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Juni 2011 Aktuelles aus der Rechnungslegung und Revision www.pwc.ch/disclose Im Fokus: Unabhängigkeit Disclose

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Juni 2011

Aktuelles aus der Rechnungslegung und Revision

www.pwc.ch/disclose

Im Fokus: Unabhängigkeit

Disclose

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Herausgeber: PricewaterhouseCoopers AG, Geschäftsbereich Wirtschaftsprüfung, Birchstrasse 160, 8050 Zürich

Konzept, Redaktion und Gestaltung: PricewaterhouseCoopers AG, Zürich

Redaktion: Graf Moll & Partner, Corporate Publishing GmbH, Zürich

Druck: Zofinger Tagblatt AG

Disclose – Aktuelles aus Rechnungslegung und Revision (www.pwc.ch/disclose)

erscheint zweimal jährlich in deutscher und französischer Sprache mit einer Auflage von 14’000 Exemplaren.

Bestellungen von Gratisabonnementen und Adressänderungen: [email protected]

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Die Unabhängigkeit ist ein zentraler Begriff in der Finanzberichterstattung. Doch was heisst Unabhängig-keit? Wer oder was soll unabhängig sein? Und wovon? In der Mathematik mag es eine eindeutige Definition für unabhängige Variablen geben; in der Finanzberichter-stattung ist der Begriff weit schwieriger zu fassen. Dies zeigen auch die zahlreichen Versuche von Wissenschaft-lern, Regulatoren und berufsständischen Organisatio-nen, dem Phänomen der Unabhängigkeit beizukommen.

Unabhängig ist nicht die Finanzberichterstattung als solche. An sie lässt sich «nur» der Anspruch des «true and fair view» erheben: Sie soll Dritten einen Einblick in die tatsächliche Vermögens- und Ertragslage gewähren. Dies bedingt Transparenz und ein gewisses Mass an Objekti-vität. Unabhängig können nur die Akteure sein, jene Personen, die in den Berichterstattungsprozess involviert sind.

Das Postulat der Unabhängigkeit richtet sich nicht nur an Wirtschaftsprüfer, wenngleich es für unsere Branche essenziell ist. Auch Verwaltungsräte, insbesondere die Mitglieder von Audit Committees, sind angesprochen. Aufschlussreich ist zudem die Frage, was Unabhängigkeit für jene Institutionen heisst, welche die Rechnungsle-gungsstandards herausgeben.

In der vorliegenden Ausgabe beleuchten Senior Partner von PwC verschiedene Facetten des Begriffs der Unabhängigkeit. Ich hoffe, dass die Beiträge auch Ihnen einige Denkanstösse vermitteln.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Im Februar 2005 erschien die erste Ausgabe von «Disclose». Den Zeitpunkt, eine regelmässig erscheinen-de Publikation zu Fragen der Rechnungslegung und der Revision herauszugeben, hatte PwC nicht zufällig gewählt. Die Regulierungswelle, ausgelöst durch die Zusammenbrüche namhafter Unternehmen, hatte zu jener Zeit einen Höhepunkt erreicht. In der Schweiz etwa stand das Revisionsaufsichtsgesetz (RAG) zur parlamen-tarischen Beratung an.

Mein Vorgänger begann sein Editorial damals mit den Sätzen: «Dynamisch, reguliert, komplex – so lässt sich das momentane Umfeld der Schweizer Wirtschaft beschreiben. Noch vor einigen Jahren war ‹Selbst-regulierung› das Schlagwort. Dann wich es ‹Corporate Governance›, ‹Transparenz›, ‹Prüfungsstandards› oder ‹Revisionsaufsichtsgesetz›. Wohin führt die zunehmende Regulierung? Wird sie nach den jüngsten Gesetzesvor lagen ein Ende finden?»

Ein Ende hat die Regulierung seither nicht gefunden. Zwischenzeitlich hat die nächste Krise den nächsten Regulierungsschub ausgelöst. Mit einiger Verzögerung liegen auch neue Vorschläge zur Stärkung der Unabhän-gigkeit der Revision und zur Verbesserung der Prüfungs-qualität auf dem Tisch. Notabene: Dies, obwohl von einem Versagen der Wirtschaftsprüfer in der Finanzkrise bislang keine Rede sein kann. Auch zusätzliche Regeln vermögen zudem die nächste Krise nicht zu verhindern.

Mit der nun vorliegenden 14. Ausgabe hat das Magazin «Disclose» nicht nur ein neues optisches Erscheinungs-bild, sondern auch ein leicht modifiziertes inhaltliches Konzept erhalten. Künftig widmen wir uns im ersten Teil des Heftes einem Schwerpunktthema. Dieses wählen wir unter den Aspekten Aktualität und Relevanz für unsere Kunden aus. Das Thema dieser Ausgabe wird beiden Anforderungen gerecht: Es ist die «Unabhängigkeit».

Peter OchsnerLeiter Wirtschaftsprüfung Schweiz, [email protected]

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InhaltEditorial

Unabhängigkeit erhöht die Qualität der Berichterstattungskette von Peter Ochsner

Unabhängigkeit ist für Prüfer die «license to operate» von Dr. Matthias Jeger

«Es muss eine Machtbalance gefunden werden.» Hans Wey im Gespräch über die Unab hängigkeit des Verwaltungsrats und die Integrität des Managements

IASB im Umbruch von Peter Eberli

Leserservice

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16 UpdateIn der Rubrik Update thematisiert «Disclose» die Gesamtergebnisrechnung, die Konvergenz von IFRS und US GAAP, den neuen IASB-Entwurf zum Hedge Accounting, die internationalen Prüfungsstandards Clarity-ISA, das neue Schweizer Rechnungslegungsrecht und die elektronische Archivierung von Geschäftsprozessen.

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Unabhängigkeit erhöht die Qualität der Berichterstattungskette

Diese Überlegung ist zweifellos richtig. Nur: Das Postulat der Unabhängigkeit wird meist und zuallererst mit den Wirtschafts-prüfern in Verbindung gebracht. Es gilt jedoch auch für andere Personen, die an der Finanz-berichterstattung beteiligt sind: für Verwaltungsräte, Standard-setzer und Aufsichtsbehörden, für Ratingagenturen und Finanzanalysten. Für ein Gremium gilt es freilich nur bedingt: die Geschäftsleitung, die den Jahresabschluss vorbereitet. Sie muss zwar alles

daransetzen, dass die Finanz-berichterstattung dem Grund-satz des «true and fair view» entspricht, was ein gewisses Mass an Objektivität bedingt. Der Lagebericht fordert aber auch eine subjektive Einschät-zung; denn die Situation des Unternehmens kann das Management nur aus seiner Sicht darlegen und begründen.

Unabhängigkeit stellt eine Voraussetzung für ein eigenständiges Urteil dar. In der Finanzbericht-erstattung ist der Begriff stark mit Objektivität, Integrität und Fachkompetenz verknüpft. Die For-derung nach Unabhängigkeit richtet sich vor allem an die Wirtschaftsprüfer. Wenngleich sie für die Revisionsstelle unverzichtbar ist, betrifft sie doch alle in die Berichterstattungskette involvier-ten Akteure.

Peter OchsnerLeiter Wirtschaftsprüfung [email protected]

Die Begriffe «Unabhängigkeit» und «Qualität» werden häufig in einem Atemzug genannt. Die Qualität bezieht sich dabei auf die Finanzberichterstattung, die Unabhängigkeit in der Regel auf die Abschlussprüfung. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Ein objektives Urteil der Revisionsstelle erhöht die Qualität des Jahresabschlusses. Objektive Urteile wiederum setzen Unabhängigkeit der Urteilenden voraus.

Man darf indes vom Manage-ment, wie übrigens von allen anderen Akteuren auch, Integrität erwarten – ein weiterer Begriff, der im Kontext der Unabhängigkeit von Bedeutung ist.

Die beiden Aspekte der UnabhängigkeitUnabhängigkeit ist wie Integrität zunächst eine Frage der Persönlichkeit, eine Ausprägung des Charakters. Man könnte sagen, wer unabhängig ist, ist frei von etwas. Er steht bei seiner Urteilsbildung nicht unter wirtschaftlichem Druck und gerät nicht in Interessenkonflik-te. Unabhängigkeit bildet die Voraussetzung, um sich eine eigenständige Meinung bilden und ein objektives Urteil fällen zu können. Dieser Aspekt schlägt sich für die Wirtschaftsprüfer in der Forderung nach «indepen-dence of mind» oder «innerer Unabhängigkeit» nieder. Ihr Gegenstück ist die «inde-pendence in appearance», die Unabhängigkeit dem Anschein nach: Es liegen keine Um - stände vor, aufgrund derer ein Dritter auf Befangenheit schliessen könnte. Die Unter-scheidung findet sich sowohl im

Integrität plus Fachwissenermöglichenobjektive Urteile

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Ethikkodex der International Federation of Accountants (IFAC) als auch in den Richt-linien zur Unabhängigkeit der schweizerischen Treuhand- Kammer. Die Definition der Treuhand-Kammer, die fast im Wortlaut jener der IFAC entspricht, zeigt, wie eng die Begriffe Unabhängigkeit, Integrität und Objektivität zusammenhängen: Die innere Unabhängigkeit ist eine Einstellung, die «es dem Einzelnen erlaubt, mit Integrität, Objektivität und der berufs-üblichen kritischen Grundhal-tung zu handeln».

Auf Augenhöhe argumen-tierenFür ein unabhängiges Urteil braucht es aber mehr, als integer und ungebunden zu sein. Es braucht Wissen und Können. Wie kann sich jemand ein Urteil bilden, wenn er die Materie nicht begreift; wenn er nicht auf gleicher Augenhöhe mit anderen Personen der Berichterstattungs-kette argumentieren kann?

Während die Anforderungen an die Qualifikation von Revisoren im Revisionsaufsichtsgesetz geregelt sind, ist das Kompetenz-profil von Verwaltungsräten

in der Schweiz nicht gesetzlich festgelegt. Der «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» der economie-suisse empfiehlt lediglich, dass die Mehrheit der Mitglieder in bestimmten Ausschüssen des Verwaltungsrats unabhängig sein sollte. In Absatz 22 heisst es: «Als unabhängig gelten nicht exekutive Mitglieder des Verwaltungsrats, welche der Geschäftsführung nie oder vor mehr als drei Jahren angehört haben und die mit der Gesell-schaft in keinen oder nur verhältnismässig geringfügigen geschäftlichen Beziehungen stehen.» Gemäss dem Swiss Code sollte sich der Prüfungs-ausschuss (Audit Committee) ausschliesslich aus «nicht exekutiven, vorzugsweise unabhängigen Mitgliedern des Verwaltungsrats» zusam-mensetzen. Die Mehrheit der Mitglieder, darunter der Vorsitzende, sollte zudem im Finanz- und Rechnungswesen erfahren sein.

Anders als in Europa nimmt die Börsenaufsicht in den USA starken Einfluss auf die Ausle-gung gesetzlicher Bestimmun-gen. Im Zuge des «Sarbanes-Oxley Act of 2002» hat die SEC

eine Fülle von Regeln zur Offenlegung und zur Corporate Governance verabschiedet. Vor allem Mitglieder des Audit Committee sollten in der Lage sein, komplexe Fragen der Rechnungslegung zu beurteilen. In den USA kennt man deshalb seit einiger Zeit den «Audit Committee Financial Expert». Die Börsenaufsichtsbehörde SEC hat klar umrissen, welchen Kriterien ein Verwaltungsrat genügen muss, der als Finanz-experte dem Audit Committee angehört. Das wichtigste ist: Er muss die Rechnungslegungs-standards verstehen und ihre Anwendung vor allem im Hinblick auf Schätzungen, Abgrenzungen und Reserven beurteilen können.

Eine weitere Bestimmung betrifft den «independent director». Im Board US-amerika-nischer Unternehmen sitzen geschäftsführende und nicht exekutive Personen. Letzteren obliegt die Aufsicht über das Unternehmen. Die SEC verlangt, dass – im Interesse der Investo-ren – die Mehrheit der Board-Mitglieder unabhängig ist. Dabei definiert sie die Unabhän-gigkeit über einen ausführlichen Negativkatalog. Das Audit

Committee sollte grundsätzlich aus unabhängigen Personen zusammengesetzt sein. Die beiden Regeln zusammen sollen gewährleisten, dass Audit Committees hinreichend unabhängig und kompetent sind, um die Rechnungslegung (und andere Aspekte der Unterneh-menspolitik, etwa das Risiko-management) zu beurteilen.

Erneute Diskussion zur Unabhängigkeit Hierzulande konzentriert sich die Diskussion derzeit erneut auf die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer. Vor zehn Jahren hatte der Zusammen-bruch des US-Energiekonzerns Enron eine regelrechte Regulie-rungswelle ausgelöst. Die offenkundigen Interessen-konflikte der Revisionsfirma erschütterten das Vertrauen in die gesamte Prüfungsbranche. Die Folge war eine weitgehende Trennung zwischen Prüfung und Beratung. Damit wurde zu Recht einem der wichtigsten Grundsätze der Unabhängig-keit Genüge getan, dem Verbot der Selbstprüfung: Keine Revisionsfirma sollte in den Konflikt geraten, etwas prüfen zu müssen, wozu sie selbst geraten hat.

Quintessenz: Unabhängigkeit lässt sich bis ins kleinste Detail formalisieren, doch zur inneren Unabhängigkeit trägt dies wenig bei. Letztlich kommt es auf die handelnden Personen an.

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Befangenheit, Interessenkon-flikte oder unangemessenen Einfluss Dritter zu gefährden» und «Das Prinzip der Integrität verpflichtet alle professionellen Prüfer, aufrichtig und ehrlich in ihren Geschäftsbeziehungen zu sein. Integrität beinhaltet auch eine anständige Hand-lungsweise und Wahrhaftigkeit.»Wenn alle Personen, die an der Berichterstattungskette beteiligt sind, diese Prinzipien verinnerlichten, wäre vielleicht mehr bewirkt, als es regelorien-tierte Gesetze und Standards zu tun vermögen.

Grenzen der Formalisie-rungUnabhängigkeit lässt sich bis ins kleinste Detail formalisieren, doch zur inneren Unabhängig-keit trägt dies wenig bei. Letztlich kommt es immer auf die handelnden Personen an. Sind sie integer? Sind sie in der Lage und willens, objektiv zu urteilen? Der Ethik-Code der IFAC enthält eine Leitlinie zu diesen beiden Begriffen:«Das Prinzip der Objektivität legt allen professionellen Prüfern die Verpflichtung auf, ihre beruflichen Urteile nicht durch

Nun, nach der nächsten Krise, greift die Europäische Kommis-sion das Thema wieder auf. Am 13. Oktober 2010 hat die Kommission das Grünbuch «Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise» vorgelegt. Darin stellt sie eine Reihe von Vorschlä-gen zur Diskussion, die aus ihrer Sicht die Qualität der Abschluss-prüfung und die Unabhängigkeit des Prüfers verbessern und so zu mehr Finanzstabilität beitragen könnten (siehe auch Beitrag auf Seite 8). Zum Grünbuch erhielt die EU-Kommission mit fast 700 Stellungnahmen die höchste Antwortquote, die je ein Thema des Bereichs «Binnenmarkt und Dienstleistungen» ausgelöst hat. Die generelle Intention – Erhöhung der Prüfungsqualität, Verringerung der Erwartungs-lücke im Zusammenhang mit der Prüfung, Intensivierung der Kommunikation – stiess auf grosse Resonanz. Skeptisch äusserten sich die Kommentato-ren aber hinsichtlich einiger heikler Punkte. So lehnen sie die Bestellung des Abschlussprüfers durch einen Dritten, etwa eine Regulierungsbehörde, mehr-heitlich ab. Eine verbindliche Rotation der Prüfungsfirmen stösst auf ebenso wenig Resonanz wie die Absicht, Nichtrevisionsdienstleistungen für Revisionskunden noch sehr viel restriktiver zu hand-haben. Bis zum 22. Juni 2011 will das Europäische Parlament eine Resolution zum Grünbuch verabschieden. Von deren Inhalt dürfte eine starke politische Signalwirkung auf die weitere Regulierungsarbeit der Kommis-sion ausgehen. Auf die revidier-ten Vorschläge der Kommission, die voraussichtlich im November veröffentlicht werden, darf man gespannt sein.

Gesetzliche Regelungen zur Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit der Revisionsstelle ist im Obligationenrecht (OR) und im Revisionsaufsichtsgesetz (RAG), das 2007 in Kraft getreten ist, gesetzlich geregelt.

Art. 728 Abs. 1 OR lautet: «Die Revisionsstelle muss unabhängig sein und sich ihr Prüfungsurteil objektiv bilden. Die Unabhängigkeit darf weder tatsächlich noch dem Anschein nach beeinträchtigt sein.» Konkret heisst dies vor allem: Die Revisionsstelle beziehungsweise deren Mitglieder dürfen

• nicht im Verwaltungsrat oder in anderen Entscheidungsfunktionen des zu prüfenden Unterneh-mens vertreten sein und keine arbeitsrechtlichen Beziehungen zu ihm unterhalten;

• keine direkten oder bedeutenden indirekten Beteiligungen am Aktienkapital halten und keine wesentlichen Forderungen gegenüber dem Unternehmen haben;

• nicht an der Buchführung mitwirken oder andere Dienstleistungen erbringen, bei denen das Risiko entsteht, dass die Revisionsstelle ihre eigenen Arbeiten überprüft. Zudem darf der leitende Revisor keine engen Beziehungen zu einem Mitglied des Verwaltungsrats, zu einem anderen Entscheidungsträger im Unternehmen oder zu einem bedeutenden Aktionär unterhalten. Art. 728b OR hält fest, dass der Bericht der Revisionsstelle an den Verwaltungsrat Angaben zur Unabhängigkeit enthalten muss.

Das RAG geht über Art. 728 OR hinaus. Art. 11 RAG enthält die Bestimmungen zur Unabhängigkeit staatlich beaufsichtigter Revisionsunternehmen, die Prüfungsdienstleistungen für Publikums-gesellschaften erbringen. Danach dürfen die Honorare eines Unternehmens oder Konzens höchstens zehn Prozent der gesamten Honorarsumme der Prüfungsgesellschaft ausmachen. Eine weitere Regelung betrifft Personen, die Entscheidungsträger des zu prüfenden Unternehmens waren oder dort eine leitende Stellung in der Rechnungslegung innehatten und die zur Revisionsgesellschaft wechseln: Sie dürfen während zweier Jahre keine Revisionsdienstleistungen für ihr ehemaliges Unternehmen erbringen. Umgekehrt darf eine Publikumsgesellschaft keine Personen beschäftigen, die in den beiden vorangegangen Geschäftsjahren die externe Prüfung geleitet oder eine Führungsrolle in der betreffen-den Revisionsgesellschaft bekleidet hatten.

Art. 6 RAG schreibt zudem vor, dass die Führungsstruktur der Prüfungsunternehmen eine genügende Überwachung der einzelnen Mandate gewährleisten muss.

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Unabhängigkeit ist für Prüfer die «license to operate»

Revisoren müssen unabhängig sein. Diese Forderung ergibt sich unmittelbar aus der Zielsetzung der Abschlussprüfung: Art. 728a OR schreibt vor: «Die Revisions-stelle prüft, ob die Jahresrech-nung und gegebenenfalls die Konzernrechnung den gesetzli-chen Vorschriften, den Statuten und dem gewählten Regelwerk entsprechen […].» Im Testat gibt der Prüfer sein Urteil gegenüber Dritten ab. Die Aktionäre und alle anderen Stakeholder des Unternehmens müssen sich auf den Bestätigungsvermerk verlassen können. Dazu müssen sie davon ausgehen können, dass der Prüfer sein Urteil frei von Einflüssen des Managements oder des Verwaltungsrats gefällt hat. Nur ein unabhängiger Dritter ist in der Lage, gegenüber Aussenstehenden eine eigen-ständige Meinung abzugeben.

Glaubwürdigkeit des TestatsDie Unabhängigkeit des Prüfers ist eine unabdingbare Vorausset-zung für die Glaubwürdigkeit des Testats. Gesetzgeber und Regulatoren haben dieses Postulat daher rechtlich verankert, und die berufsständi-schen Organisationen wie die International Federation of Accountants (IFAC) oder die Treuhand-Kammer erwarten die Einhaltung ihrer diesbezügli-chen Richtlinien. Die Unabhän-gigkeit liegt aber auch im

Gesetze, regulatorische Vorschriften und berufsständische Regeln schreiben die Unab-hängigkeit des Abschlussprüfers vor. Ziel ist es, die Prüfungsqualität sicherzustellen. Das Postulat der Unabhängigkeit ist aber auch im Selbstverständnis des Wirtschaftsprüfers und der Revisionsgesellschaften verankert. Fraglich ist, ob eine weiter gehende Regulie-rung die Unabhängigkeit stärkt und die Qualität der Prüfung erhöht.

ureigenen Interesse der Prüfungsgesellschaften und der Prüfer. Sie können ihrem Qualitätsanspruch an die Prüfungen nur gerecht werden, wenn sie sich ihr Urteil unbeein-flusst bilden und veröffentlichen. Die Unabhängigkeit ist ihre «license to operate», die Grundlage ihrer Geschäftstätig-keit. Mit ihr steht und fällt die Glaubwürdigkeit des Urteils, aber auch die Reputation der Revisionsstelle. Nur Prüfungsge-sellschaften, die dauerhaft ihren Ruf und ihr Ansehen bewahren, können im Markt überleben. Das Reputationsrisiko ist für die Branche existenzgefährdend; dies zeigt der Untergang von Arthur Andersen im Zuge des Enron-Konkurses vor zehn Jahren.

Es wäre ein Irrtum, anzuneh-men, die Wirtschaftsprüfer träfen nur Vorkehrungen zur Wahrung der Unabhängigkeit, um nicht gegen Gesetze und andere regulatorische Vor-schriften zu verstossen. Vielmehr ist Unabhängigkeit ein bestimmendes Element der langfristigen Geschäftsstrategie der Revisionsfirmen. Für den einzelnen Wirtschaftsprüfer ist sie in der Regel zudem eine Sache der Ehre. Ein Gefällig-keitsurteil abzugeben, ist – ähn-lich wie bei einem Arzt – mit dem persönlichen Berufsethos nicht vereinbar.

Quintessenz: Die Unabhängigkeit liegt im ureigenen Interesse der Prüfer. Sie können ihrem Qualitätsanspruch nur gerecht werden, wenn sie sich ihr Urteil unbeeinflusst bilden.

Dr. Matthias JegerPartner, Wirtschaftsprü[email protected]

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Best Practice der Prüfungs-gesellschaftenKonformität mit den rechtlichen und regulatorischen Vorschrif-ten und die Einhaltung der berufsständischen Richtlinien gelten bei den Prüfungsgesell-schaften als oberster Grundsatz. PwC hält dies explizit in ihrem «Code of Conduct» fest. Bestim-mungen zur Unabhängigkeit stellen einen wesentlichen Bestandteil der Verhaltenskodi-zes und der geschäftspolitischen Richtlinien dar; sie werden in die Prozesse und die Qualitäts-sicherungssysteme integriert. PwC verankert die Unabhängig-keit auf zwei organisatorischen Ebenen: Es gibt einerseits Verhaltensvorschriften für Partner und Mitarbeitende und andererseits Genehmigungs-verfahren für die Annahme von Kunden und Mandaten.

Auf der personellen Ebene sind die Vorschriften je nach Position innerhalb der Firma abgestuft. Partner beispielsweise müssen alle ihre Vermögensanlagen in einer Datenbank erfassen. Auf der Basis dieser Selbstdeklara-tion wird überprüft, ob unter den Vermögensanlagen «restricted investments» sind, also Anlagen, die aufgrund der Tätigkeit des Partners einer Beschränkung unterliegen. Sollte dies der Fall sein, fordert PwC ihn auf, diese Investments zu veräussern. Auch wenn der Partner eine neue Investition tätigen will, muss er anhand der Datenbank kontrollieren, ob diese einer Restriktion unter-

liegt. Die Vermögensdeklaration betrifft nicht nur den Partner selbst, sondern auch dessen Lebenspartner und Familienan-gehörige, die finanziell von ihm abhängig sind. Ähnlich strenge Regeln gelten für Direktoren. Das Qualitätsmanagementsys-tem der internen Kontrolle stellt sicher, dass alle Mitarbei-tenden diese Vorschriften strikt einhalten. Bei Verstössen greift eine Sanktionspolitik, die bis zur Entlassung führen kann.

Auf Mandatsebene sind Unab- hängigkeitsbestimmungen vor allem dann besonders rigoros, wenn es um die Erbringung einer Nichtrevisions-dienstleistung für einen Revisionskunden geht. PwC hat ihre gesamte Angebotspalette nach erlaubten und nicht erlaubten Dienstleistungen klassifiziert. Das «Statement of Permitted Services» enthält detaillierte Beschreibungen dessen, was erlaubt ist, und hält fest, in welchen Fällen zusätz-liche Schutzvorkehrungen getroffen werden müssen. Darüber hinaus gibt es stets eine Einzelfallprüfung. Bevor PwC ein Nichtrevisionsmandat für einen Revisionskunden an-nimmt, wird ein bestimmter Prozess durchlaufen: Ein PwC-Mitarbeiter, der beispiels-weise eine Beratungsleistung erbringen möchte, muss den leitenden Revisor anfragen und detailliert darlegen, dass die Dienstleistung nicht mit den Unabhängigkeitsvorschriften in Konflikt gerät. Erst wenn der

leitende Revisor – gegebenen-falls in Rücksprache mit dem Verantwortlichen für Unabhän-gigkeitsfragen, dem sogenann-ten Independence Officer – seine Zustimmung gegeben hat, darf das Nichtrevisionsmandat angenommen werden. Der gesamte Prozess muss – unter Verwendung von Tools und Datenbanken – dokumentiert und damit nachvollziehbar sein. Bei Konzernprüfungen gilt diese Vorgehensweise weltweit für alle PwC-Ländergesellschaf-ten. In der Schweiz überprüft die Revisionsaufsichtsbehörde, ob Nichtrevisionsdienstleistun-gen, insbesondere Beratungs-

RevisionsaufsichtsbehördeDie Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) hat ihre rechtliche Grundlage im Revisionsaufsichtsgesetz (RAG). Ihre Tätigkeit hat sie am 1. September 2007 – gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des RAG – aufgenommen. Die Behörde ist einerseits Zulassungsstelle für Prüfer und Prüfungsgesellschaften und andererseits Aufsichtsorgan. Art. 16 Abs. 1 RAG verlangt, dass die Behörde die staatlich beaufsichtigten Revisionsunternehmen mindestens alle drei Jahre einer eingehenden Überprüfung unterzieht. Die RAB selbst verfolgt das Ziel, die grossen Prüfungs-gesellschaften jedes Jahr zu kontrollieren. Nach Art. 16 Abs. 2b RAG überprüft sie dabei «die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten sowie die Beachtung der Berufsgrundsätze der Standes-regeln und gegebenenfalls des Kotierungsreglements». Dies impliziert, dass die RAB auch die Einhaltung der Unabhängig-keitsbestimmungen, wie sie das Gesetz und die berufsständischen Regeln festlegen, einer Kontrolle unterzieht.

Die RAB muss ihre Aufsicht unabhängig ausüben (Art. 28 Abs. 2 RAG). Ihr Verwaltungsrat, den der Bundesrat wählt, muss «fachkundig und von der Revisionsbranche unabhängig sein» (Art. 30 Abs. 2 RAG).

leistungen, für das geprüfte Unternehmen die Unabhängig-keit tatsächlich oder dem Anschein nach beeinträchtigen.

Strenge Vorschriften seit Sarbanes-OxleySeit Inkrafttreten des Sarbanes-Oxley Act (SOX) von 2002 gehen die Unabhängigkeits-vorschriften sehr weit. Die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC hat das Gesetz in zahlrei-chen Regelungen umgesetzt. Die EU hat die Achte EG-Richt-linie, die sogenannte Abschluss-prüferrichtlinie, im Jahr 2006 revidiert und an die US-Vor-schriften angeglichen. In der

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Schweiz trat 2007 das Revisi-onsaufsichtsgesetz (RAG) in Kraft. Es wurden staatliche Aufsichtsbehörden für Prü-fungsgesellschaften eingerich-tet. Doch nun, acht Jahre nach SOX, hat die Diskussion um die Unabhängigkeit der Prüfer erneut begonnen – obwohl die Finanzkrise dazu keinen Anlass gegeben hat.

Weiter gehende Regulie-rung – ein Qualitäts gewinn?Im Oktober 2010 publizierte die Europäische Kommission ein Grünbuch. Darin stellt die Kommission eine Reihe von Überlegungen zur Diskussion, die aus ihrer Sicht die Abschluss-prüfung verbessern und so zu mehr Finanzstabilität beitragen könnten. Das Grünbuch enthält Vorschläge zur Unabhängigkeit, welche die heutige Rechtslage rigoros verschärfen würden. Unter anderem werden die Bestellung des Abschlussprüfers durch eine Behörde statt durch die Generalversammlung sowie eine regelmässige Rotation der Prüfungsgesellschaft und nicht nur des leitenden Prüfers erwogen. Ein weiterer gravie-render Punkt ist die Überlegung, das Verbot zur Erbringung von Nichtprüfungsleistungen auszudehnen und in letzter Konsequenz möglicherweise «reine Prüfungsgesellschaften» zu schaffen. Um der Konzentra-tion auf dem Prüfungsmarkt entgegenzuwirken, schlägt das Grünbuch «joint audits» vor. Das Vorbild für die Kommission bildet offenbar Frankreich. Dort

müssen börsennotierte Gesell-schaften zwei Prüfungsgesell-schaften bestellen, die sich die Prüfungsarbeiten teilen und das Prüfungsurteil gemeinsam unterschreiben. Diese Praxis möchte die EU-Kommission ausbauen; sie denkt an die «Schaffung obligatorischer Audit-Konsortien unter Einbe-ziehung mindestens einer system unrelevanten Prüfungs-gesellschaft für die Prüfung grosser Unternehmen».

Es fragt sich, ob diese Regelun-gen dem ausdrücklichen Ziel, die Prüfungsqualität zu erhöhen, dienlich sind, ja, ob sie überhaupt geeignet sind, die Unabhängigkeit weiter zu stärken. Die heutigen Regeln zur Erbringung von Nichtrevisions-dienstleistungen stellen sicher, dass es nicht zu einer Selbstprü-fung kommt. Eine Revisions-gesellschaft darf keine Sachver-halte überprüfen, an deren Gestaltung sie selbst mitgewirkt hat. Es ist ihr beispielsweise untersagt, an der Erstellung der Jahresrechnung oder der Buchführung mitzuwirken oder Managemententscheidungen zu fällen. Auch im Rahmen der revisionsnahen Beratung sind nur Dienstleistungen erlaubt, bei denen der Berater keine Entscheidungen trifft. Eine unterstützende Beratung vermag die Qualität des Jahresabschlusses aber deutlich zu erhöhen; denn wer wüsste besser um die Schwachstellen der Rechnungslegung als der Prüfer?

Abschlussprüfungen, vor allem bei international tätigen Unternehmen, sind heute derart komplex, dass der Prüfer auf Spezialisten – etwa für Steuern, IT oder Bewertungsfragen – angewiesen ist. Die grossen Prüfungsgesellschaften haben dieses Wissen im Hause; Prüfer und Berater sind eingespielt und folgen den gleichen Standards. Experten bei Dritten einzukau-fen, geht stets mit Verständnis-schwierigkeiten und Reibungs-verlusten einher. Die Folgen sind Qualitätseinbussen und höhere Kosten der Revision.

Auch eine obligatorische Rotation der Revisionsfirma ist keine geeignete Massnahme, um die Qualität der Prüfung zu steigern. Im Gegenteil: Empiri-sche Studien belegen, dass die Rotationspflicht die Prüfungs-qualität in den ersten Jahren nach dem Wechsel beeinträch-tigt. Der Verlust an Wissen ist vor allem bei grossen internationa-len Mandaten erheblich, das Fehlerrisiko hoch. Die heutige Regelung, den leitenden Revisor nach fünf beziehungs-weise sieben Jahren zu ersetzen, begegnet dem «Risiko der Vertrautheit», das die EU-Kom-mission anspricht, viel wirkungs-voller. Vertrautheit ergibt sich auf einer persönlichen Ebene. Dem beugt die Pflicht zur Rotation des leitenden Revisors vor. Das Wissen des Prüfungs-teams aber bleibt erhalten.

Auch die Idee der «joint audits» vermag nicht zu überzeugen.

Wird ein Revisionsmandat von zwei Prüfungsgesellschaften übernommen, so führt dies unweigerlich zu Doppelspurig-keiten. Länder, die mit diesem Konzept Erfahrungen gesam-melt haben – etwa Dänemark –, sind wieder davon abgerückt, weil sich die Qualität der Prüfung nachweislich nicht erhöht hat. «Joint audits» rücken im Gegenteil die Haftungs - frage in ein neues Licht. Gemeinsam mit dem Vorschlag, den Abschluss prüfer durch eine Behörde zu bestellen, würde diese Regelung den derzeit gut funktionierenden Markt ausser Kraft setzen.

FazitDie Revisionsgesellschaften nehmen die gesetzlichen und die berufsständischen Richt-linien zur Unabhängigkeit sehr ernst. Die strikte Einhaltung dieser Vorschriften ist weit mehr als eine Übung in Sachen Compliance: Sie ist eine Grundvoraussetzung für den Geschäftsbetrieb. Unabhängig-keit liegt im ureigenen Interesse der Prüfer – aufgrund lang-fristiger strategischer Überle-gungen und, nicht zuletzt, weil Unabhängigkeit eine Frage des Berufsethos ist.

Quintessenz: Eine Revisionsgesellschaft darf keine Sachverhalte überprüfen, an deren Gestaltung sie selbst mitgewirkt hat.

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Der Verwaltungsratspräsident von PwC Schweiz über die Unab-hängigkeit des Verwaltungsrats und die Integrität des Managements

Wann ist ein Verwaltungsratsmitglied unabhängig?Ein Verwaltungsrat ist unabhängig, wenn er sich unbeeinflusst durch bestehende Beziehungen zum Unternehmen eine objektive Meinung bilden kann. Dies setzt unter anderem voraus, dass er über ein hinreichendes Fachwissen verfügt und persönlich integer ist.

Wie ist die Unabhängigkeit von Verwaltungsratsmitgliedern geregelt?Es gibt in der Schweiz keine abschliessende gesetzliche Regelung dazu, wohl aber Standards und Best Practices. Economie-suisse hat im «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» Empfehlungen zur Unabhängigkeit von Verwaltungsräten formuliert. Danach gilt ein Verwaltungsrat als unabhängig, wenn er nicht in die Geschäftsführung des Unternehmens involviert ist und dies in den letzten drei Jahren nicht war und wenn er keine wesentlichen geschäftlichen Beziehungen mit der Gesellschaft unterhält.

Wie verbindlich ist der Swiss Code?Die Empfehlungen des Swiss Code sind an Publikumsgesellschaften gerichtet. Für nichtkotierte Unternehmen stellen sie einen Leitfaden dar. Der Code ist heute ein Standard. Er ist aber nicht die einzige Regelung. Für Banken hat die Finanz-marktaufsichtsbehörde FINMA weiter reichende Unabhängigkeitsbestimmungen erlassen. So gilt beispielsweise ein Verwal-tungsrat als nicht unabhängig, wenn er ein – im Sinne des Bankengesetzes – qualifi-ziert Beteiligter ist, das heisst, wenn er eine Beteiligungsquote von mindestens zehn Prozent hält.

Sollten Verwaltungsräte überhaupt unabhängig sein?Der Sinn liegt darin, dass es «checks and balances» im Unternehmen gibt. Der Verwaltungsrat bildet ein Gegengewicht zur Geschäftsleitung. Er muss das Manage-

ment im Sinne der Eigentümer des Unternehmens fordern, kontrollieren und überwachen. Die Unabhängigkeit der Verwaltungsräte ist somit insbesondere bei grösseren Gesellschaften relevant, bei denen der Verwaltungsrat die Geschäfts-führung delegiert hat.

Werden bei der Bestellung der Aus-schüsse, vor allem des Audit Commit-tee und des Entschädigungsaus-schussses, besondere Massstäbe an die Unabhängigkeit angelegt?Ja, der Code of Best Practice enthält spezielle Empfehlungen dazu: Das Audit Committee sollte sich aus nicht exekutiven Verwaltungs-ratsmitgliedern zusammensetzen. Der Entschädigungsausschuss sollte ursprüng-lich nur mehrheitlich aus unabhängigen Mitgliedern bestehen. Heute geht die Empfehlung dahin, aus Gründen der Glaubwürdigkeit auch für dieses Gremium nur nicht exekutive Mitglieder zu bestimmen. Zudem dürfen dem Entschädigungsaus-schuss keine Personen angehören, die in einer Kreuzverflechtung mit anderen Unternehmen stehen. Damit soll verhindert werden, dass die Ausschussmitglieder des einen Unternehmens über die Kompensation von Personen entscheiden, welche in einem anderen Unternehmen die eigene Entloh-nung festsetzen.

Können Verwaltungsräte unabhängig sein, wenn sie zugleich «die Oberlei-tung der Gesellschaft» wahrnehmen?Sie sind im Sinne der Definition, wie sie im Swiss Code of Best Practice verwendet wird, unabhängig. Effektiv bleibt aber der Verwaltungsrat in der Schweiz für die Strategie und die Geschäftsführung des Unternehmens verantwortlich, auch wenn er diese Aufgabe an eine Geschäftsleitung delegiert hat. Der Begriff «unabhängig» ist damit zu relativieren. Er ist auch deshalb relativ, weil die nicht exekutiven Verwal-tungsräte ja auch Teil des Unternehmens sind. Persönliche Beziehungen werden im Swiss Code ebenfalls nicht gewichtet.

Hans WeyVerwaltungsratspräsident PwC [email protected]

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Hans Wey ist diplomierter Wirtschaftsprüfer und seit 1990 Partner von PwC Schweiz. Seit Juli 2008 amtiert er als Präsident des Verwaltungsrats. Hans Wey hat sich, etwa in der Treuhand-Kammer, intensiv mit Fragen des Berufs - standes auseinandergesetzt.

«Es muss eine Macht-balance gefunden werden.»

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Ist dies sinnvoll im Sinne der «checks and balances»?Das schweizerische OR geht von der Grundidee aus, dass der Verwaltungsrat die Geschäfte eines Unternehmens führt. Dieser Ansatz beruht auf den Gegebenheiten in kleineren Unternehmen. Die Grundidee ist, dass die Aktionäre bestimmen sollen, welche Geschäftspolitik ihr Unternehmen einschla-gen soll. Je grösser ein Unternehmen ist, desto mehr wird an die Geschäftsleitung delegiert. Dies hat aber auch zur Folge, dass eine Machtbalance zwischen den einzelnen Organen gefunden werden muss.

Welche Vorteile bietet der Schweizer Verwaltungsrat gegenüber dem deutschen Aufsichtsrat als reinem Kontrollgremium?Der Aufsichtsrat ist ein Kontrollorgan, er bestimmt den Vorstand und lässt sich einzelne Entscheidungen vorlegen, die eigentliche Verantwortung für die Geschäfts-führung liegt aber beim Vorstand. Dieser macht die Vorgaben für das Geschäft. Die Aufgaben des Schweizer Verwaltungsrats sind umfassender. Dadurch ergibt sich ein ausgewogeneres Gleichgewicht zwischen den beiden Instanzen, was ich – sofern dieses Gleichgewicht funktioniert – als Vorteil erachte.

Wo liegen die Unterschiede zum US-amerikanischen Board-System?Der Board of Directors ist vom Konzept her dem Schweizer Verwaltungsrat sehr ähnlich. Ihm gehören aber mehr Delegierte, also geschäftsführende Mitglieder, an. Die nicht exekutiven Mitglieder nehmen die Funktion des Aufsichtsrats, also die Kontrolle, wahr. Der Unterschied liegt in der Kultur: In den USA hat ein CEO eine viel grössere Macht und Ausstrahlung, als dies im europäischen Raum der Fall ist. Im angloamerikanischen Verständnis treibt der CEO das Geschäft voran. In der Schweiz hat der Verwaltungs-rat, vor allem dessen Präsident, eine gewichtige Position im Unternehmen.

Für das Management kann Unabhän-gigkeit kein Qualitätskriterium sein, wohl aber Integrität. Was ist Ihrer Meinung nach massgebend für die persönliche Integrität eines CEO oder CFO?Das Wichtigste ist: Der CEO muss dem Unternehmen gegenüber loyal sein. Er muss das Wohl des Unternehmens – und nicht die eigenen Interessen – in den Vordergrund

rücken. Und er muss Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und anderen Stakeholdern übernehmen. Der CFO muss stark genug sein, seine Meinung gegenüber dem CEO und der Geschäftsleitung insge-samt zu vertreten. Wenn der CFO sieht, dass die Strategie nicht mit den Zahlen und den Businessplänen in Einklang steht, muss er eine mahnende Rolle wahrnehmen.

Welche Empfehlungen für eine unabhängige Überwachung des Managements geben Sie den Unter-nehmen?Entscheidend ist, dass das System der «checks and balances» gelebt wird und die verschiedenen Instanzen und Ausschüsse ihre Kontroll- und Informationsaufgaben dem Sinn entsprechend erfüllen. Dazu braucht ein Unternehmen eine gute Gesprächskultur. Die Leute müssen miteinander reden können, und sie müssen kritikfähig sein.

Regelungen zum Verwaltungsrat und zur Corporate Governance in der Schweiz

Die Aufgaben des Verwaltungsrats sind im Obligationenrecht geregelt, insbesondere in Art. 716 ff.

Standards für eine gute Corporate Governance setzen die economiesuisse und die Schweizer Börse SIX:• www.economiesuisse.ch• www.six-exchange-regulation.com/

obligations/governance_de.html

Das Rundschreiben 2008/24 «Überwachung und interne Kontrolle bei Banken» der FINMA enthält detaillierte Vorschriften zur Unabhängigkeit der Mitglieder des Verwaltungsrats und zu den Anforderungen an Audit Committees:• www.finma.ch/d/regulierung/Seiten/

rundschreiben.aspx

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Dieses Gremium berät die Standardsetzer darin, angemes-sen auf die Finanzkrise zu antworten. Hoogervorst dürfte als Vorsitzender des IASB eher eine koordinierende und dialogfördernde Rolle einneh-men.

Lässt sich etwas über die Prioritäten von Hans Hoogervorst aussagen?Solange Sir Tweedie im Amt ist, hält sich Hoogervorst natürlich mit Stellungnahmen zurück. Er hat aber zu erkennen gegeben, dass ihm Transparenz, Unabhän-gigkeit und der Schutz der Investoren wichtig sind. In einer Rede anlässlich einer Konferenz der Europäischen Kommission hat er etwa betont, dass Transparenz in der Rechnungs-legung eine unverzichtbare Voraussetzung für die Stabilität der Finanzmärkte ist. Stabilität selbst aber sei nicht das oberste Ziel der Standardsetzer, sondern vielmehr der Regulatoren.

Könnte bei grossem politi-schem Engagement die technische Arbeit an den IFRS zu kurz kommen?Das steht nicht zu befürchten. Denn mit Ian Mackintosh steht Hoogervorst ein Stellvertreter zur Seite, der ein anerkannter Rechnungslegungsexperte ist. Der neue Vizevorsitzende stammt ursprünglich aus Neuseeland, hat aber einen

Zehn Jahre lang war Sir David Tweedie an der Spitze des IASB. Am 1. Juli übernimmt Hans Hoogervorst den Vorsitz. Wer ist der neue Mann?Hans Hoogervorst leitet derzeit die niederländische Finanz-marktaufsichtsbehörde und hat führende Positionen in interna-tionalen Gremien inne. Von der Laufbahn her ist Hoogervorst ein Politiker: Zwischen 1998 und 2008 bekleidete er verschiedene Posten in der niederländischen Regierung, darunter das Amt des Finanzministers. Dieser politische Hintergrund unter-scheidet ihn von seinem Vorgänger David Tweedie.

Welche Konsequenzen wird dies auf die Arbeit des IASB haben?Sir Tweedie ist ein unbestrittener Accounting-Spezialist und hat sehr starken Einfluss auf die Ausgestaltung der Rechnungs-legungsstandards genommen. Während der Finanzkrise wurde ihm aber – ob zu Recht oder zu Unrecht – mangelndes politi-sches Feingefühl vorgehalten. Hoogervorst ist zwar auch ein Fachmann für Finanzberichter-stattung, bis zu seiner Nominie-rung sass er dem Monitoring Board der IFRS Foundation vor; aber er ist auch eine politisch geprägte Persönlichkeit. Er war bislang auch Co-Vorsitzender der Financial Crisis Advisory Group.

Grossteil seiner Karriere in Australien absolviert. Er war unter anderem Chief Accoun-tant der Australian Securities and Investment Commission, danach war er für die Weltbank tätig, und zuletzt hat er das UK Accounting and Standards Board geleitet. Ich gehe davon aus, dass die beiden ihre Rollen gut verteilen werden: Mackin-tosh kümmert sich vorwiegend ums tägliche Geschäft, und Hoogervorst pflegt die Bezie-hungen nach aussen, zu den Stakeholdern und vor allem zur Politik. Er wird aber auch Leitlinien für die Regelwerke vorgeben, und diese werden sich am Anlegerschutz ausrich-ten. Hoogervorst betont immer wieder, dass die Standardsetzer den Fokus ihrer Arbeit auf die Interessen der Investoren richten müssten.

Befindet sich das IASB in einer Umbruchphase?Im IASB findet ein Generatio-nenwechsel statt. In den letzten beiden Jahren wurden sieben Mitglieder neu gewählt, und sie haben bereits Bewegung in das Gremium gebracht. Bis Mitte 2012 werden weitere sechs Mitglieder ausgetauscht. Es fragt sich, welchen Weg das neue Board einschlagen wird: Will es innehalten und die Arbeit des IASB grundsätz-lich überdenken, oder will es den gleichen Weg fortsetzen, den die bisherigen Mitglieder eingeschlagen haben?

IASB im Umbruch

«Der neue IASB-Vorsitzende ist eine politisch geprägte Persönlichkeit.»

Peter Eberli, Leiter IFRS von PwC Schweiz, äussert sich im Interview zu den personellen Veränderungen im International Accounting Standards Board (IASB). In einem zweiten Beitrag nimmt er Stellung zu der Frage, inwieweit die Standardsetzer unabhängig sind und sein sollen.

Welche Themenbereiche sollte das IASB Ihrer Meinung nach rasch anpacken?Ein wichtiges Thema ist die Darstellung der Jahresrechnung, denn sie hat auch Auswirkungen auf die Darstellung der Transak-tionen. Ein Problem ist heute der Umfang der Jahresberichte. Die Informationen werden immer detaillierter, und es ist bereits die Forderung aufgetaucht, sich in der Berichterstattung wieder auf das Wesentliche zu konzentrie-ren. Ein grundlegendes Thema für das IASB wäre zudem, die Gesamtausrichtung der IFRS klar festzulegen.

Peter EberliLeiter IFRS von PwC [email protected]

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DiscloseJuni 2011 15

Müssen Standardsetzer unabhän­gig sein? Und, wenn ja, von wem? Je nach Kulturkreis dürfte die Antwort unterschiedlich ausfal­len. In Frankreich beispielsweise ist es Tradition, dass Rechnungs­legungsstandards von einer staatlichen Stelle erlassen werden. Der angloamerikanische Raum, allen voran Grossbritannien, legt hingegen von jeher Wert auf die Unabhängigkeit der Standardset­zer. Die USA wollen insbesondere vermeiden, dass einzelne (europäische) Staaten zu grossen Einfluss auf internationale Standardsetzer ausüben.

Selbstverständlich wollen nicht nur Staaten, sondern alle Betroffenen ein Wort mitreden, wenn es um Standards geht: Unternehmen, Wirtschaftsver­bände, Revisionsgesellschaften, Finanzanalysten und Investoren – kurz, alle Stakeholder der Standardsetzung. Das Interesse der Anspruchsgruppen ist berechtigt: Unternehmen müssen die Standards umsetzen, Wirtschaftsprüfer ihre korrekte Anwendung und sinnvolle Auslegung beurteilen, und Investoren haben ein Recht auf eine transparente und faire Finanzberichterstattung. Auch darf man nicht vergessen:

Die Darstellung des unterneh­merischen Geschehens in der Jahresrechnung beeinflusst auch den Wert des Unternehmens.

Für die Standardsetzer ist es nicht einfach, eine Grenze zwischen legitimer und illegitimer Einfluss­nahme ihrer Stakeholder zu ziehen. Nur eine gut funktionie­rende Governance vermag sicherzustellen, dass die Stan­dardsetzer ihrem Anspruch genügen, ein Höchstmass an Transparenz zu schaffen. Vielleicht liegt hier die Antwort auf die Frage nach der Unabhängig­keit: Die Standardsetzer müssen im Rahmen eines Konsultations­prozesses (due process) die Stellungnahmen der einzelnen Interessengruppen berücksichti­gen, sie müssen Argumente anhören und gewichten. Aber sie müssen auch in der Lage und willens sein, eine klare Trennungs­linie zwischen argumentativer Stellungnahme und emotionalem Lobbying zu ziehen.

Das International Accounting Standards Board (IASB) ist der wohl wichtigste Standardsetzer. Die von ihm herausgegebenen International Financial Reporting Standards (IFRS) finden fast weltweit Anwendung.

Die Gremien müssen ausgewogen besetzt sein

Unabhängigkeit der Standardsetzer Das IASB versteht sich als eine unabhängige standardsetzende Institution, die von einer Stiftung, der IFRS Foundation, getragen wird. Hans Hooger­vorst, der ab 1. Juli 2011 den Vorsitz des IASB innehaben wird, hat sich kürzlich zum Thema Unabhängigkeit geäussert. Die Unabhängigkeit, so führte er aus, werde nur respektiert, wenn die Anwender der Standards und die politischen Autoritäten einen ausgeprägten Sinn dafür entwickelten, dass die IFRS ein gemeinsames Gut seien. Hoogervorst zeigt vier Wege auf, wie das IASB dieses Bewusstsein stärken kann:• Die Standards müssten stets

von höchster Qualität sein;• der internationale Konsul­

tations prozess, in dessen Rahmen jeder Einzelne und jede Organisation eine Stellungnahme (comment letter) abgeben kann, müsse erstklassig sein;

• die IFRS Foundation müsse sich über die Herausforde­rungen im Klaren sein, welche die Umsetzung der Standards mit sich bringen kann;

• die Governance müsse von einem stabilen System der Verant wort­lichkeit begleitet sein.

Mit dem letzten Punkt spricht Hoogervorst die derzeitige Reform der IASB Governance an. Deren Ziel ist in erster Linie eine Organisationsstruktur, in der sich alle Rechtsräume adäquat repräsentiert fühlen, letztlich soll die Governance also den Gedan­ken des gemeinsamen Gutes stärken. So haben die Trustees, die eine Art Überwachungsgremium

bilden, bereits eine neue «Verfas­sung» verabschiedet. Sie sieht unter anderem vor, die Zahl der IASB­Mitglieder auf 16 zu erhöhen und das Board regional ausgewogen zu besetzen. Bei der Neubestellung von Mitgliedern sollen Anwender und Regulatoren verstärkt berücksichtigt werden.

So wichtig es für die Akzeptanz der IFRS ist, Anwender und Regulatoren, aber auch andere Anspruchsgruppen einzubinden, so sehr ist auch Achtsamkeit bei der Auswahl der Mitglieder angesagt. Jeder ist von seinem fachlichen Hintergrund und seiner beruflichen Karriere geprägt (und wurde nicht zuletzt deshalb ins Board gewählt). Entscheidend ist: Das Gremium als Ganzes muss ausgewogen zusammengesetzt sein. Denn die IFRS dürfen nicht das Resultat von Branchen­ oder Länderinteressen sein.

Entscheidend für die Unabhängig­keit ist vor allem der mehrstufige «Due Process». Ein fairer und offener Konsultationsprozess ermöglicht es Dritten, nachzuvoll­ziehen, welche Argumente aus welchen Gründen aufgegriffen oder verworfen werden. Fundierte Anregungen der Stakeholder können die Qualität und die Akzeptanz der Standards erhöhen. Während des Prozesses darf aber nie aus dem Auge verloren werden: Das Ergebnis müssen praktikable Rechnungs­legungsstandards sein, die für Transparenz in der Finanzbericht­erstattung sorgen.

Peter Eberli

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UpdateGesamtergebnisrechnung im Aufwind? von Peter Kartscher

Konvergenz von IFRS und US GAAP: Die Prioritäten sind gesetzt von Dr. Michael Abresch

IASB-Entwurf: Hedge Accounting wird attraktiver von Stefan Wüest

Internationale Prüfungsstandards: klare Anforderungen an die Prüfer von Beat Inauen

Neues Rechnungslegungsrecht: Auf der Zielgeraden! von Lorenz Lipp

Die elektronische Archivierung ist Teil der Geschäftsprozesse von Andreas Eschbach und Christopher Oehri

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Gesamtergebnisrechnung im Aufwind?

Das International Accounting Standards Board (IASB) und das US-amerikanische Financial Accounting Standards Board (FASB) haben unlängst den Entwurf eines neuen Standards «Presentation of Items of Other Comprehensive Income» vorgelegt. Damit verfolgen die Standardsetzer das Ziel, die Relevanz der Gesamtergebnis-rechnung grundsätzlich zu erhöhen. Des Weiteren beabsich-tigen sie, den Ausweis sonstiger Ergebnisbeiträge in den Gesamtergebnisrechnungen verschiedener Unternehmen durch eine stärkere Normierung vergleichbarer und zugleich transparenter machen.

Die nach International Financial Reporting Standards (IFRS) verlangte Gesamtergebnis-rechnung fristet derzeit ein Schattendasein: Fast alle Unternehmen machen von dem Wahlrecht Gebrauch, die traditionelle Erfolgs-rechnung zu präsentieren und diese um eine separate Gesamtergebnisrechnung zu ergän-zen. Ein neuer Standard soll dies ändern.

Das Konzept der Gesamt­ergebnisrechnungDie in der internationalen Rechnungslegung verwurzelte Gesamtergebnisrechnung soll sämtliche Veränderungen des Eigenkapitals eines Unterneh-mens erfassen, sofern sie nicht aus Transaktionen mit deren Eigentümern resultieren, wie dies bei Dividendenausschüttun-gen oder Kapitaleinlagen der Fall ist. Die Gesamtergebnisrech-nung versucht, die Performance des Unternehmens aus Sicht der Eigentümer abzubilden. Dabei sollen neben dem in der klassischen Erfolgsrechnung erfassten Gewinn oder Verlust auch sonstige Ergebnisbeiträge berücksichtigt werden.

Darunter werden im Wesentli-chen die folgenden Komponen-ten erfasst:• Marktwertanpassungen von

Finanzinstrumenten• versicherungsmathematische

Gewinne und Verluste aus Vorsorgeplänen

• Währungsumrechnungsdiffe-renzen aus der Konsolidierung

• Anteile an sonstigen Ergebnis-beiträgen von assoziierten Unternehmen

Diesen Komponenten ist eines gemeinsam: Sie resultieren im Wesentlichen aus Marktwertan-passungen von Vermögensge-genständen und Schulden des Unternehmens.

Gesamtergebnisrechnung und PerformanceVereinfachend lassen sich die Erfolgs- und die sonstigen Ergebnisbeiträge danach unterscheiden, ob sie sich aus dem eigentlichen unternehme-rischen Handeln oder aus Veränderungen des makroöko-nomischen Umfeldes ergeben: Aufwendungen und Erträge, die in unmittelbarem Zusammen-hang mit Einkauf, Produktion und Vertrieb stehen, werden in der Erfolgsrechnung erfasst, Veränderungen der Marktwerte von Vermögensgegenständen und Schulden hingegen als sonstige Ergebnisbeiträge.

So erklärt sich auch, weshalb die Gesamtergebnisrechnung derzeit ein Schattendasein fristet und fast alle Unternehmen die Erfolgsrechnung separat ausweisen: Jede Geschäftsfüh-rung möchte ihre Performance daran gemessen sehen, was sie

Peter KartscherPartner, [email protected]

Die Gesamtergebnisrechnung setzt sich aus den folgenden Komponenten zusammen:

Gewinn/ Verlust der

Erfolgs - rechnung

Sonstige Ergebnis- beiträge

Gesamt- ergebnis

(= Performance des Unternehmens)

=+

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selbst durch unternehmerische Entscheidungen beeinflussen kann und zu verantworten hat. Die Performance der Geschäfts-führung spiegelt sich im Gewinn oder Verlust der Erfolgsrechnung wider. Veränderungen von Marktwerten der Vermögensge-genstände und Schulden aber resultieren aus Faktoren, die die Geschäftsführung eines Unternehmens nur schwer und allenfalls indirekt beeinflussen kann: aus Veränderungen von Wechselkursen, Zinssätzen, Aktienkursen, aus der allgemei-nen Konjunktur und anderen makroökonomischen Einflüssen.

Während die Erfolgsrechnung es also ermöglicht, die Perfor-mance der Geschäftsführung zu beurteilen, misst die Gesamtergebnisrechnung die Performance des Unterneh-mens an der Veränderung des Eigenkapitals. Dieser Ansatz leuchtet ein, denn das Gesamt-ergebnis hängt eventuell mehr von der Entwicklung an den Märkten als dem Geschick der Geschäftsführung ab.

Relevanz der sonstigen ErgebnisbeiträgeDie nebenstehende Tabelle zeigt eine Kurzanalyse einiger global agierenden Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Die Zahlen veranschaulichen die Relevanz der sonstigen Ergebnisbeiträge für die Performance.

Die ausgewiesenen Prozentsätze zeigen den absoluten Anteil der sonstigen Ergebnisbeiträge am Gesamtergebnis. Bereits auf der Basis dieser kleinen Stichprobe lässt sich leicht erkennen, wie

stark die sonstigen Ergebnisbei-träge das Gesamtergebnis beein- flussen können.

Deutlich wird aber auch die hohe Volatilität der sonstigen Ergebnis-beiträge, insbesondere in Zeiten von Finanz- und Wirtschafts-krisen. Darin ist ein weiterer Grund für das Schattendasein der Gesamtergebnisrechnung zu sehen: Geschäftsführungen lieben Verlässlichkeit. Sie wollen den Prognosen ihres Erfolges, sei es den eigenen oder denen der Analysten, gerecht werden.

Neuerungen für die Ge­samtergebnisrechnungenIASB und FASB wollen sich mit der derzeitig geringen Relevanz der Gesamtergebnisrechnung nicht abfinden, sondern sie deutlich erhöhen – und dies, obwohl sicher Zweifel daran bestehen, ob die Adressaten der Finanzberichterstattung tatsächlich an der Gesamtergeb-nisrechnung interessiert sind und inwieweit sie diese heran-ziehen, um die Performance des Unternehmens zu beurteilen.

2010 2009 2008 2007 2006

Nestlé (in Mio. CHF)

Erfolgsrechnungsergebnis 35’384 11’793 19’051 11’382 9’849

Sonstige Ergebnisbeiträge –4’606 –834 –8’251 –1’800 –422

Gesamtergebnis 30’778 10’959 10’800 9’582 9’427

Anteil am Gesamtergebnis –15% –8% –76% –19% –4%

Novartis (in Mio. USD)

Erfolgsrechnungsergebnis 9’969 8’454 8’233 11’968 7’202

Sonstige Ergebnisbeiträge –258 1’788 –3’935 2’862 2’242

Gesamtergebnis 9’711 10’242 4’298 14’830 9’444

Anteil am Gesamtergebnis –3% 17% –92% 19% 24%

Roche (in Mio. CHF)

Erfolgsrechnungsergebnis 8’891 8’510 10’844 11’437 9’171

Sonstige Ergebnisbeiträge –940 3’479 –4’924 –1’952 –1’220

Gesamtergebnis 7’951 11’989 5’920 9’485 7’951

Anteil am Gesamtergebnis –12% 29% –83% –21% –15%

Syngenta (in Mio. USD)

Erfolgsrechnungsergebnis 1’402 1’411 1’399 1’135 667

Sonstige Ergebnisbeiträge 283 282 –707 n/a n/a

Gesamtergebnis 1’685 1’693 692 n/a n/a

Anteil am Gesamtergebnis 17% 17% –102% n/a n/a

Credit Suisse (in Mio. CHF)

Erfolgsrechnungsergebnis 5’920 6’411 –10’837 12’498 11’327

Sonstige Ergebnisbeiträge –3’796 –908 –6’350 –1’923 –1’349

Gesamtergebnis 2’124 5’503 –17’187 10’575 9’978

Anteil am Gesamtergebnis –179% –17% 37% –18% –14%

Swiss Re (in Mio. USD)

Erfolgsrechnungsergebnis 1’017 723 -864 4’162 4’560

Sonstige Ergebnisbeiträge 1’858 1’068 –8’240 –851 –1’519

Gesamtergebnis 2’875 1’791 –9’104 3’311 3’041

Anteil am Gesamtergebnis 65% 60% 91% –26% –50%

UBS (in Mio. CHF)

Erfolgsrechnungsergebnis 7’838 –2’125 –20’724 –4’708 12’020

Sonstige Ergebnisbeiträge –2’447 –667 –3’818 –2’250 842

Gesamtergebnis 5’391 –2’792 –24’542 –6’958 12’862

Anteil am Gesamtergebnis –45% 24% 16% 32% 7%

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DiscloseJuni 2011 19

Der Entwurf des neuen Stan-dards hatte ursprünglich beabsichtigt, das bisherige Wahlrecht abzuschaffen, die Erfolgsrechnung entweder separat oder integriert in die Gesamtergebnisrechnung zu präsentieren. Künftig sollte die Erfolgsrechnung zwingend in die Gesamtergebnisrechnung integriert werden. Doch aufgrund zahlreicher Einwände, die sich vor allem gegen diese Regelung des Entwurfs richte-ten, beschlossen IASB und FASB, das bisherige Wahlrecht nun doch beizubehalten. Nach dem jetzigen Entwurf für den Standard, der ab 2012 anzuwen-den sein wird, müssen sonstige Ergebnisbeiträge getrennt danach ausgewiesen werden, ob sie in einer künftigen Periode in der Erfolgsrechnung erfasst werden (sogenanntes Recycling) oder nicht. Den entscheidenden Schritt allerdings machen IASB und FASB nicht: Auch künftig werden Unternehmen als massgebliche Grösse der Performance-Bewertung den Gewinn pro Aktie auszuweisen haben, nicht aber ein Gesamt-ergebnis pro Aktie.

Was im Einzelnen als sonstiger Ergebnisbeitrag auszuweisen oder in der Erfolgsrechnung zu erfassen ist, wird inhaltlich weiterhin in anderen Standards, wie den Standards zu Bilan-zierung und Bewertung von Finanzinstrumenten oder Vorsorgeplänen, geregelt werden. Neben den eher formalen Neuerungen des Entwurfs zur Gesamtergebnis-rechnung kommen denn auch die entscheidenden inhaltlichen Änderungen in den neuen Standards zu diesen Themen-komplexen:

IFRS 9: FinanzinstrumenteDer neue International Financial Reporting Standard (IFRS) 9 «Financial instruments» regelt den Ansatz und die Bewertung von finanziellen Vermögensge-genständen. Alle Finanzinstru-mente werden mit dem jeweili-gen Marktwert zu bewerten sein. Die Unternehmen werden allerdings ein Wahlrecht haben, Wertveränderungen von Finanzinstrumenten, die nicht zu Handelszwecken gehalten werden, in den sonstigen Ergebnisbeiträgen zu erfassen. Dieses unwiderrufliche Wahl-recht muss beim erstmaligen Ansatz ausgeübt werden – und zwar individuell für jedes einzelne Finanzinstrument. Einmal in den sonstigen Ergebnisbeiträgen erfasste Wertänderungen werden bei ihrer Realisierung, in der Regel durch die Veräusserung des Finanzinstruments, nicht mehr durch die Erfolgsrechnung «recycelt».

Entwurf zu IAS 19: VorsorgepläneDer neue Entwurf zu Interna-tional Accounting Standard (IAS) 19 «Defined Benefit Plans» wird das bisherige Wahlrecht abschaffen, versicherungsma-thematische Gewinne entweder in den sonstigen Ergebnisbeiträ-gen oder nach der sogenannten Korridormethode in der Erfolgsrechnung zu erfassen. Künftig ist es Vorschrift, versicherungsmathematische Gewinne und Verluste aus-schliesslich in den sonstigen Ergebnisbeiträgen auszuweisen. Auch hier ist ein späteres Recycling ausgeschlossen.

Gewinn oder Gesamt­ergebnis pro Aktie?Es bleibt fraglich, ob die Gesamtergebnisrechnung tatsächlich einen grösseren Stellenwert in der konsolidier-ten Jahresrechnung erhalten

wird. Wahrscheinlich wird die Geschäftsführung ihren Kommentar des Ergebnisses im finanziellen Lagebericht weiterhin auf den durch sie beeinflussbaren Gewinn konzentrieren. Ohne eine stärkere Kommentierung der Entwicklungen der sonstigen Ergebnisbeiträge aber dürfte das Interesse an der Gesamter-gebnisrechnung in der Öffent-lichkeit gering bleiben. Dies wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die entscheiden-de Grösse jeder Performance-Analyse weiterhin der Gewinn pro Aktie sein wird. Ob sich daneben das Augenmerk auch auf «Gesamtergebnis pro Aktie» richten wird, darf bezweifelt werden, verlangen doch selbst IASB und FASB den Ausweis einer derartigen Grösse nicht.

Auch dem Ziel, eine bessere Vergleichbarkeit und höhere Transparenz hinsichtlich des Ausweises der sonstigen Ergebnisbeiträge zu schaffen, wird das IASB sicher nicht gerecht: Das Wahlrecht des neuen IFRS 9, die Wertschwan-kungen bestimmter Finanz-instrumente in der Erfolgsrech-nung oder in den sonstigen Ergebnisbeiträgen auszuweisen, dürfte die Vergleichbarkeit der Gesamtergebnisrechnungen verschiedener Unternehmen – und die der Gesamtergebnis-rechnungen desselben Unter-nehmens über verschiedene Perioden hinweg – eher noch erschweren.

Die Gesamtergebnisrechnung wird voraussichtlich also auch in der Zukunft ein Schattendasein führen.

Quintessenz: Die Erfolgsrechnung ermöglicht es, die Performance der Geschäftsführung zu beurteilen. Die Gesamtergebnisrechnung hingegen misst die Performance des Unternehmens an der Veränderung des Eigenkapitals.

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Disclose Juni 201120

Konvergenz von IFRS und US GAAP: Die Prioritäten sind gesetzt

Der gemeinsame Standardset-zungsprozess des International Accounting Standards Board (IASB) und des Financial Ac-counting Standards Board der USA (FASB) unterliegt dieses Jahr einer Bewährungsprobe. Bis Juni 2011 hätten wesentli-che Projekte erfolgreich beendet sein sollen, aber der Weg gestal-tet sich steiniger, als zunächst angenommen. Nun sollen diese Projekte bis Ende 2011 abge-schlossen sein.

Am 29. November 2010 haben IASB und FASB einen revidierten gemeinsamen Arbeitsplan veröffentlicht, in dem sie ihre neuen Prioritäten für die Konvergenz darlegen. Auf der Agenda stehen nicht nur die beiden Projekte zur Gesamtergebnisrech-nung und zum beizulegenden Zeitwert; die Boards beabsichtigen auch, weitestgehend konvergierte Standards für Finanzinstru-mente, Leasing und Umsatzerfassung zu veröffentlichen. Parallel dazu treiben beide Boards auch das Versicherungsprojekt voran. Das Ziel lag ursprünglich darin, die Projekte mit Priorität bis Mitte 2011 abzuschliessen.Im April 2011 wurde dieser Zeitrahmen aufgrund der vielen offenen Fragen bis Ende 2011 ausgedehnt. Eine Überraschung ist dies nicht.

Der Entwurf zur Umsatzerfassung enthält ein substanziell konvergiertes Umsatzerfas-sungsmodell. Dies ist vor allem für die US-Seite ein bedeutender Schritt, werden doch die ausführlichen, branchenspezifi-schen Rechnungslegungsvorschriften zur Umsatzerfassung damit obsolet. Diese weitreichenden Auswirkungen haben denn auch eine Flut von Stellungnahmen – von mehr als 35 Ländern und aus über 20 Bran- chen – ausgelöst. Zum Leasingentwurf haben beide Boards über 1000 Stellungnahmen erhalten. Obwohl das neue Leasingmodell (Eliminierung von operativem Leasing)

grundsätzlich Unterstützung findet, gibt es erhebliche Bedenken gegenüber einzelnen Regelungen des Entwurfs. Als Reaktion haben die Boards im Frühjahr 2011 wesentli-che Anpassungen vereinbart und sind der Herausgabe der finalen Standards ein erhebliches Stück näher gekommen. Es erscheint ebenfalls möglich, dass die überarbeiteten Entwürfe erneut zirkuliert werden. Beide Boards beabsichtigen nach wie vor, diese zwei Standards zeitgleich zu verabschieden.

Das Projekt für Finanzinstrumente muss noch hohe Hürden nehmen, denn die Meinungen der beiden Boards gehen teilweise weit auseinander. Das FASB hat letztes Jahr über 2800 Stellungnahmen zu seinem Entwurf für Finanzinstrumente erhalten. Das FASB plant, im dritten Quartal einen neuen Entwurf zur Bewertung und Bilanzierung von Finanzinstrumenten herauszugeben. Das IASB wird diesen Entwurf anschliessend seinerseits zur Stellungnahme lancieren. Die Beratungen zur Behandlung von Sicherungsgeschäften wird das IASB in den nächsten Monaten beenden. Das FASB wird während dieser Zeit entscheiden, ob es dem neuen IASB-Modell zustimmen will. Das zeitliche Vorgehen des FASB ist dabei noch unklar. Beim Thema Wertminderungsmodell arbeiten beide Boards eng zusammen und beabsichtigen, falls notwendig, in den nächsten Monaten einen überarbeiteten Entwurf erneut zur Stellungnahme vorzulegen. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es mehr als fraglich, ob eine weitgehende Konvergenz in diesem Bereich wirklich bis Ende 2011 möglich sein wird, ist doch die jetzige Zeitplanung beider Boards recht unterschiedlich.

Schritt für Schritt oder «Big Bang»?Es stellt sich die Frage, ob die einzelnen Standards unabhängig voneinander oder gemeinsam in einer Art «Big Bang» imple-mentiert werden sollten. Zurzeit wird diese Frage noch heftig diskutiert. Ein Big Bang würde sicherstellen, dass die Adressaten der Finanzberichterstattung zur gleichen Zeit die gleichen Finanzinformationen von allen Unternehmen bekämen. Für eine graduelle

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DiscloseJuni 2011 21

Einführung spricht, dass den Unternehmen nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen und ein Big Bang die Qualität der Implementierungen beeinträchtigen könnte. Hinzu kommt: Das übergeordnete Ziel der Konvergenz ist es, qualitativ hochwertige und einheitliche Standards einzuführen. Insofern ist jeder neue Standard für sich genommen als eine Verbesserung gegenüber dem jetzigen Standard zu sehen. Daher wäre es begrüssenswert, wenn die Anwender die Möglichkeit hätten, jeden Standard so früh wie möglich zu adaptieren.

Zögerliche Akzeptanz der IFRS in den USAIn den USA hat die Börsenaufsichtsbehörde SEC Ende letzten Jahres ihren ersten Statusbericht zum IFRS-Arbeitsplan veröffentlicht. Darin bekräftigte sie ihre Absicht, im Jahr 2011 zu entscheiden, ob, wann und wie die IFRS in das US-amerikani-sche Finanzberichterstattungssystem integriert werden können. Die SEC-Vorsit-zende Mary Shapiro hat jedoch im Dezember nochmals betont, dass die SEC sich nicht verpflichtet habe, eine solche Entscheidung bis Juni 2011 zu fällen. Zugleich betonte sie, dass die Übergangsperiode mindestens vier Jahre betragen werde. Die SEC beobach-tet die Konvergenzprojekte beider Boards sehr genau. Sie erwartet, dass das Ziel, verbesserte, in sich schlüssige und robuste Standards zu entwickeln, nicht dem aggressiven Zeitplan geopfert wird. Gemäss Jim Kroeker, SEC Chief Accountant, ist Konvergenz ohne formellen Prozess und angemessene Konsultation nicht im Interesse aller Marktteilnehmer. Im April 2011 haben die Vorsitzenden der beiden Boards – Leslie Seidman für das FASB und Sir David Tweedie für das IASB – diese Auffassung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Den Zeitrahmen für die Prioritätsprojekte haben sie entsprechend um sechs Monate bis Ende 2011 verlängert.

Hinzu kommt, dass die USA auch institutio-nelle Aspekte wie die Finanzierung und die Unabhängigkeit des IASB in ihrer Entschei-dungsfindung berücksichtigen werden. Ferner wollen sie sicherstellen, dass das FASB als nationaler Standardsetzer auch in

Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird, zumal die Frage, ob sich eine weltweit einheitliche Auslegung der IFRS durchsetzen wird, nach wie vor offen ist.

Es ist ebenfalls denkbar, dass die USA anderen Ländern folgen und statt einer Konvergenz einen Ratifizierungsprozess ähnlich dem der EU implementieren werden. Die Gründe dafür reichen von rechtlichen Überlegungen bis hin zur Bewahrung einer gewissen nationalen Souveränität in der Standardsetzung. Paul Beswick, Deputy Chief Accountant der SEC, hat diesen Mittelweg im Dezember 2010 mit dem neuen Wort «Condorsement» umschrieben. Am 26. Mai 2011 hat die SEC Staff dies weiter konkretisiert: Die US GAAP existieren weiter, das IASB und das FASB beenden die jetzigen Prioritätsprojekte, und das FASB integriert über einen längeren Zeitraum hinweg (beispielsweise fünf bis sieben Jahre) einen IFRS nach dem anderen in die US-Rech-nungslegungsvorschriften. Die SEC ist sehr darauf bedacht, die Kosten der Umstellung auf IFRS für US-Gesellschaften verträglich zu gestalten, und richtet den Blick vor allem auf die vielen mittelständischen US-GAAP-Anwender. Daher könnten die IFRS auch schrittweise eingeführt werden, zunächst für US-Publikumsgesellschaften und zu einem späteren Zeitpunkt für die übrigen US-GAAP-Anwender. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die IFRS für Publikumsgesellschaf-ten verbindlich sein sollten oder ob diese ein Wahlrecht zwischen US GAAP und IFRS erhalten sollten. All dies deutet darauf hin, dass sich der Wechsel hin zu IFRS in den USA langsamer und weniger direkt vollziehen wird, als ursprünglich kommuniziert (2014 bis 2016).

Dr. Michael AbreschPartner, Zürich [email protected]

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Disclose Juni 201122

Ein auf Prinzipien basierendes Regelwerk als ZielDer Weg zur Konvergenz zwischen IFRS und US GAAP ist steinig und lang. Der politische Druck, den momentanen Arbeitsplan einzuhalten, ist jedoch auf beiden Seiten des Atlantiks weiterhin hoch. Auch hängt davon ab, ob und wie die USA in abseh - barer Zukunft die IFRS in ihre Standards integrieren. Dies wäre zu wünschen, ist doch längerfristig ein globaler Rechnungs-legungsstandard ohne die Akzeptanz der USA nicht realisierbar.

Die Befürchtung, dass die Zustimmung der USA mit einer «Veramerikanisierung» der IFRS teuer erkauft werden muss, ist jedoch weitgehend unbegründet. Beide Boards teilen das bisher eher auf der IASB-Linie liegende Ziel, ein auf Prinzipien basierendes globales Regelwerk zu entwickeln. Jeder neue Standard folgt konsequent diesem Anliegen. Damit entfernen sich auch die US GAAP immer mehr von ihrem auf zahlreichen Detailregeln basierenden Ansatz, auch wenn das Condorsement-Kon-zept dafür plädiert, in manchen Bereichen Detailbestimmungen zu erhalten. Beide

Boards sollten der Versuchung widerstehen, der Forderung nach vielen Anwendungsbei-spielen nachzugeben, wie sie insbesondere von asiatischer Seite vielfach erhoben wird. Dies käme einem auf Regeln basierenden Rechnungslegungswerk wieder deutlich näher. Das Herzstück eines auf Prinzipien ausgelegten Standards ist ja gerade der damit einhergehende, bewusst gesetzte Interpretationsspielraum in der Anwendung.

Als Konsequenz bleibt den Unternehmen im Moment nichts anderes übrig, als sich auf die anhaltend hohe Veränderungsgeschwindig-keit von IFRS und US GAAP einzurichten und die Auswirkungen dieser Änderungen auf ihre Berichterstattung, Systeme und Prozesse rechtzeitig zu analysieren. Auch sollten sie sich weiterhin an der Debatte beteiligen, indem sie Stellungnahmen an das IASB und das FASB abgeben. Dabei ist es sinnvoll, sich auf die Aspekte zu konzentrie-ren, die für das eigene Unternehmen und die eigene Branche wesentlich sind.

Diskussionen vor Herausgabe des Entwurfes

Entwurf herausgegeben oder erwartet

Zeitraum für Kommentare und/oder Neubeurteilungen

De�nitiver Standard erwartet

Q2 2010 Q3 2010 Q4 2010 Q1 2011 Q2 2011 Q3 2011 Q4 2011 2012

FinanzinstrumenteGemeinsame Prioritätsprojekte

Umsatzrealisierung

Leasinggeschäfte

Bewertung zum beizulegenden Zeitwert

Gesamtergebnisrechnung

Einführungsdatum und Übergangsregeln

Saldierung von �nanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten

Als Finanzinvestitionen gehaltene Immobilien

IASB – Leistungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

IASB – Bilanzierung von Versicherungsgeschäften

IASB – Konsolidierung

Konsolidierung – Investmentgesellschaften

Darstellung der Jahresrechnung

Aufgegebene Geschäftsbereiche

Finanzinstrumente mit Eigenkapitalcharakter

Handel von Emissionszerti�katen

Zeitplan der Standardsetzer

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DiscloseJuni 2011 23

IASB-Entwurf: Hedge Accounting wird attraktiver

Der aktuelle Interna-tional Accounting Standard (IAS) 39 zum Hedge Accounting stösst bei vielen Unter-nehmen auf Unmut: Viel zu komplex und wenig praxisorientiert sei der Standard. Mit dem am 9. Dezember 2010 publizierten Entwurf zeigt das IASB, dass es diese Kritik verstanden hat.

Bei der letzten gründlichen Überarbeitung des IAS 39 im Jahre 2003 hat das IASB die Latte im Bereich des Hedge Accounting sehr hoch gelegt. Viele Unternehmen können oder wollen diese Anforderungen nicht erfüllen. Dies führt teilweise zu Verzerrungen im Gewinnausweis der Jahresrech-nungen. Dabei liegt es im Interesse vieler Anspruchsgrup-pen, dass gegenläufige Ergeb-nisse aus Grund- und Absiche-rungsgeschäften in derselben Periode erfasst werden.

Es überrascht nicht, dass die bisherigen Bestimmungen kritisiert werden. Beanstandet werden vor allem die mangelnde Kompatibilität zwischen den IFRS und den Risikomanage-mentstrategien der Unterneh-men sowie der formalistische Ansatz (z.B. die Dokumenta-tionsanforderungen, insbeson-dere zum Effektivitätstest). Mit dem nun vorliegenden Entwurf geht das IASB auf diese Kritik-punkte ein.

Wegfall des starren EffektivitätstestsDer Entwurf schreibt die quantitative Effektivitätsmes-sung nicht mehr zwingend vor. Für einfache Absicherungen, bei denen eine sehr hohe Effektivität erwartet wird (z.B. Fremdwährungsabsicherungen von zukünftigen Umsätzen), reicht eine qualitative Beschrei-bung aus. Auch wenn weiterhin

effektive und nicht effektive Teile der Absicherung ermittelt und separat verbucht werden müssen, stellt die flexiblere Neuregelung eine deutliche Vereinfachung gegenüber dem bislang gültigen Standard dar.

Absicherung von RohstoffrisikenPraxisgerechte Anpassungen gibt es auch für Unternehmen, die substanziellen Rohstoff-risiken ausgesetzt sind. Ein Beispiel: Nach dem derzeit gültigen IAS 39 lässt sich Hedge Accounting auf den Kupferanteil in einem Kupferkabel des Warenlagers nur selten anwen-den. Vielmehr darf das Kupfer-kabel nur als Ganzes ins Hedge Accounting einbezogen werden.

Der Entwurf sieht vor, dass Nichtfinanzinstrumente (also etwa ein Kupferkabel) in Komponenten zerlegt werden dürfen. Damit kann der Kupferanteil des Kabels künftig isoliert betrachtet und effektiv abgesichert werden. Die nachstehende Grafik veran-schaulicht diesen Mechanismus.

Absicherung mit OptionenUnter dem aktuellen Standard ist die Absicherung mit Optionen aus buchhalterischer Sicht unattraktiv. Oft kann nur der «innere Wert» einer Option für das Hedge Accounting herange-zogen werden, während der wichtige Zeitwert unberücksich-tigt bleibt.

Stefan WüestDirector, [email protected]

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Disclose Juni 201124

Der Entwurf des IASB sieht vor, dass der Zeitwert je nach Art der Transaktion entweder

• über die Laufzeit des abgesicherten Geschäfts amortisiert wird (z.B. durch Zinsabsicherung mit einem Zinssatzdeckel) oder

• einmalig in der Erfolgs-rechnung erfasst wird. Dies setzt voraus, dass das Grundgeschäft die Erfolgs-rechnung nur einmal tangiert (z.B. eine Währungs-option zur Absicherung des zukünftigen Umsatzes in fremder Währung).

Der Entwurf macht die Absiche-rung mit Optionen deutlich attraktiver: Der Zeitwert verursacht keine Volatilität mehr in der Erfolgsrechnung.

fixe Kosten

andere variable Kosten

Kupferanteil

Pro

duk

tions

kost

en d

es K

upfe

rkab

els

Grundgeschäft nach IAS 39

Grund geschäft nach Entwurf

Absicherung des Kupferanteils

(z.B. auf der Basis des Rohstoffpreises)

Zerlegung von Nichtfinanzinstrumenten in Komponenten

Absicherungs-geschäft nach IAS 39 und Entwurf

FazitDer Entwurf, der frühestens am 1. Januar 2013 in Kraft tritt, nähert sich den Risikomanage-mentstrategien der Unterneh-men an und lockert gewisse formale Regeln. Hedge Accoun-ting wird in der Handhabung vereinfacht, und der ökonomisch sinnvolle Gewinnausweis in der Jahresrechnung wird erleichtert.

Auch wenn der Entwurf noch Fragen offenlässt, ist er ein Schritt in die richtige Richtung. Vielen Unternehmen wird er bei der Anwendung des Hedge Accounting entgegenkommen.

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DiscloseJuni 2011 25

Die zunehmende Globalisierung verlangt nach einer Harmonisierung der Rechnungs-legung. Investoren und weitere Anspruchs-gruppen erwarten einen Jahresabschluss, der entscheidungsrelevante und internatio-nal vergleichbare Informationen bietet. Diesen Erwartungen wird mit der Entwick-lung der International Financial Reporting Standards (IFRS) zunehmend entsprochen.

Die Harmonisierung der Rechnungslegung geht einher mit der Harmonisierung der Standards für Abschlussprüfungen. Das Pendant zu den IFRS sind die internationa-len Prüfungsstandards (ISA), die das International Auditing and Assurance Board (IAASB) herausgibt.

Das IAASB ist eine unabhängige, internatio-nal besetzte Organisation. Ihre Agenda wird massgeblich vom Public Interest Oversight Board (PIOB) bestimmt. Dieses Gremium setzt sich seinerseits aus zehn Vertretern staatlicher Behörden und Aufsichtsorgane, der internationalen Börsenorganisation IOSCO und der Weltbank zusammen. Das PIOB überwacht das IAASB und genehmigt die Wahlen neuer Mitglieder.

Unter dem starken Einfluss des PIOB hat das IAASB im Rahmen des Clarity-Projekts die Prüfungsstandards vollständig überarbeitet und ergänzt. Die neuen Standards sind klar strukturiert und enthalten verschärfte Vorgaben für die Prüfer.

Internationale Prüfungsstandards: klare Anforderungen an die Prüfer

Beat Inauen, Partner, St. [email protected]

Die internationalen Prüfungsstandards (ISA) wurden im Rahmen des Clarity-Projekts grundlegend überarbeitet. Die neuen Clarity-ISA sind klar strukturiert, verständlich formuliert und erlauben eine weltweit konsistente Anwendung. Sie sind 2010 in Kraft getreten.

Neue Standards als Basis für eine qualitativ hochstehende PrüfungZiel des Clarity-Projektes war es, die Prüfungsstandards unter drei Aspekten zu verbessern: Sie sollen verständlich und klar sein und sich für eine konsistente Anwen-dung eignen. Diesen Zielen wurde mit folgenden Verbesserungen Rechnung getragen:

• Identifikation der grundlegenden Ziele des Abschlussprüfers bei der Durch-führung einer Prüfung in Übereinstim-mung mit den ISA;

• Formulierung der konkreten Prüfungs-ziele;

• Festlegung der Pflichten für den Prüfer hinsichtlich der Erreichung der Prüfungsziele;

• Klarstellung der Verpflichtungen durch eine einheitlich verwendete Terminologie;

• Eliminierung von Mehrdeutigkeiten hin sichtlich der Anforderungen an den Prüfer;

• Anwendungsleitlinien («guidance»), die präzise erklären, was unter einer konk-reten Anforderung zu verstehen ist.

Zudem hat das IAASB knapp die Hälfte der Standards inhaltlich überarbeitet und einen zusätzlichen Standard zur Kommunikation bei Mängeln im Internen Kontrollsystem geschaffen. Zu den wesentlichen inhaltli-chen Änderungen gehören vor allem deutliche Verschärfungen der Anforderun-gen an die Prüfung von Konzernrechnungen und von Transaktionen mit Nahestehenden sowie an die Prüfung von Schätzungen und Marktwerten.

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Prüfung von Schätzungen (ISA 540)Der Standard verlangt ein hohes Mass an Skepsis und Sorgfalt bei der Prüfung von Schätzungen. Das Management und der Verwaltungsrat sind aufgrund der Rech-nungslegungsstandards dazu verpflichtet, kritische Schätzungen verlässlich zu ermitteln. Das heisst: Sie müssen klare Prozesse definieren, die wesentlichen Annahmen begründen, Sensitivitäten berücksichtigen und eine aussagekräftige Dokumentation über diese Aspekte erstellen. Diese Dokumentation dient dem Prüfer als Grundlage seiner Beurteilung. Wurden die Schätzungen nicht sorgfältig durchge-führt oder fehlt eine ausreichende Dokumen-tation, muss der Prüfer eigene Schätzungen vornehmen, was zu entsprechenden Mehr - aufwendungen führen kann.

Anwendung bei kleineren UnternehmenFür die Prüfung kleinerer Unternehmen hat das IAASB besondere Anwendungsleitlinien formuliert. Diese sollen eine unverhältnis-mässige Belastung durch die anspruchsvolle-ren Standards verhindern, ohne deren grundlegende Zielsetzungen und Anforde-rungen infrage zu stellen. Die Vereinfachun-gen beziehen sich vor allem auf eine Verstärkung des «Professional Judgement» des Prüfers und eine den Unternehmensver-hältnissen angepasste Dokumentation.

Auswirkungen auf die Prüfungspraxis Weltweit wurden verschiedene Studien durchgeführt, um den Einfluss der Clarity- ISA auf den Umfang der Prüfungsarbeiten zu ermitteln. Alle kommen zu dem Ergebnis, dass die zusätzlichen Verpflichtungen den Zeitaufwand für die Prüfung erhöhen. Die Aufsichtsbehörden weltweit haben nachdrücklich eine Vertiefung der Prüfung verlangt, um die Prüfungsqualität und damit die Qualität der Finanzberichterstattung zu steigern.

Die absolute Zunahme der Anforderungen bedeutet nicht automatisch einen Mehr-aufwand bei allen Prüfungen. In verschiede-nen Bereichen wurden bisher auslegungs-bedürftige Regelungen präzisiert. Einen bedeutenden Teil der Änderungen haben die grösseren Prüfungsgesellschaften frühzeitig antizipiert und in das Prüfungsvorgehen integriert. Einige Prüfungshandlungen aber müssen zusätzlich vorgenommen werden.

Die Anwendung der Clarity-ISA bedingt in der Regel auch eine aktivere Mitarbeit der geprüften Unternehmen. Die Prüfer werden sich verstärkt auf Gespräche mit dem Management, zusätzliche Informationen und Dokumentationen stützen müssen. Dies veranschaulichen die beiden folgenden Beispiele:

Prüfung von Konzernen (ISA 600)International tätige Unternehmen werden am meisten von der Standardisierung der Prüfung profitieren. Die Clarity-ISA dürften dazu beitragen, dass sich die – bisher oft spürbaren – Unterschiede in der Prüfungs-qualität der einzelnen Länder verringern.

Der überarbeitete Standard unterstreicht die zentrale Rolle des Konzernprüfers und dessen uneingeschränkte Verantwortung für die gesamte Konzernprüfung. Dabei wird unter anderem erwartet, dass die Prüfung von wesentlichen Tochtergesellschaften und risikobehafteten Positionen unter der Kontrolle des Konzernprüfers erfolgt. Das bedeutet, dass der Informationsaustausch des Konzernprüfers mit den Prüfern wesentlicher Tochtergesellschaften zuneh-men wird. Die heute üblichen Prüfungs-instruktionen und ausführlichen Prüfungs-berichte dürften in vielen Fällen nicht ausreichen, um dem neuen Standard gerecht zu werden.

Die neuen Standards sind verständlich, klar strukturiert und für eine konsistente Anwendung geeignet.

AusblickDie Clarity-ISA sind zunächst nur bei Prüfungen von IFRS-Abschlüssen zwingend anzuwenden. Für die ordentliche Revision in der Schweiz gelten nach wie vor die Schweizer Prüfungsstandards (PS), die auf dem Stand der ISA vom 30. Juni 2003 basieren. Eine Anpassung der Schweizer Prüfungsstandards bzw. eine Übernahme der neuen ISA scheint aber auf mittlere Sicht unausweichlich – nicht zuletzt, um die Vergleichbarkeit der Prüfung und die Akzeptanz des Prüfungstestats international zu gewährleisten. Die Clarity-ISA werden derzeit in mehr als 120 Ländern umgesetzt. Sie geniessen eine breite Unterstützung durch supranationale Organisationen wie die Internationale Organisation der Börsenaufsichtsbehörden IOSCO, den Basler Ausschuss (Ausschuss der Bankaufsichts-behörden der G-10) und die Weltbank.

Die Treuhand-Kammer skizziert in einem Informationsschreiben vom Dezember 2010 einen Plan zur Einführung der Clarity-ISA in der Schweiz. Diese soll in Abstimmung mit den Entwicklungen in der EU erfolgen. Mit einer Entscheidung der EU-Kommission in dieser Angelegenheit ist in naher Zukunft zu rechnen. Als realistischer Zeitpunkt für eine erstmalige Anwendung in der Schweiz wird die Prüfung der Abschlüsse für das Geschäftsjahr 2013 betrachtet.

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Auf der Zielgeraden!

Neues Rechnungslegungsrecht

Die Neuregelung der Rech-nungslegung in der Schweiz nähert sich der Schlussphase. Damit ist der Zeitpunkt gekom-men, um eine erste Beurteilung vorzunehmen.

Die Rechnungslegung ist für die Geschäfts-tätigkeit jedes Unternehmens von zentraler Bedeutung. Mehr noch: Sie ist eine Voraus-setzung, damit die Volkswirtschaft funktio-niert. Mangelhafte Rechnungslegung untergräbt das Vertrauen in das Wirtschafts-system als Ganzes. Insofern hat der Gesetz-geber ein ausgeprägtes Interesse an einer Regelung der Rechnungslegung.

In der Schweiz arbeiten Regierung und Parlament seit mehreren Jahren an einer Revision der Rechnungslegung. Dieser Gesetzgebungsprozess nähert sich nun dem Ende. In der Frühjahrssession hat der Ständerat mit der Differenzbereinigung begonnen. Da nur noch wenige Differenzen zum Nationalrat bestehen, zeichnet sich die endgültige Fassung des neuen Gesetzes ab. Dies macht eine erste Beurteilung möglich.

Einheitliche Regelung für alle Rechtsformen Künftig werden Buchführung und Rech-nungslegung – unabhängig von der jeweili-gen Rechtsform des Unternehmens – an einer Stelle des Obligationenrechts in sieben Artikeln (Art. 957 – 963 OR) geregelt. Die Grundsätze ordnungsmässiger Buchfüh-rung und Rechnungslegung, die Mindestglie-derungsvorschriften für die Bilanz und die Erfolgsrechnung sowie die Mindestanforde-rungen an den Inhalt des Anhangs entspre-chen weitgehend den bisherigen Bestimmun-gen des Aktienrechts. Wie bisher soll die Rechnungslegung «die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können».

Lorenz LippPartner, St. [email protected]

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Disclose Juni 201128

Bilanzsumme CHF 20 Mio. (bisher CHF 10 Mio.); Umsatzerlös CHF 40 Mio. (bisher CHF 20 Mio.); Vollzeitstellen 250 (bisher 50).

Die neuen Anforderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

• Sehr kleine Einzelunter nehmen und Personen gesellschaften (mit weniger als CHF 500 000 Umsatzerlös) sowie Vereine und Stiftungen, die nicht im Handelsre-gister eingetragen sind, können sich auf eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung sowie eine Darlegung der Vermögenslage beschränken.

• KMU, die lediglich einer eingeschränkten Revision unterliegen, erstellen eine Jahresrechnung mit Bilanz, Erfolgsrech-nung und Anhang. Auf Angaben zur Durchführung einer Risikobeurteilung im Anhang können sie künftig verzichten.

• «Grössere Unternehmen», die zur ordentlichen Revision verpflichtet sind, verfassen zusätzlich einen Lagebericht, eine Geldflussrechnung und einen erweiterten Anhang.

• Publikumsgesellschaften, grosse Genossenschaften und Stiftungen müs - sen – neben dem handelsrechtlichen Abschluss – einen Abschluss nach einem anerkannten Regelwerk (Swiss GAAP, IFRS, US GAAP) erstellen.

• Unternehmen, die Teil eines Konzerns sind, sind grundsätzlich von den erwähn-ten zusätzlichen Anforderungen befreit.

Stärkung des MinderheitenschutzesDas neue Recht bringt verschiedene Verbesserungen hinsichtlich der Transpa-renz und stärkt die Rechte von Personen mit Minderheitsbeteiligungen. Künftig können qualifizierte Minderheiten – bei allen Unternehmen, ohne Angabe von Gründen und ohne den Nachweis sachlicher Voraus-setzungen – die Erstellung einer Jahresrech-nung nach einem anerkannten Regelwerk verlangen. Dieser Abschluss ist dem obersten Organ anlässlich der Genehmigung der Jahresrechnung vorzulegen, bedarf aber selbst keiner Genehmigung. Er ist steuerlich nicht relevant. Dieses Recht verbessert die Transparenz für Minderheiten stark, kann aber für das Unternehmen einen erheblichen Mehraufwand mit sich bringen. Die Umschreibung, wer zur Ausübung dieses Rechts berechtigt ist, ist zurzeit zwischen den Räten noch strittig.

Griffigere Konzern rechnungDurch die deutliche Anhebung der Schwel-lenwerte werden viele Unternehmensgrup-pen von der Konsolidierungspflicht befreit. Andererseits werden künftig auch Genossen-schaften, Vereine und Stiftungen konsolidie-rungspflichtig.

Das neue Recht stärkt die Rechte von Personen mit Minderheitsbeteiligungen.

Aktiven und Verbindlichkeiten «sollen in der Regel einzeln bewertet» werden. Die historischen Kosten (abzüglich notwendiger Abschreibungen) bilden weiterhin die Bewertungsobergrenze. Künftig können – sofern dies im Anhang offengelegt wird – Aktiven mit Börsenkurs zu ihrem Kurswert angesetzt werden. Strittig ist, ob diese Option auf weitere «Aktiven mit beobacht-baren Marktpreisen» ausgedehnt werden soll. Umstritten ist auch, ob Verbindlich-keiten zwingend zum Nennwert anzusetzen sind oder ob diese auch zum «Ausgabebetrag oder Übernahmebetrag» bewertet werden dürfen.

Es ist auch künftig erlaubt, in grossem Umfang stille Reserven zu bilden. Um zu verhindern, dass das Ergebnis durch die Auflösung stiller Reserven beschönigt wird, muss das Unternehmen – entsprechend der bisherigen Regelung im Aktienrecht – den Netto-Gesamtbetrag der aufgelösten stillen Reserven im Anhang ausweisen.

Nach Betriebsgrösse differenzierte AnforderungenDie Anforderungen an die Rechnungslegung unterscheiden sich je nach der wirtschaftli-chen Bedeutung und Grösse des Unterneh-mens. Zur Unterteilung werden dieselben Kriterien wie bei der Rechnungsprüfung (Art. 727 OR) herangezogen. Im Zuge der Revision wurden die Schwellenwerte für diese Kriterien aber deutlich erhöht. Als grösseres Unternehmen gilt demnach, wer in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zwei der drei kritischen Grössen überschritten hat:

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Während Publikumsgesellschaften, grosse Genossenschaften mit mindestens 2000 Ge - nossenschaftern und grosse Stiftungen, die der ordentlichen Revision unterliegen, ihre Konzernrechnung zwingend nach einem anerkannten Regelwerk zu erstellen haben, ist eine solche Vorschrift für die übrigen Unternehmensgruppen noch strittig. Im Gegensatz zum Nationalrat möchte der Ständerat, dass auch diese Konzerne ein anerkanntes Regelwerk bei der Konsolidie-rung anwenden. Da nur grössere Unterneh-mensgruppen der Konsolidierungspflicht unterliegen, scheint diese Forderung vertretbar. Strittig ist auch, wer in (kleinen) Konzernen die Erstellung einer Konzern-rechnung verlangen darf, obwohl der Konzern an sich aufgrund der Grössenver-hältnisse von der Konsolidierungspflicht befreit wäre.

FazitDer modulare Aufbau der Rechnungsle-gungsvorschriften und die Differenzierung nach der Grösse des Unternehmens erschei-nen grundsätzlich zweckmässig. Allerdings erhöhen die verschiedenen Wahlrechte, unterschiedliche Kriterien und die Rechte der Minderheiten – so berechtigt deren Anliegen sein mögen – die Komplexität der Regelungen.

Die materiellen Verbesserungen im Hin - blick auf die Transparenz halten sich – zumindest für die Aktiengesell schaften als wirtschaftlich bedeutendste Rechtsform – gegenüber der heutigen Regelung in engen Grenzen. Dies erstaunt nicht weiter, denn bei der Reform gibt es einen grund-sätzlichen Zielkonflikt zwischen Trans-parenz und Steuerneutralität. Sollen hohe stille Reserven auch künftig zulässig sein und das Prinzip der Massgeblichkeit des handelsrechtlichen Abschlusses für die Steuerveranlagung unverändert gelten, so geht dies zulasten der Transparenz. Immerhin stellt die Einführung einer Geldflussrechnung bei den grösseren Unternehmen einen Fortschritt dar.

Die Verbesserung des Minderheitenschutzes lässt sich erst nach der Revision des übrigen Aktienrechts (Corporate Governance) abschliessend beurteilen. Gerade hier gehen die Ansichten in den Räten noch weit auseinander. Aufgrund dieser Differenzen dürfte sich auch die Inkraftsetzung des neuen Rechnungslegungsrechts hinaus-zögern.

Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Transparenz und Steuerneutralität.

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Die elektronische Archivierung ist Teil der Geschäftsprozesse

Die Datenflut in den Unternehmen steigt unaufhalt-sam. Der grösste Teil der Daten fällt in elektroni-scher Form an, und meist sind diese Daten geschäfts-relevant. Kaum ein Unternehmen kann daher auf eine elektronische Archivierung verzichten.

Die Archivierung von Geschäfts-unterlagen ist gesetzlich geregelt. Massgebend ist die Verordnung über die Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher (Geschäfts-bücherverordnung, GeBüV; SR 221.431). Sie stützt sich auf Art. 957 Abs. 5 OR. Seit dem 1. Juni 2002 ist es ausdrücklich erlaubt, Geschäftsbücher, Buchungsbelege und Geschäfts-korrespondenz elektronisch zu führen und aufzubewahren. Zu beachten ist aber: Auch wenn ein Unternehmen elektronische Archivsysteme einsetzt, muss es gemäss Art. 957 Abs. 3 OR die Betriebsrechnung und die Bilanz schriftlich und unterzeichnet aufbewahren.

Spezialgesetzliche Regelungen gehen über die Geschäftsbücher-verordnung hinaus. So enthält beispielsweise das Mehrwert-steuerrecht detaillierte Bestim-mungen zum elektronischen Geschäftsverkehr (ElDI-V). Im Bereich Finanzwirtschaft hat die Finanzaufsichtsbehörde FINMA in einem Rundschreiben zusätz - liche Vorschriften erlassen.

Welche Unterlagen müssen Sie archivieren?Aufbewahrt werden müssen Geschäftsbücher, Buchungsbele-ge und die Geschäftskorrespon-denz.

Geschäftsbücher: Gemäss Art. 1 GeBüV müssen die Unterneh-men alle Bücher aufbewahren, die «zur Feststellung der Vermögenslage des Geschäftes und die mit dem Geschäftsbe-trieb zusammenhängenden Schuld- und Forderungsverhält-nisse sowie die Ergebnisse der einzelnen Geschäftsjahre nötig sind». Der gleiche Artikel legt auch den Mindestinhalt der zu führenden Bücher fest: Haupt-buch (bestehend aus den Konten

Andreas EschbachPartner, Zü[email protected]

Christopher OehriSenior Manager, Zü[email protected]

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und dem Journal) und Hilfs-bücher (insbesondere Lohn-buchhaltung, Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung, fortlaufende Führung der Warenbestände bzw. der nicht fakturierten Dienstleistungen).

Buchungsbelege: Darunter fallen alle Urkunden, die geeignet sind, Sachverhalte nachzuweisen, die in den Büchern als Geschäftsvorfälle aufgeführt werden und damit Grundlage für die Buchung bilden (Art. 110 Ziff. 5 StGB).

Geschäftskorrespondenz: Der Inhalt der Geschäftskorrespon-denz kann sich in der Bilanz niederschlagen. Sie enthält wesentliche Angaben im Hinblick auf das rechtsgeschäft-liche Handeln des Unterneh-mens. Zur Geschäftskorrespon-denz gehören schriftliche Mitteilungen – unabhängig davon, ob sie in Papierform oder elektronisch erstellt wurden.

Nicht der Aufbewahrungspflicht unterliegen zusätzliche, frei - willig geführte Bücher oder interne Notizen, sofern es sich nicht um Buchungsbelege handelt.

Wie sind die Aufbewahrungs-fristen definiert?Grundsätzlich legt das OR die Dauer der Aufbewahrungspflicht für Geschäftsbücher, Buchungs-belege und die Geschäftskorres-pondenz auf zehn Jahre fest. Die Frist beginnt «mit dem Ablauf des Geschäftsjahres, in dem die letzten Eintragungen vorgenom-men wurden, die Buchungs-belege entstanden sind und die Geschäftskorrespondenz ein- oder ausgegangen ist» (Art. 962 Abs. 2 OR). Aber auch hier gilt: Spezialregelungen sehen teilweise unterschiedliche Aufbewahrungsfristen vor.

Der heutige Geschäftsverkehr wird weitgehend über E-Mails abgewickelt. Daraus folgt, dass geschäftsrelevante E-Mails aufbewahrt werden müssen. Die Art der Aufbewahrung lässt der Gesetzgeber jedoch offen. E-Mails können somit auch physisch abgelegt werden. Verzichtet ein Unternehmen auf die elektronische Archivierung von E-Mails, muss es Regeln zur physischen Aufbewahrung erlassen. Für Finanzinstitute gilt eine zusätzlich Regelung: Das FINMA-Rundschreiben 2008/38 «Marktverhaltensregeln» schreibt vor, dass die elektroni-sche Korrespondenz der im Effektenhandel tätigen Mitarbei-ter «während mindestens einem halben Jahr aufzubewahren und der FINMA bei Bedarf zu Untersuchungszwecken unverändert zugänglich zu machen» ist.

Welche Informationsträger sind geeignet?Art. 9 GeBüV unterscheidet zwischen veränderbaren und unveränderbaren Informations-trägern. Von unveränderbaren Datenträgern spricht man, wenn die Daten beispielsweise auf einem WORM-Medium (write once read multiple times) gespeichert oder durch soge-nannte SoftWORM-Technolo-gien vor Veränderung geschützt werden. Als veränderbare Datenträger gelten Festplatten, Back-up-Bänder oder Speicher-technologien wie Network Attached Storage (NAS). Auch das Storage Area Network (SAN) zählt zu den veränderbaren Datenträgern.

Grundsätzlich sind beide Arten von Datenträgern für die Speicherung elektronisch vorhandener Informationen zulässig. Bei veränderbaren Informationsträgern müssen die Unternehmen jedoch besondere Vorkehrungen treffen:

• Technische Verfahren, etwa eine digitale Signatur, müssen implementiert werden, um die Integrität der gespeicherten Daten zu gewährleisten.

• Der Zeitpunkt der Spei-cherung muss fälschungs-sicher nachweisbar sein.

• Die Abläufe und Verfahren bezüglich der Archivierung müssen geregelt und doku - mentiert werden.

Zur Geschäftskorrespondenz gehören schriftliche Mitteilungen – unabhängig davon, ob sie in Papierform oder elektronisch erstellt wurden.

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Beide Arten der Aufbewahrung werden in der Schweiz ange-wandt. Da veränderbare Datenträger komplexe techni-sche Verfahren zur Sicherstel-lung der Integrität erfordern, werden in der Praxis heutzutage grösstenteils WORM-Medien verwendet.

Welche technischen Möglich-keiten haben Sie?Für die richtige Wahl der Archiv- lösung ist die Datenmenge das ausschlaggebende Kriterium. Will etwa ein KMU lediglich bestimmte Informationen statt in Papierform auf Datenträgern archivieren, kann es ausreichend sein, diese Daten auf einmal beschreibbaren CDs (WORM-Medium) zu speichern. Handelt es sich jedoch um grössere Datenmengen, die üblicherweise von Systemen erzeugt werden, müssen spezifizierte Systemum-gebungen für die Archivierung von Daten aufgebaut werden.

Die hohen Kosten für die Implementierung und den Unterhalt machen es teilweise unwirtschaftlich, komplexe Systemumgebungen zu errichten, die nur den gesetzli-chen Anforderungen an die Archivierung Rechnung tragen. Zudem lassen sich die Kosten eventuell nicht mit dem Risiko des Verlustes von Daten begründen. Sinnvoller ist es, neue Archivlösungen in die Geschäftsprozesse einzuglie-dern. Moderne Archivsysteme erfüllen so nicht nur die Anforderungen der gesetzlichen Bestimmungen, sondern leisten auch einen Beitrag zur Optimie-rung der Geschäftsprozesse.

Wie kann eine Systemumge-bung aufgebaut sein?Die Geschäftsbücherverordnung schreibt vor, archivierte und aktuelle Informationen strikt zu trennen oder zumindest so zu kennzeichnen, dass eine Unterscheidung möglich ist (Art. 7 GeBüV). Die Archivie-rung von Daten kann daher nie

direkt in produktiven Systemen (z.B. im Finanzbuchhaltungs-, ERP- oder Bankensystem) erfolgen.

Weshalb sind Reviews von Archivumgebungen sinnvoll?Die technische Implementierung von Archivsystemen ist komplex. Sie ist stets mit der Schwierigkeit verbunden, die Prozesse und technischen Einrichtungen so zu gestalten, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden können. Dies betrifft nicht nur den Neuaufbau einer Umge-bung, sondern auch den Wechsel (Migration) zu einem neuen Archivsystem. Hinzu kommt der wirtschaftliche Faktor: In vielen Fällen ist die einfachste und – unter dem Aspekt der Archivie-rung – sinnvollste Lösung nicht die wirtschaftlichste. Für Unternehmen, die ein Projekt zur Archivierung von Geschäfts-unterlagen angehen, kann es sich auszahlen, bereits in der Planungsphase eine externe Review vorzusehen.

Zeichnung einer Systemsteuerung

Produktiv- system

Archiv-applikation

Archiv-medium

Auslagerung von Daten aus Performance-

gründen

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DiscloseJuni 2011 33

Leserservice

pwc.ch/reward

Executive Compensation & Corporate Governance

2010 survey examining compensation structure in SMI and SMIM companies as well as Say-on-Pay

Chairman SMI SMI Changes SMIM SMIM Changes

2007 2008 2009 07/08 08/09 07/09 2007 2008 2009 07/08 08/09 07/09

Upper Quartile 2,568,379 2,388,785 3,070,609 –6.99% +28.54% 19.55% 906,043 932,560 751,464 +2.93% –19.42% –17.06%

Median 1,200,000 844,723 1,330,867 –29.61% +57.55% 10.91% 430,500 581,876 560,591 +35.16% –3.66% +30.22%

Lower Quartile 520,869 397,564 670,599 –23.67% +68.68% 28.75% 278,750 261,000 305,640 –6.37% +17.10% +9.64%

Highest 14,624,000 15,228,951 15,116,196 +4.14% –0.74% 3.37% 10,625,656 7,418,000 7,418,000 –30.19% 0.00% –30.19%

Average 2,328,611 2,424,636 2,954,167 +4.12% +21.84% 26.86% 1,231,812 906,415 862,602 –26.42% –4.83% –29.97%

Lowest 0 0 256,570 0.00% n/a n/a 0 0 144,000 0.00% n/a n/a

Board of Directors

SMI SMI Changes SMIM SMIM Changes

2007 2008 2009 07/08 08/09 07/09 2007 2008 2009 07/08 08/09 07/09

Upper Quartile 400,000 375,053 400,034 –6.24% +6.66% +0.01% 221,000 218,217 223,975 –1.26% +2.64% +1.33%

Median 296,030 279,869 317,407 –5.46% +13.41% +7.22% 169,000 154,500 158,423 –8.58% +2.54% –6.26%

Lower Quartile 176,265 170,000 192,799 –3.55% +13.41% +9.38% 105,919 106,250 105,050 +0.31% -1.13% –0.82%

Highest 5,027,381 2,901,796 5,274,667 –42.28% +81.77% +4.92% 3,255,621 4,107,000 4,107,000 +26.15% 0.00% +26.15%

Average 377,953 363,552 400,572 –3.81% +10.18% +5.98% 248,103 239,510 230,052 –3.46% -3.95% –7.28%

Lowest 0 0 0 0.00% 0.00% 0.00% 0 0 0 0.00% 0.00% 0.00%

CEO SMI SMI Changes SMIM SMIM Changes

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Upper Quartile 12,618,250 8,185,720 12,518,763 –35.13% +52.93% –0.79% 4,058,039 3,469,390 3,664,328 –14.51% +5.62% –9.70%

Median 7,727,944 5,351,799 5,861,461 –30.75% +9.52% –24.15% 2,750,174 2,520,853 2,178,500 –8.34% –13.58% –20.79%

Lower Quartile 4,792,787 3,770,484 3,935,927 –21.33% +4.39% –17.88% 1,788,900 1,581,127 1,383,553 –11.61% –12.50% –22.66%

Highest 22,280,000 20,544,032 20,471,929 –7.79% –0.35% –8.12% 12,024,884 7,062,808 7,840,619 –41.27% +11.01% –34.80%

Average 9,326,781 6,943,456 8,191,353 –25.55% +17.97% –12.17% 3,814,715 2,939,052 2,948,413 –22.95% +0.32% –22.71%

Lowest 1,704,000 1,814,702 1,819,000 +6.50% +0.24% +6.75% 1,012,836 930,824 710,000 –8.10% –23.72% –29.90%

pwc.ch/reward

Ein Blick in die Zukunft

Entwicklungen für Audit Committees in der Schweiz

Ein Meinungspapier der PwC und der Universität St.Gallen

November 2010

www.pwc.ch/boardroom

Ein Blick in die ZukunftEntwicklungen für Audit Committees in der Schweiz

PwC hat in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen ein zukunftsweisendes Meinungspapier für Audit Committees in der Schweiz erarbeitet. Die Publikation stützt sich auf die Ergebnisse einer Befragung von Audit-Committee-Mitgliedern und zeigt in übersichtlicher Form die Trends für deren Arbeit auf.

Executive Compensation & Corporate Governance 2010

Die vierte Erhebung von PwC zu diesem Thema beinhaltet eine Analyse der öffentlich zugänglichen Angaben zur Management-Kompensation der SMI-Gesellschaften und fast aller im SMIM-Index abgebildeten Unternehmen. Die Studie vermittelt ein umfassendes Bild der heutigen Kompensationspraxis führender Schweizer Unternehmen.

A practical guide to new IFRSs for 2011

2011 dürften wesentliche Änderungen zu den IFRS veröffentlicht werden. Für die Abschlüsse zum Ende des Jahres 2011 aber wird es nur wenige Modifikationen geben. Der Leitfaden umreisst – in Form von Fragen und Antworten – die Hauptanforderungen der neuen Standards und Interpre tationen, die dieses Jahr in Kraft treten.

Illustrative IFRS corporate consolidated financial statements for 2010 year ends

Diese Publikation schildert die konsoli-dierte Finanzberichterstattung für eine fiktive Produktions-, Grosshandels- und Einzelhandelsgruppe. Sie basiert auf den Rechnungslegungsvorschriften und Interpretationen nach IFRS, die für die Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2010 beginnen, massgebend sind.

World Watch – Governance, Reporting and Assurance

World Watch ist das Magazin von PwC, das sich regelmässig aktuellen Fragen der Corporate Governance und der Unternehmensberichterstattung widmet. Es bietet einen Überblick über die Themen Governance, Finanzberichterstattung, Assurance und Reporting im weiteren Sinne und enthält Nachrichten aus aller Welt.

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Executive Compensation & Corporate Governance 2010 (Englisch)

A practical guide to new IFRSs for 2011 (Englisch)

Illustrative IFRS corporate consolidated financial statements for 2010 year ends (Englisch)

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