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Lateinische und Orientalische Adversus-Iudaeos-Literatur 297 Versuch einer Akzeptanz und Vereinbarung mit der neuen Lehre begegnet in seinem Text nicht. Vielmehr betont er, daß es bereits vor der Tora ein Gesetz gegeben hat, dem Noah und Mel- chisedek gefolgt sind; dieses „Urgesetz" wurde in der Tora reformiert, die Reform aber mit dem Erscheinen und der Lehre Jesu Christi aufgehoben - die Tora hat folglich weder für die Men- schen vor Moses noch für diejenigen nach Jesus eine Verbindlichkeit . Die Juden tragen für Tertullian die alleinige Schuld am Tode Jesu, die Römer finden sich von jeder Verantwortung frei 12 , dies eine typische Haltung der Kirchenväter, die in ihren Grundzügen bereits in den späteren Evangelien angelegt ist. Die Nichtanerkennung der Messianität Jesu von Nazareth zog für die Juden den Verlust von Heil und Erwählung nach sich, als sichtbares Zeichen dafür dienten die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. und die Zerstreuung ihres Volkes 13 , die im übrigen schon in den Schriften des Alten Bundes prophezeit worden sei, etwa in Daniel IX, 26, Ezechiel VIII, 12-18 und IX, 1-4 oder in Jesaja I, 7f 14 . Insgesamt bewegt sich Tertullian mit seinem Diskurs Adversus ludaeos im Rahmen der tra- ditionellen Kirchenväterschriften; im zweiten und dritten Jahrhundert war das theologische Gedankengut der Christen noch weitestgehend unabhängig vom lateinischen oder griechischen Sprachraum, ja in vorliegendem Fall gab der griechische Text des Justin Martyr als Quelle die Richtung der Argumentation vor. Der an Genesis XXV, 23 festgemachte Gedanke einer Unter- ordnung des Judentums unter das Christentum konnte zu dieser Zeit allerdings nur aus- schließlich theologisch gemeint sein, bis zur politischen Realisierung, die, wie oben dargelegt, mit dem Codex Theodosianus einsetzte, mußte noch ein erheblicher Zeitraum vergehen 15 . 2. AUGUSTINUS Augustinus, „überhaupt der größte aller Kirchenväter ... eine weltgeschichtliche Persönlichkeit, in ähnlichem Sinne wie Plato und Aristoteles" '*, wurde im November 354 n.Chr. als Sohn des Heiden Patricius und der Christin Monika zu Tagaste in Numidien geboren. Nach einem Studium der Rhetorik in Madaura und, ab 371 n.Chr., in Karthago lehrte er dieses Fach ebendort wie auch in seiner Geburtsstadt, hielt sich 383/84 n.Chr. in Rom auf und wurde dann als Rhetorikprofessor in der kaiserlichen Residenzstadt Mailand angestellt. Hier erfolgte der "Kapitelll, 10-14. 12 Kapitel VIII, 18, vgl. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 221. 13 Kapitel X, 19; XI, 11 und besonders XIII, 26-29. 14 Kapitel XIII, 9f: Daniel IX, 26; Kapitel XI, 2ff: Ezechiel Vin und IX; Kapitel XIII, 3f; Jesaja I, 7f; vgl. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 223. 13 Kapitel I, 3ff; vgl. oben „Historische Inhalte und Entstehungsumstände der Texte". 16 O. Bardennewer, Geschichte der Altkirchlichen Litteratur, Bd. IV „Das fünfte Jahrhundert mit Einschluß der syrischen Litteratur des vierten Jahrhunderts", Freiburg/Br. 1924, 434-511 .Augustinus", 435; siehe auch B. Altaner - A. Stuiber, Patrologie, 412-449 ,Augustinus (354-430)", 412-419 „Leben und Bedeutung". Brought to you by | Columbia University Law Library New York (Columbia University Law Library New York) Authenticated | 172.16.1.226 Download Date | 6/29/12 8:06 PM

Disputationes graecae contra ludaeos Volume 17 (Untersuchungen zur byzantinischen antijüdischen Dioalogsliteratur und ihrem Judenbild) || 2. Augustinus

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Lateinische und Orientalische Adversus-Iudaeos-Literatur 297

Versuch einer Akzeptanz und Vereinbarung mit der neuen Lehre begegnet in seinem Text nicht.Vielmehr betont er, daß es bereits vor der Tora ein Gesetz gegeben hat, dem Noah und Mel-chisedek gefolgt sind; dieses „Urgesetz" wurde in der Tora reformiert, die Reform aber mit demErscheinen und der Lehre Jesu Christi aufgehoben - die Tora hat folglich weder für die Men-schen vor Moses noch für diejenigen nach Jesus eine Verbindlichkeit . Die Juden tragen fürTertullian die alleinige Schuld am Tode Jesu, die Römer finden sich von jeder Verantwortungfrei 12, dies eine typische Haltung der Kirchenväter, die in ihren Grundzügen bereits in denspäteren Evangelien angelegt ist. Die Nichtanerkennung der Messianität Jesu von Nazareth zogfür die Juden den Verlust von Heil und Erwählung nach sich, als sichtbares Zeichen dafürdienten die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. und die Zerstreuung ihres Volkes 13, dieim übrigen schon in den Schriften des Alten Bundes prophezeit worden sei, etwa in Daniel IX,26, Ezechiel VIII, 12-18 und IX, 1-4 oder in Jesaja I, 7f14.

Insgesamt bewegt sich Tertullian mit seinem Diskurs Adversus ludaeos im Rahmen der tra-ditionellen Kirchenväterschriften; im zweiten und dritten Jahrhundert war das theologischeGedankengut der Christen noch weitestgehend unabhängig vom lateinischen oder griechischenSprachraum, ja in vorliegendem Fall gab der griechische Text des Justin Martyr als Quelle dieRichtung der Argumentation vor. Der an Genesis XXV, 23 festgemachte Gedanke einer Unter-ordnung des Judentums unter das Christentum konnte zu dieser Zeit allerdings nur aus-schließlich theologisch gemeint sein, bis zur politischen Realisierung, die, wie oben dargelegt,mit dem Codex Theodosianus einsetzte, mußte noch ein erheblicher Zeitraum vergehen 15.

2. AUGUSTINUS

Augustinus, „überhaupt der größte aller Kirchenväter ... eine weltgeschichtliche Persönlichkeit,in ähnlichem Sinne wie Plato und Aristoteles" '*, wurde im November 354 n.Chr. als Sohn desHeiden Patricius und der Christin Monika zu Tagaste in Numidien geboren. Nach einemStudium der Rhetorik in Madaura und, ab 371 n.Chr., in Karthago lehrte er dieses Fachebendort wie auch in seiner Geburtsstadt, hielt sich 383/84 n.Chr. in Rom auf und wurde dannals Rhetorikprofessor in der kaiserlichen Residenzstadt Mailand angestellt. Hier erfolgte der

"Kapitelll, 10-14.12 Kapitel VIII, 18, vgl. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 221.13 Kapitel X, 19; XI, 11 und besonders XIII, 26-29.14 Kapitel XIII, 9f: Daniel IX, 26; Kapitel XI, 2ff: Ezechiel Vin und IX; Kapitel XIII, 3f; Jesaja I, 7f; vgl. H.

Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 223.13 Kapitel I, 3ff; vgl. oben „Historische Inhalte und Entstehungsumstände der Texte".16 O. Bardennewer, Geschichte der Altkirchlichen Litteratur, Bd. IV „Das fünfte Jahrhundert mit Einschluß der

syrischen Litteratur des vierten Jahrhunderts", Freiburg/Br. 1924, 434-511 .Augustinus", 435; siehe auch B.

Altaner - A. Stuiber, Patrologie, 412-449 ,Augustinus (354-430)", 412-419 „Leben und Bedeutung".

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entscheidende Gesinnungswandel des jungen Mannes, der zwar als Knabe im Katechumenaterzogen worden war, die Taufe aber infolge einer zunehmenden Entfremdung gegenüber demChristentum nicht empfangen hatte. In seinen Studienjahren kam er über die Lektüre desciceronischen Dialoges Hortensius zur Philosophie und entdeckte den von jeder Autorität freienManichäismus für sich, dem er auch trotz wachsender Zweifel über einige Jahre hinweg, von374 bis 383 n.Chr., die Treue hielt. In Rom ein Anhänger der philosophischen Skepsis, wurdeAugustinus im Verlauf seiner Mailänder Zeit, im Jahre 386 n.Chr., wesentlich durch die christ-lichen Neuplatoniker Manlius Theodorus und Simplicianus, erneut an die Religion seiner Kind-heit herangeführt, deren tieferen Gehalt zu verstehen er nun fähig war 17. Im Herbst 386 n.Chr.legte er sein Lehramt nieder und zog sich auf das Landgut Cassiciacum zurück, um sich hier aufdie Taufe vorzubereiten, die er dann in der Osternacht des folgenden Jahres zusammen miteinem Freund und seinem Sohn Adeodatus (372-389 n.Chr.) aus der Hand des Ambrosius vonMailand empfing. Im Jahre 388 n.Chr. kehrte Augustinus nach Afrika zurück und lebte beinahedrei Jahre in seiner Vaterstadt Tagaste in der Abgeschiedenheit eines Klosters; der Ruf seinerFrömmigkeit wuchs, 391 n.Chr. empfing er auf Ansinnen des Bischofs Valerius von HippoRegio die Priesterweihe. Vier Jahre später ließ der Bischof Augustinus zu seinem Gehilfenwählen, 395 n.Chr. folgte der Theologe nach dem Tod seines Gönners diesem im Amte nach.Augustinus besaß ein starkes soziales Engagement, trat nachhaltig für das im lateinischen Africawenig bekannte Klosterleben ein, war ein eifriger Prediger und versucht, die Lehre der Kircheauch schriftlich gegen die vielfältigen Irrlehren und Häresien der Zeit, gegen den Manichäismus,Donatismus, Pelagianismus und Arianismus, zu verteidigen 18. Der Bischof war bald auchjenseits der Grenzen seiner Diözese bekannt, er wurde zum geistigen Führer der afrikanischenKirche, ja nach der Meinung manches Gelehrten der westlichen Kirche überhaupt 19; hochbetagtist er am 28. August 430 n.Chr. im Verlaufe der Belagerung Hippos durch die Vandalen gestor-ben.

Das literarische Werk des Augustinus ist überaus reichhaltig und inhaltlich anspruchsvoll, dieDialoge De beata vita, De libero arbitrio, De quantitate animae oder Soliloquia gehören zumBesten, was die Kirchenväter je in dieser Literaturgattung erzeugt haben M. Zu den Juden seinerZeit scheint Augustinus keine engeren Kontakte gehabt zu haben, doch war er zeitlebensbemüht, das Verhältnis von Christentum und Judentum theologisch aufzuarbeiten 21. Hierausresultiert eine Vielzahl von Aussagen und Stellungnahmen, teilweise versöhnlicher, größtenteils

17 In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder auf den Einfluß der Predigten des Ambrosius von Mailand

hingewiesen, weiters auf die eigenständige Lektüre des Neuen Testamentes, in dem speziell der Römerbrief fürAugustinus von einiger Bedeutung gewesen sein muß, vgl. B. Altaner - A. Stuiber, Patrologie, 414.18 Vgl. hier den kurzen Überblick bei O. Bardenhewer, Geschichte der Altkirchlichen Litteratur, Bd. IV, 463-480.19 So etwa E. Hendrix, Augustinus, LThK Bd. I (2/1957), 1094-1101, 1096 „Gesamtwürdigung".20 Vgl. B.R. Voss, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, 197-303, 343-345, besonders 208-211, 233-266.21 Vgl. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 352-362 und öfter.

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aber feindlicher Natur, die bei der großen Autorität des Kirchenvaters die Haltung nachfol-gender Generationen dem Judentum gegenüber wesentlich bestimmten. Unter der großenAnzahl entsprechender Schriften verdient besonders der Tractatus adversus ludaeos herangezo-gen zu werden, eine nach 425 n.Chr. gehaltene Predigt, die später überarbeitet worden ist ^.Sie diente weniger der Judenmission als vielmehr der Unterweisung der christlichen Mitbrüder,verfolgt somit das gleiche Anliegen wie die Adversus ludaeos orationes octo des JohannesChrysostomos. In weniger agressivem Tonfall als der Vorgenannte schilderte auch Augustinusdie Juden als verworfen, hegte aber noch eine gewisse Hoffnung in bezug auf ihre Bekehrung.Er bescheinigte dem Mosaischen Gesetz eine nur vorläufige Bedeutung, mit dem KommenChristi aber habe es seine Berechtigung verloren B. Das „Wahre Israel" sei durch den Glaubenan Jesus von Nazareth gekennzeichnet, die Juden haben mithin diesen Titel eingebüßt24. Ent-scheidend für die Einstellung des gesamten westlichen Mittelalters wurde die Ansicht desAugustinus, die Juden hätten die alleinige Verantwortung für den Tod Jesu 2, die bereits in denEvangelien sich abzeichnende Tendenz einer zunehmenden Entlastung der Römer wurde inseinem Tractatus adversus ludaeos weiter ausgestaltet. Auch der Geschichtsbeweis des Jahres70 n.Chr. findet in diesem Text gegen die Juden Anwendung Ä.

Die in dieser Schrift entwickelten Gedanken finden sich ebenfalls in der Epistula CXCVI AdAsellicum episcopum de cavendo Judaismo *; anhand von Genesis XXV, 23, dem Verhältnisvon Esau und Jakob, begründet der Kirchenvater die Unterordnung des älteren Judentums unterdie junge Lehre Jesu Christi. Das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn", Lukas XV, 11-32, wurdevon Augustinus wiederholt behandelt, so in dem Text Quaestiones in evangelium secundumLucam XXXIII ™ oder der erst vor einiger Zeit wiederentdeckten Predigt De duobus filiis exEvangelio y; in beiden Fällen wird das Judentum mit dem älteren Sohn gleichgesetzt und dertröstliche Gedanke entwickelt, daß die Juden beim Vater geblieben und nicht enterbt worden

22 S. Aurelii Augustini Hipponensis episcopi Tractatus adversus ludaeos, PL XLII, 51-64, vgl. H. Schrecken-berg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 352f.23 Adversus ludaeos II, 3 „Instrument! Veteris libros ad nos pertinere, eorumque praecepta per nos melius im-pleri"; vgl. III, 4; V, 6 und VI, 8.24 Adversus ludaeos V, 6.25 Adversus ludaeos VIII, 11 „ludaeorum a Deo dimissio per Isaiam praenuntiata".26 Adversus ludaeos IX, 12 „Dimissio ludaeorum clarius praedicta per Malachiam. Sacrificium Christianorumubique in terra et in caelo offertur".27 S. Aurelii Augustini Hipponiensis episcopi epistulae, rec. et comm. crit. instruxit AI. Goldbacher, Bd. IV,

Wien-Leipzig 1911, CSEL LVII, 216-230, vgl. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, BdI, 353.28 Quaestiones in evangelium secundum Lucam, PL XXXV, 1344-1348.29 Sermo Caillau et Saint Yves, 2, 11; Miscellanea Agostiniana. Testi e studi I. Sancti Augustini sermones postMaurinos reperti. Studio et diligentia G. Morin, Vatican 1930, 255-264.

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seien, also entgegen den Aussagen im Tractatus adversus ludaeos doch noch ein Gottesvolksind.

Auch in zahlreichen pseudoaugustinischen Schriften wird das Verhältnis der Christenheit zuihrer Mutterreligion behandelt, so in dem Sermo contra ludaeos, paganos et Arianos, inWahrheit wohl einem Werk des Augustinus-Schülers Quodvultdeus (gest. ungefähr 453n.Chr.) **, das zum Beweis der Messianität Jesu von Nazareth neben den christologisch inter-pretierten Texten des Alten Bundes auch Vergils Vierte Ekloge oder die Sibyllischen Bücheranführte 31 und im Mittelalter zu einem in der Weihnachtsliturgie aufgeführten Schauspielausgebaut wurde 32, oder der wohl vor 476 n.Chr. entstandenen Altercatio Ecdesiae etSynagogae, einem Dialog der personifizierten Religionen 33, der nach kurzem Wortgefecht denSieg des Christentums beschreibt, dabei maßgeblich die niedere soziale Stellung vieler Juden inseiner Argumentation verwendete. In diesem Text dürften auch die zahlreichen personifiziertenDarstellungen der Kirche wie der Synagoge in der westlichen Sakralkunst ihre Anregunggefunden haben *. Generell sind die Schriften des Augustinus durch eine starke Einbeziehungder ratio, der Vernunft, gekennzeichnet; seine Vorgehensweise, die an einer Stelle durch denSatz .Anteilige, ut credas, crede, ut intelligas" beschrieben wird ", unterscheidet sich maß-geblich von der bloßen Aneinanderreihung christologisch interpretierter ,3elegstellen" aus demAlten Testament, mit der zahlreiche andere Kirchenväter ihre Argumentationen führten und dieJuden zu widerlegen gedachten. Seine verfeinerte Methodik erlaubte ihm, den Juden mehrGerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie beispielsweise vom Vorwurf des Gottesmordes, deroftmals gegen sie erhoben wurde, freizusprechen: hätten sie Jesus von Nazareth in seinerganzen Bedeutung erkannt, hätten sie ihn niemals getötet K. Die Arbeiten des Augustinus sindsomit von einer Methodik getragen, die stark an die der Philosophen des Altertums gemahnt; in

30 Contra ludaeos, paganos et Arianos sermo de symbolo, PL XLII, 1117-1130.31 Contra ludaeos, paganos et Arianos sermo de symbolo, Kapitel XV „Ex libris Ethnicorum", PL XLII, 1125f

und Kapitel XVI „Ex Sibyllinis vaticiniis. Vaticinium Sibyllae", ebd., 1126f.32 Vgl. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 353f.33 De altercatione Ecclesiae et Synagogae dialogue, PL XLII, 1131-1140.34 Beispielhaft seien in diesem Zusammenhang angeführt B. Blumenkranz, Synagoga: Mutation d'un motif dsl'iconographie mldieVale, in: Judaica et Hellenica: Hommage ä V. Nikiprowetzky, Paris 1986, 349-355 und

Idem, Altercatio Aecclesie contra Synagogam, RMAL Bd. X (1954), 1-160.35 Sermo XLIII, 7, S. Aurelii Augustini Hipponensis episcopi sermo XLIII ad populum „De eo quod sciptum est

in Isaia VII.9: Nisi credideritis, non intelligetis", PL XXXVIII, 254-258, 258.. Hier klingt ein wenig das „credo,

ut intelligam" des Anselm von Canterbury an, vgl. B. Altaner - A. Stuiber, Patrologie, 435-449 „Lehre (erg.Augustins)", 436.36 In psalmum LXV, 5 enarratio „Dicite Deo: quam timenda sunt opera tua!", S. Aurelii Augustini enarrationes

in psalmos LI-C, ed. D.E. Dekkers et I. Fraipont, CC lat. Bd. XXXIX, Turnhout 1956; vgl. H. Schreckenberg,

Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, Bd. I, 354f.

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ihrem Denken und in ihrer Vorgehensweise geschult, suchte er die Wahrheit des Christentumszu erweisen und prägte damit das Denken des westlichen Mittelalters in einer kaum zu überbie-tenden Weise ̂ .

3. EVAGRIUS

Wohl in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts, eventuell zwischen 430 und 440 n.Chr.,verfaßte der ansonsten unbekannte gallische Mönch Evagrius die Altercatio Simonis et The-ophili, einen fiktiven Dialog in 29 Fragen und Antworten zwischen dem Juden Simon und demChristen Theophilos, der in mehreren Handschriften überliefert und verschiedentlich ediertworden istx. Der Text, der den Tractatus adversus ludaeos des Tertullian und die Testimoniades Kyprian von Karthago zu seinen Quellen zählt, hat mit den gelehrten Abhandlungen desAugustinus wenig gemein, er ist vielmehr in seinem Aufbau und in seiner Methodik den anti-jüdischen Dialogen griechischer Sprache derart ähnlich, daß A. von Harnack eine Beeinflussungseitens der Schrift des Ariston von Pella für möglich gehalten hat **. Eine tiefere Kenntnis desJudentums war Evagrius nicht zueigen, die Altercatio stellt den Juden in seinen Fragen und inseiner Argumentation vielmehr so dar, wie man ihn sich christlicherseits vorgestellt hat; diesbeinhaltet selbstverständlich gegen Ende der Unterredung, die mit Jesus von Nazareth als demvon den Propheten verheißenen Messias und Sohn Gottes, der Aufhebung des MosaischenGesetzes und der Verwerfung der Synagoge die geläufigen Themen der Gattung behandelt, denWunsch des Symeon, die Taufe zu empfangen, um seine Sünden abzuwaschen "°. Der Ge-sprächsverlauf ist ganz und gar durch das Gegenüberstellen von „Belegen" aus dem AltenTestament bestimmt, die der jeweiligen Auffassung zu entsprechen scheinen: so führt Simon

37 Vgl. auch B.R. Voss, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, 345 zum Vergleich der Methodik von

Augustinus und Gregor von Nyssa, dem bedeutendsten christlichen Dialogschreiber im griechischen Sprachraum:„Wenn Gregor Ergebnisse bringt, die erklärt und begründet werden, wird bei Augustinus der Vorgang des Denkens

dargestellt; im Bild: Gregor läßt den Weg erkennen, Augustinus zeigt das Gehen etc.".38 A. Lukyn Williams, Adversus ludaeos, 298-305 „Evagrius. The discussion concerning the law between Simona jew and Theophilus a Christian", 298 zu den Handschriften; H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-

ludaeos-Texte, Bd. I, 367. Editionen des Textes: Altercatio inter Theophilum Christianum et Simonem ludaeum,Evagrio auctore, PL XX, 1165-1182; A. von Harnack, Die Altercatio Simonis iudaici et Theophili christianinebst Untersuchungen über die antijüdische Polemik in der Alten Kirche, TU I, 3, Leipzig 1883, 1-136; Alterca-tio Legis inter Simonem ludaeum et Theophilum Christianum, edidit E. Bratke, CSEL Bd. XXXV, Wien 1904,

ebd. V-XI „Praefatio" Angaben zu den Überlieferungsträgern und ihrem gegenseitigen Verhältnis. Die letzt-

genannte Edition ist auf der breitesten Materialbasis entstanden und deshalb als verbindlich anzusehen.39 Vgl. dazu A. Lukyn Williams, Adversus ludaeos, 298.40 Lator salutis, Theophile, aegrotorum bone medice, nee ultra possum dicere. iube me catecizari et signo fidei

Jesu Christi consecrari. arbitror enim per man us inpositionem accepturum me delictorum ablutionem, AltercatioLegis inter Simonem ludaeum et Theophilum Christianum, edidit E. Bratke, 52f.

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