189-245; DERS., Kleinstadt und Schriftgebrauch imspäten Mittelalter. Eine Untersuchung zur buchförmigen Schriftgutorganisation in der städtischenVerwaltung, dargestellt am Beispiel der Stadt Pößneck, Diss. Halle/Saale 2004. Ich danke HerrnAndreas Petter (Halle/Köln) für die Möglichkeit der Einsichtnahme in das Manuskript.

6lI Vg!. Zwickauer Rechtsbuch (wie Anm. 36); zuletzt HELMUTBRAUER,Das Zwickauer Stadtrechts-buch "de anno 1348" aus sozial-, politik- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive, in: Rechts-bücher und Rechtsordnungen in Mittelalter und früher Neuzeit (Sächsische Justizgeschichte 9),Dresden 1999, S. 81-103.

69 Stadtarchiv Zwickau, Codex statutorum Zwiccaviensium 1348,lII x I,Nr. 141b.70 Vg!. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29), S. 135 f.71 Vg!. Stadtarchiv Zwickau, Urfriedebuch I(liber proscriptorum), IIJx I,Nr. 135; Stadtarchiv Leipzig,

Urfehdenbuch (1390-1478): Edition und Beschreibung von WUSTMANN,Quellen 2 (wie Anm. 31),

S.3-57.72 Vg!. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29).7) Zu Oschatz vg!. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29), S. 195-198; zum Leipziger Stadtbuch von

1359 vg!. HENNINGSTEINFÜHRER,Das älteste erhaltene Leipziger Ratsbuch (1466-1489) und seineVorläufer. Ein Beitrag zum spätmittelalterlichen Kanzleiwesen der Stadt Leipzig, in: Archiv für Di-plomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 44 (1998), S. 43-88, hier S. 50.

7. Vgl. Orro RICHTER,Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Stadt Dresden, Bd. 1-3, Dresden1885/91, hier besonders Bd. I,S. 155, Bd. 3, S. 107 f.

7S Die älteste Papierhandschrift ist der 1367 angelegte Zwickauer liber proscriptorum (vg!. Anm. 71).76 Die ältesten Beispiele flir Briefe und Quittungen in Sachsen haben sich in Zwickau erhalten. Vgl,

Stadtarchiv Zwickau, A· A I26, Quittungen 1381 ff.

Page 17: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 177

Nimmt man den Inhalt der Urkunden und Stadtbücher in den Blick, so findet im Ver-lauf des 14. Jahrhunderts ein Wandel statt. Im Gegensatz zur Frühzeit treten imZusammenhang mit der Festigung bürgerlicher Verhältnisse nun verstärkt innereAngelegenheiten der Stadt und Fälle der freiwilligen Gerichtsbarkeit in den Vorder-grund; eine Tendenz, die sich im 15. Jahrhundert noch einmal verstärkt.

In Bezug auf das quantitative Verhältnis zwischen Siegelurkunden und Stadt-bucheinträgen gibt es ein signifikantes Übergewicht der Stadtbucheinträge. In denjeweiligen Städten stehen wenigen Hundert städtischen Siegelurkunden in die Tau-sende gehende Stadtbucheinträge über bürgerliche Rechtsgeschäfte aller Art gegen-über. Die geringere Verbreitung der Siegelurkunden vornehmlich in den östlichenTeilen Deutschlands lässt sich mit dem höheren Rang der Stadtbücher als Bücheröffentlichen Glaubens im Geltungsbereich des Lübischen und MagdeburgischenRechts erklären." In anderen Reichsteilen, vor allem in Süddeutschland, sind Siegel-urkunden in weit größerer Zahl nachzuweisen. Die Stadtbücher waren dort nur dieBegleiter der Rats-, Gerichts- und Bürgerurkunden. In diesen Gebieten galt dieUrkunde als Beweismittel, während imNorden und Osten das Stadtbuch als vollwer-tiger Ersatz der Urkunde anerkannt war.

Im Zusammenhang mit der hohen rechtlichen Qualität der Stadtbucheinträgesteht weiterhin, dass sich in den sächsischen Städten kaum Zeugnisse für die Beur-kundungstätigkeit bzw. den Schriftgebrauch einzelner Bürger erhalten haben: Kauf-männische Rechnungsbücher sind aus dem wettinischen Sachsen für das Mittelalternicht bekannt, Urkunden bürgerlicher Aussteller nur selten belegt - für Leipzig sindaus der Zeit bis 1485 gerade einmal27 Stücke nachweisbar. Jedoch geht aus Stadt-bucheinträgen nicht selten hervor, dass über das verzeichnete Rechtsgeschäft paral-lel auch eine Urkunde ausgestellt worden ist. So wird man also nicht geringe Über-lieferungsverluste in diesem Bereich zu veranschlagen haben."

v.

Im 15. Jahrhundert hatte sich das städtische Kanzleiwesen vollständig entfaltet. DieSchriftlichkeit setzte sich in nahezu allen Bereichen der städtischen Verwaltungdurch. Wie eingangs erwähnt, gingen die Räte in den Ämtern, Kommissionen undGerichten der Städte zur Beschäftigung eigener Schreiber über. Die größte Zahl sol-cher Schreiber wurde in der aufstrebenden Handelsstadt Leipzig beschäftigt, wo

77 Vgl. OSWALD REDLICH, Die Privaturkunden des Mittelalters (Handbuch der mittelalterlichen und neue-ren Geschichte, hrsg. von Georg von Below und Friedrich Meinecke. Abt. 4: Hilfswissenschaften undAltertümer, Urkundenlehre T. Ill), MünchenlBerlin 1911 (ND 1969), S. 192-194.

71 Vgl. STEINFÜHRER, Bürgerurkunden (wieAnm. 10).

Page 18: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

178 Henning Steinfiihrer

spezielle Skriptoren beim Stadtgericht, im Ratskeller, in der Waage, als Gehilfen desMarktschreibers und an den Toren tätig waren." In den Kanzleien arbeiteten Hilfs-schreiber. Ein spezieller Unterstadtschreiber ist während des Mittelalters aber nurvom Leipziger Rat angestellt worden. Dass nicht mehr Städte ihr Kanzleipersonaldurch entsprechende Fachkräfte verstärkten, könnte zum einen in den beschränktenVerhältnissen der Städte begründet sein. Zum anderen aber fing die arbeitsteiligeStadtverwaltung wohl die beachtliche quantitative Zunahme des zu erledigendenSchriftwerks mit Hilfe der in den Ämtern und Kommissionen tätigen Schreiber, dieder Ratskanzlei zuarbeiteten, auf. Allerdings hat sich von diesem unterhalb derRatskanzleien gebildeten Schriftgut so gut wie nichts erhalten. Einen Einblick in denvon einem intensiven Schriftgebrauch vor dem Rechnungs- bzw. Stadtbucheintraggekennzeichneten Prozess bieten einige wenige durch Zufall erhaltene Vorrechnun-gen im Stadtarchiv Leipzig, die unter anderem zahlreiche Handwerkerrechnungenenthalten." Es hatte sich eine regelrechte .Zettelwirtschaft?" ausgebildet, die bereitsden Übergang in das Aktenzeitalter markiert. Besonders eindrucksvoll ist dies inZwickau zu beobachten. Die dortigen Stadtbücher befinden sich zwar in einemrestaurierungsbedürftigen Zustand, scheinen aber ihr mittelalterliches Erscheinungs-bild inklusive beigelegter Zettel weitgehend bewahrt zu haben."

Eine Reaktion auf den steigenden Umfang der Schriftlichkeit ist der Übergangzu praktikableren Formen der Organisation der Stadtbucheinträge. Seit dem ausge-henden 14. Jahrhundert gehen die Ratskanzleien allmählich dazu über, den Ge-brauch von vermischten Stadtbüchern einzuschränken und statt dessen neue Buch-reihen mit spezialisierterem inhaltlichen Profil anzulegen. Dieser Vorgang der sogenannten Serienspaltung lässt sich in den sächsischen Städten zuerst auf demGebiet der Rechtspflege und des Finanzwesens beobachten.

Zugleich spiegelt sich in der Vielfalt der jeweils unterschiedliche Materien be-handelnden Stadtbücher neben der Zunahme des Schriftgebrauchs auch die Auswei-tung von Kompetenzen der städtischen Räte und die zunehmende Differenzierungdes Verwaltungshandelns wider.

Die in den Ratskanzleien geführten Stadtbücher lassen sich nach ihrem Ge-brauch vier Bereichen zuordnen:1. Bereich der Rechtsfixierung, Rechtskodifizierung (Stadtrechtsbücher),

79 Vgl. RACHEL,Verwaltungsorganisation (wie Anm. 4), S. 49-57... Vgl. Stadtarchiv Leipzig, Teilrechnungen (1462-1519).11 Vgl. dazu ANTJESANDER-BERKE,Zettelwirtschaft. Vorrechnungen, Quittungen und Lieferscheine in

der spätmittelalterlichen Rechnungslegung norddeutscher Städte, in: Vestigia Monasteriensia. West-falen - Rheinland - Niederlande, hrsg. von Ellen Widder, Mark Mersiowsky und Peter Johanek (Stu-dien zur Regionalgeschichte 5), Bielefeld 1995, S. 351-364.

12 Vgl. u. a. Stadtarchiv Zwickau, Stadtbuch I (1375-1481), Stadtbuch II (1475-1480), III x' Nr. 1 und 2.

Page 19: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 179

2. Bereich der inneren Verwaltungsführung,3. Bereich Finanzen/Wirtschaftsführung,4. Bereich Justizausübung, freiwillige Gerichtsbarkeit."Ein wesentlicher Aufgabenbereich der städtischen Kanzleien war die Führung derstädtischen Rechnungen." Leider sind von diesen für die Stadtgeschichte so aussage-kräftigen Quellen gerade in Sachsen nur wenige erhalten geblieben. Auf eine ver-hältnismäßig dichte Überlieferung kann nur die Stadt Dresden verweisen, wo sichseit 1370 eine Vielzahl von Rechnungen erhalten hat. Die Führung dieser Bücher ob-lag hier allerdings erst seit 1478 der Ratskanzlei, davor besorgten die mit der Kas-senführung betrauten Ratsherren dieses Geschäft selbst oder sie beschäftigten spe-zielle Schreiber," In den anderen Städten sieht die Überlieferungslage weit ungünsti-ger aus. So setzen die Stadtrechnungen in Altenburg 1437 ein," in Zwickau ist nurein einziges städtisches Rechnungsbuch, das die Jahre 1437-1448 behandelt," erhal-ten geblieben, und in Freiberg ist überhaupt keine Rechnung aus dem Mittelalterüberliefert. In Leipzig beginnen die aufuns gekommenen Rechnungen, abgesehen voneiner Anzahl Wachstafeln", erst 1471.89 Sie zeigen dabei eine so ausgefeilte, nachzahlreichen Rubriken unterteilte Gliederung, dass sie mit Sicherheit den Endpunkt

83 Die Einteilung orientiert sich an den jüngst vorgetragenen Überlegungen von JÜRGENKLOSTERHUIS,Mittelalterliche Amtsbücher: Strukturen und Materien, in: Die archivalischen Quellen. Mit einerEinführung in die historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von Friedrich Beck und Eckart Henning,Köln/WeimarfWien '2003, S. 53-73. Zur Praxis der Stadtbuchführung vg!. auch ANDREASRANFT,Re-präsentation dynamischer Strukturen in Stadtbuchquellen als Problem historisch-kritischer Editions-arbeit, in: Quellenvie1falt und editorische Methoden, hrsg. von Matthias Thumser und Janusz Tandeckiunter Mitarbeit von Antje Thumser (Publikationen des deutsch-polnischen Gesprächskreises fürQuellenedition 2), Thorn 2003, S. 13-54.

84 Zum städtischen Finanzwesen vg!. ISENMANN,Stadt im Spätmittelalter (wie Anm. 18), S. 170-181;weiterhin: Städtisches Haushalts- und Rechnungswesen, hrsg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow(Stadt in der Geschichte 2), Sigmaringen 1977; INGOSCHWA8,Städtische Kassenführung und revolu-tionäre Rechnungsprüfung. Überlegungen zu Kammerrechnungen und Steuerbüchern im Spätmittel-alter, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 36 (1990), S. 169-186;PETTER,Mittelalterliche Stadtbücher (wie Anm. 67).

85 Vg!. RICHTER,Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 74), S. 130.8. Vg!. Stadtarchiv Altenburg, XI A 2', Nr. 1-27.B7 Vg!. Stadtarchiv Zwickau, Rechnungen 1437-1448. Eine dichtere Überlieferung setzt erst in den

letzten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts ein.BB Vg!. WILHELMCORSSEN,Pförtner Wachstafeln aus dem vierzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag zur

Geschichte der Stadt Leipzig, in: Neue Mitteilungen aus dem Gebiet der historisch-antiquarischenForschung 10 (1864), S. 145-204; WILHELMSCHÄFER,Die aufWachstafeln verzeichneten Raths-Kämmerei-Register vom Jahre 1426 in der königlichen Bibliothek zu Dresden, in: Sachsen-Chronik,I.Serie, 1854, S. 38-46; HERMANNFREYTAG,Die Wachstafelbücher des Leipziger Rates aus dem15. Jahrhundert, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 20 (1899), S. 209-245. Der Gebrauchvon Wachstafeln ist auch für andere sächsische Städte bezeugt. Vg!. PETTER,Mittelalterliche Stadt-bücher (wie Anm. 67), S. 231-235.

B9 Vg!. SOHR,Jahreshauptrechnungen (wie Anm. 9).

Page 20: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

180 Henning Steinführer

einer langen Entwicklung darstellen, die mit einfachen Einzelpostenabrechnungenvielleicht schon im frühen 14. Jahrhundert begonnen haben dürfte.

Ein nicht nur in den sächsischen Städten auffälliger Befund ist, dass man voneiner weitgehenden Gleichförmigkeit der Urkundenausstellung und Stadtbuchfüh-rung sprechen kann. Mit anderen Worten: die Art und Weise, wie man ein Stadtbuchanlegte, eine Rechnung führte, Ablösungsvermerke anbrachte oder Querverweiseeinfügte, welche Art Einband für welche Buchreihe geeignet war, gleichen sich bisins Detail.

Diese Beobachtungen legen den Gebrauch von entsprechenden Formelbüchemnahe. In den sächsischen Stadtarchiven haben sich aber kaum Spuren der "Dienst-bibliotheken" der Kanzleien erhalten. Ohne Rechtstexte, Nachschlagewerke, For-melbücher und Kalender ist jedoch die Arbeit einer städtischen Kanzlei im 15. Jahr-hundert nicht mehr vorstellbar. Die Frage nach dem Verbleib der Kanzleihilfsmittelkann bislang noch nicht befriedigend beantwortet werden, da entsprechende An-haltspunkte, etwa in Bibliotheksbeständen, fehlen.

VI.

Abschließend sei noch ein Blick auf das städtische Kanzleipersonal geworfen. DerStadtschreiber war auch in den hier untersuchten Städten der wichtigste und ambesten entlohnte städtische Beamte." Detaillierte Festlegungen über die Aufgabender Stadtschreiber finden sich erstmals im Zwickauer Rechtsbuch von 1348. DerSchreiber ist danach pjlichtig zu dienen, di brieve zu schriben und zu lesen und dazgeschoz zu schriben und zu rechen. Der Rat soll ihm die notwendige Menge Perga-ment und Wachs zur Verfügung stellen. Außerdem sei der Stadtschreiber verpflich-tet, dahin zu reiten, wohin der Rat ihn senden würde, die entstehenden Kosten habeder Rat zu tragen."

Seit den 1330er Jahren werden Stadtschreiber zunächst paläographisch und inden folgenden Jahrzehnten auch namentlich nachweisbar. Zunächst dürfte es sich inder Mehrzahl um Geistliche gehandelt haben. Der früheste Nachweis eines Stadt-schreibers in Sachsen führt nach Meißen, wo 1340Nikolaus von Übigau als notariuscivitatis genannt wird. Darauf folgen Johannes von Leisnig 1346 in Grimma undHeinrich der alte Schriber 1348 in Zwickau. Erst nach der Jahrhundertmitte sind die

.. Vgl. allgemein ISENMANN,Stadt im Spätmittelalter (wie Anm. 18), S. 143 f.; eine modeme Analysezu den Schreibern einer Stadt bietet: PETERHOHEISEL,Die Göttinger Stadtschreiber bis zur Reforma-tion. Einfluß, Sozialprofil, Amtsaufgaben (Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen 21), Göttin-gen 1998, besonders S. 110- 119; für Sachsen vgl. immer noch: ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29),S.90-96.Vgl. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29), S. 94.'1

Page 21: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 181

Stadtschreiber von Altenburg (Bothelung 1363), Leipzig (Johannes von Wolfein1368), Freiberg (Nicolaus 1369), Oschatz (Conradus 1370) und schließlich Dresden(Peter Bemher 1380) belegt." Nur Chemnitz scheint eine Ausnahme zu machen, hierist der Stadtschreiber Nikolaus Freiberger erst 1432 bezeugt. Doch haben die For-schungen von Manfred Kobuch klar erwiesen, dass Chemnitz bereits um 1345 eineneigenen Schreiber beschäftigte,"

Eine enge Verbindung bestand insbesondere in kleineren Städten zwischen Stadt-schreiber- und Schulmeisteramt. Als Beispiel wären hier Dahlen, Roßwein, Alten-dresden oder Eibenstock zu nennen." Waren zunächst geistliche Institutionen für dieVermittlung elementarer Bildung zuständig - in Leipzig ist z. B. seit 1254 eine scho-la exterior am Thomasstift belegt" -, so werden an der Wende zum 15. Jahrhunderteigenständige Stadtschulen nachweisbar. Die ältesten bestanden in Dresden undZwickau." Der Leipziger Rat verfügte seit 1394 über ein päpstliches Privileg, dasihm die Eröffnung einer eigenen, vom Thomasstift unabhängigen Schule gestattete.Tatsächlich eingerichtet wurde eine solche Schule aber erst am Beginn des 16. Jahr-hunderts.

Von ungleich größerer Bedeutung für die sächsische Bildungsgeschichte als diezunächst unterbliebene Einrichtung einer städtischen Schule war allerdings die Grün-dung der Universität Leipzig im Dezember des Jahres 1409.97 Im Laufe des 15. Jahr-hunderts wurde die hohe Schule zur wichtigsten Ausbildungsstätte sächsischer Stadt-schreiber,"

92 Zu den Stadtschreibern vgl. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anm. 29), besonders S. 87-96; weiterhin(allerdings mit zahlreichen Ungenauigkeiten) SCHMIIT,Neuhochdeutsche Schriftsprache (wie Anm. 3).

93 Vgl. MANFREDKOBUCH,Bürgerkämpfe in Chemnitz um 1345. Eine neue Quelle innerstädtischerAuseinandersetzungen im Pleißenland, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 14 (1987), S. 142-159,hier S. 154.

94 Vgl. ERMISCH,Stadtbücher (wie Anrn. 29), S. 91 f. Zum städtischen Schulwesen im Allgemeinen vgl.ISENMANN,Stadt im Spätmittelalter (wie Anm. 18), S. 181-183; weiterhin den Sammelband: Studienzum städtischen Schulwesen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von Bernd Moel-ler, Hans Patze und Kar! Stackmann (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen,philologisch-historische Klasse, 3. Folge 137), Göttingen 1983.

9S Vgl. QITO KAEMMEL,Geschichte des Leipziger Schulwesens vom Anfang des 13. bis zur Mitte des19. Jahrhunderts (1214-1846), Leipzig 1909, S. 4 f.

96 Vgl. JOHANNESMÜLLER,Die Anfänge des sächsischen Schulwesens, in: Neues Archiv für sächsischeGeschichte 8 (1887), S. 1-40, 243-271; ERMISCH,Zwickauer Stadtbücher (wie Anm. 67), S. 33-45.

97 Zur Frühzeit der Universität Leipzig vg!. SIEGFRIEDHOVER,Die Gründung der Universität Leipzigund Probleme ihrer Frühgeschichte, in: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409-1959, Bd. I, Leipzig1959, S. 1-33; DERs., Die Gründung der Universität Leipzig, in: Leipzig aus Vergangenheit undGegenwart 3 (1984), S. 77-93; DERS., Die scholastische Universität bis 1480, in: Alma mater Lipsien-sis. Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984, S. 9-32.

98 Die Ausstrahlungskraft der Universität reichte allerdings weit über Sachsen hinaus. ZahlreicheStadtschreiber vor allem norddeutscher Städte hatten in Leipzig studiert.

Page 22: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

182 Henning Steinführer

Mit dem fortschreitenden Grad der Verschriftlichung und Verrechtlichung im Zugeder Rezeption des römischen Rechts waren die Anforderungen an die Ratskanzleiennicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht erheblich gestiegen.Dieser Entwicklung trugen die Räte Rechnung, indem sie seit der Mitte des 15. Jahr-hunderts zunehmend Graduierte, vornehmlich Juristen, in den Kanzleidienst auf-nahmen." Besonders deutlich lässt sich diese Entwicklung in Leipzig verfolgen. Hierverfügten die Oberstadtschreiber in der Regel seit 1420 und die seit der Mitte des15. Jahrhunderts nachweisbaren Unterstadtschreiber seit 1472 über eine universitäreAusbildung.'?'

Über die Stadtschreiber des 14. Jahrhunderts ist nur wenig bekannt. Das ändertsich erst im 15. Jahrhundert, in dem zumindest die berufliche Laufbahn einzelnerSchreiber klarer herausgearbeitet werden kann. Überblickt man die Auswahl und spä-teren Karrieren der Stadtschreiber in Sachsen, so fällt auf, dass die einzelnen Städtejeweils ganz unterschiedliche Strategien bei der Auswahl ihres Kanzleipersonalsverfolgten, sich aber innerhalb einer Stadt bestimmte Karrieremuster abzeichnen.

In Leipzig wurden überwiegend Auswärtige als Stadtschreiber aufgenommen.Sie stiegen, wie in Dresden und anderen Städten auch, nach ihrem Ausscheiden ausder Kanzlei in der Regel bis in das Bürgermeisteramt auf. In Zwickau hingegen setz-te man vorwiegend auf Einheimische, die nur in Ausnahmefallen an die Spitze desStadtregiments gelangten.!"

Eine Sonderstellung nimmt Freiberg ein. Der Rat vertraute hier offensichtlichaus praktischen Gründen auf in Bergsachen erfahrene Fachleute. Zahlreiche Freiber-ger Stadtschreiber sind entweder vor ihrem Eintritt in die städtische Kanzlei oderdanach als landesherrliche Bergschreiber nachweisbar. Über einen Universitätsab-schluss verfügte hingegen keiner von ihnen. Es gelang den Freiberger Stadtschrei-bern zwar in Einzelfällen in den Rat zu gelangen, bis in das Amt des Freiberger Bür-germeisters vermochte jedoch keiner von ihnen aufzusteigen.!" Ein typisches Frei-

.. Zur tragenden Rolle der gelehrten Juristen in der städtischen Verwaltung des späten Mittelalters vgl.KLAUSWRIEDT, Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte, in:Hansische Geschichtsblätter 96 (1978), S. 15-37; DERS., Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Ver-waltung norddeutscher Städte, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademi-scher Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. von Rainer Christoph Schwinges (Zeitschrift fürhistorische Forschung, Beiheft 18), Berlin 1996, S. 437-452; URSMARTINZAHND,Studium und Kanz-lei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehendenMittelalters, in: ebd., S. 453-476; ISENMANN,Stadt im Spätmittelalter (wie Anm. 18), S. 143-145;HARTMUTBoocKMANN, Gelehrte Juristen im spätmittelalterlichen Nürnberg, in: Recht und Verfas-sung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hrsg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann,Bernd Moeller und Martin Staehelin (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttin-gen, philologisch-historische Klasse, 3. Folge 228), Göttingen 1998, S. 199-214.

100 Zu den Stadtschreibern und ihren Bildungswegen vg!. u. a. SCHMITT,Neuhochdeutsche Schrift-sprache (wie Anm. 3).

101 Vgl. ebd., S. 351-371. 381-392,446-453.102 Ebd., S. 396-415.

Page 23: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

Urkunden- und Kanzleiwesen der sächsischen Städte 183

berger Karrieremuster hat Heinrich Seitz von Eisenach aufzuweisen, der seit 1428als Schreiber in der landesherrlichen Kanzlei belegt ist, 1431 Bergschreiber wurde,1442 in den Freiberger Rat gelangte und seit 1445 Stadtschreiber war.!"

Eine ähnlich enge Verbindung zu den Landesherren wie in Freiberg lässt sichsonst nur in Leipzig nachweisen, doch waren es hier die Rechtsgelehrten, derenDienste von den Wettinern in Anspruch genommen wurden. Am augenfälligsten istdiese Verbindung bei dem Leipziger Stadtschreiber Johann Scheibe. Der aus Leipzigstammende Scheibe, der 1449 bis 1464 das Amt des Stadtschreibers versah, hatte ander Juristenfakultät seiner Heimatstadt studiert sowie promoviert und 1464 alsNachfolger des berühmten Rechtsgelehrten Dietrich von Bocksdorf das Ordinariatder Juristenfakultät angetreten. Zwischen 1468 und 1477 stand Scheibe dann alsKanzler an der Spitze der landesherrlichen Kanzlei.'?'

Als letztes Beispiel für eine Stadtschreiberlaufbahn sei hier der Werdegang desLeipziger Stadtschreibers und Syndikus Peter Freitag erwähnt. Freitag stammte ausKönigsberg/Ostpreußen und hatte an der Leipziger Universität studiert. Dort erwarber 1477 das Bakkalaureat. Bis 1502 wirkte er in Leipzig als Unterstadtschreiber. Erwar damit zugleich der einzige Geistliche, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun-derts in der Ratskanzlei beschäftigt wurde. Von 1502 bis 1505 versah er das Amt desSchöffenschreibers, 1506 wurde er zum Doktor beider Rechte promoviert. In derFolgezeit lehrte Freitag an der Leipziger Universität.!" Dem Rat blieb er sein Lebenlang als Rechtsberater verbunden und vermachte schließlich der Stadt kurz vor sei-nem Tod (1522) die juristischen Bücher seiner Bibliothek. Diese zählte nicht nur zuden größten der Stadt, sondern gehört zu den umfangreichsten erhaltenen Bücher-sammlungen deutscher Stadtschreiber überhaupt!"

Der hier skizzierte Lebensweg des Dr. Peter Freitag endet zugleich am Vorabendder Reformation und damit am Übergang zur Frühen Neuzeit. Während des 16. Jahr-hunderts waren in den Kanzleien der sächsischen Städte so bedeutende Persönlich-keiten wie Stephan Roth (Zwickau), Michael Weiße (Dresden) oder Benedictus vonBorn (Chemnitz) tätig. Ihr Wirken liegt aber bereits jenseits des für diese Unter-suchung gesteckten Rahmens.

to] Ebd., S. 414.104 Ebd., S. 361.10l Vgl. STEINFOHRER,Leipziger Ratsbücher 1 (wie Anm. 2), S. XLIX f.106 Von dieser fast 300 Drucke und Handschriften umfassenden Bibliothek ist ein Inventar überliefert

(Stadtarchiv Leipzig, UK 20/10). Große Teile der Bücher sind in den Beständen der Universilätsbi-bliothek Leipzig erhalten. Vgl. GUSTAVWUSTMANN,Geschichte der Leipziger Stadtbibliothek (Neu-jahrsblätter der Bibliothek und des Archivs der Stadt Leipzig 2), Leipzig 1906, S. 2-4; ANETTEHAUCAP-NASS,Der Braunschweiger Stadtschreiber Gerwin von Hameln und seine Bibliothek (WolfenbüttelerMittelalter-Studien 8), Wiesbaden 1995, besonders S. 154 f., 157.

Page 24: Diplomatische Forschungen inMitteldeutschland · Westfälischen Wilhelrns-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 1988, S. 388-409 sowie die regelmäßig in den Frühmittelalterlichen

184 Henning Steinfiihrer

VII.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich bei dem administrativen Schriftwe-sen der spätmittelalterlichen sächsischen Städte um ein komplexes System handelte,zu dem Urkunden, Stadtbücher und Akten gleichermaßen gehörten. Die Entwick-lung des städtischen Urkunden- und Kanzleiwesens von den Anfängen im 13. Jahr-hundert hin zum zentralen Organ einer differenzierten städtischen Verwaltung, derenvornehmstes Hilfsmittel und erste Grundlage die Schriftlichkeit war, kann in dreiPhasen unterteilt werden:1. eine Frühphase, in der die Anfänge des städtischen Kanzleiwesens zu beobachten

sind und die bis in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts reicht,2. eine Phase der organisatorischen Ausformung der städtischen Kanzleien, die sich

vom zweiten Drittel bis zum Ende des 14. Jahrhunderts erstreckt und3. eine Phase des differenzierten und aufbreiter Schriftlichkeit sowie professionel-

len Kräften beruhenden städtischen Kanzleiwesens im 15. Jahrhundert.Diese Entwicklung wurde in ihren Anfängen wesentlich durch kirchliche Institutio-nen beeinflusst, die unter anderem die Ausstellung von Empfängerausfertigungenveranlassten. Darüber hinaus sind zahlreiche Geistliche als Stadtschreiber beschäf-tigt worden. Jedoch haben zweifellos auch die Bürger, unter ihnen insbesondere dieKaufleute, eine große Rolle bei der Entstehung des städtischen Kanzleiwesens ge-spielt. Die Kaufleute stellten das Gros der Ratsmitglieder und waren zumindest teil-weise mit den Vorteilen der Schriftnutzung vertraut. Auch die Anstöße, die vomweltlichen Stadtherrn, im konkreten Fall also den Wettinern, für die Formierung desstädtischen Kanzleiwesens ausgegangen sind, dürfen nicht zu gering veranschlagtwerden. Im Falle Freibergs scheint dieser Einfluss besonders stark gewesen zu sein.Schließlich ist die innere Dynamik der schriftgestützten Verwaltung, die sich derAufgabe gegenübersah, das Zusammenleben Tausender Menschen zu organisieren,nicht zu unterschätzen. In diesem Zusammenhang gilt es, die Personen der Stadt-schreiber zu würdigen, die den Prozess der zunehmenden Verschriftung durchausschöpferisch voranbrachten, indem sie neue Praktiken entwickelten bzw. für die Ver-breitung ihres Wissens um moderne schriftgestützte Verwaltung sorgten.